The Fall of Ideals von Yayoi ================================================================================ Kapitel 3: The Fall of Freedom ------------------------------ Jesses Vorbereitungen waren so detailliert gewesen, dass Carl kaum Mühe hatte, Fireballs Forderungen durchzusetzen. Caroline schäumte nach der Verhandlung vor Wut und versah Fireball mit üblen Beschimpfungen, die sofort von der Presse aufgefangen wurden. Er selbst hatte ein kurzes, neutrales Statement abgegeben und sich danach beschwingt und mit frischem Elan auf den Weg zu Jesses Detektivbüro gemacht. Während des kurzen Fluges beschloss er einmal mehr, Jesse mit aller Kraft zu unterstützen, um ihm auf diesem Weg für seinen Einsatz zu danken. Die Hilfe seitens des ehemaligen Verräters hatte ihn endlich davon überzeugt, dass Jesse die Wahrheit über Sabers Vorhaben sagte und ihm seine Mission ernst war. Letztendlich freute sich Fireball nun richtig auf die kommenden Aufgaben. Ein neues Leben, neue Herausforderungen und die ganze Welt lagen vor ihm und er war mehr als bereit, diese zu betreten. „Deinem Grinsen nach zu urteilen ist alles wie geplant verlaufen“, stellte Jesse fest, als er ihm die Tür öffnete und ihn hereinließ. „Bingo! Schade, dass du nicht dabei warst, du hättest sie erleben müssen wie wütend sie war“, meinte Fireball freudestrahlend. Jesse kam ihm etwas lockerer und entspannter vor, seit sie gemeinsam versackt waren. Fireball glaubte außerdem, dass er sich ebenfalls über seinen Erfolg freute, dies aber nicht offen zeigte. Er machte es daran fest, dass Jesse nicht mehr ganz so verkniffen aussah und er fühlte, dass sie durch dieses Erlebnis näher zueinander gerückt waren. Sie hatten etwas, das sie gemeinsam durchgestanden hatten, was sie verband und das Vertrauen zwischen ihnen stärkte. „Ich kann's mir vorstellen“, winkte Jesse ab, der voraus ins Wohnzimmer ging. „Die Presse hat jedenfalls ordentlich was geboten bekommen und ich bin endlich nicht länger der Depp der Nation.“ „Herzlichen Glückwunsch. Dann können wir uns jetzt wieder auf unserer eigentlichen Aufgabe widmen.“ „Meinetwegen kann's gerne sofort losgehen“, sagte Fireball, als er sich auf die Lehne des Sessels niederließ, „und ich hab dir direkt einen Vorschlag wegen der Outridersichtungen zu machen. Ich denke, wir sollten jemanden als Scout in den Omikron- und Sigma-Sektor schicken, um die Sache mal zu überprüfen. Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu, meinst du nicht?“ Jesse fasste an sein Kinn und dachte einen Moment nach. „Die Idee ist nicht schlecht“, gab er schließlich zu. „Ein Scout muss zuverlässig, unauffällig und schnell sein. Außerdem sollte er diskret vorgehen und seine Mission geheim halten. Und ich glaube, ich weiß schon, was du mir gleich sagen willst, und ich sage nein!“ „Aber er ist der beste Scout, den ich kenne!“, widersprach Fireball ernüchtert. „Wenn du Colt engagierst, kann ich mir gleich einen Sarg kaufen!“, zischte Jesse mit blitzenden Augen. „Jetzt beruhige dich erstmal! Ich will ihm ja gar nichts verraten, sondern uns nur Hilfe holen, damit wir schneller vorankommen!“ „Die Idee ist zwar gut, aber muss es unbedingt Colt sein, verdammt?“ „Ich kenne sonst niemanden, der uns unterstützen könnte und dem ich in diesem Ausmaß vertraue! Außerdem hast du gerade selbst gesagt, dass du niemanden kennst!“ Fireball wurde bestimmter. „Das würde uns einige Wochen Zeit ersparen!“ „Aber ich vertraue ihm nicht!“ „Er wird nichts von dir erfahren, Jesse!“ „Und wie hast du dir das vorgestellt, hm? Da bin ich aber mal gespannt!“ Jesse Stimme troff vor Zynismus, als er sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf der Couch zurücklehnte und Fireball herausfordernd ansah. Die gute Laune war dahin. „Ich rufe ihn einfach an. Ich werde nichts von einem Treffen sagen, falls du denkst, ich bespreche das persönlich“, antwortete Fireball schlicht und er sah Jesse an, dass er ihm tatsächlich ein wenig der Wind aus den Segeln genommen hatte. „Colt wird sich nicht einfach so ohne Weiteres auf diese Mission einlassen. Er wird irgendetwas dahinter vermuten und Fragen stellen!“ „Jetzt sieh mal keine Gespenster!“, schnaubte Fireball, der wegen Jesses Sturheit langsam richtig wütend wurde. „Ich frage ihn einfach, ob er Lust auf einen Auftrag hat. Es wird kein Wort von dir und unserer Mission fallen!“ Jesse presste seine Lippen zusammen und schwieg. „Wir können Saber nicht ewig ausspionieren, irgendwann müssen wir mal zu einem Ergebnis kommen!“, drängte Fireball weiter, und Jesses Lippen wurden noch schmaler. Er wusste, dass Fireball recht hatte, aber es schmeckte ihm nicht, dies zugeben zu müssen. „Wie lange bist du schon dran an deinen Nachforschungen?“, setzte Fireball noch eins drauf. „Ein paar Monate? Und wie lange willst du das weitermachen? Saber holt sich Hilfe von allen möglichen Firmen und Forschern, um sein Vorhaben voranzutreiben. Also sollten wir das auch tun, sonst ist der Krieg schneller da als wir diese Verschwörung aufgedeckt haben!“ Fireball hatte sich in Rage geredet und schoss seine Argumente wie aus einer Schnellfeuerkanone auf Jesse ab. „Saber stehen ganz andere Möglichkeiten offen!“, konterte Jesse. „Außerdem hast du mich auch ausgewählt, warum nicht noch einer mehr? Ich wiederhole nochmal - Colt würde nichts erfahren!“ „Mal angenommen, ich ließe mich darauf ein - was genau würdest du ihm erzählen?“, fragte er er Fireball mit dunklem Blick, als er seinen Laptop lauter als sonst zuklappte. „Ganz einfach. Ich erzähle ihm von den Outridersichtungen in den beiden Sektoren. Ich kenne Colt, er wird von sich aus sofort dorthin fliegen, ehe ich überhaupt etwas vorschlagen kann!“ „Er würde dich fragen, woher du das weißt“, bemerkte Jesse unterkühlt. „Ich sage ihm einfach, dass ich in einer Kneipe ein Gespräch mitbekommen habe und dass es mich sehr interessiert.“ Jesse nahm zur Kenntnis, dass Fireball seinen besten Freund ihm zuliebe anlügen würde, was ihn fast laut auflachen ließ. Dass die beiden eine besonders innige Freundschaft miteinander verband, war ihm schon damals in der Phantomzone nicht entgangen. Umso erstaunlicher war es, dass kein Kontakt mehr zwischen ihnen bestand. Nach allem, was Jesse während seiner Nachforschungen herausgefunden hatte, betraf das das gesamte ehemalige Ramrod-Team – sie gingen alle ihrer eigenen Wege. Er unterdrückte den Impuls des Auflachens, amüsierte sich aber innerlich und schlug stattdessen seine Beine übereinander. „Ich hoffe nur, dass er dir glaubt.“ „Das wird er“, versicherte Fireball zuversichtlich und überzeugt. „Er ist immer noch mein Freund.“ „Was, wenn er dich fragt, ob du mitkommst?“, bohrte Jesse weiter. „Es ist unwahrscheinlich, dass er das fragen wird. Als Scout ist er immer alleine unterwegs gewesen und ich bin mir sicher, dass er das weiterhin so hält. Die meisten Dinge ändern sich nie und er mochte es noch nie, wenn man ihn bei seinen Aufgaben stört.“ „Ich werde darüber nachdenken und dich meine Entscheidung wissen lassen.“ „Denk nicht zu lange, Jesse“, gab sich Fireball erst einmal zufrieden. „Während ich das erledige, kannst du mal die nächsten Termine von Saber checken. Hier ist die Liste, die ich heute früh bekommen habe. Vielleicht ist etwas Auffälliges dabei.“ Jesse erhob sich und drückte ihm einen Stapel Papier in die Hände, der die zu prüfenden Informationen enthielt. „Ich gehe mir die Beine vertreten.“ „Ruf ihn an“, gab Jesse am Abend seine Entscheidung nach seiner Rückkehr bekannt. Fireball, dessen Augen vom vielen Lesen gerötet waren, saß am Wohnzimmertisch und machte sich Notizen. Im ersten Moment verstand er gar nicht, von was Jesse sprach, doch dann fiel der Groschen. „Jetzt gleich?“ „Warum nicht? Je eher, umso besser.“ Jesse ließ sich auf den Sessel fallen und konnte kaum seine gute Laune verbergen. Sein Plan war wieder einmal ins Wanken gebracht worden, aber diese Abweichung war gar nicht so schlecht. Sie spielte ihm genau genommen sogar in die Hände, denn so konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Colt stand sowieso auf seiner Racheliste und wie sollte er leichter an ihn herankommen? Er sah zu wie Fireball sein Handy aus der Hosentasche zog und anrief, aber niemand nahm ab, obwohl er es lange klingeln ließ. „Scheinbar ist er unterwegs oder hat sein Telefon irgendwo vergessen“, meinte Fireball als er auflegte. „Ich probiere es später noch einmal.“ Aber auch später am Abend und nach etlichen weiteren Versuchen in den nächsten Tagen hatte Colt das Gespräch weder angenommen noch zurückgerufen. Fireball machte sich zunehmend mehr Sorgen um seinen Freund und spürte, dass Jesse ungeduldig wurde. „Wenn er sich nachher wieder nicht meldet, wird dieser Ausflug vertagt!“, bestimmte Jesse und Fireball nickte ergeben. „Ich kann mir nicht erklären, wo er ist oder was da los ist!“, bemerkte er. Jesse gegenüber zugeben, dass er wegen Colts Verschwinden beunruhigt war, konnte er nicht. Er musste es anders angehen, um den anderen dazu zu kriegen, nach ihm zu suchen, und das lieber heute als morgen. „Vielleicht suchen wir besser doch nach einem anderen Scout“, überlegte er laut. „Nein“, widersprach Jesse, was Fireball sehr überraschte. „Wir bleiben bei Colt oder fliegen selbst, wenn die Zeit es zulässt. Ich möchte nicht irgendjemand Unbekannten über die Outridersichtungen informieren. Das gefährdet die Mission!“ Jesse nahm die handschriftlichen Notizen, die Fireball verfasst hatte, und las flüchtig darüber. „Im Moment gibt es nichts, was wir persönlich überwachen müssten. Eine Woche haben wir Zeit, in der könnten wir nach Colt suchen. Um selbst die beiden Sektoren zu überwachen, reicht die Zeit nicht aus.“ Er reichte den Zettel an Fireball weiter, damit er die anstehenden Überwachungsgelegenheiten vor Augen hatte. „Wenn wir ihn in dieser Zeit nicht finden, dann wird der Ausflug nach Sigma und Omikron vertagt. Die anstehenden Auswertungen und das Abhören der Funkverkehre können wir von unterwegs aus durchführen.“ Fireball war für einen kurzen Moment sprachlos, denn genau das hatte er sich erhofft. Er ließ sich jedoch von seiner inneren Freude nichts anmerken und reagierte gelassen. „Das hört sich sinnvoll an. Aber jetzt willst du wirklich nach ihm suchen, Obwohl du zuerst dagegen warst?“ „Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst“, erwiderte Jesse langsam. „Aber ich denke, dass ich in dem Fall tatsächlich keine andere Wahl habe als dieses Risiko einzugehen. Wenn wir ihm begegnen, solltest du ihm von Sabers Vorhaben erzählen. Dir glaubt er, mir nicht. Ich hoffe nur, dass wir ihn zuerst sehen, damit ich kann in Deckung gehen kann, bevorer mich umzulegen versucht.“ Fireball nickte und presste seine Lippen zusammen. Es war wirklich eine risikoreiche Angelegenheit für Jesse, umso mehr beeindruckte es ihn, dass er dieses eingehen würde, zum Schutz des Neuen Grenzlandes. Das bestärkte abermals seine Meinung, dass Jesse inzwischen eine vertrauenswürdige Person war, und er führte seine Idee weiter aus: „Colt war in den letzten Jahren wieder als Kopfgeldjäger unterwegs. Ich kenne den Namen von ein paar zwielichtigen Bars, in denen er immer mal wieder abgestiegen ist. Vielleicht sollten wir dort mit unserer Suche beginnen.“ „Das scheint mir der beste Anhaltspunkt, den wir haben“, stimmte Jesse zu. „Vielleicht können wir sein Schiff orten. Hat er seins denn noch?“ „Nein. Den Bronco Buster hat er verschrotten müssen, als ein Fluganfänger auf ihm gelandet war.“ Fireball schmunzelte, als er an diese alte Geschichte dachte, die sich vor etwa zehn Jahren ereignet hatte. „Ich weiß noch wie Colt damals getobt hatte! Sein Bronco Buster bedeutete ihm alles und selbstverständlich gab es dieses Modell nicht mehr zu kaufen. Der arme Flugschüler hatte nach Colts Standpauke auf ewig ein schlechtes Gewissen und hatte seinen Flugschein nie gemacht. Colt hatte sich zwar ein anderes Schiff gekauft, aber war überhaupt nicht damit zufrieden gewesen. Dann hatte er es wieder verkauft und der nächste Gleiter folgte und so weiter und so fort. Irgendwann hab ich die Übersicht verloren und kann dir nicht sagen, was für ein Modell Colt heute fliegt. Dementsprechend habe ich auch nicht seine neue Schiffskennung.“ „Wäre auch zu schön gewesen. Ohne die wird es schwierig. Die Zulassungsstelle gibt ohne Genehmigung keine Daten raus und ihr System zu hacken ist zu zeitaufwändig, also haben wir keine Chance, auf diesem Weg etwas herauszufinden.“ „Aber vielleicht weiß jemand in den Bars etwas.“ Fireball fiel noch etwas anderes ein. „Wie sieht’s eigentlich mit Waffen aus? Hast du welche? In diesen Spelunken trägt jeder einen Blaster, so wie Colt mir erzählt hat. Ich glaube, wir würden da ziemlich auffallen, wenn wir ohne reingehen.“ „Ich habe nur zwei alte Phantomblaster“, antwortete Jesse und holte die beiden outriderischen Waffen aus einem Wohnzimmerschrank hervor. Er legte eine auf den Tisch und behielt die andere in der Hand, in der er sie hin und her drehte. „Ihre Energiezellen funktionieren seit Nemesis’ Zerstörung nicht mehr und einen Ersatz gibt es dafür nicht. Sie taugen maximal dazu, sie jemandem hinterher zu werfen“, meinte er trocken. Eigentlich hätte sie schon längst entsorgen können, trotzdem brachte er es aus irgendwelchen Gründen nicht fertig. Jetzt bekamen sie scheinbar doch noch ihre Daseinsberechtigung. Fireball kümmerte sich nicht um derartige Fragen und grinste, als er nach dem anderen Blaster langte, um ihn zu begutachten. Es war lange her, seit er eine Waffe in der Hand gehalten hatte, trotzdem fühlte es sich vertraut und gut an und es gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. „Vielleicht dienen sie wenigstens zur Abschreckung?“, überlegte er. „Kann sein. Wohler würde ich mich bei den ganzen schießwütigen Kerlen allerdings mit einem richtigen Blaster fühlen. Nur hab ich keine Ahnung, woher wir den nehmen sollen.“ „Hast du keine Connections, die uns welche besorgen könnten?“ „Leider nein. Es ist eine heikle Angelegenheit geworden. Die Gesetze auf Yuma und Alamo sind so verschärft worden und die Strafen auf unerlaubten Besitz und illegalen Verkauf so hoch, dass man sogar schon schief angeschaut wird, wenn man nur eine Wasserspritzpistole kaufen will. Sogar die Gesetzeslosen fragen ganz genau nach deinen Gründen und stellen ziemlich unangenehme Fragen.“ Jesse zuckte mit den Schultern. Er hatte schon einige Male probiert, an Blaster heranzukommen, war aber jedes Mal gescheitert. Die Waffentechnologie aus der Phantomzone war noch lange nicht wieder soweit. Die Entwicklungen dort konzentrierten sich derzeit auf das nackte Überleben und die Nachfrage nach Rüstungsgütern nicht vorhanden. „Kennst du nicht irgendwen?“ „Nein, nicht mehr. Seit ich mich dem Autorennen zugewendet habe, gab es keinen Grund mehr, weshalb ich die Erlaubnis erhalten sollte, einen Blaster zu führen“, erklärte er und hob die Waffe. „Dann müssen eben erstmal die herhalten. Vielleicht können wir uns ja unterwegs welche besorgen“, meinte er und presste seine Lippen zusammen. Es war kein gutes Gefühl, sich auf zwei nutzlose Attrappen verlassen zu müssen. Etwas später hatten sie die beiden Phantomblaster und ein paar andere Sachen zusammengepackt und machten sich am gleichen Abend mit Jesses Gleiter auf den Weg zur ersten Bar, die sie drei Stunden später erreichten. Jesse landete neben den anderen Schiffen vor dem Gateways, dessen grüne Leuchtreklame hell erstrahlte. Laute Musik war bereits an ihrem Landeplatz zu hören, obwohl der Eingang gute hundert Meter entfernt war. Am anderen Ende prügelten sich zwei Kerle und die Türsteher feuerten sie an. „Sieht ja einladend aus“, bemerkte Jesse zynisch, was Fireball mit einem mulmigen Nicken bestätigte. Von außen sah das Gateways aus wie eine Mischung aus Disco, Bar, Puff und Hotel, was es wahrscheinlich auch war. Die parkenden Raumschiffe waren von unterschiedlicher Größe und Art. Manche waren eher fliegende Motorräder, andere fast schon eine Art Luxusliner. Einige waren ramponiert, verbeult und schlecht lackiert, andere schienen frisch aus der Fabrik zu kommen. Jesse trug eine dunkelblaue Jeans und ein langärmeliges, grau kariertes Holzfällerhemd, während Fireball eine schwarze Cargohose und dazu ein weinrotes T-Shirt mit einem Totenkopf-Aufdruck gewählt hatte. Seine Haare waren mit etwas Wasser zurück gekämmt, doch auf eine aufwändigere Tarnung hatte er verzichtet. Beide hatten ihre Blaster umgeschnallt und machten sich auf den Weg zum Eingang. Da die Türsteher mit der Prügelei beschäftigt waren, traten sie einfach ein, wobei sie von höllischem Lärm in Empfang genommen wurden, was Fireball als eine Mischung aus Speedtechno und Grunge erkannte. Um sich zu orientieren blieben sie kurz stehen und schauten sich um. Sie standen vor einem metallenen Geländer, der eine Art Balkon war. Rechts von ihnen befand sich eine Garderobe, in der eine ältere, stark geschminkte Frau auf Kundschaft wartete und Fireball zuzwinkerte, der dies nur einseitig lächelnd erwiderte und sich lieber schnell in eine andere Richtung abwandte. Auf der anderen Seite ging eine Treppe herunter und man gelangte zu den Sitz- und Stehgelegenheiten. Stehtische waren in einem Bereich aufgestellt, der sich unmittelbar an die Tanzfläche anschloss. Kleine Gruppen von Sitzgelegenheiten folgten und weiter am Rand gab es abgeteilte Nischen, in denen man wunderbar entweder zwielichtigen Geschäften nachgehen, ungestört herumfummeln oder eine der unzähligen Drogen konsumieren konnte, die hier ebenfalls verkauft wurden. Eine riesige, gut bestückte Bar zog sich über die komplette Längsseite und Fireball zählte auf Anhieb zehn Barkeeper, die dort verschiedene Drinks mixten. Eine große Bühne mit einem Ausleger, der in die Tanzfläche ragte, schloss sich mit einigem Abstand zur Bar an. Dort tanzten derzeit einige leicht bekleidete Frauen und ließen sich Scheine in ihre BHs und Tangas stecken. Das Publikum bestand vorwiegend aus Männern, die sich hier amüsierten und lautstark die Tänzerinnen anfeuerten und ihnen eindeutige Angebote machten. Andere zappelten auf der Tanzfläche zu dem unmöglichen Sound, den es - so vermutete Fireball - wohl nur hier draußen gab. Jesse stieß ihn leicht mit dem Ellenbogen an und gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass die Theke ihr Ziel war. Das hier arbeitende Personal kannte sich vermutlich am besten mit den Gegebenheiten aus. Kaum dass sie sich auf zwei nebeneinander stehende, freie Barhocker niedergelassen hatten, war schon ein schlanker, etwas zu klein geratener Barkeeper zur Stelle und fragte brüllend, um die Musik zu übertönen, nach ihren Wünschen. Jesse deutete auf den Zapfhahn und bestellte so wortlos ein Bier, während Fireball zurück schreiend einen Energydrink orderte. Der Kellner verschwand, um das Gewünschte zu holen. Fireball fragte sich, wie um alles in der Welt sie hier nach Colt fragen sollten. Bei dem Lärm konnte man nichts verstehen und er glaubte nicht, dass Jesse über ein Superman-Gehör verfügte. Als die Getränke kamen, drehte sich Jesse mit dem Rücken zur Bar, um die Leute auf der Tanzfläche und der Bühne zu betrachten. Er hätte auch so sitzen bleiben können, da die Rückseite der Bar verspiegelt war, aber die Regalböden und Flaschen ermöglichten keine freie Sicht. Er beugte sich zu Fireball. „Halte Ausschau nach Colt, vielleicht ist er ja hier!“ Fireball nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Also tat er es Jesse gleich, nahm seinen Drink und lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. Von hier aus hatte man eine sehr gutes Panorama über die ganze Fläche, da die Bar um drei Stufen erhöht war. Die anwesenden Typen und Tussis waren alle ebenso unterschiedlich wie die Gleiter draußen auf dem Parkplatz. Manche trugen eine rockige Kluft aus schwarzem, nietenbesetztem Leder und dazu Vollbärte, andere waren beinahe schon zu edel für diesen Laden angezogen und schienen gar nicht hierher zu passen. Wieder andere sahen so jung aus, dass Fireball sich fragte, ob sie nicht schon ins Bett gehörten, während die nächsten eher einen Sarg benötigten. Es wurde geraucht – nicht nur Zigaretten oder Zigarren, sondern auch Pfeifen, Shishas und Joints. Auch andere Drogen – Aufputschmittel, Designerpillen sowie einfaches Aspirin - gingen über den Tresen. Ausnahmslos jeder Gast trug mindestens eine Waffe. Fireball entdeckte eine fast unscheinbare Tür, die zu einem Hinterzimmer führte. Als jemand herauskam, erhaschte er einen kurzen Blick in den dahinterliegenden Raum, der zumindest einen Billardtisch beherbergte. Fireball vermutete, dass von dort aus noch weitere Räume abzweigten, denn zwielichtige Hinterzimmer gehörten zu solchen Etablissements wie ein guter Rennwagen auf eine Rennstrecke. Genau hier wurden die wirklich wichtigen Geschäfte mit den einflussreichsten Leuten abgeschlossen und der Service in diesen Räumlichkeiten war mit Sicherheit weitaus erstklassiger und weitreichender als im öffentlichen Bereich. Zum ersten Mal bekam Fireball einen echten Eindruck von Colts Leben als Kopfgeldjäger. Zwar hatte der Cowboy ihm schon häufiger davon erzählt, aber an einem solchen Ort zu sein und das alles hautnah zu erleben, war etwas ganz anderes. Er fragte sich, wie oft Colt wohl schon die hier angebotenen Dienste in Anspruch genommen hatte oder wie oft er in einem Hinterzimmer dieser Art gesessen hatte, aber schüttelte sich kurz darauf, denn eigentlich mochte er sich Colt so gar nicht vorstellen. „Ich glaube, Colt ist nicht hier“, sagte Fireball nach ein paar Minuten zu Jesse, als er sich das Geschehen und die Leute ausreichend angesehen hatte. In dem diffusen Licht mit den vielen schwenkenden Scheinwerfern und Blitzlichtern war es ohnehin schwierig, etwas oder jemanden allzu genau zu erkennen. „Vielleicht ist er in einem anderen Zimmer“, bemerkte Jesse und drehte sich wieder zur Bar um, um den kleinen Kellner heranzuwinken. „Willst du noch was trinken?“, brüllte er seine Frage über den Tresen. Jesse beugte sich etwas nach vorne. „Nein. Wir suchen jemanden. Er heißt Colt. Weißt du, ob er hier ist?“ Der Barkeeper überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, an so einen einfallsreichen Namen könnte ich mich erinnern“, erwiderte er spöttisch und Fireball, der zugehört hatte, setzte schon zu einer unfreundlichen Erwiderung an, die Jesse mit einer kurzen Geste unterband. „Aber ich arbeite noch nicht so lange hier, vielleicht weiß Curt was.“ Damit verschwand er, um besagten Curt zu holen und Jesse nahm zufrieden einen Schluck von seinem Bier. Kurz darauf kam der Kellner wieder und winkte die beiden mit sich. Er führte sie zu einer der Nischen, die mit hohen, lederbesetzten Wänden und Sitzbänken umgeben waren, die fast einen geschlossenen Kreis bildeten. So blieb nur ein schmaler Durchgang übrig, um hinein zu gelangen. Ein runder Tisch befand sich in der Mitte. „Curt wird gleich da sein“, sagte der Kellner und bedeutete ihnen, Platz zu nehmen. Hier war es nicht mehr so ohrenbetäubend wie an der Theke und Unterhaltungen in einer angemessenen Lautstärke waren möglich. „Wollt ihr noch etwas trinken?“ „Nochmal das gleiche“, antwortete Jesse für sich und Fireball bestellte nun ebenfalls ein Bier. Beides wurde kurz darauf gebracht und weitere Minuten später trat Curt an ihren Tisch und setzte sich grußlos. Curt war ein Schrank von einem Mann, groß, muskulös, hatte sein Haar nach hinten gegelt und seinen Bart als Henriquatre gestylt, der ihm etwas Aristokratisches verlieh. An seinen Fingern steckten klobige, goldene Ringe und eine Rolex zierte sein kräftiges Handgelenk, das vermuten ließ, dass er nicht davor zurückschreckte, seine Muskeln einzusetzen, sollte es nötig sein. Die oberen Knöpfe seines teuren, weißen Hemdes waren offen, so dass jeder sein volles Brusthaar und die dicke, goldene Kette sehen konnte, die er trug. Dem Aufführen nach war es offensichtlich, dass es sich um den Besitzer des Gateways handelte. „Ihr sucht also Colt?“, stellte er fest und beäugte Fireball und Jesse nacheinander abschätzig. „Verratet mir doch, weshalb?“ „Das ist unsere Sache“, erwiderte Jesse und seine alte Arroganz und Unnahbarkeit brach aus seiner Stimme hervor. Erst jetzt fiel Fireball auf, dass er diesen Ton ihm gegenüber in den letzten Tagen fast gar nicht mehr angeschlagen hatte. „Wir haben nur jemanden gesucht, der uns etwas über Colts Aufenthaltsort sagen kann.“ „Jetzt hör mal zu, Jungchen“, knurrte Curt Jesse an und beugte sich mit blitzenden Augen nach vorne. „Nur, dass wir uns verstehen - ich bin der, der hier die Regeln aufstellt. Das ist mein Laden! “ „Schon gut“, wehrte Jesse ab, der zwar die abwertende Ansprache überging, seinen Tonfall aber nicht änderte. „Wir bevorzugen es, lieber nicht darüber zu sprechen. Es geht um eine alte Angelegenheit, die wir endlich mit ihm klären wollen.“ Jesse tippte bedeutungsvoll gegen seinen Blaster und Curt lehnte sich nun entspannter und leicht amüsiert zurück. Es war offensichtlich, dass er sie für zwei halbe Portionen hielt, die man nicht ernst nehmen musste. „Die Informationen kosten 500“, sagte er. „Ich hoffe, ihr könnt bezahlen.“ „Wir zahlen erst, wenn uns die Informationen etwas nützen“, mischte sich Fireball ein, und Curt lachte nun laut auf. „Nun, ihr könnt es auch lassen.“ Curt erhob sich und schnippte mit den Fingern. Wie aus dem Nichts erschienen zwei kahl rasierte, muskelbepackte Sicherheitshooligans, die wie gut dressierte Hunde auf jeden Wink ihres Herrchens warteten. Scheinbar waren sie immer in der Nähe des Barbesitzers und hatten sich außerhalb der Sichtweite der Nischen aufgehalten, aber nah genug, dass sie sofort zur Stelle waren, sollte ihr Arbeitgeber eine Aufgabe für sie bereit haben. „Die beiden Witzbolde möchten gehen“, gab Curt ihnen zu verstehen und ging die beiden Stufen herunter. „Verarschen könnt ihr jemand anderen, aber nicht mich!“, stellte er klar, bevor er seinen Weg fortsetzte. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn wegen irgendwelcher unsinnigen Spielereien aus seinem Büro holte und das sollten die beiden Scherzkekse zu spüren bekommen! Die beiden Türsteher versperrten den Durchgang und schnappten sich Jesse und Fireball, die aufgrund der Enge keine Möglichkeit zur Gegenwehr hatten. Sie wurden unsanft mit verdrehtem Arm und einer prankenartigen Hand im Nacken zum Ausgang befördert, wo sie einen kräftigen Stoß bekamen, der sie nach vorne stolpern ließ. Fireball konnte sich gerade so abfangen, Jesse landete auf Händen und Knien auf dem Asphalt. „Lasst euch ja nicht wieder hier blicken!“, schnaubte einer der der beiden und drohte ihnen mit der Faust. „So wie dieser Klugscheißer, den ihr sucht!“ „Colt war hier? Wann?“, fragte Fireball überrascht nach und vergaß für einen Moment seinen Ärger. „Hast du nicht gehört? Informationen kosten! Ihr wollt nicht zahlen, also verpisst euch!“, mischte sich der andere ein und baute sich bedrohlich vor dem zwei Köpfe kleineren Fireball auf. Jesse hatte sich wieder aufgerappelt und strich sein Haar aus dem Gesicht, ehe er sich neben Fireball stellte. „Dein Boss hört schlecht zu“, bemerkte er abfällig. „Wir hätten bezahlt, aber nicht im Voraus. Richte ihm das aus!“ Der Glatzkopf stockte einen Moment und man konnte seine Gedankengänge auf seinem dickwangigen Gesicht ablesen. Er überlegte fieberhaft, ob er gerade verarscht wurde und wie er reagieren sollte. Jesse ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. „Oder wollt ihr euch nebenher etwas dazuverdienen?“, lockte er sie. „Natürlich ist es nicht mehr so viel wie euer Boss verlangt hat, dazu habt ihr etwas zu hart zugegriffen.“ Zur Unterstreichung seiner Worte zog er seine Schultern hoch und drehte seinen Kopf hin und her, um seine malträtierten Muskeln zu lockern. „Wir zahlen 100, mehr nicht.“ „Außer, ihr könnt uns zwei schussbereite Blaster verkaufen. Dann zahlen wir die 500“, ergänzte Fireball und Jesse nickte unmerklich. Nun gerieten die beiden hooliganartigen Kerle noch mehr ins Grübeln. „Wartet dort hinten“, sagte der Größere der beiden Kahlrasierten und reckte sein Kinn in Richtung der Müllcontainer. „In fünfzehn Minuten sind wir da.“ Die beiden hielten ihr Wort und tauchten eine Viertelstunde später am verabredeten Ort auf. Jesse hatte sich gegen eine Wand gelehnt und ein Bein angewinkelt, während Fireball hin und her laufend eine Zigarette rauchte. Der Abend war zwar nicht so verlaufen, wie geplant, aber vielleicht würden sie wenigstens wieder bewaffnet sein. „Gebt uns das Geld!“, verlangte der Kleinere und Fireball griff in seine Hosentasche, um die Scheine herauszuziehen. „100 jetzt und ihr zeigt uns die Blaster und gebt uns die Informationen über Colt. Dann bekommt ihr den Rest“, stellte Fireball klar, der den Kippenstummel achtlos beiseite geschnickt hatte, als die Kerle anrückten. Abwartend musterten Jesse und Fireball die beiden, die mit dieser einfachen Aussage schon wieder überfordert waren, doch dann streckte der Kleinere die Hand aus und Fireball reichte ihm einen 100-Continentals-Schein. „Zeig die Blaster, Jaros!“ Jaros holte wie verlangt die beiden Waffen aus der Innentasche seiner Security-Jacke und gab sie mit dem Griff voran an Fireball und Jesse, die sie fachmännisch begutachteten. „Munition?“, fragte Jesse und Jaros reichte ihm wortlos nach einem Nicken von seinem Kumpel Buck auch diese. Jesse lud die Waffe und feuerte drei Schuss auf die Müllcontainer ab, wobei seine Miene nichts über seine Kaufabsichten verriet. Fireball fühlte sich wieder einmal in die Vergangenheit zurückgesetzt, als er Jesse so mit einem Blaster sah. Doch damals hätte er nicht das Magazin entfernt und an ihn weitergereicht, so wie er es jetzt tat. Fireball fing sich schnell wieder und tat es Jesse gleich. Als er seine Schießstunde beendet hatte und zufrieden war, ließ er die Munition wo sie war. „Was könnt ihr uns über Colt verraten?“ „Gebt uns erst das Geld!“, verlangte Buck, und nach einigem absichtlichen Zögern, das Fireball mit Verarsch-mich-nicht-Blicken unterstrich, reichte er ihm die restlichen Scheine. Buck entriss sie ihm regelrecht und verstaute sie sofort in der Innentasche seiner Jacke und war nun bereit, weitere Auskünfte zu geben. „Curt hat ihn rausgeschmissen, seitdem war er nicht mehr hier. Das war vor zwei Jahren“, verriet er und natürlich konnte er sich denken, dass die beiden wissen wollten, wieso. „Ich kenne den Grund nicht, aber ich weiß, dass Colt nicht mehr gern gesehen ist. Weder bei Curt noch bei den anderen Gästen. Keine Ahnung wie es in den anderen Bars ist, die er so besucht hat, hier hat er jedenfalls keinen Zutritt mehr. Sollte er es wagen, hier herein zu kommen, würden die meisten anderen Gäste gehen und diesen Verlust kann Curt sich nicht leisten. Deshalb hat er Hausverbot.“ Fireball hatte die Lippen zusammengepresst und konnte sich keinen Reim darauf machen. Colt kam immer mit allen zurecht und war normalerweise sehr beliebt. Das passte gar nicht zu ihm. „Wisst ihr, wo er sich aufhält?“, mischte sich Jesse ein. „Wir haben da noch eine kleine Rechnung offen.“ „Nein“, antwortete Jaros nun statt Buck. „Wir haben nichtmal von jemandem gehört, der ihn in der letzten Zeit irgendwo gesehen hätte, und dabei kommen hier viele Reisende vorbei.“ „Wir kommen wieder, wenn wir merken, dass ihr uns angelogen habt!“, bemerkte Jesse lässig, zog den Phantomblaster und hielt ihn Buck kurz drohend unter die Nase. Dann zog er sich rückwärtsgehend zurück und Fireball folgte ihm auf die gleiche Weise. „Völlige Pleite“, meinte Fireball frustriert, als sie wieder im All waren. „Hast du wirklich damit gerechnet, dass wir auf Anhieb Informationen bekommen würden?“, fragte Jesse spöttisch. „Sei froh, dass wir wenigstens zwei funktionierende Blaster haben. Mehr Munition dafür kriegen wir auch noch irgendwo her. Zugegebenermaßen war die Idee wirklich gut.“ Fireball winkte müde ab und konzentrierte sich auf die Navigation. „Die nächste Headhunter-Bar auf unserer Liste ist das Wanted in Dry Gulch“, sagte er, als er den Kurs berechnet und einprogrammiert hatte. „Vielleicht haben wir dort mehr Glück. Aber weder im Wanted noch im Andromeda / Sacramento und im Wolves Inn / Riverside hatten sie in den nächsten Tagen trotz großzügiger Geldspenden mehr herausfinden können. Barbesitzer, Kopfgeldjäger, Spieler und Huren erzählten ihnen mehr oder weniger die gleiche Story – manche gratis, manche gegen Bezahlung. Colt war wie vom Erdboden verschluckt und niemand scherte sich darum. Der Cowboy war in den Kopfgeldjägerkreisen nicht mehr erwünscht und das hatte man ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben. Es war unwahrscheinlich, dass Colt sich von so etwas beeindrucken und vertreiben ließ, und Fireball überlegte daher besorgt, ob man ihn beseitigt hatte. Jesse glaubte allerdings nicht daran, denn sonst hätten die Kopfgeldjäger davon gewusst und es ihnen mitgeteilt. Daher suchten sie weiter. Es blieben ihnen drei Tage, ehe sie zurück sein mussten, um Sabers nächstes Treffen zu überwachen, bei dem es scheinbar um die Forschung nach einem Dimensionsantrieb ging. Im Andromeda hatten sie weitere Munition für die neuen Blaster erstehen können und fühlten sich somit etwas besser ausgerüstet und entspannter in den zwielichtigen Kreisen. Jetzt waren sie auf dem Weg zum Santiago, dem vorletzten Ziel ihrer Reise. Sowohl Jesse als auch Fireball waren inzwischen ziemlich bedrückt. Fireball war nicht sehr geduldig, was solche Suchen anging, er wollte immer möglichst schnell zum Ziel gelangen und sei es, er musste mit dem Kopf durch die Wand. Das hatte sich seit seiner Zeit als Star Sheriff nicht geändert. Jesse hingegen sah seine Felle einmal mehr davon schwimmen und fürchtete, seine Pläne schon wieder ändern zu müssen. Außerdem würde er um seine Rache an Colt gebracht werden, sollte der Cowboy unauffindbar bleiben. Ein herber Rückschlag. Das Santiago mutete sehr saloonartig an und wirkte ziemlich heruntergekommen. Es war nicht sonderlich groß und relativ weit abgelegen vom Zentrum des Neuen Grenzlandes. Nur wenige Raumschiffe standen auf dem Parkplatz, als Fireball Jesses Gleiter landete. Wegen des starken Regens beeilten sie sich, ins Innere zu gelangen, wo sie sich an den Tresen setzten und Bier bestellten. Es war erst früh am Abend und es waren nur wenige Gäste anwesend, von denen die meisten trübe vor ihrem Getränk hingen. Drei Männer spielten Poker und einer schaute gelangweilt der leicht bekleideten Tänzerin zu, die sich sichtlich abmühte, ihm einige Scheine zu entlocken. Zwei weitere Bardamen, eine mit roten, langen Locken, die andere blond, hielten sich in der Nähe des Tresens auf, beäugten das Eintreffen der beiden Fremden und lächelten ihnen kokett zu. Fireball winkte nun den Wirt heran, einen älteren Mann, dessen Vollbart mehr grau als braun war. „Wir suchen nach Colt Wilcox. Kennen Sie ihn vielleicht und wissen Sie, wo er sich aufhält?“, fragte er direkt, um keine Zeit zu verschwenden. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie hier ebenfalls die gleiche Geschichte hörten. Ehe der Wirt antworten konnte, mischte sich ein anderer Gast ein, der ebenfalls am Tresen saß. Er hob langsam den Kopf und drehte sich auf seinem Barhocker zu den beiden Fremden um und schnaubte abfällig, als er sich gleichzeitig den Bierschaum aus seinem Schnauzbart wischte. „Colt? Dieser Schleimer hat sich hier ewig nicht blicken lassen und er bleibt auch besser weg von hier! Wenn ich den noch mal sehe, mache ich kurzen Prozess mit ihm!“ Um seine Worte zu unterstreichen, schaute er grimmig drein und schlug fest mit einer Faust in die andere Handfläche. „Diego!“ Die rothaarige Bardame, die die Szenerie beobachtete hatte, rief den Kopfgeldjäger zur Ordnung und näherte sich den drei Männern. Ihre Schritte waren forsch und ihr Auftreten sehr selbstbewusst, als sie Diego herausfordernd mit hochgerecktem Kinn ansah. „Du brauchst auch nicht mehr hierher kommen, wenn du weiter so über Colt redest oder ihm etwas antun willst!“ „Schon gut, Liz“, lallte der Zurechtgewiesene und bestellte mit einem Handzeichen ein weiteres Bier. „Der kommt eh nicht wieder und ich kann die Kopfgelder alleine einstreichen!“ Er lachte heiser und zog die Utensilien aus seiner Westentasche, um sich eine Zigarette zu drehen. Liz verzog ihren Mund und wandte sich schwungvoll zu Fireball und Jesse. Ihre Augen blitzten verächtlich, als sie die beiden skeptisch von oben nach unten musterte. „Was wollt ihr von Colt?“, verlangte sie mit einem provokanten Unterton zu wissen, und Jesse amüsierte sich über ihr Auftreten. Sie schien Colt jedenfalls besser zu kennen und es sah so aus als würden sie hier endlich mehr herausfinden können. „Ist er hier?“ Auch Fireball deutete ihr Verhalten so wie Jesse und schöpfte neue Hoffnung. „Ich will zuerst wissen, was ihr von ihm wollt! Also?“ „Wir suchen ihn, weil wir seine Hilfe brauchen“, erklärte Jesse mit gesenkter Stimme und beschloss intuitiv, hier eine andere Taktik anzuwenden. Sie würden nichts erfahren, blieben sie bei ihrer Geschichte mit der offenen Rechnung, die sie mit Colt zu begleichen hatten. „Können wir vielleicht irgendwohin gehen, wo wir ungestörter sind?“ Liz betrachtete sie abermals abschätzend. Sie waren ordentlich und sauber angezogen, beide in Jeans und Hemd mit Waffengurten um die Hüften. „Eure Blaster!“, verlangte sie schließlich und streckte die Hände aus. Sie gefiel Jesse, denn sie wusste mit Männern umzugehen, und er überreichte ihr seinen mit einem vergnügten Zwinkern. Die Aussicht, endlich etwas herauszufinden, ließ ihn ein bisschen übermütig werden. Sie nahm ihn ohne auf seine Flirtversuche einzugehen und wandte sich an Fireball, der der Aufforderung ebenso widerstandslos nachkam. Mit einer Kopfbewegung bedeutete sie ihnen zu folgen, während sie die beiden Waffen in ihren breiten Gürtel steckte. Unter den wachsamen Augen des Wirts und Diegos, der akribisch genau zugehört hatte, führte sie sie in den Nebenraum, in dem ein großer, runder Tisch stand, der üblicherweise für Pokerturniere benutzt wurde. „Also, wer seid ihr?“ Forschend betrachtete sie die beiden Männer, von denen der Kleinere ihr vage bekannt vorkam. Jesse lehnte sich an die Tischkante und stützte sich auf der Platte ab. „Wir sind alte Freunde von ihm und suchen ihn wegen eines Auftrags, den wir ihm geben wollen“, antwortete er. Liz glaubte ihm nicht. „Alte Freunde haben sich noch nie für ihn interessiert!“ Sie spuckte diese Worte verächtlich aus und ihre Augen funkelten zornig. „Warum ihr? Und warum jetzt?“ Fireball schluckte und das schlechte Gewissen kam bei diesen Worten wieder hoch, weil er sich jahrelang nicht bei Colt gemeldet hatte. „Ich bin Fireball und war mit Colt früher zusammen auf Ramrod unterwegs. Das ist … Jason Barista, ein … Freund aus dieser Zeit. Wir müssen ihn wirklich dringend finden! Es laufen ein paar Dinge, von denen er wissen sollte. Kannst du uns sagen, wo er ist?“ Fireball hatte beschlossen, seine wahre Identität zu offenbaren und alles auf eine Karte zu setzen. Liz wusste etwas, aber sie wollte ihnen nicht trauen. Der innere Zwiespalt war deutlich auf ihrem Gesicht abzulesen. Scheinbar half Fireballs Bekannheitsgrad, denn nach ein paar weiteren Momenten gab sie ihre äußere, selbstsichere Fassade auf und unendliche Sorge zeichnete sich auf ihrer Miene ab. „Ja, ich erkenne dich. Colt hat mir von dir und den anderen erzählt“, sagte sie traurig. „Leider weiß ich nicht, wo er ist. Er meldet sich schon seit über einem Jahr nicht mehr auf seiner Com und war noch länger nicht mehr hier“, erzählte sie. „Ich hoffe nicht, dass ihm etwas passiert ist.“ Ihre Worte waren leise, als sie diesen quälenden Gedanken aussprach, und Fireball stellte mit einem Mal fest, dass Liz Colt liebte. Obwohl ihm nicht danach war, versuchte er ein aufmunterndes Lächeln. „Du weißt doch, den kriegt so schnell nichts unter! Colt ist zäh!“ Dass sie seine schrecklichen Gedanken teilte, erschrak ihn sehr. Was wäre, wenn er wirklich nicht mehr lebte? „Das kann ich bestätigen“, mischte sich Jesse ein und erinnerte sich an unzählige Verfolgungsjagden mit dem Cowboy, in denen sie sich gegenseitig nichts geschenkt hatten. Der endgültige Beweis, wer der Bessere war, stand immer noch aus. „Gibt es denn noch andere Saloons oder Orte, von denen er dir mal erzählt hat?“, hakte er nach, stieß sich vom Tisch ab und stellte sich vor sie. „Er ist mal hier mal da gewesen, immer auf Tour und ständig auf der Suche nach einem neuen Abenteuer“, antwortete Liz und setzte sich nun auf einen Stuhl. „Er wollte möglichst viele Kopfgelder einstreichen und war immer auf der Jagd, besonders hier draußen, wo es nicht so viele Polizeikräfte gibt. In Sacramento, in Dry Gulch, in Golden und Riverside kriegt man als Kopfgeldjäger die besten Aufträge. Dort war ziemlich oft unterwegs, soweit ich weiß.“ „Da waren wir schon und haben nichts über ihn herausgefunden“, sagte Fireball und man merkte ihm seine Sorge nun ebenfalls an. „Du sagst, du hast das letzte Mal vor über einem Jahr mit ihm gesprochen?“ „Ja, das ist richtig. Damals wollte er unbedingt Butch Calden jagen und das Kopfgeld einstreichen. Butch ist der gefährlichste und hinterlistigste Killer, der sich herumtreibt und meines Wissens ist er nicht mehr gesehen oder erwischt worden. Seitdem habe ich auch von Colt nichts mehr gehört. Er ist wie vom Erdboden verschluckt – und ich habe wirklich Angst um ihn. Was wenn Butch ihn -“ Liz unterbrach sich, bevor sie hysterisch wurde und atmete tief durch. Fireball nickte und schwieg, und auch Jesse wusste nichts zu sagen. Dabei hatte dieser Besuch hier so hoffnungsvoll angefangen, nun schien sich alles wieder als Niete herauszustellen. „Colt war immer für einen Spaß aufgelegt und hat das Leben genossen“, erzählte Liz und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Aber die anderen Jäger haben ihm das Leben nach seiner Rückkehr zur Hölle gemacht. Als Star Sheriff galt er natürlich als Saubermann und hatte die Welt der Kopfgeldjäger verraten. Sie sahen ihn nicht mehr als einen von ihnen an, sondern als etwas Besseres und musste sich immer wieder Anfeindungen und gemeine Sprüche anhören. Ich denke, dass viele neidisch auf seinen Erfolg und Ruhm waren und ihn deshalb geschnitten haben. Es nahm Ausmaße an, dass sogar er von einigen extremen Jägern gesucht und gejagt wurde, es war eine regelrechte Hasskampagne gegen ihn und es gab nicht einen Kopfgeldjäger, der sich auf seine Seite gestellt hätte. Colt tat das alles leichtfertig ab, ihr wisst ja wie er so ist. Vielleicht hat er den Ernst der Lage erkannt, als sie vor ein paar Jahren seinen Gleiter abgeschossen haben. Er konnte sich gerade noch so bis hierher retten. Ich habe ihn hier versteckt und gesund gepflegt…“ Liz’ Tränen liefen nun frei über ihre Wangen und tropften auf ihr leuchtend bordauxfarbenes, üppiges Barkleid, das ihren Busen hübsch zur Geltung brachte. Ihre langen kupferfarbenen Locken fielen über ihr Dekolleté, als sie sich nach vorne beugte und ihr Gesicht in den Händen vergrub. Fireball und Jesse sahen sich kurz ratlos an, dann ging Fireball zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen, da er mehr Erfahrung und Mitgefühl mit weinenden Frauen hatte als Jesse. „Er hätte tot sein können!“, schluchzte sie, und Fireball murmelte tröstende Worte und ließ sie weinen. Jesse, der sich fehl am Platze und etwas überfordert vorkam, vereinbarte mit Fireball per Blickkontakt, dass er sich erst einmal zurückzog, bis Liz sich wieder beruhigt hatte. Nebenan im Schankraum setzte er sich wieder an den Tresen und ließ sich einen Whisky geben. Als er ihn in einem Zug leerte, rückte Diego näher. „Saag maal“, nuschelte er Jesse an. Seine Lider waren halb geschlossen und die dunkelbraunen Augen darunter versuchten ihn zu fixieren, schafften es aber nicht. „Was willschd dhu vonn Golt?“ „Das ist meine Sache!“, erwiderte Jesse kalt und rückte ein Stück ab, um der widerwärtigen Alkoholfahne zu entgehen. „Hörr dshuu, vielleischd gönnen wir gemeinnnn…same Sache machen und ihn…“, er rülpste kurz, „erledigen.“ „Kein Interesse“, lehnte Jesse ab und bestellte einen weiteren Whisky. „Du hälssd dich wohl für wasch ganz besondresch, hä?“ Diego wurde plötzlich aggressiv und rammte sein Glas so fest auf den Tresen, dass das Bier herausschwappte. „Wie du hier sidssd mit dei’m schaubren Hemmd unn’ den Whissky ssäuffsd!“ Jesse seufzte tief und ignorierte den betrunkenen Kopfgeldjäger, doch der wurde dadurch nur noch mehr provoziert. „HEY, DU! Isch reede midd dir!“ Diego wurde lauter, sprang auf und stieß Jesse an der Schulter an, der aber ruhig blieb. „Diego!“, mischte sich der Barkeeper Luke ein, der gerade die Bestellung brachte. „Komm runter und lass das!“ „Hörst du schlecht? Ich sagte, ich hab kein Interesse. Thema beendet!“, erwiderte Jesse und nahm sein zweites Glas entgegen. Am Rande bemerkte er, dass die anderen Gäste zu ihnen herüber schauten, aber nicht eingriffen. Scheinbar war es ein übliches Szenario, das sich hier abspielte. Diego schlug Jesse das Glas aus der Hand, als dieser gerade zum Trinken ansetzte. Das Glas polterte über den Tresen und fiel auf der anderen Seite herunter, ohne zu zerbrechen; der Whisky verteilte sich über der Platte und auf dem Boden. „NIEMAND!“, brüllte er, „NIEMAND IGNORIERT MICH, DIEGO JUAN MARCO DEL FUEGO!“ Luke seufzte resignierend und schon brach ein Tumult in dem Laden aus, als Jesse von seinem Hocker aufsprang und dieser umfiel. „Ich setz’ 15 auf Diego!“, rief einer. „40!“, ein anderer und ein dritter: „Mit 20 bin ich dabei!“ „Diego, mach ihn fertig!“ Diegos Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden, als er seinen Blaster zog und ihn auf Jesse richtete. Dieser reagierte sofort und führte er einen zielsicheren Kick gegen Diegos Hand aus. Der Blaster flog in hohem Bogen in die Regale und einige Flaschen zerbrachen. Der Kopfgeldjäger brauchte einen Moment, um die Schmerzen in seiner Hand und den verlorenen Blaster in Zusammenhang zu bringen. Lautes Anfeuern und Grölen ging durch den Laden, weitere Scheine wechselten den Besitzer, aber Jesse bekam davon nichts mit. Er war auf Diego fokussiert, dessen sowieso gerötetes Gesicht ins Dunkelrote wechselte. Mit Gebrüll stürzte er sich auf ihn und versuchte ihn mit einem weit ausgeholten Schwinger seiner rechten Faust zu treffen. Jesse hatte genug Zeit, sich zu ducken und versetzte Diego einen Stoß in die Seite, so dass dieser einige Schritte in die Richtung seines Schlages stolperte und sich verwirrt umsah. „Lass mich einfach in Ruhe!“, verlangte er, hakte seinen Fuß in eins der Beine des vor ihm liegenden Barhockers ein und kickte ihn gekonnt hoch, so dass er ihn mit seiner Hand zu fassen bekam. Aber weder Diego noch die anderen Gäste wollten, dass der Kampf vorbei war. „Diego! Lass dir das nicht gefallen!“, feuerten sie ihn an. „Mach ihn kalt!“ „Gib’ s ihm!“ „Zeig ihm, wer der Boss ist!“ Luke seufzte wieder, hob Diegos Blaster auf und legte ihn beiseite. Es war sinnlos, einen solchen Kampf unterbinden zu wollen, selbst wenn er einen Warnschuss abgeben würde. Die Kopfgeldjäger wollten ihren Spaß und würden ihn sich so oder so nehmen, sollte jemand was dagegen haben. Also ging er aus der Gefahrenzone und beobachtete das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung. Jesse merkte, dass er nicht aus der Nummer rauskommen würde, bis es einen Sieger gab. „Also gut“, sagte er grinsend und nahm den Hocker fest in beide Hände, ehe er seine Position einschätzte. Die Theke war hinter ihm und gab ihm etwas Deckung. Die anderen Gäste wollten einen Kampf sehen, deshalb war es unwahrscheinlich, dass sie sich einmischten. Natürlich hielten sie zu ihrem Lokalmatador Diego. Viel Raum bot die Kneipe nicht, Tische und Stühle standen im Weg und Waffen waren nicht in Reichweite. ‚Vielleicht hinter dem Tresen’, überlegte Jesse, seinen Gegner nicht aus den Augen lassend. Dieser schwankte erheblich und griff jetzt nach einer Flasche, die auf dem Tisch neben ihm stand, und warf sie nach ihm. Jesse erkannte zu spät, dass das die Flasche nur ein Ablenkungsmanöver war. Als er das Wurfgeschoss mit dem Hocker abwehrte, rammte Diego ihn mit voller Wucht. Der Aufprall riss ihn von den Füßen und quetschte ihn hart gegen die Tresenkante, so dass ihm die Luft entwich und er den Griff um seinen Schutzschild lösen musste. Fausthiebe prasselten auf seinen Torso ein und ihm blieb nur, den Hocker von oben auf Diegos Rücken krachen zu lassen. Leider bedeutete das für ihn, mehr von seiner Deckung preisgeben zu müssen und weitere Schläge einzustecken. Nebenbei fiel Jesse auf, dass er zwar gut im Training war, aber während des Kampfes nicht mehr den kühlen, analytischen Kopf wie früher behielt. Er reagierte eher instinktiv und konzentrierte sich darauf, möglichst schneller als sein Gegner zu sein. Diego stöhnte laut auf, als der Hocker auf ihn niedersauste und ließ von seinem Widersacher ab. Jesse schnappte schmerzhaft nach Luft. Schwarze Strähnen hingen ihm ins Gesicht und versperrten ihm die Sicht, doch er hatte keine Zeit, sie zur Seite zu streichen. Stattdessen setzte er zu einem Sprungkick an. Er traf den vornüber gebeugten Diego, der die verletzte Stelle am Rücken zu erreichen versuchte, in die Seite, so dass dieser auf einen Tisch flog, der unter seinem Gewicht zerbrach. Jesse fing sich mit seinen Händen auf dem Boden ab und war gleich wieder auf den Beinen. Die Schmerzen in seinem Rücken blendete er aus, als er langsam zu dem stöhnenden Diego ging und ihn leicht mit dem Fuß anstieß. „Lässt du mich jetzt in Ruhe?“, fragte er herablassend und ließ sich weder seine Schmerzen anmerken noch, dass er etwas außer Atem war. „Steh auf, Diego! Los! Steh auf!“, kamen die Anfeuerungsrufe, und der Kopfgeldjäger mühte sich sichtlich ab, wieder auf die Beine zu kommen. Jesse beobachtete diese Versuche amüsiert und machte sich einen Spaß daraus, ihn wieder mit einem leichten Schubs zu Fall zu bringen, was ihm laute Buh-Rufe einbrachte. Selbstverständlich störte sich Jesse nicht daran. „Sieh ein, dass es vorbei ist!“, schärfte er dem am Boden liegenden Mann ein und ließ schließlich von Diego ab, um einen weiteren Whisky zu ordern. Der Barkeeper hatte inzwischen wieder Position bezogen, da der Kampf vorbei war und kümmerte sich um die Bestellung. Als Jesse genüsslich das Glas ansetzte, bemerkte er die plötzliche Stille im Raum. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er den ältesten Fehler der Welt gemacht und seinem Gegner den Rücken zugedreht hatte; diese Erkenntnis kam ein paar Sekunden zu spät. Schon wurde er am Kragen nach hinten gezogen und am Hosenbund gepackt. Der Whisky lief ihm über das Gesicht, als Diego ihn hoch über seinen Kopf hob. In dieser Position gab es für Jesse keine Möglichkeit, seinen Gegner anzugreifen, alle Versuche ihn zu treffen, gingen ins Leere. „DIEGO!“, schrie Liz aufgebracht, die, durch den Tumult angelockt, gerade hereinstürmte. Jesse wandte seinen Kopf zu ihr und konnte sie und den erschrockenen Fireball neben ihr erkennen. In der nächsten Sekunde flog er über den Tresen und krachte lautstark in die Wandregale. In seinem Sturz riss Jesse sämtliche Flaschen, Gläser und Regalböden mit sich und prallte mit der Schläfe gegen den Zapfhahn und von dort aus weiter auf den Boden, wo er reglos mit dem Gesicht nach unten liegen blieb. Splitter und Alkohol breiteten sich über ihm aus und bedeckten seinen Körper. Wutentbrannt stapfte Liz zu Diego und gab ihm eine heftige Ohrfeige, dass sein Kopf herumflog. „Du hirnverbrannter Idiot!“, donnerte sie, und Diego bekam ein schlechtes Gewissen. Die Freude über seinen Triumph versiegte und er senkte beschämt seinen Kopf, als Liz ihn zurechtwies. Immerhin war das Santiago einer der wenigen Saloons, in denen er noch willkommen war; dies wollte er sich nicht verspielen. Fireball und der Barkeeper waren gleich bei Jesse und schoben schnell die gröbsten Splitter weg, während Liz Diego weiter ausschimpfte und ihn rauswarf. Die anderen Gäste zogen sich nach und nach möglichst unauffällig zu ihren Plätzen zurück, denn sie wussten, dass der Spaß vorbei war und sie wollten der zornigen Liz nicht in die Quere kommen. Verstohlen tauschten sie ihre Einsätze aus. „Verdammt, Jesse, hörst du mich?“, rief Fireball besorgt und tastete gleichzeitig nach dem Puls. Daran, dass er eigentlich den Decknamen verwenden sollte, dachte Fireball im Moment nicht. Er bemerkte das Blut, das Jesse aus Mund und Nase lief und sich unter seiner zerschnittenen Wange auf dem Boden sammelte. Als er den leichten Aderschlag an Jesses Handgelenk fand, war Fireball etwas erleichtert. „Jesse?“, rief er den anderen wieder, aber die Reaktion blieb abermals aus. „Lass mich nach ihm sehen, ich kenne mich aus!“ Liz kam hinter die Theke und ging neben Jesse in die Hocke. Sie betastete ihn vorsichtig, besonders an Genick und am Kopf, ehe sie Fireball und Luke beauftragte, ihn nach oben zu bringen. „Eve! Bring mir den Scanner, Wasser, Salben und Verbandsmaterial! Und Eis!“, verlangte Liz von der blonden Frau, die vorhin neben ihr am Tresen gesessen hatte. „Ja, okay!“, antwortete sie und lief sofort los, um den Auftrag zu erfüllen. Liz eilte voran und stieß die Tür zu einem der Gästezimmer auf und räumte die Bettdecke beiseite, damit Luke und Fireball den Verletzten auf das altmodische Gitterbett legen konnten. Eve trat nur wenige Momente später mit den gewünschten Utensilien ein. „Ich gehe wieder runter“, verkündete Luke, weil er den Laden nicht länger als notwendig unbeaufsichtigt lassen wollte. „Danke, Luke“, nickte Liz, als sie die Gummihandschuhe überzog, und machte sich sofort daran, den Bewusstlosen im Schein der Zimmerlampe zu untersuchen. Vorsichtig legte sie ein kühles Tuch auf seine Schläfe, säuberte sein Gesicht und machte sich anschließend daran mit einer Pinzette die Glassplitter aus den Schnittwunden zu entfernen; zwischendurch überprüfte sie die Fortschritte mit ihrem Handscanner. Fireball stand am Fußende des Bettes und beobachtete die beiden Frauen, die ein eingespieltes Team waren und fast wortlos Hand in Hand arbeiteten. „Kommt sowas öfter vor?“, fragte er in gedämpftem Tonfall und er beruhigte sich langsam wieder, da die Lage unter Kontrolle war. „Hin und wieder“, antwortete Liz, während sie Jesses Hemd aufknöpfte, das an einigen Stellen blutgetränkt war. „Diego rastet manchmal aus, wenn er einen zu viel trinkt und auch ein paar andere liefern sich ab und zu mal ein paar Kämpfe.“ Sie strich sich eine Strähne des roten Haares hinters Ohr, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel und sie bei der Arbeit störte. „Aber Diego wirft normalerweise keine Leute durch die Gegend. Ich glaube, er war besonders aufgebracht, weil ihr Colt erwähnt hattet. Er hasst Colt bis aufs Blut.“ „Hat man kaum gemerkt“, schnaubte Fireball zynisch und verstärkte den Griff um das Gitter am Fußende. „Er kommt wieder und dann wird er bezahlen“, meinte Liz und schob das Hemd auseinander. Erschrocken hielt sie inne, als sie die Narben auf Jesses Körper erblickte und auch Fireball erstarrte. Nur zu gut wusste er, woher diese stammten und sie so zu sehen, rief die alten Erinnerungen wieder hoch. Damals hatte er sich schlimme Vorwürfe gemacht, denn Jesse war der einzige Mensch, den er jemals getötet hatte. Obwohl er ein Verräter und Verbrecher gewesen war, blieb Jesse ein Mensch, und Fireball war lange nicht damit zurecht gekommen, an seinem Tod mit verantwortlich gewesen zu sein. Seine Kollegen wussten nichts von seinen Gewissensbissen und es hatte sich erst gebessert, als er Caroline kennengelernt und sich anderen Dingen zugewendet hatte. Nun traf ihn die Vergangenheit als sei er mit voller Wucht gegen eine Wand gerast. Noch vor ein paar Wochen hatte er sich gefragt, wie schlimm die Spuren waren, die Jesse davongetragen hatte, jetzt sah er sie. Ihm wurde klar, dass Jesse sein Leben lang diese Narben mit sich herumtragen musste und ausnahmslos jeden Tag an das letzte Gefecht erinnert wurde. Wie hielt er diese Qualen aus? Liz hatte sich schnell wieder gefangen und arbeitete weiter, während Fireball sich von dem Anblick des schmalen, kalkweißen Körpers abwandte und lieber aus dem Fenster sah, obwohl es nur die Regentropfen zu beobachten gab, die an der Scheibe herunterliefen. Fireball hatte seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, sein Blick nach innen gerichtet. ‚Er hat sich davon nie etwas anmerken lassen, sondern spielt immer den arroganten Besserwisser. Aber jetzt, wo ich das sehe, verstehe ich, wieso er immer nur langärmelige Oberteile trägt, egal wie warm es ist. Es muss ihn sehr belasten, immer daran erinnert zu werden, denke ich. Außer Wut hat er nie andere Gefühle gezeigt, und das, obwohl wir schon eine Weile zusammen unterwegs sind. Wahrscheinlich hat er eine Art Schutzmauer um sich herum aufgebaut und das macht ihn so undurchsichtig und schwer einschätzbar. Immerhin ist er nicht mehr ganz so … scheu … - ich glaube, die Beschreibung trifft es ganz gut -, seit wir unsere WG haben, und ich glaube, dass er mir schon irgendwie vertraut. Zu Beginn war er ziemlich verkrampft, obwohl er das immer überspielen wollte. Wenn ich allein an unser erstes gemeinsames Abendessen denke – aber mittlerweile ist das alles normal geworden und er pennt sogar im Gleiter, wenn ich am Steuer bin. Früher wäre das sicher kaum vorstellbar gewesen.“ Fireballs Blick ging zu Jesses Spiegelbild im Fenster. „Aber diese Narben … Ich muss sehe jeden Tag meine eigenen und werde jeden Tag an meinen Unfall erinnert, den ich nie vergessen kann. Wenn ich daran denke, bin ich oftmals sehr wütend, weil mir meine Zukunft geraubt wurde. Wenn es mir schon so geht – wie muss es dann erst Jesse ergehen? Könnte es nicht sogar sein, dass er zurückgekehrt ist, um sich an uns zu rächen? Allerdings verstehe ich dann nicht, wieso er mir so geholfen hat. Sein gesamtes Verhalten spricht nicht dafür und die Indizien, die wir bisher gesammelt haben, lassen Saber ins Zwielicht rücken, das ist nicht von der Hand zu weisen. Am liebsten würde ich Saber einfach fragen, nur wie um alles in der Welt soll ich das anstellen? Ich habe es schon einmal vermasselt.’ Fireball seufzte und ließ seinen Kopf gegen die Fensterscheibe sinken. ‚Vielleicht wüsste Colt einen Rat.’ Die Situation überforderte ihn und er wusste nicht mehr, wem er glauben sollte. Es gab nichts, was er Jesse vorwerfen konnte, und alles sprach gegen Saber. Früher hätte er alle Hände und Füße für Saber ins Feuer gelegt, und jetzt hatte sich die Situation grundlegend geändert. Er musste die Überwachungen mit Jesse gemeinsam durchführen und weiter voran treiben, um komplett sicher zu sein. Falls sie sich nicht bewahrheiteten, würde er Jesse sofort festnehmen können. Außerdem kannte er Jesses Decknamen und sein Schiff – das war wiederum eine Tatsache, die für Jesse sprach. Würde er ihm seinen Unterschlupf, seinen Namen und all dies ohne Weiteres preisgeben, wenn er sich seiner Sache nicht sicher wäre? Wieder seufzte Fireball, er kam einfach nicht weiter und drehte sich andauernd im Kreis. Colt musste mit ins Team, das war sicher! ‚Verdammt, Colt, wo bist du? Warum gehst du nicht ans Telefon?’ Fireball presste in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung seine Zähne zusammen und eine tiefe Furche bildete sich auf seiner Stirn. Er wusste nicht mehr weiter und er hasste diesen Zustand! Ohne Jesse würde er die Überwachung nicht durchführen können, alles verzögerte sich und musste neu geplant werden. Zum ersten Mal bekam er einen Eindruck davon, wie Jesse sich gefühlt hatte, wenn sie damals seine Pläne durchkreuzt hatten. „Wir sind fertig“, riss Liz ihn aus seinen Gedanken und Fireball wandte sich um. „Er braucht jetzt ein paar Tage Ruhe. Er ist noch einmal glimpflich davongekommen, eine Gehirnerschütterung, ein paar üble Prellungen und kleinere Schnitte, was schon schlimm genug ist.“ Fireball nickte und ging wieder zum Bett hinüber, wo Liz gerade den Kopfverband befestigte und Eis darauf legte. „Ich danke euch beiden“, sagte er. Unwillkürlich wurde sein Blick wieder von den Verbrennungen angezogen. „Was ist mit ihm passiert?“, fragte sie und strich vorsichtig über die Narben. Fireball schluckte. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. „Ein Brand“, erklärte er vage und seine Stimme hörte sich fremd an, weil sein Mund plötzlich staubtrocken war. „Aber nicht nur“, bemerkte sie und drehte seinen linken Arm so, dass man über der zerstörten Haut eine helle Linie erkennen konnte, die sich vom Handgelenk zum Ellenbogen hinauf zog. Er folgte ihrem Finger und erkannte weitere, ähnliche Linien, die unmöglich von der Explosion der Tritonmaterie stammen konnten. ‚Jesse?’ Er starrte ihn erschrocken an und stellte fest, dass er rein gar nichts über seinen Begleiter wusste. ‚Ist es das, was ich denke?’ „Ich brauche was zu trinken“, sagte Fireball und riss sich von dem Anblick los. Liz deckte Jesse zu und bedeutete Eve, hierzubleiben, ehe sie dem ehemaligen Rennfahrer folgte. Unten war nur noch ein Gast da, mit dem sich Luke gerade unterhielt. Liz ging zielstrebig zur Bar und schenkte ihnen zwei doppelte Whiskys ein. Sie kippte ihren in einem Zug hinunter und goss sich gleich nach, während Fireball nur daran nippte. „Hey, du musst dir keine Sorgen machen“, tröstete sie ihn. „Er kommt schon durch!“ Fireball nickte. „Wenn er aufwacht, sprecht ihn am besten nicht auf seine Verletzungen an. Ich glaube, dass er das am liebsten vergessen würde.“ „Das glaube ich auch“, stimmte Liz zu und legte als Bestätigung eine Hand auf Fireballs Arm. Fireball trank das Glas leer und Liz schenkte ihm unaufgefordert nach. Er war durcheinander und drehte den Tumbler eine ganze Weile rastlos in seinen Händen hin und her. „Verdammt, ich muss Colt unbedingt finden!“, platzte es schließlich aus ihm heraus. „Überleg doch bitte noch mal, wo er sein könnte!“ Er griff nach Liz’ Handgelenk und drückte es eindringlich. „Ich versuche es ja schon die ganze Zeit“, versicherte sie ihm und kam auf die andere Seite der Theke, um sich neben Fireball zu setzen. „Ich weiß, dass Colt immer nur umher geflogen ist und keinen festen Wohnsitz hat“, begann sie. „Manchmal kam er beinahe jede Woche hierher und blieb für ein paar Tage, manchmal dauerte es ein paar Monate, bis er wieder auftauchte. Aber er hat sich immer gemeldet.“ „Du liebst ihn, oder?“, fragte Fireball direkt, und Liz nickte zögerlich. „Aber das würde ich ihm niemals sagen. Er ist jemand, der seine Freiheit braucht und so würde er sich nur gebunden und eingeengt fühlen“, sagte sie leise. „Aber ich bin mit dem zufrieden, was er mir geben will. Solange ich nur weiß, dass es ihm gut geht!“ Fireball nahm einen größeren Schluck aus dem Glas. ‚Genau das hatte Robin nie verstanden und ihn somit aus ihrem Leben vertrieben’, dachte er unwillkürlich, behielt diese Gedanken aber für sich. Über andere Beziehungen zu urteilen konnte er sich nicht anmaßen, er hatte ja selbst keine Ahnung davon, wie er kürzlich eindrucksvoll bewiesen hatte. Daher wechselte er lieber das Thema. „Weißt du eventuell, was für einen Gleiter inzwischen hat? Vielleicht hast du sogar seine Kennung?“ „Nein. Er hatte mal hier einen beim Kartenspielen gewonnen, aber das war ein altes Teil, den er bald wieder loswerden wollte.“ „Oder weißt du, wo er sich sonst herumtrieb? Welche Aufträge er annehmen wollte?“ „Nein, auch das weiß ich leider nicht. Das letzte, wovon Colt mir erzählt hat, war, dass er hinter Butch Calden her war und ich vermute, dass er mir das nur erzählt hat, weil er wusste, was für ein gefährlicher Typ er ist. Ich habe natürlich versucht, ihm das auszureden, ohne Erfolg. Du weißt ja, wie er ist, wenn er sich einmal was in den Kopf gesetzt hat.“ Liz seufzte und Fireball legte tröstend eine Hand um sie und zog sie leicht an sich. „Vielleicht kann ich Colt finden, wenn ich diesen Calden jage?“, murmelte er, aber sie hörte ihm nicht zu. „Einmal haben wir hier zusammen gesessen. Colt hatte ein paar zu viel getrunken und ich habe ihn mit nach oben genommen. Damals hat er mir von seinen Träumen erzählt.“ Liz hatte ihren Kopf auf eine Hand gestützt und ein versonnenes Lächeln auf ihren Lippen, als sie an diese Zeit dachte. „Irgendwann will er mal eine große Rinderfarm besitzen. Das Grundstück dazu hat er wohl schon“, erinnerte sie sich und lachte, als sie sich Colt als waschechten Cowboy vorstellte, der unzählige Rinder vor sich hertrieb. „Ja, diesen Traum hat er schon lange“, bestätigte Fireball und dachte wieder an den Killer, den Colt gejagt hatte. Dann durchzuckte ihn eine Idee. „Na klar! Die Farm seiner Eltern!“, rief er, „Dort haben wir noch nicht gesucht!“ Fireball hielt es nicht mehr auf dem Platz und lief umher. „Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?“, fragte er sich selbst und raufte sich die Haare, die ohnehin in alle Richtungen abstanden. „Ich muss sofort dahin!“ Er steuerte auf Liz zu und packte sie an den Schultern. „Kann Jesse so lange hier bleiben? Ich will keine Zeit mehr verlieren!“ „Sicher“, antwortete sie und schöpfte neue Hoffnung. „Wenn nur die geringste Möglichkeit besteht, Colt zu finden. Ich will nur wissen, dass es ihm gut geht.“ „Ich fliege sofort los!“, sagte Fireball und gab Liz vor Erleichterung einen Kuss auf die Wange, ehe er nach draußen rannte. „Warte! Dein Blaster!“, rief sie und rannte ihm hinterher. Kurze Zeit später, als Fireball seinen Blaster an sich genommen und Liz ein paar Klamotten für Jesse gegeben hatte, setzte er Kurs nach Texas. Er wusste, dass die Farm im Hays County, irgendwo abseits der Stadt Dripping Springs gelegen war. Weil er müde war, schaltete er den Autopiloten ein. Zum Glück hatten Jesse und er sich auf ihrer Reise mit der Steuerung abgewechselt, so konnte er den Outridergleiter inzwischen selbst fliegen und mit den fremdartigen Symbolen umgehen. Er wusste, dass Jesse ihm wegen seines Alleingangs wahrscheinlich den Kopf abreißen würde, doch er hätte es nicht mehr länger aushalten können und wollte Colt unbedingt finden, zumal seine Sorgen wieder neu geschürt worden waren. Seine letzte Hoffnung bestand darin, Colt auf dem Grundstück seiner verstorbenen Eltern zu finden und er wollte nicht daran denken, falls er seinen alten Freund dort nicht antreffen würde. Dann blieb nur, die Spur des Killers Butch Calden zu verfolgen. Am nächsten Tag traf er um die Mittagszeit in Dripping Springs ein. Er kreiste ein paar Mal über das County und fand die Farm, die verlassen aussah. Das Haupthaus war verfallen, das gesamte Gelände von Gräsern und Büschen überwuchert und die weitläufigen Zäune bedurften einer Reparatur, da sie an vielen Stellen zerbrochen waren. Früher musste es einmal sehr schön hier gewesen sein, mit all den Pferden und Rinderherden auf den Koppeln. Fireball steuerte den Gleiter auf die nicht ganz so überwucherte Straße, da dort die beste Landemöglichkeit bestand. Ein wenig mulmig fühlte er sich, als er ausstieg und auf das lange Farmhaus zuging. Ein rostiger Briefkasten stand an dem morschen Bretterzaun und man konnte noch ganz verblasst „Wilcox“ darauf lesen. Ein leichter Schauer lief über Fireballs Rücken, als er den kleinen, staubigen Weg zum Eingang lief. Einen Moment zögerte er, ehe er an die graue, verwitterte Tür klopfte. Kein Geräusch war zu hören, nur leichter Wind blies über das Gelände und wirbelte einige Dreckwolken auf. Nach einem Moment klopfte er abermals und rief laut „Hallo!“ und als wieder keine Antwort kam, ein drittes Mal. Vorsichtig öffnete er nach kurzem Warten die Tür. Er musste sich einfach vergewissern, ob Colt nicht doch da war. Der Innenraum war dunkel und es roch nach einer ganzen Menge Alkohol, altem Schweiß und Schmutz. „Was willst du hier?“, fragte Colt kalt und Fireball fuhr zusammen, weil die Farm als verlassen angesehen hatte. In der Dunkelheit erkannte er nichts außer Umrissen, die Stimme würde er allerdings überall erkennen, obwohl sie rauer war als damals. Sie gehörte eindeutig zu Colt. „Ich habe dich gesucht“, antwortete Fireball perplex von der unfreundlichen, kalten und eindeutig abweisenden Begrüßung. „Was du nicht sagst?“, spottete der Cowboy. „Jetzt wo du deine Frau los bist, erinnerst du dich an deinen alten Freund Colt, was?“ „Nein, aber…“ „Damals hat es dich einen Dreck geschert, als meine Ehe zu Bruch ging! Du bist ein schöner Freund!“ Fireball merkte jetzt, dass Colt total besoffen war und entspannte sich ein wenig. „Ich mach erstmal die Fenster auf“, lenkte Fireball ab, den dieser Satz ganz schön getroffen hatte. Wegen der schweren, ekelhaften Luft konnte er hier drinnen kaum atmen oder einen klaren Gedanken fassen. Als er sich wieder umdrehte, erschrak er, als er seinen alten Freund erblickte. Dieser war völlig heruntergekommen, sein Gesicht erschien alt und war von einem prächtigen Vollbart zugewuchert, Haut und Haar waren genauso staubig-grau wie die Umgebung. Er sah ausgemergelt aus, beinahe krank und seine Jeans sowie sein kariertes Hemd waren zerknittert und fleckig. Fireball erkannte Colt nur an seinen stechend blauen Augen, die ihn feindselig anstarrten. Erst im zweiten Moment bemerkte er den Blaster, der auf ihn gerichtet war und Fireball erstarrte. „Colt?“ Er verstand seinen Freund nicht, aber er wusste, dass er extrem gefährlich war, egal, ob sich sein Alkoholpegel jenseits von Gut und Böse befand. Unzählige Flaschen Jack Daniels, die sich überall in dem Raum, der so etwas wie das Wohnzimmer war, verteilt waren, ließen darauf schließen, dass Colt sich wahrscheinlich schon monatelang hier einsperrte und vor sich hin siechte; Leben konnte man diesen Zustand nicht mehr nennen. Fireball war zutiefst bestürzt und Colts Worte ließen ihn sich wie ein Verräter fühlen. Er erkannte Colt nicht mehr wieder. So hätte er sich das Wiedersehen mit seinem besten Freund niemals ausgemalt. Dieser erhob sich nun schwankend von seiner Sitzgelegenheit und stieß dabei ein paar leere Flaschen um. Fireball blieb reglos am Fenster stehen und beobachtete seine Bewegungen. „Weißt du, ich bedaure, jemals zu den Star Sheriffs gegangen zu sein!“, nuschelte er, doch sein Zorn war deutlich zu hören, als er auf Fireball zu ging. Er fuchtelte unkontrolliert mit dem Blaster herum. „Das kannst du nicht ernst meinen, Colt!“, erwiderte Fireball und versuchte ruhig zu bleiben. „Du weißt doch gar nicht, was du redest!“ „Das“, Colt hielt Fireball die Waffe unter die Nase und kam mit seinem Gesicht ganz nahe an ihn heran, so dass ihm eine schwere, übelriechende Fahne entgegen schlug, „weiß ich sehr genau!“ Fireball wurde sauer. Seine und Liz’ Sorgen waren völlig unbegründet gewesen, denn Colt schien es vorzuziehen, sich die Birne zuzusaufen bis er ohnmächtig war. Fest griff er den Lauf, drückte ihn zur Seite und kam mit seinem Gesicht nun näher, auch wenn er sich wie damals bei ihrem ersten Treffen auf die Zehenspitzen stellen musste, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Was ist dein Problem, Colt?“, verlangte er zu wissen. „Du bist eins davon!“, klagte er Fireball an und tippte ihm mit dem linken Zeigefinger auf die Brust. Den Blaster ließ er los, so dass er in Fireballs Hand zurückblieb. Stattdessen packte er sein Gegenüber nun am Kragen seines Shirts, um ihn näher zu sich heranzuziehen. Seine zornigen, blauen Augen bohrten sich in Fireballs braune, der wütend zurückfunkelte. Für eine Sekunde war Fireball versucht, Colt den Griff des Blasters für diese beleidigenden Worte einfach über den Schädel zu ziehen. Erst im letzten Moment besann er sich. Colt wusste mit Sicherheit nicht, was er da faselte, auch wenn er erstaunlich gerade redete. „Von deinem Atem allein wird man ja schon besoffen!“, grinste Fireball, in dem Bemühen, Colt mittels einer anderen Taktik zu beruhigen, während er die Waffe hinter sich auf die Fensterbank legte und sich nicht weiter daran störte, dass Colt ihn am Shirt festhielt. „Warum setzen wir uns nicht und du erzählst mir einfach, was mit dir los ist?“, schlug er vor. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Colt immer noch so viele Dummheiten machte wie zu ihrer Zeit auf Ramrod. „Es gibt nichts zu erzählen, mein Freund“, giftete Colt, das Wort Freund spöttisch ausspuckend, und stieß Fireball nun von sich, um zurück zum Tisch zu gehen, wo die halb leere Jackie-Flasche stand. „Am besten verschwindest du gleich wieder von hier! Du weißt ja, wo die Tür ist!“, empfahl er und nahm einen tiefen Schluck. Für einen Moment erstarrte Fireball in seiner Bewegung, ehe er seine Hände zu Fäusten ballte und vor Zorn zitterte. Dieser Cowboy brachte ihn wirklich zur Weißglut! Mit zwei großen Schritten war er bei ihm und riss ihm die Flasche vom Mund, so dass ein Teil des Getränks über Colts Gesicht lief. „Ich bin nicht hierhergekommen, um dir beim Saufen zuzuschauen, Colt!“, stellte er etwas lauter fest und knallte die Flasche hart auf den Tisch. „Nein, das sicher nicht“, grinste Colt und wischte sich mit seinem fleckigen Hemdsärmel trocken. „Aber denk nicht, dass ich nicht weiß, warum du wirklich hier bist. Warst ja in letzter Zeit wieder oft genug in den Nachrichten zu sehen!“ Wieder griff er nach der Flasche und setzte sie geruhsam an. „Soll heißen?“ „Dass du mal wieder nicht weiter weißt und jemanden brauchst, der deine Probleme für dich löst! Genau dann bist du in den letzten Jahren immer bei mir aufgetaucht!“ Colt nahm einen weiteren Schluck, während Fireball ihn perplex beobachtete. „Ich habe keinen Bock mehr darauf, dich immer wieder aus der Scheiße zu ziehen!“, brüllte Colt. „So siehst du das also“, presste Fireball hervor. „Hast du dich mal gefragt wie es mir geht, hä? Hast du dich einmal gemeldet, während bei dir alles in Ordnung war und bei mir alles den Bach herunter ging, hä?“ Colt deutete anklagend mit dem Flaschenhals auf seinen Freund und forderte eine Antwort, doch Fireball presste nur seine Lippen zusammen. Ihn so zu sehen und die Vorwürfe zu hören, schnürte ihm die Kehle zu und es schien, als würde sich Colt nicht helfen lassen wollen, am wenigsten von ihm. Seine Schuldgefühle wichen neuem, aufwallendem Zorn und er kam einen Schritt auf den Cowboy zu. „Wirf mir keine Sachen vor, die du selbst nicht halten kannst!“, zischte er. „Du verschwindest und tauchst auf wie es dir gefällt, beantwortest weder deine Com noch sonstige Nachrichten und willst mir solche Vorwürfe machen? Dass ich nicht lache!“ Bedeutungsvoll ließ seinen Blick an dem Kopfgeldjäger herunter gleiten, dann wieder hinauf. „Hast du in letzter Zeit überhaupt mal in den Spiegel geschaut? Wie du aussiehst! Es tut mir wirklich in der Seele weh, dich so sehen zu müssen!“ „Dann geh doch! Es zwingt dich niemand, mich anzugucken!“, giftete Colt zurück, packte Fireball wieder einmal am Kragen und zog ihn zur Tür. „Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß und lass mich endlich in Ruhe wie die letzten Jahre auch!“, riet er ihm brüllend und beförderte ihn schwungvoll hinaus. Fireball stolperte einige Schritte weiter und fuhr zu seinem Freund um. Deutlicher konnte Colt ihm nicht zeigen, dass er hier unerwünscht war. Seltsamerweise legte sich eine kalte Emotionslosigkeit über ihn, so dass er ruhig und gelassen blieb. „Ich war eigentlich hier, weil ich dir einen Auftrag geben wollte, nicht um meine Probleme zu lösen“, sagte er, sich nun auf das Geschäftliche konzentrierend. „Vielleicht interessiert es dich, dass angeblich Outrider in den beiden Sektoren Omikron und Sigma gesichtet wurden. Aber dir macht es ja scheinbar mehr Spaß, dir das Hirn aus der Birne zu saufen und es gelingt dir sogar ganz gut wie ich feststellen muss.“ Er betrachtete Colt einen Moment bedauernd, bevor er sich abwandte. Ein paar Schritte später blieb er stehen und sah nochmal zurück. „Colt, es gibt Leute, die sich wirklich um dich Sorgen machen und sich fragen, ob du überhaupt noch am Leben bist. Wenn du irgendwann wieder bei Sinnen bist, melde dich bei Liz, sie ist eine davon.“ Er blickte seinem Freund fest in die Augen, so dass der andere sehen konnte, dass Fireball seine Fehler wirklich bereute und dass es ihn schmerzte, ihn so am Ende zu sehen und nicht helfen zu können. Dann drehte er sich ohne ein Wort des Abschieds um und verließ die Farm endgültig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)