Twilight State von Nekoryu ================================================================================ Kapitel 1: Ordinary I --------------------- Es war Nacht. Wie jede Nacht schien die Stadt aus einem Zustand ewiger Trägheit zu erwachen, die sie mit dem geschäftigen, fast schon chaotischen und unkoordinierten Treiben auf ihren Straßen zu kaschieren suchte. Doch erwachte diese in erster Linie nicht auf den Straßen- wenngleich die Lichter und eine seltsam gelassene Geschäftigkeit unter ihnen den Eindruck zu vermitteln versuchte. Sie erwachte in schummrigen, halb dunklen, ewig vollen und dröhnenden Tempeln, in denen die Gläubigen sich mit Alkohol, den lautstarken, fast pulsierenden Klängen mit Leib und Seele einer Ekstase hingaben, welche jene staubige Trägheit des Tages aus ihren nach Abwechslung hungernden Herzen wusch. Obgleich die Hundertschaften in einem dieser Tanztempel (welcher sich nicht von hunderten anderen unterschied) wohl nie lebendiger ausgesehen hatten, waren sie im Auge eines möglichen Betrachters nichts weiter als still schreiende, gegen das Vergessen und Verschwinden ihrer Existenz antanzende, zappelnde Schatten ihrer selbst. Die Nacht hatte ihnen kein Leben gebracht: nur einen anderen, tief sitzenden Schmerz. Und das ekstatische Lächeln in ihren Gesichtern war nichts als eine Nebenwirkung der Morphine, mit denen sich ihre sterbenden Seelen von der harten Wirklichkeit abzulenken versuchten. Die Gestalt hatte aufgehört zu tanzen. Schon lange. Dem Alkohol, der hier in Strömen floss und den Schmerz betäubte, hatte sie schon lange entsagt. Der widerliche Geschmack, den sie verspürte, wenn sie ihn trank UND die Menge, die sie brauchte, um IHREN Schmerz zu vergessen, waren ihr zuviel des Preises, den sie zu zahlen hätte. Außerdem: vom Geschmack her war Wasser für sie nichts anderes. Und so trank sie Wasser. Die Konsequenzen dafür erschienen ihr weitaus erträglicher. Es war ein langer Tag gewesen. Die Gestalt betrachtete die Ironie dieser Aussage mit einem zynischen, fast spöttischen Lächeln. Ein langer Tag. Ein langer Tag, der 24 Stunden hatte. Schon immer hatte und wohl auch haben würde- sollte die Welt nicht irgendwann beschließen, ihre Existenz mit all den anderen Subjekten, die sich auf ihr befanden, zu beenden. Aber das würde in eher unabsehbarer Zeit geschehen. Sie griff nach dem Glas und spülte sich den letzten Gedanken die Kehle hinunter ohne den Blick von der zappelnden Menge abzulassen. Der Blick war, wenngleich fast ausdruckslos und hohl, mit einem deutlichen Glanz Hohn und Zynismus angefüllt, in denen sich die Lichter der Tanzfläche ebenso widerspiegelten wie die Tanzenden selbst. Da die Gestalt das Tanzen vor langer Zeit aufgegeben hatte, hatte man in einer ebenso langen Zeit aufgehört, Notiz von der Gestalt zu nehmen. Ebenso, wie die Gestalt aufgehört hatte, etwas anderes als eine breite, wabernde Masse verzerrter Gesichter falscher Glückseligkeit zu sehen. Hin und wieder kam es vor, dass sie einem Teil aus dieser gigantischen inmitten eines pulsierenden Lichtes auffiel. Es kam vor, das sie jemand ansprach- doch war dies der Moment, in dem einen anderen Betrachter die weite Zwiespältigkeit aufgefallen wäre, gäbe es einen anderen Betrachter als die Gestalt. Wenn die Gestalt überhaupt auf den Annäherungsversuch reagierte, so tat sie es mit einem leisen Murren und einer Handbewegung, als würde sie eine lästige Fliege abschütteln. Ihr beflissentliches Ignorieren und ihr Unmut, welche ein deutliches Gefühl eines Abgrunds zwischen beiden erzeugte, taten ihr übriges und so verschwand die Gestalt wieder am Rand des Geschehens, das Geschehen beobachtend. Wie ein Naturkundler, der eine Herde Gnus oder Zebras beobachtete. Nur, dass Gnus und Zebras für gewöhnlich nicht als zappelnde, ekstatische und berauschte Schatten freudig in der Masse untergingen. Das Glas, das die Gestalt hielt und leer getrunken hatte, wurde auf den Tisch gestellt und die genervte Geste, welche die Genervtheit damit offen kund tat, zeugte von dem Unwillen, dem Treiben noch länger zu zusehen. War es schon so spät? Oder so früh? Der flüchtige Blick auf eine Digitaluhr, halb versteckt hinter der Theke, verriet der Gestalt, dass die ersten dreieinhalb Stunden des neuen Tages bereits vorüber waren. Es war tatsächlich Zeit zu gehen. Die Gestalt erhob sich, missmutig, sich den Gesetzen von irgendwas unterwerfen zu müssen und legte einen Schein, ihr Glas und eine Nummer mit einem Zettel auf die Theke und ging- Ohne eine Reaktion der Bedienung abzuwarten. Ging, die Treppe hinauf, durch die Tür und gab den „Guten Heimweg und gute Nacht“- Gruß des Türvorstehers mit einem perfekt gespielten, aber bedeutungslosem Lächeln und einem „Vielen Dank, Ihnen einen angenehmen Feierabend!“- Gruß zurück, bevor sie in einer langsam wimmelnden Masse aus Passanten verschwand. Kapitel 2: Zwischenfall ----------------------- Das furchtbare, Mark durchdringende Piepsen des Weckers riss sie aus ihrem traumlosen Schlaf. Wie aus dem Koma erwacht schlug sie auf das Gerät und die Stärke des Schlags vermittelte den Eindruck, als wäre dies der letzte Dienst des Weckers gewesen. Das dem nicht so war, zeigte ein erneutes Piepsen, 10 Minuten später. Sie murrte, verzog sich unter die Decke, um dem gnadenlosen Wachruf eines modernen Zeitmessgeräts mit Weckfunktion zu entgehen und mühte sich dann aus dem Bett, wie von den Toten aufgestanden. Und so fühlte sie sich auch: klinisch tot, doch mit Puls und Hirnfunktion, wie durch einen Eigenwillen der Natur. Ein lebender Zombie. Einen Moment lang saß sie in gebeugter Position auf ihrem Bett und starrte auf dem Fußboden, ihre Füße im Blickfeld. Schließlich erhob sie sich endgültig und schlurfte in Richtung Badezimmer,um die übliche Prozedur zu beginnen: Duschen, Haare waschen und das Gefühl von langsam eintretender Leichenstarre mit Make-up übertünchen. Da hasste sie am meisten. Ihr Frühstück bestand aus einem Stück Brot, einer Orange und einem hastig geschlürften Jogurt, halb beim Rausrennen aus ihrer Wohnungstür irgendwohin gestellt. Ihre schulterlangen, rotblonden Haare schienen der Wohnung wehmütig nachzuwinken, bevor die Tür zufiel und abgeschlossen wurde. Hastig rannte sie die Treppe hinunter, den Mantel auf ihrem linken Arm haltend, bevor sie die Eingangstür auf riss und von der morgendlichen Kühle empfangen wurde, die sie zwang, diesen dennoch anzuziehen. Sie verlangsamte ihren Schritt jedoch keineswegs, sondern hechtete zur Bushaltestelle und erreichte den Bus in allerletzter Sekunde. Ihr schien, er würde Morgen für Morgen extra auf sie warten und die Wartezeit an der Haltestelle extra für sie überziehen. Aber das war Unsinn! Sie schaffte es gerade so. Und nur gerade so! Der Bus fuhr an und das langsame Schaukeln versetzte sie nach und nach in eine tiefe Gedankenstarre, aus der sie sich mit Widerwillen erst an ihrem Ausstiegspunkt wieder gerissen wurde. Der Türvorsteher des Clubs lächelte und trat, verschlafen wirkend, zur Seite: „Ah, Guten Morgen Luna!“ „Guten Morgen! Gut geschlafen?“ rief sie lächelnd aus, als sie an ihm vorbeiging. „Naja, eher wie üblich!“ antwortete er ihr und Luna drehte sich auf halben Weg durch die Tür noch einmal um, einen tröstenden Blick in den Augen, bevor sie hinter der Tür verschwand und sich dem Gang zuwandte, wo die Umkleidekabinen waren. Die Sauerei des Abends war bereits von der Nachtschicht weitestgehend beseitigt wurden und so blieben nur einige Ladungen Gläser und Flaschen übrig, die in die Spülmaschine gehörten- beziehungsweise zur Pfandstelle gestellt wurden, um bei der nächsten Lieferung mitgenommen zu werden. Luna machte sich mit weitaus mehr Feuereifer an die Arbeit, als man vermuten konnte. Der Job war eigentlich das LETZTE, was man auf der Nahrungskette in einem Club ihrer Meinung nach sein konnte. Aber er brachte zwei bis drei Vorteile mit sich: sie bekam gutes Geld, unwesentlich besser als anderswo, zweitens wich das Gefühl einer langsamen Totenstarre einer Form von Leben und drittens kam sie nirgendwo günstiger in einen Club als hier. Weder vom Eintritt her noch von den Getränken. Das das Geld hinten und vorn nicht REICHTE, änderte im Moment nichts an ihrem Feuereifer. Die Tür ging auf und eine andere Frau betrat den Raum: „Oh, guten Morgen Luna!“ Die Angesprochene sah auf und lächelte: „Guten Morgen Susan! Wieder früher als ich da?“ „Ach was,“ antwortete Susan, „sicherlich mit dir zusammen reingekommen!“ Susan lächelte zurück und Luna nickte, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte. „Gut nach Hause gekommen?“ fragte Susan, während sie eine andere Ladung Geschirr wegstellte. „Hmm-mmh!“ war die zustimmende Antwort von Luna. „Und du?“ fragte Luna, um die Gesprächsbemühungen ihrer Kollegen nicht ins Leere verlaufen zu lassen. „Ich wohn´ doch gegenüber!“ lachte Susan und Luna lachte mit. Luna fand den Scherz nicht sonderlich lustig. Das Susan eine weitere Strecke als sie täglich zu überbrücken hatte und dennoch mit ihr zusammen eintraf, fand sie nicht lustig. Aber es war weitaus besser, sich mit den Kollegen gut zu verstehen- das hatte sie aus ihrem letzten Job eindeutig gelernt. Luna war fertig und richtete sich auf. „Ich werd´ oben für die Gäste vorbereiten gehen!“ sagte sie und Susan nickte ihr zu. Sie sah Luna nach, wie diese um die Ecke bog und die Treppe hochlief. *** Nachmittag, fast drei Stunden nach der ersten Hälfte dieses Tages. Nichts war schlimmer als die letzten zehn oder zwanzig Minuten vor Schluss. Nichts war schlimmer als das Wissen, nach diesem Feierabend noch einmal arbeiten gehen zu müssen, um nach Miete, Strom und Nebenkosten auch noch einen vollen Kühlschrank und andere wichtige Sachen finanzieren zu können. Immerhin war es bis zum nächsten Job nicht weit und sie war ALLEIN dort. Auch wenn ihr drei Stunden fehlen würden, um die tägliche Bedeutungslosigkeit anderer zu studieren- allein zu sein hatte etwas angenehmes, beruhigendes für sie. Es war besser, anderen nicht vormachen zu müssen, dass sie, Luna Suzuhara, sich auch nur für irgendwas aus deren banalen, seelischen Krisen interessierte... Fünf vor um machte sie sich mit demselben Eifer aus dem Staub, mit dem sie gekommen war. „Hey Luna!“ sie hielt inne und drehte sich um. Der Türvorsteher sah sie, wie eine Marionette, von Coffeintabletten und Kaffee am Leben erhalten, an. „Ja ?“ Sie lächelte, als der Mann lachte. „Luna, komm gut nach Hause!“ „Heute nicht. Ich muss noch arbeiten gehen! Aber Sie sollten ins Bett gehen. Und heute besser ein Taxi nehmen! Müdigkeit ist genauso schlimm wie Trunkenheit am Steuer!“ Luna winkte ihm nach und verschwand in der Masse der Passanten. **** Spätabends. Noch etwa vier Stunden, bis der alte Tag vorüber war und der neue begann. Luna fühlte sich erschöpft, nicht gewillt, den heutigen Abend dort zu verbringen, wo sie jeden Abend saß. Doch die Masse zog sie mit, Abend für Abend in die Richtung des Clubs, den sie tagsüber auf- und umräumte, vorbereitete und Gästen Essen, Getränke und jene süße Leckereien brachte, die sie bestellt hatten. Der Türvorsteher begrüßte sie, wie jeden Abend. Ein anderer als am Tag. Sein Auto stand noch auf dem Parkplatz. Immerhin stellte er so keine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Luna sah in den Himmel, als man ihren Ausweis begutachtete und das Guthaben auf die Karte lud. Die Sonne war fast verschwunden und ein fader Streifen eines Lichts, das gerade die Sterne verschwinden lassen konnte, überzog den Himmel wie ein Schleier ewigen Zwielichts. Luna überkam für einen Moment ein Gefühl von Sehnsucht, im diesen Licht, weder Licht noch dunkel, zu verschwinden und ein Teil dieses Schleiers zu werden, welches die faden Sterne verhüllte und den Blicken aller entzog. „Hallo, ihre Karte!“ Luna zuckte zusammen und sah einen Moment verwirrte zu der Frau, welche ihr eine Karte und den Ausweis hinhielt. „Oh, Verzeihung!“ „Das macht dann 15 Euro!“ Luna nickte nur. Es war gut zu wissen, dass der Betrieb der Nachtschicht nicht viel mit ihrer Schicht zu tun hatte. Es tat gut zu wissen, dass sie als keinen Kontakt zu den Menschen hatte, die sich um das ganze Brimbarium zu kümmern hatte. Obwohl sie guten Willen zeigte, hatte sie diesen Willen nicht- den Willen, sich mit all den Schmerzen und Krisen anderer auseinandersetzen zu müssen. Luna nahm die Karte entgegen, nachdem ihr Geld den Besitzer gewechselt hatte und ging mit einem „Danke!“ lächelnd in die Düsternis des Clubs, welche dessen neonstrahlende, grelle Beleuchtung nur oberflächlich vertreiben konnte. Angelockt von der Dunkelheit, die wie eine verheißungsvolle Nebelwand empor kroch, welche Abenteuer und Abwechslung verhieß. Sie empfing Luna wie eine sanft schreiende Nymphe, deren Stimme die Sinne betäubt und durch Mark und Bein dringt. Das wohlig- warme, dass dieser Ort versprach, blieb jedoch aus. Luna stieg die Treppe hinunter: dieselbe Treppe, die sie am Tag geputzt hatte. Eher desinteressiert bemerkte sie den Müll, der sich wieder angesammelt hatte: sie war eine arme, hungrige Seele, der nicht einmal die Hölle Erfüllung versprechen konnte. Denn eine Hölle- dass war dieser Keller, dieser Club für sie. Die Verdammten tanzten, zappelten und schrien sich ihre Seele Stück für Stück aus dem Leib. Warfen sie in kleinen Stücken dem Herrn der Unterwelt entgegen, der eine weitere Platte auflegte. Er und seine Dämonenschar sorgten unablässig dafür, dass die Verdammten für den Preis, den sie zahlten, ordentlich den alles erdrückenden Schmerz ihres Lebens vergaßen. Die Sirene, die Verführerin Odysseus, tobte wie eine wütende Banshee vor Verzückung: sie hatte Thor´s Trommelzeug gestohlen und schlug nun ordentlich darauf herum. In irgendeiner Ecke standen die Pärchen herum und saugten sich gegenseitig die Begierde aus. Sie setzte sich und stellte ihr Glas ab. Der Cocktail war gratis und schmeckte süß. Der Alkohol darin mutete ihr wie ein zärtlicher, aber flammender Kuss an. Es war ihr egal. Es änderte nichts. Die Masse verschwamm mehr als sonst. Die Bässe dröhnten ärger als sonst. Und bei jedem neugierigen, interessierten Blick vom Feld der „anderen“ kräuselte sie ihre Lippen verächtlicher als sonst. Das war alles, was er änderte. Sonst nichts... Es war nach Mitternacht, als sie hochschrak: hatte sie geschlafen? Nein, ihre Gedanken waren nur abgedriftet, weit weg. Ihr fehlten eineinhalb Stunden. Sie schob das Cocktailglas von sich: das war das letzte Mal, dass sie sich „gratis“ einen mitnahm. Der Preis war zu hoch... Plötzlich veränderte sich etwas: inmitten des immer gleichen Szenarios verschob sich etwas. Wurde anders. Besser. Sie wusste erst nicht, was es war, bis ihr Blick auf eine leuchtend weiße Gestalt fiel... Sie stand dort, abseits und scheu wie ein Reh unter Wölfen, und sah sich um. Ihr weißes Trägerkleid schloss unter der Brust mit einer Schleife ab und fiel schlicht nach unten, bis zu ihren Knien. Die Spitzenhandschuhe ohne Finger passten nicht recht zum Kleid, dennoch wirkten sie nicht aufgesetzt. Ihre helle, durch das Licht schon fast weiß erscheinende Haut, verstärkte den Eindruck ihrer Erscheinung noch. Doch entgegen der Erwartung, die man bei einer solchen Erscheinung hat, waren ihre Haare nicht blond, sondern tiefschwarz. Luna betrachtete sie fasziniert und bemerkte, dass es um diese Fremde herum heller war. Alles in diesem Raum schien das Licht zu schlucken; ein hungriges Biest, dessen gähnender Rachen niemals satt wurde. Aber sie war anders: es war, als ob das Biest geblendet von ihr zurückwich. Luna erhaschte einen raschen Blick auf die kirschroten Lippen: wie klischeehaft. Wie schön! Urplötzlich dehnte sich die Zeit wie eine Kaugummiblase, die man genüsslich auf den größtmöglichen Umfang aufbläst. Ein Universum, das aus dem Urknall entstanden war und sich nun dehnte und dehnte. Sterne und Galaxien erschuf. Gott wurde. Mit Luna und der Fremden im Zentrum. Luna wagte nicht zu atmen, nicht zu blinzeln, aus Furcht, der Moment könnte platzen. Und diese Fremde im Wahn ihrer Vorstellungskraft verschwinden. Ihr Herz zersprang fast vor kindlicher Begeisterung und Faszination. Begeisterung und Faszination! Es erschien ihr wie ein Kindheitstraum, aus dem sie erwacht war, der in der Erinnerung lebendig blieb, aber dennoch über die Jahre verblasste. Luna verspürte den Wunsch, das Universum wachsen zu lassen, als die dunkelroten, schon fast kitschig mädchenhaften Ballerinas des Mädchens in ihre Richtung drehten. Und ihre dunklen, vielleicht schokobraunen Augen sie mit derselben Faszination betrachteten. Sie fühlte, wie das Universum Galaxien und Planeten bildete, als ein sanftes, fast schon liebesvolles Lächeln die ebenso kitschig und wunderschönen Lippen berührte. Luna sah Leben in diesem Universum aufblühen, als dieselben, roten Lippen ein sanftes Flüstern versuchten- doch dieses jähe Aufblühen wurde urplötzlich vernichtet. Vollkommen verwirrt über diese Entwicklung blinzelte Luna- sie sah, wie das Mädchen im weißen Kleid scheu- nein, eher panisch- ihre Augen aufriss und in eine Richtung sah, aus der Luna nichts ausmachen konnte. Dann sah sie, wie das Mädchen weglief. Das genügte. Luna erhob sich ruckartig. Es war erst zwanzig nach Mitternacht- dennoch trieb es Luna nach draußen. Sie wusste nicht, was es war. Sie wusste nur, dass sie es tun musste. Luna jagte der Spur, dem Nebel feinen Lichts, nach. Sie warf ihr Glas, ihre Karte und ihr angerissenes Ticket sowie den üblichen Zettel auf die Bar. Sie beantwortete den Gruß des Türvorstehers eher flüchtig und desinteressiert. Dann rannte sie die Straße entlang. Sie brauchte das Licht. Sie brauchte das Mädchen. Es war eine vollkommen verworrene Geschichte in ihrem Kopf: ein Außenstehender, der sie beobachtet hätte, während sie die wabernde Masse beobachtete, würde denken, sie übernatürliche Macht der Liebe hätte sie getroffen. Und womöglich die Erkenntnis, eher auf Frauen zu stehen denn auf Männer. Einen kurzen Moment lang kam dies selbst Luna in den Sinn- doch erschien ihr das so abwegig, dass sie sich nur mit Macht vor einem zynischen Lachanfall bewahren konnte. Es war nicht schlimm, wenn es so wäre. Doch dem war nicht so. Vielmehr erschien es Luna, als müsste sie dieses Mädchen etwas fragen. Etwas wichtiges. Als hätte sie den Schlüssel zur Antwort all ihrer Fragen. Als wäre sie mit ihr verbunden. Verbunden? Das klang so albern, würde es nicht sie selbst betreffen, sie hätte sich schon LÄNGST darüber lustig gemacht. Und zwar ausgiebig... Der feine Nebel aus Licht verpuffte in einer Gegend, in der sie noch nie zuvor war. Ihr fröstelte. War sie einem Hirngespinst nachgejagt? Um sie herum war es dunkel und sie zog besorgt die Arme an. Langsam sah sie sich um. Sie würde nie wieder einen Cocktail trinken- egal, wie gratis er war. Und wenn man sie bezahlte, dass Teil zu nehmen! Sie musste hier weg. Und zwar sehr schnell. Dennoch konnte sie keinen Fuß vor den anderen setzen. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust, als sie bemerkte, was sie davon abhielt: sie wusste kaum noch, aus welcher Richtung sie gekommen war, geschweige denn, wo lang sie musste, um zu ihrem Ausgangspunkt zu kommen. Sie atmete tief durch: es war vielleicht besser, erst einmal überhaupt in die Richtung zu laufen. Meistens führte sie ihre Intuition auf den richtigen Weg. Das klang allerdings so abgedroschen, dass sie darüber verächtlich lächeln musste. Woher kamen diese abgedrehten Gedanken? Es war, als hätte irgendwer ein altes Karussell entdeckt und in Betrieb genommen. Und es drehte sich und drehte sich schneller und schneller, bis einem selbst ganz schlecht dabei wurde. Luna drehte sich vorsichtig, nach einigem Zögern in die Richtung, aus der sie gekommen war. Instinktiv wünschte sie sich, unterwegs etwas mehr auf den Weg geachtet zu haben. Realistisch betrachtet war es egal: sie hatte nicht darauf geachtet. Darüber zu trauern änderte nichts. Es war somit eher eine Verschwendung von Energie, eine stetig wachsende Ladung an Emotionen, die ihre Sorgen nur noch weiter anfeuerten. Plötzlich stoppte sie abrupt: das Licht. Halluzinierte sie oder war es wieder da? Dieser zärtliche Nebel aus Licht. Licht? Es wirkte eher wie ein Parfum, das sich verflüchtigte und dem sie nachjagte. Wieder so ein abgedrehter Gedanke! Hörte das gar nicht mehr auf? Fast schon instinktiv schlug sie den Weg in eine der Seitengassen ein: es wurde noch dunkler. Es war fast schon unvorstellbar, dass so etwas ging! Nur der fade Schein des Stadthimmels schien ihr den Weg zu Leuchten: ein schwacher Schimmer am Himmel, der wie ein geltungssüchtiges Kind alles andere Licht verdrängte. Der stumpfe und schmutzige Schein, der die Menschen Nacht für Nacht in die Tanztempel trieb. Ein rötlicher Schatten, dem sie huldigten und der sich huldigen ließ, damit er ihnen das triste Dasein verschönerte. Dabei war er selbst so trist, so unglaublich trist.... Ihre Gedanken hatten sie weiter in die Seitengasse getrieben. Sie lief nicht mehr. Luna funktionierte noch wie eine Marionette am Faden. Dann erstarrte sie: Sie konnte sie sehen: das Mädchen im weißen Kleid. Die Lichtgestalt, vor der selbst die Finsternis zurückzuweichen schien. Doch hier war es anders: das Leuchten wurde zurückgedrängt, als würde sie von einem Rudel Wölfe bedroht werden. Sie musste blinzeln, um zu begreifen, dass dies in gewisser Hinsicht sogar passierte: Da waren vier, fünf, nein sechs Kerle. Sie erschienen ihr im Dunkeln alle gleich groß zu sein. Und die Tatsache, dass sie alle dieselben, dunklen Sachen trugen, erweckte in ihr nicht gerade ein Gefühl von Tapferkeit. Ihr Herz raste, ihre Füße taten einen Schritt- sie blinzelte und schrak zusammen. Ob nun vom Lärm des Müllsacks, dessen Leergutinhalt klirrend zu Boden fiel und zerschellte oder durch den Schmerz, der sich fühlbar von ihrem Fuß ihr Bein entlang seinen Weg zu ihrem Hirn bahnte konnte sie nicht sagen. Sie hörte noch ihre Stimme, der ein schmerzvolles „Fuck!“ entfleuchte, bevor sie erstarrte und aufsah: Die Typen hatten sich umgedreht. Es war so verdammt finster, dass sie nicht einmal die Gesichter sehen konnte. Aber sonderlich positiv konnte der Ausdruck nicht ausfallen- wenn sie es denn wirklich wissen wollte. Und daran zweifelte sie ernsthaft... Nun war es zu spät. Es war zu spät für einen Überraschungsmoment. Es war auch zu spät, um Hilfe zu suchen. Und erst recht war es zum Davonlaufen zu spät... Das war etwas, was zu tun sie im Moment zweifelte. Die Typen machten einen mechanischen Schritt auf sie zu. Sie konnte das Mädchen sehen, wie sie aufsah: einerseits erleichtert, dass Luna hier war, andererseits verzweifelt. War das Verzweiflung in ihren Augen? Oder war es Trauer? Bedauern? Trauerte sie bereits um sie, Luna? „Du siehst Gespenster!“ schoss es Luna durch den Kopf. Doch angesichts der Tatsache, dass sie einem weißgekleideten, geisterhaften Mädchen wahrscheinlich durch die halbe Stadt nachgejagt war, konnte sie das womöglich tatsächlich behaupten. Luna wich mit jedem Schritt, den diese Typen machten, weiter und weiter zurück. Innerlich hoffte sie, dass irgendein Licht auf diese Gestalten fiel. Sie musste sehen, wer es war. Ihr Fuß stieß gegen eine der zerschellten Flaschen. Mit einem Mal flog in Luna´s Kopf ein Schalter um. Sie würde die Flasche nehmen. Sie würde sie gegen den Ersten werfen. Dem Angriff ausweichen. Den Stock dieses Besens nehmen, der in der Ecke herumstand. Ihn auf den Kopf des Zweiten niedergehen lassen, sodass er zerbrach. Dem Dritten mit einer Scherbe, neben der sie landen würde, das Gesicht aufschlitzen und seinem Heulen ein Ende setzen, indem sie das nächstbeste, dass ihr in die Hand kam, über den Schädel zog. Von vier und fünf in die Zange genommen werden. Mit knapper Mühe und Not den Attacken entkommen, nur, um gegen einen Müllcontainer geschleudert zu werden. Der Schmerz würde sie kurzfristig lahmlegen. Und nur reines Glück würde dazu führen, dass ein Schwall einer klebrigen Flüssigkeit in ihr Gesicht landete. Der metallische Geschmack würde sie anekeln und Übelkeit hervorrufen. Sie würde sich hastig aufrappeln, während der letzte dachte, sie wäre jetzt leichte Beute. Und sie würde nicht schnell genug sein. Vielleicht, weil ihr Fußgelenk schmerzte, als hätte sich die brennende Hölle selbst darin eingefunden. Er würde sie würgen. Sie würde fühlen, wie ihr Blut in ihrem Kopf gegen ihre Stirn hämmerte. Wie ihre Luft knapp wurde. Wie ihre Fingernägel sich in seine Handgelenke sich in seine bohrten. Und wie sie, in einem Akt von Vernunft, hervorgerufen von panischen Überlebenswillen, ihre Füße auf den Brustkorb legte, um sich zu befreien. Sie würde im letzten Moment ein Krachen hören. Holz sehen, das zersplitterte. Zusammen mit diesem Typen zu Boden fallen. Und ihr eigenes Husten hören, während sie den Schmerz des Lebens anpreisen würde. Luna hörte sich husten und alles tat weh. In ihrem Gesicht trocknete eine Masse, die gut und gerne Blut sein konnte. Hoffentlich war es ihr eigenes, sie wollte sich nicht durch so einem Irren mit irgendetwas anstecken. Weiße, weiche Hände streckten sich nach ihr aus und sie fühlte, wie diese sie zu der dazugehörigen Person zog: „Bei allen Göttern, du bist in Ordnung.“ hörte Luna die Stimme zart flüstern. „Ich dachte schon, du stirbst. Ich hätte mir das nie verzeihen können...“ Luna fühlte, wie die geradezu zerbrechliche Gestalt zitterte. Und trotz der Zerbrechlichkeit dieses Wesens fühlte sie sich in der Umarmung förmlich erdrückt. Es war so surreal. War all das, was sie in ihrem Kopf gesehen hatte, wirklich passiert. Sie tastete unsicher nach ihrem Knöchel- er war heiß und protestierte sofort. Es war passiert. Was war passiert? Das konnte niemals sie gewesen sein. Luna Suzuhara war das nicht. Luna Suzuhara rettete keine Fremden. Rettete nicht einmal Bekannte. War dazu nicht einmal in der Lage. Aber hier lagen die Corpus Delicti. Lagen und rührten sich nicht. Sie hatte das nicht getan. Das war nicht sie gewesen. Das war eine andere Person gewesen, mit ihrem Gesicht. „Du bist in Ordnung...“ murmelte die Stimme des Mädchens erneut. „Ich bin in Ordnung.“ echote Luna mit krächzender Stimme. Sie versuchte, sich aufzurichten. „Warte, ich helfe dir!“ Luna fühlte, wie sie nach oben gezogen wurde. In ihrem Gesichtsfeld bewegte sich etwas. Zu spät bemerkte sie, dass einer von ihnen sich aufgerichtet hatte. Sie konnte das Gesicht sehen. Und plötzlich war sie sich sicher, dass sie es nie hatte sehen wollen. Dass es eine dumme Idee war, es überhaupt zu versuchen. Die allerdümmste Idee. Sie kam nicht einmal dazu, „Vorsicht!“ zu rufen, denn das Mädchen sackte bereits zusammen wie ein nasser Sack. Der Stoß, der sie traf, war so heftig, dass sie nicht einmal mehr den Schmerz wahrnahm. Verschwommen bemerkte sie, wie sich zum ersten paar Beine noch zwei weitere gesellten. Dann wurde es schwarz. Kapitel 3: Flucht I ------------------- Das Licht der Straßenlaterne flackerte erbärmlich und war kaum in der Lage, die Dunkelheit in der dreckigen, heruntergekommenen Seitengasse zu bekämpfen. Es war eine geradezu abgedroschene Szene aus einem alten Krimi, man erwartete geradezu einen abtrünnigen Mafiosi hinter einer der Mülltonnen, der bereit war, seine Seele aus dem Höllenpfuhl zu zerren. Doch stattdessen stand, genauso abgedroschen, eine blonde Gestalt neben einen Müllcontainer. Lässig, ein wenig überheblich, aber dennoch desinteressiert zündete sie sich eine Zigarette an. „Die Dinger bringen dich nochmal um, Louise.“ Sie stieß den blauen Dunst zwischen ihren Lippen aus: „Es ist nicht meine Schuld, wenn du dir so viel Zeit lässt.“ Sie drehte ihren Kopf leicht zu dem Typen, „und such´ dir andere Treffpunkte aus. Ich war kurz davor, dir `ne Kugel in den Kopf zu jagen.“ „Oh, und mit welcher Waffe?“ fragte er spitz. Statt einer Antwort zog sie ihre Hand aus der Tasche, ihr folgte eine große, halbautomatische 45er, an der er noch einen selbstgebauten Schalldämpfer erkennen konnte, bevor sie wieder dort verschwand. Zusammen mit ihrer Hand. Sie hatte sie nicht losgelassen. „Und die soll gegen diese Typen reichen?“ „Reicht, um ein paar Löcher und Chaos zu reißen.“ Sie zog erneut und pustete nach oben, „Wieso bin ich hier?“ „Sie´s entwischt.“ „Wer?“ „Die Weisse.“ „Ihr Name ist Eternity. Meinetwegen nenn sie Chiyo.“ „Sie ist nicht menschlich. Sowas braucht keinen Namen.“ Er sah Louise missmutig an. „Ich diskutier keine ethischen Grundsatzfragen. Nicht hier. Nicht heute. Und mit dir sowieso nicht. Sie ist also weg. Freu dich! Dann musst du nicht in die Hölle.“ „Das isses nicht. Sie haben...“ Er zog die Arme hoch, als würde er frösteln und sah sich nervös um, „Sie haben sie.“ Einen Moment herrschte Schweigen. „Abgefuckte Scheiße!“ stieß Louise aus. „Wieso?“ „Ich hab keine Ahnung! Aber wenn sie die Weisse kriegen, sind wir ge-arscht. An-ge-arscht. Und zwar so richtig.“ „Die würden uns so richtig in den Arsch ficken, ja.“ sinnierte Louise. „Oh man. Und was machen wir jetzt? In die Höhle des Löwen gehen und sie rausholen?“ „Im Moment, so sehr ich es auch hasse, dass zu sagen, sollten wir die Weisse finden und sie verstecken.“ „Das hat mit der anderen ja auch so SUPER geklappt, Oz.“ „Ich kann halt nicht zaubern!“ „Dann leg dir nen anderen Tarnnamen zu! Idiot! Wär passender!“ „Nun werd nicht gleich persönlich!“ murrte er. „Sei´s drum. Vielleicht war´s einfach an der Zeit. Das arme Ding. Lebt ein Leben in Bedeutungslosigkeit und BÄMM kommen die Kapuzinertypen und nehmen sie mit. Schreckliche Sache.“ „Du musst dich doch auskennen...“ „Ich war neun. Da ist man anpassungsfähiger.“ sie nahm den letzten Zug ihres Glimmstengels auf. „Und wo ist der Unterschied zwischen ihr und dir?“ fragte Oz misstrauisch. „Mit neun fragst du noch nicht: wieso passiert mir das? Da bist du froh, wenn jemand kommt und sagt: Stell keine Fragen und schieß, Püppchen!“ Sie schnippte die Kippe weg. „Vor allem, wenn du´s geschafft hast, dich aus diesem...Ding....zu befreien.“ „Ich versteh jetzt den Zusammenhang nicht, Louise, aber DU musst es wissen. Also, was machen wir nun? Alle zusammentrommeln und dem Löwen in den Arsch kriechen oder ihm das Dessert vermasseln?“ „Ich finde, es klingt beides nach einem Plan. Schadet nichts, wenn wir nen kleinen Trupp zusammenstellen, der dem Arsch des Löwen schonmal entkommen ist. Und ich mein nicht die Typen in der ersten Etage. Deren Arsch ist mir zu fett, um durch die Lüftungsschächte zu passen.“ Louise schnippte mit dem Feuerzeug; „Es sei denn ich will denen die Luft nehmen. Langsam. Dann würd ich sie alle mitnehmen und höchstpersönlich in die Schächte treten! Zu mehr taugen sie nichts.“ Oz zuckte mit den Schultern: „Sie decken die Operationen.“ „Das könnten sie auch, ohne gleich eine Achteltonne zu wiegen!“ gab Louise zurück. „Sei´s drum. Findet Eternal. Und versteckt sie. Ihr müsst sie abkapseln. Und zwar komplett.“ „Sobald wir sie haben.“ „Sobald ihr sie habt.“ bestätigte Louise. „Um sie kümmer ich mich. Allein. Ist besser so.“ Er zögerte: „Ich bin nicht damit einverstanden. Wir können es uns nicht leisten, wenn auch nur irgendwer von uns ausfällt.“ „Du wirst mich nicht davon abbringen.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ murmelte Oz leise. „Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Mir wäre es lieber, du würdest mich gehen lassen.“ „Es gibt tatsächlich etwas, was du tun kannst.“ Hub sie an und ihr Gegenüber sah auf. „Das wäre?“ fragte er hoffungsvoll. „Hörzu.“ hub Louise mit einem etwas sadistischen Lächeln an und Oz wurde unwohl. Wenn sie SO lächelte, dann artete das meist in einem Desaster aus, das selbst Roland Emmerich neidisch werden lassen würde. **** Ihr Körper fühlte sich taub an. Wie nach einem jahrelangen Schlaf. So zumindest würde sie es sich vorstellen, wenn man sehr, sehr lange im Koma gelegen hatte. Erst dann bemerkte sie die absolute Dunkelheit um sich herum. Ihr Kopf dröhnte. Bei allen Göttern dieser Welt, sie hatte sich nicht irgendwas unterjubeln lassen. Den Stress könnte sie nicht ertragen. Vom miesen Beigeschmack ihrer abendlichen Unterhaltung mal ganz zu schweigen. Wo war sie hier eigentlich? Wie ein Mensch so viele Gedanken nur während des Aufwachens haben konnte, würde sie erst später in Frage stellen können. Dunkel erinnerte sie sich an einen Traum, indem sie mit geradezu magischen Fähigkeiten seltsam gekleidete Typen fertig gemacht hatte, um ein weiß gekleidetes Mädchen zu retten. Irgendwer musste ihr wirklich etwas in den Drink getan haben. Das war das letzte Mal, dass sie eines der Gratis Tickets für Cocktails in Anspruch nahm. Das Ergebnis war mehr als überdeutlich. Ächzend versuchte sie sich zu erheben, doch ihr Kopf prallte gegen etwas Hartes und sie fiel wieder zurück. Der Schmerz brachte sie voll und ganz aus dem dämmernden Zustand des Halbschlafes in die Gegenwart. Was zur Hölle? Wo war sie? Sie tastete die Barriere vor ihr ab, die sie daran hinderte, sich aufzurichten. Das Teil war glatt und hart, erinnerte sie an Plastik und erschien ihr halbrund zu sein. Sie tastete nach oben, bis sie zur Decke kam, was in etwa eine Handlänge ihres Kopfes war: Obwohl es warm war, fühlte sie das Metall, als wäre es kalt. Sie tastete über die Decke alles ab: außer ein paar Einbuchtungen und irgendwelchen anderen Materialien konnte sie nicht ausmachen, wo sie sich befand. Und das, obwohl es ihr seltsam vertraut vorkam. Vielleicht war sie an einen Irren geraten, der sie nun lebendig in einen Sarg begraben hatte. So wie in den Krimi Folgen im Fernsehen. Ihr schauderte und sie fühlte die Angst in sich hochsteigen. „Ruhig, Luna, ganz ruhig!“ schoss es ihr durch den Kopf, „Wenn du in Panik gerätst, verbrauchst du nur mehr Sauerstoff und dann hast du nicht mal die Chance, dir etwas einfallen zu lassen! Gut, langsam atmen, langsam atmen.“ Sie griff nach der Fläche vor ihr und fühlte die Trägheit ihrer Bewegung. Der Widerstand, als wäre die Luft zähflüssiger Sirup. Nein, als wäre sie unter Wasser. Eine vollkommene Unmöglichkeit. Sie konnte sich nicht in einem Sarg befinden, der mit Wasser gefüllt war und in dem sie atmen konnte. Es sei denn, es waren ihr mal eben spontan Kiemen gewachsen! Sie schlug gegen die Wand vor sich. Da war ein Sog, so träge wie Wasser. Unmöglich! Ihre Hand ballte sich zur Faust, sie holte weiter aus. Erneut fühlte sie das Plastikartige auf ihrer Haut. Ein wasserartiger Widerstand beim Zuschlagen. Absolut unmöglich! Sie hob die andere Hand, zur Faust geballt und schlug noch heftiger darauf. Der Schlag wurde von der Substanz um sie herum aufgefangen, als würde sie unter Wasser paddeln. Das konnte nicht wahr sein! Sie begann panisch dagegen zu schlagen und fühlte, wie ihre Lungen zu schmerzen begannen. Sie hatte hier die ganze Zeit verbracht und dieses „Wasser“ geatmet. Sie hatte nicht bemerkt, wie schwer ihr das Atmen fiel. Sie hämmerte gegen das scheibenartige Ding. Das war kein Scheiß- Sarg! Das war ein Scheiß- Tank! Sie saß hier fest wie ein Goldfisch im Aquarium! Sie hämmerte, die „Scheibe“ begann zu vibrieren. Ging das Ding denn NIE auf? Sie begann zu treten, zusätzlich zum Hämmern. Die Bewegungen wurden allesamt geradezu zärtlich abgedämpft. Als würden die Schläge es verdichten und die Wucht dann auffangen. Was zur Hölle ging hier ab? Wieso zur Hölle passierte das? Ihr Zeh hieb kräftig gegen das Ding, doch anstatt des durchdringenden Schmerzes wurde er aufgefangen, als hätte sie ein Kissen getreten. Sie kämpfte gegen die Verzweiflung. Sie kämpfte gegen den Drang, weinen zu müssen. Wenn sie Tränen vergoss, würde es nur dazu führen, dass sie aufgab. Aber aufgeben hieß sterben. Und trotz ihrer Verachtung für den Kampf der Menschen, gegen das Vergessen in die Schlacht zu ziehen, war der Tod für sie keine Option. Sie fühlte, wie das Leben und ihr Drang nach Freiheit, nach der Welt jenseits dieses überdimensionierten Goldfischglases, übermächtig wurden. So schlug sie aus Panik, aus Verzweiflung, aus Überlebens- und Lebenswillen gegen die Wand und jeder Schlag wurde abgefangen von flüssigen Federn. Noch ein letzter Schlag- und sie wurde herausgerissen, fiel zusammen mit einem Schwall klebriger, widerlich gerinnender Flüssigkeit zu Boden. Schlug mit voller Härte auf den kalten Grund. Der Schmerz durchzog jeden einzelnen Nerv, als sie nach Luft schnappte. Sie hustete. Das Zeug hing fest wie Auswurf während einer Erkältung und widerte sie genauso an. „So,“ schoss es ihr durch den Kopf, „muss sich ein Neugeborenes fühlen, nach seiner eigenen Geburt.“ Ihre Hände zitterten, sie hörte sich schluchzen. „Nun steh schon auf und lieg nicht nur blöde in der Gegend herum!“ hörte sie eine Frauenstimme rufen, „Dein Elend kannst du später bejammern!“ Luna sah auf. Das Licht blendete sie und sie fragte sich, woher es kam. Für einen kurzen Augenblick dachte sie, dass weiße Mädchen wäre gekommen, um ihr zu helfen. Die Enttäuschung in ihr tat fast genauso weh wie das Atmen, als sie blonde Haare bemerkte. „Wer- wer bist du?“ krächzte Luna heiser und richtete sich mühevoll auf. Das gedämpfte, rot-orangene Licht tauchte die Blondine in eine rötliche Aura. Luna bemerkte die stahlblauen Augen und fand, dass sie für ein derartig tiefes Blau verdammt zynisch wirkten. „Louise.“ war die kurz angebundene Antwort. „Luna.“ die Rotblonde beugte sich vor und hustete sich die Seele aus dem Leib. „Luna Suzuhara.“ „So langsam muss das Zeug mal aus dir raus sein. Reiß dich einfach am Riemen und komm mit. Oh, und übrigens,“ Louise griff in ihren Gurt und drückte Luna eine kleine Handfeuerwaffe in die Hand. „Was soll ich damit?“ Das Krächzen aus Lunas Stimme hielt sich hartnäckig. „Schießen, natürlich!“ War die schnippische Antwort der blonden Schönheit und Luna sah sie irritiert an. „Luna Suzuhara: willkommen zurück! Du befindest dich jetzt im Krieg und auf der Flucht! Also schieß und lauf um dein Leben!“ Luna sah sie an, zitternd. Dieses orangerote Licht. Wo kam das überhaupt her? „Jetzt nimm schon und trödel nicht! Wir haben dafür absolut keine Zeit! Schieß auf alles, was sich bewegt!“ „Was, aber, ich hab das noch nie gemacht!“ stotterte Luna hervor. Die Heiserkeit ließ nach. Wie erfreulich! „Wo ist das Problem?“ Louise machte es vor: „Laden, Entsichern, abdrücken. Und jetzt los! Bevor die merken, was los ist!“ „Die?“ fragte Luna, bekam aber keine Antwort. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Raum, dorthin, wo sie gelegen hatte. Das Zeug glänzte auf dem Boden wie fest gewordener Sirup. Im orangenen Schimmer des Lichts konnte sie einen Gang sehen, der sich langsam nach oben und unten zu schrauben schien. Sie kam nicht dazu, sich weiter umzusehen, denn sie hatte zu viel Angst, von ihrer Retterin getrennt zu werden. So hatte sie nicht die Zeit, sich alles genauer anzusehen. Sie machte kehrt und rannte Louise nach. Einen Raum hinterlassend, der orange schimmerte. Ein Raum voller lebender Leichen.... *** „Scheiße!“ fluchte Louise leise und presste Luna an die Wand, um die Ecke schielend. Luna´s Herz klopfte bis zum Hals und ihre Kehle schnürte zu. Schritte. Entfernte Schritte. Stille. Sie fühlte die Anspannung ihrer blonden Retterin in deren festen Griff. Er schmerzte, ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Haut. Luna biss die Zähne zusammen. Sie war versucht, die Hand von sich zu ziehen, damit der Schmerz aufhörte, doch sie wagte es nicht: zu sehr fürchtete sie sich vor dem, was sie hören, aber nicht sehen konnte. Luna warf einen Blick in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Louise versperrte ihr die Sicht. Luna bemerkte die Nackenmuskeln, die wie eine Feder gespannt waren, die feinen Härchen, die sich aufstellten wie bei einer Raubkatze, die in der Dunkelheit auf den Moment wartet, loszuschlagen. Die blonden Haare, die streng hochgesteckt waren und den Blick erst ermöglichte. Ein paar störrische Strähnen, die sich nicht um den filigranen Haarknoten scherten. Luna bemerkte, dass Louise gehörig größer war als sie, vielleicht ein oder zwei Köpfe mehr. Luna wurde erneut heftig gegen die Wand gepresst und diesmal konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. Zum Henker, wie kann man als Frau nur derartig hart zupacken?! Plötzlich war die Hand weg und wie eine Feder schnellte Louise nach vorn. Luna hörte nur drei Schüsse und einen plumpen Aufprall, bevor sie wagte, aus ihrem Versteck zu kommen. Sie erstarrte, als sie die Gestalten sah, die mit Kopfschüssen auf dem Boden lagen. Urplötzlich kam ihr das alles wie ein Fiebertraum vor. Genau! Das musste es sein! Sie war krank und lag gerade mit hohen Fieber im Bett! Wahrscheinlich war sie gerade dabei zu verrecken, wenn sie schon derartig halluzinierte! So einen Scheiß wie diese Gesichter in ihrem Blut konnte sie nicht auf normalen Weg träumen! Wenn doch, musste sie sich nach dem Aufwachen DRINGEND selbst einweisen! Luna sah weg, doch das Bild hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. So menschlich. Und dann doch irgendwie nicht. „Jetzt beeil dich mal, die haben mitbekommen, dass wir frei rumlaufen! Los! Und schieß, wenn du einen siehst!“ Luna konnte den Befehl raushören. Sie wollte darauf antworten, als sie ein leises Summen hörte. „OH SCHEISSE; VERDAMMTER!“ Luna fühlte plötzlich, wie Louise fast panisch nach Luna´s Hand griff und dann losrannte. Auf die Art stolperte Luna der Blondine eher hinterher als wirklich zu rennen. Louise stoppte an einer Wand und begann, ihr ganzes Magazin darauf zu ballern. Es bildete sich ein Loch und Louise riss es mit einem Messer auf, bis beide bequem durchlaufen konnten. Die schwarze Ödnis dahinter wirkte eher weniger einladend als Louise´s brutaler Stoß, offenbar eine besondere Form einer zärtlichen Aufforderung... Luna kam gar nicht erst dazu, sich darüber aufzuregen, der freie Fall löste in ihr eher die Angst vor dem Aufprall aus und zwar bis sie bemerkte, dass ihr Hinterteil in Permanenz an etwas schuffelte. Das Gefühl hatte etwas von Gleiten auf Wasser, dass eine Rutsche entlang fließt. Und Luna fürchtete den Stop nun noch mehr als den vorher vermuteten freien Fall. „SCHIESS!“ brüllte Louise plötzlich hinter ihr. „Gerade aus! Schieß doch!“ Luna erinnerte sich an die Waffe in ihrer Hand und hob sie zitternd hoch. Obwohl die Waffe vielleicht nicht einmal ein halbes Kilo wiegen mochte, wog sie schwer in Luna´s Händen. Sie drückte ab, der Rückstoß knallte ihr die Waffe beinah ins Gesicht. Sie umfasste sie beim zweiten Schuss zusätzlich mit der linken Hand und drückte nochmal zitternd ab. Und nochmal. Und nochmal. Sie hörte dabei jemanden panisch schreien und merkte erst beim Klicken ihres leeren Magazins, dass sie es selbst war. Sie zitterte. Der Kloß in ihrem Hals schoss zurück, wurde jedoch wieder nach unten geschüttelt, als sie eine Hand in ihrem Nacken fühlte. Louise hatte an Geschwindigkeit gewonnen und griff nun nach Luna, um ihren letzten, großen Schuss abzufeuern. Wo auch immer sie diesen Mini- Granatenwerfer in der Größe einer abgesägten Schrotflinte hatte und wieso auch immer sie so ein Ding mit sich herumschleppte: Louise bedankte sich mit SICHERHEIT bei dem Entwickler, als sie abdrückte und die Wucht des Schusses ihren Arm ein ganzes Stück nach hinten Krachen ließ, auf den Boden, auf dem sie schlitterten. Der Schlag wurde von der Waffe selbst abgefangen und Luna konnte Licht sehen. Licht aus dem Loch, das die Granate gefetzt hatte. Wo war die Explosion geblieben?- schoss es Luna durch den Kopf. Aber die Antwort auf die Frage konnte sie sich nicht geben, denn sie schoss durch das Loch und kreischte auf, als sie sah, dass sie sich fast fünf Meter über dem Boden befanden. Der Aufprall war hart und sie hätte sie sicher ein oder zwei Knochen gebrochen, wenn der Abhang sie nicht zum Abrollen genötigt hätte. Sie kullerte ein Stück weit über den Grashügel, bevor sich benommen aufrichtete und nach oben sah. Und erstarrte. „Unmöglich...“ murmelte sie vor sich hin. „Zur Hölle, glotz nicht, LAUF!“ Louise kam auf sie zu gerannt und lud eine Miniaturgranate in ihren Miniaturgranatenwerfer. Luna war wie versteinert: „Unmöglich, absolut unmöglich!“ Wieder der feste Griff von Louise. Wieder fühlte sie sich gezerrt und gezogen. Wieder hatte Luna das Gefühl, mehr zu stolpern als zu rennen. Doch diesmal sah sie über ihre Schulter. Sah, woher sie kamen. Sah, wo sie vorher waren. Wie aus einer anderen Zeit und wie aus der Fantasie eines kranken Autors flog es davon. Langsam. Lautlos. Wie ein Raubtier, dass man die Beute abgejagt hatte, aber das wiederkommen würde, um sich zu holen, was ihm zustand. Luna wagte nicht mal in Gedanken das auszusprechen, was doch so offensichtlich war. Sie drehte sich in die Richtung, in die sie rannten und ihr Verstand klinkte sich aus. Wie aus weiter Entfernung bekam sie noch einen Van mit, dessen Türen aufrissen und in dem sie geradezu geschleudert wurde. Sie blieb auf der Rückbank liegen, als der Wagen davon düste und bemerkte nicht einmal, wie sehr sie zitterte und weinte.... ***** Es wurde bereits wieder Morgen, als der Van ruckelnd und zuckelnd auf einem Feldweg zum Stillstand kam. Luna wurde nicht einmal wach, als die Tür geöffnet wurde. „Isse ganz beisammen?“ Oz sah besorgt zu seiner Partnerin und Chefin. „Das ist der Schock. Und die Nachwirkungen von dem Zeug, dass sie da geben.“ „Narkosemittel? Du bist mit ihr durch das ganze Ding gerannt und dann auch noch durch den halben Wald und du sagst mir was von Narkosemitteln???“ Oz betrachtete sie, als hätte sie nicht mehr alle Schokostücke im Keks. „Adrenalin. Panik. Überlebenswillen. Meinetwegen auch verzögerte Reaktion. Nenn es, wie du es willst. Du kannst jetzt nur noch hoffen, dass sie aufwachen will!“ Louise setzte sich auf einen Sitz in der Reihe dahinter. „Was soll´n das heißen?“ Oz kramte im Kofferraum nach einer Kühlbox und nahm eine Flasche Wasser raus. „Sie wurde gefangen genommen, entführt, in einen der Tanks gesteckt, verfolgt, hat sie gesehen und fiel dann auch noch aus dem Ding raus. Wenn sie jetzt angefangen hat, sich panisch in den Kaninchenbau zurückzuziehen, wird sie wahrscheinlich bei ihrem Aufwachen psychisch komplett durch sein.“ Louise nahm die Flasche entgegen, öffnete sie mit einem Zischen und trank einen Schluck. „Es wär ein abgefucktes Wunder, wenn sie´s NICHT ist!“ fluchte Oz. „Schau sie mal an, wegen Sendern, Verdrahtungen, Verletzungen und son Kram.“ „Deine Fürsorge ist geradezu herzzerreißend, Oz!“ gab Louise zynisch kund, „Zuerst die Sender und den Schrott kontrollieren, egal, wenn sie draufgeht oder was?“ Oz murrte einen leisen Fluch, „Das hab ich verstanden, Oz.“ Louise fixierte ihn mit ihren stahlblauen Augen. „Ich bin vielleicht keine Türkin, aber ich verstehe eine Reihe Türkischer Flüche.“ „Sag Danke, Louise!“ „Wenn du dir `nen Hut kaufst, auf dem steht und das Zaubern anfängst! Gib den Verbandskasten her und destilliertes Wasser!“ Oz stellte den Kanister mit dem Wasser vor sie und fingerte nach dem Verbandskasten: „Was machen wir nun mit ihr? Nehmen wir sie mit oder bunkern wir sie irgendwo?“ Louise schwieg, mit der Flasche an der Lippe und betrachtete die Schlafende. „Sie wird schon genug Probleme mit ihrer Lebenssituation haben. Da brauch sie nicht noch eine Rotte von Leuten, die ihr beim Pinkeln zusehen. Aber solange sie nicht aufwacht, wäre es vielleicht ganz gut, sie unter Beobachtung zu stellen. Oder zu bunkern, wie du es nennst.“ „Ich denke, das wird auch sehr nötig sein. Du hast ihnen ihr Goldstück weggenommen. Die werden sich´s wiederholen wollen. Ich mein, was sollen wir machen, wenn sie uns finden? Es sind Aliens! Kleine grüne Männchen!“ „Blau.“ Louise sah zu Boden, Blick hatte sich verfinstert. Die Flasche knackte unter dem Druck der Hand, die sich mit zunehmender Festigkeit darum schloss. „Sie sind blassblau. Als würde der Himmel ausbluten...“ „Meinetwegen halt Blau!“ Oz wirkte sichtlich beunruhigt, „Es ist ´ne gute Idee, denen in die Suppe zu spucken, aber um Himmels willen, wir brauchen langsam einen PLAN! Wir können nicht ewig so rum krebsen!“ „Oz, Was denkst du, was passiert, wenn ich mal so mir nichts dir nichts auf eigene Faust losbreche und anfange, ernsthafte Gegenmaßnahmen zu ergreifen, hm?“ Louise sah auf, ihre blauen Augen waren ernst und hatten einen Glanz, dessen Bitterkeit an Grapefruits erinnerte, „Diese fetten Säcke von oben werden uns ERST den Hahn abdrehen, DANN vorbeikommen und so viele von uns töten, wie nur geht und mir DANACH mitteilen: ihr gegenüber nicht schon oft genug erwähnt!“ stieß Louise zynisch aus. Es herrschte kurze Stille und man sah, wie es gegen Oz´ Zwerchfell hämmerte: „Wort mit ? Was kann das sein? Hmmm…ALF?“ Luna betrachtete beide, als wären sie aus dem Irrenhaus entflohen. „Oh, ja! Am besten, ich grille eine Katze!“ erbrach Luna sarkastisch, „Oder wir holen ein Telefon, damit E.T. nach Hause telefonieren kann! Und als nächstes wollt ihr mir von den Illuminati erzählen, die die Weltherrschaft an sich gerissen haben! Und alle Präsidenten und Staatsoberhäupter haben kleine grüne Männchen im Kopf, die ihnen zuflüstern, das die Illuminati nicht existieren!?“ rief Luna in ihrem Sarkasmusanfall aus. „Genauso isses!“ bestätigte Oz. Es kostete ihn Mühe, das Lachen zu verschlucken, als er den Zerfall von Luna´s Gesichtszügen sah. „Oz! Hör auf sie zu ärgern. Natürlich haben die Illuminati nicht die Weltherrschaft an sich gerissen.“ Louise konnte nicht anders, als mitzumachen. „Aber ihr wollt mir sagen, dass kleine grüne Männchen in den Köpfen der Staatsoberhäupter existieren, ja?“ Luna wurde zynischer. „Natürlich NICHT Liebes.“ war Louises, diesmal ehrliche Antwort. „Dann hat sich das mit den „Aliens“ für mich erledigt!“ rief Luna angepisst aus und drehte sich um. „Denn sie sind blau!“ Oz hatte gerade seinen Spaß. Luna verzog sichtlich den Mund und sah ihn mit einem ihrer tödlichen Blicke an. Es war jedoch nicht ihr Blick, der ihn zur Räson brachte, sondern eine kurze, kaum merkliche Handbewegung von Seiten Luise´. „Von mir aus gerne.“ hub diese an, „Aber eine Frage musst du dir stellen, Liebes.“ Luna blieb stehen: „Was denn noch?“ „Wen von uns dreien hab ich vor nicht weniger als zwei Stunden aus einem Tank gezogen, der bis oben angefüllt war mit oxygenic amniotic fluid gel? In einem Raum, in dem sich wahrscheinlich MILLIONEN von den Dingern befinden? Und ist dann panisch schießend aus einer Luke gerutscht, in einer Dreckpfütze landend.“ Luna war erstarrt. „Du hast es doch auch gesehen, das Ding, das es auf einmal sehr eilig hatte, wegzukommen? Sah das, was du gesehen hast, auch nur in IRGENDEINER Form aus, als käme es von hier? Und selbst WENN es ein geheimes Projekt der Regierung wäre: Welchen SINN würde es machen, Mädchen wie dich zu entführen und sie in einen Tank zu sperren? Wenn die Welt untergehen würde oder irgend so ein Scheiß, dann würden sie die Plätze ja wohl eher an den Meistbietenden verkaufen und nicht wie im Discounter mitnehmen, was sie kriegen könnten, nicht wahr?“ „Es ist unmöglich.“ Luna drehte sich um, mit einem finsteren Ausdruck im Gesicht, „So logisch es auch erscheint, es ist genauso unmöglich wie ein Perpetuum Mobile!“ „Ist es nicht. Ein Perpetuum Mobile widerspricht den Naturgesetzen. Aber dass andere, intelligente Lebensformen im Universum existieren, ist kein Widerspruch gegen besagte Gesetze. Wären wir die einzige existente, intelligente Lebensform in diesem Universum, dann wären wir ein Widerspruch gegen die Gesetze der Natur, weil wir dann eine Ausnahme zur Bestätigung der Regel wären. Aber das Leben ist genauso fließend und darum bestrebt, sich zu erhalten wie Wasser. Wenn du mich fragst,“ sie stand auf, „ist es arrogant und töricht DAS zu verleugnen, was OFFENSICHTLICH ist. Und offensichtlich, Liebes, ist nun mal, dass ich dich aus einem Scheiß-Tank in einem Scheiß- Raumschiff geholt habe, während Scheiß-Außerirdische versucht haben, mich umzubringen und dich in diesen Scheiß-Tank zurückwerfen wollten. Dir steht frei, zu glauben, was du möchtest: Aber ich wär´ vorsichtig damit, zu verleugnen, was dir unbequem ist!“ Luna zögerte sichtlich. „Was ist das?“ fragte sie schließlich. „Was?“ Oz sah sie an. „oxi-dingsda fluid gel.“ war die Antwort. Luna strich sich nervös ihre Arme entlang. „oxygenic amniotic fluid gel. Das ist eine besondere Flüssigkeit. Sie ist dem Fruchtwasser nachempfunden, nur mit dem Unterschied, dass man es atmen kann. Man ertrinkt nicht.“ „Wie ein Fötus in der Fruchtblase.“ „Nun, das nicht gerade. Wären die Lungen entfaltet, würde das Kind wohl auch ertrinken.“ Luna dachte nach: sie erinnerte sich an eines der Bücher, die sie gelesen hatte, als Kind: Sobald das Kind seinen ersten Atemzug tat, wurde der Blutkreislauf umgeleitet und die Blutgefäße in der Nabelschnur zugemacht. Ähnlich einem Ventil. Sie erinnerte sich daran. Instinktiv aber fühlte sie, dass sie wahrscheinlich nicht mal die Hälfte stimmte. „Wenn Taucher in großen tiefen tauchen,“ fuhr Oz fort, „gibt man ihnen statt komprimierter Luft eine sauerstoffreiche Flüssigkeit mit. Der Druckausgleich ist dadurch in der Lunge besser möglich und sie implodiert nicht. oxygenic amniotic fluid gel ist etwas ähnliches. Nur mit einer Besonderheit: setzt man es Druck oder Schlägen aus, wird es zu einer gelartigen Substanz verdichtet. Und zwar für die gesamte Dauer, die nötig ist, um die daraus entstehende Kraft abzuleiten. Du hast doch sicher mal von einer Mischung aus einer bestimmten Menge von Maisstärke und Wasser gehört.“ Oz sah das rotblonde Mädchen fragend an. Sie schüttelte mit dem Kopf: „Kurz gesagt, die Maisstärke erhöht die Oberflächenstruktur des Wassers. Und zwar so sehr, dass du darauf laufen kannst. Wenn du drüber rennst, kommst du sicher ans andere Ende an. Läufst du langsam oder bleibst stehen, versinkst du. oxygenic amniotic fluid gel verhält sich ähnlich. Obwohl es kein GEL ist, sondern eine FLÜSSIGKEIT; deren Molekularketten sich bei Schlägen und Stößen verdichtet und damit verlängert werden. Je länger die Kette und je dichter die Atome zusammengedrängt sind, desto der Aggregatzustandes eines Stoffes. Alles klar?“ Luna bejahte, oder besser, sie nickte: ihr Kopf explodierte bei all den Informationen. „Das kommt,“ hub Louise an, während sie sich eine Zigarette drehte, „so in etwa hin, Oz.“ „Ich sag´s nochmal und ich werd´s immer wieder sagen: die werden dich umbringen.“ „Besser, ich töte mich selbst als wenn DIE es tun.“ Sie steckte sich das Ding in den Mund und zündete es an. Oz seufzte: „Jedenfalls sollten wir so langsam zurück.“ „Zurück? Wohin?“ Luna war sichtlich in Abwehrhaltung gegangen. Schön, sie wussten, was in ihrem Kopf passiert war. Aber das Ganze war auch nur ein Traum, eine Einbildung sein. Da war es ganz normal, dass Fremde in die Köpfe anderer schauen konnten. „In Sicherheit. Ich habe keine Lust, den Scheiß nochmal durchzumachen!“ grollte Louise, „Einsteigen! Kopf runter! Meinetwegen schlaf ne Runde, ist mir auch recht!“ „Klar, ich glaube ganz fest daran, dass es Außerirdische gibt und steige dann, mitten in einem Wald, in einen Van und klemme den Kopf zwischen meine Beine.“ fauchte Luna und ging ein paar Schritte zurück. Wachte sie noch nicht auf? Louise sah zu Oz. Noch bevor sie etwas sagen konnte, war er mit ein paar Schritten direkt neben ihr und briet Luna eine derbe Kopfnuss über. „AUTSCH!“ sie ging in die Hocke und hielt sich den Kopf fest, mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Es HAT also wehgetan, ja? Und du bist immer noch hier! Also isses kein Traum! Rein ins Auto!“ Luna beschloss, nachzugeben. ERSTMAL! Wer weiß, was diese Spinner sonst noch taten... Hier draußen, allein mit ihr im Wald.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)