Blast from the Past von SainzDeRouse (Das Phantom der Oper) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Sechstes Kapitel Ungewöhnlicher Alltag   Paris, Juni 1871   Seit nunmehr zwei Wochen war ich angestellte an der Oper. Wie versprochen hatte mir Madame Giry innerhalb von wenigen Tagen meine gefälschten Papiere besorgt. Sie hatte mir den Umschlag in die Hand gedrückt, meinen Freifahrtschein zu einem neuen Leben. Mit diesen Dokumenten würde ich ab jetzt überall und für alle Zeit als ehrbare Bürgerin leben können. Nervös hatte ich sie dem Personalleiter Monsieur Personnel vorgelegt, er hatte sie sich kurz angesehen und nichts weiter dazu gesagt. Ich war also damit durchgekommen.   Schade war nur das ich noch immer nichts von der Oper zu sehen bekommen hatte. Meistens kümmerte ich mich um das Foyer oder den Sitzreihen im Zuschauerraum. Auch habe ich einmal dabei geholfen den Fußboden der Bühne zu säubern und zu pflegen oder auch einfache Flure, doch niemals bekam ich eine Garderobe, geschweige denn die oberen Stockwerke zu sehen. Vielleicht glaubten sie das ich etwas stehlen könnte, mittlerweile hatten alle gemerkt wer und was ich bin. Den Direktoren kümmerte es nicht und auch Monsieur Personnel nahm keine Notiz davon, obwohl ich bereits befürchtet hatte, das mich jemand der anderen verrät, doch dem war nicht so. Auch Madame Girys Erklärung das es nicht von Belangen war, nahm mir den Wind aus den ängstlichen Segeln und es beruhigte mich. Doch hatte sie auch mit einer anderen Sache Recht behalten. Da ich offen zeigte was ich war, zeigten mir die meisten was sie von mir hielten. Auch Claudin war lange nicht mehr nett zu mir. Sie unterließ es mir Beschimpfungen an den Kopf zu werfen, doch dadurch wurde ihr Ton mir gegenüber nicht netter. Auch machte sie mich oft für Dinge schuldig, die ich nie begannen hatte und behauptete ich würde meine Arbeit nicht ordentlich verrichten. Ich weiß noch wie ich einen langen Flur gesäubert hatte und als sie zu mir kam und ich den eben gesäuberten Gang zurück laufen wollte, prasselte ihre schrille Tirade direkt auf mich ein, was ich denn solchen Dreck verursachte... doch das hatte ich nicht getan. Und doch waren dort schmutzige Schuhabdrücke zu sehen, ganz deutlich. Ich tat es als schlechten Scherz ab, doch geschah Solcherlei immer wieder.   Rowen blieb wie abgemacht im Stall während ich meine Arbeit verrichtete und hatte sich bereits so sehr daran gewöhnt, das er tatsächlich begann wie ein Wachhund zu fungieren. Abgesehen von mir, den Stallburschen und den Kutschern bellte er misstrauisch wenn sich jemand dem Stall näherte. Ich vermisste ihn oft sehr. Da ich so vertieft in die Arbeit war und über und immer mehr mit Aufgaben überhäuft wurde, blieb mir kaum Zeit für eine Pause bei ihm. Wie Monsieur Personnel schon gesagt hatte, es waren zu wenige von uns da. Aber sie mussten an Personal sparen. Und das war der Grund weswegen so Wenige, die bereits vor dem Unglück hier gearbeitet hatten, übrig waren. Doch beklagen wollte ich mich nicht. Das Gehalt welches ich wöchentlich erhielt sparte ich mir brav zusammen, in eine Schatulle, die ich mir gekauft hatte, weil sie mir so gut gefiel. Fünf Franc verdiente ich in einer Woche und mindestens die Hälfte davon landete in meiner Schatulle. Ich hatte Madame Giry angeboten von meinem Geld zu leben und Miete zu zahlen, doch wollte sie nichts davon hören. Ich sollte es mir lieber sparen falls ich es einmal brauchte oder mir etwas Schönes kaufen, schließlich hätte ich es doch verdient.   21.Juni 1871   Ich war mit dem gesamten Foyer fertig schlurfte den weiten Weg entlang bis zum Umkleideraum der Putzfrauen, der auch als Pausenraum benutzt wurde, wenn sie nicht an einer Zigarette ziehend am Hinterausgang standen. Bevor ich meine Hand auf die Klinke legte hörte ich Claudin's schnarrende, schimpfende Stimme. Seit sie sich entschieden hatte sich so feindselig mir gegenüber zu zeigen, vermied ich es vehement mit ihr länger in einem Raum zu sein.   „Ich halte es nicht aus“, klagte sie. „Wir dachten er sei endgültig verschwunden. Sie SAGTEN er sei endgültig verschwunden, warum nur ist er wieder da?“   „Claudin, sei nicht albern. Sicherlich hast du dich verhört, weil du es so sehr erwartet hattest“, beschwichtigte Mafalda.   „Warum nur glaubst du mir nicht? Ich schwöre dir, ich habe ihn gehört. Er hat mich angeschrien“, weinte sie nun. „Ich kann das nicht Mafalda, ich kann das nicht. Ich werde nie wieder dort hinein gehen, vergiss es. Da können sie noch so toben. Im Moment wird der Gang doch gar nicht gebraucht, was sollen wir ihn nun putzen?“   „Du weißt das die Premiere von Faust mit Jeanne Bussie bevorsteht. Sie rechnen damit das wieder mehr eingestellt werden können, wenn erfolgreich anklang findet. Und sei froh darüber oder willst du deine Stelle verlieren oder gar weiterhin wie ein Esel schuften bis du eines Tages daran stirbst? Ich halte das nicht mehr lange aus und bin froh wenn wieder Normalität einkehrt“, gab Mafalda dazu. „Nein, aber es war so furchtbar. Können wir nicht jemand anderen hinschicken? Wie wäre es mit Cliodne? Dieses gottlose Weibsbild würde keiner vermissen“, zischte sie.   „Von wegen, wenn sie einer da hinten erwischt bist du dran, glaub nicht das ich dich dann in Schutz nehme. Das letzte Jahr war schwer genug, beinahe hätte ich meine zwei Ältesten von der Schule nehmen müssen, weil wir uns die Gebühren nicht mehr leisten konnten. Schulden habe ich machen müssen. Mir ist es gleich ob er wieder da ist oder nicht, bisher hatte er nie eine von uns belangt, also warum sollten wir uns fürchten? Außerdem würde dir Madame Giry Feuer unterm Hintern machen wenn sie erfährt wie du über Cliodne sprichst. Schick sie nicht dort hin. Hör auf zu jammern und tu deine Pflicht.“ Ehe ich darüber nachdenken konnte worüber sie sprachen, hörte ich Stuhlbeine über den Boden kratzen und verschwand eiligst von der Tür. Noch während die Tür aufschwang, konnte ich mich wenige Schritte weiter in einer Nische verstecken. Glücklicherweise gingen sie in die andere Richtung ich blieb unentdeckt. Wer nur war von dem sie sprachen? Und warum hatten sie solche Angst?   23. Juni 1871 Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, in wenigen Tagen war die Premiere von Chalumeau's Hannibal, Jeanne Bussie, die neue Sopranistin und Primadonna des Hauses in der Rolle der Imilke, die Frau des Hannibals. Es war die letzten Tage vor der Aufführung sehr hektisch und alle waren Panisch, denn die Einnahmen in diesen Tagen würde entscheiden ob die Opéra Populair weiterhin bestehen konnte und wieder ein harter Konkurrent gegenüber den anderen Theatern werden könnte, oder ob Monsieurs Lorence de Richelieu Investitionen umsonst gewesen waren. Vor einem Jahr, so wurde mir erzählt, war die Oper in einem lausigen Zustand. Durch den heruntergestürzten Lüster, durch den ein Brand ausgebrochen war, war der Zuschauerraum größtenteils abgebrannt, wie auch die Bühne und die Kulissen hinter der Bühne. Auch einige Nebengänge hatte es erwischt und man glaubte schon das die Oper nun für immer still gelegt worden war. Wodurch die Oper genau so zu Schaden gekommen war, darüber wollte niemand reden. Jedoch zweifelten viele Unwissende, die damals nicht dabei gewesen waren, an den Lüster, der doch schon so viele Jahre an der Decke gehalten hatte. Warum sollte dieser plötzlich herunterfallen?   Monsieur Lorence de Richelieu, der nach Paris gekommen war um ein neues Leben zu beginnen und etwas in seinem Leben vollbringen wollte, kaufte die Oper den damaligen Direktoren Monsieur Firmin und Monsieur André ab, welche es für einen lächerlichen Preis verscherbelten und sich wieder ihrem Altmetallgeschäft widmeten, oder auch Schrotthandel, wie manche belustigt sagten.   Monsieur Lorence de Richelieu steckte den Großteil seines Geldes in die Reparaturen und Restaurationen hinein, um die Oper wieder zu ihrem vollen Glanz herzustellen. Er warb einen Teil der alten Angestellte wieder an und suchte auch nach neuen. Allerdings waren wir noch immer sehr begrenzt, trotz dessen das für die bevorstehende Premiere alles vorbereitet werden musste. Monsieur Lorence de Richelieu legte viel Wert auf eine gute Qualität, weswegen die Masken, die Bühnenbilder, die Requisiten und Kostüme aus teuren Stoffen und Materialien bestand.   In den letzten Wochen wurde noch ein kleiner Teil neues Personal eingestellt um mit den Vorbereitungen fertig zu werden und ich hörte von manchen Maskenbildnern oder Bühnenarbeiter das wohl auch Madame Bussie ihr Vermögen hineingesteckt haben soll. Vor zwei Monaten hatte Monsieur Lorence de Richelieu auch einen Co-Direktor erworben, ein alter Freund, so heißt es. Monsieur Jean-Jacques Rousseau war ein vermögender Mann und liebte die Oper, weswegen er sich sehr gerne dafür bereit erklärte die Stelle als Direktor anzunehmen. Doch war er in Gegensatz zu Madame Bussie sehr vorsichtig und versuchte nicht allzu viel Geld zu investieren.   Als ich mit einem vollen Eimer mit schmutzigem Wasser an der Garderobe der Primadonna vorbeiging, kam plötzlich ihre Kammerzofe hinaus geeilt und rammte mich, so das mir ein großer Schwall Wasser hinaus spritzte. Eilig kniete ich mich hin um den Unrat aufzuwischen, doch plötzlich traf mich ein harter Tritt von hinten, der mich über den Wassereimer fallen ließ, wodurch ich ihn fast völlig umgeschüttet hätte. Fast auf dem Fuße war auch noch die Sängerin selbst aus der Garderobe gekommen.   „Mon Dieau.... oh pardon, ich habe sie nicht gesehen Mademoiselle“, sagte sie und lief eilig weiter.     Vor mich hin fluchend wischte ich mit meinem Lumpen von Lappen, der schon einige schwarze Stellen vor Schmutz aufwies, die Pfütze einigermaßen weg und wischte mit meiner Schürze darüber um es zu trocknen. Ich wollte nicht schuld daran sein wenn die Diva ausrutschte und sich meinetwegen verletzte.   „Maldita sea. Hoy quiero hacerlo todo el dia“, schimpfte ich und klagte über den Umstand das mir heute jeder den Tag vermiesen wollte.   Erst war es Mafalda, die mich wegen nichts und wieder nichts, die Hölle heiß machte, dann musste ich so manche Gänge mehrmals wischen, da jeder hektisch und geschäftig herumlief und niemals daran dachte die Schuhe an den - nur für diesen Zweck, an jedem Ausgang, außer dem offiziellen Eingang - Schuhabstreifer abreiben wollte.   „Pardon, noch einmal, ich hatte sie nicht gesehen Mademoiselle.“   Grummelnd wischte ich noch immer die nasse Fläche. Meine Schürze würde ich heute nicht mehr tragen können.   „Mademoiselle?“   Seufzend die schmutzige Schürze von mir reißend, stand ich auf, nahm den Eimer und wollte weiter gehen, als ich plötzlich fast in Jeanne Bussie hineingelaufen wäre. Diese hübsche Frau stand in einem rüschenreichen Bademantel vor mir, scheinbar hatten gerade eben noch Anproben in ihrer Garderobe stattgefunden. Zu meinem Unglück schwappte das Wasser noch einmal aus dem Eimer, wenn auch nicht so stark und wäre das schon nicht schlimm genug - fiel ein verräterischer Tropfen, obwohl die Diva nicht allzunahe bei ihr stand - auf ihren Pantoffel.   „OH PARDON, MADAME! PARDON! PARDON!“, rief ich verschreckt, warf mich auf die Knie und versuchte mit einer sauberen Ecke meiner Schürze den Wasserfleck wegzuwischen.   „Es ist schon gut, na komm, steh auf“, sagte Jeanne Bussi, griff mir sanft an die Schultern und zog mich hoch. „Mon Dieu, du bist ja noch ein Kind. Wie alt bist du?“   „Ich bin gerade siebzehn geworden“, antwortete ich brav und sah ihr schüchtern entgegen. Nie hätte ich gedacht das mich eine dieser feinen Damen mich jemals von gleich zu gleich ansprechen würde.   „Hast du denn keine Lehre machen können?... Ach nein, tut mir leid, ich hatte nicht gesehen das...“, sagte sie traurig, als sie das Gold meiner Mutter an meinem Körper betrachtete.   „äh...ja, Madame“, erwiderte ich nur, um überhaupt etwas zu sagen. Der traurige Blick der Diva verwirrte mich ein wenig, denn ich verstand nicht, was sie denn so traurig stimmte.   „Wie heißt du?“, brach Madame Bussie die unangenehme Stille.   „Cliodne.“   „Ein ungewöhnlicher Name. Würdest du mir einen Gefallen tun, Cliodne?“   „Natürlich Madame“, sagte ich und sah sie erstaunt an. Was konnte sie von mir wollen?   „Würdest du für mich eine Bestellung abholen? Meine Kammerzofe ist leider schon weg, ich konnte sie nicht mehr erwischen. Und die Aufführung ist schon in drei Tagen.“   Meinte sie tatsächlich mich? Ich sollte für sie eine Bestellung abholen?   „Kannst du lesen?“   „Ja Madame.“   „Oh Pardon, natürlich“, sagte Madame Bussie peinlich berührt. Sie wollte mich wohl nicht verletzen, doch das hatte sie nicht getan.   „Leider ist es nicht nur eine Sache die abgeholt werden muss, ich hoffe du verzeihst. Ich will dich nicht von der Arbeit abhalten“, sagte sie und hatte eine Liste aus ihrer Tasche gezogen.   „Das macht nichts, Madame“, sagte ich aufgeregt, ohne daran zu denken was Mafalda oder Claudin sagen würden. Doch es kümmerte mich nicht. Es freute mich sehr ihr einen Gefallen tun zu können, wo sie doch so nett zu mir war.   „Hol mir alles was hier auf der Liste steht, ich schreibe dir noch schnell eine Vollmacht, damit man nicht glaubt das du lügst. Du kannst meine Droschke benutzen. Warte einen Moment“, sagte sie, lief in ihre Garderobe hinein, wobei sie die Tür offen stehen ließ. Neugierig lief ich auf die Tür zu und steckte den Kopf hinein. Ganz hineinzulaufen traute ich mich dann doch nicht. Es war ein herrliches, prunkvolles Zimmer. Diese musterreiche Tapete, die Gemälde mit den goldenen Rahmen, die teuren Teppiche, der hübsche Frisiertisch und die schöne Chaiselongue.   Mlle Bussi lief zu ihren Schreibtisch, der in einer Ecke stand, nahm sich ein Blatt Papier, nahm den Füllfederhalter zur Hand und tunkte ihn in das Tintenfässchen und begann schnell etwas darauf zu schreiben.   „Hiermit wird dich niemand behelligen. Hast du etwas zum Umkleiden?“   „Ja, Madame. Gleich dort trüben in unserem Pausenraum.“   „So zieh dich schnell um und komm dann wieder her“, sagte Jeanne Bussie und sogleich lief ich eilig los.   Glücklicherweise war gerade niemand in unserem Pausenraum, so entging ich den unangenehmen Fragen und konnte mich unbemerkt umkleiden und mich wieder hinaus schleichen. Mit meinem Alltagskleid fühlte ich mich wie eine Verbrecherin als ich wieder zur Garderobe zur Diva lief. Ich klopfte an die Tür der Madame. Sie trat ebenfalls in ihrem Alltagskleid heraus, welches so wunderschön war das ich darauf bedacht war nicht zu sehr zu starren. Doch scheinbar war mir das nicht gut gelungen, denn sie lächelte mich verständnisvoll an und führte mich zu den Ställen.   Kaum waren wir durch die große Tür gegangen, rannte auch schon Rowen auf mich zu, stellte sich auf, legte seine Pfoten auf meine Schultern um mein Gesicht abschlecken zu können und wedelte mit seinem Schwanz.   „Ist das deiner?“, fragte Madame Bussie überrascht.   „Ja“, sagte ich und deutete Rowen an ruhig zu sein. Ängstlich blickte ich zur Bussie und hoffte das sie uns nicht für ungehobelt hielt und den Auftrag gar noch jemand anderem übergab. Doch diese lächelte nur, streichelte Rowen nur kurz über den Kopf, was dieser sich brav gefallen ließ und geradewegs zu Jean-Claude.   „Jean, bereite mir bitte meine Droschke vor, Mademoiselle Cliodne braucht es“, bat sie ihn höflich.   Verwirrt blickte er sie an und dann mich, was mir etwas unangenehm war, doch schwieg er und tat was ihm aufgetragen wurde. Das waren die längsten Minuten meines Lebens. Immer wieder streiften mich seine fragenden Blicke, hielt jedoch zu meinem Glück seinen Mund. Ich wollte über nichts herum plappern, was niemanden anging. Nach kurzer Zeit war der schöne Schimmel war angespannt und auf ein Nicken hin von der Bussie, setzte ich mich hinein. Dummerweise war das Dach hinunter geklappt, denn es wäre mir sehr peinlich wenn mich alle Menschen ansehen würden, wenn ich an ihnen vorbeifuhr. Denn die würden nicht wie erwartet die feine Dame erblicken.   Jean-Claude schien meine Gedanken zu lesen, klappte das Dach nach oben und sogleich kam auch der Kutscher zu uns. Jeann Bussie beauftragte ihn mich überall hinzufahren wo ich wollte und Acht auf mich zu geben. Es wäre eilig, so solle er so schnell wie möglich fahren.   „Au Revior, Cliodne. Beeil dich und komme gleich wieder zu mir in die Garderobe“, rief unsere Diva, als die Kutsche losfuhr und den Stall verließ.   „Wo soll es hingehen junge Mademoiselle?“, fragte der Kutscher, bevor er die Straße erreichte und sich einreihen wollte.   Eilig sah ich auf meinen Zettel.     „Tuch“ vom Schneider „Coupeur Aiguille“ auf dem Place Vendôme.   „Collier“ vom Juwelier „Le Bijoutier“ in der Rue Joubert.   „Schuhe“ vom Schuster „Chaussures“ in der Rue St-Augustin.     Die Straßen waren belebt und viele Kutschen und Droschken waren unterwegs. Auch die Fahrradfahrer – manche auch mit dem neuen Rad mit dem Pedalantrieb - fuhren gefährlich nahe an sie vorbei und auch so einige Fußgänger, die es wohl sehr eilig hatten, waren hier und da um ein Haar erfasst worden. Aber dennoch gab der Kutscher den Pferden die Zügel, als wären die alle anderen nicht da, oder als würden sie so oder so zur Seite springen. Glücklicherweise sah ich nicht viel davon, denn die kleine Droschke war wirklich sehr klein. Mehr als zwei Leute konnten hier keinen Platz finden und durch das aufgestellte Dach, sah ich fast nur noch den Kutscher auf seinen Kutschbock. Doch was ich nicht sah, sah mich auch nicht, was mich etwas beruhigte und so die Fahrt genießen konnte. Meine erste Fahrt in einer richtigen, auch so schönen Droschke.   Bald waren wir bei dem Schneider angekommen. Bevor ich von der Droschke hinunterstieg, schob ich meine Armreifen, so gut es ging in die engen Ärmeln und schob meinen dicken Zopf und meine herausfallen Strähnen vor meinem Ohrring. So lief ich in das Geschäft hinein und dort stand auch schon eine dickliche Frau, im mittleren Alter.   „Bonjour Mademoiselle, was kann ich für sie tun?“   Ich zeigte ihr die Vollmacht vor um bat um das bestellte Tuch. Ohne Zögern lief sie in einen angrenzenden Raum und kam mit einem Päckchen zurück. Auf diesem stand der Name Madame Jeanne Bussie und reichte ihn mir. Lächelnd nahm ich ihn an und ging. Mit klopfenden Herzen ging ich hinaus. Es hatte funktioniert. Keine beleidigenden Blicke, keine Beschimpfungen, ich wurde angenommen wie jede andere normale Bürgerin. Auch der nächste Auftrag sollte ohne Begebenheiten von statten gehen.   Doch der nächste sollte sich nicht so einfach gestalten. Es war der Juwelier, der sein Misstrauen an mir auslebte.   „Sie wünschen?“, sagte er mit einer schnarrenden Stimme und beäugte mich misstrauisch von oben bis unten. „Ich würde gern das Collier abholen, für Madame Jeanne Bussie“, sagte ich und trat an den Tresen. „Bitte was?“, lachte er boshaft, „ein Drecksstück wie du? Nur weil du dich wie eine Bürgerin verkleidet hast, glaubst du du kannst dir alles erlauben? Diebespack wie du gehört ins Gefängnis. Woher hast du überhaupt das Kleid?“   „Was?... Monsieur, ich...“   „Oh warte nur, ich ruf die Police. Glaub ja nicht das du damit davon kommst“, sagte er und griff schon nach einem Hörer, der mir vom Tresen verborgen blieb.   Panisch und mit wild klopfenden Herzen lief ich zur Tür und öffnete sie.   „HEY, STEHEN BLEIBEN... POLICE!“   Weiter als zwei Schritte konnte ich nicht machen, denn der Kutscher der Diva versperrte mir den Weg. Mit einem aufmunternden Lächeln, schob er mich wieder hinein und legte eine Hand auf meine Schulter.   „Monsieur, ich bitte sie, rufen sie nicht die Police.“   „Wer sind sie?“   „Ich bin der Kutscher der Madame Jeanne Bussie und habe diese junge Dame hier, hierher gefahren, in Auftrag meiner Madame. Zu meinem Unmut habe ich beobachtet wie sie der jungen Dame bedrängt haben. Seien sie so nett und lassen sie sie ihren Auftrag ausführen. Sonst sehe ich mich gezwungen Madame Jeanne Bussie selbst davon zu unterrichten und sie wird nicht erfreut sein“, drohte der Kutscher sanft.   Man sah förmlich wie den vor Wut gefärbten roten Wangen des Juweliers, sich immer blasser färbten.   „Oh natürlich. Verzeiht Mademoiselle, mir war nicht klar, das...“, sagte der Juwelier, aber dennoch war seine Abneigung mir gegenüber nicht zu übersehen und so winkte er nur ab und ließ sich mürrisch von mir die Vollmacht geben, die er sehr gewissenhaft inspizierte. Dann sah er mich an, den Kutscher, und dann wieder auf die Vollmacht. Leise vor sich hin schimpfend lief er nach hinten und kam wie die anderen Zweien zuvor mit einem Päckchen zurück. Widerwillig übergab er mir das Päckchen.   „Bist du ihre Dienerin?“, fragte er und lächelte bei dem Gedanken das es so sein könnte.   „Nein!“, sagte ich bestimmt, riss ihm das Päckchen aus der Hand und lief hoch erhobenen Hauptes hinaus und setzte mich in die Droschke.   In der Droschke sitzend verkniff ich mir eine Träne. Ich war es ja mein lebenlang gewöhnt von Bürgern beschimpft zu werden und als Abschaum angesehen zu werden. Doch dieses Mal traf es mich wirklich hart. An dem Tag erkannte ich das ein Stück Papier nicht alles ändern konnte.   Madame Bussi war sehr zufrieden mit mir und steckte mir dankend zwei Franc in die Hand. Dann entließ sie mich, da sie noch einiges vor hatte und so lief ich wieder in unseren Pausenraum. Dort saßen Mafalda und Claudin, die etwas aufgelöst wirkte.   „Wo warst du die ganze Zeit?“, rief sie sogleich wütend. Sich ihre feuchten Augen trocken blinzelnd. „Du hast niemandem bescheid gesagt“, erklärte Mafalda ebenso wenig freudig.   „Ich musste für Madame Bussie Besorgungen erledigen“, sagte ich entschuldigend und zog mich hastig um, da ich noch einiges zu tun hatte.   „Und das sollen wir dir glauben?“, fragte Claudin bissig. „Wenn das noch einmal vorkommt, gehen wir zu Monsieur Personnel, mal sehen wie lange man dein Verhalten noch dulden wird“, giftete Claudin, stand auf und ging.   „Wollte sie wirklich etwas von dir?“, fragte mich Mafalda, offensichtlich war sie sich nicht sicher wem sie glauben sollte.   „Du kannst sie ruhig fragen“, sagte ich und band eine neue Schürze um meine Taille.   „Schon gut“, sagte Mafalda nur und ging ebenfalls hinaus.   An diesem Tag war ich noch lange beschäftigt, denn was ich heute nicht schaffte, würde ich morgen erledigen müssen und ich durfte mir so kurz vor der Premiere keine Fehler erlauben, alles sollte perfekt sein. Ich wollte nicht riskieren Rüge zu bekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)