Lucian Millard & Riona Jones von Riyuri ================================================================================ Prolog: Wie ein schwebender Engel --------------------------------- Meinen Tod hatte ich mir selbst verschuldet. Wenn man auf dem Weg dahin war, wurde einem das erst richtig bewusst. Wie bei mir. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass es so weit kommen würde. Was soll’s, war jetzt eh egal. Die Hände waren mir auf dem Rücken zusammengebunden, mein Hals war von einem Stahlring umgeben. Trotz meiner Verletzungen und Prellungen wurde ich an der Kette vom eisernen Halsband weitergezerrt wie ein Hund, immer weiter zum Galgen. Mir tat alles weh, aber hätte ich mich beklagt, wäre es wahrscheinlich noch schlimmer gekommen. So konnte ich wenigstens in Würde sterben. Das Podest kam schon in Sichtweite. Besucher warfen mir verächtende Blicke zu, unter ihnen sogar Kinder. Die Kleinen würden zusehen müssen, wie die Schlinge um meinen Hals fester gezogen würde, der Hebel betätigt und die Klappe unter mir sich auftun würde. Die gefesselten Hände würden verzweifelt versuchen, sich den Strick über den Kopf zu ziehen. Erfolglos. Bis sie dann endgültig verstummten und mein lebloser Körper einem Engel gleich in der Luft hing. Würdevoll ging ich die paar Stufen hinauf. Meine Haltung war wieder gerade, mein Blick starr geradeaus gerichtet, als wäre noch nicht mein ganzer Stolz gestorben. Ein Irrtum, welcher die Menschen in der Menge erzürnte. Scheinbar war auch der Priester nicht gerade froh über die Begebenheiten, immerhin wurde er diesen Morgen unvorbereitet hergerufen. Der andere Mann, der die Nacht bei mir in der Zelle verbracht hatte, um mir „Trost zu spenden“, war offiziell verhindert worden. Aber ehrlich gesagt kümmerte es mich einen feuchten Kehricht. Meine letzten Minuten waren angebrochen, also warum sich noch um andere sorgen? Der Exekutionsleiter verlas mein Urteil. In Gedanken konnte ich es bereits mitsprechen, so oft hatte ich noch in der Nacht meinen Todesspruch gelesen. Stumm bewegten sich meine Lippen zu den Worten des Vollstreckers. „Der Verurteilte Lucian Millard wird laut Paragraph Zweihundertundelf in Verbindung mit den Paragraphen Zweiundzwanzig und Dreiundzwanzig Absatz Eins des Versuchten Mordes für schuldig befunden! Durch die Schwere der Tat, da es auf einen hohen Geistlichen abgesehen wurde, lautet daher das Urteil Todesstrafe! Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes!“ Während der Verkündung hatte ich bereits unter dem festen Strick gestanden; das Ende mit der Schlinge baumelte erbarmungslos vor meinen Augen. Die Halskette wurde mir endlich abgenommen. Ich kippte meinen Kopf zur Seite bis es knackte, dann zur anderen Seite und wieder zurück in die neutrale Haltung. Am Liebsten hätte ich mich ein letztes Mal noch so richtig gestreckt, so verspannt waren meine Muskeln. Aber noch immer waren meine Hände zusammengebunden und ehe ich meinen letzten Atemzug tat, würden sie dies auch bleiben. Der Henker legte mir die Schlinge um den Hals, zog sie fest, sodass es kein Entrinnen mehr gab. Ich betete nicht, wie es andere vielleicht getan hätten. Ich zitterte nicht vor Angst, wie es sicherlich die meisten vor mir getan hatten. Ich wartete ruhig ab, was kommen würde, als hätte ich es schon tausend Mal getan. Gleich würde der Boden unter mir verschwinden, dann würde ich nach knapp zehn Sekunden das Bewusstsein verlieren und nach einigen Minuten letztendlich für immer ruhen – wenn alles glatt lief. Hatte ich Pech, würde es wohl etwas länger dauern. Natürlich könnte ich mir vor der Qual auch noch das Genick brechen. Wie auch immer, gleich würde ich es erfahren. Ich sollte meine Gedanken lieber an etwas anderes verschwenden. Auch ohne zu Hängen schien mir der Strick die Luft zum Atmen stehlen zu wollen. Ich spürte, wie mein Atem flacher wurde, innerlich bereitete ich mich bereits auf alles vor. „Drei!“ Stille. „Zwei!“ Stille. „Eins!“ Ich schloss die Augen. Danke für alles. Danke, dass ich leben durfte. Auf Wiedersehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)