Story of the Dead von Flordelis ================================================================================ 1. [Awakening of the Dead – Act 3]: School of the Dead ------------------------------------------------------ Das vorwurfsvolle Schweigen, während der Direktor in der Akte blätterte, beunruhigte Yuuto nicht im Mindesten. Er war lediglich von der Tatsache genervt, dass er nun mit schmerzenden Gliedern, geschwollener Wange und zerzaustem, kohleschwarzem Haar im Büro saß – allein. Dabei war das Geschehene nicht seine Schuld gewesen, aber es war wieder einmal typisch und genau das nervte ihn am meisten an dieser ganzen Sache, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. Mit einem Seufzen schloss der Direktor die Akte, legte die Unterarme auf den Tisch und faltete die Hände. Er beugte den massigen Oberkörper ein wenig vor und blinzelte müde hinter seinen Brillengläsern. „Nun, Takamine, hast du etwas zu deiner Verteidigung zu sagen.“ „Es war nicht meine Schuld!“ Möglicherweise war es die denkbar schlechteste Verteidigung, aber eine andere kam ihm in diesem Moment nicht in den Sinn, vor allem da es auch wirklich der Wahrheit entsprach. Wenn dieser verwöhnte Bastard ihn provozierte, musste er eben mit einer Reaktion rechnen – und an diesem Tag war es nicht bei einer verbalen geblieben, stattdessen hatte Yuuto zu einer körperlichen Maßnahme gegriffen, bis sie in eine handfeste Prügelei, mitten auf dem Schulgang, verwickelt gewesen waren. Aber immerhin konnte er nun etwas Gutes über seinen Rivalen sagen: Shun Akitsukis Schläge besaßen eine vollkommen ungeahnte Wucht. „Du willst also nicht zugeben, dass du...“ – er tat als müsste er noch einen Blick auf die Akte werfen, obwohl diese geschlossen war, dabei wusste Yuuto, dass er diesen bestimmten Namen sicher nicht einfach vergessen würde – „... Akitsuki angegriffen hast?“ „Das bestreite ich nicht“, erwiderte Yuuto. „Das habe ich getan. Aber nur weil er mich, wie jeden Tag, provoziert hat! Ich lasse mir das doch nicht ewig gefallen!“ Der Direktor räusperte sich. „Dazu kann ich nichts sagen, davon ist nichts vermerkt.“ Darüber wunderte sich Yuuto kein bisschen, immerhin waren die Akitsukis vermögend genug, um ihren Sohn aus allen Angelegenheiten, die eine Gefährdung seines Status bedeuten könnten, herauszuhalten, das war mit Sicherheit auch der Grund, warum nur er hier saß, Shun allerdings nicht. Mit toten Eltern und ebenso toten Adoptiveltern, war es eben nicht leicht, sich aus solchen Dingen freizukaufen, wenn nicht sogar vollkommen unmöglich. „Nun, Takamine, was denkst du, wie es nun weitergehen sollte?“ Yuuto presste die Lippen aufeinander, denn er wusste, egal was er sagen würde, es war zwecklos, also warum sollte er es überhaupt erst versuchen? Der Direktor schüttelte seufzend den Kopf und setzte gerade an, etwas zu sagen, als das laute Knacken der Schulsprechanlage ihm das Wort abschnitt. Sichtlich irritiert hob er den Blick zu einem Lautsprecher, der in einer Ecke des Zimmers an der Decke angebracht war. Normalerweise, so wusste Yuuto, musste jede Ansage vom Direktor genehmigt werden und wurde dann mit einer besonderen Tonfolge eingeleitet, aber bei dieser war nichts von beidem der Fall, auch wenn er das mit der Genehmigung lediglich aufgrund der Reaktion seines Gegenübers annahm. „Dies ist eine Notfalldurchsage!“ Die Stimme eines Lehrers drang blechern aus dem Lautsprecher, aber die Furcht, die er verzweifelt zu kontrollieren versuchte, war dennoch deutlich hörbar. „Soeben kam es auf dem Schulgelände zu einem tätlichen Angriff auf einen Schüler! Der Täter hält sich vermutlich immer noch im Gebäude auf, weswegen Schüler angeraten sind, ihre Klassenzimmer nicht zu-“ Die Stimme brach urplötzlich ab, als ein lautes Krachen im Hintergrund hörbar wurde, gefolgt von einigen verzweifelten Schreien, die Yuuto bislang lediglich aus Filmen kannte, hier nun aber anders, echter und damit gleichzeitig unwirklich klangen, weil er sie einen Tick anders gewohnt war. Es folgte ein lautes Krachen, vermutlich als das Mikrofon während des Kampfes zu Boden gerissen wurde, dann herrschte Stille. Unwillkürlich hielt Yuuto den Atem an, wartete darauf, dass die Durchsage weiterging und ihnen allen lachend mitgeteilt wurde, dass es nur ein Scherz gewesen war. Doch je mehr Zeit verstrich, desto klarer wurde ihm, dass es sich hierbei um die grausame Realität handelte, dass irgendein Verrückter in die Schule eingedrungen war und nun Leute umbrachte. War es vielleicht sogar... ein Amoklauf? Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab, als er sich vorstellte, wie dieser Jemand in sein Klassenzimmer eindrang und seine Freunde tötete – aber noch viel schlimmer, geradezu paralysierend, war der Gedanke, dass es genausogut seine Adoptivschwester Kaori treffen könnte. Er bemerkte erst, wie lange er in diese grausigen Vorstellungen versunken gewesen war, als der Direktor leise seufzend an ihm in Richtung Tür vorbeilief. Yuuto sprang sofort von seinem Stuhl auf. „Wohin gehen Sie?“ „Na wohin wohl?“, erwiderte der Direktor schulterzuckend. „Ich werde in den Senderaum gehen und nachsehen, was vorgefallen ist. Du wartest hier.“ Es gab keinen Grund für Yuuto, ihn davon abhalten zu wollen, immerhin wäre das seine Gelegenheit, aus dem Büro zu verschwinden und nach seiner Schwester und seinen Freunden zu suchen, in der Hoffnung, dass der Verrückte sie noch nicht erwischt hatte. Da er nichts mehr sagte, verließ der Direktor das Büro und ließ ihn allein zurück. In Gedanken zählte er bis zehn, ehe er den Brieföffner, der auf dem Tisch lag, an sich nahm. Es war nur eine reichlich stumpfe, spitz zulaufende Klinge, die ihm wohl kaum viel helfen würde, aber im Notfall könnte sie ihm doch nützlich werden – immerhin gab es genug Krimis, in denen Menschen mit genau solchen Gegenständen umgebracht wurden. Derartig bewaffnet, verließ er ebenfalls das Büro, um das Klassenzimmer seiner kleinen Adoptivschwester aufzusuchen. Doch schon nach wenigen Schritten musste er wieder innehalten. Vor ihm, mitten auf dem Gang, lag der reglose Direktor. Eine knieende Gestalt hatte sich über ihn gebeugt und – Yuuto musste mehrmals hinsehen, um es wirklich glauben zu können – versuchte an ihm zu nagen, was ihm wohl nicht wirklich gelang, so wie es aussah und wie das verzweifelte Stöhnen der Gestalt verriet. Yuuto wollte allerdings nicht wirklich herausfinden, was der Grund für sein Scheitern war, sein Bestreben war es eher, fortzukommen, so schnell wie möglich, ehe die Person auf ihn aufmerksam werden würde. Aber noch bevor er das schaffen konnte erklang ein lauter Schrei, dem sich bald schon mehrere anschlossen, ehe das Chaos loszubrechen schien. Schüler stürmten aus ihren Klassenzimmern auf den Gang, um aus dem Gebäude zu fliehen, zumindest hoffte Yuuto, dass sie derart umsichtig waren, selbst in ihrer Panik, die durch das ganze Gebäude schallte. Er glaubte sogar, leichte Erschütterungen, verursacht von unzähligen Füßen, wahrnehmen zu können. Die Gestalt hielt plötzlich inne und richtete den Oberkörper auf. In diesem Moment war es Yuuto möglich, das aschfahle Gesicht der Frau zu erkennen, es war die Sekretärin des Direktors... oder zumindest war sie das einmal gewesen, als sie noch gelebt hatte, was sie jetzt ganz offensichtlich nicht mehr tat, dazu musste er nicht einmal ihren Puls fühlen. Einen Augenblick lang kniete sie einfach neben dem toten Direktor und tat nichts außer zu lauschen, wie es schien. Yuuto konnte sie nur entgeistert anstarren, wartend und hoffend, dass sie ihn nicht bemerken würde. Er versuchte sich nicht einmal in die Illusion zu fliehen, dass dies nur ein Traum war, dafür war das schmerzhafte Ziehen in seinem Inneren, das Unverständnis, das hinter seiner Stirn pochte und vor allem jedes einzelne Geräusch viel zu real. Außerdem waren seine Gedanken klar, anders als sie in einem Traum sein dürften und... Ihm fielen keine weiteren Gründe ein, die dagegen sprachen, dass dies ein Traum war, obwohl er sich genau das eigentlich wünschen sollte, wie er wusste. Plötzlich richtete sich die Sekretärin mit einem Jaulen auf und schlurfte in die Richtung davon, aus der die lautesten Geräusche kamen, was glücklicherweise nicht in seine war. Er hoffte nur, dass die anderen Schüler schlau genug waren, ihr aus dem Weg zu gehen. Für einen Moment blieb er noch stehen und wartete, versuchte zu verarbeiten, was er gerade gesehen hatte und eine vernünftige Erklärung zu finden, wenn sein Gehirn ihm schon die Wahrscheinlichkeit eines Traums verweigerte. Hängt es mit dieser seltsamen Krankheit zusammen?, fuhr es ihm durch den Kopf. Vielleicht greift sie ja das Gehirn der Erkrankten an? Doch es war nicht der passende Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Noch immer hörte er das entsetzte Kreischen der anderen Schüler, die hastigen Schritte und er fragte sich, warum sie so lange brauchten, um zu entkommen – und warum er immer noch hier stand. Yuuto fuhr herum und rannte den Gang hinunter, der trotz der Schülermassen von kurz zuvor nun wieder leer war, was nur dafür sprach, wie panisch sie davonrannten, um fortzukommen. Als er einen Blick in eines der Klassenzimmer warf, hielt er erschrocken wieder inne. Auf einem der Tische lag ein Schüler mit blutdurchtränkter Kleidung, die Bauchdecke war aufgerissen – und über ihn lehnten sich zwei andere Schüler und ein Lehrer, die seine Innereien zu fressen schienen. Das ist der Grund, warum sie wegrennen! Diese Dinger sind schon längst überall! Aber obwohl er wusste, dass es unter diesen Umständen hoffnungslos und auch obwohl er sicher sein konnte, dass für diesen Schüler jede Hilfe zu spät kam, konnte er nicht einfach nur zusehen oder sogar weitergehen als hätte er nichts gesehen. „He! Das reicht! Lasst ihn in Ruhe!“ Die drei Wesen – er konnte sie einfach nicht mehr als Menschen bezeichnen, nicht einmal in Gedanken – hielten in ihrer Tätigkeit inne und hoben gleichzeitig die Köpfe, um ihn anzusehen, aber obwohl sie in seine Richtung blickten, bekam er den Eindruck, dass ihre milchigen Augen ihn nicht fixieren konnten, denn jeder von ihnen schien ein wenig an ihm vorbeizuschielen. Das weckte einen gewissen Verdacht in ihm, dem er sofort nachzugehen versuchte. So lautlos wie möglich griff er nach einem Schuh, den einer der Flüchtenden verloren haben musste und warf ihn ins Klassenzimmer hinein. Mit einem dumpfen Geräusch landete er auf dem Boden – und sofort gingen die Blicke aller Wesen in genau diese Richtung. Sie sind blind! Das erklärte immerhin auch, weswegen die Sekretärin ihn nicht bemerkt hatte, obwohl er nur wenige Schritte neben ihr gestanden hatte. Sie achteten nur auf die Geräusche, die ihre Beute verursachten und orteten sie anhand dieser – auch wenn ein nur nach einer ersten Beobachtung vielleicht doch zu viel gesagt war. Aber es war besser, wenn er sich erst einmal auf diese Information verließ, bis er eine neue bekam. Was er damit allerdings nun anfangen sollte, wusste er auch nicht so recht. Sie mochten vielleicht keine Menschen mehr sein, keine richtigen jedenfalls, aber sie sahen noch aus wie solche und vor gar nicht allzu langer Zeit waren sie auch noch welche gewesen – also konnte er sie nicht einfach töten. Noch dazu da sie zu dritt waren und er allein und ohne jede vernünftige Waffe. Egal wie blind oder langsam sie waren, er war ganz klar im Nachteil. Also tat er das einzige, was ihm in dieser Situation logisch erschien: Er rannte davon. Es hatte keinen Zweck, sein Leben zu riskieren, besonders wenn es nur einen Ort gab, zu dem er nun wollte, eine Person, die er suchen und retten musste. Hinter sich hörte er ein klagendes Stöhnen und schlurfende Geräusche, als diese Wesen ihm zu folgen versuchten. Er war sich bewusst, wie gefährlich es war, sie zu Kaoris Klassenzimmer zu führen, aber er musste auf dem schnellsten Weg dorthin, bevor ihr etwas geschah. Während er lief, kam er immer wieder an einzelnen Schuhen, Blutlachen oder sogar ganzen Körperteilen vorbei und all diese Dinge malten ihm ein grausiges Bild davon, wie schlimm die Lage in Wirklichkeit gerade war und dass es mehr als ein Dutzend dieser Angreifer geben musste, wenn sie in derart kurzer Zeit ein solches Massaker veranstalten konnten. Immerhin fand er aber keine weiteren Wesen, offenbar waren sie alle dem Kreischen der Schüler gefolgt. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte ihn darin – aber er zeigte ihm auch, dass die anderen Schüler weniger Skrupel als er kannten, denn der ein oder andere befand sich tatsächlich in einem erbitterten Kampf mit diesen Wesen. Vielleicht sehen sie aber nur die Gelegenheit, sich an jenen zu rächen, die sie nicht mochten... Würde Shun sich in ein solches Wesen verwandeln, er wüsste nicht, ob er dann nicht ebenfalls mit geradezu bestialischer Freude den Schädel seines Feindes einschlagen würde. Doch er verscheuchte den Gedanken erst einmal, als er endlich das Klassenzimmer seiner Schwester erreichte – nur um festzustellen, dass es leer war. Die Enttäuschung in seinem Inneren ließ einen Kloß in seinem Hals entstehen, obwohl er eigentlich bereits gewusst hatte, dass sie nicht hier sein würde. Sie war sicherlich mit den anderen geflohen und er hoffte, dass sie schnell und geschickt genug war, um zu überleben. Immerhin war dieses Klassenzimmer sauber, es gab kein Blut, keine verlorenen Gegenstände... vermutlich hatte es in Kaoris Klasse keinen Angreifer gegeben und ihre Flucht war daher wesentlich geordneter abgelaufen. Er drehte sich um, damit er wieder gehen und sich den anderen Schülern auf dem Schulhof anschließen könnte, da bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Gerade wollte er sich in Kampfstellung begeben, als ihm bereits bewusst wurde, dass diejenigen, die da auf ihn zukamen, keine Angreifer waren, sondern Personen, die er nur zu gut kannte. „Yuu!“ Freudestrahlend warf das Mädchen mit dem kurzen braunen Haar sich ihm um den Hals. „Du lebst, ich bin so froh, du Idiot!“ Ein wenig ungelenk erwiderte er die Umarmung und da fiel ihm erstmals auf, wie verkrampft er den Brieföffner bislang in der Hand gehalten hatte, so dass er den Griff sofort lockerte. „Kyouko“, entfuhr es ihm erleichtert, ehe er den Blick hob und auch den seltsam amüsiert schmunzelnden blonden Schüler an ihrer Seite musterte. „Kouin... ihr seid am Leben, was für ein Glück.“ Kyouko Misaki und Kouin Midori waren schon seit Jahren seine besten Freunde und er schämte sich ein wenig dafür, dass er in dieser Situation bislang kaum an die beiden gedacht hatte. Aber nun da sie wieder beide vor ihm standen, fühlte er sich wesentlich erleichterter als zuvor, ein schweres Gewicht schien von seiner Brust genommen worden zu sein – und wie so oft hatte er das Gefühl, mit den beiden alles erreichen zu können, auch das Überleben in dieser Apokalypse, die hoffentlich keine war. Die Kleidung der beiden war blutig, aber es war derart wenig, dass es von keiner eigenen Verletzung zu stammen schien, wie üblich trug Kyouko einen weißen Fächer bei sich, an dem an diesem Tag Haare und auch etwas Blut klebte. Der Baseballschläger in Kouins Hand wiederum, sah schon eher so aus als hätte jemand ihn benutzt, um damit mehrmals auf jemanden einzuschlagen. Yuuto wollte gar nicht wissen, was sie durchgemacht hatten. „Wisst ihr, wo Kaori ist?“, fragte er hastig, als Kyouko sich von ihm gelöst hatte. Beide nickten, wirkten dabei aber auch ein wenig zerknirscht. „Es wird dir allerdings gar nicht gefallen.“ Yuuto fürchtete bereits, dass sie ein Opfer oder gar selbst eines dieser Wesen geworden war, doch als die beiden fortfuhren, war er sich gar nicht mehr so sicher, ob das nicht vielleicht doch die bessere Alternative gewesen wäre: „Shun ist mit ihr geflohen, die beiden sind schon vom Schulgelände weg und vermutlich auf dem Weg zu seinem Haus.“ Er runzelte missbilligend die Stirn, aber ihm blieb keine Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern, denn Kouin wurde bereits ungewöhnlich ernst: „Aber nun mal etwas anderes, Yuuto.“ Kouin hob den Baseballschläger und deutete damit direkt auf seinen Freund, der ihn mit angehaltenem Atem anstarrte und hoffte, dass er gerade nur einen schlechten Witz zu machen versuchte. Doch Kouin blieb weiterhin ernst und seine Stimme war eiskalt, als er fortfuhr: „Wurdest du gebissen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)