Brücken von Swanlady (Harry/Hermine) ================================================================================ Kapitel 1: Brücken ------------------ Pure Erleichterung durchströmte sie, als ihr ein bekanntes, grünes Augenpaar am anderen Ende der Halle auffiel. Hermine Granger, angehende Ministeriumsangestellte und Gast der offiziellen Abschlussfeier ihrer Ausbildung – eine Veranstaltung, die nicht stattfinden würde, wäre nicht auch der berühmte Harry Potter unter den Absolventen, das war zumindest ihr klar – drehte ungefähr schon zum fünfzigsten Mal ihr Champagnerglas in der Hand, versuchte sich mit dieser Geste abzulenken und die Reden der jeweiligen Abteilungsleiter zu überstehen. Das Problem daran war, dass es unzählige Abteilungsleiter gab und sie schon mindestens vor einer Stunde angefangen hatten, aber immer noch kein Ende in Sicht war. Die ersten vier hatte Hermine noch mit Begeisterung verfolgt, doch spätestens nach der siebten war auch ihre Geduld am Ende gewesen, so pflichtbewusst sie auch war. Es war auch allein jenes Pflichtbewusstsein, das ihre Füße an den Boden nagelte und sie davon abhielt, den Raum zu verlassen, unter dem Vorwand, die Toilette aufzusuchen. Sie ertappte sich nämlich immer wieder bei der Vorstellung, dass sie nicht wieder zurückkam und das konnte sie ihrem zukünftigen Vorgesetzten, der als einer der letzten dran war, nicht antun. So war es auch kein Wunder, dass das Gefühl von Glück sie erfüllte, als ihr bester Freund, Harry Potter, ihren Blick abfing. Selbst wenn sie sein Augenrollen nicht gesehen hätte und er sich nun nicht durch die Menschenmasse kämpfen würde, um zu ihr zu gelangen, hätte Hermine gewusst, dass er diese Feier genauso langweilig fand wie sie. Das tat zum einen wohl jede zweite Person in diesem Raum, aber zum anderen kannte sie Harry. Und sie wusste auch, dass er ihre Rettung war. „Hey“, flüsterte Harry, als er Hermine endlich erreichte und sich das breite Grinsen nicht verkneifen konnte. „Interessante Rede, nicht wahr?“ „Natürlich“, entgegnete seine beste Freundin so ernst wie möglich, aber ihre Mundwinkel zuckten verdächtig und entlockten Harry ein amüsiertes Schnauben. Sie beide wussten, dass keiner von ihnen dem nervösen Zauberer zuhörte, der gerade von neuen Möglichkeiten sprach, aussterbende magische Wesen zu retten. Ein Thema, das Hermine normalerweise bestimmt interessiert hätte, aber es sah ganz so aus, als wäre sie auch nur ein Mensch – und dieser Gedanke beruhigte ihn und sein Gewissen ungemein. Flüchtig schweifte Harrys Blick zu ihrem leeren Champagnerglas. Er hatte bereits zwei davon getrunken, aber wirklich geholfen hatte es nicht. Er war mittlerweile einfach nur froh, dass man ihn nicht gezwungen hatte, aufs Podest zu klettern und eine Rede zu halten. Ihm diese Dinger aufzubrummen, schien schon seit Monaten das neue Hobby des Ministeriums zu sein und egal wie oft Harry versuchte, Kingsley davon abzubringen, es klappte einfach nicht. Der neue Zaubereiminister versank im Papierkram und hatte auch so schon genug zu tun. Als leidenschaftlicher Auror und Ordensmitglied, gefiel es ihm gar nicht, hinter einem Schreibtisch gefangen zu sein. Ah, seine Gedanken schweiften schon wieder ab. „Harry? Was starrst du so? Hab ich irgendwo einen Fleck?“, murmelte Hermine stirnrunzelnd, woraufhin Harry hastig den Kopf schüttelte. „Nein, du…“, setzte er an und nahm sich erst jetzt Zeit, um seine Freundin gründlich zu mustern. Sie hatte ein schlichtes, weinrotes Kleid an, das nur die Schulterpartie freilegte und ihre Knie verdeckte. Abgesehen von der schwarzen Schleife, die stramm um ihre Taille gewickelt und an ihrer Seite festgebunden war, hatte es keinerlei Verzierungen. Ihre Haare waren offen, die braunen Locken fielen sanft auf ihre Schultern. „Du… siehst gut aus.“ Es fühlte sich immer noch merkwürdig an, der besten Freundin solche Komplimente zu machen, aber es war die Wahrheit. Das Lächeln, das sie ihm daraufhin schenkte, war Harry die aufkeimende Verlegenheit wert. „… Hermine?“, sprach Harry sie nach ein paar endlosen Sekunden des Schweigens an, nachdem sie sich beide wieder der aufgestellten Bühne zugewandt hatten. Auffordernd sah er ihr Profil an. Sie schien zu ahnen, was er sie fragen wollte und nickte nur. Das amüsierte Lächeln erhellte für einen Sekundenbruchteil ihr Gesicht, ehe sie nach seiner Hand griff und ihn zum Ausgang zog. ×× Lachend hasteten sie über die Straße, bis Hermine das Tempo drosselte, da sie sich in ihren Schuhen sonst noch etwas brechen würde. Während sie ihre Atmung beruhigte und Harry immer noch grinsend ansah, setzte sie auf dem Kopfsteinpflaster vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Hauptstraßen Londons waren alle noch belebt, sodass Hermine absichtlich einen anderen Weg einschlug. Sie hatten kein konkretes Ziel, aber sie hatte schon lange nicht mehr die Gelegenheit gehabt, mit Harry spazieren zu gehen und sich zu unterhalten. Das letzte Mal musste in Hogwarts gewesen sein. Sie wollte die Zeit also gut nutzen. „Wir… wir sollten aber nicht zu lange wegbleiben“, sprach erneut das Pflichtbewusstsein aus ihr und Harry nickte nur, ließ ihre Hand los. Wenn jemand wusste, dass Hermine Granger auch die Regeln brechen konnte, dann war er es. Er stopfte die nun nutzlose Hand in seine Hosentasche und genoss für ein paar Minuten das Schweigen und ihren noch immer rasselnden Atem. Er mochte dieses Geräusch, weil es ihm das Gefühl gab, dass sie… lebte. Ihr Leben in vollen Zügen genoss und genau das tat, was sie wollte. Wenn er ehrlich war, dann hatte er Hermine noch nie so glücklich gesehen. Es erfüllte auch sein Herz mit wärmender Zufriedenheit. „Das haben wir schon lange nicht mehr getan“, sprach Hermine schließlich ihre Gedanken laut aus und Harry hob verwirrt den Kopf. „Was? Vor langweiligen Ministeriumsfeiern davonlaufen? Ich glaube, das ist unsere Premiere.“ Schon wieder wurde er mit einem Lachen belohnt und Harry entschied, dass dieses Geräusch noch viel angenehmer war. „Nein… das. Wir“, erwiderte sie und er spürte, wie dieses kleine Wörtchen einen Knoten in seiner Brust löste, ein merkwürdiges Kitzeln in seiner Bauchgegend hinterließ. Er richtete seinen Blick nachdenklich auf den Gehweg und ehe er sich versah, schlang sich sein Arm um ihre Hüfte, drückte sie für ein paar Sekunden in einer vertrauten Geste an seinen Körper. „Ich hab dich auch vermisst, Hermine.“ Das hatte er wirklich. Obwohl sie im gleichen Gebäude ihre Ausbildung absolviert hatten, hatten sich ihre Wege eher selten gekreuzt. Sie alle waren zu beschäftigt gewesen. Hermine mit ihren Eltern und er mit weniger angenehmen Dingen – seinem Ruhm, der noch weiter gestiegen war. Wie wichtig es für ihn war, jemanden zu haben, der einfach nur Harry in ihm sah, wurde ihm in diesem Augenblick wieder schmerzhaft bewusst. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um Trübsal zu blasen. Hermine war an seiner Seite – was wollte er mehr? ×× „Harry, warte“, sagte sie ächzend, nachdem sie das Stadtzentrum hinter sich gelassen hatten und nun durch einen kleinen Park schlenderten. „Hm?“ Hermine bückte sich und streifte sich die Schuhe von den Füßen, stieß dabei einen erleichterten Seufzer aus. „Viel besser.“ Schmunzelnd setzte sich Harry wieder in Bewegung und Hermine, die sich an seinem Arm festhielt, folgte ihm, die Schuhe nun tragend und ihren Füßen etwas Freiheit gewährend. „Ich hoffe, du kannst später trotzdem tanzen“, erinnerte Harry sie an den Programmpunkt, der nach den Reden anstand – sollten sie bis dahin zurück sein. „Heißt das, dass du mich zum Tanzen auffordern willst?“, fragte Hermine mit einem triezenden Unterton in der Stimme, den Harry nicht kannte. Verwundert blinzelte er, starrte das Gesicht an, das er so gut kannte und das ihm doch so… neu vorkam. Noch bevor es ihm dämmerte, woher die Veränderung stammte, zog Hermine die Augenbrauen in die Höhe. Harry verhielt sich seltsam. Statt ihr zu antworten, grinste er plötzlich und legte erneut seinen Arm um ihre Taille – diesmal kam allerdings auch sein anderer zum Einsatz. Ihn unter ihre Kniekehlen schiebend, hob er Hermine vom Boden hoch und lachte triumphierend, als sie mit einem empörten – und absolut vorhersehbaren – „Harry! Lass mich runter!“ reagierte. ×× Die Sonnenstrahlen der langsam untergehenden Sonne wärmten sie angenehm und Hermine blieb erneut für einen Moment stehen. Sie befanden sich auf einer kleinen Brücke, die über den künstlich angelegten Teich des Parks führte. Sich einen Augenblick lang mit dem Rücken gegen das Brückengeländer lehnend, legte Hermine den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und genoss die Wärme. Harry beobachtete sie dabei, blieb vollkommen still, obwohl sie gerade mitten in einem Gespräch über die letzten Wochen ihrer Ausbildung gewesen waren. Ihre Haare waren länger geworden. Das fiel ihm auf, als die leichte Brise mit den Locken spielte und sie immer wieder gegen das Geländer wehte. Sie wirkte so unglaublich entspannt, dass er sie nur ungern zum Weitergehen antreiben wollte. Außerdem hatte er es ohnehin nicht eilig. Andererseits… Aus irgendeinem Grund wollte er den Beginn der inoffiziellen Feier nicht verpassen. Dieser bedeutete nämlich, dass er mit Hermine Spaß haben durfte, auch ohne sich davonzuschleichen. Ja, er wollte mit ihr tanzen. „Ich bin froh, dass das Ministerium diese Feier veranstaltet.“ Hermine öffnete die Augen, als Harrys Stimme direkt neben ihr erklang. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er näher gekommen war. Lächelnd drehte sie sich um, sah nun, wie er, auf den Teich hinab, in dem vermutlich außer Algen und anderen Pflanzen, keine Lebewesen lebten. „Ich auch.“ Sie verstand genau, was er ihr hatte sagen wollen. Er war froh, dass sie hier waren. Zusammen. Die Anspannung der letzten Wochen – nein, der letzten Jahre – schien von ihnen beiden abzufallen. Für einen Abend waren sie vollkommen frei, waren einfach nur Harry und Hermine. Sie erholten sich in der Gegenwart des jeweils anderen, Körper und Geist waren vollkommen im Einklang. Ohne wirklich darüber nachzudenken, kletterte Hermine barfuß auf eine der Metallsprossen, die das Geländer bildeten. „Hermine, pass auf…“, warnte Harry sie, breitete bereits die Arme aus, um sie zu stützen. „Sieht ganz so aus, als würdest du das für mich tun“, erwiderte sie und Harry stutzte. Sie hatte Recht. Sein Augenmerk lag stets auf ihr, behielt sie im Blick, wollte sie schützen, selbst wenn sie es nicht brauchte. Und das nicht, weil sie jeder Zeit dasselbe für ihn tun würde, sondern weil er es wollte. Weil es für ihn das Natürlichste auf der Welt war, sie in seinen Gedanken zu haben. Immer. „Ja… stimmt…“, murmelte er mit einem seltsam dümmlichen Lächeln im Gesicht, von dem er froh war, dass Hermine es nicht sah. Spontan entschloss er sich, es ihr gleichzutun. Er kletterte ebenfalls aufs Brückengeländer, versuchte dabei das Gleichgewicht zu wahren und gleichzeitig Hermine festzuhalten. „Harry, ich glaube, so machst du es noch schlimmer…“, kicherte sie, griff nach seiner Hand und wies ihn an, mit der freien nach der obersten Sprosse zu greifen, so wie sie es tat. Es dauerte nicht lang, da hatten sie beide eine mehr oder weniger sichere Position gefunden und starrten eine Weile lang in die Ferne. Von hier aus sahen sie nicht nur den Teich unter sich, sondern fast den gesamten Park. Außer ihnen waren kaum jemand hier. „Hast du dich je fragt, wieso ich mich so sicher bei dir fühle?“, fragte Hermine und spürte, wie ihr Herzschlag beschleunigte. Ihre Hand war verschwitzt, aber sie wollte Harry trotzdem nicht loslassen. Sie sah ihn nicht an, sondern blickte weiterhin stur geradeaus. Er hingegen musterte sie von der Seite, schien über ihre Worte nachzudenken. „Weil wir beste Freunde sind“, antwortete er, allerdings viele Sekunden zu spät, um seine Worte überzeugt klingen zu lassen. Hermine drehte ihren Kopf langsam in seine Richtung, ihr Blick war unergründlich. Harry glaubte darin so etwas wie eine stumme Nachricht zu entdecken, aber zum ersten Mal schien er nicht zu verstehen. Die stumme Frage schien man ihm wohl auch anzusehen, weil Hermine plötzlich dazu überging, ihm zu zeigen, was sie meinte. Noch ehe er nach Luft schnappen oder ein weiteres Wort sagen konnte, hatte sie zu ihm gebeugt und seine Lippen mit ihren verschlossen. Sie waren weich wie eine Blüte, die einem, vom Wind getragen, auf die Haut segelte und dort eine sanfte, kribbelnde und unsichtbare Spur hinterließ. Sie schmeckte süß, aber es war nur einen Hauch, ein sachtes Streifen, nur dazu gedacht, seine Antwort zu widerlegen. Und als sie sich zurückzog, die Sehnsucht auf seinen rauen Lippen zurückließ, sein Herz zum Stillstand brachte, wusste Harry, was sie meinte. Und wie er es wusste. Weshalb er immer noch auf dem Geländer stand und nicht längst schon auf dem Boden lag, war ihm ein Rätsel. Als Hermine langsam herunterkletterte und ihm ihre Hand reichte, nahm Harry die Hilfe nur allzu gerne an. „H-Hermine…?“, presste er hervor, als sie bereits dabei war ihre Schuhe aufzusammeln und ganz so aussah, als würde sie gehen wollen. Wie sehr ihr Herz raste, wie sehr sie mit der Hitze kämpfte, die in ihr aufzusteigen drohte, wie peinlich ihr das Ganze war, sah Harry überhaupt nicht. Sie versteckte ihre glühenden Wangen hinter einer Wand aus lockigen Strähnen, zwang ihren Mund dazu, geschlossen zu bleiben, um nicht in wahlloses Gestammel zu verfallen. „Möchtest… möchtest du dich… ähm, weiterhin sicher fühlen…?“ Harry hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Er wusste nicht einmal, ob seine Frage überhaupt Sinn ergab. Unsicher biss er sich auf die Unterlippe, als rehbraune Augen ihn verwundert ansahen. Langsam richtete sich Hermine wieder auf und nickte zögernd. Ja, das wollte sie. Sie wollte es mehr als alles andere. „Gut“, sagte Harry und atmete geräuschvoll aus. „Das will ich nämlich auch.“ ×× Als sie den Rückweg antraten, musste Harry daran denken, dass Brücken merkwürdige Erfindungen waren. Manchmal betrat man sie, glaubte, dass man lediglich ein Hindernis überquerte, doch dann verließ man sie am anderen Ende als völlig neuer Mensch. Als sein Blick an dem lächelnden Gesicht neben sich hängenblieb und er Hermines warme Hand spürte, wie sie sich erneut perfekt an seine schmiegte, wusste er, dass er seine Brücke gefunden hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)