Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 15: Exil ---------------- Von draußen drangen Geräusche geschäftiger Vorbereitungen herein. Die Glocken des Tempels läuteten zum Morgengebet und die ersten Gesänge der Mönche waren zu hören. Der Boden war hart, auf dem er lag und die Luft war stickig. Ronald zog die dünne Decke höher und kniff die Augen zu. Wie war es nur dazu gekommen, dass er hier gelandet war? Sein Nacken und Rücken schmerzte. Überhaupt tat ihm jeder Muskel weh, der nur wehtun konnte und auch welche, von denen er noch nicht einmal wusste, dass er sie besaß. Obendrein vermisste er ein anständiges Bad oder eine anständige Dusche. Sein Körper fühlte sich eklig an. Natürlich gab es hier im Tempel auch eine Möglichkeit sich zu waschen, aber es war in einem kalten Flussbett und er hatte das Gefühl, danach nicht sauber zu sein. Ein Schauer des Ekels überkam ihn und mit einer Handbewegung scheuchte er eine Fliege fort, die sich in das kleine Zimmer geschlichen hatte. Ronald drehte sich auf den Rücken. An Schlaf brauchte er gar nicht mehr zu denken. Der Boden war so hart und unbequem, dass er darauf kein Auge zu tun konnte. Hatten sich die Shaolin Mönche inzwischen so sehr daran gewöhnt, dass es für sie bequem war? Er wusste es nicht zu sagen, lediglich, dass er niemals auf dem Boden Schlaf finden würde, egal wie geschafft er von der Arbeit und dem Training war. Sein Kopf drehte sich zur Seite und er schaute in die Ecke, wo sein Koffer mit Kleidern stand. Wehmütig seufzte er, schloss wieder die Augen und dachte an die Society. Er wollte nach Hause und in sein Bett. Er wollte wieder seiner Arbeit als Shinigami nachgehen und seine Schülerin unterrichten. Er wollte wieder in seinem Lieblingsclub feiern gehen und auch mal wieder mit einer Frau flirten, vielleicht auch mehr. Er wollte so vieles, aber nichts davon würde sich erfüllen. William T. Spears hatte ihn nämlich für die nächste Zeit ins Exil geschickt, zu einem Shaolin Tempel in Tibet in der Menschenwelt! Ronald verzog das Gesicht in der Dunkelheit. Das alles war nur geschehen, weil Carry über ihn und seine Schülerin miese Gerüchte verbreitet hatte, die sich natürlich bis zu William vor getragen hatten. Nun hatte er deshalb die Society vorläufig verlassen müssen, damit, sollte etwas an den Gerüchten wahr sein, nichts weiter passieren konnte. Ein Bote hatte ihn begleitet und jetzt wartete er darauf, dass dieser zurück kam und ihn abholte, damit die Untersuchung stattfinden konnte, um die Sache ein für alle Mal zu klären. Er roch sogar schon nach den wenigen Tagen im Tempel wie ein Mensch und nicht mehr wie ein Shinigami. Eine Tatsache, die ihn sehr missmutig stimmte. Er fragte sich, wie seine Schülerin Miss McNeil damit zu Recht kam. Innerlich hoffte er, dass sie verschont blieb von all dem. Immerhin war er sogar deshalb gegangen, damit keine weiteren Gerüchte aufkamen, die ihr schaden konnten. Ein weiterer Seufzer entfuhr ihm und im nächsten Moment hatte er einen süßen, würzigen und lieblichen Duft in der Nase. Woher kam dieser Geruch? Es gab nichts in der Nähe, was diesen hätte auslösen können. Ronald zog die Knie an und kuschelte sich in die Decken ein. Seine Arme umschlangen das Kissen und drückten es fest an sich. Unweigerlich musste er an seinen letzten Morgen in der Society denken und neben wen er wach geworden war. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen und sein Kopf fühlte sich mit einem Mal leer an. Wie gerne wäre er jetzt bei seiner Schülerin und würde ihr die neuesten Sachen erklären. So würde er wenigstens wissen, ob es ihr gut ging. Natürlich war sie nicht alleine. Sie hatte ja noch ihren Freund Nakatsu mit im Zimmer, der sicherlich auf sie aufpassen würde, aber der Gedanke beruhigte ihn nicht wirklich. Im Gegenteil, es ging ihm gegen den Strich, dass er bei ihr war. Denn konnte er wirklich sicher sein, dass er für sie auch wirklich da war? Was wäre, wenn sie wieder schlecht schlief? Konnte er sie auch beruhigen? In Ronald stieg ein Gedanke auf. Konnte es sein, dass er seine Schülerin allen Ernstes vermisste? Fast genauso sehr wie all die anderen Dinge aus seinem Leben? War das, was er beim Abschied ihr gegenüber gespürt hatte, wirklich Schmerz gewesen? Ein Murren entfuhr ihm und er vergrub das Gesicht im Kissen. Genau aus diesem Grunde waren die Gerüchte entstanden. Er war ihr zu nahe! Er hätte mehr Distanz halten sollten! Stattdessen war sein Beschützerinstinkt mit ihm durchgegangen. Sie war seine Schülerin in Gottes Namen! Grund genug eigentlich, dass er nicht an sie denken sollte und erst recht nicht an den Morgen! Obendrein war sie nicht mal der Typ, der sonst in sein Beuteschema von Frauen passte und zu jung sah sie auch noch aus! Er stand doch auf ganz andere Frauen! Frauen, die wussten, wo ihre Reize lagen und diese auch betonen konnten, während Lily einfach Lily war. Sie gab sich keine so große Mühe etwas zu betonen oder zur Schau zu stellen. Diese Frau war einfach sie selbst. Weshalb verschwendete er dann seine Gedanken an sie, wenn sie ihn eh nicht interessierte? Er machte sich eindeutig zu viele Gedanken und Sorgen um das Mädchen. Sie würde schon zurechtkommen. Ronald schob es auf seinen Übereifer jetzt Ausbilder sein zu dürfen. Aber wieso fühlte es sich nicht richtig an? Wieder entfuhr ihm ein Murren und ein Hahnenschrei unterbrach seine Gedanken. Es war nun Zeit für aufzustehen. Mürrisch warf er die Decke zur Seite und zog das Hemd an, das er tragen musste. Er fuhr sich durch die Haare und kämmte sie mit seinen Fingern nach hinten zurück. Immerhin hatten die Mönche ihm erlaubt seine Haare zu behalten anstatt sie ab zu rasieren. Dafür musste er lediglich ein Tuch tragen, um sie zu verdecken. Er zog den Anzug und die Kutte für das Training und die Arbeit an. Dann öffnete er die Holzverkleidung für das Fenster, um Licht herein zu lassen. Die kühle Morgenluft tat im Gegensatz zu dem stickigen Zimmergeruch gut. Aber viel Zeit zum Genießen blieb ihm nicht, denn jeden Moment würde einer der Mönche erscheinen, um zu kontrollieren, ob er aufgestanden war und auch die Decken gerichtet hatte. Schnell machte er sich daran, alles ordentlich zusammenzulegen, als auch schon die Tür quietschend geöffnet wurde und ein Mönch herein kam. „Guten Morgen, Bruder. Wie ich sehe, gewöhnst du dich langsam an unsere Lebensweise.“ Ronald konnte nicht sagen, ob es der Mönch war, mit dem er das Zimmer teilte. Für ihn sahen alle fast gleich aus. Nur manchmal konnte er sie durch die Körpergröße oder einem Muttermal im Gesicht unterscheiden. „Aber Schlafen kann ich immer noch nicht“, gab er zur Antwort und faltete die Decke ein letztes Mal zusammen. Ungeduldig zupfte er an der Kutte herum. Es würde noch lange dauern bis er lernte, sie richtig zu tragen. Der Mönch musste grinsen und trat auf ihn zu, um ihn mit dem Gewand zu helfen. „Dafür, dass du angeblich nicht schlafen kannst, Bruder, hast du die letzte Nacht ganz schön geschnarcht. Als ich aufgestanden bin, hast du dich herum gedreht und angefangen zu sabbern und zu sprechen.“ Ronalds Wangen röteten sich. „Was…was hab ich denn gesagt?“ Der Mönch musste kurz überlegen. „Irgendwas davon, dass du nicht gehen willst. Aber ich hab nicht viel verstanden. Es war viel mehr genuschelt.“ Anscheinend hatte er doch irgendwie Schlaf gefunden, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte. Immerhin fühlte er sich alles andere als ausgeruht. Noch ehe er zu dem Mönch, der offenbar derjenige war, mit dem er das Zimmer teilte, etwas sagen konnte, sprach dieser weiter. „Du solltest aber jetzt mit uns kommen. Das Training fängt gleich an und die Arbeit wartet.“ Als der Mönch sich umgedreht hatte, verzog Ronald das Gesicht. Das Training war alles andere als angenehm und die Arbeit war auch nicht wenig. Dennoch folgte er dem Mönch über den Hof und die Tempelanlage nach draußen, wo sich ihnen weitere Mönche anschlossen. In dem kleinen naheliegenden Dörfchen oder Städtchen, Ronald konnte nicht sagen, was es wirklich war, besaßen die Menschen kaum Mittel, um eine anständige Schule besuchen zu können. Es war nur den reichen Söhnen und teilweise auch den Töchtern gestattet. Es hatte ihn am ersten Tag ziemlich verwirrt, dass Kinder verschiedener Altersklassen in den Tempel kamen. Einer der Mönche hatte Ronald versucht zu erklären, dass die Mönche deshalb in ihrem Tempel den ärmeren Kindern Unterricht gaben. In einem alten Pavillon lehrte einer der älteren Priester die Kinder. Seine Schüler waren Kinder von Handwerkern, Kaufleuten, Fischer, Weber und Unteroffizieren. Sie hofften, dass ihre Kinder durch den Unterricht eine bessere Berufslaufbahn bekommen würden. Ronald hatte einmal dem Unterricht gelauscht, als er in der Nähe meditieren sollte. Er bestand hauptsächlich aus Lesen, Schreiben und Rechnen, damit die Kinder später einmal Warengewichte, Getreidemengen oder Rinderzahlen berechnen und aufschreiben konnten. Solch eine Schule gab es nur in diesem Tempel. Ein Mönch hatte gesagt, dass kein anderer Tempel bisher auf die Idee gekommen war. Die Menschen im Umkreis waren sogar sehr dankbar und bezahlten den Unterricht mit kleinen Opfergaben, wie Reis, Getreide, Brot oder Vieh. Es war das, was sie von ihrem bescheidenen Lebensunterhalt abzweigen konnten, um ihnen ihren Dank zu zollen. Seitdem hatten sich die Besucherzahlen und die Zahl der regelmäßig Betenden erhöht. Die normalen Schulen kosteten viel Geld. Der Tempel machte es umsonst. Oftmals halfen die Kinder auch bei der Arbeit mit. Die wenigen Mädchen halfen in der Küche aus oder wuschen die Kutten. Die Jungen verrichteten Gartenarbeit oder halfen dabei, das Feld zu bestellen. Es waren kleine Arbeiten, wie sie die Kinder auch zu Hause ausübten. Diese Art des Unterrichtes beruhte auf eine gegenseitigen Abhängigkeit und das machte für beide Seiten die Schulstunden sehr angenehm. Schlief ein Schüler mal während des Unterrichtes ein, wurde er nicht vor die Klasse gerufen und mit einem Rohrstocke auf die Hände geschlagen oder an den Haaren gezupft. Er musste lediglich einen Leckerbissen am nächsten Tag von zu Hause mitbringen. Oft waren es süße Kuchen oder alkoholische Getränke. An diesem Tag kamen auch wieder die Kinder in den Tempel, als Ronald ihn mit ein paar anderen Mönchen verließ und durch die Gegend zog, um zu dem Fluss mit dem kleinen Wasserfall zu gehen. Es war eine Gruppe aus etwa zwanzig Mönchen. Obwohl gerade erst die Sonne aufgegangen war, wog die Luft schwer und drückend vor Hitze. Schweiß rann Ronald bereits über den Rücken und durchtränkte seine Kleidung. Am liebsten wäre er sofort zurück in die Unterkünfte gelaufen, um sich zu waschen. Eine Schwimmrunde in einem See wäre auch nicht zu verachten gewesen. Ob es in der Shinigami-Welt gerade auch so warm war? Oder regnete es dort vielleicht? Was machten wohl Alan oder Eric? William würde sicherlich wieder alle herum scheuchen und Arbeit verteilen, während Grelle ihm hinterher jagte. Aber wahrscheinlich schliefen sie im Moment alle in ihren Zimmern. Ronald vergaß immer die Zeitverschiebung. Daran würde er sich so schnell nicht gewöhnen können. Ein Seufzer entfuhr ihm. Er wollte nicht an das Training denken, das ihm mit ein paar anderen Mönchsnovizen bevorstand. Das Ziel der Mönche war es, den Körper zu verhärten, eins zu werden mit Körper und Geist, um innere Erleuchtung zu erhalten und über sich hinaus zu wachsen. Ronald hatte keine Ahnung, wie er sich die innere Erleuchtung vorstellen sollte. Leuchteten dann die Seelen beim Einsammeln? Oder hatten die Mönche dann eine Art Heiligenschein auf wie es die Engelsdarstellungen in der Menschenwelt oft hatten? Er sah sich einige Mönche genau an. Niemand hatte einen Heiligenschein auf und er hatte noch nie von einer leuchtenden Seele gehört, die wie ein Licht erstrahlte. Vielleicht sollte er mal William fragen, was es damit auf sich hatte. Die Lehrmeister waren streng und unnachgiebig in ihren Trainingsmethoden. Von außen betrachtet sah es oft grausam aus, wie sie die Novizen herum scheuchten. Am eigenen Leib war es noch härter. Sein erster Tag war die Hölle auf Erden gewesen. Er hatte sich gefragt, was er getan hatte, dass William ihn so sehr bestrafte. War es ein Verbrechen, wenn er auf jemanden aufpassen wollte? War es eine Sünde, wenn man jemanden beschützen wollte? Lud man deshalb gleich den Zorn des Himmels auf sich? Die anderen Novizen waren viel jünger als er und kamen aus verschiedenen Teilen des Landes. Sie waren viel trainierter als er selbst, obwohl er in der Society immer darauf geachtet hatte, in Form zu bleiben. Seine Muskeln taten weh und verkrampften sich bei jeder Bewegung, als er den Berg hinauf lief. Nur wenige Novizen waren älter als er, dafür viele der übrigen Mönche. Derjenige, der ihm von diesen vom Alter am nächsten kam, war sein Zimmergenosse. Er hatte erzählt, dass er schon lange im Tempel lebte und sogar als kleines Kind den Schulunterricht besucht hatte. Sein Traum war es eines Tages ein Mönch zu sein und ein vollwertiges Mitglied der Gruppe. Der Novize hatte ein fröhliches Gesicht und war kräftig gebaut. Das viele Training war ihm deutlich anzusehen. Man hatte ihm Ronald als Trainingspartner zugewiesen. Der junge Novize hatte etwas Freundliches an sich, aber Ronald vertraute ihm nicht. Es war nie gut, einem Menschen zu vertrauen. Vor allem dann nicht, wenn dieser besser kämpfen konnte als man selbst. Er war ein guter Ringer und konnte mit verschiedenen Waffen, wie dem Schwert oder dem Drei-Stab umgehen. Doch bei den Fähigkeiten, die man von Geburt an bekam, und jenen, die erlernt werden mussten, kam keiner der Mönche an Ronald heran. Als Shinigami war er schneller als ein Mensch und konnte kräftiger zuschlagen. Es war manchmal selbst für die ausgelernten Mönche hart, seine Schläge zu verkraften. Er konnte sich leise anschleichen und angreifen. Die jüngeren Schüler lernten schnell und auch die Mönche begriffen, dass er kein normaler Mensch war. Sie sagten jedoch nichts, sondern betrachteten es als großes Geschenk ihres Gottes. Jeden Morgen gingen sie zu dem Wasserfall und Ronald musste mit seinem Zimmergenossen Übungen absolvieren, um an seiner Koordination zu trainieren. Es fiel ihm schwer, dem Bewegungsablauf zu folgen. Alles musste schnell und präzise ausgeführt werden. Seine Beine waren oft über Stunden in gebeugter Haltung. Tai Chi war die einzige entspannende Übung, die ihm Spaß machte und der er auch folgen konnte. Der junge Mönch hatte nicht die Geduld ihm alles beizubringen, obwohl er dazu fest entschlossen war. Das Training begann immer mit Dehnübungen und Meditationen unter dem harten Wasserfall, der auf ihre Köpfe nieder prasselte, während sie dort alle regungslos wie Staturen standen. So war es an diesem Tag nicht anders. Ronald stellte sich neben seinem Zimmergenossen auf und machte es den Mönchen nach, während das kalte Wasser auf ihn nieder schlug und ihn fast in die Knie zwang. Er schloss die Augen und legte die Handflächen aufeinander. Nur das Rauschen war zu hören. Laut und klar. Seine Brust hob und senkte sich, während sein Atem in gleichmäßigen Zügen ging. Der junge Shinigami versuchte ruhig stehen zu bleiben und nichts zu denken. Doch schon nach wenigen Minuten schmerzten seine Beine und er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Konzentration war nicht seine Stärke und ruhig dabei zu stehen wie eine Salzsäule erst recht nicht. Ronald war es gewohnt, seiner Energie freien Lauf zu lassen, sich mit Händen und Füßen zu unterhalten und zu arbeiten. Das Leben hier war komplett anders und er fühlte sich eingeengt. Der Druck fühlte sich unangenehm auf seinem Körper an und das Rauschen war nicht gerade förderlich für seine Blase. „Ich muss nicht auf die Toilette…“, murmelte er und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. „Ich bin der Herr und Gebieter über meine Blase. Nein, ich muss nicht auf die Toilette…“ Ronald presste die Beine zusammen. Konnte er einfach so verschwinden? Er öffnete die Augen und sah zu den anderen Mönchen, die neben ihm standen und in ihre Meditation vertieft waren. Langsam trat er aus dem Wasserfall heraus auf einen halbwegs trockenen Stein. Seine Kleidung fühlte sich schwer an und tropfte bei jeder Bewegung. Keiner der Mönche bewegte sich oder sah auf. Ronald zog die Schultern hoch und trat ans trockene Ufer. Die Sonne schien schon mit ihrer ganzen Kraft. Sie würde sicherlich seine Kleider in ein paar Minuten trocknen. Die Mönche hatten sicherlich nichts dagegen, wenn er kurz austreten ging. Sie konnten ihm ja schlecht das menschliche Bedürfnis verweigern. Ronald ging in den Wald hinein, sah immer wieder zurück zu den Mönchen, die immer noch ohne jegliche Bewegung dort standen. Vielleicht konnte er auch eine kleine Pause machen, ohne dass es auffiel. Er ging tiefer in das Waldstück hinein bis er den Wasserfall nur noch schwach hören konnte und sicher war, dass die Mönche ihn so schnell nicht entdeckten. Nachdem er seinem Bedürfnis nachgekommen war, schlenderte er noch ein Stück tiefer in den Wald hinein und ließ seine Gedanken kreise. Er sah aus wie ein Mönch oder Novize, aber er war keiner. Er war nur ein Besucher. Jemand, der vorläufig dort lebte. Aber das hieß nicht, dass er all das Training mitmachen musste. Ronald setzt sich auf den trockenen Boden unter einem Baum und lehnte sich gegen die Rinde. Es war zwar nicht so bequem wie ein Sofa oder sein Bürostuhl, aber es war allemal besser als unter dem Wasserfall zu stehen wie eine Säule aus Marmor. Er schloss die Augen. Wieso fühlte es sich nicht richtig an, wenn er seine Gedanken auf den Übereifer schob? Wieso konnte er nicht aufhören, sich Sorgen zu machen? Kam seine Schülerin wirklich mit all dem zurecht? Blieb sie verschont von den Gerüchten? Hatte sein plötzliches Verschwinden wirklich dafür gesorgt, dass niemand ihr Schaden konnte? Ronald seufzte und merkte, wie seine Augen brannten. Er wollte nach Hause. Nichts sehnlicher wollte er als nach Hause. Er wollte seine Schülerin in den Arm nehmen und wissen, dass wirklich alles in Ordnung war. Er wollte ihren Geruch in seiner Nase haben und das Kitzeln ihrer Haare, wie sie ihn am Morgen geweckt hatten. Auf seinen Lippen bildete sich ein Lächeln, während er seine Knie anzog und beide Arme darum schlang. Er dachte an den letzten gemeinsamen Tag, den er mit seiner Schülerin verbracht hatte. Lily hatte sich öfters die Haare zurück gestrichen und er hatte sie immer wieder aus dem Augenwinkel beobachtet, wenn er glaubte, sie achtete nicht darauf. Es hatte ihn fasziniert, wie sie konzentriert die Aufgaben erledigt hatte und alles richtig machen wollte. Ihre Stirn hatte sich einige Male in Falten gezogen, wenn sie nachdachte. Ronald musste sich eingestehen, dass er Lily McNeil wirklich vermisste. Er vermisste sie genauso sehr wie all die anderen Dinge aus seinem Leben in der Society, wie das Geräusch des Motors seiner Death Scythe oder das nervende Geräusch seines Weckers. Die Society zu verlassen, sie zu verlassen, hatte geschmerzt. Er hatte deutlich ihre Sorge in der Stimme gehört und dass sie den Tränen nahe war. Aber die Anweisungen waren klar und deutlich gewesen, so sehr er sich auch hatte umdrehen wollen, um sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Ihr sollte es nicht schlecht gehen und sie sollte nicht alleine sein. Nicht seinetwegen. Aber sie war nicht alleine. Natürlich nicht. Sie hatte noch ihren Freund Nakatsu, der sich um sie kümmern würde. Alan und Eric würden sie mit Sicherheit auch nicht im Stich lassen, aber der Gedanke beruhigte ihn nicht wirklich. Im Gegenteil, es ging ihm gegen den Strich, dass sie bei ihr waren und er nicht. Denn konnte er wirklich sicher sein, dass die drei für sie auch wirklich da waren? Ronald schüttelte den Kopf. Auf Alan und Eric war Verlass. Aber Eric war ein Frauenheld. Er würde sicher nichts unversucht lassen, um mit ihr einen kleinen Flirt zu starten. Eric war auch nicht ihr Mentor. Er konnte es sich erlauben ein wenig zu flirten, solange es nicht auffiel. Ihren Freund Nakatsu konnte er gar nicht einschätzen. Er war für sie da. Das stand außer Frage, aber war er nur ihr Freund oder wollte er mehr? Konnte der Junge sie auch beruhigen, wenn sie wieder schlecht schlief? Ein Gedanke kam ihm in den Kopf. Eifersucht. Er war tatsächlich eifersüchtig, dass seine Freunde Zeit mit ihr verbringen durften und er an diesem Ort feststeckte. Der Gedanke ließ ihn nur schwer los. Ronald ballte die Hand zur Faust bei der Vorstellung, wie sie ohne ihn Spaß hatten und Eric oder Nakatsu sich an seine Schülerin heran machte. Das Brennen in seinen Augen wurde stärker und sie fühlten sich warm an. Es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Sie waren sich nahe gekommen. Viel zu Nahe. Als Mentor hätte er mehr Distanz halten sollen, aber sein Beschützerinstinkt war zu groß. Etwas Warmes lief über sein Gesicht, doch es interessierte Ronald nicht. Wie schaffte es ein Shinigamilehrling, dass seine Gedanken ein einziges Chaos und seine ganzen Prinzipien über den Haufen waren? Ein Shinigami, der nicht mal in sein Beuteschema passte und für den er sogar freiwillig auf ein Date verzichtete. Seine Gedanken drehten sich nur noch um sie und ihre Ausbildung! Wusste Grelle eigentlich, dass sie nicht schwimmen konnte und er mit ihr den Unterricht weiterführen sollte? Schon wieder! Schon wieder dachte er an sie, daran, ob es ihr gut ging und sie den richtigen Unterricht bekam. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er sich jetzt sofort zurück in seine Welt begeben, um sich davon zu überzeugen, dass Grelle sie nicht ertrinken ließ. Selbst wenn Lily sich wieder mit Armen und Beinen an ihn klammern würde, um nicht unterzugehen, wäre es ihm egal. Solange sie sich sicher fühlte und er in ihrer Nähe sein konnte, war ihm alles egal und recht. Er wollte ihr Halt geben und für sie da sein. Ronald wollte wieder mit ihr scherzen und lachen. Das Gefühl genießen, dass sie ihn beachtete und respektierte, auch wenn sie nur wenig jünger war als er selbst. In Gottes Namen und bei allen Shinigami, er wollte sich sogar mit ihr verabreden! Was war nur los mit ihm? Wieso machte ihn das alles so melancholisch und ließ sein Herz schwer werden? Ein Schniefen entfuhr ihm und mit dem Handrücken wischte er sich über das Gesicht. Heiße Tränen liefen sofort nach. Warum musste alles so kompliziert sein? Wieso musste Carry solche Probleme verursachen? Er hätte sich anders verabschieden sollen. Wenn Carry nicht gewesen wäre, hätte es vielleicht gar keinen Abschied gegeben. Ronald hatte nichts Verbotenes getan! Die Bestrafung sollte Carry gebühren, nicht ihm! Bald würde ein Bote kommen, der ihn nach Hause holte. Die Vorstellung wieder nach Hause zu können, zurück zu seinen Freunden und zu Lily, ließ sein Herz sofort höher schlagen. Aber konnte er ihr nach dem, wie er gegangen war, überhaupt noch in die Augen sehen? Konnte er ihr noch in die Augen sehen bei all den Gedanken, die er über sie hatte? Ronald Knox wollte nichts mehr, als dass sie glücklich war und durch die Prüfung kam, damit sie ein Mitglied der Gesellschaft wurde. Aber wenn jemals jemand von seinen Gedanken erfahren würde, konnte er es vergessen, ihr dabei behilflich zu sein. William würde ohne Umschweife dafür sorgen, dass er in eine andere Society versetzt werden würde. Natürlich konnte er warten bis sie ihre Prüfung bestanden hatte und er nicht mehr ihr Mentor wäre, dann gäbe es auch keine Probleme. Weder für ihn noch für sie. Es wäre alles in Ordnung und niemand in der Society würde etwas dagegen sagen, wenn er Interesse für sie hegte. Nicht einmal William konnte ihm dann die Hölle heiß machen. Würde er es tatsächlich schaffen ein Jahr zu warten? Konnte er sein Interesse solange verbergen? Natürlich konnte er es. Ronald musste sich nur Mühe geben, dann würde es schon klappen und er könnte weiterhin ihr Mentor sein, ohne dass jemand etwas erfuhr. Was war eigentlich, wenn Lily ihn nach ihrer Ausbildung nicht als Mann sondern immer noch als Mentor sah? Konnte er denn einfach so aus der Rolle für sie heraus? Vielleicht interessierte sie sich ja auch mehr für Nakatsu. Immerhin verbrachten die beiden viel Zeit miteinander und wenn sie bereits in der Lehrzeit etwas miteinander anfingen, hätte er keine Chancen. Zwischen ihnen war es erlaubt. Ronald schluckte hart und schob den Gedanken beiseite. Soweit durfte es nicht kommen! Aber was sollt er schon dagegen tun? Wenn er sich dagegen auflehnen würde, wäre alles zu offensichtlich und er könnte direkt wieder seine Taschen packen. Wütend biss er sich auf die Lippen und vergrub sein Gesicht an den Knien, die er immer noch eng an sich gezogen hatte. Es war aussichtslos. Egal wie er es angehen würde, es gab immer ein Risiko, dass seine Gedanken und Gefühle zu früh aufgedeckt würden. Er musste es schaffen, sich zusammenzureißen und sich zu beherrschen. Es war nur das Beste für Lily und auch für ihn. Ronald wollte nicht, dass sie unter seinen Gefühlen litt. Ein leises Lachen entfuhr ihm. Eine gute Sache hatte dieses Exil. Er wusste nun, dass er sich verguckt hatte. William durfte davon absolut nichts erfahren! „Bruder Ronald!“, kam es laut neben ihn. „Wir suchen dich bereits! Du kannst doch nicht einfach so das Training schwänzen! Der Meister ist sehr wütend auf dich! Komm sofort zurück!“ Ronald war nicht zusammengezuckt, blickte langsam auf. Er musste noch immer weinen, obwohl er nicht genau wusste, ob aus Verzweiflung oder Freude. Verschwommen erkannte er den jungen Novizen aus seinem Zimmer neben sich. Er blickte zu ihm herunter. Als dieser ihn so weinend vor sich sah, kniete er sich besorgt zu ihm. „Was ist passiert, Bruder?“, fragte er und legte eine Hand auf seinen Rücken. Ronald versuchte zu sprechen, brachte jedoch nur einen kehligen Laut von sich und schniefte. Er schüttelte den Kopf. „Bruder, sag mir, was passiert ist.“ „Ich…ich glaube…“ „Ja?“ „Ich glaube, ich bin….“ Er schluckte noch einmal und sein Herz setzte kurzzeitig aus bei dem Gedanken. Wenn er jetzt schon bei dem Gedanken an das Wort einen Herzinfarkt bekam, wie sollte er ihr jemals das L-Wort sagen? Er holte tief Luft um seinen Satz zu beenden. „…verliebt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)