Ein Bild, tausend Worte von GodOfMischief ================================================================================ Kapitel 19: Das Mädchen auf dem Foto ------------------------------------ Eigentlich ging er davon aus, dass sein letzter Schultag vor dem Wochenende ein ganz normaler Tag werden sollte. So wie jeder andere auch. Er musste vor niemandem geheim halten, dass sein Leben fast schon tödlich langweilig war. Und leider hatte er es auch im Gefühl, dass es so bleiben würde. Doch das Schicksal meinte es ein wenig anders. Im Pausenraum fand er das Bild auf dem Boden. Es schien ihm merkwürdig vertraut und doch fremd. Es war eine gewöhnliche Farbaufnahme und zeigte ein junges Mädchen auf einer sandfarbenen Couch, vor einer braun-schwarz gemusterten Tapete. Sie saß geduckt auf dem Sofa, ganz in dessen Ecke, ganz in der Ecke des Bildes und blickte direkt in die Kamera mit ihren grauen Augen. Die Fremde war unscheinbar, ein ganz normales Mädel mit dunklen Haaren, die einen leichten Rotstich aufwiesen, als wenn sie mal gefärbt gewesen wären. Ein rundes Gesicht, mit feinen Zügen und langweiligen Klamotten am Körper. Ein Arm war auf ihr Knie gestützt und ihre Finger formten ein gewöhnliches Friedenszeichen. Wäre er ihr in der Schule begegnet, wäre sie ihm sicher nicht aufgefallen. „Hey, kennt ihr die?“, er beugte sich zu seinen Freunden über den Tisch und zeigte das Foto in die Runde, doch jeder seiner Freunde schüttelte nur den Kopf. „Nein, keine Ahnung, man“ Entgegen seiner Erwartung stellte jedoch auch niemand die Frage, warum es ihn interessierte. Sie wanden sich direkt wieder ab und aßen weiter, oder beschäftigten sich anderweitig. Der Junge setzte sich wieder aufrecht hin und schaute missmutig auf das Bild hinab. Er betrachtete das Mädchen. Ihre grauen Augen durchbohrten ihn. Es schien, als würde sie etwas wissen. Etwas, dass er gut versteckt tief in seinem Inneren eingeschlossen hatte. Etwas Wichtiges mit zerstörerischer Macht. „Alter, wir gehen wieder rein“, die Worte seiner Freunde rissen ihn aus den Gedanken und er nickte kurz. „Ja, ich komm sofort nach“, er warf einen letzten Blick auf das Foto und drehte es in seinen Händen. Kein Name oder Ähnliches auf der Rückseite. Er faltete es in der Mitte und stopfte es in seine Hosentasche, ehe er den Anderen wieder in die Klasse folgte. Er schwor sich dieses Mal aufzupassen, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch er spürte, wie schwer das Foto in seiner Tasche wog. Es war, als würde sich dessen Form in seine Schenkel brennen und nicht von seinem Verstand ablassen. Der Drang, es anzusehen wuchs mit jeder Minute, mit jeder Sekunde. Seine Hand glitt sogar immer wieder in die Hosentasche, um sich zu vergewissern, dass es noch da war. Zum Ende der Stunde konnte er es nicht mehr abwarten, er kramte das Bild aus seiner Tasche und betrachtete für einen Moment dieses mystisch lächelnde Mädchen darauf, wartete, bis der Rest der Klasse den Raum verlassen hatte. Dann erhob auch er sich und ging langsam zu der Lehrerin, die eigentlich nur darauf wartete, den Klassenraum zur Pause abzuschließen. „Entschuldigung, kennen Sie dieses Mädchen?“ Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete die Lehrerin das Foto, ehe sie es innerhalb weniger Sekunden wieder an ihn zurück reichte. „Nein, da kann ich Ihnen nicht helfen“ Mehr sagte sie dazu nicht, sondern ging zur Tür und wartete dort auf ihn, mit dem eindeutigen Ausdruck, dass er sich gefälligst zu beeilen hatte. Er runzelte nur die Stirn und verzog das Gesicht. Dann schien es wohl keine Schülerin dieser Schule zu sein. Zumindest ging er davon aus. Dann würde er sich eben woanders Rat holen, denn das Foto ließ ihm einfach keine Ruhe. Ein unerfindlicher Drang herauszufinden, wer dieses Mädchen war. Am Nachmittag fragte er seinen Bruder. Der kannte immer viele Mädchen und so war er seine erste Anlaufstelle. Und obwohl er sich endlich die gewünschte Antwort erhoffte, so wurde er erneut enttäuscht, denn auch sein Bruder hatte sie noch nie zuvor gesehen. So fragte er seine Eltern, ob diese ihm weiterhelfen könnten und erfuhr gleich eine weitere Enttäuschung. Niemand erkannte dieses Mädchen. Es war, als hätte sie gar nicht existiert. Abends lag der junge Schüler auf seinem Bett und versuchte einen Film auf seinem Computer zu gucken, doch das alles lenkte ihn nicht genug ab. Immer wieder fragte er sich, ob es noch andere Leute gab, die er fragen konnte. Vielleicht die Jungs aus seinem Sportverein? Er würde einem von ihnen morgen einen Besuch abstatten. Mal sehen, ob er zu Hause war. Noch während er diesem Gedanken nach hing fiel er in einen traumlosen Schlaf. Am nächsten Morgen klingelte sein Wecker nicht. Warum auch? Es war Samstag. Er stand gegen zehn Uhr auf und bei keinem seiner Freunde würde es anders sein. So machte er sich in aller Ruhe fertig, duschte und zog sich an. Bevor er ging, sagte er noch seinen Eltern bescheid, schnappte sich das Foto und ging schließlich mittags los, um einen Freund aus seinem Sportverein zu besuchen. Auf seinem Weg musste er immer und immer wieder einen Blick auf das Bild werfen. Die Augen faszinierten ihn und ihr keckes Grinsen, während sie das Peacezeichen in die Luft hielt. Gerade überquerte er eine Straße, achtete gar nicht auf die Ampel und noch ehe er das Rufen der Passanten hörte, wurde er von einem Auto erwischt. Einige Minuten später traf der Rettungswagen ein. Erste Hilfe wurde abgegolten, doch für den Jungen war es bereits zu spät. Einer der Rettungskräfte fand neben dem Leichnam ein Bild eines jungen Mädchens. Sie war hübsch, nicht außergewöhnlich, trug normale Kleidung und lächelte in die Kamera, während sie drei Finger in die Luft hielt. 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