Der Schrein der Zeit von jade18 (Sawako und die Krieger vom Aokigahara) ================================================================================ Kapitel 1: Gefangen ------------------- Prustend und hustend kam Sawako zu sich. Ihre Lunge schmerzte. Ihr Kopf schmerzte noch mehr. Noch immer völlig orientierungslos strömte die Erinnerung in ihr Bewusstsein und schürte ihre Panik. Sie wollte sich aufrichten, doch irgendetwas drückte sie hinunter. Hinunter … auf kaltes, nasses Holz. Blinzelnd versuchte sie, die Augen zu öffnen. Das Sonnenlicht verstärkte nur Ihren Kopfschmerz. Über sich sah sie nur den wolkenverhangenen Himmel. Sie wollte sich umdrehen, doch schon wieder schien etwas sie festzuhalten. Sawako tastete mit den Händen nach dem Boden. Eindeutig Holz. Und ihre Kleidung war triefend nass. Sie spürte ein leichtes Schaukeln, als würde sie über friedliches Gewässer fliegen. Es gelang ihr nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hatte wirre Bilder von Feuer und Rauch vor Augen, die sie nicht zuordnen konnte, und sie hörte verzweifelte Schreie wie aus weiter Ferne in ihrem Kopf nachhallen. Sie fühlte sich hundeelend, kalt und alles an ihr schmerzte, vor allem ihr Kopf schien vor Schmerz platzen zu wollen. Sie wollte nicht aufwachen, sie wollte nicht über etwas nachdenken, dass sich in ihre Gedanken drängen wollte. Wollte sich ihren schmerzfreien Träumen hingeben. Doch plötzlich nagte irgendetwas an ihrem Bewusstsein. Irgendetwas, das absolut nicht stimmte und das sie bisher nicht bemerkt hatte oder nicht bemerken wollte. Die Erkenntnis traf sie fast genauso hart, wie es der Schlag getan hatte, und sie war sicher, dass es ein Schlag gewesen sein musste. Sie versuchte zu blinzeln, nahm aber kaum etwas wahr, zu benommen waren ihre Sinne. Verzweifelt sammelte sie ihre Gedanken. Da war der Tempel, da war das Feuer, und da war der Schlag auf ihren Kopf. Ihr würde übel, als sie eine Vorahnung beschlich, was das für sie bedeuten mochte. Die Bewegung des Untergrundes fühlten sich tatsächlich an wie auf einem Boot. Da sie mit ihren brennenden Augen nichts erkennen konnte, versuchte sie zu lauschen. Was sie hörte, klang wie mindestens ein Dutzend Ruder, die links und rechts ins Wasser schlugen. Und sie hörte das Grummeln einer ganzen Horde. Ein Rettungstrupp? Wieso war sie auf dem See? Hatte die Feuerwehr sie auf den Saiko See geholt, weil der ganze Wald niederzubrennen drohte? Es war doch niemand da gewesen. Zumindest, bis sie das Bewusstsein verlor. Niemand hatte den Brand bemerkt. Doch da waren die Schreie. Und Rettungstrupps kommen doch auch nicht mit Ruderboten. Was ihr jetzt wirklich Sorgen machte, war dieses Gefühl, bewegungsunfähig zu sein. Den Schmerz ignorierend riss sie erneut die Augen auf … und der Schock presste ihr alle Luft aus der Lunge. Was sie gegen das kalte Holz des Bootes drückte, war die Hand eines Mannes auf ihrer Schulter. Er schenkte ihr keine Beachtung, aber seine Hand wirkte bedrohlich lauernd, als würde sie nur warten, dass Sawako Widerstand leistete. Am meisten fürchtete sie jedoch den Anblick des Mannes. Er trug eine Rüstung, auf dem Rücken hatte er einen Langbogen geschnallt und war das da der Griff eines Katana? Panik kroch in ihr empor. Was ging hier vor sich? Dieser Mann sah aus wie aus einem alten Samurai-Film. Ein Blick nach vorne verriet ihr, dass auch die anderen Männer an Bord ebenso Furcht einflößend waren. Alle trugen die gleiche Rüstung und die gleichen grimmigen Gesichter. Sie erinnerte sich an die Männer mir Katana und Fackeln am Tempel, sie hatten die gleichen Rüstungen getragen. Das war zu viel, eindeutig zu viel für einen Tag. Sie begann am ganzen Leib zu zittern, geschuldet der Kälte und der wachsenden Panik, der sie verfiel. Nun bemerkte auch der Mann, der sie festhielt, ihre Unruhe und wurde daher auf sie aufmerksam. „Sie ist wach“, rief er den anderen zu und sah sie mit einem seltsam musternden Blick an. Ihr gefiel dieser Blick überhaupt nicht. „Sie klingen, als würde Sie das überraschen“, stellte sie verwirrt fest. Jedes Wort brannte in ihrem Hals und ihre Stimme war kaum wiederzuerkennen. Er schien verwundert, dass sie ihn ansprach. Sawako fand es aber ganz und gar nicht abwegig, immerhin war er gerade der Erste in Reichweite, der sie über all das hier aufklären konnte. „Nun“, begann er zögernd, „du hast sehr viel Rauch eingeatmet, und ganz schön was gegen den Schädel bekommen. Wirklich eine sehr unkluge Idee, um im Tempel Dewas umherzuschleichen.“ Bei den letzten Worten klang seine Stimme feindlich. Dewa? Sie verstand nicht und das berstende Gefühl in ihrem Kopf machte es nicht leichter, ihre Gedanken zu sammeln. „Eine dämliche Idee, die dich fast das Leben gekostet hätte. Die dich das Leben kosten wird, wenn Yorinaga-sama mit der Befragung fertig ist und ihm deine Antworten nicht gefallen.“ Ein hässliches Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Hatte er ihr gerade gedroht? „Wer?“ krächzte Sawako. „Bitte, ich weiß nicht, wer Sie sind oder was hier abgeht oder in welches Cosplay-Treffen ich geplatzt bin. Jetzt lassen Sie mich bitte los!“ Sie war überrascht, dass sie so viele Worte herausbrachte, obwohl ihre Stimme zu versagen drohte, und vor allem, welche Bestimmtheit sie trotzdem hineinlegen konnte. Doch das, was folgte, hätte sie nie erwartet. Er schlug sie. Nicht so hart, dass sie gleich wieder das Bewusstsein verlor, aber hart genug, dass die Seite ihres Gesichts, wo er sie traf, schmerzhaft pochte und die andere Seite, die gegen den Holzboden geknallt ist, ebenfalls mit einstimmte. „Zügel deine Zunge, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Ihr ganzer Körper versteifte sich vor Schreck. Wurde sie jetzt wirklich von Samurai-Cosplayern gekidnappt? War ihr Tag nicht schon schlimm genug gewesen? „Es ist wirklich eine Schande“, hörte sie eine zweite Stimme sagen. Es schien der Ruderer direkt vor ihr zu sein. „Ein hübsches Ding, aber Yorinaga-sama wird wohl nicht viel von ihr übrig lassen, wenn sie sich so anstellt.“ Mit der Fußspitze stupste er gegen sie, als wollte er sichergehen, dass sie ihm zuhörte. „Hey, hörst du? Wenn du heil aus der Sache herauskommen willst, sag ihm, was er wissen will. Was du dort zu suchen hattest. Woher du kommst und für wen du arbeitest dummes Ding.“ Er wollte sie wieder anstupsen, als sie ihm keine Reaktion zeigte, doch genau in diesem Moment ging das Boot auf Grund und durch den Ruck, der es durchzuckte, geriet er aus dem Gleichgewicht und verfehlte sie. Der Mann, der sie festgehalten hatte, packte sie nun mit beiden Händen an den Schultern und riss sie hoch. Erstaunlich, wie leicht es ihm fiel, sie aus dem Boot zu hieven, wo sie sich doch fühlte, als wöge sie so viel wie 100 nasse Reissäcke. Sie nahm kaum wahr, was um sie herum geschah. Es war eindeutig zu viel. Erst, als man sie in ein kleines Zelt brachte, ihre Hände und Füße fesselte und sie alleine zurück ließ, begann sie langsam zu begreifen, was um sie herum geschah. Obwohl ‚begreifen‘ das falsche Wort war, denn sie hatte keine Ahnung, wer diese Männer waren, was sie von ihr wollten und wie es überhaupt erst zu all dem kommen konnte. Sie zerrte an den Fesseln, konnte jedoch kaum Kraft aufbringen. Erschöpfung und Schmerz, Verwirrung und Angst gewannen die Oberhand und sie sackte in sich zusammen und konnte die Tränen nicht zurückhalten.   Als sie wieder zu sich kam, war sie immer noch allein. Ihr war schrecklich kalt. Die nasse Kleidung an ihrem Leib war fast getrocknet, aber die Abendluft war frisch und ließ sie erschaudern. Dass es Abend war, vermutete sie anhand der orangeroten Sonne, die sich durch den dünnen Stoff des Zeltes zeigte. Sie blinzelte ein paar Mal kräftig, um sich zu sammeln. Ihre Kopfschmerzen hatten sich gebessert, nun zumindest war der Schmerz nicht mehr unerträglich, und auch ihre Knochen und Muskeln taten nicht mehr so weh wie zuvor. Das war gut, sie war wieder mehr sie selbst. Zuvor an Bord war nur ein Schatten von Sawako gewesen. „Okay“, sagte sie leise zu sich selbst, um sich Mut zuzureden. Möglichkeit Nummer eins: Bei dem Brand hat sich ein Balken gelöst und ist ihr auf den Kopf gefallen. Nun hat ihr Gehirn chronischen Schaden genommen und sie war eigentlich in einem warmen, gemütlichen Irrenhaus und bildete sich alles hier nur ein. Unschöner Gedanke, aber das hieße wenigstens, sie wäre nicht in unmittelbarer Gefahr. Möglichkeit Nummer zwei: Im Wald fand zufällig gerade ein Cosplaytreffen statt und die Samurai-Cosplayer haben sie zwar gerettet und das Feuer gelöscht, sind jetzt aber so gefangen in ihrer Fantasiewelt, dass sie Sawako hier gefesselt zurücklassen, pitschnass und ohne ärztliche Untersuchung, ob sie in Ordnung war. Unwahrscheinlich. Blieb noch Möglichkeit Nummer drei: die Krieger draußen waren echt und sie schwebte tatsächlich in großer Gefahr, weil sie in irgendetwas wichtiges hineingeraten war. Nun müsse sie nur hier warten, bis der Big Boss kommt, dessen Fragen sie nicht beantworten konnte, weil er ein „ich hab doch nur einen Besichtigungsgutschein eingelöst“ nicht akzeptieren würde, wenn er sie für was auch immer hielt … Ihre Gedanken überschlugen sich. Möglichkeit Nummer eins war doch am wahrscheinlichsten. Mutlos sank sie in sich zusammen wie ein Haufen Elend.   Eine gefühlte Ewigkeit lauschte sie reglos allen Geräuschen, die sie außerhalb des Zeltes ausmachen konnte. Sie hatte sich entschlossen, sich, solange sie hier gefesselt war, keine Gedanken darüber zu machen, wie sie in diese Situation kommen konnte, sondern vielmehr auf eine Möglichkeit zu warten, zu entfliehen. Was sie von draußen mitbekam, war nicht besonders aussagekräftig. Sie hörte die Männer reden, trinken und lachen. Manche redeten von einem erfolgreichen Auftrag, einem ergatterten Schatz und einem gefangenen Spion. Sawako hoffte, dass nicht sie es war, die für einen Spion gehalten wurde. Dann hätte sie keine Ahnung, wie sie sich aus diesen Anschuldigungen hätte herauswinden können. Sie verstand selber nicht, was hier geschah, wie hätte sie da eine glaubhafte Erklärung abliefern können? Die Situation erschien ihr aussichtslos. Jedes Mal, wenn sie Schritte vor dem Zelt hörte, schrak sie zusammen. Hoffentlich war dieser Albtraum bald vorbei. Lange hielten ihre Nerven das nicht mehr aus. Und ihr schmerzhaft pochender Hinterkopf war ihr keine große Hilfe. Warten in der Dunkelheit, draußen nur das Flackern des Feuers, und dann die Männer, von denen sie nicht wusste, wann sie wieder mit ihnen konfrontiert werden würde. Das Warten war wirklich unerträglich. Schritte, Stimmen, dann Stille, dann Dunkelheit. Wenn das so weiter ginge, wäre sie nicht pünktlich auf Arbeit, dachte sie mit einem freudlosen Lachen. Wie schön, wenigstens ihr Galgenhumor hatte sie nicht verlassen. Wieder hörte sie Schritte vor dem Zelt. Wie viele Stunden waren bereits vergangen? Ihr Zeitgefühl schien verloren. Sie rechnete schon gar nicht mehr damit, dass jemand zu ihr kam, umso mehr erschrak sie, als das Rascheln des Zeltstoffes die Stille durchbrach und ein Mann eintrat. Sie sah ihn nur einen kurzen Moment. In dem Zelt war es inzwischen dunkel und nur in der Sekunde, als das Licht der Fackeln und Feuer von draußen ihn von hinten anstrahlte, konnte sie sein Gesicht erkennen. Im Gegensatz zu den anderen trug er keine so einfache Rüstung. Über dem edlen Gewand trug er eine Rüstung, die aus einem Museum hätte stammen können, so prachtvoll war sie. Das schwarze Haar trug er im Nacken zusammengebunden. Seine Züge wirkten aristokratisch, dachte sie kurz, doch dann war er in Dunkelheit gehüllt und sie konnte ihn kaum mehr erkennen. Einzig seine Silhouette zeichnete sich deutlich vor dem von außen beleuchteten Zeltstoff ab. Er bewegte sich auf sie zu und kniete sich vor ihr nieder, ihr zugewandt, als hätte er auch in der Dunkelheit kein Problem, sie zu mustern. Sawako hielt den Atem an. Ihr Herz schlug so schnell und dröhnte ihr so sehr in ihren Ohren, dass er es auch hätte hören müssen.   „Du weißt, wer ich bin?“ Sie war sich nicht sicher, ob es eine Frage oder eine Feststellung war. Sie wusste sowieso gar nichts sicher. „Yo-… Yorinaga-sama?“ wisperte sie unsicher. Sie erinnerte sich genau an das, was die Männer auf dem Boot zu ihr über Yorinaga gesagt hatten. Sie hatte vermutet, dass er ihr Herr war und dass er es sein würde, der zu ihr kommen würde. Und es hatte bei den Männern so geklungen, als müsse sie nun genau Acht geben, was sie sagte. „Das ist richtig,“ antwortete er. Hörte sie da ein Lächeln aus seiner Stimme heraus? Er klang nicht besonders freundlich. Ihre Nervosität verstärkte sich, aber dieses Mal musste sie ihre Sinne beisammen halten … die Kontrolle behalten. „Meine Männer hatten recht. Sie haben wirklich eine ungewöhnliche Frau aus den Flammen gerettet. Deine Kleidung … ich habe noch nie solche Kleidung gesehen.“ Während er sprach, griff er nach ihrem T-Shirt, berührte den Stoff am Saum und rieb die Textur zwischen Daumen und Zeigefinger. Es erforderte ihre ganze Willenskraft, unter der Berührung nicht zusammenzuzucken. Die Blöße wollte sie sich nicht geben. „Ein wirklich außergewöhnliches Gewand. Der Stoff ist so fein gewebt. Wenn du solche Kostbarkeiten an deinem Leib trägst …“, er ließ ihr T-Shirt los und erleichtert fiel ihr auf, dass sie schon wieder die Luft angehalten hatte. „Ich frag mich, woher du kommst.“ Schon wieder. War das nun eine Frage? Sie spürte seinen Blick in der Dunkelheit auf ihr ruhen und erschauderte. „Verrate es mir, und auch deinen Namen“, forderte er mit sanfter Stimme, aber es schwang eine Drohung mit, die es ihr schwer machte, ruhig zu bleiben. „Mein Name ist Sawako, und ich komme aus Tokio“, gab sie ihm wahrheitsgemäß als Antwort. Regel Nummer ein, wenn man lügen muss: So nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, sonst verhaspelt man sich. Sie wünschte, sie hätte sein Gesicht erkannt, um zu wissen, ob er ihr glaubte. „Tokio? In welcher Provinz liegt dieses Dorf? Wer ist euer Fürst?“ Shit, shit, shit. Bitte, dachte sie, bitte bitte, lass mich nicht gerade mit jemandem sprechen, der Tokio nicht kennt. Das konnte kein gutes Zeichen sein. Katanas, Samurairüstungen hin oder her. Tokio kennt jeder. Bitte, lass es niemanden sein, der die Hauptstadt nur unter dem Namen Edo kennt. Der Gedanke an die Samurai draußen, und dann dieser Mann … Bitte, bitte, dass war doch alles nicht möglich. Kalte Fingerspitzen an ihrer Haut holten sie aus Ihren Gedanken und alarmierten sie wieder zu äußerster Vorsicht. Er ließ eine Strähne ihres Haares durch seine Finger gleiten, wieder eine stumme Drohung. „Du magst mir nicht antworten? Wie schade.“ „Ich weiß -“, wollte sie sich rechtfertigen, doch er fiel ihr ins Wort. „Na na, du willst mir doch nicht sagen, du wüsstest es nicht, weil du nur eine arme, ungebildete Fischerstochter bist. Du weißt, dass ich dir das nicht glaube, wo du doch in so feinen, wenn auch fremdartigen, Gewändern vor mir sitzt.“ „Ich schwöre, ich sage die Wahrheit. Ich weiß nicht, wo ich bin. Euren Namen weiß ich nur von Euren Männern. Mein Dorf liegt weit im Norden. Ich bin geflohen, vor … vor meinem Mann. Er … er hat im Wahn des Sake unser Kind erdrosselt. Ich konnte nichts tun. Bevor er auch mich tötete, bin ich geflohen. Ich konnte nichts mitnehmen, darum musste ich stehlen. Diese Gewänder, die gehörten irgendeinem Händler. In einem Tempel fand ich Unterschlupf. Dann fand ich mich plötzlich in der Gewalt Eurer Männer wieder. Warum also haltet Ihr mich fest?“ Und wie zum Beweis ihrer Geschichte traten ihr wieder Tränen in die Augen. Sawako war keine gute Schauspielerin, aber die Angst, die in ihrer Stimme und in ihren Augen lag, war echt. Vielleicht konnte sie ihn überzeugen. Sie hatte die ganze Zeit, in der sie alleine hier im Zelt saß, nach einer Erklärung gegrübelt, die sie nicht ihren Kopf kosten würde, nur für den Fall, dass sie sich gerade tatsächlich in Möglichkeit Nummer Drei wiederfand. „Welch trauriges Schicksal“, erwiderte er nach einem kurzen Moment der Stille. Nichts an seiner Stimme gab ihr Aufschluss, ob er ihr glaube oder nicht. Die Hand, mit der er immer wieder die Strähne ihres Haares durchfuhr, berührte kurze ihre Wange. „Mein Problem, junge Sawako auf Tokio, ist nur, dass ich nicht mit Bestimmtheit ausschließen kann, dass meine Feinde dich dorthin schickten, um Informationen zu sammeln. Der Tempel ist nicht bekannt dafür, Fremde zu beherbergen. Dafür ist der Ort zu heilig. Ogata hätte einen Fremden Flüchtling eher im Dorf als im Tempel untergebracht. Und so nett deine Geschichte auch ist, warum tauchst du während des Angriffes mitten aus dem Nichts auf? Wo hattest du dich zuvor versteckt?“ Diesmal hörte sie die Feindseligkeit offen in seiner Stimme. Es war vorbei. Er glaubte ihr nicht, und sie hatte nichts, was ihn hätte überzeugen können. Außerdem entging ihr nicht, dass er von einem Angriff sprach. Sie wusste, was dies zu bedeuten hatte. „Ich war doch dort. Die ganze Zeit. Man gab mir etwas zu Essen und ich konnte einen Tag ruhen, nichts weiter- Ich schwöre, ich sage die Wahrheit.“ „Nun, meine Männer haben den Tempel Tage zuvor beobachtet, und niemand berichtete von einer Frau, die dort aufgenommen wurde, egal, ob für einen Tag oder bis zum nächsten Mond. Es war, als wärest du in dem Moment unseres Angriffes erschienen. Wie merkwürdig. Wie kannst du dir das erklären?“ Vorbei, es war vorbei. Sie konnte ihn nicht überzeugen. Was würde er tun? Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Hoffentlich sperrte er sie nur ein. Hoffentlich war er kein Freund von Hinrichtungen. „Es ist wirklich eine Schande“, sagte er leise, ließ von ihrem Haar ab und strich mit seiner Hand über ihre Wange. Ihr Herz schlug bis zum Hals? Nein, es blieb stehen, als würde sie gleich tot umfallen. „Ich wünschte, du hättest mir die Wahrheit gesagt. Ich hätte dich schützen können vor deinem alten Herren, wer auch immer dich geschickt hat. Ich könnte es noch immer. Du musst mir nur sagen, wonach du geschickt wurdest. Ein paar Worte und du hättest nichts vor mir zu befürchten. Ich bin kein Monster, weiß du? Ich lasse dir Zeit, deine Antwort noch einmal zu überdenken. Morgen komme ich mit den ersten Sonnenstrahlen zu dir zurück, um deine Antwort zu hören. Du hast mein Wort, dass dir bis dahin kein Leid zugefügt wird. Das ist ein gutes Angebot, das weißt du. Kaum ein Spion würde es auch nur wagen, auf so ein Angebot zu hoffen. Aber du hast Glück, junge Sawako aus Tokio. Glück, dass ich neugierig bin auf die außergewöhnliche Frau, die meinen Männern wie ein Geist in den Flammen erschien. Und jetzt überdenke deine Antwort gut. Es liegt allein an dir, ob du dich vor dem Morgen fürchten musst oder nicht.“ Mit diesen Worten erhob er sich und ließ die völlig aufgelöste Sawako allein in der Dunkelheit zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)