Schlag dem Drachen den Kopf ab! von Ixtli (Original-Speedwichteln für Andromeda) ================================================================================ 1 -   Es war noch nicht einmal Mittag und dennoch ging es in dem Schankraum der berstend vollen Taverne laut und hektisch zu. Auf jedem noch so winzigen freien Flecken standen oder saßen Leute und ein nicht enden wollender Strom aus Menschen schob sich von der Theke durch die schmalen Wege zwischen den Tischen. Man musste seine Ellenbogen gebrauchen, um überhaupt ein paar Schritte in das Gasthaus machen zu können, anders blieb man ewig zwischen Tür und Angel stehen. Alles, was aus Richtung der Küste kam, machte hier Rast, um in der Stadt die Vorräte aufzufüllen und weiter ins Landesinnere zu ziehen. Der Duft nach Essen, der über der Menschenmenge hing, mischte sich mit den Gerüchen, welche die mehr oder weniger gepflegten Gäste verströmten. Um hier in Ruhe speisen zu können, durfte man keinen allzu empfindlichen Magen haben.   Abwartend beobachtete Isidor das Tun seines Gegenübers, dessen fahrige Hände unbeholfen den noch gut gefüllten Krug vor sich auf der Tischplatte umher schoben. Etwas von dem Inhalt schwappte über den Rand und bildete eine kleine Pfütze auf der abgewetzten Holzplatte, der man ihr jahrelanges Fristen als Tisch in einer der bestbesuchten Tavernen an all den Kerben und Flecken ansehen konnte, welche die Oberfläche zierten.   Was sich Rubios Eltern wohl dabei gedacht hatten, als sie ihrem Sohn ausgerechnet diesen Namen nach seiner Geburt gegeben hatten, war Isidor nach all den Jahren, in denen sie sich nun schon kannten, noch immer schleierhaft. An Rubio war nichts Rotes. Bis auf seine Wangen vielleicht, wenn er wütend wurde - wie gerade in diesem Augenblick, auch wenn er es zu unterdrücken versuchte. Allerdings kam das so selten vor, dass sich Isidor darüber zuerst keine wirklichen Gedanken machte und dem jungen Mann, der ihm einen lauernden Blick zuwarf, ruhig auf dessen gerade geäußerte Ablehnung antworten konnte.   "Was für eine Wahl hast du denn schon?" Isidor kratzte mit der Spitze des Messers, mit dem er eben noch seine Mahlzeit zerteilt hatte, über die Tischplatte und erweiterte diese um einige frische Kerben.   Rubios Augen fixierten Isidor mit einer Intensität, dass es sich bei ihnen beiden genauso gut um zwei völlig Fremde hätte handeln können, die wegen irgendetwas in einen Streit geraten waren und nun mit Blicken die Kraft des jeweils anderen abzuschätzen versuchten, bevor sie ihre Waffen zückten und aufeinander einzuschlagen begannen.   Diese Reaktion war neu für Isidor, dem nun doch etwas mulmig zumute wurde. Rubio ein wenig aufzuziehen war etwas anderes, als ihn an die Bürde zu erinnern, die er sich mit Isidor leichtfertig aufgeladen hatte, ohne vermutlich über die Folgen nachzudenken, die das haben würde.   Isidor legte das Messer beiseite. "Ich meine, was wäre so schlimm daran, früher aufzubrechen, anstatt die Nacht ausgerechnet hier zu verbringen?" Isidors Einlenken brachte Rubio kurz aus dem Konzept. Wie sollte er ihm die Zwickmühle klarmachen, in die er sie beide mit dem frühen Aufbruch brachte, wenn die Gründe dafür für Isidor am nächsten Morgen bereits wieder vergessen waren. "Sorgst du dich wegen des Geldes?" Isidor hatte die Stimme gesenkt, so dass es Rubio einige Mühe kostete, ihn in all dem Tumult richtig zu verstehen. Isidors Blicke ruhten auf dem geschnitzten Wappen, das die Wand hinter dem Tresen zierte. Ein blauer Lindwurm wand sich darauf um eine vielstrahlige Sonne. Isidor nahm das Messer wieder zur Hand.   Rubio stöhnte leise auf und verbarg sein Gesicht in den Händen. Isidor wusste nicht, was dieses für ihn selbst winzige Abweichen ihres Vorhabens stattdessen für Rubio bedeutete. Wie sollte er auch? Das Geld, das sie bereits für die Unterkunft und Verpflegung bezahlt hatten, war nicht wichtig. Es ging um mehr. Es ging darum, dass er nun alles, was er sich zurechtgelegt hatte, wieder verwerfen musste. Und er konnte es Isidor nicht einmal sagen, da er es ihm weder glauben, noch etwas davon wissen würde, sobald er wieder in seinen normalen Zustand zurückgekehrt war. Rubio hob den Kopf, als Isidor aufstand.   "Ich kümmere mich darum", verkündete Isidor ohne Umschweife. Ohne seinem Begleiter noch einmal die Gelegenheit zu einem weiteren Einwand zu geben, ließ er Rubio alleine zurück und durchquerte den Schankraum zum Tresen hin, hinter dem der Wirt gerade graue Tonkrüge mit schäumendem Bier füllte. Kühn baute sich Isidor vor dem Wirt auf, der ihm einen zuerst erschrockenen Blick zuwarf, ehe er begriff. Ein spöttisches Grinsen zog sich von einer feisten Wange zur anderen, während er den jungen Mann vor sich betrachtete, der nun die Hände auf dem Tresen abstützte und tief Luft holte.   Seufzend wandte sich Rubio von dem Anblick an der Theke ab.     Insgeheim hatte Rubio gehofft, so schnell wie möglich aus der Taverne verschwinden zu können, nachdem Isidor ihm die glänzenden Geldstücke, die er sich nach zäher Diskussion vom Wirt hatte zurückgeben lassen, triumphierend unter die Nase gehalten hatte, doch kurz bevor er hinter Isidor zur Tür hinaus schlüpfen konnte, wurde er auch schon am Ellenbogen gepackt und wieder zurück in das laute, stickige Wirtshaus gezogen. Viel zu kurz streiften der schmale Spalt Sonne und der Hauch frischer Luft Rubio, der sich nach draußen sehnte und dabei tatenlos zusehen musste, wie die Holztür hinter Isidor ins Schloss fiel, ohne dass dieser das Fehlen seines Gefährten bemerkte.   "Ich kann ihn nicht alleine lassen", protestierte Rubio und wusste im gleichen Moment, dass das sinnlos war. Die Hand, die seinen Arm im Klammergriff hatte, verstärkte den Druck noch warnend.   "Hör zu", fuhr der Wirt Rubio wütend an. Seine Augen wurden schmal und sein vor Ärger verzogener Mund entblößte zwei Reihen aufeinander gepresster Zähne, als wäre er ein Raubtier, das im Begriff war, im nächsten Augenblick seiner schockstarr dastehenden Beute die gefletschten Zähne in den Hals zu schlagen.   Rubio fühlte sich in der Rolle der Beute nicht wohl und versuchte vergeblich, seinen Arm aus den Händen zu bekommen, die es seit mehreren Jahrzehnten gewohnt waren, täglich schwere Fässer zu rollen oder Schlägereien unter Gästen, die etwas zu viel Wein oder Bier getrunken hatten, zu beenden und diese an die frische Luft zu setzen. Einen schmächtigen Jüngling so lange festzuhalten, wie es ihm passte, kostete den Wirt kaum mehr Anstrengung, wie es sie ein Kind kosten würde, einer Fliege die Flügel auszureißen.   "Kommt nicht wieder zurück!" Der Wirt, der davon überzeugt war, dass seine harschen Worte genug Eindruck bei Rubio hinterlassen hatten, öffnete seine Hand und gab den Arm des jungen Mannes wieder frei.   Mit einer schnellen Handbewegung richtete Rubio den verrutschten Ärmel seines Hemdes. Ihm lagen noch ein paar unschöne Dinge auf der Zunge, die er dem Wirt gerne noch ins feiste Gesicht geschleudert hätte, doch er verzichtete zu Gunsten seines Gefährten darauf.   Die Hand des Wirtes ging zu dessen Gürtel hin. Mit der Fingerfertigkeit eines Mannes, der seine Arbeit stets schnell und zügig verrichten musste, wenn er nicht betrogen werden wollte, löste er zwei Schnüre, die einen kleinen Beutel an seinem Gürtel gehalten hatten. Wortlos drückte er den gefüllten Lederbeutel in Rubios Hand.   Das leise Klimpern aus dem Inneren des Säckchens und sein Gewicht ließen nur allzu eindeutig auf dessen Inhalt schließen. Widerwillig steckte Rubio den Lederbeutel unter den stechenden Blicken des Wirtes ein.   "Tu mir diesen einen Gefallen und kommt nicht wieder zurück. Um mehr bitte ich dich nicht."   Ohne etwas auf die geäußerte Bitte des Wirtes zu erwidern, die mehr einem Befehl geglichen hatte, drehte sich Rubio zur Tür um. Das kühle Metall der Klinke unter seiner Hand passte gut zu diesem Ort, der sie nicht mehr willkommen hieß. Rubio hielt kurz inne, als wäre ihm noch etwas eingefallen, entschied sich aber doch anders und er verließ die Taverne endgültig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)