Twilight State von Nekoryu ================================================================================ Kapitel 3: Flucht I ------------------- Das Licht der Straßenlaterne flackerte erbärmlich und war kaum in der Lage, die Dunkelheit in der dreckigen, heruntergekommenen Seitengasse zu bekämpfen. Es war eine geradezu abgedroschene Szene aus einem alten Krimi, man erwartete geradezu einen abtrünnigen Mafiosi hinter einer der Mülltonnen, der bereit war, seine Seele aus dem Höllenpfuhl zu zerren. Doch stattdessen stand, genauso abgedroschen, eine blonde Gestalt neben einen Müllcontainer. Lässig, ein wenig überheblich, aber dennoch desinteressiert zündete sie sich eine Zigarette an. „Die Dinger bringen dich nochmal um, Louise.“ Sie stieß den blauen Dunst zwischen ihren Lippen aus: „Es ist nicht meine Schuld, wenn du dir so viel Zeit lässt.“ Sie drehte ihren Kopf leicht zu dem Typen, „und such´ dir andere Treffpunkte aus. Ich war kurz davor, dir `ne Kugel in den Kopf zu jagen.“ „Oh, und mit welcher Waffe?“ fragte er spitz. Statt einer Antwort zog sie ihre Hand aus der Tasche, ihr folgte eine große, halbautomatische 45er, an der er noch einen selbstgebauten Schalldämpfer erkennen konnte, bevor sie wieder dort verschwand. Zusammen mit ihrer Hand. Sie hatte sie nicht losgelassen. „Und die soll gegen diese Typen reichen?“ „Reicht, um ein paar Löcher und Chaos zu reißen.“ Sie zog erneut und pustete nach oben, „Wieso bin ich hier?“ „Sie´s entwischt.“ „Wer?“ „Die Weisse.“ „Ihr Name ist Eternity. Meinetwegen nenn sie Chiyo.“ „Sie ist nicht menschlich. Sowas braucht keinen Namen.“ Er sah Louise missmutig an. „Ich diskutier keine ethischen Grundsatzfragen. Nicht hier. Nicht heute. Und mit dir sowieso nicht. Sie ist also weg. Freu dich! Dann musst du nicht in die Hölle.“ „Das isses nicht. Sie haben...“ Er zog die Arme hoch, als würde er frösteln und sah sich nervös um, „Sie haben sie.“ Einen Moment herrschte Schweigen. „Abgefuckte Scheiße!“ stieß Louise aus. „Wieso?“ „Ich hab keine Ahnung! Aber wenn sie die Weisse kriegen, sind wir ge-arscht. An-ge-arscht. Und zwar so richtig.“ „Die würden uns so richtig in den Arsch ficken, ja.“ sinnierte Louise. „Oh man. Und was machen wir jetzt? In die Höhle des Löwen gehen und sie rausholen?“ „Im Moment, so sehr ich es auch hasse, dass zu sagen, sollten wir die Weisse finden und sie verstecken.“ „Das hat mit der anderen ja auch so SUPER geklappt, Oz.“ „Ich kann halt nicht zaubern!“ „Dann leg dir nen anderen Tarnnamen zu! Idiot! Wär passender!“ „Nun werd nicht gleich persönlich!“ murrte er. „Sei´s drum. Vielleicht war´s einfach an der Zeit. Das arme Ding. Lebt ein Leben in Bedeutungslosigkeit und BÄMM kommen die Kapuzinertypen und nehmen sie mit. Schreckliche Sache.“ „Du musst dich doch auskennen...“ „Ich war neun. Da ist man anpassungsfähiger.“ sie nahm den letzten Zug ihres Glimmstengels auf. „Und wo ist der Unterschied zwischen ihr und dir?“ fragte Oz misstrauisch. „Mit neun fragst du noch nicht: wieso passiert mir das? Da bist du froh, wenn jemand kommt und sagt: Stell keine Fragen und schieß, Püppchen!“ Sie schnippte die Kippe weg. „Vor allem, wenn du´s geschafft hast, dich aus diesem...Ding....zu befreien.“ „Ich versteh jetzt den Zusammenhang nicht, Louise, aber DU musst es wissen. Also, was machen wir nun? Alle zusammentrommeln und dem Löwen in den Arsch kriechen oder ihm das Dessert vermasseln?“ „Ich finde, es klingt beides nach einem Plan. Schadet nichts, wenn wir nen kleinen Trupp zusammenstellen, der dem Arsch des Löwen schonmal entkommen ist. Und ich mein nicht die Typen in der ersten Etage. Deren Arsch ist mir zu fett, um durch die Lüftungsschächte zu passen.“ Louise schnippte mit dem Feuerzeug; „Es sei denn ich will denen die Luft nehmen. Langsam. Dann würd ich sie alle mitnehmen und höchstpersönlich in die Schächte treten! Zu mehr taugen sie nichts.“ Oz zuckte mit den Schultern: „Sie decken die Operationen.“ „Das könnten sie auch, ohne gleich eine Achteltonne zu wiegen!“ gab Louise zurück. „Sei´s drum. Findet Eternal. Und versteckt sie. Ihr müsst sie abkapseln. Und zwar komplett.“ „Sobald wir sie haben.“ „Sobald ihr sie habt.“ bestätigte Louise. „Um sie kümmer ich mich. Allein. Ist besser so.“ Er zögerte: „Ich bin nicht damit einverstanden. Wir können es uns nicht leisten, wenn auch nur irgendwer von uns ausfällt.“ „Du wirst mich nicht davon abbringen.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ murmelte Oz leise. „Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Mir wäre es lieber, du würdest mich gehen lassen.“ „Es gibt tatsächlich etwas, was du tun kannst.“ Hub sie an und ihr Gegenüber sah auf. „Das wäre?“ fragte er hoffungsvoll. „Hörzu.“ hub Louise mit einem etwas sadistischen Lächeln an und Oz wurde unwohl. Wenn sie SO lächelte, dann artete das meist in einem Desaster aus, das selbst Roland Emmerich neidisch werden lassen würde. **** Ihr Körper fühlte sich taub an. Wie nach einem jahrelangen Schlaf. So zumindest würde sie es sich vorstellen, wenn man sehr, sehr lange im Koma gelegen hatte. Erst dann bemerkte sie die absolute Dunkelheit um sich herum. Ihr Kopf dröhnte. Bei allen Göttern dieser Welt, sie hatte sich nicht irgendwas unterjubeln lassen. Den Stress könnte sie nicht ertragen. Vom miesen Beigeschmack ihrer abendlichen Unterhaltung mal ganz zu schweigen. Wo war sie hier eigentlich? Wie ein Mensch so viele Gedanken nur während des Aufwachens haben konnte, würde sie erst später in Frage stellen können. Dunkel erinnerte sie sich an einen Traum, indem sie mit geradezu magischen Fähigkeiten seltsam gekleidete Typen fertig gemacht hatte, um ein weiß gekleidetes Mädchen zu retten. Irgendwer musste ihr wirklich etwas in den Drink getan haben. Das war das letzte Mal, dass sie eines der Gratis Tickets für Cocktails in Anspruch nahm. Das Ergebnis war mehr als überdeutlich. Ächzend versuchte sie sich zu erheben, doch ihr Kopf prallte gegen etwas Hartes und sie fiel wieder zurück. Der Schmerz brachte sie voll und ganz aus dem dämmernden Zustand des Halbschlafes in die Gegenwart. Was zur Hölle? Wo war sie? Sie tastete die Barriere vor ihr ab, die sie daran hinderte, sich aufzurichten. Das Teil war glatt und hart, erinnerte sie an Plastik und erschien ihr halbrund zu sein. Sie tastete nach oben, bis sie zur Decke kam, was in etwa eine Handlänge ihres Kopfes war: Obwohl es warm war, fühlte sie das Metall, als wäre es kalt. Sie tastete über die Decke alles ab: außer ein paar Einbuchtungen und irgendwelchen anderen Materialien konnte sie nicht ausmachen, wo sie sich befand. Und das, obwohl es ihr seltsam vertraut vorkam. Vielleicht war sie an einen Irren geraten, der sie nun lebendig in einen Sarg begraben hatte. So wie in den Krimi Folgen im Fernsehen. Ihr schauderte und sie fühlte die Angst in sich hochsteigen. „Ruhig, Luna, ganz ruhig!“ schoss es ihr durch den Kopf, „Wenn du in Panik gerätst, verbrauchst du nur mehr Sauerstoff und dann hast du nicht mal die Chance, dir etwas einfallen zu lassen! Gut, langsam atmen, langsam atmen.“ Sie griff nach der Fläche vor ihr und fühlte die Trägheit ihrer Bewegung. Der Widerstand, als wäre die Luft zähflüssiger Sirup. Nein, als wäre sie unter Wasser. Eine vollkommene Unmöglichkeit. Sie konnte sich nicht in einem Sarg befinden, der mit Wasser gefüllt war und in dem sie atmen konnte. Es sei denn, es waren ihr mal eben spontan Kiemen gewachsen! Sie schlug gegen die Wand vor sich. Da war ein Sog, so träge wie Wasser. Unmöglich! Ihre Hand ballte sich zur Faust, sie holte weiter aus. Erneut fühlte sie das Plastikartige auf ihrer Haut. Ein wasserartiger Widerstand beim Zuschlagen. Absolut unmöglich! Sie hob die andere Hand, zur Faust geballt und schlug noch heftiger darauf. Der Schlag wurde von der Substanz um sie herum aufgefangen, als würde sie unter Wasser paddeln. Das konnte nicht wahr sein! Sie begann panisch dagegen zu schlagen und fühlte, wie ihre Lungen zu schmerzen begannen. Sie hatte hier die ganze Zeit verbracht und dieses „Wasser“ geatmet. Sie hatte nicht bemerkt, wie schwer ihr das Atmen fiel. Sie hämmerte gegen das scheibenartige Ding. Das war kein Scheiß- Sarg! Das war ein Scheiß- Tank! Sie saß hier fest wie ein Goldfisch im Aquarium! Sie hämmerte, die „Scheibe“ begann zu vibrieren. Ging das Ding denn NIE auf? Sie begann zu treten, zusätzlich zum Hämmern. Die Bewegungen wurden allesamt geradezu zärtlich abgedämpft. Als würden die Schläge es verdichten und die Wucht dann auffangen. Was zur Hölle ging hier ab? Wieso zur Hölle passierte das? Ihr Zeh hieb kräftig gegen das Ding, doch anstatt des durchdringenden Schmerzes wurde er aufgefangen, als hätte sie ein Kissen getreten. Sie kämpfte gegen die Verzweiflung. Sie kämpfte gegen den Drang, weinen zu müssen. Wenn sie Tränen vergoss, würde es nur dazu führen, dass sie aufgab. Aber aufgeben hieß sterben. Und trotz ihrer Verachtung für den Kampf der Menschen, gegen das Vergessen in die Schlacht zu ziehen, war der Tod für sie keine Option. Sie fühlte, wie das Leben und ihr Drang nach Freiheit, nach der Welt jenseits dieses überdimensionierten Goldfischglases, übermächtig wurden. So schlug sie aus Panik, aus Verzweiflung, aus Überlebens- und Lebenswillen gegen die Wand und jeder Schlag wurde abgefangen von flüssigen Federn. Noch ein letzter Schlag- und sie wurde herausgerissen, fiel zusammen mit einem Schwall klebriger, widerlich gerinnender Flüssigkeit zu Boden. Schlug mit voller Härte auf den kalten Grund. Der Schmerz durchzog jeden einzelnen Nerv, als sie nach Luft schnappte. Sie hustete. Das Zeug hing fest wie Auswurf während einer Erkältung und widerte sie genauso an. „So,“ schoss es ihr durch den Kopf, „muss sich ein Neugeborenes fühlen, nach seiner eigenen Geburt.“ Ihre Hände zitterten, sie hörte sich schluchzen. „Nun steh schon auf und lieg nicht nur blöde in der Gegend herum!“ hörte sie eine Frauenstimme rufen, „Dein Elend kannst du später bejammern!“ Luna sah auf. Das Licht blendete sie und sie fragte sich, woher es kam. Für einen kurzen Augenblick dachte sie, dass weiße Mädchen wäre gekommen, um ihr zu helfen. Die Enttäuschung in ihr tat fast genauso weh wie das Atmen, als sie blonde Haare bemerkte. „Wer- wer bist du?“ krächzte Luna heiser und richtete sich mühevoll auf. Das gedämpfte, rot-orangene Licht tauchte die Blondine in eine rötliche Aura. Luna bemerkte die stahlblauen Augen und fand, dass sie für ein derartig tiefes Blau verdammt zynisch wirkten. „Louise.“ war die kurz angebundene Antwort. „Luna.“ die Rotblonde beugte sich vor und hustete sich die Seele aus dem Leib. „Luna Suzuhara.“ „So langsam muss das Zeug mal aus dir raus sein. Reiß dich einfach am Riemen und komm mit. Oh, und übrigens,“ Louise griff in ihren Gurt und drückte Luna eine kleine Handfeuerwaffe in die Hand. „Was soll ich damit?“ Das Krächzen aus Lunas Stimme hielt sich hartnäckig. „Schießen, natürlich!“ War die schnippische Antwort der blonden Schönheit und Luna sah sie irritiert an. „Luna Suzuhara: willkommen zurück! Du befindest dich jetzt im Krieg und auf der Flucht! Also schieß und lauf um dein Leben!“ Luna sah sie an, zitternd. Dieses orangerote Licht. Wo kam das überhaupt her? „Jetzt nimm schon und trödel nicht! Wir haben dafür absolut keine Zeit! Schieß auf alles, was sich bewegt!“ „Was, aber, ich hab das noch nie gemacht!“ stotterte Luna hervor. Die Heiserkeit ließ nach. Wie erfreulich! „Wo ist das Problem?“ Louise machte es vor: „Laden, Entsichern, abdrücken. Und jetzt los! Bevor die merken, was los ist!“ „Die?“ fragte Luna, bekam aber keine Antwort. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Raum, dorthin, wo sie gelegen hatte. Das Zeug glänzte auf dem Boden wie fest gewordener Sirup. Im orangenen Schimmer des Lichts konnte sie einen Gang sehen, der sich langsam nach oben und unten zu schrauben schien. Sie kam nicht dazu, sich weiter umzusehen, denn sie hatte zu viel Angst, von ihrer Retterin getrennt zu werden. So hatte sie nicht die Zeit, sich alles genauer anzusehen. Sie machte kehrt und rannte Louise nach. Einen Raum hinterlassend, der orange schimmerte. Ein Raum voller lebender Leichen.... *** „Scheiße!“ fluchte Louise leise und presste Luna an die Wand, um die Ecke schielend. Luna´s Herz klopfte bis zum Hals und ihre Kehle schnürte zu. Schritte. Entfernte Schritte. Stille. Sie fühlte die Anspannung ihrer blonden Retterin in deren festen Griff. Er schmerzte, ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Haut. Luna biss die Zähne zusammen. Sie war versucht, die Hand von sich zu ziehen, damit der Schmerz aufhörte, doch sie wagte es nicht: zu sehr fürchtete sie sich vor dem, was sie hören, aber nicht sehen konnte. Luna warf einen Blick in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Louise versperrte ihr die Sicht. Luna bemerkte die Nackenmuskeln, die wie eine Feder gespannt waren, die feinen Härchen, die sich aufstellten wie bei einer Raubkatze, die in der Dunkelheit auf den Moment wartet, loszuschlagen. Die blonden Haare, die streng hochgesteckt waren und den Blick erst ermöglichte. Ein paar störrische Strähnen, die sich nicht um den filigranen Haarknoten scherten. Luna bemerkte, dass Louise gehörig größer war als sie, vielleicht ein oder zwei Köpfe mehr. Luna wurde erneut heftig gegen die Wand gepresst und diesmal konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. Zum Henker, wie kann man als Frau nur derartig hart zupacken?! Plötzlich war die Hand weg und wie eine Feder schnellte Louise nach vorn. Luna hörte nur drei Schüsse und einen plumpen Aufprall, bevor sie wagte, aus ihrem Versteck zu kommen. Sie erstarrte, als sie die Gestalten sah, die mit Kopfschüssen auf dem Boden lagen. Urplötzlich kam ihr das alles wie ein Fiebertraum vor. Genau! Das musste es sein! Sie war krank und lag gerade mit hohen Fieber im Bett! Wahrscheinlich war sie gerade dabei zu verrecken, wenn sie schon derartig halluzinierte! So einen Scheiß wie diese Gesichter in ihrem Blut konnte sie nicht auf normalen Weg träumen! Wenn doch, musste sie sich nach dem Aufwachen DRINGEND selbst einweisen! Luna sah weg, doch das Bild hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. So menschlich. Und dann doch irgendwie nicht. „Jetzt beeil dich mal, die haben mitbekommen, dass wir frei rumlaufen! Los! Und schieß, wenn du einen siehst!“ Luna konnte den Befehl raushören. Sie wollte darauf antworten, als sie ein leises Summen hörte. „OH SCHEISSE; VERDAMMTER!“ Luna fühlte plötzlich, wie Louise fast panisch nach Luna´s Hand griff und dann losrannte. Auf die Art stolperte Luna der Blondine eher hinterher als wirklich zu rennen. Louise stoppte an einer Wand und begann, ihr ganzes Magazin darauf zu ballern. Es bildete sich ein Loch und Louise riss es mit einem Messer auf, bis beide bequem durchlaufen konnten. Die schwarze Ödnis dahinter wirkte eher weniger einladend als Louise´s brutaler Stoß, offenbar eine besondere Form einer zärtlichen Aufforderung... Luna kam gar nicht erst dazu, sich darüber aufzuregen, der freie Fall löste in ihr eher die Angst vor dem Aufprall aus und zwar bis sie bemerkte, dass ihr Hinterteil in Permanenz an etwas schuffelte. Das Gefühl hatte etwas von Gleiten auf Wasser, dass eine Rutsche entlang fließt. Und Luna fürchtete den Stop nun noch mehr als den vorher vermuteten freien Fall. „SCHIESS!“ brüllte Louise plötzlich hinter ihr. „Gerade aus! Schieß doch!“ Luna erinnerte sich an die Waffe in ihrer Hand und hob sie zitternd hoch. Obwohl die Waffe vielleicht nicht einmal ein halbes Kilo wiegen mochte, wog sie schwer in Luna´s Händen. Sie drückte ab, der Rückstoß knallte ihr die Waffe beinah ins Gesicht. Sie umfasste sie beim zweiten Schuss zusätzlich mit der linken Hand und drückte nochmal zitternd ab. Und nochmal. Und nochmal. Sie hörte dabei jemanden panisch schreien und merkte erst beim Klicken ihres leeren Magazins, dass sie es selbst war. Sie zitterte. Der Kloß in ihrem Hals schoss zurück, wurde jedoch wieder nach unten geschüttelt, als sie eine Hand in ihrem Nacken fühlte. Louise hatte an Geschwindigkeit gewonnen und griff nun nach Luna, um ihren letzten, großen Schuss abzufeuern. Wo auch immer sie diesen Mini- Granatenwerfer in der Größe einer abgesägten Schrotflinte hatte und wieso auch immer sie so ein Ding mit sich herumschleppte: Louise bedankte sich mit SICHERHEIT bei dem Entwickler, als sie abdrückte und die Wucht des Schusses ihren Arm ein ganzes Stück nach hinten Krachen ließ, auf den Boden, auf dem sie schlitterten. Der Schlag wurde von der Waffe selbst abgefangen und Luna konnte Licht sehen. Licht aus dem Loch, das die Granate gefetzt hatte. Wo war die Explosion geblieben?- schoss es Luna durch den Kopf. Aber die Antwort auf die Frage konnte sie sich nicht geben, denn sie schoss durch das Loch und kreischte auf, als sie sah, dass sie sich fast fünf Meter über dem Boden befanden. Der Aufprall war hart und sie hätte sie sicher ein oder zwei Knochen gebrochen, wenn der Abhang sie nicht zum Abrollen genötigt hätte. Sie kullerte ein Stück weit über den Grashügel, bevor sich benommen aufrichtete und nach oben sah. Und erstarrte. „Unmöglich...“ murmelte sie vor sich hin. „Zur Hölle, glotz nicht, LAUF!“ Louise kam auf sie zu gerannt und lud eine Miniaturgranate in ihren Miniaturgranatenwerfer. Luna war wie versteinert: „Unmöglich, absolut unmöglich!“ Wieder der feste Griff von Louise. Wieder fühlte sie sich gezerrt und gezogen. Wieder hatte Luna das Gefühl, mehr zu stolpern als zu rennen. Doch diesmal sah sie über ihre Schulter. Sah, woher sie kamen. Sah, wo sie vorher waren. Wie aus einer anderen Zeit und wie aus der Fantasie eines kranken Autors flog es davon. Langsam. Lautlos. Wie ein Raubtier, dass man die Beute abgejagt hatte, aber das wiederkommen würde, um sich zu holen, was ihm zustand. Luna wagte nicht mal in Gedanken das auszusprechen, was doch so offensichtlich war. Sie drehte sich in die Richtung, in die sie rannten und ihr Verstand klinkte sich aus. Wie aus weiter Entfernung bekam sie noch einen Van mit, dessen Türen aufrissen und in dem sie geradezu geschleudert wurde. Sie blieb auf der Rückbank liegen, als der Wagen davon düste und bemerkte nicht einmal, wie sehr sie zitterte und weinte.... ***** Es wurde bereits wieder Morgen, als der Van ruckelnd und zuckelnd auf einem Feldweg zum Stillstand kam. Luna wurde nicht einmal wach, als die Tür geöffnet wurde. „Isse ganz beisammen?“ Oz sah besorgt zu seiner Partnerin und Chefin. „Das ist der Schock. Und die Nachwirkungen von dem Zeug, dass sie da geben.“ „Narkosemittel? Du bist mit ihr durch das ganze Ding gerannt und dann auch noch durch den halben Wald und du sagst mir was von Narkosemitteln???“ Oz betrachtete sie, als hätte sie nicht mehr alle Schokostücke im Keks. „Adrenalin. Panik. Überlebenswillen. Meinetwegen auch verzögerte Reaktion. Nenn es, wie du es willst. Du kannst jetzt nur noch hoffen, dass sie aufwachen will!“ Louise setzte sich auf einen Sitz in der Reihe dahinter. „Was soll´n das heißen?“ Oz kramte im Kofferraum nach einer Kühlbox und nahm eine Flasche Wasser raus. „Sie wurde gefangen genommen, entführt, in einen der Tanks gesteckt, verfolgt, hat sie gesehen und fiel dann auch noch aus dem Ding raus. Wenn sie jetzt angefangen hat, sich panisch in den Kaninchenbau zurückzuziehen, wird sie wahrscheinlich bei ihrem Aufwachen psychisch komplett durch sein.“ Louise nahm die Flasche entgegen, öffnete sie mit einem Zischen und trank einen Schluck. „Es wär ein abgefucktes Wunder, wenn sie´s NICHT ist!“ fluchte Oz. „Schau sie mal an, wegen Sendern, Verdrahtungen, Verletzungen und son Kram.“ „Deine Fürsorge ist geradezu herzzerreißend, Oz!“ gab Louise zynisch kund, „Zuerst die Sender und den Schrott kontrollieren, egal, wenn sie draufgeht oder was?“ Oz murrte einen leisen Fluch, „Das hab ich verstanden, Oz.“ Louise fixierte ihn mit ihren stahlblauen Augen. „Ich bin vielleicht keine Türkin, aber ich verstehe eine Reihe Türkischer Flüche.“ „Sag Danke, Louise!“ „Wenn du dir `nen Hut kaufst, auf dem steht und das Zaubern anfängst! Gib den Verbandskasten her und destilliertes Wasser!“ Oz stellte den Kanister mit dem Wasser vor sie und fingerte nach dem Verbandskasten: „Was machen wir nun mit ihr? Nehmen wir sie mit oder bunkern wir sie irgendwo?“ Louise schwieg, mit der Flasche an der Lippe und betrachtete die Schlafende. „Sie wird schon genug Probleme mit ihrer Lebenssituation haben. Da brauch sie nicht noch eine Rotte von Leuten, die ihr beim Pinkeln zusehen. Aber solange sie nicht aufwacht, wäre es vielleicht ganz gut, sie unter Beobachtung zu stellen. Oder zu bunkern, wie du es nennst.“ „Ich denke, das wird auch sehr nötig sein. Du hast ihnen ihr Goldstück weggenommen. Die werden sich´s wiederholen wollen. Ich mein, was sollen wir machen, wenn sie uns finden? Es sind Aliens! Kleine grüne Männchen!“ „Blau.“ Louise sah zu Boden, Blick hatte sich verfinstert. Die Flasche knackte unter dem Druck der Hand, die sich mit zunehmender Festigkeit darum schloss. „Sie sind blassblau. Als würde der Himmel ausbluten...“ „Meinetwegen halt Blau!“ Oz wirkte sichtlich beunruhigt, „Es ist ´ne gute Idee, denen in die Suppe zu spucken, aber um Himmels willen, wir brauchen langsam einen PLAN! Wir können nicht ewig so rum krebsen!“ „Oz, Was denkst du, was passiert, wenn ich mal so mir nichts dir nichts auf eigene Faust losbreche und anfange, ernsthafte Gegenmaßnahmen zu ergreifen, hm?“ Louise sah auf, ihre blauen Augen waren ernst und hatten einen Glanz, dessen Bitterkeit an Grapefruits erinnerte, „Diese fetten Säcke von oben werden uns ERST den Hahn abdrehen, DANN vorbeikommen und so viele von uns töten, wie nur geht und mir DANACH mitteilen: ihr gegenüber nicht schon oft genug erwähnt!“ stieß Louise zynisch aus. Es herrschte kurze Stille und man sah, wie es gegen Oz´ Zwerchfell hämmerte: „Wort mit ? Was kann das sein? Hmmm…ALF?“ Luna betrachtete beide, als wären sie aus dem Irrenhaus entflohen. „Oh, ja! Am besten, ich grille eine Katze!“ erbrach Luna sarkastisch, „Oder wir holen ein Telefon, damit E.T. nach Hause telefonieren kann! Und als nächstes wollt ihr mir von den Illuminati erzählen, die die Weltherrschaft an sich gerissen haben! Und alle Präsidenten und Staatsoberhäupter haben kleine grüne Männchen im Kopf, die ihnen zuflüstern, das die Illuminati nicht existieren!?“ rief Luna in ihrem Sarkasmusanfall aus. „Genauso isses!“ bestätigte Oz. Es kostete ihn Mühe, das Lachen zu verschlucken, als er den Zerfall von Luna´s Gesichtszügen sah. „Oz! Hör auf sie zu ärgern. Natürlich haben die Illuminati nicht die Weltherrschaft an sich gerissen.“ Louise konnte nicht anders, als mitzumachen. „Aber ihr wollt mir sagen, dass kleine grüne Männchen in den Köpfen der Staatsoberhäupter existieren, ja?“ Luna wurde zynischer. „Natürlich NICHT Liebes.“ war Louises, diesmal ehrliche Antwort. „Dann hat sich das mit den „Aliens“ für mich erledigt!“ rief Luna angepisst aus und drehte sich um. „Denn sie sind blau!“ Oz hatte gerade seinen Spaß. Luna verzog sichtlich den Mund und sah ihn mit einem ihrer tödlichen Blicke an. Es war jedoch nicht ihr Blick, der ihn zur Räson brachte, sondern eine kurze, kaum merkliche Handbewegung von Seiten Luise´. „Von mir aus gerne.“ hub diese an, „Aber eine Frage musst du dir stellen, Liebes.“ Luna blieb stehen: „Was denn noch?“ „Wen von uns dreien hab ich vor nicht weniger als zwei Stunden aus einem Tank gezogen, der bis oben angefüllt war mit oxygenic amniotic fluid gel? In einem Raum, in dem sich wahrscheinlich MILLIONEN von den Dingern befinden? Und ist dann panisch schießend aus einer Luke gerutscht, in einer Dreckpfütze landend.“ Luna war erstarrt. „Du hast es doch auch gesehen, das Ding, das es auf einmal sehr eilig hatte, wegzukommen? Sah das, was du gesehen hast, auch nur in IRGENDEINER Form aus, als käme es von hier? Und selbst WENN es ein geheimes Projekt der Regierung wäre: Welchen SINN würde es machen, Mädchen wie dich zu entführen und sie in einen Tank zu sperren? Wenn die Welt untergehen würde oder irgend so ein Scheiß, dann würden sie die Plätze ja wohl eher an den Meistbietenden verkaufen und nicht wie im Discounter mitnehmen, was sie kriegen könnten, nicht wahr?“ „Es ist unmöglich.“ Luna drehte sich um, mit einem finsteren Ausdruck im Gesicht, „So logisch es auch erscheint, es ist genauso unmöglich wie ein Perpetuum Mobile!“ „Ist es nicht. Ein Perpetuum Mobile widerspricht den Naturgesetzen. Aber dass andere, intelligente Lebensformen im Universum existieren, ist kein Widerspruch gegen besagte Gesetze. Wären wir die einzige existente, intelligente Lebensform in diesem Universum, dann wären wir ein Widerspruch gegen die Gesetze der Natur, weil wir dann eine Ausnahme zur Bestätigung der Regel wären. Aber das Leben ist genauso fließend und darum bestrebt, sich zu erhalten wie Wasser. Wenn du mich fragst,“ sie stand auf, „ist es arrogant und töricht DAS zu verleugnen, was OFFENSICHTLICH ist. Und offensichtlich, Liebes, ist nun mal, dass ich dich aus einem Scheiß-Tank in einem Scheiß- Raumschiff geholt habe, während Scheiß-Außerirdische versucht haben, mich umzubringen und dich in diesen Scheiß-Tank zurückwerfen wollten. Dir steht frei, zu glauben, was du möchtest: Aber ich wär´ vorsichtig damit, zu verleugnen, was dir unbequem ist!“ Luna zögerte sichtlich. „Was ist das?“ fragte sie schließlich. „Was?“ Oz sah sie an. „oxi-dingsda fluid gel.“ war die Antwort. Luna strich sich nervös ihre Arme entlang. „oxygenic amniotic fluid gel. Das ist eine besondere Flüssigkeit. Sie ist dem Fruchtwasser nachempfunden, nur mit dem Unterschied, dass man es atmen kann. Man ertrinkt nicht.“ „Wie ein Fötus in der Fruchtblase.“ „Nun, das nicht gerade. Wären die Lungen entfaltet, würde das Kind wohl auch ertrinken.“ Luna dachte nach: sie erinnerte sich an eines der Bücher, die sie gelesen hatte, als Kind: Sobald das Kind seinen ersten Atemzug tat, wurde der Blutkreislauf umgeleitet und die Blutgefäße in der Nabelschnur zugemacht. Ähnlich einem Ventil. Sie erinnerte sich daran. Instinktiv aber fühlte sie, dass sie wahrscheinlich nicht mal die Hälfte stimmte. „Wenn Taucher in großen tiefen tauchen,“ fuhr Oz fort, „gibt man ihnen statt komprimierter Luft eine sauerstoffreiche Flüssigkeit mit. Der Druckausgleich ist dadurch in der Lunge besser möglich und sie implodiert nicht. oxygenic amniotic fluid gel ist etwas ähnliches. Nur mit einer Besonderheit: setzt man es Druck oder Schlägen aus, wird es zu einer gelartigen Substanz verdichtet. Und zwar für die gesamte Dauer, die nötig ist, um die daraus entstehende Kraft abzuleiten. Du hast doch sicher mal von einer Mischung aus einer bestimmten Menge von Maisstärke und Wasser gehört.“ Oz sah das rotblonde Mädchen fragend an. Sie schüttelte mit dem Kopf: „Kurz gesagt, die Maisstärke erhöht die Oberflächenstruktur des Wassers. Und zwar so sehr, dass du darauf laufen kannst. Wenn du drüber rennst, kommst du sicher ans andere Ende an. Läufst du langsam oder bleibst stehen, versinkst du. oxygenic amniotic fluid gel verhält sich ähnlich. Obwohl es kein GEL ist, sondern eine FLÜSSIGKEIT; deren Molekularketten sich bei Schlägen und Stößen verdichtet und damit verlängert werden. Je länger die Kette und je dichter die Atome zusammengedrängt sind, desto der Aggregatzustandes eines Stoffes. Alles klar?“ Luna bejahte, oder besser, sie nickte: ihr Kopf explodierte bei all den Informationen. „Das kommt,“ hub Louise an, während sie sich eine Zigarette drehte, „so in etwa hin, Oz.“ „Ich sag´s nochmal und ich werd´s immer wieder sagen: die werden dich umbringen.“ „Besser, ich töte mich selbst als wenn DIE es tun.“ Sie steckte sich das Ding in den Mund und zündete es an. Oz seufzte: „Jedenfalls sollten wir so langsam zurück.“ „Zurück? Wohin?“ Luna war sichtlich in Abwehrhaltung gegangen. Schön, sie wussten, was in ihrem Kopf passiert war. Aber das Ganze war auch nur ein Traum, eine Einbildung sein. Da war es ganz normal, dass Fremde in die Köpfe anderer schauen konnten. „In Sicherheit. Ich habe keine Lust, den Scheiß nochmal durchzumachen!“ grollte Louise, „Einsteigen! Kopf runter! Meinetwegen schlaf ne Runde, ist mir auch recht!“ „Klar, ich glaube ganz fest daran, dass es Außerirdische gibt und steige dann, mitten in einem Wald, in einen Van und klemme den Kopf zwischen meine Beine.“ fauchte Luna und ging ein paar Schritte zurück. Wachte sie noch nicht auf? Louise sah zu Oz. Noch bevor sie etwas sagen konnte, war er mit ein paar Schritten direkt neben ihr und briet Luna eine derbe Kopfnuss über. „AUTSCH!“ sie ging in die Hocke und hielt sich den Kopf fest, mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Es HAT also wehgetan, ja? Und du bist immer noch hier! Also isses kein Traum! Rein ins Auto!“ Luna beschloss, nachzugeben. ERSTMAL! Wer weiß, was diese Spinner sonst noch taten... Hier draußen, allein mit ihr im Wald.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)