Story of the Dead von Flordelis ================================================================================ 2. [Escaping the Dead – Act 2]: Bloody feast -------------------------------------------- Es sah aussichtslos aus. Immer noch erfüllten Schreie das Schulgebäude, Kakeru wusste nicht, ob es die verzweifelten Rufe von jenen waren, die angegriffen wurden oder ob sie von denen stammten, die panisch die Flucht ergriffen und den innigen Drang verspürten, ihrer Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Das einzige, was er ganz sicher sagen konnte war, dass es sich dabei um keine Laute der Untoten handelte, diese gaben lediglich ein seelenloses Stöhnen von sich und manchmal ein Fauchen, wann immer sie zum Angriff übergingen. „Was sollen wir tun, Kakeru?“, murmelte Yuka. Er hörte deutlich die Sorge in ihrer Stimme, etwas, was er nur allzugut verstehen konnte. Dementsprechend musste er tapfer sein für sie und sich etwas ausdenken. „Wir gehen ins Lehrerzimmer“, schlug er vor. „Die Lehrer müssen wissen, was los ist und sicher gibt es dort einen Fernseher.“ Es bestand immerhin eine realistische Wahrscheinlichkeit, dass es nicht nur in ihrer Schule derart zuging, besonders wenn er den Mann von zuvor bedachte. Sie müssten also Informationen sammeln und dann überlegen, wie sie weiter vorgehen sollten. Möglicherweise war die Schule in einem solchen Fall dann immerhin der sicherste Aufenthaltsort, trotz der aktuellen Lage. Aber um das in Erfahrung zu bringen, mussten sie erst einmal die Krankenstation verlassen. Der Gang vor der Tür war jedenfalls leer. Keine Schüler waren zu sehen, keine Lehrer, keine ... was-auch-immer sie waren. Er wusste nicht, wie lange das noch so bleiben würde, weswegen er hier die Möglichkeit sah, endlich zu gehen. „Bist du bereit, Yuka?“ Er war besorgt, dass ihr Zustand es ihr nicht erlauben würde, zu fliehen, aber er wollte sie auch unter keinen Umständen zurücklassen. Zu versuchen, die Krankenstation gegen einen unbekannten Feind zu verteidigen, erschien ihm jedoch genauso sinnlos und es auszusitzen, ohne zu wissen, wie es überall anders aussah, hielt er für nicht sonderlich angebracht. Und dann war da immer noch die Leiche, die ihn skeptisch sein ließ. Sie mussten hier auf jeden Fall fort, zumindest in einen anderen Raum. Yuka schien sich den Ausmaßen inzwischen bewusst geworden zu sein, sie nickte mit ernstem Blick. „Lass uns gehen.“ „Und denk daran“, mahnte er ein letztes Mal, „sei leise.“ Er öffnete die Tür und trat hinaus. Yuka folgte ihm sofort, auch als er den Gang hinablief und sich dabei aufmerksam in alle Richtungen umsah. Wenn er sich nicht täuschte, würden die meisten Schüler versuchen, über die Haupttreppe in den Hof zu fliehen, was wiederum auch all diese Wesen dorthin locken würde, wenn sie dem Lärm zu folgen versuchten. Sie müssten also die hintere Treppe nehmen, wenn sie ins Lehrerzimmer wollten – und dabei hoffen, dass die Lage dort wesentlich besser aussah. Kakeru hoffte zumindest, dass die Erwachsenen das alles ein wenig besser organisiert angegangen waren, als die Schüler. Eine offene Tür, auf ihrem Weg zur hinteren Treppe, ließ Kakeru innehalten. Er lauschte, um zu wissen, ob sich in diesem Raum irgendjemand befand, der ihnen gefährlich werden könnte, aber es war nichts zu hören. Er schlich näher und warf einen Blick hinein, doch niemand war in diesem Klassenzimmer zu sehen. Jedenfalls niemand, der sich bewegte. Auf dem Boden lagen die blutigen Überreste einer Person, die mal eine Schülerin gewesen sein mochte, jedenfalls ausgehend von der Uniform. Anhand des Klumpens war nichts mehr bezüglich des Geschlechts, Alter oder sogar der genauen Identität zu erkennen. Kakeru verspürte den innigen Wunsch, sich zu übergeben, beherrschte sich aber noch einmal und wandte stattdessen lieber den Blick ab. Yuka sah ihn fragend an, er winkte aber sofort ab. „Es ist schon gut“, flüsterte er. „Lass uns weitergehen. Anscheinend sind wir hier gerade noch sicher.“ Sie folgte ihm, als er weiterlief und blickte dabei nicht einmal in das Klassenzimmer hinein. Je weiter sie in Richtung der Hintertreppe liefen, desto leiser schienen die Schreie vom Hof zu werden. Als es ihm das erste Mal auffiel, glaubte Kakeru noch, dass dies normal sei, da sie sich immerhin entfernten, doch inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher. Jedes Fenster in diesem Gang oder den dazugehörigen Klassenzimmern, zeigte immerhin auf den Hof, also sollten die Geräusche eigentlich dennoch zu hören sein. Dass sie eben immer leiser wurden, verriet ihm, dass die Lage angespannt war und sich wirklich in hoffnungslos wandelte. Mit jedem Schritt schwand auch der Glauben daran, dass sie im Lehrerzimmer sicher sein würden. Aber einen anderen Plan hatte er gerade nicht, deswegen musste dieser erst einmal genügen. Als die Tür zur hinteren Treppe endlich in Sicht kam, verdrängte Kakeru den finsteren Gedanken und ließ sich von neuer Hoffnung durchströmen – doch als er die Tür öffnete, erstarb diese sofort wieder. Vor ihm standen mindestens ein Dutzend dieser seelenlosen Gestalten und sie alle starrten in seine Richtung. Er glaubte, sie waren genauso blind wie jenes Exemplar, mit dem er gekämpft hatte, aber das Geräusch beim Öffnen der Tür musste deutlich genug gewesen sein, um jegliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben. Und wenn nicht das, dann half ihnen sicherlich Yuka dabei, die ein erschrockenes Geräusch von sich gab. Glücklicherweise schafften die Wesen es im Moment noch nicht, sie anzugreifen, denn sie schienen akute Schwierigkeiten damit zu haben, sich darauf zu einigen, wer von ihnen als erstes durch die Tür gehen durfte, so dass mehrere von ihnen stöhnend im Rahmen steckenblieben. Kakeru wollte Yuka bereits zurechtweisen, ungeachtet des Lärms, den er dabei zusätzlich machen würde, aber als er sah, was ihren Schreck verursacht hatte, blieb ihm fast das Herz stehen: Ein weiteres dieser Wesen war plötzlich hinter ihnen aufgetaucht und hielt nun ebenfalls auf sie zu. „Was tun wir jetzt?“, fragte sie leise, mit zitternder Stimme. Er konnte nicht antworten, er war ratlos. Die hintere Treppe war keine Option, die Haupttreppe ebenfalls nicht und der Hof schon gleich gar nicht. Mussten sie hier nun etwa aufgeben? Yuka drängte sich schutzsuchend an Kakeru, der wiederum versuchte, sie und sich von den ausgestreckten Händen der gierigen Meute fernzuhalten. Das andere Wesen, das sich gerade auf sie zubewegte, musste einst ein Schüler gewesen sein, jedenfalls verriet das die Uniform, aber es war niemand, den Kakeru kannte. Er hatte einen Schuh verloren und eine klaffende Bisswunde im Hals. Das war etwas, das noch einmal bestätigte, dass diese Verwandlung schnell vonstatten ging und gleichzeitig die Erklärung, warum die Situation so schnell außer Kontrolle geraten war. Doch gerade als Kakeru beschloss, dass er etwas tun sollte, um zumindest Yuka die Flucht zu ermöglichen, hörte er sich nähernde Schritte, deren Gleichmäßigkeit verrieten, dass sie von einem Menschen stammten – und im nächsten Augenblick sah er eine Schülerin aus einem Nebengang auftauchen. Ein weißes Band war in ihr langes, rotes Haar geflochten, ihre violetten Augen blickten ihm kühl entgegen, aber das Auffallendste an ihr war das Schwert, das sie in ihrer rechten Hand hielt. Getrocknetes Blut klebte an der Klinge und Kakeru hoffte inständig, dass es sich dabei um das von diesen Wesen und nicht von anderen Menschen handelte. „Senpai!“, rief Yuka aus. „Hilf uns!“ Woher sie wusste, dass die Fremde sich in der Oberstufe befand, wusste Kakeru nicht, aber diese Aufforderung half offenbar, denn die Schülerin setzte sich sofort in Bewegung. Es kostete sie nur einen kurzen Schwertstreich, dann lag das Wesen kopflos auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Direkt danach strebte sie an ihnen vorbei und schlug die Tür zur Treppe wieder zu, ohne darauf zu achten, dass sie dabei, mit einiger Anstrengung, ein paar Arme abtrennte. Erst dann wandte die Ältere sich ihnen wieder zu und bedeutete ihnen mit einer knappen Handbewegung, ihr zu folgen, was die beiden auch sofort taten. Kakeru blieb dabei aber immer noch angespannt. Er wusste gar nichts über diese Person, weswegen er lieber auf der Hut bleiben wollte, besonders in dieser schlimmen Situation. Die Schülerin führte sie in ein leeres Klassenzimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Yuka setzte sich auf einen Stuhl, die andere Schülerin lehnte sich gegen den Lehrertisch, Kakeru blieb zwischen ihnen beiden stehen. „Wer seid ihr beiden?“, fragte die Ältere schließlich, nachdem es so aussah, als hätten sich alle wieder ein wenig beruhigt. „Ich bin Kakeru Satsuki und das ist Yuka Minase. Wir waren auf der Krankenstation, als ...“ Er brach ab und schüttelte nur ein wenig den Kopf. Er konnte es immer noch nicht glauben und er verstand es auch nicht so recht. Solche Dinge geschahen normalerweise nur in Horrorfilmen, aber doch nicht im echten Leben. „Mein Name ist Misuzu Kusakabe“, erwiderte die andere Schülerin. „Warum seid ihr noch hier? Solltet ihr nicht lieber verschwinden?“ Kakeru deutete mit dem Daumen in Richtung Fenster. „Da draußen scheint es auch nicht wirklich sicher zu sein, oder?“ Misuzu folgte seinem Fingerzeig und runzelte die Stirn. Offenbar hatte sie noch nicht nach draußen gesehen, was sie nun aber nachholen wollte, weswegen sie ans Fenster trat, gefolgt von Kakeru, bei dem die Neugier nun doch die Furcht überwog. Doch schon im nächsten Moment bereute er das bereits wieder. Der Schulhof glich einem Schlachtfeld. Überall lagen tote Schüler oder Lehrer herum, von denen einige schlimmer aussahen, als andere. Um so manchen waren diese Wesen geschart, die zu fressen schienen, andere Leichen wiederum erhoben sich ungelenk vom Boden, genau wie der Direktor zuvor, um nun selbst Jagd auf andere Überlebende zu machen. Von diesen war allerdings niemand mehr zu sehen, die Schreie waren auch längst verstummt, es schien, als wäre da draußen absolut keiner mehr, außer ihnen, noch am Leben. Hastig wich er zurück, um sich das nicht mehr ansehen zu müssen, Misuzu dagegen blieb stehen und sah weiterhin nach draußen. „Was geht hier eigentlich vor?“, fragte Kakeru. „Was ist geschehen?“ Yuka blickte besorgt zu ihm herüber, aber im Moment ignorierte er sie, um weiterhin die ältere Schülerin ansehen zu können, in der Hoffnung, dass sie eine Antwort für ihn haben würde. „Ich weiß es nicht so genau“, erwiderte Misuzu. „Ich war bereits im Lehrerzimmer und habe die Nachrichten gesehen, aber man weiß dort auch nicht viel mehr. Sicher ist nur, dass es in der gesamten Stadt passiert.“ „Wir hatten auch vor, ins Lehrerzimmer zu gehen“, sagte Yuka. Misuzu schüttelte mit dem Kopf. „Das solltet ihr nicht tun. Dort ist es auch nicht mehr sicher. Die Wesen sind schon überall in der Schule.“ „Dann müssen wir das Gelände verlassen“, schloss Kakeru. „Aber wie sollen wir das tun?“ „Und wo sollen wir hin?“, fügte Yuka hinzu. Wenn es überall in der Stadt so aussah, schien es wirklich aussichtslos. Fast schon war Kakeru geneigt vorzuschlagen, dass sie einfach bleiben sollten, aber das war keine Möglichkeit. Glücklicherweise war nun Misuzu bei ihnen, so dass sie einen Vorschlag machen konnte: „Ich lebe im Kusakabe-Tempel, am Stadtrand. Dort gibt es wenig Menschen, vielleicht ist es dort sicher.“ Kakeru hatte nicht einmal gewusst, dass es den Kusakabe-Tempel gab, aber das hörte sich nun wirklich wie eine gute Lösung an. Jedenfalls vorerst. Wenn sie in Sicherheit waren, konnten sie immer noch darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Er nickte, aber Yuka übernahm das Wort: „Führ uns bitte hin, Misuzu-senpai.“ „Sollen wir nicht vielleicht noch andere überlebende Schüler suchen?“, fragte Kakeru, obwohl er nicht wirklich glaubte, dass es noch welche von ihnen gab. „Es gibt keine mehr“, erwiderte Misuzu. „Ich war in der gesamten Schule, aber ihr seid die einzigen beiden, die ich finden konnte.“ Yuka hielt sich die Hand vor den Mund und stieß einen erstickten Schrei aus. Kakeru schüttelte dagegen sofort mit dem Kopf. „Das kann doch nicht sein! Wir können nicht die einzigen sein, die noch leben!“ Er weigerte sich einfach, zu glauben, dass alle ihre Mitschüler, alle Lehrer, einfach jeder, den sie kannten, tot sein sollte. Und zu seinem Glück bestand Misuzu nicht darauf, dass es so war: „Ich denke, anfangs konnten viele fliehen. Die Wesen sind nicht sonderlich schnell und sie sehen nichts, also dürfte es einigen gelungen sein, zu verschwinden.“ Bei diesen Worten atmete Yuka erleichtert auf, aber Kakeru blieb weiterhin pessimistisch. Wenn es überall in der Stadt so aussah, war die Wahrscheinlichkeit, dass selbst die Geflohenen inzwischen tot waren, viel realistischer als die Möglichkeit, dass sie immer noch lebten. Das sagte er Yuka allerdings nicht, es war besser, wenn sie zumindest eine Weile noch optimistisch blieb. In Misuzus Augen konnte er aber sehen, dass sie genau dasselbe dachte wie er. „Wollen wir dann gehen?“, fragte sie, statt den Gedanken auszusprechen. „Bleibt einfach immer hinter mir, seid leise und schnell – dann werden wir es gemeinsam in Sicherheit schaffen.“ Dabei klopfte sie vorsichtig mit dem blutigen Schwert gegen ihr Bein. Und zum ersten Mal an diesem Tag, glaubte Kakeru wirklich, dass sie es schaffen würden, alles zu überleben, solange sie nur bei Misuzu blieben. Mit neuer Zuversicht erfüllt, verließe er gemeinsam mit den beiden Mädchen das Klassenzimmer. Die Wesen im Treppenhaus klopften noch immer gegen die Tür, aber sie ignorierten das allesamt und strebten in die andere Richtung davon. Doch schon nach wenigen Schritten erklang ein leiser Schrei aus einem der Seitengänge, der sie allesamt innehalten ließ. „Da hat doch jemand überlebt“, flüsterte Yuka. „Wir müssen ihnen helfen.“ Misuzu seufzte leise, nickte allerdings und lief sofort in die Richtung los, aus welcher der Schrei gekommen war. Kakeru zögerte nicht und folgte ihr sofort, immer mit der Hoffnung in seinem Inneren, dass er die betreffende Person nicht kennen würde, dass niemand, den er mochte, gerade in Gefahr war – und dass sie hier nicht gerade selbst einfach nur in eine Falle liefen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)