Schlag dem Drachen den Kopf ab! von Ixtli (Original-Speedwichteln für Andromeda) ================================================================================ 2 - "Du hattest Recht. Wir verschwinden besser von hier." Die Erleichterung, Isidor nicht wie befürchtet in der Stadt suchen zu müssen, sondern ganz in der Nähe der Taverne dabei vorzufinden, wie er ihre beiden Pferde für den Aufbruch bereit machte, ließ Rubio beinahe das gerade Erlebte vergessen. Wären da nicht sein noch immer schmerzender Ellenbogen und der Lederbeutel gewesen, den er vor Isidor verbergen musste.   Isidor sah Rubio abwartend entgegen, der mit weit ausholenden Schritten auf ihn zukam. Seine Wangen überzog noch immer ein letzter Rest zorniger Röte. Die Welt hatte es heute auf Rubio abgesehen und Isidor war ein Teil davon gewesen, dachte dieser zerknirscht. Ohne Rubio nach dem Grund seiner Verspätung zu fragen, reichte er ihm die Zügel des aufgeregt schnaubenden Schimmels, auf dessen Rücken sich Rubio auch sogleich wortlos schwang.   Nachdem Rubio die Tasche mit ihrem Proviant kontrolliert und dabei etwas vor sich hin gemurmelt hatte, dass es ihnen nun wenigstens erspart blieb, noch länger als nötig hierzubleiben, sah er das erste Mal seinen Gefährten an, der sich, auf dem Rücken seines Fuchses sitzend, nun auch wieder auf gleicher Augenhöhe mit ihm befand. Wilder tänzelte unruhig auf der Stelle, ehe er sich mit dem jungen Mann auf seinem Rücken abgefunden hatte.   "Lassen wir dieses Rattenloch endlich hinter uns", spie Rubio mit Blick auf die Taverne, aus der Gelächter klang, verächtlich aus. "Hier waren wir lange genug."   "Das sagte ich doch." Isidor konnte sich das zufriedene Grinsen nun doch nicht verkneifen. Er schnalzte mit der Zunge und Wilder setzte sich sanft schaukelnd in Bewegung. "Suchen wir den Drachen!"   Rubio verdrehte entnervt die Augen. Drachen, Drachen, Drachen. Immer wieder ging es um diese vermaledeiten Drachen. Es gab keine Drachen. Außer vielleicht in Isidors Fantasie. Aber in der Realität gab es weder die Bösen, die holde Maiden entführten, noch gab es Nette, die Glück brachten. Hatte es noch nie gegeben und würde es vermutlich auch nie geben, außer das Universum verschwor sich weiter gegen ihn und ließ ein paar der schuppigen Exemplare vom Himmel regnen.   "Ach, sei's drum, suchen wir uns einen Drachen", stimmte Rubio Isidor zu.     Nachdenklich betrachtete sich Isidor den Rücken seines voraus reitenden Gefährten. Rubio schien anders als üblich. Nicht, dass er sonst für große Reden bekannt war, doch seine momentane Schweigsamkeit wirkte in der Weite ihrer Umgebung verloren. Er gab sich auch wirklich Mühe, es vor Isidor verbergen zu wollen. Bemerkte er Isidors Aufmerksamkeit, ging wie auf einen stummen Befehl hin ein kaum wahrnehmbarer Ruck durch Rubio. Sein unkonzentrierter Blick klärte sich und sein verbissen verkniffener Mund bog sich zu einem zögerlichen Lächeln. Sobald er sich aber wieder unbeobachtet fühlte, trieben seine Gedanken erneut davon. Isidor sah es an Rubios Augen, die den Horizont nach etwas abzusuchen schienen, das nicht da war, und er merkte es daran, dass er Gansers Zügel zu locker ließ, als wollte er das Pferd selbst die Entscheidung treffen lassen, wohin es sie schlussendlich verschlug. Er würde ihn danach fragen müssen. Isidor trieb Wilder an und schloss zu Rubio und Ganser auf.   Rubios Lächeln, das sich zu schnell mit seiner gerade noch abwesenden Mimik abwechselte, erschien im gleichen Augenblick, in dem er sich bewusst wurde, dass Isidor ihn ansah. Isidor hätte gefahrlos sein Pferd samt Proviant und Waffen darauf verwetten können, dass es so kommen würde. "Sollen wir Rast machen?" Rubio nickte, hoffend, Isidors abschätzenden Blicken wenigstens in der Zeit entgehen zu können, so lange sie aßen.     Rubio brachte den Inhalt ihrer Provianttasche zu dem Feuer, das Isidor gerade im Begriff zu entfachen war. Knisternd fraß sich die noch winzige Flamme durch das trockene Stroh, das Isidor zwischen den Holzscheiten aufgehäuft hatte. Die Flamme wuchs und wuchs und war schon bald stark genug für die Rinde der dürren Ästchen, die sie mit ihren brennenden Zünglein begierig abtastete, bis auch das Holz nachgab und hell aufloderte.   Vorsichtig wickelte Rubio den in ein Stofftuch eingeschlagenen Brotlaib aus und legte ihn, das Tuch dabei als Decke nutzend, zu Boden. Währenddessen hatte Isidor ein weiteres Stoffbündel ausgepackt und ein Stück Käse sowie einige Streifen getrockneten Hirschfleisches neben dem Brot abgelegt. Rubios Magen knurrte hörbar, was Isidor dazu animierte, das lähmende Schweigen, das sie seit ihrem überstürzten Aufbruch kaum wesentlich gebrochen hatten, zu beenden.   "Das nächste Mal machen wir uns erst nach dem Essen auf den Weg."   "Unfug", murmelte Rubio beschämt. Er schnitt das Brot, das sie heute früh noch warm gekauft hatten, in dicke Scheiben und tat das gleiche mit dem Käse. Er wartete, bis Isidor sich von allem genommen hatte und bediente sich erst dann, obwohl er sich liebend gerne wie ein ausgehungerter Wolf auf ihre Mahlzeit gestürzt hätte. Doch diese Blöße, die zudem auch noch Isidors Bemerkung wegen des nicht eingenommenen Essens vor ihrer Abreise bestätigen würde, wollte er sich nicht geben. Obwohl es anders betrachtet einen guten Grund für seinen Missmut wegen der geänderten Pläne bieten würde. Zumindest wäre es ein besserer Grund, als die Wahrheit. Noch während dieses Gedankens bemerkte Rubio den Wandel, der mit dem jungen Mann an seiner Seite vonstatten ging. Isidor hatte, obwohl er ebenso hungrig wie Rubio sein musste, das Stück Käse, das er gerade erst zum Mund geführt hatte, um davon abzubeißen, wieder unangetastet sinken lassen. Mit leerem Blick starrte Isidor vor sich hin, um nur den Bruchteil einer Sekunde später nach hinten wegzukippen. Isidors Augen verdrehten sich, so dass nur noch das Weiße zu sehen war, und sein Mund öffnete sich, als wolle er um Hilfe rufen.   Hastig schluckte Rubio den Bissen des zähen Hirschfleisches hinunter, auf dem er gerade missmutig herumgekaut hatte, und sprang auf. Er lief zu Ganser und durchwühlte die Satteltasche, bis er gefunden hatte, was er brauchte.   Vorsichtig ging Rubio neben Isidor auf die Knie, der wie versteinert vor ihm im Gras lag und noch immer den Mund zu einem Schrei geöffnet hatte, der nie erklang. Gekonnt wickelte Rubio das kleine Papierbriefchen auseinander, das er aus der Satteltasche genommen hatte, und starrte erschrocken auf den Inhalt hinab. Etwa ein halbes Dutzend grüne Bröckchen befanden sich in dem gefalteten Papier. Es waren zu wenige. Für heute würden sie noch reichen, doch morgen, wenn alles wieder von vorne begann, mussten sie genügend auf Vorrat haben. Isidors plötzlicher Sinneswandel, was ihre Reise anging, hätte ihm eigentlich genug Warnung sein müssen, um zu merken, dass sich etwas an Isidor änderte, was vorher immer gleich geblieben war.   Rubio ärgerte sich, ausgerechnet das Wichtigste vergessen zu haben. Er schob eine Hand unter Isidors Nacken und versuchte mit der anderen, den verkrampften Unterkiefer seines Gefährten so weit zu öffnen, dass er ihm die Medizin geben konnte. Behutsam schob Rubio drei der Bröckchen in Isidors Mund, der sie, obwohl kaum bei Sinnen, mit sichtlich angewiderter Miene schluckte.   Gebannt wartete Rubio ab und horchte dabei seinem eigenen beschleunigten Herzschlag, dessen Pochen spürbar unangenehm in seinen Schläfen pulsierte.   Nach einer Weile begannen sich Isidors angestrengte Gesichtszüge wieder zu entspannen und Rubio atmete auf. Er wartete noch so lange, bis er sicher war, dass Isidor sich erholte und aufsetzen konnte. Rubio stand auf und suchte nach ihrem Trinkwasser. Er gab Isidor den Wassergefüllten Beutel aus Tierhaut, der dankbar einige hastige Züge daraus nahm.   Zitternd rieb sich Isidor mit der Hand über seine Stirn, die mit kalten Schweißperlen bedeckt war. Er sammelte seine Gedanken und ordnete sie. Neben ihm fielen die zusammengerollten Decken aus kratziger Wolle zu Boden, die Rubio in der Zwischenzeit geholt hatte.   "Wir bleiben hier", sagte Rubio knapp zu Isidor, der die Ankündigung stumm hinnahm und seinem Gefährten stattdessen brav dabei half, ihr Lager für die kommende Nacht vorzubereiten. Keine Drachen mehr für heute! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)