Kind der Sirenen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: Verirrte Gedanken im Felslabyrinth ---------------------------------------------- Mehr als eine Woche verging. Louis bereitete einige Termine vor und ließ die eine oder andere Beziehung spielen, um Tailor als mögliches Model ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig versuchte er den Wunsch zu unterdrücken Tailor einfach so anzurufen, um ihn zu hören oder ihn überraschend von der Schule abzuholen und ihn für einen Nachmittag zu sich zu entführen. Er gab zwar definitiv nicht zu, dass er verliebt war, aber er musste sich eingestehen, dass seine Obsession für Tailor nicht wirklich gesund war, für keinen von ihnen. Tailor verlor offensichtlich langsam das sexuelle Interesse an ihm, was ihn beinah mehr als alles andere frustrierte, und er selber war sich sicher, dass eine dauerhafte Bindung zwischen ihnen sowieso zum Scheitern verurteilt war. Er war seit jenem Vorfall vor elf Jahren wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage dazu eine tiefe emotionale Beziehung mit jemandem einzugehen. Was ihn bisher auch nicht gestört hatte, nicht wirklich. Statt sich also zum Trottel zu machen, suchte er lieber so schnell wie möglich den ersten lukrativen Auftrag, um Tailor ganz offiziell wieder zu sich zu rufen. Tailor dagegen hielt seine Maske tapfer aufrecht, wobei es zur Gewohnheit für ihn wurde mit Sabrina, Lucy und Nellie in Tantchen Rosies Café zu gehen, wenn sie Schulschluss hatten, und mit ihnen über alles Mögliche zu reden, auch über seine heißen Stelldicheins mit Sasha und seine Gefühle und die der Mädchen. Allerdings vermied er es penibel gegenüber irgendjemandem außer Sabrina zu erwähnen, wer nun seine heiße, ältere Liebe tatsächlich war. Sie tratschten über Alles und Jeden und analysierten die Lehrer und viele ihrer Schulkollegen darauf, ob sie heiß oder nicht, und schwul oder nicht waren. Obwohl das zugegeben absolut banale Kommunikation war, genoss Tailor es und war froh um die Ablenkung, bis Louis sich hoffentlich endlich melden mochte, aus welchem Grund auch immer. Tailor hatte gemerkt, dass Louis begonnen hatte sich Gedanken über sie beide zu machen, und auch wenn er es in dieser Phase des Plans für eher unwahrscheinlich hielt, wünschte er doch, dass der blonde Adonis ihn einfach so anrufen oder besuchen würde, weil er ihn vermisste. Doch auch wenn er sich das wünschte, darauf hoffen tat er nicht, es wäre einfach ganz und gar nicht Louis Art gewesen seinen Stolz zu überwinden und etwas für sein Empfinden so Bloßstellendes zu tun. Louis hatte eigentlich gehofft für den Freitag oder Samstag einen Auftrag an Land zu ziehen, um Tailor danach noch zu sich zu verschleppen, aber das war nicht der Fall. Stattdessen rief ihn sonntagmorgens Niklaus an: "Morgen, morgen mein Süßer, ich habe sie gefunden!" Louis wusste gar nicht, was sein Freund meinte, und teilte dem das auch halbwegs verständlich mit. "Wovon ich rede? Sag mal, schläfst du noch? Du hast mich gebeten Nachforschungen über Giuseppina Bocconcello anzustellen und das habe ich getan." Sofort war Louis wacher als jemals zuvor sonntagmorgens um halb acht, eine perverse Zeit um wach zu sein. "Du hast sie gefunden?" "Ja, war gar nicht leicht, denn sie ist in so ein winziges Kaff gezogen, zu ihren Großeltern, die in irgendwelchen Bergen Wein anbauen. Aber ich habe sie gefunden, denn sie ist wieder nach Deutschland gezogen, als ihre Großeltern gestorben sind, und zwar unter dem Mädchennamen ihrer Mutter. Sie heißt jetzt Giuseppina Viticoltore und lebt sogar hier, sie hat das Haus gekauft, das dort erbaut wurde, wo ursprünglich die Farm ihrer Eltern stand. Sie scheint unter Kunstliebhabern ein Geheimtipp zu sein, in breiten Kreisen ist sie unbekannt, aber durch ein recht üppiges Erbe und den ein oder anderen Auftrag scheint sie sich einen recht wohlhabenden Lebensstandard leisten zu können." Louis fuhr sich durch die Haare. "Pazzesco*! Hast du ihre Nummer?" "Ja, Moment, ich gebe sie dir durch." Louis sah sich um, fand einen Kuli, aber kein Papier, und nahm dann einfach seinen Handrücken, um die Nummer aufzuschreiben. Niklaus gab sie durch und wollte dann noch etwas sagen, aber Louis drückte ihn mit einem "Danke, Alter" weg und wählte die Nummer. An diesem Sonntag hatten Ethan und Marcel ihr erstes Date, Marcel hatte es organisiert und Ethan war bemüht nicht jedes Mal, wenn der Schüler das Portemonnaie für einen Hot Dog oder eine Cola zückte, mit seiner Kreditkarte zu wedeln, denn damit hätte er ihn sicher gekränkt. Sie waren in den groß angelegten Stadtpark gegangen und schlenderten bisher nur so dahin. Ethan grinste kurz, als Marcel etwas verzweifelt versuchte mehr von seinem Hot Dog abzubeißen, als es ihm anscheinend möglich war. "Ein kleines Problem mit dem Schlucken?" Er hatte es anzüglich klingen lassen und Marcel verschluckte sich prompt und hustete kurz vor sich hin. "Also wirklich..." keuchte er protestierend. Ethan grinste immer noch. "Soll ich dir zeigen, wie das geht?" Er hielt den Hot Dog, den er bisher nur zweimal abgebissen hatte etwas hoch und wollte ihn gerade mit herausforderndem Blick in den Mund nehmen, als Marcel eingriff. Er drückte Ethans Hände mit etwas Gewalt hinunter. "Bitte, ich glaube das entspricht nicht unserer Vereinbarung." Ethan blickte Marcel direkt in die Augen, sie standen nur ungefähr fünf Zentimeter voneinander entfernt, ihre Hände berührten sich noch immer. Er grinste kurz, legte Marcel eine Hand in den breiten Rücken, drückte ihn an sich und gab ihm einen sanften Kuss ohne Zunge. Als er sich wieder von dem Größeren löste hielt er seinen Blick weiterhin gefangen. "Ich hatte schon immer Probleme damit mich an die Regeln zu halten, vor allem wenn es sich so schön anfühlt dagegen zu verstoßen." Nach dieser Ansage ließ er den Jüngeren wieder los und biss herzhaft in sein Essen. Marcel war fasziniert und wütend, aber als Ethan ihn frech angrinste, konnte er ihm nicht so wirklich böse bleiben. Am anderen Ende meldete sich eine angenehm tiefe Frauenstimme. "Si, wer ist da?" Louis fand sie etwas harsch im Tonfall. "Hallo, mein Name ist Louis Grifone un-" Sie hatte aufgelegt, das war doch nicht zu fassen! Nun ja, wenn er bedachte, dass sein Vater ihren Vater getötet hatte, dann vielleicht doch, aber... Er wählte die Nummer erneut und die Frau ging augenblicklich dran. "Ich werde nicht mit ihnen reden, aus welchem Grund auch immer, also rufen sie nicht mehr an!" "Moment, lassen sie mich doch wenig-" Sie hatte wieder aufgelegt und er seufzte. Er versuchte es noch einmal, obwohl sie ihm grade gesagt hatte, das solle er nicht tun. Nach dem zehnten Klingeln ging der Anrufbeantworter dran. Louis stellte sich vor, wie die Frau halb wütend, halb ängstlich daneben stand und sich anhörte, was er auf den AB sprach. "Giuseppina, vor fünfzehn Jahren war ich zehn Jahre alt, vielleicht hat mein Vater ihnen unvergebbares Leid angetan, aber trotzdem will ich sie bitten mich anzuhören, denn ich bin ganz sicher nicht wie mein Vater. Ich rufe auch gar nicht wegen eigenen Angelegenheiten an, sondern weil ein Freund von mir mich nach ihnen fragte. Er hat mir nicht mehr dazu erzählt, aber er wirkte auf mich, als sei es ihm wichtig gewesen. Er ist zu jung, um sie zu kennen, da er erst 17 ist, aber vielleicht sagt sein Name ihnen trotzdem etwas. Sein Name ist Tailor Devenor, also falls sie-" "Sagten sie Tailor Devenor? Wirklich Tailor?" Louis war ganz überrascht, wie aufgeregt die Frau am anderen Ende auf einmal klang. "Ja, Tailor Devenor." Zu seiner Bestürzung hörte er vom anderen Ende der Leitung auf einmal Schluchzen. "Mamma mia! No..." sie klang ungläubig und zugleich unendlich befreit. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, also schwieg er einfach. Marcel grinste über das gesamte Gesicht, als er ein Törchen öffnete. Ethan sah sich um, kein Mensch weit und breit. "Gehört das hier noch zum Park?" "Ja, aber die meisten kennen diesen Teil nicht, weil das Tor fast alle Besucher abschreckt, es fühlt sich für viele wie eine Grenze an." "Aber für dich natürlich nicht..." spottete Ethan liebevoll und Marcel grinste immer noch. "Doch, aber genau das hat mich damals gereizt, als ich mit 14 das erste Mal hier war." Das Tor führte in einen grün überdachten und etwas verwilderten Tunnel aus Kletterpflanzen, der sich nach einer Weile verlor. Als sie dort ankamen, wo es nicht mehr weiter zu gehen schien, öffnete sich der Tunnel in Wirklichkeit ausufernd in eine Lichtung, die von hohen Birken umgeben war. Es war fast Mittag und ein kleiner runder Fleck der etwas moosigen Wiese war erleuchtet. Auf diesem Fleck ausgebreitet lag eine Picknickdecke in rotem Karo mit einem unglaublich kitschigen großen Picknickkorb, der zur Krönung auch noch eine hellblaue Schleife besaß. Ethan war tatsächlich einen Moment sprachlos, aber auch nur einen. Dann grinste er und strahlte Marcel an. "Du bist so definitiv schwul, dass ich mich frage, wie zum Teufel dein Vater das nicht merken kann." Marcel zuckte mit den Schultern. "Vielleicht habe ich ihn einfach nie richtig interessiert." Ethan strich ihm kurz durchs Haar und über die Wange. "Mich interessierst du ungemein." Louis dankte still dem Allmächtigen und allen anderen Göttern, die er kannte, als die Frau mit dem Geflenne aufhörte. Sie schniefte geräuschvoll und lachte dann. "Wie ironisch, dass der Sohn der Frau, die ich liebe, mich ausgerechnet mit der Hilfe des Sohnes des Mannes, den ich hasse, ausfindig macht." Louis sagte dazu nichts, auch wenn diese Aussage ihm ein bisschen Aufschluss über die Situation gab. "Weiß Tailor, dass ich hier lebe?" "Nein, um ehrlich zu sein wollte ich sie grade deshalb sprechen, weil er mir kaum mehr als ihren Namen genannt hat…" "In was für einer Beziehung stehen sie denn bitte eigentlich zu Familie Devenor?" Louis Miene war hart. "Nun, Tailors Eltern kenne ich bisher nicht, aber ich bin ihnen vermutlich als der namenlose Mann bekannt, der ihren Sohn entjungfert hat, und Tailors Bruder hasst mich, aber er ist gerade dabei mit meinem Zwillingsbruder anzubandeln. Reicht ihnen das als Information?" Auf der anderen Seite herrschte eine Weile Schweigen. "Anna und Leonard haben einen zweiten Sohn?" "Er ist adoptiert." "Verstehe...Sie und Tailor sind ein Paar?" "Wir sind nur befreundet, und schlafen ab und zu miteinander." "Oh..." Sie wirkte weniger abgeneigt als überrascht. "Wenn ich es mir recht überlege, wäre es möglich, dass sie Tailor nicht sagen, dass sie mich gefunden haben?" "Wenn das ihr Wunsch ist." Das hatte er eh nicht vorgehabt. Sie wollte damit wohl nichts mehr zu tun haben, angesichts der Situation, wie er sie verstand, recht verständlich. "Ja und..ähm...wäre es in Ordnung für sie mir die Adresse der Devenors zu geben?" Louis horchte auf. "Ich denke schon, die steht schließlich auch im Telefonbuch." Sie bedankte sich und am Ende hatte Louis das Gefühl, dass sie sogar irgendwie gut gelaunt war. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal zu einem Grifone sage, aber ich hoffe, dass sie und ich, und eventuell Tailor, uns irgendwann mal gemeinsam treffen können." Louis erwiderte diese Hoffnung und verabschiedete sich. Er musste kurz grinsen. Unglaublich, er hatte die lesbische Ex-Geliebte von Tailors Mutter gefunden. Im Nachhinein fragte er sich, ob er vielleicht ein bisschen überreagiert hatte, schließlich hatte Tailor ihm die Info nicht wirklich verwehrt, sondern es ihm bloß auch später nicht gesagt, obwohl er das versprochen hatte. Aber er hatte einfach Gewissheit erlangen müssen. Marcel holte aus dem Korb einen Flasche Weißwein und zwei Gläser. "Oho, luxuriös, du hast dich ja wirklich ins Zeug gelegt." Der Angesprochene grinste etwas verlegen. "Nun ja, ich kann dir vielleicht kein Dinner in einem Viersternerestaurant bieten, aber ich fand, dass dies ebenfalls seine ganz eigene Romantik hat." Ethan nickte zustimmend. "Sogar eine ganz bestechende Romantik, sei vorsichtig mit dem Wein, ein Glas zu viel und ich fall noch über dich her." Der Größere schmunzelte "Ich werde meine Unschuld zu verteidigen wissen, keine Sorge." Er öffnete die Flasche und goss ein. Der goldgelbe, betörend schimmernde Wein schwappte durch das Glas und Ethan nahm das seine entgegen. "Pinot Grigio, eigentlich müsste man dazu Fisch servieren, finde ich." Der Braunhaarige schmunzelte und holte etwas aus dem Korb, zwei lackierte Holzdosen, die mit asiatisch wirkenden Ornamenten versehen waren. Er hob den Deckel ab und Ethans Miene erhellte sich. "Du kleines Genie, woher nur weißt du, dass ich eine Schwäche für Sushi habe?" Marcel schmunzelte "Ich habe es gehofft, greif zu, es ist fantastisch." Das ließ sich der Ältere nicht zwei Mal sagen. "Und es gibt übrigens auch noch einen Nachtisch, also schlag dir nicht zu sehr den Bauch voll." Ethan verschlang gerade eine der Leckereien und warf Marcel einen verschmitzten Blick zu. Marcel erwiderte den Blick glücklich, ihr erstes Date wurde offenbar ein Erfolg. Am Montag endlich kam ein Auftrag rein, den Louis nicht ablehnte, in der Tat war dieser Auftrag zwar mehr eine Art Verzweiflungstat des Labels, aber das Label war auch genau das richtige, um Tailors Debüt so spektakulär wie möglich zu gestalten. Kaum hatte er zugesagt, wählte er die Nummer des Jungen. Dieser nahm nicht ab, was Louis schwerer traf, als er gedacht hatte, aber er beschloss auf die Mailbox zu sprechen. "Ja, hier ist Louis, du hast deinen ersten Auftrag, morgen ab drei Uhr, ich hole dich um viertel nach Zwei an der Schule ab, vorher kann ich nicht, aber ich nehme an, dass es nicht so dramatisch ist ein paar Minuten an der Schule zu stehen. Den Rest erklär ich dir. wenn wir uns sehen, nur so viel, es geht um das Label >New Era<, also wag es nicht das auszuschlag-" Plötzlich wurde abgehoben. Warum machten das denn grade alle? War er denn der letzte Depp, dass die Leute nicht mehr dran gingen, wenn er anrief? Was hatte er Tailor getan?" "New Era?" Das war die einzige Frage, die er gestellt bekam. "Ja genau, die wollen dich." Vom anderen Ende hörte er einen Laut der Freude. "Ich liebe deren Klamotten, ich freu mich drauf, tut mir leid, dass ich grad nicht dran konnte, ich war beschäftigt." Louis gefiel die Betonung des Wortes nicht. "Hast du nicht grade Schulschluss?" Tailor schien zu verstehen, worauf Louis hinaus wollte. "Denkst du denn, ich bin der einzige attraktive Kerl an unserer Schule? Warum sollte ich nicht auch hier meinen Spaß haben." Der Blonde gab sich Mühe ganz gleichgültig zu klingen, aber Tailor wusste es natürlich besser. "Klar, hab deinen Spaß, ich hol dich dann morgen also ab, bis dann." "Ja, bis dann." Tailor wartete mit einem vorfreudigen Kribbeln und gleichzeitig einem mulmigen Grummeln im Magen auf den Wagen seines Managers. Das Kribbeln kam von der Aufregung, weil er tatsächlich für >New Era< modeln würde und das Grummeln, weil das Telefonat ihm eine schreckliche Tendenz vor Augen führte. Während Louis begann sich seiner Gefühle bewusst zu werden, spürte Tailor, wie er selbst mehr und mehr sein Herz verhärtete. Es war ihm bei ihrem letzten Gespräch beinah zu leicht gefallen Louis leiden zu lassen. Er liebte diesen Mann immer noch tief und innig, aber ab und zu gewann die Verbitterung über die Situation Überhand und ließ ihn glauben, dass es besser wäre, die ganze Sache hier abzubrechen. Vielleicht waren Louis und er einfach tatsächlich nicht für eine tiefgründige Beziehung geschaffen. Er stand immer noch am Schultor, als auch die letzten Schüler, die zu dieser Stunde Schluss hatten, das Gelände verließen. Die Sekunden schienen sich zu Minuten auszudehnen, und diese zu Stunden und so weit, wie Zeit halt ist, wenn man auf etwas Wichtiges warten muss. Er merkte mal wieder, dass zehn Minuten ohne eine Beschäftigung viel Zeit für ihn und sein Gehirn so ganz allein miteinander waren. Denn er begann sich unangenehm intensive Gedanken zu machen. Was für Schritte wollte er gehen? Was konnte denn er selbst dagegen unternehmen, dass er sich emotional verhärtete, noch mehr als er es bereits war? Wie konnte er Louis die Situation nahelegen ohne ihn dadurch zu verlieren? Es gab darauf viele mögliche Antworten, aber welche die richtigen waren, wusste er bisher nicht wirklich abzuwägen. Vielleicht war das etwas wofür er eine zweite Meinung brauchte. Marcel allerdings war in dieser Hinsicht nicht mehr vertrauenswürdig, und Sabrina schien im Moment ihre eigenen Eifersüchteleien auszutragen, auch wenn diese einfach lächerlich waren. Natürlich war sie eine bezaubernde Persönlichkeit, aber zu keiner Zeit wäre sie für ihn jemals in Frage gekommen, wie sie auch wusstem und das musste sie auch nur noch emotional verarbeiten, dann war das gegessen. Mit wem redete man über so etwas? Mit einem Psychologen? Mit den Eltern? Die Vorstellung seiner Mutter, oder gar seinem Vater von dieser Sache zu erzählen war nicht nur absurd, sondern wäre wahrscheinlich Selbstmord. Er sah den schwarzen Wagen vorfahren und ging darauf zu, von innen wurde die Beifahrertür geöffnet und er stieg ein. Louis Blick für ihn war genauso gemischt, wie seine eigenen Gefühle, teilweise durch Argwohn und sogar Zorn, aber auch durch Zuneigung, Leidenschaft und eine tiefe bebende Begierde. "Also, ich habe gesagt, ich klär dich genauer auf. Du bist eigentlich eine Notlösung, aber das macht im Grunde nichts, denn das weiß außer denen, die die Models ausgesucht haben, niemand. Es gibt folgendes Problem. New Era hat zwei hervorragende Models für den Job ausgesucht, einen Mann und eine Frau, aber was nicht klar war ist, dass die beiden sich nicht leiden können, weshalb bisher die Versuche, das glatt über die Bühne zu bringen, schief gelaufen sind. Daher haben sie kurzfristig nach einem Ausweg gesucht und ich habe einen angeboten. Ein drittes Model, eine verbindende Komponente, dich. Du wirst mit der Frau als Mann auftreten und mit dem Mann als Frau. Offiziell habe ich zwar gesagt, dass du dadurch das ergänzende Element wirst, um die Ausstrahlung der beiden zu unterstreichen, aber ich denke wir beide wissen, dass es andersherum laufen wird. Die beiden werden dich unterstreichen, und sie sind auch beide ganz nette Komponenten für dich, dein erstes Shooting könnte kaum besser sein." Tailor nickte nachdenklich und Louis runzelte die Stirn "Ich hatte gedacht, deine Begeisterung wäre wenigstens etwas größer." Der Junge grinste kurz. "Nein, ist in Ordnung, ich freue mich, sehr sogar, schon seit gestern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich vielleicht ein bisschen beleidigt fühle, weil du da ganz offensichtlich deine Beziehungen hast spielen lassen." Louis lachte auf. "Ach Gott, Tailor, mach daraus keinen Affen, Vitamin B ist in der Modebranche nicht nur äußerst beliebt, sondern unumgänglich, man erreicht hier nichts ohne Beziehungen. Deshalb bin ich ja unter anderem ein so guter Manager und kann mich auf ein Model beschränken, das ich dann ganz besonders fördern kann." Dazu sagte Tailor nichts, sondern nickte wieder nachdenklich. Sie fuhren etwas aus der Stadt hinaus in die Berge, bis sie an eine Art uraltes Gebilde aus riesigen Steinen, oder eher Felsen kamen. Louis sah Tailors forschenden Blick. "Das kennst du wohl nicht, das ist ein klassisches Felslabyrinth, davon gibt es ein paar in Deutschland, auch wenn sie nicht so populär wie einige im Ausland sind. Melissa, die Designerin hat eine Vorliebe für untergegangene Kulturen und alte Ären, was sie sehr gerne etwas retro-futuristisch in ihre Konzepte einfließen lässt, daher hat sie dieses Mal diesen Ort ausgewählt. Auch wenn niemand mit Sicherheit weiß, ob diese Labyrinthe zufällig oder bewusst erschaffen wurden." Tailor nickte verstehend und betrachtete weiter die Felsblöcke, die sich elegant zusammenfügten und interessante Gebilde mit gelegentlichen Höhlen und Tunneln darstellte. Es hatte etwas von einem steinzeitlichen Kletterpark und war wundervoll anzusehen, man bekam nicht genug. Überall auf, um und zwischen den Felsen wuchsen Bäume und Sträucher, Efeu rankte sich hinab und Moos wucherte auf ihren Oberflächen. Sie parkten neben einigen anderen Autos und stiegen aus. Louis trat zielstrebig auf eine füllige Frau um die vierzig zu. Sie ging ihm grade bis zur Schulter, trug ihre mehr als hüftlangen goldblonden Haare mit dem leicht rötlichen Stich offen und funkelte ihn schalkhaft durch eine viereckige Brille aus hellen olivgrünen Augen an. "Louis, ein Glück, dass es so kurzfristig ging." Auf Tailor machte sie die Wirkung einer Löwin, wie sie die beiden Größeren von unten ansah, hatte man doch das Gefühl sie könne einen in Grund und Boden starren, und er hatte sofort Ehrfurcht vor der Intelligenz, die er hinter den Brillengläsern aufblitzen sah. "Hallo, Melissa Borgmann, du bist sicher Tailor Devenor, ich hatte gedacht, du würdest etwas schillernder auftreten..." Er sah an sich herab, der Blazer lag im Auto, das Hemd trug er offen und darunter ein schwarzes Shirt. Daran war eigentlich nichts auszusetzen. Er lächelte sie charmant an. "Ich kann alles sein, was sie wollen, Frau Borgmann." "Melissa bitte, du bist charmant und offenbar nicht schüchtern, also dann, dort bei dem Bus sind ein paar Kabinen und eine Maske eingerichtet, lass dich vom Visagisten instruieren, er kennt den Ablauf, Louis bleibt hier bei mir." Tailor nickte ergeben und begab sich zu den Kabinen. Melissa wendete sich an Louis "Wir müssen noch ein paar Einzelheiten klären, Freundchen...du hast mich angelogen, als du sagtest seine Ausstrahlung würde die beiden ergänzend unterstützen." Er grinste "Ist es in Ordnung, wenn ich vorher noch ein Telefonat führe? Es ist wichtig und ich habe versprochen gegen drei anzurufen." Sie nickte nur und er ging ein Stück von ihr weg. Das mit dem Anruf war eine glatte Lüge gewesen, um nicht vollkommen unvorbereitet von ihr zerfleischt zu werden, aber wenn er schon mit irgendwem telefonieren musste, dann konnte es sich wenigstens lohnen. Louis sah noch einmal hinüber zu Tailor, der sich in die Umkleide führen ließ und zückte dann sein Handy. Er wählte eine Nummer, die er eigentlich viel zu lange nicht mehr angerufen hatte und drückte auf die Wahltaste. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er die Stimme am anderen Ende so unverblümt und fest wie immer zu hören bekam: "Na, sind dir die Affären ausgegangen, dass du dich mal wieder meldest, Lulu, oder die Aufträge?" Louis verdrehte die Augen, musste aber Grinsen, auch wenn er sich Mühe gab ganz neutral zu klingen: "Lenilein, meine Affären können wir ein andermal besprechen, es geht in der Tat um einen Auftrag, aber nicht für mich, sondern von mir, es ist so weit, wie wär‘s mit diesem Samstag?" "Moment, ich glaub da hab ich ein Shooting mit - oh, kein Problem, das ist so ne unfähige Zicke, die kann auch noch ne Woche warten. Um wie viel Uhr, und welche Location schwebt dir da vor?" "Warte, warte, noch wird es kein Shooting sein, erst mal musst du mir noch helfen ein zweites Model zu finden, das zu meinem ersten passt. Und ich hatte gedacht, wir treffen uns am Samstag, damit du dir Tai mal ansiehst." "Achso, der Herr braucht also auch schon hierbei meine Unterstützung. Soll es denn ein Männlein oder ein Weiblein sein?" Louis zögerte, gerade kam Tailor in einem Kleid und einer Perücke aus der Kabine. "Also wenn ich ehrlich bin, ist das beinah egal, mein Model ist ein...nennen wir es mal Multitalent. Such ein paar raus, die deiner Meinung nach zu meinen Sachen passen, und sieh dir das Model am Samstag an, dann entscheiden wir." "Uh, das klingt ja spannend.", antwortete Lena mit fast schon kindlicher Neugierde, "Ist gebongt, ich lass mir was einfallen. Und wo treffen wir uns?" "Also, du müsstest dazu herkommen, ich komme auch für die Auslagen auf, du kannst mit dem Zug am Freitagabend herreisen und ich bringe dich im >Tsubaki Inn< unter, das mochtest du doch, wenn ich mich recht entsinne. Voraussichtlich solltest du für ungefähr eine Woche packen. Und für das Model, das du aussuchst, komme ich auch auf, wenn es von weiter weg anreisen muss. Ist das okay?" "Hört sich alles spitze an", antwortete die Fotografin, "Nur lass ich meinen VW-Bus nicht gerne alleine, außerdem kann ich so besser mein Equipment transportieren." Louis seufzte, das Equipment, Fotografen waren auch nur eine Form von Diven, sie waren meist nicht bereit die Dinge fremder Fotografen zu verwenden. "Dann bezahl ich dir eben den Sprit, aber denk dran, dass du mit deinem Auto länger brauchst, ja? Samstag hole ich dich dann gegen elf Uhr ab, wenn dir das recht ist, ich lass den Zimmerschlüssel im Tsubaki für dich zurücklegen." "Geht klar, ich freu mich schon drauf, dich wiederzusehen, Lulu - vielleicht zeigt dein ausschweifender Lebensstil endlich mal Wirkung und du hast einige Pfunde zugelegt.", meinte sie liebevoll gehässig. Louis konnte nicht verhindern, dass er einen flüchtigen Blick auf seinen trainierten und absolut flachen Bauch warf, obwohl er wusste, dass Lena ihn nur verarschte. "Ja, absolut, ich bin richtig fett geworden, ich pass kaum noch durch meine Haustür und muss mich mittlerweile mit kleinen Strichern zufriedengeben, du wirst mich nicht wiedererkennen. Eine echte Tragödie." "Hört sich ja schrecklich an. Ein Glück komm ich vorbei, ich werd dich wieder auf Trab bringen, vertrau mir." Louis konnte ihr schalkhaftes Zwinkern beinah durchs Telefon sehen und musste schmunzeln. "Ich freue mich schon drauf, du bringst mich wieder auf Trab, so alt wie du bist, kann ich von dir sicher noch das eine oder andere lernen." Hier hätte er ihr am liebsten die Zunge rausgestreckt, wie früher. "Aber ganz besonders gespannt bin ich auf deine Meinung zu Tai, ich habe große Hoffnung, dass du die richtige Komponente findest. Also dann, bis diesen Samstag, und es tut mir Leid, dass das ganze jetzt so kurzfristig anläuft, aber ich kann mich einfach nicht mehr zurückhalten." "Kein Problem, schließlich bin ich ja noch NICHT SO ALT! und gerne spontan. Dann bis Samstag, mein Lulu-Schatz." Louis grinste trotz des blöden Spitznamens, den sie natürlich mit voller Absicht benutzte, er wollte sich noch gar nicht vorstellen, was für ein Trauma ihm bevorstand, wenn Tailor den spitzbekam, er würde Lena dahingehend vielleicht instruieren müssen, wenn es so weit war. "Ich hab dich auch lieb, dann...bis dann." Er zögerte noch einen Moment, dann legte er auf und seufzte, auch wenn er sich freut, er wusste nun auch wieder, warum er so lange nicht mehr angerufen hatte. Tailor war ganz gefesselt von dem Kleid, das er trug, auch wenn er es gleich wieder ausziehen musste. Offensichtlich war das männliche Model noch nicht anwesend, weshalb nun zuerst mit der Frau angefangen werden sollte, wofür Tailor als Kerl auftrat. Also ging er wieder in die Kabine und ließ sich eine Jeans, ein Hemd und eine Weste reichen. Auch diese Sachen sagten ihm zu. Das Hemd war beinah weiß mit einem Blaustich und hatte ein zuerst eher unauffälliges Nadelstreifendesign in Türkis, sah man aber genauer hin, dann erkannte man, dass die mutmaßlichen Nadelstreifen harmonisch miteinander verspielt über das Hemd laufende Pfeile waren, die hier und da etwas verwirrende Rechtecke oder Treppenmuster entstehen ließen. Die Weste dazu war aus Petrolfarbenem Leinen mit goldener, feiner Naht, die leicht in der Sonne glitzerte. Dazu wurde ihm ein Goldkettchen um den Hals und eines ums Handgelenk gelegt, er blieb Barfuß und die ausgewaschene Jeans wurde gekonnt lässig hochgekrempelt. Das Outfit wirkte verspielt, elegant und doch lässig und luftig. Er trat aus der Kabine und wurde in der Maske geschminkt, natürlich nur dezent, sodass die Kanten seines Gesichtes betont wurden. Neben ihm in die Maske wurde das weibliche Model gesetzt. Sie hatte schwarze Haare von drei Zentimetern Länge, Sommersprossen und einen sonnengebräunten natürlichen Teint. Ihre Augen waren von sehr hellem Braun, beinah eher ein Gold, und ihre vollen Lippen wurden gerade leicht rosa betont, während ihr Lidschatten in dunklem Violett und sanftem Türkis ausfiel. Sie war eine schöne Person mit interessanter Ausstrahlung, einem leicht außergewöhnlichen Touch und einer guten Figur, die ihr Kleid wunderbar zur Geltung brachte. Es war schwarz mit türkisen Pfeilornamenten am Saum des Rocks und der Ärmel. Der viereckige Ausschnitt zeigte ein schönes Dekolleté, und der in vielen Falten bis zu ihren Knöcheln fallende Stoff, mit leichter Schleppe nach hinten, wurde unter dem Busen bis zur Taille durch goldgewirkte Ornamente figurbetont zusammengerafft. Auch sie war barfuß, trug ebenfalls ein Goldkettchen und statt des Armbändchen eines für den Knöchel. Sie musterte ihn abschätzend und lächelte dann gönnerhaft. "Du bist ziemlich jung, gib dir Mühe." Er lächelte allerliebst zurück und verkniff sich eine zynische Erwiderung. Louis und Melissa hatten den Rest besprochen und er hatte ihr beteuert, dass Tailor die richtige Wahl war, was sie mit einem nicht wirklich widerwilligen Ton bereit war sich beweisen zu lassen. Nun sahen sie zu, wie die beiden sich als Paar so schlugen. "Er ist auf jeden Fall sehr charismatisch, auch wenn seine Ausstrahlung eine gewisse Finsternis besitzt, aber das ist ja nicht unbedingt schlecht." Louis nickte zustimmend, aber er war sich sicher, dass Tailor grade noch im Leerlauf arbeitete. "Fälle noch nicht dein endgültiges Urteil, wart‘s ab." Sie nickte nur und beobachtete weiter. Der Fotograf wirkte sehr euphorisch und brüllte ständig Anweisungen, die sie zu erfüllen versuchten. "Näher zusammen, ihr müsst vertraut wirken, tut geheimnisvoll, verschwörerisch." Das Model, sie hatte sich letztendlich als Joanne vorgestellt, murmelte ihm auch immer wieder Dinge zu. "Du bist zu vorsichtig, schmus ein bisschen mit mir, trau dich..." Er musste sich nicht trauen, das war kein Problem, doch obwohl er nichts falsch machte, brachte sie ihn innerlich ein bisschen auf die Palme, er ließ es sich aber nicht anmerken. "Näher, küsst euch mal." Sie gab ihm einen kurzen kühlen Kuss und der Fotograf protestierte, weshalb sie ihn anfuhr, dass das nicht ihre Schuld sei und Tailor einfach zu unterwürfig rüberkäme. Tailor wurde das zu bunt, das Miststück hackte grundlos auf ihm rum! Er griff in ihren Nacken mit der einen Hand und schob die andere an ihre Hüfte. Mit einem festen Griff zog er sie an sich und küsste sie. Er hatte die Augen geschlossen und zwang ihr seinen Kuss auf, was sie vollkommen zu überrumpeln schien, aber nicht lange und sie erwiderte ihn gierig, beinah etwas zu gierig, wie er fand. Sie schlang ihre Arme um ihn und er hob nun beide Hände an ihr Gesicht, um sie beide voneinander zu lösen. Sie begegnete ihm mit leicht verschleiertem Blick. "Dominant genug?" Er sah sie unverhohlen herausfordernd an, aber sie nickte nur. Melissa hatte gerade einen etwas abfälligen Kommentar über den Kuss bringen wollen, um Louis zu ärgern, als sie Zeuge von Tailors Überraschungsangriff wurde. Sie sah wie gebannt zu und spürte sogar leichtes Herzklopfen, was für eine Stimmung. Als es vorbei war, eilte sie zu ihrem Fotografen und wollte wissen, ob er davon gute Bilder bekommen hatte. Louis lächelte, als er sah, dass sie zufrieden zu sein schien. Sie drehte sich kurz zu ihm um und hielt die Daumen hoch, während sie glücklich grinste. Sie war eine wirklich schräge Persönlichkeit, aber was Louis an ihr schon immer gemocht hatte, war ihre absolute Unberechenbarkeit. Sie tat, was ihr gefiel. Er sah zu Tailor, der gerade ein neues Outfit angezogen hatte, diesmal in Schwarz, Pink, Orange und Magenta. Obwohl das sehr schrille Farben waren, wirkte die Komposition harmonisch und Tailor sah nicht einmal wirklich schwul darin aus, irgendwie konnte er trotz seines etwas schmächtigen Körperbaus eine gewisse Männlichkeit ausstrahlen, die mehr von Innen zu kommen schien, er wirkte einfach irgendwie zu gefährlich und auch verschlossen, um tuntig rüberzukommen. Wenn man sich entscheiden müsste, gegen ihn oder einen Boxer anzutreten, würden viele nicht sofort eine Entscheidung fällen, obwohl der Junge körperlich nicht besonders bedrohlich war. Noch ein paar Mal wurde die Garderobe gewechselt, bis ein neues Auto vorfuhr und ein Mann und eine Frau ausstiegen. Tailor und das Model verabschiedeten sich gerade recht höflich voneinander und er verschwand schon in der Kabine, bevor das andere Model ihn richtig wahrnehmen konnte. Louis betrachtete mit etwas Schadenfreude, wie die beiden anderen Manager ihre Models versuchten etwas ungeschickt aneinander vorbei zu lotsen, ohne unhöflich zu wirken oder einen Streit heraufzubeschwören. Es gelang ihnen beinah reibungslos, wenn auch mit Mühe, und der junge Mann betrat seine Kabine. Als Tailor dieses Mal wieder heraustrat, war er ganz entzückt von seiner neuen Kleidung. Es handelte sich um ein weißes Kleid, das in vielen Falten bis zur Mitte seiner Oberschenkel fiel und dort mit einer wieder in Gold gewirkten zwei Zentimeter breiten Borde abschloss. Die Borde wiederholte sich unterhalb seiner ausgepolsterten Brust und an seinem viereckigen Ausschnitt, der diesmal nicht so tief war wie bei Joanne. Die Träger waren nur so breit wie die Borde selbst und ließen seine Schultern beinah frei. Die ebenfalls in Falten aus dem dünnen weichen Baumwollstoff gemachten Ärmel begannen unterhalb der Schulter ebenfalls mit Borde und flossen bis zu seinen Handgelenken hinab, waren aber leicht trapezförmig geschnitten, sodass sie den gesamten Unterarm freigaben, wenn Tailor die Arme leicht anhob. Der Saum der Ärmel war nicht bestickt, was sie noch luftiger und verspielter wirken ließ. Wieder waren sie barfuß, aber auch Tailor trug nun ein Fußkettchen, in Türkis und dazu passende Ohrklipps und Spangen in den falschen Haaren, die beinah genau die gleiche Farbe hatten, wie seine echten. Farblich darauf abgestimmt wurde er geschminkt. Er war schon ein paar Minuten fertig, als sein neuer Partner aus der Maske kam und ihn mit einem Lächeln musterte. "Wow, ich habe lange nicht mehr mit so einer schönen Frau wie dir gearbeitet." Tailor lächelte zurück. "Mit einer...Frau...wie mir hast du wahrscheinlich überhaupt noch nicht gearbeitet, glaub mir." "Oho, wenn du das sagst, ich bin Jamie." "Tai, nett dich kennenzulernen." Sie reichten sich die Hand. Jamie hatte hellblondes beinah weißes Haar und dazu passende Augenbrauen, aber seine Wimpern waren dunkel. Tailor war sich nicht sicher, ob er die Haare färbte, die Wimpern schminkte oder ob das alles natürlich war, aber in Verbindung mit seinen hellen blassblauen Augen und den fast farblosen Lippen sah es faszinierend hell aus. Vom Teint passten sie zusammen wie in einem Farbton gemalt und auf eine irritierende Art ließen sie einander etwas außerirdisch wirken. Er trug ein weißes schlichtes Hemd, darüber ein hellblaues Jackett mit einer türkisen Krawatte und türkisem Einstecktuch. Die Krawattennadel und seine Armbanduhr waren im Stil auf Tailors Schmuck abgestimmt und die Jeans war mehr grau als blau, wodurch sie sich nicht mit dem Jackett biss. Seine Haare waren absichtlich zurückgekämmt und dann etwas verwegen zerpflückt worden, als hätte er den Kopf kurz bei einer Autofahrt aus dem Fenster gehalten, es stand ihm. Auch Jamie hatte Tailor ein zweites Mal abgecheckt, diesmal gründlicher. "Du bist etwas schmal um die Hüfte und den Busen, aber irgendwie passt das gut zu deiner Ausstrahlung..." Tailor verzog kurz den Mund und schwieg dazu. Der Fotograf bat sie sich bereit zu machen. Louis merkte, dass es ihn ärgerte, dass Melissa sich ausgerechnet so einen außergewöhnlichen Kerl ausgesucht hatte, auch wenn sie dafür ja berüchtigt war. Tailor hatte wahrscheinlich sein neustes Opfer auserkoren, noch ein Kerl, dem er den Vorzug gab. Diese dämlichen Gefühle machten ihn langsam und stetig kaputt, konnte er dagegen denn nichts unternehmen? "Du könntest mit ihm darüber reden." Louis hatte gar nicht gemerkt, dass die Löwin wieder neben ihm stand. "Hab ich den Anfang dieser Unterhaltung irgendwie verpasst oder so? Ich kann mich nicht erinnern zu dir grade etwas gesagt zu haben." "Das hast du auch gar nicht mir gesagt, sondern deinem neuen Schützling, mit den Augen, sehr intensiv. Wenn er das nicht mitbekommt, ist er entweder blöd oder blind." Louis spürte, dass es ihn ein wenig schreckte, wie schnell Melissa ihn durchschaute. "Ich habe dich schon immer durchschaut Süßer, von Anfang an, ich bin ein emphatisch veranlagter Mensch, ich habe ein sehr genaues Gespür dafür, was in Menschen vorgeht. Und mein Kommentar eben war eher rhetorischer Natur, denn Tailor ist ganz offensichtlich nicht blind und noch offensichtlicher ist er nicht blöd. Nein, ich vermute, dass es genau andersherum ist und er in Wirklichkeit viel zu viel sieht und weiß." Mit so kryptischen Aussagen konnte er nicht viel anfangen. "Du verstehst wohl nicht, was ich damit meine. Lass mich versuchen, dir das zu erklären. Stell dir vor, du wüsstest immer, wenn dich jemand anlügt, könntest in jeder stimmlichen Betonung und aus jeder Geste und Mimik herauslesen, was für Gefühle und Gedanken eine Person gerade hat. Sehr schnell erfährst du so Dinge, die du gar nicht wissen willst. Zum Beispiel, ob deine Freunde dich wirklich mögen, oder ob einer von denen in Wirklichkeit in dich verliebt ist, oder dich abgrundtief hasst, du erkennst direkt, wenn dich jemand betrügt, du siehst, wenn jemand vor hat einem anderen Menschen Leid zuzufügen. Du siehst eine Menge schrecklicher, trauriger oder peinlicher Dinge, gegen die du rein gar nichts tun kannst. Gleichzeitig verleiht es dir unglaubliche Macht. Du kannst kalkulieren, wie Leute reagieren, und so die Zukunft beeinflussen, du kannst Menschen aufs Übelste manipulieren. Allerdings ist er trotzdem ein Mensch und Menschen machen Fehler. Je mehr Wissen du mit dir trägst, desto schwerer wiegt es, ist das für dich nachvollziehbar?" Louis spürte ein Kribbeln im Nacken, hinab über den Rücken. Wenn Melissa die Wahrheit sagte, dann bestätigte das Marcels Aussage. "Woher willst du wissen, dass er nicht doch blöd ist?" Er versuchte es leichthin zu sagen, aber es misslang etwas. Sie sah es ihm nach und ihre Miene wurde etwas melancholisch. "Wir erkennen einander." Tailor fand seinen neuen Partner interessant, aber er merkte schnell, dass dieser bei intimeren Szenen etwas zurückhaltend war. Nach zehn Minuten bat er um eine kurze Pause und zog Jamie mit sich. "Was ist los?" "Wie bitte?" "Wenn wir Zärtlichkeiten austauschen sollen, verkrampfst du dich. Ich bin sicher, dass das nicht wirklich auffällt, aber mich stört es, hast du etwas gegen mich, oder Berührungsängste?" Der junge Mann schien beschämt. "Tut mir leid, das ist nichts gegen dich. Ich steh auf Männer, das ist in der Modelwelt zwar ganz normal, aber ich habe ein bisschen Hemmungen Frauen anzufassen, es ist kein wirkliches Problem, wie du siehst kann ich das, aber es ist halt für meinen Kopf einfach etwas anderes." Tailor nickte verstehend und lächelte nachsichtig. "Das ist eine wirklich erfreuliche Nachricht, auch wenn ich mir von Anfang sicher war, dass du wahrscheinlich schwul bist. Ich bin es auch." "Was ist daran so toll?" Tailor grinste und bevor der andere protestieren konnte, nahm er Jamies Hand und führte sie an seinen Schritt. Erst war dieser vollkommen paralysiert, dann begriff er, was er unter den Falten des Rockes spürte. "Ach du heilige..." Tailor schmunzelte und sein Blick war eindringlich. "Da du das jetzt auch weißt, brauchst du dich nicht mehr im Geringsten zurückhalten, oder hast du auch eine Abneigung gegen Kleider und Röcke?" Jamie nahm die Hand wieder weg, lief aber nicht rot an, sondern setzte ein gewinnendes Lächeln auf. "Nein, gar nicht...wie ich schon sagte, ich habe lange nicht mehr mit jemandem gearbeitet, der so hübsch ist wie du." Tailor lächelte zurück. "Und wie ich bereits sagte, mit jemandem wie mir hast du wahrscheinlich noch nie gearbeitet." "Stimmt. Wobei ich überlege, ob wir, jetzt, da wir uns ja näher kennen gelernt haben, unsere Beziehung nicht vielleicht noch ein bisschen vertiefen wollen." Tailor warf ihm einen erwärmenden Blick zu und machte ein Geräusch des Wohlbefindens. "Mh...so tief wie es geht, wenn du möchtest." Jamie konnte nicht gerade gering bei sich selbst spüren, von was für einer Tiefe sein Gegenüber sprach, und in dem Moment rief der Fotograf sie wieder zurück. Alles in allem war das Shooting gelungen, auch wenn Louis es kaum ertrug, als Tailor bat, dass dieser Jamie bei ihnen mitfahren könne und er die beiden bei dem transparenten Kerl zuhause absetzen sollte. Er fuhr Tailor doch tatsächlich mit dessen One-night-fick zu seinem One-night-fick. Das tat weh. Aber was sollte er tun? Er war von Melissa immer noch etwas verwirrt. Aber bevor er die beiden absetzte, sprach er noch jenes andere Thema an, das ihm am Herzen lag. "Ich würde gerne ein Shooting mit meinen Kleidern machen, die Fotografin hat auch schon zugesagt, wie wär‘s?" "Klar" sagte der Braunhaarige nur gut gelaunt und Louis hinterfragte die Antwort nicht. "Gut, ich hol dich Samstag gegen halb zwölf ab, da lernst du Lena kennen und sie dich." "Ist gut." Der Junge schien ihm gar nicht so richtig zugehört zu haben... Tailor drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Die Wange!!! Und verließ den Wagen. Wer war er denn bitte? Sein Ersatzvater oder ein lieber Onkel? Das doch wohl kaum! Er merkte, dass er immer noch parkte und fuhr los. Aber er war so in Gedanken, dass er eine rote Ampel überfuhr, also parkte er am Straßenrand, um nicht in seinem aufgewühlten Zustand einen Unfall zu verursachen. Mit einem Seufzen sank seine Stirn auf das Lenkrad. Er kam grade ganz und gar nicht mehr klar und wusste auch niemanden, der ihm da helfen konnte. Eigentlich konnte er nichts anderes machen, als jetzt erst mal sein eigenes Shooting weiter zu planen und nach anderen Jobs für Tailor zu suchen. *Pazzesco =affengeil(das ist eine tatsächliche Übersetzung), abgefahren, unglaublich _________________ Hach, das ist mal wieder ein Tohuwabohu... Die schönen Nebenrollen sind diesmal beinah untergegangen...ich hoffe, dass euch Melissa trotzdem gefallen hat und natürlich bin ich glücklich, dass nun Giuseppina im Spiel ist, ich find sie echt super :3 Und ich möchte zur Fotografin Lena eine Kleinigkeit sagen: Diese Figur wird in den folgenden Kapiteln zusammen mit zwei weiteren Charakteren aus der Fanfiction "Venia Legendi Eudamonia" meiner guten Freundin und Betaleserin KaethchenvHeilbronn ein paar Mal als Gastfigur auftreten. Ich fühle mich geehrt und bin überglücklich, dass wir dieses dezente Crossingover eingebracht haben. Für die, die auch VLE kennen wird es ein paar kleine Highlights geben. Die, die es nicht kennen werden aber nicht benachteiligt sein, denn die Charaktere stehen für sich alleine und müssen in keinem größeren Zusammenhang verstanden werden. Zuletzt will ich nur noch kurz erwähnen, dass es sich bei den beiden weiteren Figuren um Charaktere handeln wird die an historische, reale Persönlichkeiten angelehnt sind und deren Namen tragen. Genauer werde ich das erklären sobald sie auftreten. Fühlt euch alle geknuddelt! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)