Kind der Sirenen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 12: Ein Kuss -------------------- Anmerkung: Ab hier werden die Charaktere Lena, Heinrich Kleist und Alexander Humboldt auftreten. Ich habe das bereits im letzten Kapitel angekündigt, aber ich erwähne es nochmal und füge hinzu, dass alle Rechte in Bezug auf diese Charaktere bei KaethchenvHeilbronn liegen (thx Kaethchen :3). _____________________ Die nächste Woche über geschah nichts, sie riefen sich wieder nicht an, da Tailor diese taktlose Aktion nach dem Shooting gebracht hatte, fiel es Louis nun auch leichter keine Ausreden zu suchen, um seine Stimme zu hören. Er war Tailor eigentlich nicht böse, aber auf sich selbst schon, denn er benahm sich bescheuert, er selbst lebte den Stil, den Tailor nun verfolgte schon seit Jahren exzessiv aus. Deshalb fuhr er am Samstag auch mit einem eigentlich recht positiven Gefühl los, um Lena abzuholen. Das Ganze war nur sein Problem, also musste er selbst eine Lösung finden, ohne das an Tailor oder jemand anderem auszulassen. Nur eine kleine Stimme im Hinterkopf murmelte immer mal wieder vor sich hin, was Melissa gesagt hatte. Wenn das stimmte, dann hatte er eigentlich jedes Recht auf Tailor wütend zu sein, schließlich lag Marcel dann wahrscheinlich ebenfalls richtig und der Bubi manipulierte ihn nach Strich und Faden. Louis parkte vor dem Tsubaki Inn und bat, dass der Wagen fahrbereit gehalten wurde. Er betrat die Lobby und sah durch den Raum, Lena saß nicht im Hotelcafé und auch nicht an der Hotelbar - zum Glück. Er entdeckte ihren Hinterkopf an der Rezeption, wie sie mit der Angestellten flirtete. Er ging auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Na, immer noch so lasterhaft wie früher?" "Ach, mein kleiner Lulu ist pünktlich.", begrüßte ihn die Fotografin, die passend zu ihren pinken Ohrringen eine lila Sonnenbrille in den weißen Haaren trug. "Und was heißt hier 'lasterhaft'? Ich bin nur dabei neue Freundschaften zu knüpfen, schließlich bleib ich ja noch ein paar Tage hier." Sie zwinkerte der Rezeptionistin verschwörerisch zu, die ein nervöses Lächeln von sich gab. Louis war sich nicht sicher, ob das daher kam, dass sie Lena interessant fand und eingeschüchtert war, oder weil sie sich nicht zu Wehr zu setzen gewusst hatte. Eine Sekunde etwa sahen sie beide sich nur an, dann lachte Louis ausgelassen und drückte die Powerfrau kurz an sich "Ehrlich, ich habe dich vermisst, warum nur habe ich nicht früher dran gedacht dich mal wieder zu mir einzuladen, seit ich von Berlin weg bin..." Lachend wuschelte ihm Lena durch die Haare. "Ja, warum nur?", meinte sie grinsend. Er seufzte "Ich weiß warum...und du eigentlich auch, ich war damals ziemlich neben der Spur, weil mich...Berlin überfordert hat..." Es klang deutlich so, als habe er etwas anderes sagen wollen. "Ich erinnere mich...", entgegnete Lena nachdenklich, bevor sie sich von ihm löste und ihn abwartend anblickte. "Und? Wollen wir los? Ich bin doch schon so gespannt, wen du mir heute vorzustellen hast." Er riss sich aus seinen leicht trübsinnigen Gedanken und lächelte, als Tailor durch seinen Kopf fuhr. "Kannst du auch, es ist eine Person, wie es keine zweite gibt." Ja wirklich, Tailor war absolut einmalig. "Oh, das hört sich spannend an.", meinte sie mit einem Zwinkern, "Dann lass uns mal gehen." Sie winkte der Dame an der Rezeption noch freundlich zu, bevor sie Louis einen Arm an den Rücken legte und mit ihm gemeinsam das Hotel verließ. Der Wagen stand da und ganz der Gentleman hielt er Lena die Tür auf "Wir holen noch Tailor ab, dann sind wir vollzählig." Diese warf ihm einen erstaunten Blick zu. "Doch ein Männlein?", fragte sie, "Bei Tai musste ich direkt an ein weibliches Model denken." Louis grinste verschmitzt, sein eben noch etwas trauriger Ausdruck war vollständig verwischt. "Es gibt auch Frauen mit diesem Namen." "Aber keine, von denen du so begeistert bist.", entgegnete sie schmunzelnd. Er fuhr los, bog in eine Einbahnstraße ein und sah sie von der Seite an, dann lächelte er kapitulierend "Erwischt." "Da du ja aber fast nur Kleider entwirfst, ist das doch eine außergewöhnliche Komposition. Sag bloß, der Kleine ist bereit dazu, deine Designs trotzdem anzuziehen? Oder hast du auf Männerkleider umgeschult?" Der Blonde schmunzelte: "Nun, tatsächlich habe ich auch schon das eine oder andere Outfit entworfen, das eher für Männer erdacht ist...aber die sind nicht wirklich für die breite Masse gedacht. Ich bin immer noch bei Kleidern geblieben, und was Tailor angeht, habe ich bereits erwähnt, dass er außergewöhnlich ist." Lena klatschte begeistert in die Hände. "Hach, jetzt kann ich's gar nicht mehr abwarten! Spann mich nicht noch länger auf die Folter, wann sind wir denn endlich da?!" "Noch fünf Minuten, wir holen ihn bei sich zu Hause ab...seine Eltern sind leider etwas...sie mögen Leute wie uns nicht, aber sie wissen nicht, dass ich schwul bin, also müssen wir nur um alles in der Welt den Rand halten, egal ob sie unpassende Kommentare ablassen sollten. Denn es sind noch fast zwei Monate bis Tailor volljährig ist, im Moment liegt mein Vertrag mit ihm in den Händen seiner Eltern. Du verstehst sicher, dass das für mich Vorrang hat, auch wenn ich gerne für Homosexuelle eintrete..." Lena winkte genervt ab. "Jaja, solche Leute kenne ich leider zur Genüge. Ich versuch mich zurückzuhalten, auch wenn ich für nichts garantieren kann." Louis biss sich kurz auf die Unterlippe. "Lena...Tailor wird wahrscheinlich im Zweifelsfall als erster das Maul aufreißen, aber er ist mir wirklich sehr wichtig..." Er zögerte kurz "...es geht mir bei ihm nicht in erster Linie ums Geschäft." Die Fotografin hob eine Augenbraue. "Soso, dacht ich's mir doch...", meinte sie und musste grinsen. Er ächzte kurz "Dann denk‘s dir halt, ich kann‘s nicht ändern, aber ich habe die Suche nach einer Lösung noch nicht aufgegeben, und so lange ist es besser ich akzeptiere das, anstatt mir selbst etwas vorzulügen." "Lösung? Akzeptieren?", hakte Lena verwirrt nach, "Ich ging davon aus, dass er neben der Tätigkeit als dein Model auch dein Betthäschen ist." Sein Lächeln wirkte nun leicht verzweifelt, "Die Frage ist ein bisschen, wer hier wessen Betthäschen ist..." Lena schien noch erstaunter. "Das heißt...du willst MEHR als dass er dein Betthäschen ist?" Er hielt den Wagen an und deutete auf ein hübsches gepflegtes Einfamilienhaus. "Wir sind da, komm, er wartet sicher schon." Lena reichte es als Antwort schon vollkommen aus, dass Louis ihrer Frage auswich, und sie stieg nach ihm aus. Sie gingen durch den Vorgarten und Louis klingelte an der Tür. Nach einem kurzen Moment wurde sie geöffnet und Louis war unsagbar erleichtert, dass Tailor selbst aufmachte. "Da seid ihr ja, ich bin schon so weit, lasst uns gehen." Louis merkte, dass er irgendwie etwas fahrig wirkte. "Alles klar?" Tailor sah ihn einen Moment sinnlos fragend an, dann schien es ihm aufzugehen. "Ähm...ja, lasst uns schnell verschwinden, es ist grade...hitzig da drin." Er versuchte nicht an den Streit zwischen seinen Eltern zu denken, in dem es natürlich um ihn gegangen war. Er schaffte ein beruhigendes Lächeln, welches Louis einen Moment lang tatsächlich täuschte, aber es war nicht von gewohnter Qualität... Irgendwas war vorgefallen, aber jetzt grade war ein ungünstiger Zeitpunkt das anzusprechen, also kam er der Bitte des Jungen einfach nach und sie gingen recht eilig zurück zum Auto. Lena stieg bewusst hinten bei Tailor ein und reichte ihm die Hand. "Hi, da der werte Herr Grifone es nicht für nötig hält, stell ich mich selbst vor. Lena." Sie schenkte ihm ein Lächeln und begutachtete ihn nun von nahem, wobei ihr noch mehr die wunderschöne Haut und die ausdrucksstarken Augen auffielen. Tailor nahm sich erst jetzt Zeit die Frau in Louis Begleitung zu betrachten. Sie war hübsch, auf eine alterlose Art, und tatsächlich fiel es ihm schwer ihr ein bestimmtes Alter zuzuordnen. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit Lachfältchen, die aber nicht sehr auffielen, und wachen grünen Augen. Sie hatte zwar einen etwas schrillen Kleidungsstil, aber geschmackvoll, sie kam ihm sympathisch vor und er ergriff die Hand nun mit einem selbstbewussteren Lächeln. "Tailor, schön dich kennen zu lernen." "Find ich auch, mein Süßer.", entgegnete Lena und konnte sich nicht davon abhalten, den Jungen kurz an sich zu drücken, bevor sie ihm über die Wange strich. "Da hat mir Louis aber nicht zu viel versprochen, du bist ja wirklich ein Juwel." Tailor sah absichtlich nicht zu Louis bei Lenas Kommentar, aber der musste ihn ja wirklich hoch gelobt haben. Er grinste die Frau offen und etwas schalkhaft an "Danke, ich hör das immer wieder gerne." Lena lachte über seine Selbstsicherheit. Dass Tailor Charakter hatte, bemerkte sie schon jetzt, und dass er auch vom Aussehen her etwas Besonderes war, war ihr auch klar. Das würde doch schwieriger werden, einen passenden Partner für ihn zu finden... Louis hatte sich aus der Unterhaltung raus gehalten und war in seine eigenen Gedanken versunken zum Cafe gefahren und parkte nun in einer Seitenstraße. "Wir sind da, da drin ist es." Tailor sah ihn fragend an: "Das sieht aus wie irgendein modriges Firmengebäude." Tatsächlich war dem so, es war irgendwie heruntergekommen und über der Eingangstür hing ein etwas angelaufenes Messingschild mit der Aufschrift "The Business". "Na, so schlecht kann es nicht sein, sonst hätte es unser Lulu nicht ausgesucht, immerhin hat er ja Geschmack.", merkte Lena mit einem Zwinkern an. Tailor prustete los und Louis fasste sich vorahnungsschwanger an die Schläfe. "Oh Lena..." murmelte er unvernehmlich und Tailor grinste die Fotografin an: "Den Namen merk ich mir!" Er hatte beinah einen vorfreudigen Singsang in der Stimme. "Oh, der ist auch niedlich, oder?", antwortete Lena mit einem verschwörerischen Grinsen. Tailor strahlte "Ja, ich war ja schon richtig entzückt, als ich erfuhr, dass er eigentlich Alouis heißt, das hat ihn herrlich geärgert...aber Lulu ist spitze." "Oooh, das wusste ich noch gar nicht.", rief Lena begeistert, "Das ist ja interessant..." "HEY! Hört auf da rumzugackern, als sei ich nicht da, lasst uns ins Café gehen, ja?" Tailor zog scharf die Luft ein, begann dann aber doch zu kichern "Oje...ich glaube er ist böse auf uns...mein armer, armer, kleiner -obwohl nein, das wär gelogen- also, mein armer, großer Lulu." "UNSER armer, großer Alouis...", setzte Lena hinzu. Der Blonde schwieg dazu nur noch und ging auf das Gebäude zu. "Nun, macht ruhig weiter, aber wenn ihr das sündhaft teure Koffein hier nicht selbst zahlen wollt, dann haltet ihr jetzt mal die Schnäbel und folgt mir." Tailor streckte ihm die Zunge raus "Ich trink Kaffee eh nicht so gerne, aber da du so lieeeb drum gebeten hast...wie könnte ich da nein sagen." Sein Lächeln war engelsgleich, aber seine Stimme hätte nicht zynischer sein können. Lena fühlte sich bei Tailors Gehabe an irgendwen erinnert, aber ihr fiel nur Ulrike, eine ehemalige feste Freundin ein, obwohl sie gleichzeitig wusste, dass sie nicht gemeint war. Sie folgte den beiden ins Café. Auch der Eingangsbereich wirkte irgendwie verwahrlost, aber noch hatte Tailor das Vertrauen in Louis nicht verloren und so schwieg er, als dieser ihn und Lena in den Aufzug lotste. Er drückte auf die 12, das oberste Geschoss. Der Aufzug selbst war schlicht, vollkommen verglast und wirkte erstaunlich gepflegt im Gegensatz zu dem, was Tailor bisher vom Gebäude gesehen hatte. Das Glas hatte nicht einmal Fingerabdrücke oder ähnliches... "Ich stelle jetzt mal eine Vermutung auf: Wir besuchen hier ein luxuriöses und diskretes Privatlokal für die oberen Zehntausend der Gesellschaft, also für Leute wie Politiker, Stars oder Leute von der Mafia..." Louis warf ihm beim letzten einen warnenden Blick zu, Lena wusste davon also nichts. "Huch, solche Connections hätte ich Louis gar nicht zugetraut.", gab Lena auch prompt erstaunt von sich. Tailor ließ sich nichts anmerken und grinste "Ach, ich witzel nur rum, Models und ihre Manager kommen überall rein, damit man sie hier und dort vorzeigen und behaupten kann, dass diese Leute bei ihnen Stammkunden wären, reiche Leute stehen auf Models...geht es Fotografen da etwa anders?" "Ich kann nur für mich sprechen", begann Lena, "und ich stehe definitiv auf meine Models - sonst würd ich sie mir nicht aussuchen. Was nicht gleich heißt, dass ich mit ihnen ins Bett steig..." Sie warf Louis einen vielsagenden Blick zu. Tailor fing den Blick auch auf, überließ es aber Louis sich dazu zu äußern. Dieser hatte seine Schmollerei offenbar schneller abgelegt, als man hätte vermuten mögen, und zwinkerte Lena zu. "Tailor und Ich haben das Vergnügen gehabt bevor auch nur irgendeiner von uns auf die Idee kam ihn als Model aufzunehmen, das war mehr ein sehr erfreulicher Nebenaspekt." "Ach so ist das.", antwortete die Fotografin, "Dann hast du ja einen wahren Glücksgriff getan." Louis neigte abwägend den Kopf "Ja, doch, wobei ich beinah gewillt bin von so etwas wie einer schicksalhaften Fügung zu sprechen." Der Aufzug hielt und er stieg aus ohne eine Erwiderung abzuwarten, Tailor war überrascht, dass Louis so offen zugab, dass zwischen ihnen beiden etwas Besonderes existierte, die Veränderung gelang schneller als vorauskalkuliert, das musste er geistig neu durchdenken, sonst entglitt es ihm womöglich. Die oberste Etage des Gebäudes war phänomenal, erst dachte Tailor es sei tatsächlich so etwas wie eine Dachterrasse mit gläsernem Windschutz rundherum, aber die seltsame Konstruktion, die über dem gesamten vermeintlichen Windschutz verlief, erschloss sich ihm nach genauerem Hinsehen als ausfahrbares gläsernes Kuppeldach. Gerade allerdings war die Kuppel geöffnet und die verteilten Sitzecken aus stilvollen roten Ledercouchen und kniehohen Glastischen mit ausgefallenen Blumengestecken aus Pfingstrosen in verschiedenen Farben darauf, die so angeordnet waren, dass sie einen angemessenen Rahmen an Privatsphäre ermöglichten, lagen im mittäglichen Sonnenlicht. Das "Café" war gut besucht, Tailor sah bewusst nicht hin, an so einem Ort war Starren das letzte wodurch er auffallen wollte, seine legere Kleidung war arg genug. Ein Angestellter kam auf sie zu: "Signore Grifone, folgen sie mir, der reservierte Tisch steht bereit." Schweigend folgten sie ihm. "Bitte sehr, ich hoffe es ist zu ihrer Zufriedenheit." Louis nickte erhaben und milde anerkennend "Ja, doch, ich bin zufrieden, der Blick ist einfach wunderbar, Tailor sieh es dir an." Tailor zögerte nicht und trat noch ein Stück vor, direkt neben sein Verderben. Es war ein Eckplatz von dem aus man den gesamten Westteil der Stadt überblicken konnte, alle Häuser, den schönen großen Park, den Fluss, der sich in der Sonne wie flüssiges Licht durch die Stadt zog... "Ich hab immer gedacht unsere Stadt ist eher hässlich, aber so von oben herab betrachtet macht sie was her..." Er hatte es sich nicht verkneifen können lasziv ungnädig zu klingen, wofür Louis ihn verstohlen zwickte. "Du solltest es mal bei Sonnenuntergang sehen." Lena konnte sich nicht entscheiden, ob sie den Blick auf die Stadt oder das Gehabe der beiden Turteltauben besser fand. Tailor merkte es nicht, denn bei Louis Worten warf er ihm einen kurzen Moment ein warmes Lächeln voller Zuneigung und aufrichtiger Freude zu, das diesen mehr aus der Bahn warf, als die meisten dreckigen Anspielungen. Er räusperte sich "Hrm, setzen wir uns. Ich hätte gerne einen Mokka und er hier Tangawizi, Lena, sag einfach was du willst, dass sie es nicht haben, ist unwahrscheinlich." "Einen Kaffee mit einem Schuss Kirschsaft bitte." Sie setzten sich, und auch wenn Tailor es beinah laut gesagt hätte, hielt er sich mit dem Kommentar, wie unglaublich bequem die Sitzmöglichkeiten waren, zurück. "Du fährst ja echt ganz schön auf, Louis, warum genau machst du das?" Louis lehnte sich zurück, schlug die Beine über und verschränkte die Finger. "Weil der Grundstein gelegt ist. Ich habe nun endlich mein perfektes Model und meine perfekte Fotografin für die Darstellung meiner Designs zur Verfügung, und auch wenn ich dieses Treffen vereinbart habe, damit ihr euch kennenlernt, und wir ein zweites Model aussuchen, welches dich ergänzt, will ich doch auch ein wenig mit euch feiern." Er schenkte den beiden ein glückliches Lächeln, das Tailor ziemlich warm werden ließ. Louis zeigte seine Gefühle nicht oft so deutlich. Lena lehnte sich mit einem freudigen Lächeln zurück. "Und ich dachte, das wird eine Arbeitswoche. Hört sich ja noch besser an, als es schon am Telefon zu werden versprach." Louis lächelte und der Kellner kam mit den Getränken. Tailor beäugte seines misstrauisch und probierte dann einen Schluck. Erst musste er husten, weil es völlig unerwartet etwas scharf war, aber dann nahm er direkt noch einen Schluck. Louis lächelte kurz zufrieden "Das ist Tangawizi, ich habe es das erste Mal vor fünf Jahren getrunken, als ich ein paar Wochen in Arusha war, das liegt in Tanzania." Tailor nickte nur und nahm die Information so hin, dass Louis mal in Afrika war. Das Getränk war ähnlich wie Ginger Ale, und auch tatsächlich mit Ingwer, aber intensiver und würziger, es schmeckte nicht schlecht. Louis wand sich an Lena und erwiderte ihre vorherige Aussage. "Du weißt doch Lena, dass es mit mir niemals langweilig wird, und glaub mir, mit Tailor auch nicht. Aber wo das Thema schon mal aufkommt, hast du schon eine Idee?" Lena schob ihren Kaffee ein wenig weiter auf den Tisch, von dem sie schon einen Schluck genommen hatte, und nahm nickend eine Papiermappe aus ihrer Tasche hervor. "Ja, ich hab hier einige Fotos dabei, schaut sie euch mal an, aber...jetzt wo ich Tailor gesehen hab, bin ich mir gar nicht mehr sicher." Sie öffnete die Mappe und schob sie Louis entgegen. Er nahm die Fotos heraus und breitete, wie es seine Art war, eins nach dem anderen auf dem Tisch aus, es waren etwa elf oder zwölf Models. Sie waren fast ausschließlich weiblich und alle hatten das gewisse Etwas, Lena hatte ein wirklich gutes Auge. Louis hob ab und zu eines der Fotos hoch und hielt es zum Vergleich neben Tailor. Aber meist schien er unschlüssig. Schließlich lehnte er sich wieder zurück, nippte an seinem Mokka und runzelte die Stirn. "Die sind, wie nicht anders zu erwarten, alle sehr gut. Die eine oder andere davon kenn ich auch...der Kerl fällt raus, er hat zwar definitiv das, was es zu einem hervorragenden Model braucht, aber er fällt aus dem Rahmen, wenn es ein Mann wäre, dann müsste er androgyner sein...er bräuchte mehr Eleganz...mehr...Tailor. Ich denke das spricht für sich..." Er deutete in Tailors Richtung, der sich die Bilder auch angesehen hatte, und zwar keinen Favoriten rausgepickt hatte, aber diese Frauen allesamt sehr beeindruckend fand und den Kerl...nun, er würde ihn nicht von der Bettkante stoßen. Tailor musste schmunzeln, weil Louis den Kerl so kategorisch ablehnte, war das womöglich auch ein bisschen Eifersucht wegen dem Shooting letztens? Er würde ihn ein bisschen necken: "Och...Lulu, stell ihn dir mal in Strapsen und Rüschenkleid vor, das säh zumindest wirklich spektakulär aus..." Louis konnte gerade so unauffällig verhindern, dass er an einem weiteren Schluck Mokka erstickte. "Mh...nein, wenn hier jemand Strapsen tragen würde, wärst du das mein Lieber." Plötzlich schippte Lena mit den Fingern. "Aaah!", rief sie und bemerkte in dem Moment gar nicht, wie laut sie war, "Vergesst den Typen!" Hastig nahm sie Tailor das Foto ab und sammelte auch die anderen Bilder wieder in ihre Mappe ein, während sie die beiden jungen Männer begeistert anstrahlte. "Ich weiß jetzt, wen ich dir an die Seite stelle, Tailor. Den und keinen anderen! Und ich sag dir, der macht auch in Strapsen und Rüschenkleid die beste Figur." Sie zwinkerte dem Jüngeren kichernd zu. Ihre Begleiter sahen sie ziemlich perplex an und leider auch nicht nur die, aber Louis scherte sich grade nicht darum, ob irgendwelche hochrangigen Gäste sich gestört fühlten. "Das möchte ich jetzt aber näher erläutert haben, wen meinst du? Kenne ich ihn? Für welche Agentur arbeitet er?" Lenas Grinsen wurde breiter: "Er arbeitet für gar keine Agentur." Louis verzog das Gesicht "Ein Laie! Das ist ja eine tolle Idee, also Lena ich vertraue dir ja aber-" Tailor stieß ihn an: "Was machst du sie auf einmal so an? Ich bin auch ein Laie!" Louis war immer noch etwas hitzig "Ja aber du bist was Besonderes!" Tailor funkelte ihn immer noch an "Hör zu, ich bin kein Fabelwesen, das es eigentlich nicht geben dürfte, wie eine Gorgone oder Sirene oder sonst was, sondern ich bin ein Mensch und ich habe ein paar...Talente, die andere mit Sicherheit auch haben, also hör dir an, was Lena sagt, und dann kannst du hier immer noch das Arschloch raushängen lassen." Louis wollte protestieren "Ich lass nicht das Arschloch raushängen, ich-" Tailors Blick war strafend: "Du hattest es grade vor, weil du gehandelt hast, anstatt vorher nachzudenken, das ist niemals der richtige Weg, Lena, bitte erklär mal um wen es sich da genau handelt." "Also", begann die Fotografin, "Er ist der Bruder einer Ex-Freundin, mit der ich immer noch befreundet bin. Deshalb ist sein Freund, also sein Partner, drauf gekommen, ihm zum Geburtstag ein Fotoshooting bei mir zu schenken. Sein Name ist Heinrich, er ist wohl ein wenig kleiner als du, Tailor, aber er sieht genauso jugendlich aus wie du, obwohl er eigentlich wohl älter sein müsste..." Sie driftete für ein paar Sekunden ab, bevor sie noch einmal in ihre Tasche griff und ein Macbook herausholte. "Hier drauf müssten noch die Fotos sein. Ich denk, die werden euch überzeugen." Tailor war ganz wild auf die Bilder und rückte an ihre Seite. Als erstes fiel ihm auf, dass der junge Mann wirklich sehr hübsch war und tatsächlich noch recht kindlich wirkte. Anders als er selbst hatte dieser ein etwas rundliches Gesicht, das aber gut zu ihm passte, und seine rosigen Wangen betonten es vorteilhaft. Tailor fielen sofort diese klaren, hellen, blauen Augen auf und er musste sie eine ganze Weile anstarren, bevor er sich davon lösen konnte. Man sah ihn einmal im Bunny-Kostüm, einmal mit Hotpants und Lederjacke, ein anderes Mal in einem Maid-Kostüm, Tailor war hingerissen und irgendwie kam ihm dieser Typ bekannt vor. Dann kam das Bildnis eines großen, recht muskulösen Mannes um die vierzig, der vollkommen nackt war, bis auf ein Tuch, das sein bestes Stück bedeckte. Lena hatte schon weitergeschaltet, weil das Bild nicht jenen Heinrich zeigte, aber Tailor kaperte das Macbook und klickte zurück. "Eieiei...ich nehme an, das ist besagter Freund?" Lena schnappte sich das Macbook wieder zurück. "Ja, das ist besagter Freund.", antwortete sie mit einem Grinsen, "Aber das Bild ist FSK18, und deshalb nicht für dein unschuldiges Gemüt bestimmt." "Du bist wohl so ne verkappte Jugendschützerin, also wirklich. Ich lasse ja die Finger von Männern in festen Händen, aber bloß weil Anfassen verboten ist, was grade eh nicht geht, muss das gleiche doch nicht für Angucken gelten..." Er zog zwar einen Schmollmund, aber man sah den Schalk in seinen Augen glänzen. Auf dem nächsten Bild sah man Heinrich im Wasser, er tauchte gerade auf, warf die schwarzen Haare nach hinten und Wasserspritzer perlten von seinem nackten Oberkörper. Tailor grinste anerkennen und sah zu Louis "Lulu, ich will ihn haben, bitte bitte, ihn und keinen anderen!" Lena kicherte leise und blickte ebenfalls abwartend den älteren der beiden an. Louis zog das Macbook zu sich rüber und scrollte durch die Bilder, dabei gab er nur wenig von seinem Mienenspiel preis, aber als er es zurückschob nickte er. "Wenn er zusagt, dann nehmen wir ihn." Tailor hielt sich mit seinem Jubelruf nicht zurück und fiel Louis um den Hals, dieser war etwas geschockt. Tailor zeigte zwar ab und zu Begeisterung, aber normalerweise hatte er sich ziemlich gut unter Kontrolle. Etwas verunsichert fragte er: "Wie heißt er eigentlich mit vollem Namen?" "Heinrich Kleist.", antwortete ihm Lena und fuhr das Macbook herunter, damit es nicht noch Opfer von Tailors Jubelorgie wurde. Die er allerdings nach neuerlichen missbilligenden Blicken der anderen Gäste schon mächtig runtergeschraubt hatte, und bei Lenas Worten horchte er auf und sein Kopf fuhr zu ihr herum: "Nicht dein Ernst!" "Heinrich Kleist? DER Kleist? Kleist wie der Autor vom Kohlhaas?" Lena sah ihn erstaunt an. "Du hast das Buch gelesen?" Er grinste "Ja, hab ich, auch wenn ich mir mit dem Schreibstil am Anfang echt einen abgebrochen habe...ich muss sagen, er kam mir zwar bekannt vor, aber ich habe bisher nur ein Foto von ihm neben einer Kritik gesehen, und da sah er irgendwie schüchtern und etwas melancholisch aus, ganz anders als auf deinen Bildern!" Louis runzelte die Stirn, und sah Lena an "Er ist beim Goetheverlag, oder?" "Ja, er hat auch ein wenig gebraucht, bis er sich mir und meiner Kamera geöffnet hat. Ich weiß nicht, wie er damit umgeht, wenn ich ihn frag, ob er hier mitmacht, aber wir können es mal versuchen. Erwartet nur nicht von Anfang an von ihm diese Professionalität, wenn wir aber Geduld mit ihm haben und er ein wenig Vertrauen in euch beide gefasst hat, wird dieses Fotoshooting der Knüller, das kann ich euch jetzt schon prophezeien." Tailor nickte zuversichtlich "Ich kitzel es aus ihm raus, ich werd mein Bestes geben, dass er mich mag." Louis zog eine Augenbraue hoch, hatte Lena seine Frage ignoriert? "Lena, wenn er beim Goetheverlag ist, muss ich mir dann Gedanken machen?" "Ist er, aber wieso das?", hakte die Fotografin nach. "Nun, ich kann nur vom Hörensagen sprechen, da ich ihn nie persönlich kennen gelernt habe, aber so wie ich das bisher verstanden habe, ist unser werter Herr Verlagschef eine zur offenen Homo- und Transsexualität eher konservativ eingestellte Person, was würde er also davon halten, wenn einer seiner Autoren bei einem solchen Shoot teilnimmt?" Lena zuckte mit den Schultern. "Das ist eigentlich nicht mein Problem. Ich hab Heinrichs Buch nicht gelesen und Goethe ist mir egal." Sie hielt inne: "Aber du hast Recht, das will ich natürlich nicht, dass der alte Spießer Heinrich am Ende noch rausschmeißt..." Tailor setzte sich etwas gerader auf "Aber was, wenn Heinrich nicht nur Frauenkleider trägt, sondern sich so wie ich eben richtig als Frau inszeniert und wir ihn am besten ein bisschen umstylen, damit man gar nicht erst auf den Gedanken kommt, dass es sich bei der hübschen Frau um diesen schüchternen Knaben handeln könnte." Lena stimmte sofort begeistert zu: "Ja! Das ist eine super Idee! Vielleicht fällt ihm das Ganze dann auch leichter, ich hatte nämlich das Gefühl, je mehr er sich verkleidet hat, desto mehr ist er aus sich herausgegangen." Tailor grinste "Das kenne ich, mir geht‘s da nicht unähnlich." Louis prustete kurz und Tailor sah ihn an "Was?" Der Blonde winkte ab "Nichts, wirklich, es ist nur so, dass du mir, als wir uns gerade ein paar Sekunden kannten, gesagt hast, dass du in der gleichen Nacht noch deine Unschuld verlieren willst, und verkleidet warst du nicht...du bist noch nie schüchtern gewesen." Lena hob ihre Augenbrauen. Das kommentierte sie lieber mal nicht. Sie besiegelten das Vorhaben mit der Bestellung von einer Flasche Sekt und kamen tatsächlich in eine angenehme Feierlaune, es ahnte ja keiner, was an diesem Tag noch auf sie zukommen würde. Tailor ließ sich von Louis bei sich daheim absetzen, Lena hatten sie vorher am Hotel rausgelassen. Aber schon von der Straße aus sah er, dass etwas nicht stimmte. Die Tür stand offen, auf dem Rasen des kleinen Vorgartens lagen irgendwelche wahllos verstreute Dinge, unter anderem ein paar Blusen seiner Mutter und ein Hochzeitsfoto mit zerbrochener Scheibe. Als sie ausstiegen hörte man von drinnen Gebrüll und Tailors Blick glitt über die Nachbarschaft, die zum Großteil ganz gebannt von dem offensichtlichen Spektakel an den Fenstern standen und zusahen. Eingeschritten war offenbar keiner von ihnen, wo käme man da auch hin, wenn Nachbarn füreinander einstehen würden...Tailor konnte nicht fassen, wie gleichgültig diese Großstadtsnobs waren. Er bat Louis beim Wagen zu bleiben, aber nicht wegzufahren. "Wär mir eh nie in den Sinn gekommen, ich gehe erst, wenn sich das hier geklärt hat." Tailor warf ihm einen dankbaren Blick zu und betrat alleine das Haus. Die Stimme war die seines Vaters und sie war lauter als jemals zuvor, aber Tailor verstand inhaltlich nicht, worum es ging. "-BERHAUPT MEIN SOHN?" Nun vernahm er auch die Stimme seiner Mutter. "Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hast du doch höchstpersönlich beschlossen, dass er nicht mehr dein Kind ist!" "DAS MEIN ICH NICHT!" "Warum bitte sollte er nicht dein Sohn sein?" "DU HAST MICH BETROGEN!!!!" "Mein Gott Leonard! Mit einer FRAU! Du hast wohl deine letzten Hirnzellen versoffen!" Tailor ging auf das Wohnzimmer zu, während sein Vater wieder losbrüllte, blieb aber im Schatten des unbeleuchteten Flures. Neben seiner Mutter stand eine schwarzhaarige Frau mit mediterranem Äußeren und hochgewachsener eleganter Figur. Im Moment allerdings wirkte sie verzweifelt und ein bisschen ärgerlich, aber sie schwieg, bis sie aus irgendeinem Grund zur Zimmertür blickte und ihn dort stehen sah. Bevor er darauf reagieren konnte, sagte sie recht überrascht: "Tailor?" Er hatte so eine Ahnung, wer sie war. "Signora Bocconcello, nehme ich an..." Sie lächelte "Mittlerweile Viticoltore, aber ja." Sein Vater, krebsrot im Gesicht, richtete den Blick auf ihn. "DU HAST ES GEWUSST?!?" Tailor zuckte mit den Schultern. "Nun, Mom brauchte bei mir nicht fürchten, dass ich sie auf einem Scheiterhaufen verbrenne, wenn sie‘s mir erzählt." "DU KLEINER SCHEISSER! ICH BRING DICH UM! ICH MACH DICH ALLE!!! DAS IST SOWIESO NUR DEINE SCHULD!!!!!!" Tailor runzelte gelassen die Stirn "Ich verstehe nicht inwiefern es meine Schuld ist, dass du ein tyrannisches Arschloch bist, das nur deshalb eine Ehefrau hat, weil es sie geschwängert hat?" "DU HAST MIT ALL DEM ANGEFANGEN! MIT DIESEM...DIESEM...SCHWUCHTELZEUG! UND WAS PASSIERT? AUF EINMAL IST MEINE FRAU LESBISCH, MEIN SOHN WIRD EIN TUNTIGES MODEL...ALS NÄCHSTES STEIGST DU BEI DER MAFIA EIN!" Wieder runzelte Tailor die Stirn. "Was hat Homosexualität mit organisiertem Verbrechen zu tun?" - Er versuchte nicht an die Grifone-Zwillinge zu denken. Sein Vater machte den Mund auf, wusste aber nicht, was er sagen sollte, schließlich schloss er ihn wieder und öffnete ihn ein weiteres Mal. Mit ruhigerer Stimme, aber pulsierender Halsschlagader und Finger knetend sagte er: "Verschwindet! Raus aus meinem Haus! Missgeburten wie ihr haben in meinem Haus nichts verloren!" Anna wollte aufbegehren, aber er sah sie an. "Glaub nicht, dass auch nur ein einziges Wort auf der Welt mich jetzt noch umstimmen kann! Ihr geht, allesamt, und den Rest klären unsere Anwälte, hau ab!" Tailor war überrascht, wie beherrscht sein Vater auf einmal war, ging aber ohne zu zögern auf seine Mutter zu und zusammen mit Giuseppina schafften sie sie hinaus zu Louis. Dieser machte eine fragende Miene, aber Tailor schüttelte nur den Kopf. Louis nickte schweigend und hielt die Hintertür für Tailors Mutter und die Signora Viticoltore auf. Dann die Beifahrertür für Tailor und schließlich stieg er selbst ein. "Wohin?" Tailor seufzte. "Kennst du irgendwen, der mich und meine Mutter eine Weile aufnehmen könnte?" Giuseppina meldete sich zu Wort. "Ihr könnt erst mal zu mir, es ist groß genug." Louis zögerte. "Das ist außerhalb der Stadt, Tailor muss zur Schule gehen, und außerdem hat er auch einen Job, mein Haus wäre zwar auch groß genug, aber ich nehme nicht an, dass sie besonders erpicht darauf sind, bei mir unterzukommen, Frau Devenor." Sie sah ihn fragend an "Wieso?" Er warf Tailor einen Blick zu, schwieg dann und blickte auf die Straße. Anna schien die Lösung alleine zu finden. "Oh mein...sie sind dieser Mann, der meinem Jungen die Unschuld genommen hat!" Louis verzog den Mund "Unschuld ist ein sehr relativer Begriff..." "Dann halt der, der meinen Sohn entjungfert hat, soll es das etwa besser machen?!?" Tailor warf seiner Mutter einen warnenden Blick zu und sie presste die Lippen aufeinander. Der Junge atmete zur Beruhigung durch und sagte dann: "Mom, du fährst erst mal mit zu Signora Viticoltore, und ich bleibe bei Louis." Seine Mutter war nur bedingt damit zufrieden, aber aus Ermangelung anderer Möglichkeiten, außer vielleicht das Grifone-Anwesen, welches Tailor lieber von vorneherein ausschloss, um nicht noch mehr Leute mit reinzuziehen, musste sie letztendlich zustimmen. Giuseppina erklärte Louis, wo in der Innenstadt ihr Wagen stand, und er fuhr sie hin. Als Tailor seine Mutter mit besänftigenden Worten verabschiedete, warf er zum Schluss einen Blick auf jene Frau. "Ich komme so bald ich kann vorbei, und dann klären sie mir die Sache bitte auf [klären Sie mich bitte über die Sache auf –oder- erklären Sie mir die Sache bitte], fürs erste reicht es wohl. Das war ein ereignisreicher Nachmittag." Sie nickte: "Meine Adresse hat Louis." Tailor nickte ebenfalls und sie gingen auseinander. An diesem Abend hatten sie ihr viertes Date gehabt und Ethan hatte ihn schick ausgeführt, mit allem Drum und Dran. Dass er sich fürchterlich hatte bevormunden lassen müssen, weil Ethan darauf bestand nichts dem Zufall zu überlassen, hatte er geflissentlich übersehen können, weil es einfach himmlisch gewesen war. Nun setzte Ethan ihn eine Straße von seinem Zuhause entfernt ab und sie gaben sich zum Abschied einen züchtigen Gute-Nacht-Kuss. "Wann treffen wir uns das nächste Mal?" fragte Ethan sehnsüchtig. Marcel grinste "Du Nimmersatt, morgen." "Das ist zu spät, komm doch mit zu mir." "Du meinst zu Louis..." "Nein, zu mir, ich werde nun ja länger hier bleiben, also habe ich diese Woche ein kleines Haus gekauft und es auch schon einrichten lassen." Marcel seufzte "Du Spinner...pass auf, sobald ich morgen aufwache, rufe ich dich an und du holst mich ab." Der Schwarzhaarige seufzte theatralisch. "Naja, klingt besser als nichts, dann wünsche ich dir ausnahmsweise einen unruhigen Schlaf, damit du möglichst schnell wieder an meiner Seite bist." "Ich mag dich auch Ethan, also dann, bis morgen." Er schlug die Tür des Autos zu und ging davon. Als er auf das Haus zuging, sah er als erstes, dass irgendwelcher Krempel im Vorgarten verstreut war. Es waren unter anderem ein Foto von Tailor als er zwölf war -eine Modelaufnahme- und der Schal den Marcel seiner Mutter zum letzten Weihnachten geschenkt hatte. Die Tür war nur angelehnt und er stieß sie auf. Aus der Küche kam als einziges Licht, alles andere lag im Dunkel. Er betrat langsam und mit einem seltsam drückenden Gefühl den Raum. Sein Vater saß am Esstisch, eine Flasche Wodka in der Hand, und obwohl auf dem Tisch auch ein Glas stand, trank er einfach direkt aus der Flasche. "Hallo." Der Mann sah auf und der Blick, den er für Marcel übrig hatte, war seltsam erleichtert. "Marschel...mein Junge....mein guder Junge...mein Sohn, mein einschiger..." Aha, allen Anschein nach hatte das hier irgendetwas mit Tailor zu tun, naja wie könnte es auch anders sein. "Was ist passiert?" "Anna hat mich betrogen, mit ner Frau...Tailor habich auch verlorn, wie könn sie nur soner Abart anhäng!" "Mom hatte eine Affäre? Wann das denn?" "Vor deiner Scheit...sie war mit Tailor schwanger..." Marcel war irritiert. "Aber dann wart ihr noch nicht verheiratet, oder hatte sie diese Affäre über all die Jahre hinweg?" "Nain...sie had diese Leswe verlassn und is surüg su mia aba...ichab sie gesehn, heude, hier inner Küche, wie se sich ...küsst ham...das... Es war so ekeligeregend. Wie Menschen sich soer Sünde hingebm is mia unverschändlich..." "Du meinst unverständlich." Sein Vater sah ihn fragend an. "Was meinsu?" Dass der Kerl betrunken war, war offensichtlich, aber Marcel erschütterte es viel mehr, was er selbst im Moment empfand. Dieser Mann war ihm vollkommen egal. Er hasste ihn nicht, er mochte ihn aber auch nicht. Er war einfach nur ein alleingelassener, alter Widerling, für den er kein bisschen Mitgefühl empfand. "Und was ist danach geschehen?" "Wonach?" "Nachdem du sie erwischt hast." Ein Ächzen war zu hören. "Wir ham jeschridden, bis Taller kam un sich einemischt hat. Un dann...dann habich se rauseworwen..." Marcel brauchte einen Moment, um das zu realisieren. "Was hast du?" Sein Ziehvater sah ihn etwas aufmüpfig an. "Dissis mein Haus! I gann machen wasich will! Un Gsindel wiedie willich nich!" Er hatte sie also einfach vor die Tür gesetzt, einfach so. Wieder bekam der Kerl diesen seltsam erleichterten aber auch trübsinnigen Gesichtsausdruck. "Wenigsens habich dich, mein Junge. Du bis n gude Junge, du würdst mia sowas niemals andun...dich habich gut erzogen, du has Anschand un Ehrefühl." Er spürte, wie doch eine Emotion in ihm hochkam. Dieser Kerl war echt die Krönung, so was von unglaublich. Ein nüchterner Ekel stieg in ihm auf, und er sah dem Haufen Elend vor sich ins Gesicht. "Weißt du, wo ich gerade herkomme? Von einem Date. Mein Date ist 25 Jahre alt, fast genau so groß wie ich, nicht unmuskulös und vor allem männlich. Du bist echt armselig. Deine Frau schmeißt du raus, weil sie eine andere Frau geküsst hast, deinen einzigen richtigen Sohn verleugnest du, weil er nicht verleugnen will, wer er ist, und der letzte Strohhalm, an dem du dich fest hältst, ist, dass ich bei dir bleibe. Aber da ich schwul bin, willst du das jetzt wahrscheinlich auch nicht mehr. Und weißt du was? Ich will es auch nicht. Ich rufe mein Date an und lasse mich abholen, denn eins kannst du mir glauben, nichts wird mich hier bei dir halten, rein gar nichts." Ohne die Reaktion des Mannes abzuwarten, verließ er die Küche und zückte das Handy. Als er die Nummer wählte, ging Ethan direkt dran. "Du sagtest zwar, dass du dann anrufst, aber du bist ja wohl kaum grade aufgewacht..." "Doch, aus einem Alptraum, hol mich bitte ab, ich brauche grade wirklich deine Gesellschaft." ________________________ Joa...also ich nehme an das kam überraschend oder zumindest unerwartet, wenn auch nicht unpassend, meiner Meinung nach :3 Ich gestehe, immer, wenn Leonard einen drauf bekam musste ich beim Schreiben der Szene grinsen, vllt. habe ich ein bisschen meine Agression auf Menschen mit stark vorurteilhaftem Verhalten ausgelebt -jeden Falls tats gut. Ich hoffe auch euch hat es gefallen ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)