Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 12: Regel Nr. 5: Niemand wird von der Todesliste gestrichen ------------------------------------------------------------------- Der Regen behinderte ihre Sicht und machte es ihr nicht leichter. Ein Donnergrollen ertönte und nur wenige Sekunden später erhellte ein neuer Blitz den dunklen Tag. Es war nichts zu sehen, doch Alyssa wusste genau, dass etwas aus der Hölle dort war. Der Geruch von Schwefel war deutlich in der Luft und ließ sie würgen. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen und sah in die Ferne. War dort eben nicht eine Bewegung gewesen oder hatte sie sich das nur eingebildet? Sie würde liebend gerne die Seele des Mannes einsammeln und Feierabend machen, aber Alyssa wusste, dass es zu gefährlich war. Mit einer schnellen Bewegung fuhr sie herum, doch es war nichts zu sehen. Wo war bloß Undertaker? Ihre Hände waren klamm und zitterten vor Kälte, während der Regen an ihnen hinunter lief. Wieder konnte sie eine Bewegung ausmachen. Diesmal deutlicher und sie war sich sicher, sich nicht geirrt zu haben Etwas kam in dem Regen auf sie zu. Der Gang war schwankend und der Körper pendelte in alle Richtungen. Der Kopf zuckte willkürlich. Die Schultern zuckten und es sah aus, als hätte das Wesen Schmerzen. Dort wo die Arme hätten sein sollen, war nichts und die Knochen bewegten sich unter der dünnen Haut. Das Gesicht fehlte. Es gab weder Augen noch Mund, Ohren oder Nase. Alles war von der grauen, dünnen Haut umspannt. Nur der Ansatz der Nase zeichnete sich bei genauerem Hinsehen ab. Alyssa spannte die Muskeln an und machte sich bereit anzugreifen. Langsam ließ sie die Klinge der Sense zu Boden gleiten und breitete den Arm nach hinten aus. Mit einer fließenden Bewegung schwang sie die Sense und der Stab verlängerte sich. Die gebogene und bläulich schimmernde Klinge fuhr nach oben und bildete einen Speer. Mit einem unschönen Geräusch drang die Klinge durch die Haut und durchbrach mit einem lauten Knacken die Knochen. Die Klinge kam aus dem Rücken heraus. Alyssa zog mit einem Ruck die Klinge zurück und es bildete sich wieder ihre Sense. Sie hatte genau dort getroffen, wo das Herz sitzen sollte. Das Adrenalin strömte durch ihre Blutbahnen und ihr Herz schlug schneller. Alles in ihr schrie danach fort zu laufen und sich in Sicherheit zu bringen, doch als Shinigami durfte sie die Seele nicht einfach so zurück lassen. Obwohl sie das Wesen genau ins Herz getroffen hatte, kam es weiterhin auf sie zu. Der Körper wandte sich unter Schmerzen und aus dem klaffenden Loch der Wunde triefte eine dunkelgrüne Flüssigkeit heraus. Es zischte, wenn sie auf den Boden traf und Alyssa wich langsam zurück. Angst stand in ihren Augen geschrieben. „Undy?“, flüsterte sie und schluckte hart, „Wo bist du nur?“ Ihre Augen huschten kurz zum Waldrand. Er war immer noch fort. Das Wesen bog den Körper vor und zurück, zuckte und drehte den Kopf wild hin und her. Die Haut an der Wunde schien zu beben und die Kreatur beugte den Rücken nach hinten durch. Aus der Wunde schoss ein Schwall dunkelgrüner Flüssigkeit. Alyssa wich sofort zurück, konnte aber nicht verhindern, dass die Flüssigkeit sie mit voller Kraft traf. Ein Schmerzlaut entfuhr ihr und sofort zog sie die Handschuhe aus, die mit der Substanz in Berührung kamen. Panisch warf sie diese zu Boden, wo der Stoff sich in wenigen Sekunden unter zischenden Geräuschen und Qualm auflöste. Es stank bestialisch. Sofort drehte sie sich wieder um und griff das Wesen mit der Klinge ihrer Death Scythe an. Ihr Mantel qualmte und hatte das meiste der Flüssigkeit abbekommen, doch sie hatte keine Zeit ihn auszuziehen. Alyssa stach auf das Wesen ein. Blind vor Angst zielte sie auf alle möglichen Stellen am Körper und schlug ihm am Ende den Kopf von den Schultern. Der Torso wandte sich und zuckte noch einige Sekunden auf dem Boden während der Kopf über die Straße rollte und in einer schlammigen Pfütze zum Stehen kam. Alyssa keuchte und zog schnell den Mantel aus, als sie sicher war, dass dieses Wesen sich nicht mehr rühren würde. Noch immer stieg Qualm auf. Viel Zeit zum Aufatmen blieb ihr nicht. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie aufschrecken und herumwirbeln. Alyssas Augen weiteten sich und ihre Kinnlade klappte nach unten. Sie schnappte nach Luft. Undertaker stand bei der Leiche. Er drehte den leblosen Körper herum und hielt seine Hand über den Mund des Mannes, der ein wenig geöffnet war. Zwischen den dunkelblauen Lippen erschien ein helles Licht in der Größe einer Glasmurmel. „Undertaker, was machst du da?“, rief Alyssa laut und rannte auf ihn zu, während sie im Kopf spürte, wie ihr Bannkreis sich gegen ihn wehrte. „Du wirst doch wohl nicht…? Oh mein Gott!“ Undertaker hielt das kleine Licht in den Händen. Es war die Seele des Mannes. „Hör auf! Das darfst du nicht!“, schrie Alyssa und spürte, wie ihr Bannkreis zerbrach. Langsam führt Undertaker die Seele zu seinem Mund und nahm sie in sich auf. „Alyssa! Lauf weg!“, rief plötzlich eine männliche Stimme. „Lauf weg! Es sind zu viele!“ Alyssa drehte sich um die eigene Achse, um zu sehen, wer sie gerufen hatte, aber konnte niemanden entdecken. Es klang wie Undertaker, aber das konnte nicht sein. Er stand vor ihr in dem dunklen Mantel mit seinen langen, silbernen Haaren, die er diesmal zu einem Zopf nach hinten gebunden hatte. Ein vielstimmiges und tiefes Knurren hallte durch den Wind und das Gewitter. Alyssa wandte den Kopf in alle Richtungen. In der Dunkelheit und zwischen dem starken Regen erhoben sich schuppige und schwerfällige Leiber. „Dämonen!“, rief Alyssa. „Undertaker, wir müssen weg!“ Voller Panik und Entsetzten sah Alyssa zu, wie immer mehr Dämonen auf ihren Partner zukamen. Sie fauchten, knurrten, fetzten die Lefzen und versammelten sich um den Leichnam des Mannes. Mit ihren Klauen zerfetzten sie innerhalb von wenigen Sekunden den Körper, so dass nur ein paar Kleidungsstücke auf dem schlammigen Boden zurück blieben. Alyssa umklammerte ihre Sense mit festen Händen und starrte auf Undertaker, der von den Dämonen nun umzingelt war und sich noch immer nicht von der Stelle bewegte. „Undertaker, beweg dich! Wir müssen weg!“, rief sie aus vollem Halse gegen den Sturm an. Er bewegte sich keinen Millimeter und sie fragte sich, worauf er wartete. Sie wusste er war gut, aber gegen so viele, konnte selbst er nicht gewinnen. In der Ferne erkannte sie kleine rote Gestalten, die über den Boden tanzten und den Regentropfen auswichen, wie Tänzerinnen. Sie hinterließen hellrote Bänder in der Luft. „Undertaker, jetzt steh nicht da wie ein Baum, sondern beweg deinen verdammten Arsch! Da kommen Feuerdämonen!“, schrie sie nun wütend und errichtete einen neuen Schutzkreis um sich herum. Sie wollte fort und wäre es auch schon längt, wenn Undertaker nicht wäre, den sie in Sicherheit wissen wollte. Einer der Feuerdämonen flog durch den Regen direkt auf Undertaker zu. Alyssa wollte ihm zuschreien, dass er aufpassen sollte, doch der Dämon machte einen Schlenker um ihn herum und kam mit ungebremster Geschwindigkeit auf sie zu, prallte jedoch an ihrem Schutzkreis ab. Aufgeben kam aber nicht in Frage. Sofort war der Dämon wieder auf den Beinen und versuchte gegen den Schutz erneut anzukämpfen. Seine Kollegen folgten ihm und taten es ihm gleich. Heulend und kreischend wurden sie zurückgeworfen. Alyssa wich immer weiter zurück, während ihr Blick auf Undertaker gerichtet war. Die Dämonen hatten sich vollständig um ihn herum versammelt, krümmten ihm aber kein Haar. Ihre Blicke begegneten sich. Seine Augen waren schwarz. Alyssa stieß einen Fluch aus. Deshalb hatte er die Seele verschlungen. Ein Dämon hatte seine Finger im Spiel. Es machte ihr Angst, denn bisher hatte kein Dämon Undertaker besetzten können. Ein Instinkt riet ihr zu laufen und sie erinnerte sich an die körperlose Stimme. Auf dem schlammigen Boden drehte sich Alyssa um und rannte los. In einem Sekundenbruchteil brach der Schutzkreis und die Feuerdämonen trafen Alyssas Rücken. Sie drückten sich in ihre Kleidung, brannten Löcher hinein und verbrannten ihre Haut. Ein lauter Schmerzensschrei entfuhr ihr und sie landete auf dem Boden. Nur wenige Sekunden später spürte sie, wie die Krallen eines der geschuppten Dämonen ihre Haut durchdrangen und blutige Spuren auf ihrer Haut hinterließen. Erneut schrie alles laut auf, während warmes Blut aus den Wunden trat und den Rest ihrer Kleidung durchtränkte. Alyssas Hand tastete blind nach der Sense, die sie hatte fallen lassen und trat unter größter Kraftanstrengung um sich. Ein bösartiges Fauchen war zu hören. Sie wusste, wenn sie liegen bleiben würde, würde sie sterben, doch der Schmerz in ihrem Rücken war zu stark. Ihre Finger tasteten in dem matschigen Boden noch immer nach ihrer Death Scythe, fanden den Griff und umklammerten diese. Das Gift, was die Dämonenkralle in ihren Körper befördert hatte, lief durch ihre Blutbahnen und verursachte Schmerzen. Deutlich merkte sie, wie es sich mit jedem weiteren Herzschlag in ihrem Körper ausbreitete. „Du solltest dich nicht so viel bewegen, sonst gelangt das Gift schneller zu deinem hübschen Herzen.“ Alyssa sah auf und erkannte Undertaker, der vor ihr stand. Sein Blick war kalt und eisig, als besäße er keine Seele. Die Augen waren noch immer pechschwarz. Es versetzte ihr ein Stich ins Herz, dass er sie so ansah, als wäre sie nichts weiter wert als ein Kiesel unter seinen Schuhen. „Undy, wehr dich gegen den Dämon in dir“, flehte Alyssa mit leiser Stimme und eine weitere Schmerzenswelle durchdrang ihren Körper gemischt mit heftigen Angstgefühlen. Sie befand sich mitten in einem Rudel Dämonen und ihr Partner und Freund Undertaker war von einem besessen. Abfällig schnaubte der Dämon mit dem Körper von ihm. Er beugte sich zu ihr herunter und nahm ihre Hand von der Sense. „Mit dir zu spielen wird ein ganz besonderes Vergnügen.“ Mit den warmen Lippen küsste er ihre Fingerspitzen und griff nach der Sense. Alyssa starrte ihm in die Augen, unfähig sich zu rühren. Mit einem eiskalten Blick und Lächeln auf den Lippen packte er sie an der Kehle, so dass sie keuchen musste. Nur wenige Sekunden später stach die bläulich schimmernde Klinge ihrer Sense durch ihren Oberschenkel Sofort erschien ein kleiner Strang von Cinematic Records, ihre Erinnerung. Vor Schmerzen schrie sie auf. „Eine sehr schöne Erinnerung und eine sehr schöne Stimme obendrein.“ Tränen stießen ihr in die Augen. Ihr Bein brannte vor Schmerz und ihr Rücken fühlte sich an, als würde man die Knochen kochen. Jede Sekunde die verging verteilte sich dieses Gefühl in den Knochen immer mehr. Ihr Magen schmerzte, zog sich zusammen und verkrampfte sich. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht erneut zu schreien. Ihr Körper zitterte. Alyssa schluckte ein paar Mal und atmete unruhig ein und aus. Ihr Herzschlag hatte sich beschleunigt und pumpte das Gift immer schneller in ihren Kreislauf, zusammen mit dem Adrenalin. Undertaker packte sie am Hals und hob sie vom Boden hoch. In den Händen hielt er noch immer ihre Sense. „Du kannst nicht gegen mich kämpfen.“ Der Dämon kicherte. „Nicht solange ich diesen Körper habe und das weißt du auch.“ Alyssa keuchte. Aus ihren Wunden trat noch immer Blut. „Undy…bitte…kämpf dagegen an…ich weiß, du schaffst es…“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Wenn ich dich töte, kann ich zwei Seelen mit einem Mal haben. Aber ich werde dich nicht gleich töten. Nein, ich werde zusehen, wie du langsam stirbst.“ Mühsam öffnete Alyssa die Augen, während ihr Körper zitterte und wenige Zentimeter über dem Boden gehalten wurde. „Du weißt es nicht, oder?“, fragte der Dämon und kicherte amüsiert. „Du weißt nicht, was du in dir trägst.“ „Wovon redest…du?“, presste sie hervor und konnte den süßlichen Geruch des Giftes riechen, der in ihrem austretenden Blut war. Der Dämon lachte lautstark los. Mit der Klinge der Sense zog er vorsichtig kleine Kreise über ihren Bauch. „Ich rede davon, was du in dir trägst, meine Liebe.“ „Ich trage…gar nichts…in mir…“ „Oh doch. Du weißt es nur noch nicht. Die Seele des Kindes, was du unter deinem Herzen trägst, werde ich mir besonders gut schmecken lassen.“ „Du lügst!“, stieß sie hervor. „Tu ich nicht und tief in deinem Inneren weißt du es auch.“ Undertaker packte sie für einen kurzen Moment fester am Hals und warf sie durch die Luft. Noch ehe sie auf dem Boden aufschlagen konnte, war Undertaker an der Stelle und schlug ihr mit der Faust in die Magengrube. Sie stöhnte auf und ein Schwall Blut ergoss sich aus ihrem Mund. Ihre Armknochen knackten, als sie auf einem Stein aufkam. Alyssa keuchte und versuchte ihren Blick zu fokussieren, während ihre Brille irgendwo auf der Strecke von ihrer Nase gefallen war. Nur verschwommen erkannte sie die Umgebung. Ihre weißen Haare hingen ihr wirr und feucht im Gesicht. Ihr Herz schlug schnell und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie war also schwanger, von Undertaker. Auch wenn diese Information von einem Dämon stammte und sie bekannt für ihre Lügen waren, wusste Alyssa, dass er diesmal die Wahrheit gesagt hatte. Sie hatte es schon vermutet und Dämonen konnten so etwas riechen. Also musste es stimmen. Resigniert schloss sie die Augen und hoffte auf baldige Erlösung, denn sie wollte nicht länger von dem Mann gefoltert werden, den sie so sehr liebte. Wieso geschah das? Wieso sie? Wieso musste ausgerechnet Undertaker besessen sein? Er war doch sonst so stark und kein Dämon kam an ihn heran. Er war doch Undertaker, der legendäre Shinigami. Er, der schon so viele Leben beendet und Seelen begleitet hatte, er, der sie so sehr liebte, war jetzt von einem Dämon besessen und war dabei sie zu töten. Unsanft wurde sie an den Haaren hoch gezogen und an den Baum gedrückt. Undertaker leckte sich gierig über die Lippen. Mit den Fingern strich er sanft über ihren Hals und beugte sich näher zu ihr herunter. Alyssa konnte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren und drehte den Kopf zur Seite. Sie wollte nicht in diese dunklen und eisigen Augen sehen müssen. Mit der Zunge fuhr er ihr über den Hals und Alyssa gab ein Geräusch von sich als müsste sie sich übergeben. „Dein Blut schmeckt köstlich“, seufzte der Dämon. „Deine Seele schmeckt sicherlich noch besser.“ Tränen liefen Alyssa weiter über die Wange. „Undy…bitte...hör auf damit…“, schluchzte sie. Erneut schrie sie auf. Der Dämon hatte ihr die Sense in die Schulter geschlagen. Erneut traten Cinematic Records heraus und tanzten verträumt in der Luft. „Nun ist der Augenblick gekommen“, raunte er und im nächsten Moment stieß er ihr die Sense in den Unterleib. „Jetzt wird deine Seele mir dienen.“ Ihr Herzschlag beschleunigte sich und das Blut pumpte unaufhörlich mit dem Gift in ihren Adern. Alyssa wusste, genau in dem Augenblick, als die Sense durch ihren Unterleib gestoßen worden war, dass er das Kind getötet hatte. Undertaker hob ihr Gesicht an und presste seinen Körper an ihren. Langsam näherte er sich ihrem Gesicht, schloss die Augen und beugte sich zu ihren Lippen hinunter. Deutlich konnte sie spüren, wie er versuchte ihr die Seele mit einem Kuss zu nehmen und ihr ganzer Körper sträubte sich dagegen. Der Dämon sank mit einem Mal auf ihre Schulter zusammen. „Das reicht jetzt“, sagte eine gebieterische Stimme. Erleichtert atmete Alyssa auf. Ihre Brust zog sich dabei zusammen und schmerzte als würde ihr jemand die Rippen brechen. Hoffnung keimte in ihr auf. Jemand war da, um ihr zu helfen. Vielleicht ein anderer Shinigami aus der Society? Undertaker drehte sich herum, hielt sie aber noch immer am Kragen fest. In seiner Schulter klaffte eine große Wunde. Alyssa keuchte und sah auf. Verschwommen erkannte sie eine Gestalt in einem dunklen Mantel, die einen langen weißen Stab in der Hand hielt mit silbrig schimmernder Klinge. Ohne ihre Brille konnte sie jedoch nichts Genaues erkennen, außer, dass die Person fast genauso aussah wie Undertaker, der vor ihr stand. Der Schmerz war das Einzige, was sie fühlen konnte. Er vernebelte ihr die Sinne und Alyssa wollte nur noch in die erlösende Dunkelheit. Wie konnte er ihr das antun? Wieso tat er das? Wieso geschah so etwas? Sie verstand es nicht. Ihr Herz schmerzte und fühlte sich an wie aus Blei. Vielleicht würde sie ja an dem Schmerz sterben und nicht an ihren körperlichen Wunden? Am liebsten wollte sie weinen, doch selbst dafür fühlte sie sich zu schwach. Schritte ertönten durch das Unterholz. Jemand kam auf sie beide zu. Alyssa wollte die Augen öffnen, doch es war eine zu anstrengende Bewegung, die viel Kraft erforderte. „Du bist gekommen, um ihr zu helfen, oder?“, konnte sie Undertaker hören sagen. „Du willst sie? Komm und hol sie dir! Aber erst musst du an mir vorbei!“ Ihre Füße verloren den Boden und damit den sicheren Halt. Schon halb ohnmächtig landete sie in dem kalten Wasser des naheliegenden Sees. Wasser drang in ihre Kehle und willenlos trieb sie tiefer nach unten. Ein Teil wollte kämpfen und zurück an die Oberfläche, aber die Kraft verließ sie. Sie schaffte es einfach nicht. Alyssa öffnete schwach die Augen. Nur schemenhaft erkannte sie die Oberfläche. War dort wirklich Undertakers Gesicht oder bildete sie sich das nur ein? Mit letzter Kraft streckte sie ihre Hand danach aus, konnte ihn jedoch nicht berühren. Sie sah, wie Undertaker sie mit trauriger Miene ansah und dann war er verschwunden. Alyssa hörte auf zu kämpfen und ließ sich weiter in die Dunkelheit des Sees treiben. Die Welt, Undertaker, die Seele und viele andere kleine Dinge verschwanden aus ihrem Kopf. Die Kälte des Wassers war nun ganz angenehm und der Schmerz nahm ab. Nur in ihrer Lunge brannte es und verlangte nach Sauerstoff. Alyssa konnte nicht mehr nach oben. Sie würde hier ihr nasses Grab finden und in der Dunkelheit versinken. Getötet von dem Mann, den sie liebte. Sie würde in der ewigen Zeitlosigkeit treiben, in der ewigen Dämmerung. Alleine und einsam. Sie würde weder riechen, hören, sehen, noch schmecken können, nur spüren. Ihre Seele würde niemals Frieden finden, weil es keinen Shinigami geben würde, der auf den Grund des Sees gehen würde. Die existierende und zermalmende Eintönigkeit wäre ihr Begleiter und die Erinnerung an bessere Tage eine Last, die sie zu ertragen hatte. So wollte sie niemals sterben. Nicht so. Nicht hier und nicht durch Undertaker. Hatte sie nicht versucht ein anständiges Leben zu führen? Hatte sie nicht immer die Regeln der Society befolgt? Doch nun war ihr Ende gekommen und es war der trübe und von Algen übersäte Boden eines Sees und sie war dazu verdammt, stumm und bis in alle Ewigkeit darin zu verweilen und ihrem Körper beim Zerfall zuzusehen. Wie lange trieb sie schon in den nassen Fluten? Es gab kein Zeitgefühl mehr. Waren Stunden vergangen? Vielleicht sogar Tage, Nächte, Wochen, Monate oder gar Jahre? Alyssa vermochte es nicht zu sagen. Die Ewigkeit kannte kein Zeitgefühl. Aber war das noch wichtig? Wenn sie flehen könnte, würde sie darum flehen Erlösung finden zu dürfen. Erinnerungen strömten auf sie ein. Alle Bilder ihres Lebens überfluteten sie. Fühlte so ein Mensch, wenn er starb? War es das, was er im letzten Moment seines Lebens sah? Waren die Erinnerungen das, was den Tod erträglicher machte und die nicht enden wollenden Qualen? Durch ihren Kopf schwirrten Gedanken, Bilder, Gesichter, Taten und Entscheidungen, die sie getroffen hatte. Hoffentlich würde dies bald aufhören und sie konnte sich in der Unendlichkeit der Zeit dem Wahnsinn hingeben. Ihr Körper trieb dahin und mit ihm die Hoffnung. Im Gegensatz zu ihr war der See voller Leben. Fische trieben vorbei, die Algen umspielten ihren Körper und Luftblasen stiegen auf. Dennoch fühlte sich Alyssa leer. Leer und unfähig etwas zu tun, außer sich immer wieder den Erinnerungen hinzugebend. Vielleicht war es auch besser in der Vergangenheit zu versinken und nicht mehr über etwas nachzudenken? Vielleicht konnte sie so dem drohenden Wahnsinn entkommen, wenn sie sich an das bisschen Erinnerungen klammerte? Ein neues Gefühl ergriff sie. Schmerz! Der Schmerz kehrte zurück und damit die schwere Last des Wassers, die auf ihre Lunge drückte. Es umschloss sie und hielt sie gefangen. Etwas umfasste ihren Körper mit eisernem Griff und es schmerzte so sehr, dass sie fühlen konnte, wie das Blut pochte mit jedem Herzschlag. Plötzlich durchstieß ihr Kopf die Wasseroberfläche und sie hustete und keuchte und versuchte um sich zu schlagen. Ihre Lunge zog den Sauerstoff gierig ein, während ihr Brustkorb gleichzeitig von Schmerz erfüllt war. Das dämmrige Licht blendete sie und sie kniff die Augen zusammen. Alyssa wollte schreien vor Schmerz, doch kein Laut entkam ihrer Kehle. Jemand zog ihren Körper auf harten Boden und beugte sich über sie. Er rief ihren Namen, der nur langsam in ihr Bewusstsein drang. Ihre Finger berührten feuchtes Gras und grobe Erde mit Steinen. Erneute Schmerzen durchfuhren ihren Körper und durchzuckten sie. Sie hielt die Augen geschlossen, während sie langsam begriff: Sie war nicht tot, noch nicht. Sie kämpfte immer noch mit dem Leben. Ihr Körper zitterte und wollte nur noch Erlösung finden, so wie ihr Geist. Es war verwirrend. Sie war verwirrt. Wieso war sie nicht tot? Undertaker hatte sie doch mit ihrer eigenen Death Scythe erwischt. Da war noch ein letztes bisschen Kraft und Alyssa zwang sich die Augen zu öffnen. Schwarze Punkte tanzten davor. „Du bleibst bei mir, Alyssa! Hörst du mich? Du bleibst bei mir! Du darfst nicht gehen! Dein Herz muss weiterschlagen!“ Undertaker? War es wirklich seine Stimme, die sie da hörte und die so weinerlich klang? Hatte er den Dämon aus seinem Körper vertreiben können? Alyssa zwang sich den Mund zu bewegen und ihre Stimmbänder dazu zu bringen, Töne von sich zu geben. Es war nur ein Flüstern. „Du…“, keuchte sie und irgendwie schaffte sie es zu lächeln. „Was…was ist passiert? Dein Gesicht…!“ Sie konnte genauer hinsehen und erkannte klar und deutlich Undertakers Gesicht, das voller Blut war. Sein weiß-silbernes Haar hing nass an ihm herunter. Seine Kleidung hatte es nicht besser getroffen. Er weinte nicht, aber es standen Tränen in seinen Augen hinter der Brille. So viele Gefühle spiegelten sich in seinen Augen: Angst, Sorge, Trauer, Schmerz, Müdigkeit, Liebe. „Es tut mir so leid!“, schluchzte er. „Ich wollte dich nicht alleine lassen! Aber…die Obersten sagten es! Ich kann dich nicht von der Liste streichen! Ich muss dich mitnehmen! Es tut mir so leid! Ich wollte dich nicht dem Dämon überlassen!“ Alyssa verstand die Worte nicht ganz. Es war auch gleich. Undertaker war an ihrer Seite und es war nicht er gewesen, der ihr das angetan hatte. „Dann tu…das…was deine…Aufgabe ist…“, flüsterte sie und schob die nahende Dunkelheit von sich. „Aber…“ „Du kennst….die Regeln…Undy…“, keuchte sie und zog ein letztes Mal seinen Geruch ein. Flossen ihr jetzt auch Tränen die Wange entlang oder war es nur Wasser vom See, dass ihren Augenwinkel streifte. „Wir ernten die Seelen….nüchtern, sachlich und…emotionslos…“ „Ich weiß…“, flüsterte er und zog sie an sich. „Dann tu das…oder muss ich…mich im…im Augenblick meines Todes…selbst töten und den Gnadenstoß geben?“ Undertaker entfuhr ein Schnauben, dass wie ein unterdrücktes Lachen klang zwischen den Schluchzern. „Du bist unmöglich“, sagte er. „Selbst in diesem Augenblick machst du noch Witze.“ Alyssa schloss halb die Augen und erkannte verschwommen eine Bewegung. Rieb er sich wirklich Tränen aus den Augen? „Aber…deswegen liebst du…mich doch…“ Sie schaffte es schwach zu grinsen, während Undertaker ihr im nächsten Moment einen letzten Kuss gab. „Ich werde auf dich warten“, flüsterte er. „Ich werde deine Seele immer wieder erkennen, wenn du wiedergeboren wirst. Immer.“ Vorsichtig legte er ihren Körper in das Gras. Alyssa schloss die Augen und wartete auf den Stoß der Sense. „Ich liebe dich…“, flüsterte sie und eine weitere Träne bahnte sich ihren Weg aus dem Augenwinkel. „Ich dich auch“, gab Undertaker zur Antwort und küsste sie auf die Stirn. „Ich werde ganz sanft sein.“ Ein Nicken brachte Alyssa nicht mehr zustande. Die Dunkelheit war ihr ein willkommener Freund. Ein Zischen ging durch die Luft und im nächsten Moment spürte sie, wie die Klinge der Sense in ihr Herz stieß. Ihre Augen weiteten sich kurz und erkannten noch Undertaker, wie er die Augen zusammen gekniffen hatte, während er die Sense mit beiden Händen fest umklammert hielt. Sein Gesicht war vor Schmerz und Trauer verzerrt. Ein Sog trennte sie vom Körper. Das Augenlicht erlosch und die Lider schlossen sich. Sie hörte noch, wie Undertaker zu Boden sank und seinen Schmerz hinaus schrie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)