Träume erzählen die besten Geschichten von Ireilas ================================================================================ Kapitel 1: Das Ende der Welt ---------------------------- Es war durchaus kein angenehmes Abenteuer. Ein Katastrophenfilm, in dem ich feststeckte. Mir war in diesem Traum nicht bewusst, dass ich jederzeit aufwachen konnte – denn er hatte dort begonnen, wo ich eingeschlafen war: in meinem Bett. Es war morgen, als ich mich von meinem weichen Kissen erhob. Zu der Zeit wohnte ich noch bei meinen Eltern, in dem Zimmer, in dem wir langsam groß geworden waren. Auf der anderen Seite des Zimmers das Fenster, zu dem ich langsam schritt. Ich hatte so ein Gefühl, als ob gleich irgendetwas furchtbares passieren würde... Hinter der Reihenhausanlage, die unserem gegenüber Stand, schien sich etwas auszubreiten. Ich kniff die Augen zusammen, um es besser sehen zu können. Als es größer als die Häuser waren – und diese langsam verschluckte, wusste ich, mit was ich es hier zu tun hatte. Schwarze Löcher. Wie schwarze Explosionen breiteten sie sich im Halbkreis auf dem Boden aus und schienen alles im Nichts verschwinden zu lassen. Natürlich weiß ich in Real, dass schwarze Löcher anders aussehen. Erstrecht nicht können sie sich wie Explosionen über die Erde ausbreiten. Doch das war mir egal – wir mussten das Haus verlassen, und zwar schnell! Ich lief aus meinem Zimmer, zu den Stiegen und rief hinab, nach meinen Eltern. Bis heute weiß ich nicht wieso, doch sie reagierten nicht. Besser gesagt, sie wollten mir nicht glauben. So sah ich mich gezwungen, meine Eltern schweren Herzens zurück zu lassen. Ich schnappte meine damaligen zwei Ratten, Gangster und Rowdy, und setzte sie in den kleinen Transportkäfig. Schnell noch den Deckel darauf und schon war ich weg – auf der anderen Seite des Zimmers durch das Doppelfenster gesprungen, über das Vordach des Gartens, immer nur weg von dem schwarzen Loch. Gemeinsam mit meinen Tieren lief ich lange, ohne mich umzudrehen. Die Gegend wechselte allmählich zu einer friedlichen Landschaft. Als ich mich endlich sicher fühlte, blieb ich vorerst stehen. Die, die ich liebte, waren sicher bereits verschlungen. Ich stand am Rand einer Klippe und sah die endlose, dunkelgrüne Wiese darunter an. Ein paar wenige Häuser schienen sich direkt unter mir, an der Klippe zu schmiegen. So beschloss ich nach unten zu klettern und mich ein wenig auszuruhen. Auf einer Picknickbank aus Holz öffnete ich den Transportkäfig und stellte ihn auf den Tisch. Meine zwei Ratten waren im Heu eingekuschelt und schienen zu schlafen – bei all der Hektik ein wunder. Es war nicht viel, doch gab ich jedem der beiden ein Stück von meinem Käsebrot ab. Mir war mulmig zumute, wenn ich daran dachte, dass die zwei noch sehr lange in diesem kleinen Gefäß hausen mussten. Doch so lange wir nicht in Sicherheit waren, konnte ich sie nicht frei laufen lassen. In Sicherheit... wie in einer Vision über das schwarze Loch sah ich, wie gewaltig groß diese Blase schon war. Doch sie würde nicht platzen; mein Gefühl verriet mir, dass sie sich nie aufhören würde zu dehnen... niemals. Ehe ich aufgab, wollte ich weiter reisen. Ich packte den Transportkäfig und lief wieder los, über die grüne, endlose Wiese. Mit der Zeit änderte sie sich. Ich schien durch eine Art Park eines großen, weißen Gebäudes zu laufen. War es ein Ort der Regierung? Dichte Wände aus Sträuchern gaben mir den Weg dadurch vor. Ehe ich an das schwarze Loch denken konnte, blieb ich rasch stehen: erstarrt blickte ich auf ein neues, kleines schwarzes Loch vor mir, dass sich langsam ausbreitete. Oh nein... es gab also mehrere. Der Park wurde zu einem regelrechten Hürdenlauf: andauernd breiteten sich um mich neue Löcher aus. Sie gaben mir zusätzlich zu verstehen, dass es kein entkommen gab. Als ich wieder über die endlose Wiese lief, löste sich der scheinbar dichte Nebel auf. Er gab eine grau-braune Stadt frei. Eine Metropole, in der scheinbar noch keine Panik herrschte. Ich warnte am Stadtrand so viele Leute, wie ich nur konnte, denn die schwarzen Löcher waren schon sehr nah. An einem U-Bahn Abgang hielt mich ein Mann in Uniform auf. Er sprach von Evakuierung und einem Fluchtplan: angeblich breiteten sich die Löcher nur auf dem Festland aus. Es sind so viele Menschen wie möglich gebeten worden, den Aufruf auf die Schiffe zu folgen, die zur Rettung aufs Meer bereit gestellt wurden. Meine Augen glänzten, als ich das hörte. Mit Hoffnung lief ich den vielen Personen nach, hinab in den scheinbaren U-Bahn Schacht. Er führte mich zuerst an eine Kontrolle, dann zu einem Steg mit zwei Schiffen: endlich, ich konnte die greifbare Rettung spüren. Nachdem ich kontrolliert wurde, durfte ich zusammen mit meinen Ratten an Bord gehen. Das Schiff brauchte nicht lange und legte ab, hinaus, aufs weite Meer. All das Glück, die Hoffnung, zerbrach in einem einzelnen Moment. Wir waren nicht sicher. Die schwarzen Löcher hatten bereits die gesamte Stadt verschlungen und breiteten sich, trotz aller annahmen, sie können nicht aufs Meer, schnell in unsere Richtung aus. Ich saß unter dem Deck mit vielen anderen Personen. In meiner Hoffnungslosigkeit umklammerte ich den Transportkäfig meiner Ratten. Ich musste ihre nähe Spüren. Das Ende war da und ich bereit. Fest hatte ich meine Augen geschlossen und ließ den Käfig nicht los. Gerade, als sich in meinem Kopf die Worte „Es ist aus.“ manifestierten, erreichte uns das schwarze Loch. Es war finster. Finster und friedlich. Dann öffneten sich meine Augen: ich war wach. Manchmal nach Träumen mit so einen unbefriedigendem Ende warf ich mich trotzig zurück in mein Kissen und erträumte mir mein eigenes, alternatives Ende. Auch wenn ich wollte, habe ich es in diesem Fall nicht getan. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Ende richtig sei. Es gar nicht anders sein durfte. Kapitel 2: Der gejagte Dämon ---------------------------- Was bin ich? Ein Experiment, ein Mensch mit besonderen Kräften, oder gar ein Dämon? Ich weiß es nicht. Doch ich werde gejagt, von der Regierung. Andauernd werde ich in den großen, futuristischen Städten bei Nacht von Polizisten, wenn man sie so nennen kann, verfolgt. Einmal war ich auf einen hohen Turm geflüchtet, wohl ein Kraftwerk, im Baustil eines Business-Towers. Im inneren war der schwarze, durch Lichter erhellte Wolkenkratzer hoch mit blauem Wasser gefüllt. Als mir meine Verfolger keine Wahl ließen, sprang ich hinein. Mir sprang die Meute nach, doch konnten sie sich längst nicht so geschickt im Wasser bewegen, wie ich. So zerschlug ich das Glas und flog hinaus, den Jägern davon. Wenn ich am Boden gejagt wurde und versuchte, in die Luft zu gelangen, entkam ich meistens nur knapp. Wenn ich vom Fliegen träume, komme ich meist nur schwer vom Boden weg. Jedoch hier war es anders: ich genoss die Macht, die Freiheit, zu tun, was ich wollte. Unter mir die von Millionen Lichter erhellte Stadt, konnte ich mir aussuchen, wo ich mich nun verstecken wollte. Der Anblick war überwältigend, aber auch erschreckend zu gleich. Er zeigte mir das Bild der Menschen, die den Planeten vollkommen eingenommen haben und unkontrolliert, selbst bei Nacht agierten. Ich flog zum Rand der Stadt und hielt auf einem kleinen Hügel, um mir noch einmal ein Bild zu machen. Der Morgen war gekommen und färbte alles in orange-rot. Fast kam es mir vor, als sei die Stadt vor mir gar nicht an der Oberfläche gebaut - war ich unter der Erde? Nein - das konnte nicht sein. Woher sollte sonst das warme Licht der Sonne stammen..? Ich blinzelte und hatte das Gefühl, mich kurz auserhalb meines Körpers zu sehen. Schwarze, schulterlange Haare; ich steckte in einem engen, schwarzen Ganzkörperanzug, der meinen sportlichen Körperbau verdeutlichte. An meinen Händen waren zwei silberne Handschuhe, mit spitzen Fingernägeln. Waren sie mechanisch? Auf jedenfall fühlte ich es von Anfang an: ich bin männlich. Ein gejagter der Welt - fragt sich nur, wofür. Oftmals stellte ich mich schon in Träumen den Jägern, mit der Lektion, nicht jeder ließ mich nachher auch in Frieden. Diese Typen waren nicht anders und wollten mich wieder einsperren, ich fühlte es deutlich. So flog ich weiter. Ich sah beim Umkreisen der Stadt genauer hin und entdeckte einen breiten Riss, einen Spalt in der Erde. Dort blitzten alte Gebäude hervor, die längst nicht so modern wie die der Stadt schienen. Ich beschloss hinab zu fliegen, um mich dort zu verstecken. Da wurde es mir klar: es waren die Gebäude, die Slums der unteren Schicht der Menschen. Scheinbar war die tolle, moderne Stadt über den Slums der Armen errichtet worden. Unter mir waren tausende von Blechdächern zu sehen; kleine Hütten, dicht aneinander, um Platz zu sparren. Die Häuser waren buchstäblich wie aus unseren ärmsten Ländern der Welt. Da blitzte in mir eine Erinnerung hoch: ich konnte mich erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein. In einem anderen Traum, doch die gleiche Person. Da war ein verarmtes Dorf, nahe am Wasser gebaut. Ein kleines Mädchen drohte von einer riesigen Seeschlange gefressen zu werden, ehe diese das Dorf angreifen würde. Ich war ins Wasser gesprungen und hatte mit dem blitzschnellen Biest gekämpft. Luftmangel hatte ich nicht - in Träumen passte sich meine Atmung an die reale an. Ich spüre dabei regelrecht, wie ich im Bett liege und sich mein Brustkorb gleichmäßig hebt und senkt. Zurück im jetzigen Traum ließ ich mich aus großer Höhe fallen. Ich landete, indem ich wie nach einem realen Sprung kurz in die Hocke ging, um den Sturz abzufedern. Es schien ein öffentliches Gebäude zu sein, in dem ich mich befand. Jugendliche mit Rucksäcken waren zu sehen. Vielleicht eine Schule? Eine herunter gekommene, alte Schule aus den 90ern. Die gelblich-weißen Wände hatten risse und die Gegenstände waren von leichtem Rost befallen. An manchen, metallischen Stangen blätterte bereits die Farbe ab. Da kam mir eine junge Frau entgegen. Ich kannte sie aus der Realität - eine alte Schulfreundin namens Jacky. Auch wenn ich wusste, wen ich vor mir habe, schienen wir uns hier nicht zu kennen. Doch sie hatte vertrauen zu mir und führte mich ein wenig durch die Schule. In einem Raum mit Stiegen, die im Kreis in den zweiten Stock führten, machten wir es uns oben bequem. Jacky war nicht hier, doch saß ich mit ihren anderen Freunden beisammen. Irgendwie wusste ich, wie Dreckig es den Leuten hier ging - in so einer Gegend aber auch kein Wunder. Jacky kam wieder herbei und hatte eine gräuliche Ratte auf ihrer Schulter sitzen. Sie fragte mich um einen Rat - als Rattenbesitzerin konnte ich ihr selbstverständlich helfen. Sie liebte den Kleinen und schien zu wollte, dass es ihm gut ging. Vor uns, neben der im Kreis laufenden Stufen nach unten, war ein kleiner vorstehender Balkon mit einem alten, braunen Klavier. Es war nicht aus Holz sondern Metall - ebenso wie bei den anderen Gegenständen, waren nämlich viele abgeblätterte Stellen der Farbe zu sehen. Die Freunde von Jacky wollten mir ein Lied zeigen und begannen zu spielen. Natürlich blieben wir zwei nicht lange sitzen und wollten hinzu kommen. Allerdings war das Gebäude so alt, dass es kam, wie es kommen musste: Das Gewicht auf dem Balkon wurde zu viel und er brach ein, in den darunter liegenden Stock. Mir über meinen Fähigkeiten in klaren, schaffte ich es vor dem Klavier unten zu sein - ich schützte Jacky und fing das alte Instrument auf, ehe es auseinander brach. Ich war froh, geholfen zu haben. Das war ich bereits, als ich damals das kleine Mädchen vor der Seeschlange rettete. Doch durch den lauten Krach wurden Aufseher des Gebäudes auf uns aufmerksam. Natürlich erkannten sie mich sofort, sodass ich wieder rennen musste. Dieses mal flog ich nicht; sei es, weil ich zu wenig Platz hatte, oder Jacky nicht alleine lassen wollte - irgendwie war man doch froh, einen Freund auf der Welt zu haben. So ging die Verfolgung nach draußen, bis über einen schmalen Holzsteg, über einem breiten Fluss; es war Tag geworden und der Himmel war bewölkt. Ich hatte geschafft die Aufseher abzuschütteln, doch dafür mischten sich nun andere Verfolger ein. Während die Regierung mich versuchte einzufangen, wollte mich eine Frau tod sehen. Sie schien mich lange gesucht zu haben und hetzte nun ihre Leute auf mich. Das unheimliche dabei: eine Krankheit war über die arme Bevölkerungsschicht ausgebrochen, wie ich von Jacky erfahren hatte - und die Frau soll daran schuld gewesen sein. Vielleicht war sie ja eine Hexe; zumindest bezeichnete ich sie so. Sie ließ mich jagen, frei nach dem Prinzip "Was ich nicht haben kann, zerstöre ich." Ich wehrte während des Laufens meine Angreifer ab, stieß sie in den breiten Fluss. Auf der anderen Seite angekommen, fand ich mich in einer Gartensiedlung mit nur schmalen Wegen zwischen den Zäunen wieder. Jacky war bei mir, wohl war sie mir nachgelaufen. Sie kannte jemanden hier in der Gegend, den wir um Hilfe bitten konnten - doch auch wenn wir die Verfolger endlich losgeworden waren, spürte ich die Anwesenheit der "Hexe". Ich nahm Jacky bei der Hand und lief in einen der Gärten. Hinter einen Strauch hockten wir uns hin, um uns zu verstecken. Ob das klappte, wusste ich nicht. Traumpersonen kannten oft automatisch mein Versteck, wie ich in der Vergangenheit erfahren musste. Ich sah zwischen den Ästen wie die Hexe durch den Garten ging; eindeutig wusste sie, wo wir sind, doch kannte unser Versteck nicht. Mir wurde das trotzdem zu viel und es reichte. Ich wurde bereits gejagt, da konnte ich nicht noch jemanden gebrauchen. So kam ich hervor und stellte mich, zuvor sagte ich zu Jacky "Keine Angst, ich weiß was ich tue." Als ich, zum Kämpfen bereit an die Hexe heran trat, sah ich erschrocken in ihr Gesicht: sie war meine Mutter. Sie trug ein goldenes Amulett um den Hals, das weiß ich noch genau. Anstatt uns zu bekriegen, umarmten wir uns. Auch, wenn es ungewiss war, was passieren würde, wenn man sich stellt - hier war es eindeutig die richtige Entscheidung gewesen. Diese Frau - mit dem Gesicht meiner Mutter - war tatsächlich für die Krankheiten verantwortlich. Sie bedauerte das sehr, konnte es aber auch nicht rückgängig machen. Wenigstens wussten wir nun, warum die Straßen so leer waren...   Zu dritt machten wir uns auf den Weg zu Jackys Bekannten. Ich erinnere mich, auf einem schmalen Trampelpfad im Gänsemarsch gegangen zu sein, bis Jacky zu mir nach vor kam und ich stets das Gefühl hatte, sie beschützen zu müssen. Bei einem alten Haus, dessen Eingang im zweiten Stock war, waren wir stehen geblieben. Wir gingen über eine Holzplanke hinauf und klopften an die grünliche Tür. Ein junges Mädchen mit roten, langen Haaren hatte uns geöffnet. Sie war verwundert über uns, die Begleiter von Jacky, ließ uns aber dennoch herein. Im Haus stellten wir schnell fest, dass hier die gesunden Menschen Zuflucht gesucht hatten; zumindest wanderten einige durch die Flure. Das rothaarige Mädchen zeigte uns den Weg in den großen Innengarten und öffnete uns die Tür - wir suchten laut Jacky nach ihrem Großvater, der aber mittlerweile ebenfalls erkrankt war. Im Garten war es friedlich. Blumenbeete, dunkles Gras und ein paar antike Skulpturen waren zu sehen. Nahe des Steinbrunnens war ein Pavillon, auf dessen Bank zugedeckt der erkrankte Großvater lag. Er war ein mürrischer alter Mann, der selbst jetzt noch nichts als nörgeln konnte. Als wir vor unserem Ziel standen und ihn ansahen, klingelte mein Wecker. Der Drecksack hatte mich mal wieder am wichtigsten Punkt aus dem Traum gerissen. |P Kapitel 3: Am Fluss des Lebens ------------------------------ Ich öffnete meine Augen. Was ich sah, verwirrte mich zutiefst. Eben war ich noch zuhause? Doch wo war ich jetzt? Ich griff zu meinem linken Ohr; es fühlte sich taub an und zwar nicht nur, weil ich nichts hören konnte. Ach. Jetzt erinnerte ich mich. Ich war gestorben. Doch dieser Ort schien mir keineswegs der Himmel zu sein. Wo waren die Wolken? Doch, es gab sie: oben, als Hochnebel, über dem bräunlichen Fluss, auf dessen ich mit einem Floß schwamm. Auch schien die Theorie des ewigen Nichts falsch zu sein. Die Wissenschaft lehrte uns, dass wir aus Sternenstaub bestanden und in unsere Einzelteile zerlegt wurden, wenn wir starben. Doch wieso konnte ich dann denken? Ich sah mich um: da waren noch andere Flöße, Boote und sogar kleine Schiffe. Sie alle trieben langsam in eine Richtung. Doch auch auf der Seite gab es Behausungen und andere Menschen, die sich um Lagerfeuer versammelt hielten. Ich war also nicht alleine. Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich gestorben war... wie das passierte, wusste ich nicht mehr. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein älterer Herr neben mir. Er hatte eine Halbglatze, war in einem recht schicken Smoking gekleidet und hatte stets die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Fast wirkte er wie ein Butler. Aber nur fast. Er hieß mich willkommen, am „Fluss des Lebens“ und erklärte mir, dass alle Seelen eines Tages hier entlang treiben. Mehr dazu, oder wie es nun weiterging, sagte er mir nicht. Allerdings konnte ich erahnen, dass weil ich hier neu war, eine Art Probezeit überstehen musste. Vermutlich gab es sie, um aus der Reihe fallende, üble Menschen rechtzeitig zu entlarven. Es verging einige Zeit auf meinem Floß. Tag und Nacht gab es nicht; auch erlitt ich keinen Hunger. Nur ein wenig einsam fühlte ich mich... Ein graues Ruderboot trieb herbei, als ein junger Bursche zu mir rüberblickte. In seinen Augen konnte ich erkennen, dass er genauso ein Neuling wie ich war. So erklärte ich ihm, warum er hier war und dass es so eine Art Aufpasser gab. Er bot mir lächelnd seine Hand an, um auf sein Boot hinüber zu steigen. Es war besser, seine Zeit gemeinsam zu verbringen, als alleine. Doch gerade, als ich einen Fuß in sein Boot setzte, tauchte aus dem braunen, dunklen Wasser eine unheimliche Gestalt auf: der Tod. Er war längst nicht so, wie ihn alle beschrieben. Es fing sich schon dabei an, dass der Tod weiblich war! Doch das änderte nichts an ihrem furchteinflößendem Anblick: völlig in schwarz gekleidet, eine weite Kapuze auf dem Kopf. Ihr Gesicht überraschend jung und ihre Gestalt etwas kleiner als meine. Ihre Haut so schwarz wie Ruß, sogar ihre Lippen. Doch dass man etwas Falsch gemacht hatte, konnte man erst erkennen, wenn sie mit ihren dunkelroten Augen zu einem auf starrte. Ich schluckte tiefst eingeschüchtert. War sie hier, um mich zu holen? Nein; es war die erste Verwarnung. Brav nahm ich den Fuß vom grauen Boot meines neugewonnenen Freundes und setzte mich zurück auf mein Floß. Ehe ich mich versah, war der Tod auch schon verschwunden. Nannte ich den Butler von vorhin einen Aufpasser? Ich hatte mich geirrt, das war mir nun klar. Nach einem „Tag“ war die Probezeit vorbei. Ich war nicht mehr alleine und durfte innerhalb und etwas außerhalb des Flusses gehen, wo immer ich auch wollte. Ich lernte die anderen Seelen etwas besser kennen und erkannte, dass jeder hier in dem alter existierte, in dem er gestorben war. Auch den Butler und den Tod sah ich öfters – nicht, weil ich etwas angestellt hatte, sondern weil sie wann immer sie gebraucht wurden, bei der entsprechenden Seele auftauchten. Es war ihr Job. Sie schmissen hier den Laden. Wer allerdings von den beiden der Boss war, wusste ich nicht so genau. Ich tippte auf den weiblichen Tod, da sie doch die Macht hatte, eine Seele endgültig zu vernichten. Ich blickte mich erstaunt um, als mein rechtes noch funktionierendes Ohr ein Bellen vernahm. Das Bellen eines Hundes. Tatsächlich sprang ein Hund über die Flöße und Boote – mir war gar nicht bewusst, dass auch Tiere hier landeten. Er war relativ groß und hatte mittellanges Haar. Die Ohren waren Aufgerichtet wie bei einem Schäfer, die Fellfarbe wechselte zwischen schwarz, braun, gelb und weiß. Stets war er am Hecheln; wohl hatte er Stress. Suchte er jemanden? Ja, es war ein Rüde. Das konnte ich klar erkennen. Ehe ich ihn berühren konnte, als er über mein Floß sprang, war er auch schon weg: er kratzte gegen eine Glastür eines rotweißen Schiffes, welches zum bersten vollgefüllt mit Menschen war. Dahinter konnte man einen zweiten Hund erkennen. Kannten sie sich? War sie seine Partnerin? Mir schossen vor Mitleid fast schon die Tränen in die Augen: es wirkte, als ob der Rüde gerade erst am Fluss des Lebens ankam und nun nach seiner Partnerin gesucht hatte. Gerade als ich mich erhob, um gegen die Glastür zu klopfen, damit dem Hund die Tür geöffnet wurde, öffnete bereits jemand innerhalb des Schiffes die Tür. Der Hund sprang hinein und die Tür schloss sich wieder. Kein wunder, dass der Butler und der Tod so gut aufpassten: die Seelen sollten ihre Fahrt möglichst in Frieden antreten. Und wenn ein fauler Wurm in diesem Schiff wäre, der dem Hund nicht die Türe geöffnet hätte, würde der Hund niemals mit seiner Partnerin vereint werden. Es verging noch mehr Zeit am Fluss des Lebens. Gemeinsam mit meinem neugewonnenen Freund ging ich den linken Rand entlang. Wir unterhielten uns und beobachteten die Menschen, die etwas schneller als wir das Wasser entlang fuhren. Auch sahen wir ab und zu, wie die Aufpasser hier und da einmal bei den Leuten auftauchten und danach wieder verschwanden. Mein Freund und ich blieben abrupt stehen, als der Butler bei uns auftauchte. Er fragte, wie es uns ginge und ob wir uns schon an die Umstände gewöhnt hätten. Wir bejahten beides, doch wurde in mir auch eine Bitte laut. Der Butler meinte, er sei eine Art Bote und könne keine Wünsche erfüllen. Auch erklärte er mir, als ich ihn nach dem Tod fragte, dass sie weit aus weniger gefährlich und einschüchtern sei, als ich annahm. Sie sei nur im geringem Teil zum Leben nehmen da; vielmehr solle ich sie fragen, sollte mir ein Wunsch am Herzen liegen. So blickte ich auf die andere Seite des Flusses, an dem der Tod gerade stand. Ich überwand meine Angst und sagte meinem Freund, dass er hier auf mich warten solle. Kurzerhand sprang ich über die Boote, bis hin zum Tod. Immer noch fand sie ich höchst unheimlich. Ohne einem lächeln starrte sie mich wieder mit ihren dunkelroten Augen an. Ich faltete höflich meine Hände und machte mich sogar etwas kleiner als sie war, um respektvoll meinen Wunsch zu äußern. Alles was sie tat, war nach einer kurzen Pause zu nicken. Ich fühlte mich dabei sehr erleichtert und wusste nun, dass der Tod weit aus weniger Schlimm war, als ich annahm. Was das für ein Wunsch war, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass er mir unbemerkt in Erfüllung ging. Ein paar Stunden später lernte ich, was passiert, wenn einer nach langer Zeit seines Aufenthaltes am Fluss aus der Reihe tanzte. Ich meinte damit so wirklich. Zum Beispiel, in dem er eine andere Seele ins dunkle Wasser stieß. Nein, ich war nicht der üble Mensch. Vielmehr ein Vollarsch, der mir schon vor einiger Zeit ins Auge sprang. Kurzum: der Tod fing den flüchtenden ein und tauchte mit ihm auf der Seite des Flusses auf. Dort wartete bereits der Butler, dessen Zweitaufgabe mir erst jetzt bewusst wurde. Der zu bestrafende wurde an einen Stuhl gefesselt, ehe der Butler begann, seine Schädeldecke aufzuschneiden... Nun, um diese Stelle zu zensieren, einfache zwei Worte: zerstörtes Gehirn. Erst, als dem Kriminellen die Persönlichkeit genommen wahr, nahm ihn der Tod mit in das schwarze Wasser. Ich weiß nicht genau, welchen Grund die Prozedur hatte, doch war ich nun noch viel mehr bestärkt darin, auf dem rechten Weg zu bleiben und anderen zu helfen. Was am Ende meiner Reise auf dem Fluss des Lebens lag, fand ich nie heraus. Ich wusste, dass die Reise noch lange nicht vorbei war. Höchstwahrscheinlich hätte ich noch eine ganze Nacht träumen müssen, um das Ende zu sehen. Jedoch war ich zeitgleich sehr froh darüber, dass mein Wecker mich in mein Bett zurückholte. Ich war noch am Leben und der Tag fing noch immer dort an, wo der letzte Endete. Was hinter dem Tod lag konnte ich nach wie vor nicht sagen. Vielleicht träumte ich das auch nur, um den Tod meiner letztlich verstorbenen Ratte zu verarbeiten. Immerhin war ich nun Untertags allein in meiner Wohnung. Doch der Traum machte mir wieder einmal klar, dass man das Leben genießen sollte, solange einem die Zeit noch davon lief. Kapitel 4: Die Angst auf einem neuen Level ------------------------------------------ Der folgende Traum war der seit langer Zeit schrecklichste, den ich durchleiden musste. Nur die Todesuhr, die unerklärlicher Weise den exakten Todeszeitpunkt meines Haustieres zeigte, war noch verstörender. Ich stand auf einem Steg, mitten im Nirgendwo. Nebelfelder kreisten um mich herum, das scheinbar endlose Wasser spiegelte den weißen Himmel wieder. Mein Vater war bei mir. Ich fühlte mich wohl, vertraute ihm, aus tiefsten Herzen. All die Zeit und der viele Spaß, den wir hatten. Mein Gefühl verriet mir eine glorreiche Vergangenheit, Kindheit und Geborgenheit. Ich lächelte zu dem Mann hoch, der meine Hand hielt. So sanft und doch so fest, dass ich keine Angst verspürte. Gleichzeitig fürchtete ich mich vor dem, was mir bevor stand. Mein Vater meinte, er führe mich an einen Ort und ich solle ihm folgen. Aus mir noch unauffindbaren Gründen wusste ich bereits, was gleich passieren würde. Ich sagte mir: „Oh nein. Ich weiß, was gleich kommt.“, und sah dabei Stücke, Fetzen und Szenen aus einem scheinbar längst vergessenen Traum. Nein. Es stimmte so nicht. Mein Kopf versuchte mir einzureden, ich hätte dies schon einmal geträumt. Wie schon oft zuvor. Er konnte mich nicht austricksen, denn ich wusste, diese Szenen kannte ich noch nicht... und dennoch hatte ich das Gefühl, das Ereignis bereits zu kennen. Die Fetzen zeigten den Blickwinkel eines Skeletts. Die schwarzen, knochigen Zehen, bewegungsunfähig. Vor dem Skelett ein Rückspiegel eines Fahrzeugs, der das Antlitz des grässlich entstellten, verdorrten Gesichts zeigte. Schon allein diese Bilder trieben in mir die Angst hoch. Ich drückte die Hand meines Vaters, mit dem ich weiter voranschritt. Eine andere Wahl hatte ich nicht: weglaufen ging nicht, war nicht erlaubt. Es gab keine andere Richtung. Als wir am Ende des Stegs, zum Wasser hin, stehen geblieben waren, presste ich meine Augen zusammen. Ich ergab mich der Situation, meinte: „Bringen wir es hinter uns.“ Den nächsten Satz meines Vaters hatte ich mir leider nicht ganz gemerkt. Doch schien er genau das zu sagen, was ich erwartete. Der letzte Satz endete mit: „Du blutest noch.“, und obwohl ich wusste, dass dies das groß gefürchtete Ereignis lostreten würde, antwortete ich. „Wo denn?“ Und mein Vater zeigte auf den Boden – dort, wo ein paar Holzplanken fehlten, ins Wasser. „Sieh selbst.“ Und ich sah es... nein, ich erlebte es. Unter dem Steg, am dunklen, verlassenen Meeresgrund ein versunkenes Auto. Die Kabine vollgefüllt mit dunklen, grün-bläulichen Wasser, die einzige Person darin: ich, am Beifahrersitz. Schwerelos und doch durch den engen Gurt an meinem Körper gefangen. Mein Körper bis auf die schwarzen Knochen zerfressen und ohne jegliches Gefühl. Oh doch. Ein Gefühl hatte ich: angst, große angst. Ich fühlte mich einsam, verlassen, - vergessen. VERGESSEN. Niemand erinnerte sich an mich. Ich existierte nicht. Eine längst vergessene Gestalt am Meeresgrund, nicht gefunden und aufgegeben. Ich fühlte mich so schrecklich einsam... In mir stieg die Panik hoch, als mich mein Vater zwang in den Rückspiegel zu sehen. Nein. Nein! Verzweifelt presste ich wieder meine Augen zu und verdeckte den Spiegel. „Ich weiß! Ich weiß es! Ich weiß es ja, ich will es nicht sehen! Bitte, ich will es nicht sehen!“ Der Mann ließ Gnade walten: zwar blitzte in diesem Rückspiegel mein Gesicht auf, doch verzerrte es sich nicht in diese schrecklich entstellte Fratze... auch, wenn ich sie mir richtig gut vorstellen habe können. Langsam öffnete ich meine Augen. Tief verstört und erschrocken blickte ich im dunklen Schlafzimmer umher. Man sollte meinen, nach so einem Traum hätte man starkes Herzklopfen und verschwitzte Kleidung. Doch dem war nicht so. Erst nach gefühlten zwei Minuten wurde mir klar, dass ich nicht mehr Träumte. Dass ich immer noch am Leben war und in meinem Bett lag. Meine gerade erlebte Reise löste in mir eine Paranoia aus, die mich glauben ließ, an meiner Bettkante, rechts neben mir, stand der Tod. In dieser Panik umschnürte mich immer noch das starke Gefühl der Einsamkeit. Alleine zu sein und längst vergessen. Ich rutschte weit hinüber, zur Bettseite meines Freundes und umgriff seine Hand. Ich brauchte sie. Das Gefühl, nicht alleine zu sein. Zeitgleich spürte ich den Hauch des Todes in meinem Nacken, als mir anfingen die ersten Tränen über meine Wangen zu laufen. Es sollten noch zehn weitere Minuten vergehen, ehe meine Paranoia langsam nach ließ und ich anfing klar zu denken. Meine erste überlegte Tat war, auf die Uhr zu sehen: 3.40 Uhr. Verdammt früh für einen so lebhaften Traum. Für normal zeigten sich Träume, an die ich mich stark und in jedes Detail erinnern konnte, erst in den späten Morgenstunden. Ich raffte mich langsam auf und griff nach meinem Handy. Es war mir egal, ob ich in knapp drei Stunden aufstehen musste: ich durchsuchte das Symbol-Lexikon nach „Vater“ und „Tod“. Es brachte mir nicht mehr Klarheit, doch Beruhigung. Dass der Tod im Traum eine notwendige, brutale Darstellung einer Veränderung der Persönlichkeit sei. Ob dem nun wirklich so war, kann ich nicht sagen. Noch heute suche ich nach der richtigen Deutung. Danach, was mir mein Unterbewusstsein, mein Ich mir sagen wollte. Vielleicht wollte es mir schlicht sagen, dass mir langsam die Zeit davon lief und ich mit dem weiter machen musste, was mir wichtig war: etwas in dieser Welt zu hinterlassen. Ein Werk, welches noch in fünfzig Jahren sagen kann, dass es von mir stammt. Nun werden vielleicht einige Leser sagen „Ich hatte schon viele Träume vom Tod.“ - dieser hier war mein persönlicher erster. Und wenn es nach mir ginge, mein einziger. Höchstwahrscheinlich aber, werden im Verlauf meines Lebens noch viele solche Träume passieren. Davor verschließen kann und darf ich mich nicht... denn wenn ich mir selbst zuhören will, muss ich offen sein, für jeden Traum. Egal wie schmerzhaft er auch sein möge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)