Schlag dem Drachen den Kopf ab! von Ixtli (Original-Speedwichteln für Andromeda) ================================================================================ Abendstern ----------     Rubio hatte nicht einmal mehr abwarten können, bis das Feuer brannte, da war er bereits tief und fest eingeschlafen. Isidor hatte ihn mit der Decke zugedeckt und noch eine Weile abgewartet. Dann hatte er Ganser gesattelt und war mit ihm davon geritten.   Da er nicht damit rechnete, früh genug zurück zu sein, ehe er wieder alles vergaß, war es ihm lieber, dass er sich, wenn er alleine unterwegs war, auch ohne Rubios Hilfe an den Namen des Pferdes erinnern konnte, das er ritt. Sicher war sicher.       Isidor saß an einem der Tische, der am weitesten vom Tresen entfernt war. Geduldig hatte er gewartet, bis alle Gäste gegangen waren und er sich mit dem Wirt alleine in der nun still gewordenen Taverne befand.   "Mein Herr, wir schließen jetzt", sprach ihn der Wirt an, der, noch ehe Isidor ihm antworten konnte, diesen erkannte und vor Schreck zurück wich. "Was willst du hier?", knurrte der ältere Mann. Er gab sich Mühe, seinem Sohn nicht allzu deutlich zu zeigen, dass er ihm nicht traute. "Wo ist denn deine Amme?", knurrte er zwischen den Zähnen hervor.   Isidor biss sich auf die Unterlippe, ehe er antwortete. "Was hast du Rubio heute Mittag weggenommen?"   "Weggenommen?", wiederholte der Wirt verblüfft.   "Ja." Isidor stand auf. Wie nebenbei packte er mit einer Hand den Henkel des Bierkrugs vor sich auf dem Tisch. Ungeachtet des Getränks, das sich über seine Hose und Schuhe ergoss, folgte er dem Wirt, der vorsichtigen Schrittes Richtung Tresen ging, ohne dabei den jungen Mann vor sich auch nur einen Wimpernschlag lang aus den Augen zu lassen.   "Was hast du ihm da weggenommen, als er bei dir stand?"   "Was, das weißt du etwa noch?" Der Alte lachte kurz auf, da es einfach zu absurd war, dass sich dieser Schwachsinnige ausgerechnet an diese Szene erinnerte. Er verstummte aber gleich wieder, als Isidor die Zähne wütend bleckte. "Meinst-meinst du das Geld?", stotterte der Alte. Seine Blicke gingen hektisch von der einen Zimmerecke zur anderen. Wie hatte er nur nicht darauf achten können, dass auch wirklich alle Gäste gegangen waren. Ausgerechnet Isidor stand nun vor ihm, auch wenn er nicht ahnte, wer ihm da tatsächlich gegenüber stand: sein Vater, der ihn lieber tot als lebendig sah.   Als er das Holz des Tresens in seinem Rücken spürte, blieb der Wirt gezwungenermaßen stehen. Er sah Isidor aus misstrauisch zugekniffenen Augen an. Dieses Scheusal, das seiner Familie nur Unglück brachte, seit es atmete, kehrte zurück wie das Böse in Person. "Wo ist Rubio?"   Isidor stand nun so nahe vor dem Wirt, dass ihm dessen üble Körperausdünstungen nahezu den Atem nahmen. "Schlag dem Drachen den Kopf ab!"   Der Wirt schrie erstickt auf, als der Krug auf ihn niedersauste. Er krachte mitten in sein Gesicht und zersplitterte in unzählige Scherben, die prasselnd zu Boden regneten. Der Mann spürte den warmen Strom, der augenblicklich aus seinem getroffenen Mund rann. Stücke seiner abgebrochenen Zähne schnitten in seine Zunge und er versuchte, sie auszuspucken.   Isidor ließ den Henkel fallen, der als einziges von dem zerborstenen Krug übrig geblieben war. Er ballte seine Hand zu einer Faust und hob sie. Sekundenbruchteile schwebte sie still zwischen ihnen beiden. Die Augen des am Boden knienden Wirtes weiteten sich ungläubig.   "Bastard", fauchte der Wirt voller Abscheu und spuckte dabei einen Schwall Blut aus.   Den nächsten Schlag, der auf den Mann niederging, spürte dieser schon nicht mehr so heftig, wie den davor und nach dem dritten hatte er endgültig das Bewusstsein verloren.   Isidor erhob sich und sah auf den blutüberströmten Mann hinab, dessen zerschmettertes Gesicht eine Einheit mit der sich weiter ausbreitenden roten Pfütze unter sich einging.       Er hatte Ganser angetrieben, als ginge es um ihr Leben, wenn sie nicht so schnell wie irgend möglich aus dieser Stadt herauskamen. Im gestreckten Galopp jagten sie dahin, ohne dass sich Isidor sicher war, auch tatsächlich den richtigen Weg genommen zu haben.   Seit der Wirt mit dem eingeschlagenen Schädel endlich zu röcheln aufgehört hatte, hatte sich das gleiche Gefühl in seinem Kopf ausgebreitet, das ihn zu umschlingen begann, wenn er müde wurde. Er musste früh genug bei Rubio sein; seinem wichtigsten Fixstern. Isidor trieb Ganser weiter an. Kleine Steine flogen unter den stampfenden Hufen auf und Ganser erschrak, als einige davon gegen seine Brust schleuderten. Er strauchelte und ehe er sich wieder fangen konnte, knickten seine Vorderläufe weg und das Pferd stürzte krachend zu Boden.     Nur dem Zufall hatte es Rubio zu verdanken, dass er wach geworden war. Es musste die eigenartige Stille gewesen sein, die ihn im Schlaf gestört hatte. Die vertrauten Geräusche hatten gefehlt. Die Pferde waren zu still und auch das Knistern ihres Lagerfeuers hatte er vermisst.   Mit Schrecken hatte Rubio dann Isidors Fehlen bemerkt. Und auch Ganser war nicht mehr an seinem Platz, an dem er ihn festgebunden hatte. Flink löste Rubio Wilders Zügel und schwang sich auf den Rücken des schnaubenden Hengstes.     Er fand Isidor auf halber Strecke zur Stadt im Gras vor einem Hügel kniend. Rubio sprang von Wilders Rücken, noch ehe das Pferd gänzlich zum Stehen gekommen war, und rannte stolpernd zu Isidor hin.   "Isidor!", rief Rubio dem reglosen Schatten zu. Jetzt erkannte er auch den Hügel, vor dem Isidor kniete. Ganser lag still auf der Seite. Ein großer Schnitt klaffte an seinem Hals.   Schockiert griff Rubio nach Isidors Schulter und er versuchte, den jungen Mann auf die Beine zu ziehen; weg von dem toten Pferd.   Unvermutet sprang Isidor auf die Füße. In seiner Hand blitzte die Klinge seines Messers auf und er schrie. "Schlag dem Drachen den Kopf ab!" Rubio keuchte auf, als ihn der Schlag in den Magen traf. Er knickte ein und fiel zu Boden.     Als Rubio wieder aus seiner Ohnmacht erwachte, dauerte es eine Zeit lang, bis er das Geschehene zusammensetzen konnte. So musste sich Isidor jeden Morgen fühlen, dachte er bitter, während er nach und nach seine Erinnerungen zusammenklaubte.   Isidors Messer fiel ihm als erstes ein und dann der Schlag in seinen Bauch.   Hektisch tastete Rubio seinen Oberkörper ab, fand aber zu seiner Erleichterung nicht den kleinsten Schnitt.   Er hob den Blick und sah Ganser, der in einer großen dunklen Blutlache vor ihm lag.   Isidor war nicht weit entfernt. Er kniete vornübergebeugt im Gras, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haare verdeckten sein Gesicht und im ersten Moment fürchtete sich Rubio davor, ihn anzusprechen. Er fürchtete, dass sein Gefährte nun völlig in eine Welt geglitten war, in die er ihm nicht mehr folgen konnte. Gegen die Übelkeit ankämpfend, die ihm der Schlag in den Magen und der Anblick seines aufgeschlitzten Pferdes beschert hatten, taumelte Rubio zu Isidor hinüber. Tränen rannen seine schmutzigen Wangen hinunter, als er sich neben Isidor auf die Knie hinab ließ und seine kühle Hand ergriff.   "Ich weiß es noch", flüsterte Isidor nun so leise, das seine Stimme beinahe im sanften Abendwind unterging.   Rubio beugte sich zu Isidor hinab und strich ihm die Haare aus dem verschwitzten Gesicht.   "Ich weiß es noch", wiederholte Isidor. "Ich habe dem Drachen den Kopf abgeschlagen."   Isidor lachte.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)