Innocent Rabbit von ChiChii ================================================================================ Kapitel 10: ------------ „Ich will zu Aki“, wimmerte ich leise, während ich im Eck des Verhörraums saß. Die Polizei hatte vor einigen Stunden aufgrund eines anonymen Hinweises das Haus gestürmt, in dem ich gefangen gewesen war und mitgenommen. Jetzt saß ich in einem dieser bekannten Verhörzimmer. Als die Ordnungshüter in den Raum gekommen waren und mich angefasst hatten, hatte ich geschrien. Ich wollte nicht angefasst werden, wenn es nicht Aki war. Andere Leute wollten mir sicher nur wehtun und hatten kein Interesse an mir. Ich ertrug keine andere Berührung. „Yuki-Mura, das ist doch dein Name, oder?“, fragte einer der Männer, der sich in einigem Abstand auf einem Stuhl vor mir niedergelassen hatte. Er war neu, war gerade erst in den Raum gekommen, in dem ich seit einiger Zeit alleine war. Ich war immer alleine, niemand kümmerte sich um mich. Leicht nickte ich als Antwort auf die Frage. Ich wollte nicht reden. Niemand wollte meine Stimme hören, da war ich mir sicher. Nur Aki hatte gesagt, dass ich eine angenehme Stimme hatte, also würde ich nur reden, wenn er sagte, dass ich reden sollte. „Brauchst du irgendwas? Hast du Hunger oder Durst?“, bot der Mann an, doch ich schüttelte erneut den Kopf. Ich konnte mich schon gar nicht mehr an meine letzte Mahlzeit erinnern und Wasser hatte ich auch viel zu unregelmäßig bekommen. Doch die trockene Kehle störte mich nicht. „Ich will Aki“, flüsterte ich heiser. Wieso konnten sie nicht einfach Aki holen? Wenn Aki da wäre, würde es mir besser gehen. Er würde mich trösten und sich um mich kümmern und ich konnte wieder normal werden. Doch ohne Aki würde ich das nicht schaffen. Vielleicht kam ich ja in eine Klinik. „Wir wissen nicht, wer Aki sein soll. Kannst du uns denn nicht seinen Nachnamen oder seine Nummer verraten? Dann können wir ihn kontaktieren und du kannst ihn sehen“, klärte der Mann mich auf, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich kannte weder Akis Nachnamen, noch wusste ich seine Nummer auswendig. „Er arbeitet für meinen Vater“, antwortete ich nur und senkte den Kopf. Der Mann versuchte noch mehr Informationen aus mir herauszubekommen, doch ich antwortete nicht mehr. Ich wollte nicht hier sein, ich wollte nicht mit diesen Leuten reden. Sie hätten mich nicht retten müssen, ich hätte dort bleiben können. Ich hätte mich damit abgefunden, was das Schicksal für mich bereithielt. Irgendwann ging der Mann und ließ mich alleine. Das war mir lieber. Jetzt konnte ich wieder nachdenken, ohne dass mich jemand störte. Ob Aki wohl erfahren hatte, was passiert war? Hatte jemand meinen Vater kontaktiert? Immerhin hatte ich ein Kontaktformular ausgefüllt. Da ich nicht geredet hatte, hatten sie es liegen lassen und ich hatte es selbst ausgefüllt, höflich wie ich war. Zumindest das bekam ich noch hin. Immer tiefer versank ich in den Gedanken, die keine Gedanken waren und in der Leere in meinem Kopf, die gar nicht so leer war. Alles war voller Widersprüche in mir. Ich wollte Aki bei mir haben, doch ich wollte ihm nicht gegenüber treten, wenn ich so scheußlich aussah. Ich wollte ihn wieder küssen können, doch meine Lippe war rau und unangenehm wegen dem Wasserentzug, also wäre ihm das sicher nicht angenehm. Mehr und mehr Probleme in sich selbst tauchten auf, die durch meinen Kopf schwirrten und verschwanden, während permanent neue dazukamen. Doch ich ignorierte dieses Chaos irgendwie. Als die Tür aufging, sah ich nicht auf, bis ich einen festen Griff um meinen Arm spürte. Sofort schrie ich los und versuchte mich loszureißen. Ich wollte nicht angefasst werden, Berührungen taten weh und es waren nicht Akis Finger, das spürte ich sofort. „Halt die Klappe, du missratener Bengel“, knurrte eine Stimme, während ich gleichzeitig aus dem Raum gezerrt wurde. Ich wollte nicht hinaus. Draußen war die Welt, die voller Gefahren, Verrat, Lügen und Unsicherheiten waren, doch in diesem Zimmer war ich geschützt. Dort musste ich mich mit nichts auseinander setzen, als mit mir. „Lass mich los! Ich will Aki zurück! Du hast mir Aki weggenommen, also gib mir Aki wieder!“, kreischte ich. Die schiefen Blicke, als ich durch das Präsidium gezerrt wurde, bemerkte ich nur nebenbei, doch in mein Bewusstsein drangen sie nicht vollständig. „Sir, entschuldigen Sie. Sie können den Jungen nicht mitnehmen, wenn er solche Angst vor Ihnen hat. Das können wir leider nicht zulassen“, erklärte ein Mann, der sich vor meinem Vater aufbaute, der mich daraufhin losließ. Schnell zog ich mich in ein Eck zurück und kauerte mich auf den Boden. Ich wollte doch nur zu Aki, wieso konnte das bloß niemand verstehen? Niemand außer Aki könnte mich retten, mich wieder zu dem Menschen machen, der sich in ihn verliebt hatte. „Das ist mein Kind! Ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich mit meinem eigenen Sohn zu verfahren haben“, regte sich mein Vater auf, seine Stimme stieg dabei zu einer gewaltigen Lautstärke an, bei der ich mir die Ohren zuhielt. „Zu laut, zu laut“, murmelte ich leise, doch auf mich achtete ohnehin niemand. Auf mich achtete nie jemand. Ich war ein Nichts. „Es tut mir leid, aber ihr Sohn verlangt nach einem gewissen Aki, also können wir ihn nur dieser Person anvertrauen“, fuhr der Polizist ruhig fort. Die nächsten Worte waren es, die meine Welt zerspringen ließen. Wie ein Kartenhaus brach alles zusammen und riss mich aus der Realität. Ich wollte nicht mehr sein, wenn diese Worte wahr waren. Ohne Aki war ich nichts wert. „Aki ist tot.“ Inzwischen lag ich in meiner Badewanne. Das Wasser war kalt, aber ich schrubbelte immer weiter an meiner Haut herum, die inzwischen schon leicht aufgegangen war. Ich wurde einfach nicht sauber, überall war Dreck. Ich war Dreck. Ich musste sauber werden. Ich musste sauber werden, um Akis Grab zu besuchen und ihm zu folgen. Ich würde ihm in den Himmel folgen und dort mit ihm glücklich werden. Mehr brauchte ich nicht, außer bei ihm zu sein und wenn ich dafür sterben musste. Irgendwann gab ich auf und sank ins Wasser. Ich wurde einfach nicht sauber, ich würde nie sauber genug sein, um wieder genug Wert zu haben, um Aki sehen zu können. Dabei wollte ich doch nur angemessen aussehen, wenn ich bei ihm war. Verzweifelt schluchzte ich auf. „Aki war tot.“ Immer wieder hallten diese Worte in meinem Kopf wieder. Aki konnte nicht tot sein, weil Aki war immerhin Aki. Er konnte mich nicht verlassen, nicht einfach so. Schnell stieg ich aus dem kalten Wasser, rutschte dabei auf dem Fliesenboden aus und flog auf den Boden, doch es störte mich nicht. Mein Körper schmerzte immer noch, ein paar blaue Flecken mehr würden nichts ausmachen. Hastig rannte ich zu meinem Nachtkästchen, schmiss mich davor auf die Knie und kramte die Packung mit Gitarrenseiten hervor. Der Zettel war weg. Der Zettel mit Akis Telefonnummer war weg. Ich konnte nicht überprüfen, ob mein Vater log oder nicht, denn auch bei meiner Mutter hatte er gelogen. Laut schrie ich auf und schmiss den kleinen Karton weg. Wieso musste alles schief gehen? Wieso musste das alles passieren? Wild griff ich nach allen Sachen in meiner Reichweite und warf sie durch mein Zimmer. Erst als eine der Gitarren umflog, hielt ich erschrocken inne und sah das Instrument verängstigt an. Es war nichts passiert, es hatte keinen Bruch oder eine Delle im Holz. Zumindest etwas das nicht zerbrach. Gehetzt sah ich mich in meinem Zimmer um. Ich hatte mehrere Sachen umgeschmissen und ein paar Dinge zerstört. Darunter meinen Spiegel. Spiegel. Scherben. Wie hypnotisiert ging ich zu dem Glas und nahm eine der großen Scherben in die Hand. Die Kanten waren scharf. Vorsichtig setzte ich sie an meinem Arm an und zog darüber. Es brannte und das Blut rannte, doch es war erträglich. Es war nichts zu den Schmerzen in meinem Inneren. Gespannt beobachtete ich die rote Lebensflüssigkeit die über meine Haut rann und auf den Boden tropfte. Unschuldiges vergeudetes Leben. Ich hatte nichts mehr. Akira war von meinem Vater im Tierheim abgegeben worden. Ich war alleine. Alleine mit meinem Schmerz, meinem Leid, meiner Einsamkeit. Niemand interessierte sich für mich und würde sich je für mich interessieren. Mit einem Kreischen warf ich die Scherbe weg. Was hatte ich nur getan? Ich ruinierte mein Leben selbst, obwohl es sowieso schon zerstört war. Ich trieb mich selbst in den Abgrund, ohne dass ich es bemerkte. Übereilt stand ich auf und wankte so etwas. In dem, was von dem Spiegel übrig war, sah ich mich an. Ich hatte nichts an, da ich nach meinem Bad direkt den Ausbruch hatte. Auf diese Art wurden mir all meine Schäden noch einmal vor Augen geführt. Meine Beine, mein Bauch und mein Oberkörper waren unbeschadet, nur hin und wieder Blutergüsse und blaue Flecken. Meine Arme waren voller Schnitte, die eine braune Kruste hinterlassen hatten und wohl auch in Narben enden würden. Meinen Rücken konnte ich nicht sehen, doch ich wusste, dass dort ebenso Schnitte waren und auch einige Brandwunden. Kurz gesagt, sah ich scheiße aus und ich konnte nichts dagegen machen. Das einzige, was nicht an Glanz verloren hatte, waren meine Haare. Sie strahlten immer noch in einem kräftigen Pink, da ich vor meiner Entführung beim Frisör gewesen war. Von meinem Vater hatte ich erfahren, dass das alles zwei Wochen zurücklag. In dieser Zeit war Aki während einem Auftrag gestorben. Zumindest sagte er, dass Aki gestorben war, doch ich vertraute ihm nicht mehr. Wie sollte ich ihm vertrauen, wenn er mich in Bezug auf meine eigene Mutter angelogen hatte. Langsam trottete ich zu meinem Schrank und zog eine Unterhose sowie eine Jogginghose hervor. Beides zog ich an, bevor ich ins Bad tapste und die Wunde unter kaltes Wasser hielt. Der Schnitte war nicht tief, dafür direkt durch die Ader gegangen. Aus einem Schrank kramte ich einen Verbandskasten. Wir hatten in jedem Badezimmer einen, doch wieso wusste ich nicht. Sorgfältig verband ich die Wunde, bevor ich ohne einen Laut von mir zu geben, obwohl alles weh tat, in die Küche ging. Zumindest meine Cola war wie immer da, von der ich mir ein Glas nahm. Anschließend ging ich in das Büro meines Vaters. Ich klopfte nicht an der Tür auf und sagte sofort: „Ich will seine Leiche sehen.“ Mein Vater verengte die Augen zu Schlitzen und sah mich finster an. „Nein“, war seine knappe Antwort darauf, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Ich hätte auch nicht erwartet, dass er fragte, warum ich herumgeschrien hatte oder fragte, ob ich große Schmerzen hatte. Dafür wusste ich, dass er log. Wenn ich die Leiche nicht sehen durfte, dann gab es auch keine Leiche. Wenn es keine Leiche gab, hieß das, dass Aki noch lebte. Und ich würde definitiv zu ihm finden, ich musste einfach zu ihm finden. Wütend schmiss ich mein Glas nach meinem Vater, doch ich war nie gut im Zielen gewesen, weshalb es an seinem Kopf vorbei flog. „Ich hasse dich! Ich hasse dich, hasse dich, hasse dich!“, schrie ich ihn an, bevor ich aus dem Raum stürmte und wieder in mein Zimmer ging. Ich musste mir überlegen, wie ich zu Aki kam. Mein Vater hatte sicherlich seine Nummer in seinem Handy, doch das hatte er immer bei sich. Ein Adressbuch hatte er nicht, da es unnötig war, wenn man im Zeitalter der Smartphones lebte. Also musste ich irgendwie an das Handy meines Vaters herankommen. Wenn er duschte, ließ er es in seinem Büro, das wusste ich. Demnach musste ich mir sein Handy holen, wenn er duschen ging und das wäre heute Abend. Mehrere Stunden lag ich einfach in meinem Zimmer auf dem Bett und starrte an die Decke. Musik half mir nicht, weder zuhören noch spielen. Ich bezweifelte, dass es gut klingen würde, da ein paar meiner Knöchel aufgeplatzt waren. Es würde wie das Jammern einer Katze mit überanstrengten Stimmbändern klingen. Als ich hörte, wie die schwere Tür des Arbeitszimmers zufiel, schlich ich aus meinem Zimmer und zur Treppe. Ich konnte gerade noch sehen, wie mein Vater in seinem Schlafzimmer verschwand. Da sein Bad gleich angrenzte und nur durch sein Zimmer zu betreten war, würde er nicht so schnell wiederkommen. Ich setzte meinen Weg dennoch erst fort, als ich das Rauschen des Wassers vernahm. Leise huschte ich die Treppe hinunter und ins Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lag das Telefon, das ich mir schnell schnappte. Selbstsicher, wie mein Vater war, hatte er keinen Sperrcode verwendet. Welcher Mafiaboss ging auch davon aus, dass man sein Handy haben wollte. Bei der Suche nach der Nummer beeilte ich mich, war jedoch ziemlich überrascht, als ich auch noch eine Adresse fand. Schnell schrieb ich beides auf einen Zettel, bevor ich wieder in mein Zimmer ging. Nur kurz darauf hörte ich das Zuschlagen einer Tür. Mit dem Zettel in der Hand ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen und betrachtete die Informationen, die dort in schwarzen Schriftzeichen standen. Ich hatte also Akis Nummer und seine Adresse. Auf die Schule würde ich morgen eindeutig verzichten und stattdessen diese Adresse aufsuchen. Vielleicht war Yumi ja so nett und begleitete mich. Allerdings wollte ich sie weder in etwas hineinziehen, noch ihr das Wiedersehen mit Aki antun, sollte ich ihn wirklich sehen können. Ich beschloss, dass ich den ganzen Tag dort warten würde, wenn es sein musste und wenn Aki dann immer noch nicht da war, würde ich die Nummer anrufen. Vielleicht war er ja auch auf Geschäftsreise. Ich dachte noch ziemlich lange über diesen Plan nach, bis ich mir sicher war, dass er einfach perfekt war und nicht schief gehen würde. Ich würde alles perfekt timen und niemand würde darauf kommen, wo ich wirklich war, wenn er nicht gerade allem aufs Detail nachging. Doch der Plan war einfach wasserfest. Ich würde Aki wiedersehen und konnte ihm sagen, wie sehr ich ihn doch vermisst hatte. Er würde bei mir bleiben und alles würde wieder gut werden. Wir könnten zusammen bleiben du ich würde mir nichts von meinem Vater sagen lassen. Vielleicht konnte man ihm ja das Sorgerecht entziehen. In manchen Ländern war man immerhin schon mit achtzehn volljährig und mein Geburtstag war vor wenigen Tagen gewesen. Mein Geschenk waren dann wohl etliche Wunden auf meinem Rücken, die mir bis in alle Ewigkeit bleiben würden. Was Aki wohl von den Verletzungen halten würde? Wahrscheinlich wäre er sauer. Ich wollte nicht, dass er wütend wurde, weil die Leute ohnehin vors Gericht kommen würden, also bräuchte er sich nicht darum kümmern. Mit einem zufriedenen Lächeln, dem ersten seit Wochen, auf dem Gesicht schlief ich ein und träumte davon, wie es wäre, wenn ich Aki wiedersehen würde. Es war ein wunderbares Erlebnis und es würde sich alles zum Besseren wenden. Mein Leben wäre kein Scherbenhaufen mehr. ___________________________________________ So und das letzte Kapitel für heute! *wink* Noch mal ein großes ENTSCHULDIGUNG dafür, dass ich den Termin verpasst hab! *verbeug* Wie es weitergeht erfahrt ihr.. tja, Dienstag/Mittwoch wohl! *lach* Also bis denne~ *wink* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)