Twilight State von Nekoryu ================================================================================ Kapitel 1: Ordinary I --------------------- Es war Nacht. Wie jede Nacht schien die Stadt aus einem Zustand ewiger Trägheit zu erwachen, die sie mit dem geschäftigen, fast schon chaotischen und unkoordinierten Treiben auf ihren Straßen zu kaschieren suchte. Doch erwachte diese in erster Linie nicht auf den Straßen- wenngleich die Lichter und eine seltsam gelassene Geschäftigkeit unter ihnen den Eindruck zu vermitteln versuchte. Sie erwachte in schummrigen, halb dunklen, ewig vollen und dröhnenden Tempeln, in denen die Gläubigen sich mit Alkohol, den lautstarken, fast pulsierenden Klängen mit Leib und Seele einer Ekstase hingaben, welche jene staubige Trägheit des Tages aus ihren nach Abwechslung hungernden Herzen wusch. Obgleich die Hundertschaften in einem dieser Tanztempel (welcher sich nicht von hunderten anderen unterschied) wohl nie lebendiger ausgesehen hatten, waren sie im Auge eines möglichen Betrachters nichts weiter als still schreiende, gegen das Vergessen und Verschwinden ihrer Existenz antanzende, zappelnde Schatten ihrer selbst. Die Nacht hatte ihnen kein Leben gebracht: nur einen anderen, tief sitzenden Schmerz. Und das ekstatische Lächeln in ihren Gesichtern war nichts als eine Nebenwirkung der Morphine, mit denen sich ihre sterbenden Seelen von der harten Wirklichkeit abzulenken versuchten. Die Gestalt hatte aufgehört zu tanzen. Schon lange. Dem Alkohol, der hier in Strömen floss und den Schmerz betäubte, hatte sie schon lange entsagt. Der widerliche Geschmack, den sie verspürte, wenn sie ihn trank UND die Menge, die sie brauchte, um IHREN Schmerz zu vergessen, waren ihr zuviel des Preises, den sie zu zahlen hätte. Außerdem: vom Geschmack her war Wasser für sie nichts anderes. Und so trank sie Wasser. Die Konsequenzen dafür erschienen ihr weitaus erträglicher. Es war ein langer Tag gewesen. Die Gestalt betrachtete die Ironie dieser Aussage mit einem zynischen, fast spöttischen Lächeln. Ein langer Tag. Ein langer Tag, der 24 Stunden hatte. Schon immer hatte und wohl auch haben würde- sollte die Welt nicht irgendwann beschließen, ihre Existenz mit all den anderen Subjekten, die sich auf ihr befanden, zu beenden. Aber das würde in eher unabsehbarer Zeit geschehen. Sie griff nach dem Glas und spülte sich den letzten Gedanken die Kehle hinunter ohne den Blick von der zappelnden Menge abzulassen. Der Blick war, wenngleich fast ausdruckslos und hohl, mit einem deutlichen Glanz Hohn und Zynismus angefüllt, in denen sich die Lichter der Tanzfläche ebenso widerspiegelten wie die Tanzenden selbst. Da die Gestalt das Tanzen vor langer Zeit aufgegeben hatte, hatte man in einer ebenso langen Zeit aufgehört, Notiz von der Gestalt zu nehmen. Ebenso, wie die Gestalt aufgehört hatte, etwas anderes als eine breite, wabernde Masse verzerrter Gesichter falscher Glückseligkeit zu sehen. Hin und wieder kam es vor, dass sie einem Teil aus dieser gigantischen inmitten eines pulsierenden Lichtes auffiel. Es kam vor, das sie jemand ansprach- doch war dies der Moment, in dem einen anderen Betrachter die weite Zwiespältigkeit aufgefallen wäre, gäbe es einen anderen Betrachter als die Gestalt. Wenn die Gestalt überhaupt auf den Annäherungsversuch reagierte, so tat sie es mit einem leisen Murren und einer Handbewegung, als würde sie eine lästige Fliege abschütteln. Ihr beflissentliches Ignorieren und ihr Unmut, welche ein deutliches Gefühl eines Abgrunds zwischen beiden erzeugte, taten ihr übriges und so verschwand die Gestalt wieder am Rand des Geschehens, das Geschehen beobachtend. Wie ein Naturkundler, der eine Herde Gnus oder Zebras beobachtete. Nur, dass Gnus und Zebras für gewöhnlich nicht als zappelnde, ekstatische und berauschte Schatten freudig in der Masse untergingen. Das Glas, das die Gestalt hielt und leer getrunken hatte, wurde auf den Tisch gestellt und die genervte Geste, welche die Genervtheit damit offen kund tat, zeugte von dem Unwillen, dem Treiben noch länger zu zusehen. War es schon so spät? Oder so früh? Der flüchtige Blick auf eine Digitaluhr, halb versteckt hinter der Theke, verriet der Gestalt, dass die ersten dreieinhalb Stunden des neuen Tages bereits vorüber waren. Es war tatsächlich Zeit zu gehen. Die Gestalt erhob sich, missmutig, sich den Gesetzen von irgendwas unterwerfen zu müssen und legte einen Schein, ihr Glas und eine Nummer mit einem Zettel auf die Theke und ging- Ohne eine Reaktion der Bedienung abzuwarten. Ging, die Treppe hinauf, durch die Tür und gab den „Guten Heimweg und gute Nacht“- Gruß des Türvorstehers mit einem perfekt gespielten, aber bedeutungslosem Lächeln und einem „Vielen Dank, Ihnen einen angenehmen Feierabend!“- Gruß zurück, bevor sie in einer langsam wimmelnden Masse aus Passanten verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)