The Sea Is Calling von Micci_ (Tokimeki Heartbeat) ================================================================================ Prolog: Die Legende der kleinen Meerjungfrau -------------------------------------------- Bei Sonnendämmerung, in einer kleinen Seehütte an der Küste von Hanegasaki, saß ein alter Mann in seinem Schaukelstuhl. Auf seinem Schoß thronte ein Junge, gespannt darauf wartend, welche Geschichte er dieses Mal von seinem Großvater erfahren würde. Nach einem kurzen Räuspern, begann der alte Mann schließlich zu erzählen. „Die Geschichte, die ich dir heute erzählen möchte, ereignete sich an einem idyllischen Strand, ganz wie dieser hier. Der Sonnenuntergang hatte die Szenerie in leuchtend orange-rotes Licht gehüllt und nahe dem Meeresufer saßen zwei Kinder. Ein Junge hielt die Hand eines weinenden Mädchens und sah es fragend an. ‚Warum weinst du denn? Hey, bist du eine Meerjungfrau?‘ Das Mädchen antwortete nicht, doch ihre Augen, ruhig wie der Ozean, sprachen mehr als Worte. Und so geschah es, dass sich der Junge und das bildschöne Mädchen, die sich einst am Strand kennenlernten, ineinander verliebten.“Der alte Mann wurde auf einmal von seinem Enkel unterbrochen, der begann einen Teil der Geschichte preiszugeben. - „Das Mädchen war eine Meerjungfrau. Deshalb konnte sie als Mensch nicht sprechen!“ „Hey, verrate nicht die ganze Geschichte!“ „Entschuldigung.“Nach einem Moment der Stille, fuhr der alte Mann schließlich fort. „Die herzlosen Bewohner fanden dies bald heraus. Und so musste die Meerjungfrau ins Meer zurückkehren. Doch anstatt Lebewohl zu sagen, küssten sich die beiden. Sie glaubten fest daran, dass sie sich eines Tages am Strand wiedersehen würden. Seit diesem Tag, verbrachte der Junge seine Zeit täglich am Strand und sah auf den weiten Ozean. Schließlich, in einer mondhellen Nacht, segelte der Junge ins Meer hinaus, fest entschlossen, die Meerjungfrau zu finden. Und er kehrte nie zurück.“ Der alte Mann beendete die Geschichte schließlich und sah seinen Enkel mit gewohnt ruhigem Blick an. Dieser war noch immer fasziniert von der Legende der Meerjungfrau, obwohl er sie zuvor schon etliche Male von seinem Großvater gehört hatte und blickte nun gedankenverloren nach draußen, wo sich ihm ein leuchtender Sonnenuntergang bot. „Aber ich werde sie ganz bestimmt finden, damit wir uns an diesem Strand wiedersehen können“, sagte er entschlossen zu sich, als wäre er selbst der Junge aus der Legende. „Also sei nicht traurig!“ Kapitel 1: Sinneswandel ----------------------- Mit melancholischem Blick sah ich auf das Meer hinaus. Eine sanfte Brise wehte mir ins Gesicht und umspielte meine braunen, schulterlangen Haare. ‚Unglaublich, wie schön es hier ist. Und die Meeresluft ist auch ziemlich erfrischend‘, ging es mir durch den Kopf. Eigentlich wollte ich nur ein wenig spazieren gehen, doch schließlich war ich an diesem erstaunlichen Ort gelandet. Seit ein paar Tagen wohnte ich jetzt wieder hier in Hanegasaki und war geradezu beeindruckt von dieser küstennahen Gegend. Man sollte meinen, irgendwann hat man sich an allem satt gesehen, wenn man schon einmal hier gewohnt hat, doch meine damalige Zeit hier in diesem Ort liegt bereits 8 Jahre zurück. Ich konnte mich nur vage an meine Kindheit in Hanegasaki erinnern und überhaupt war ich ein Mensch, der stets nach vorn blickte, anstatt zurück zu sehen. Heute sollte die Einweihungszeremonie der Erstklässler stattfinden, zu denen auch ich gehörte. [Hinweis: In japanischen Oberschulen werden die Schüler in Erste, Zweite und Dritte Klasse eingeteilt.] Ich, Nagisa Shimizu, ging ab heute an die Hanegasaki Akademie. Das Leben als Oberschüler konnte nur Gutes für mich bereithalten. Davon war ich überzeugt. Schon die Tatsache allein, endlich an die Oberschule gehen zu dürfen, löste Glücksgefühle in mir aus, obwohl ich es noch nicht ganz realisiert hatte. Gedankenverloren stand ich noch immer am weißen Sandstrand von Hanegasaki und hatte glatt die Zeit vergessen. Ich musste mich langsam auf den Weg zur Schule machen, was allerdings eine Herausforderung darstellte, da mir eben dieser nicht bekannt war. Unsicher schaute ich mich nach links und rechts um. ‚Ah, da drüben ist ein Gebäude‘, fiel mir plötzlich auf. ‚Frage mich, ob dort jemand wohnt.‘ Instinktiv folgte ich also dem gepflasterten Pfad, der direkt vom Strand bis zu einem weißen Haus mit blauem Dach führte. „Sangosho“, las ich schließlich leise von einem großen blauen Schild, welches dort an der Hauswand hing. Das war das Erste gewesen, was mir spontan ins Auge sprang, als ich das Gebäude erreicht hatte. ‚Hmm, sieht wie eine Art Geschäft aus‘, überlegte ich, während mein Blick noch immer an dem Ladenschild haftete. Als sich die Ladentür vor mir plötzlich einen Spalt breit öffnete, fuhr ich vor Schreck leicht zusammen.Durch den Spalt konnte ich nun, zu meiner Überraschung, einen blonden jungen Mann erblicken. Er trug ein weißes Hemd und hatte ein blaues Halstuch umgebunden. Er war in der Tat nicht unattraktiv und fiel, in meinen Augen, in die Kategorie Surfertyp. Scheinbar hatte er nicht Notiz von mir genommen, denn sein Blick wandte sich in eine andere Richtung. ‚Also wohnt hier jemand', stellte ich schließlich überrascht fest, konnte mir aber dennoch kaum vorstellen, dass jemand in einem kleinen Haus wie diesem wohnen konnte. Während ich nachdachte, fiel mir auf einmal auf, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt hatte. Und obwohl es sonst niemand, außer mir selbst, bemerkt hatte, war es mir dennoch peinlich. Wie lange musste ich ihn schon angesehen haben? Jedenfalls konnte es keine Ewigkeit gewesen sein, da er noch immer zur Tür hinaus spähte. Wahrscheinlich wäre er ein gutes Motiv für ein Stillleben gewesen. Zumindest schien die Zeit für mich stehen geblieben zu sein. Irritiert von der Tatsache, dass mich gerade ein einziger Anblick gefesselt hatte, zwang ich mich, wieder zur Besinnung zu kommen. ,Ich sollte jetzt besser gehen', beschloss ich und wollte mich auf den Weg machen. Doch kaum hatte ich mich umgedreht und einen Schritt getan, blieb ich plötzlich abrupt stehen. ‚Wo liegt eigentlich diese Schule?‘, fragte ich mich, unschlüssig darüber, welche Richtung ich nun einschlagen sollte. Zugegeben, ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Mein Blick fiel zurück auf das kleine, beschauliche Haus mit der Aufschrift „Sangosho“. ‚Sollte ich besser jemanden nach dem Weg fragen?‘ Die Einweihungszeremonie begann bald und wenn ich mich jetzt nicht beeilte, würde ich mit Sicherheit zu spät kommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als jemanden hier um Hilfe zu bitten. Zögernd ging ich langsamen Schrittes auf die Eingangstür zu. Doch noch bevor ich sie erreichte, öffnete sie sich plötzlich und ein Junge stand nun direkt vor mir. „Ah!“ Ein erschrockener Laut entfuhr mir, als ich den blonden jungen Mann von vorhin wiedererkannte. Nicht, dass mich seine Anwesenheit allein verschreckt hätte, jedoch war ich nicht darauf gefasst gewesen, jemandem so unverhofft zu begegnen. Er trug noch immer dasselbe weiße Hemd mit demselben blauen Halstuch, aber etwas an ihm war anders. Seine Haare waren penibel nach hinten gegeelt, so dass ihm nun keine einzige Strähne mehr ins Gesicht fiel. Scheinbar stand mir die Verwunderung über seinen plötzlichen Wandel förmlich ins Gesicht geschrieben. Jedenfalls wirkte er, als fühle er sich nicht wohl dabei, so angeschaut zu werden. Argwöhnisch und offenbar leicht entnervt von meinen neugierigen Blicken, musterte er mich von Kopf bis Fuß. „Ehem“, räusperte er sich und versuchte wohl gerade, sich zu fassen. „Möchtest du in den Laden?“, fragte er schließlich überraschend höflich. Sein Gesicht hatte auf einmal einen ungewöhnlich entspannten Ausdruck angenommen. Sogar ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Doch irgendwas sagte mir, dass etwas daran nicht stimmte. „Uhm, ich hab mich verlaufen“, antwortete ich leicht beschämt, „Könntest du mir vielleicht den Weg zeigen?“ „Du bist nicht von hier?“, wollte er wissen und verhielt sich noch immer sehr förmlich. „Ich bin als Kind mal hier gewesen, aber…“ „Mhm, verstehe.“ Mit einem Mal wurde sein Blick wieder ernster. Jetzt machte er einen geradezu entkräfteten Eindruck. Was war bloß mit ihm los? Er schien seine Stimmung von Minute zu Minute zu ändern. „Huh?“ Dieses launenhafte Verhalten, das er an den Tag legte, irritierte mich. „Ich bin es leid von morgens bis abends durchweg zu lächeln. Genug geschlafen habe ich auch nicht.“ Seine gnadenlos ehrliche Antwort hatte mich sprachlos gemacht. So wie es aussah, gehörte er zum Personal dieses Geschäfts. „Also, worum ging es nochmal?“ „Uhm… der Weg…“ „Achso, stimmt. Wenn ich den Müll hier rausgebracht habe, zeichne ich dir einen Plan zum Bahnhof. Von da aus solltest du selbst zurechtkommen.“ „Uhm, okay…“ Stille trat ein und ich war mir nicht sicher was sie zu bedeuten hatte. Verunsichert versuchte ich an irgendeiner Regung in seinem Gesicht zu erkennen, was Sache war. Es hatte den Anschein, als würde er auf etwas Bestimmtes warten. Doch noch bevor ich mir der Lage bewusst wurde, begann er zu reden. „Geh zur Seite. Ich kann den Müll nicht wegbringen, wenn du im Weg stehst.“ „Was? Ah! Tut mir leid!“ Unbeholfen stolperte ich beiseite. Ich kam mir ziemlich fehl am Platz vor. Seine groben Worte waren etwas, das ich nicht gewohnt war. Wahrscheinlich hatte ich ihm nun mit meiner Verpeiltheit den letzten Nerv geraubt. Doch ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er an mir vorbei, zu einem Müllcontainer, der sich ebenfalls auf dem Grundstück befand und beförderte einen großen Beutel hinein. Als er das erledigt hatte, steuerte er geradewegs auf das Haus zu, verschwand drinnen und kam nach einer Weile mit einem selbstgezeichneten Plan zurück. Ich bedankte mich noch kurz bei ihm und ging schließlich, mit dem Plan bewaffnet, los. Schon von Weitem konnte ich nun das Schulgebäude erblicken und mit jedem Schritt spürte ich, wie die Freude in mir größer wurde. Außer mir machten sich auch andere Schüler der Hanegasaki Akademie auf den Weg. Dass sie meiner Schule angehörig waren, konnte ich an ihren Schuluniformen erkennen. Denn auch ich trug nun eine Uniform. Meine gewohnte Kleidung hatte ich schon unterwegs auf der Bahnhofstoilette durch ein langärmliges, graues Kleid mit weitem, weißem Kragen und eine schwarze Strumpfhose ausgetauscht. Ich atmete einmal tief durch und ging dann geradewegs auf das Schultor zu. Jede Menge Schüler, Lehrer und auch Eltern hielten sich bereits auf dem Vorhof auf und unterhielten sich miteinander. ‚Die Hanegasaki Akademie… Das ist also die Schule, auf die ich ab jetzt gehen werde‘, dachte ich zuversichtlich. Schon allein die modern wirkende Einrichtung sah sehr vielversprechend für mich aus. Ich hielt einen Moment vor dem Schultor inne, um den neuen Eindruck auf mich wirken zu lassen. Während ich die vorbeigehenden Schüler beobachtete, bemerkte ich plötzlich inmitten der Menschenmenge ein mir bekanntes Gesicht. ‚Eh? Ist das nicht der von heute Morgen?‘ Er schien mich ebenfalls erkannt zu haben, denn sofort blieb er vor mir stehen und sah mich entgeistert an. Auch er trug die Uniform der Hanegasaki Akademie - einen elegant grau gehaltenen Anzug mit weißem Hemd und brauner Krawatte, und in seinen Haaren war keine Spur von Haargel mehr zu erkennen. Einzelne Strähnen fielen ihm wie zuvor in sein makelloses Gesicht, das nun einen verwirrten Ausdruck angenommen hatte. „Ah! Du bist es!“, platze es aus mir heraus. „Du bist also ein Oberschüler?“ „Komm mal für eine Sekunde mit“, raunte er mir zu und runzelte die Stirn. Ihm war sichtlich unwohl zu Mute. Scheinbar fühlte er sich auf irgendeine Weise beobachtet. Ich verstand nicht im Geringsten was er von mir wollte, folgte ihm aber dennoch wortlos in den Hinterhof. Hier war es, im Gegensatz zum Vorhof, sehr ruhig und niemand außer uns schien sich momentan hier aufzuhalten. Ein paar Zuchtbäume waren akkurat in einer Linie den Schulzaun entlang gepflanzt, der das Gelände begrenzte und eine einzelne Holzbank bot ausreichend Platz, um sich dort die Hofpausen vertreiben zu können. Doch mein ‚Begleiter‘ hatte ganz anderes im Sinn, als es sich bequem zu machen und kam deswegen gleich zur Sache. „Du bist also Erstklässlerin, hm?“, stellte er teils fragend fest und musterte mich misstrauisch, die Hände in die Seite gestemmt. „Genau. Ich heiße Nagisa Shimizu. Nett dich kennenzulernen.“ Während ich mich vorstellte, fiel mir überhaupt erst einmal auf, wie seltsam diese ganze Förmlichkeit war, wenn man bedachte, dass wir schon zuvor mehr oder weniger ungezwungen miteinander geredet hatten und wir doch eigentlich im selben Jahrgang waren. Dennoch wollte ich ja nicht unhöflich erscheinen und mich zumindest nachträglich vorstellen, woraufhin er es mir gleich tat. „Ich bin Teru Saeki. Erstklässler. Lass dich nicht von meinem Namen täuschen.“ [Hinweis: Teru - japanisch für fröhlich und strahlend] ‚Mhm, Teru...‘, wiederholte ich seinen Namen in Gedanken und versuchte mich an dessen Bedeutung zu erinnern. Richtig. Viel hatte er wirklich nicht mit seinem Namen gemein. Um nicht zu sagen, dass er sogar das völlige Gegenteil davon darstellte, wie es den Anschein hatte. Natürlich war es nicht gerade die feine Art, vorschnell über jemanden zu urteilen - wäre er denn nicht selbst derjenige gewesen, der mich zu dieser Annahme gelenkt hatte. „O-okay“, stotterte ich. Seine kalte und distanzierte Aura schüchterte mich spürbar ein. Oder lag es eher an seinem groben Tonfall? Jedenfalls war sicher, dass ich mich in seiner Nähe nicht gerade wohl fühlte. „Uhm, danke übrigens für deine Hilfe heute Morgen. Ich bin erst hierher gezogen, deswegen“ - - „Wie auch immer. Sprich‘ nicht in der Schule darüber, okay? Habe ich mich klar ausgedrückt?“, gab mir Teru mit Nachdruck zu verstehen und hatte nicht einmal die Mühen gescheut mich mitten im Satz zu unterbrechen. Hätte ich ihn nicht schon zuvor außergewöhnlich höflich und in gepflegter Arbeitskleidung erlebt, wäre ich nun auf jeden Fall der Meinung gewesen, Teru besäße keinen Funken Anstand. Doch dank unseres ersten Zusammentreffens wusste ich zumindest, dass es durchaus auch anders ging. Warum nur legte er so viele Gesichter an den Tag? „Worüber soll ich nicht sprechen?“, fragte ich schließlich verwirrt. Wäre es so schlimm, wüssten die anderen davon, dass er mir heute Morgen geholfen hatte? Ich fand, das würde seinem Image ganz bestimmt nicht schaden. „Du weißt schon... Die Tatsache, dass ich in einem Café arbeite...“ „O-okay, ich werde keinem etwas erzählen, aber" - - „Gut. Mehr wollte ich gar nicht. Bis später.“ Ein erleichtertes Lächeln breitete sich augenblicklich auf seinem Gesicht aus, doch noch bevor ich mich über seinen erneuten Sinneswandel wundern konnte, war Teru auch schon wieder verschwunden. ‚Saeki-kun also... merkwürdiger Typ. Warum verhält er sich so wichtigtuerisch, obwohl wir doch im selben Jahrgang sind?‘ So sehr mich Teru’s Eigenarten auch beschäftigen, ich wurde aus ihnen nicht schlau. Und allmählich sah ich ein, dass es einfach keinen Sinn machte, weitere Gedanken darüber zu verschwenden. Fast hatte ich sogar schon die Einweihungszeremonie vergessen, die jeden Moment stattfinden sollte, also wurde es nun höchste Zeit sich auf den Weg in die große Halle zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)