The darkest thrill von Porzellan_Puppe (NaruSasu) ================================================================================ Prolog: The hell where youth and laughter go -------------------------------------------- "Sasuke?" Die Scheinwerferlichter von vorbeifahrenden Autos malen Schattenspiele an die Wand und in den zirkulierenden Zigarettenqualm vor dem Fenster. Irgendwann werden sie sich einräuchern, denkt Naruto, ihr eigenes Grab schaufeln, eines Nachts im Schlaf ersticken, weil keiner von beiden bei den winterlichen Temperaturen das Fenster öffnen wollte. Wenn sie vorher nicht auf eine andere, mehr oder weniger spektakuläre Weise ums Leben kommen. Das sagen zumindest die Online-Tests, aber bisher hat der Tod noch auf keine ihrer Einladungen reagiert und langsam fängt Naruto an zu zweifeln, dass er sich jemals blicken lassen wird. Sasukes kleine Aktion vor ein paar Stunden wäre eine tolle Gelegenheit gewesen, als er sich betrunken und sturköpfig in die Themse geworfen hat, um eine Wette zu gewinnen, obwohl er kaum schwimmen kann und es furchtbar kalt war und Narutos Herz für einen Moment fast aufgehört hätte zu schlagen. Aber dann hat ihn die Hafenwacht aus dem Wasser gefischt, die darüber nicht sehr amüsiert war, und jetzt liegen sie hier, in ihrer warmen, trockenen Wohnung, als wäre nie etwas passiert. Es ist still und dunkel und Sasuke riecht nach Tabak und Whiskey, nach Teen Spirit und nach Freiheit. "Bist du wach?", flüstert Naruto dem Gewirr aus schwarzen Haaren zu, das es sich auf seinem Oberkörper bequem gemacht hat. Eine Sekunde vergeht in Stille, dann noch eine. Ungeduldig schnickt er gegen Sasukes Kopf. Irgendwo draußen heult ein Autoalarm auf. Er spürt mehr als er hört, wie Sasuke etwas gegen seine Bauchdecke nuschelt. Wo eigentlich Wörter sein sollten, sind nur träge Lippenbewegungen und kleine Atemzüge, die auf seiner nackten Haut kitzeln. Aber wahrscheinlich war es sowieso nie Sasukes Absicht, verständlich zu klingen. Das ist auch nicht schlimm. Wenn er etwas Wichtiges zu sagen hätte, würde er sich schon deutlich machen, jedenfalls vertraut Naruto darauf. "Mir ist gerade eine gute Songzeile eingefallen", erklärt er und hofft, dass Sasuke genauso wie er findet, dass das ein sinnvoller Grund ist, um ihn zu wecken. Auch, wenn er sehr desinteressiert aussieht und nicht einmal die Augen aufgeschlagen hat. "Kannst du sie dir nicht bis morgen merken?" "Nein." "Dann schreib sie halt irgendwo auf." Papier ist nicht in Reichweite, aber ein schwarzer Edding liegt nur eine Armlänge von Naruto entfernt, halb unter einem Stapel von CDs verschüttet. Das Kartenhaus aus Britpop und Punk fällt in sich zusammen, als er den Stift wie ein Mikadostäbchen herauszieht und den Deckel abschraubt. Sasuke war wohl der Meinung, mit seinen zwei Sätzen genug zur Thematik beigetragen zu haben, und ist inzwischen wieder eingeschlafen oder tut zumindest so, das lässt sich nicht genau sagen. Eigentlich spielt es auch gar keine Rolle, denn die Decke ist ein Stück heruntergerutscht, gibt Sasukes Schulterblätter frei und Naruto kann sich gerade keinen geeigneteren Platz für seine Lyrics vorstellen. Die Wörter sind geschrieben, bevor Sasuke reagieren kann—eddingschwarz auf zu blasser Haut, und das schwache Mondlicht setzt ergänzende Akzente. Aber Narutos Kunstwerk hält nicht lange, denn Sasuke schreckt hoch, bewegt sich damit mehr als er es die letzten paar Stunden getan hat, und sieht überhaupt nicht glücklich aus. "Was soll der Scheiß, Naruto?! Steh auf und hol dir Papier, schreib es von mir aus auf den Boden oder so, aber nicht auf mich!" Die Worte hallen ein bisschen zu laut für drei Uhr nachts, sind aber eher unpassend als einschüchternd, und Naruto hält grinsend eine Finger an seinen Mund, obwohl es ihm eigentlich egal ist, ob die Nachbarn aufgeweckt werden oder nicht. "Was ist falsch mit dir?", fügt Sasuke nachträglich hinzu, diesmal ein paar Dezibel leiser und mehr in sich hinein gemurmelt als eine ernsthaft an jemanden gerichtete Frage. Und dann das obligatorische "Fick dich". Naruto beobachtet ein paar Sekunden, wie Sasuke sich verbiegt, um das Ausmaß des Schadens auf seinem Rücken inspizieren zu können, dann fängt er an, ihn auszulachen. Er lacht trotz (vielleicht auch ein bisschen wegen) des schmerzversprechenden Blickes, der ihm warnend zugeworfen wird, und er lacht noch immer, als Sasuke den Stift in seiner Hand entdeckt ("Das ist ja verfickter Edding!") und anfängt, halbernst auf ihn einzuprügeln. Es tut zum Glück kaum weh, denn er kann sich gerade nicht richtig wehren, aber die Schläge werden fester und zwingen ihn dazu, zwischen dem Lachen atemlose "Hey, hey, hör auf Sasuke"s hervorzukeuchen. "Irgendwann geht auch Edding ab. Ich kenn mich damit aus!" "Ahja?" Naruto antwortet ihm mit einem versichernden Nicken, das in etwa die Glaubwürdigkeit einer Jamba-Sparabo-Werbung enthält. Dann fängt er an zu grinsen. "Das einzige, was dich stören sollte, ist, dass du es nicht lesen kannst. Ich hab mich nämlich mal wieder selbst übertroffen!" "Hah. Natürlich." Sasuke ist gar nicht mehr wütend, wenn er es denn je war. Mit einem Schulterzucken beschließt er, das Problem einfach auf morgen zu verschieben, und drapiert sich wieder halb über die Matratze, halb über Naruto. Der Autoalarm hat sich inzwischen beruhigt und ohne jede Geräuschkulisse ist es sehr sehr still in der Wohnung, aber das macht Sasukes genuschelte Belanglosigkeit auch nicht verständlicher. Wahrscheinlich war es sowieso nur ein 'Gute Nacht'. --- Es hätte ein schöner Tag werden können, denkt Naruto und steckt sich eine Zigarette an. Das Wetter ist freundlich, warm, aber davon hat er bis jetzt noch nicht viel mitbekommen, weil er geschlafen hat, tief und fest und erholsam. Und dann kam der Anruf von Kakashi, der fünfte, der ihn wohl in einer ungünstigen Schlafphase erwischt haben muss, denn von den anderen vier ist er nicht wach geworden. Kakashi klang wenig erfreut, eher genervt von der Situation, der ganzen Welt, seinem Job vielleicht. Im Hintergrund konnte man für ein paar Sekunden Sasuke nuscheln hören und das war es dann auch, eigentlich. Naruto hat bis dato nicht gewusst, dass er so früh am Morgen zu so heftigen Gefühlen fähig ist. Zwei Stunden und einige Muntermacher später steht er dann also hier, die Sonne blinzelt ihn verstört an, während er blaugraue Rauchwolken in die Sommerluft pustet. Eigentlich wollte er nicht kommen, will er an sich immer noch nicht, aber irgendwann soll das Album ja auch fertig werden und seine Parts singen sich nicht von alleine. Je schneller die ganze Sache vorbei ist, desto besser. Aber das lässt sich so einfach sagen, hat sich in seinem Kopf eben noch ganz wunderbar angehört, nur erklärt es nicht, wieso er immer noch hier draußen steht, vor den Türen des Tonstudios, wie ein herumlungernder Teenager, der nicht hierher gehört. So fühlt er sich auch, ein bisschen. Die Zigarette ist inzwischen abgebrannt und zu einem kleinen Stummel in seiner Hand reduziert worden, den er achtlos auf den Boden wirft und mit seinem Schuh zerdrückt. Auf der anderen Straßenseite stehen zwei junge Mädchen, die ihn neugierig anstarren, und Naruto fragt sich, ob sie ihn erkannt haben und vielleicht mit nach Hause in seine Wohnung kommen möchten, denn jeder Grund, sich einfach umzudrehen und zu gehen, ist gerade willkommen. Aber bevor er sich überlegen kann, wie er sie ansprechen soll, sind die beiden schon wieder weitergelaufen. Unruhig klopft er mit den Fingern einen undefinierbaren Rhythmus auf seine Oberschenkel, läuft ein paar Mal vor dem Eingang des Tonstudios hin und her. Nachdem er zum zweiten Mal über eine leere Coladose gestolpert ist, wirft er die Hände in die Luft, reißt die Türen auf und tritt ein, bevor er es sich anders überlegen kann. Es ist nicht schwer, den richtigen Weg in dem Gebäude zu finden, denn es ist leer und dunkel bis auf einen Raum aus dem leise Stimmen dringen. Das Zimmer ist mit unästhetischem Energiesparlampenlicht beleuchtet, das wie zur Begrüßung einmal kurz flackert, als Naruto die Tür öffnet. Automatisch fällt sein erster Blick auf Sasuke, der auf dem Sofa sitzt und in der rechten Hand eine glimmende Zigarette hält, in der linken ein halbleeres Glas Scotch, das trüb und billig und ein bisschen nach schäbigem Pub aussieht. Er pendelt irgendwo zwischen Trance und Sekundenschlaf, was auch erklärt, wieso sich seine Körperhaltung erst versteift, als Naruto schon mitten im Raum steht. Ansonsten kommt keine Reaktion von ihm und Naruto beschließt, ihn einfach genauso zu ignorieren. Er grüßt Kakashi und Yamato und auch die zwei Security-Leute, die extra angestellt wurden, nachdem ein Streit zwischen ihm und Sasuke vor ein paar Wochen eskaliert ist. Es war keine schöne Angelegenheit—hat sehr harmlos angefangen mit ein paar Beleidigungen und verletzenden Worten, dann hat einer von beiden zugeschlagen und auf einmal war da ein Messer in Narutos Gesicht. Letztendlich ist nichts passiert, aber es hätte etwas passieren können, und als Konsequenz ruhen seither zwei Paar Augen auf jedem Schritt, den er macht—wachsame von einem der Sicherheitsmänner und hasserfüllte von Sasuke. Aber Aufnahmen machen funktioniert auch, ohne dass man direkt miteinander sprechen muss. Yamato hat die Situation ganz gut im Blick und übernimmt die Leitung, denn er hat inzwischen genug gesehen, um zu wissen, dass es im Moment am Sichersten ist, wenn Sasuke und Naruto so wenig miteinander interagieren müssen wie möglich. Deshalb beschränkt er sich erst einmal auf die Instrumentalspuren, denn das ist einfacher und ungefährlicher als zu singen, wie sehr man dem anderen ins Gesicht schlagen möchte. Also scheucht er alle zu den Instrumenten, auch Shikamaru, der vor wenigen Sekunden noch schlafend in der dunkelsten Ecke des Raumes gelegen hat, und Choji, der eigentlich gerade dabei war, einen Schokoriegel zu essen. Aber keiner von beiden protestiert, weil auch sie wissen, wie einmalig diese Chance vielleicht ist und wie leicht sie zerbrechen kann. Kakashi nimmt seinen Platz neben Yamato ein, der noch ein paar Anweisungen gibt und das Lied bestimmt, das jetzt eingespielt werden soll. Sonst hat er immer die Band entscheiden lassen, aber Sasuke würde gerade jeden Vorschlag von Naruto aus Prinzip und kindischer Sturheit strikt ablehnen und umgekehrt genauso, woraus schneller ein Gemetzel entstehen würde, als irgendjemand reagieren könnte. Und Yamatos Plan geht auf, es sieht zwar niemand glücklich dabei aus, aber sie spielen, und zwar in einer Weise, die noch annehmbar ist, auch wenn es sicher nicht zu ihren besten Leistungen gehört. Sasukes Riffs fehlt die Energie und Naruto vergreift sich oft, aber es ist nichts, worüber man nicht hinwegsehen könnte. Der erste Song ist nach fünf Durchgängen im Kasten und Naruto atmet erleichtert aus. Seine Haare kleben an der Stirn, seine Fingerkuppen tun weh und Sasuke sieht genauso fertig aus, wie er sich fühlt, was ihm ein verstohlener Blick zur Seite verrät. Als Erfrischung dient ihm der Rest Scotch in seinem Glas und Naruto ist überzeugt, den Grund gefunden zu haben, wieso Sasuke heute so schlecht spielt, während er selbst eine herumstehende Flasche Bier öffnet und einen großen Schluck daraus nimmt, bevor die Aufnahmen wieder weiter gehen. Eineinhalb Stunden später stößt Naruto einen frustrierten Schrei aus. Er ist müde, unausgeglichen und abgesehen von dem einen Song haben sie nichts aufgenommen, was auch nur annähernd gut genug für ein Album ist. Es ist nicht einfach, mit zitternden Händen zu spielen, und es wird nicht besser, je länger es dauert. Sowohl Kakashi als auch Yamato sehen erschöpft aus hinter der Glaswand und Naruto beobachtet, wie sie etwas miteinander bereden, bevor einer auf den Lautsprecherknopf drückt und vorschlägt, eine Pause zu machen. Niemand hat etwas dagegen und der Raum leert sich, bis nur noch Naruto übrig bleibt—und Sasuke, der anscheinend ein großes Problem mit irgendetwas hat, so aggressiv, wie er ihn anstarrt. Naruto zählt leise die Sekunden, die vergehen, bis Sasuke das Schweigen bricht. 7, 8, 9… "Wenn du so weiter machst, spielt Kakashi deine Gitarrenparts." Da ist er, der Grund, wieso Naruto zu Hause bleiben wollte. Eigentlich sagt Sasuke es sehr leise und undeutlich, aber da schwingt etwas in seiner Stimme mit, das gerade zu viel ist. Wütend wirbelt Naruto herum. "Was ist dein Problem?!" "Du bist das Problem. Du warst noch nie gut, aber heute hast du bis jetzt jeden Take versaut. Ich hab keine Lust mehr." "Dann geh' doch heim." "Nein. Ich will das endlich mal fertig kriegen. Wer weiß, wann du das nächste Mal auftauchst? In ein paar Monaten?" Das ist übertrieben, findet Naruto, es ist bloß zwei Wochen her, seit er sich das letzte Mal ins Aufnahmestudio getraut hat, und eigentlich ist es ja auch Sasukes Schuld, dass er lieber einen großen Bogen darum macht. "So muss ich dich immerhin nicht jeden Tag sehen. Das tut gut, echt jetzt." "Dann krieg deine verfickten Akkorde auf die Reihe und wir brauchen uns nie wieder zu sehen." "Fick dich! Du machst genauso viele Fehler, also tu nicht so, als wär das alles meine Schuld!" Sasukes Blick verfinstert sich und nimmt arrogante Züge an, mit denen er auf Naruto herabschaut, was nicht ganz klappt, weil er ein Stück kleiner ist, aber es hat trotzdem genug Wirkung. "Ich spiel ja auch die Leadparts. Und du kriegst nicht mal ein mickriges G richtig gegriffen. Woran liegt das wohl, hm? Also halt die Klappe." "Halt du doch die Klappe!" "Was Besseres fällt dir nicht ein, huh?!" "Fick dich! Das ist doch alles Scheiße!" Frustriert und wütend tritt Naruto gegen den Mikrophonständer vor ihm, der scheppernd zu Boden kracht und dabei mehr Lärm macht, als irgendjemand erwartet hätte. Ein paar Sekunden ist es still und angespannt, in denen beide nur auf den Funken warten, der alles explodieren lässt. Aber er kommt nicht. Stattdessen sind besorgte Schritte auf dem Gang zu hören und es dauert nicht lange, bis einer der bulligen Securitymänner im Türrahmen erscheint, der sie eigentlich von vorneherein nie hätte aus den Augen lassen sollen. "Was ist los?", fragt er in den Raum hinein, den Blick auf den umgefallenen Mikrophonständer geheftet. Sasuke schnaubt nur, zuckt mit den Schultern und für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde er es gut sein lassen, sich wegdrehen und gehen, aber er überlegt es sich anders, hält in der Bewegung inne, bevor er sich umdreht und mit abschätzigem Kopfnicken auf Naruto verweist. "Nichts, er kommt nur mit dem Stoff nicht klar." "Was war das?!" Naruto hat alles sehr genau verstanden und will diesen Satz auch eigentlich gar kein zweites Mal aus seinem Mund hören. Aber das ist wohl irgendwie menschlich, nochmal nachzufragen, als rhetorisches Mittel, wenn einen etwas sehr wütend gemacht hat, und die Antwort am Ende doch nicht abzuwarten. Denn der dunkelhaarige junge Mann mit der zerkratzten Gitarre, die so sorglos von seiner Schulter hängt, kommt nie dazu, seinen verbalen Seitenhieb zu wiederholen. Er schafft es nicht einmal, das boshafte Lächeln voll zu etablieren, das sich auf seinem Gesicht gebildet hat, nachdem er gemerkt hat, dass seine Worte getroffen haben. Es friert plötzlich ein, dann verschwindet es ganz von seinem Gesicht und weicht einem Schrei, als sein Kopf hart auf dem Linoleumfußboden aufschlägt. Die nächsten Sekunden sind weiß und rot und schwarz, und eigentlich nur Schmerz, der in ein Farbschema übersetzt wird. Jemand sitzt auf ihm, schlägt auf ihn ein, mit der vollen Absicht zu verletzen, die fast schon an roher Mordlust kratzt. Aber dann ist es vorbei. Die brennenden Punkte vor seinen Augen lösen sich auf, ein paar blinzelt er weg, und die Sicht wird freigegeben auf seinen ehemaligen-immerwährenden-vielleicht-noch Besten Freund, der gegen den unbeugsamen Griff des Bodyguards anzukämpfen versucht und ihm Flüche aus seinem tiefsten Herzen entgegen schreit. Schwer atmend stützt er sich mit einem Ellenbogen auf, fährt sich durch die dunklen Haare, wischt ein bisschen Blut aus seinem Gesicht. Die Gitarre liegt halb auf ihm, aber ihr ist nichts passiert, und alles andere ist nur halb so schlimm. Darum ist es auch nicht schwer, wieder ein Grinsen zustande zu bringen, auch wenn ihm der Grund dafür inzwischen abhanden gekommen ist, und herausfordernd in die feindlichen blauen Augen seines Gegenübers zu starren. "Komm doch." Er lacht leise, aber es ist ernst und tonlos. Blaue Augen blitzen. Seine Stimme überschlägt sich. "Hier bin ich, also komm doch her!!" Aber der einzige, der kommt, ist Kakashi, gefolgt von Yamato, der ihm den Blickkontakt mit Naruto durchtrennt, weil er sich vor ihn stellt, um mit ernster Stimme auf ihn einzureden. Irgendwo am Rande registriert Sasuke, wie sich Kakashi neben ihn kniet und mit ihm spricht, aber er starrt noch immer Brandlöcher in die Stelle von Yamatos Kopf, hinter der er Narutos Augen vermutet. Erst als Hände die Gitarre von ihm heben und vorsichtig seinen Hinterkopf abtasten, gibt er auf und schaut hoch in Kakashis besorgtes Gesicht. "Wir machen Schluss für heute, ja, und du lässt dich untersuchen. Niemand kann einen Gitarristen mit Gehirnerschütterung brauchen." Sasuke ist sich ziemlich sicher, dass mit seinem Kopf alles in Ordnung ist, aber er lässt sich trotzdem von Kakashi auf die Beine helfen und raus aus dem Raum bringen, damit er sich die Konfrontation mit Naruto sparen kann. Yamato redet noch immer auf ihn ein, inzwischen hat er sich aber aus dem Griff des Bodyguards befreit und läuft haareraufend den Raum auf und ab, während er immer wieder versichert, dass es nicht seine Schuld war, dass Sasuke praktisch darum gebettelt hat. Vielleicht hat er das auch, ein bisschen. Es war irgendwann einmal anders. Wenn er jetzt an Naruto denkt, sieht er Missgunst und Nicht-im-selben-Raum-sein-können, eine unüberbrückbare Kluft und manchmal sogar aufrichtige Mordlust. Auch die Vergangenheit war mit mehr Konflikten gespickt, als Sasuke zählen kann, aber präsent sind eigentlich nur noch die guten Momente. Das hat sich inzwischen verloren und jeder von beiden kann ganz genau erklären, wieso der jeweils andere Schuld ist. Eigentlich ist es nicht viel mehr als ein Scherbenhaufen, was von ihnen übrig bleibt, und das ist viel schlimmer als Nichts, weil man sich so leicht daran schneiden kann. ----------- Oi. Erste FF seit langem, die ich mich traue, hochzuladen, aber ich bin gerade hochmotiviert. :D Das war also das erste Kapitel einer voraussichtlich langen Multichap-Fic. Gut? Eher nicht so? Ich freue mich über jede Meinung! :DD Btw, für die, die es nicht bemerkt haben: Zwischen den beiden Teilen liegt ein Zeitsprung. Der Rest der FF beschäftigt sich mit dem Davor, Danach und Dazwischen. Hoffe, es hat gefallen. :) Kapitel 1: London calling ------------------------- Es ist ein tolles Gefühl, aus dem Zug zu steigen, tief die Londoner Stadtluft einzuatmen und zu wissen, dass man jetzt einen ganz neuen Abschnitt seines Lebens beginnt, der alles vorige in den Schatten stellt. So hab ich mir das zumindest überlegt. In Wirklichkeit war es nur Gedrängel und Hektik und allgemeine Reizbarkeit, weil mir irgendein Trottel seinen Koffer auf den Fuß fallen lassen hat. Auch auf dem Bahnsteig ging es so weiter, ich bin stehen geblieben und hab mich nach meinem Onkel umgesehen, der versprochen hatte, mich abzuholen, und das hat wohl jede zweite Person als Aufforderung verstanden, mich im Vorbeigehen anzurempeln. Aber das hat meine Laune nur ein bisschen getrübt, wirklich, um mir die Vorfreude in dem Moment zu nehmen, hätte es schon einen Nuklearangriff gebraucht oder etwas in der Größenordnung. Ich bin zwar nicht zum ersten Mal in London, aber vorher war es als Tourist und das macht einen großen Unterschied. Jetzt ist es mein Zuhause, meine Wahlheimat. Oder das soll es zumindest werden. Ich bin dieses Jahr mit der Schule fertig geworden und hab verzweifelt versucht, in irgendein Musikprogramm reinzukommen, aber jede Uni hat mich abgewiesen. Irgendwie war das auch logisch; in der Schule war ich nie besonders gut und meine musikalischen Kompetenzen haben bei vier Gitarrenakkorden aufgehört. Aber damals wollte ich das nicht sehen und war furchtbar wütend. Es war vielleicht auch keine gute Idee, sich ausschließlich bei renommierten Hochschulen zu bewerben, aber auch das ist mir erst Mitte April klar geworden, als ich die Absage von der Royal Academy of Music in der Hand gehalten habe. Und da wurde es dann langsam deutlich, dass ich mich, obwohl ich meine Abschlussprüfungen noch nicht mal abgelegt hatte, zumindest für das Wintersemester wohl nach etwas anderem umschauen musste. Tröpfchenweise sind dann auch die Ablehnungen der anderen Universitäten angekommen und nicht ein einziges Mal wollten die mich auch nur für ein Vorspiel einladen. Sowas ist frustrierend. Dabei waren meine A-Levels am Ende gar nicht mal so schlecht, in Sport hatte ich immerhin ein B, nur Musik und Literatur waren nicht so gut. Ein halbes Jahr nur zu Hause rumzusitzen, ist nie infrage gekommen. Ich bin in einer langweiligen, mittelgroßen Ortschaft irgendwo in Dorset aufgewachsen und wollte schon als Kind so bald wie möglich weg von dort. Also habe ich beschlossen, nach London zu gehen, um ein bisschen zu arbeiten und zu leben und mich einfach in einem halben Jahr nochmal zu bewerben. Meine Eltern hatten keine Einwände, haben dafür vorgeschlagen, bei meinem Onkel Jiraiya zu wohnen, weil die Mieten so teuer sind. Jiraiya schreibt. Zeitungsartikel, die niemanden interessieren, als freier Journalist oder Groschenromane, die niemand liest, als Schriftsteller. Irgendwo nimmt er trotzdem sein Geld her—er schwimmt nicht darin, aber es reicht aus, um so wenig wie möglich zu arbeiten und stattdessen den ganzen Tag mit irgendwelchen Recherchen zu verbringen. Das ist eigentlich eine angenehme Art zu leben, vielleicht nur etwas unspektakulär auf Dauer. Wenn das mit der Musik nicht klappen sollte, versuche ich einfach mein Glück als Autor. Es dauert nicht lange, dann entdecke ich endlich ein bekanntes Gesicht in der Menschenmasse und rennen erleichtert winkend auf ihn zu, so gut das mit einem Koffer im Schlepptau geht. Jiraiya begrüßt mich, sieht sogar ernsthaft froh aus, mich zu sehen. Er führt mich aus dem Bahnhof, zu seinem Auto, das irgendwo in einer Seitenstraße parkt. Die Fahrt dauert ein bisschen, weil der Verkehr in der City so stockend ist, aber es wird nach einer Weile besser. Jiraiya wohnt ein ganzes Stück abseits der Innenstadt, allerdings nicht weit genug, dass die Gegend ihren urbanen Charakter verliert. Haus reiht sich an Haus, meistens aus Backstein und nicht allzu groß. Man kann die einzelnen Häuser nur an der Nummer erkennen, denn links und rechts und gegenüber erstrecken sich exakte Replikate, die ganze Straße entlang. Aber ich war schon oft genug hier, um mich einigermaßen zurecht zu finden. Wir halten irgendwo in der ungefähren Mitte der Straße an, vor einem Haus mit kitschigen Plastikflamingos im Vorgarten, aber das ist nicht Jiraiyas, sondern das seiner Nachbarin, einer alten exzentrischen Frau, die mich früher immer in die Wangen gekniffen hat, wenn ich zu Besuch war. Ich habe mir vorgenommen, ihr so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Jiraiya schließt schonmal die Tür auf, während ich meinen Koffer aus dem Auto hebe und ihn hinter mir herzerre. Der Flur sieht genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hab, und der Rest des Hauses wahrscheinlich auch, so groß ist es ja nicht. Ich bekomme ein eigenes Zimmer im ersten Stock, das vor vielen vielen Jahren vielleicht einmal für den Nachwuchs geplant war, bevor sich Jiraiya nach einer Hand voll unbeständiger Beziehungen für ein ewiges Dasein als Single entschieden hat. Dementsprechend spärlich ist es auch eingerichtet; es gibt ein schmales Einzelbett mit nichtssagender hellblauer Bettwäsche und Ikea-Nachttisch daneben, in der Ecke gegenüber steht ein kleiner Kleiderschrank aus Holz. Es ist nicht sonderlich hell, weil es nur ein Fenster gibt und das nicht besonders groß ist, aber das reicht aus. "Dann lass ich dich mal auspacken. Ich bin unten, wenn du was brauchst", verkündet Jiraiya, bevor er die Tür hinter sich schließt und die Treppe runter geht. Ich werfe meinen Koffer auf das Bett, das beängstigend quietscht, und fange an, mich in dem Zimmer ein bisschen einzurichten, schließlich wird das hier mein neues Zuhause für die nächsten Jahre sein. Bis ich genug Geld für eine eigene Wohnung hab, auf jeden Fall, und das kann noch dauern. In den nächsten Tagen führt mich Jiraiya ein bisschen in der Gegend herum, nimmt mich mit in seinen Stammpub und gibt mir Tipps, wo man hier die schönsten Mädchen antreffen kann. In ein paar Monaten werde ich nicht mehr einen Sicherheits-Stadtplan in meiner Jackentasche herumtragen müssen und auf diesen glorreichen Tag freue ich mich jetzt schon. Immerhin weiß ich, wie ich mit der U-Bahn am schnellsten in die City komme, auch wenn ich da nur halb so oft bin, wie ich eigentlich gerne wäre. Die goldene Zukunft, von der ich geträumt habe, ist zwar noch nicht zu sehen, aber manchmal glitzert es an der ein oder anderen Ecke. Manchmal sieht aber auch alles schrecklich düster aus und dann frage ich mich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, zu Hause geblieben zu sein, wo ich Freunde und Familie hab. Denn es ist nicht einfach, in einer so großen Stadt Leute kennen zu lernen, wenn man weder Job noch Studienplatz hat und eigentlich nirgendwo wirklich hingehört. Aber Freunde zu finden, ist mir nie schwer gefallen, und so hab ich mich zu einer In-Diskothek aufgemacht, von der ich mal gelesen hatte, nur, um die halbe Nacht in der Schlange zu stehen und dann nicht reingelassen zu werden. Daraus hab ich aber gelernt und gehe am nächsten Tag stattdessen in eine einfache Bar, die mich auf meinem Weg durch die Innenstadt angelacht hat. Die Einrichtung ist modern, die Atmosphäre ein bisschen kühl und ich schaue mich nach einem Platz um, wo ich mich hinsetzen kann. Ein Mädchen sitzt alleine an einem Tisch und spielt gelangweilt mit ihren Haaren, die rosa sind aus irgendeinem Grund. Unfall beim Färben, wahrscheinlich, aber ich werde sie besser nicht darauf ansprechen. Stattdessen gehe ich zu ihr hin, frage, ob der Platz an dem Tisch frei ist, und nachdem sie lächelt und einmal kurz nickt, ob ich mich zu ihr setzen darf. "Natürlich. Gesellschaft wäre schön." Sie ist sehr hübsch, auf klassische Weise, mit blasser Haut, herzförmigem Gesicht, großen grünen Augen und vollen Lippen. Ein paar Sekunden schauen wir uns schweigend an, aber das wird schnell komisch und sie sieht nicht so aus, als würde sie von sich aus anfangen zu reden. "Wieso sitzt du allein?", frage ich deshalb, weil ich wirklich keine Ahnung habe, was jemand wie sie allein in einer Bar macht. "Ich hab mich eigentlich mit einem Freund hier verabredet, aber er hat abgesagt." "Oh." "Naja, passiert", antwortet sie schulterzuckend und zwirbelt eine rosa Haarsträhne zwischen ihren Fingern, die rot lackiert sind. Dann herrscht wieder Stille. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass sie gar keine Lust auf eine Konversation hat. Vielleicht mag sie ja was trinken, vor ihr steht jedenfalls noch kein Glas. Sie sieht jung aus, jünger als ich, wenn auch nicht viel, aber definitiv nicht alt genug, um sich Alkohol kaufen zu können, ohne nach dem Ausweis gefragt zu werden. "Ich geh mir kurz was zu trinken holen. Willst du auch was?" "Oh ja, gerne, einen Cosmopolitan, bitte." Sie lächelt mich an und davon beflügelt eile ich an die Bar, um wenig später mit ihrem Cocktail in der Hand und einen Longdrink für mich zurückzukehren, die ich beide auf den Tisch stelle. "Wieviel kriegst du?" Ich bin noch dabei, mich wieder hinzusetzen, als sie zu ihrer Handtasche greift und das Portemonnaie rausholt, aber ich schüttle den Kopf. "Nein, nein, das geht auf mich, ich hab dich eingeladen." “Oh. Dankeschön.“ Sie antwortet mit einem süßen Lächeln, für das ich jederzeit wieder £7 ausgeben würde, und mein Herz klopft. Ich glaube, ich habe mich ein kleines bisschen in sie verliebt. Oder zumindest in ihr Lächeln. Denn eigentlich hat sie ja kaum gesprochen. "Erzähl mir was über dich", verlange ich nach einer Pause. Sie schaut überrascht, denkt nach und nimmt einen Schluck von der rötlichen Flüssigkeit in ihrem Glas. "Ich bin Schauspielerin." "Wirklich?" "Nein, eigentlich nicht. Ich hab nur mal als Statist in einem B-Film mitgespielt. Aber wenn ich mit der Schule fertig bin, geh ich auf eine Schauspielakademie und in ein paar Jahren kannst du mich dann auf Kinoleinwänden bewundern oder zumindest in irgendeinem Theater im West End." "Wow, das ist cool. Du hast bestimmt Talent. Ich bin mir sicher, dass du irgendwann richtig berühmt wirst!" Sie lächelt wieder als Antwort und ich erzähle ihr von meinem Traum, eine Band zu gründen und meinen Lebensunterhalt damit zu finanzieren. Wir reden noch ein bisschen weiter, das Gespräch stockt nicht mehr so oft und mit jedem Schluck von ihrem Cosmopolitan wird sie redefreudiger. Die Zeit vergeht sehr schnell, ich kaufe ihr irgendwann noch einen zweiten Drink und kann beobachten, wie ihre Wangen im Laufe des Abends immer röter werden. Es ist kurz vor Zwölf, als sie auf ihre Armbanduhr schaut und seufzt. "So spät schon? Nochmal danke für die Drinks." Sie winkt mit dem Glas, bevor sie den Rest in einem Zug austrinkt und mich anlächelt. "Aber ich muss jetzt gehen, bin noch nicht volljährig." Damit steht sie auf und geht. Wie Cinderella, ein bisschen, um Mitternacht muss sie zu Hause sein. Keine zwei Minuten, nachdem sie die Bar verlassen hat, fällt mir auf, dass ich nicht einmal ihren Namen kenne, und ärgere mich. Nach ihrer Handynummer zu fragen, habe ich auch vergessen. Irgendwie glaube ich nicht, dass ich sie noch mal wieder sehen werde, und auf dem Weg nach Draußen hat sie sicher keinen Schuh verloren. Weil ich keinen Grund mehr sehe zu bleiben, mache ich mich auch auf den Heimweg, ein bisschen enttäuscht und frustriert. Die Straßen sind noch immer belebt und man merkt gar nicht, dass es schon spät ist, zumindest hier in der City. Auch die U-Bahn-Station ist voller Menschen, die entweder nach Hause wollen oder für die der Abend gerade erst beginnt, übermüdete Banker, betrunkene Jugendliche, bettelnde Obdachlose. Da, wo ich herkomme, fahren um diese Zeit überhaupt keine Bahnen mehr. Ich denke, manche Städte können dich aufessen. Da herrscht diese ganze Anonymität—du bist ständig umgeben von Menschen, aber niemand kennt dich wirklich. Und am schlimmsten ist, niemand will dich überhaupt kennen. Es ist ziemlich ironisch. 4800 Menschen pro Quadratkilometer und du kannst trotzdem die einsamste Person auf der Welt sein. Ich meine, ich lebe jetzt schon seit zwei Wochen hier und kenne nicht einen einzigen Namen. Das ist irgendwie niederschlagend. Die nächsten Tage sind sehr ruhig verlaufen. Ich kann nicht ständig ausgehen, dafür hab ich kein Geld, deshalb verbringe ich die meiste Zeit alleine zu Hause, manchmal leistet mir Jiraiya ein bisschen Gesellschaft. Aber oft ist auch er nicht da, weil er für seine Romane recherchieren muss oder wie auch immer er es nennt, wenn er durch die Stadt zieht und versucht, irgendwelche Frauen aufzureißen. Darin ist er aber erfolgreicher als ich und das ist ein bisschen frustrierend. So sind mir die Tage zunehmend grauer vorgekommen und schrecklich eintönig, ohne Hochs oder Tiefs oder überhaupt irgendetwas, das einem im Gedächtnis hängen bleibt. Und dann habe ich Sasuke getroffen und alles ist bergab gegangen. --------- Das Kapitel ist ein bisschen kurz geraten und ich mags persönlich nicht so arg, aber ich bin auch gerade mitten im Abi lernen & schreiben, also sei mir das verziehen. :O Das nächste ist dafür schon so gut wie fertig und da passiert dann auch ein bisschen was. Btw, es werden immer mal wieder Kapitel in der Ich-Perspektive auftauchen, aber eher selten und vereinzelt und von verschiedenen Charakteren, weil ich mich am Anfang nicht einigen konnte, in welcher Perspektive ich schreiben soll und deshalb hab ich ganz viele Schnipsel in der ersten Person. Stört hoffentlich nicht. :D Kapitel 2: A spark to pierce the dark ------------------------------------- Naruto nippt vorsichtig an seiner brühend heißen Tasse Tee, in die er ein bisschen zu viel Zucker reingeschüttet hat, während er sich durch ein Chaos aus großen, unpraktischen Zeitungsseiten kämpft. Es ist früher Nachmittag mit Bilderbuchwetter, aber es fühlt sich nach Morgen an, weil er noch nicht lange wach ist und schon eine ganze Weile keinen echten Morgen mehr miterlebt hat, so ganz ohne Schule und Verpflichtungen, die ihn sonst früh aus dem Bett treiben. Weckerklingeln ist bloß noch eine verblasste Erinnerung in seinem Kopf und damit konnte sich Naruto über die letzten Wochen hinweg eigentlich ganz gut arrangieren. Aber das soll jetzt anders werden, denn Jiraiya ist nicht spendabel und auch in London wächst kein Geld an den Bäumen. Am liebsten wäre es ihm natürlich, wenn er das gar nicht bräuchte, seine Rechnungen mit Liebe zahlen könnte, aber er ist nicht Marx und will keine Gesellschaft revolutionieren, also richtet er sich danach. Und das bedeutet, dass er sich wohl einen Job suchen muss. Deshalb hat er heute Morgen den halben Zeitungsstand leergekauft und geht jetzt Stück für Stück die Stellenanzeigen durch, mit wenig Erfolg. Entweder werden Leute gesucht mit Qualifikationen, die er nicht mal ansatzweise erfüllen kann, oder es handelt sich um seltsame Angebote, die Naruto ein bisschen suspekt sind. Gerade erst hat er die Anzeige eines Escortservices überflogen und das ist dann doch nicht ganz sein Ding. Am Ende hat er sich drei Jobangebote ausgeschnitten, mit denen er klar kommen würde. Es sind nicht die spannendsten Tätigkeiten, die Naruto sich vorstellen kann, aber immer noch besser, als sich von alten Männern in Hotelzimmern vögeln zu lassen. Ein paar Telefongespräche und Bewerbungsemails später hat er dann auch eine Zusage in der Hand und darf seinen neuen Teilzeitjob in einem Supermarkt nicht allzu weit von Jiraiyas Haus entfernt antreten. Sein erster Arbeitstag beginnt mit grauem Himmel und hoher Regenwahrscheinlichkeit. Er steht früher auf, als er das seit einer sehr langen Zeit getan hat, und auch zwei Tassen Kaffee können ihn nicht richtig wach bekommen. Das Wetter schlägt ihm ein bisschen auf die Stimmung und er wünscht sich wieder in sein Bett zurück, während er in einem tranceähnlichen Zustand zur U-Bahn-Station trottet und sich mehr schlafend als wach zu seinem Zielort bringen lässt. Es erscheint ihm fast wie ein Wunder, dass er seine Haltestelle nicht verpasst. Auf den letzten Metern fängt es an zu regnen, deshalb beschleunigt er seine Schritte. Im Supermarkt angekommen nimmt ihn ein Mann mittleren Alters in Empfang. Naruto lässt sich kurz einweisen, ein bisschen herumführen und begutachtet dann seinen neuen Arbeitsplatz. Ein Junge in seinem Alter steht herum, plus minus ein paar Jahre. Er gehört zu dieser 'Ich bin individuell!'-Sorte, mit zwei roten Fangzähnen auf die Wangen tätowiert, wilden Augen und noch wilderen (ungewaschenen) Haaren. Ein animalisches Grinsen lässt spitze Eckzähne blitzen und Naruto fragt sich ganz aufrichtig, was falsch mit ihm ist. Aber er geht trotzdem zu ihm herüber und stellt sich vor, wie seine Eltern es ihm beigebracht haben, mit vollem Namen und ausgestreckter Hand und allem. Der Junge zögert nicht und schlägt enthusiastisch ein. "Kiba. Freut mich." Naruto lächelt und weicht dann vorsichtig einen Schritt zurück. Das sind keine Hände, das sind Klauen. Aber den Jungen—Kiba—scheint das nicht zu stören und eigentlich sieht er auch kaum einschüchternd aus, sondern sehr offen und freundlich trotz seines chaotischen Äußeren. "Dein erster Tag hier?", fragt er halbinteressiert und Naruto nickt. "Ja. Und mein erster Job. Ich hab vorher noch nie richtig gearbeitet, aber irgendwo muss ich das Geld ja herkriegen." "Geht mir ähnlich", lacht Kiba, bevor er die Augenbrauen nachdenklich zusammenzieht und den Kopf schief legt. "Du bist nicht von hier, oder?" Naruto blinzelt. "Ist das so offensichtlich?" Kiba lacht wieder und zuckt mit den Schultern. "Naja, die Art, wie du sprichst, hauptsächlich, dein Akzent. Süden, oder?" "Ja. Ich bin erst letzte Woche hergezogen." "Aah, du bist also ganz neu in der großen Stadt, was? Zum Studieren, nehme ich an, so wie du aussiehst?", grinst er und verweist dabei auf Narutos ordentliche, mittelständische Kleidung, die im Gegensatz zu Kibas schrecklich brav und unscheinbar aussieht. "Ich wollte", antwortet Naruto. "Musik, aber ich wurde nicht angenommen." "Oh. Das suckt. Tut mir leid für dich, ehrlich." Sein Grinsen fällt, aber er sieht nicht danach aus, als würde es ihm leidtun. Schulterzuckend vergräbt er seine Hände in den Hosentaschen und nickt dann in Richtung Regale. "Ich muss weitermachen, sonst krieg ich Ärger. Wir seh'n uns später, vielleicht." 'Später' ist nach ein paar Stunden monotonem Regalauffüllen, die Naruto hinter sich hat, bevor er seine verdiente Mittagspause machen darf. Auf dem Weg nach draußen, um etwas Luft zu schnappen, läuft er an Kiba vorbei, der vor dem Supermarkt an der Wand lehnt und raucht. Sofort wird er von ihm entdeckt und herangewunken und Naruto ist aufrichtig froh, dass er so einen kontaktfreudigen Arbeitskollegen hat und keinen abweisenden, mürrischen Typen. "Da bist du ja wieder", grinst Kiba und bietet Naruto eine Zigarette an, die er dankend ablehnt. Es regnet noch immer und sie stehen beide schweigend nebeneinander gegen die Wand gedrückt, damit sie nicht nass werden. "Und du interessierst dich also für Musik?", meint Kiba nach einer Weile. Naruto nickt. "Ja. Unter anderem. Ich interessiere mich für ziemlich viele Dinge, aber für Musik wahrscheinlich am meisten. Obwohl ich nicht viel Talent habe, glaub ich." "Wieso willst du das dann studieren?", fragt Kiba verwirrt, dann scheint er zu überlegen. "Hm. Vielleicht bist du es ja nur falsch angegangen bis jetzt. Spielst du ein Instrument?" Naruto schüttelt den Kopf. "Nicht wirklich. Ich würde gerne Gitarre lernen, aber ich kann nur ein paar Akkorde." "Und was hält dich dann davon ab? Bring es dir doch einfach selbst bei oder such dir jemanden, der es kann." "Ich kenne aber niemanden. Meine Freunde zu Hause standen alle nur auf Fußball und so." Doch Kiba scheint nicht ganz zu sehen, wo das Problem liegt, und zuckt nur mit den Schultern. "Du bist in London, oder nicht? Die Musikszene hier ist ziemlich groß. Ich kenne viele. Zwar niemand berühmten, aber wer weiß, vielleicht schafft es ja einer mal." "Echt jetzt?", macht Naruto erstaunt und dreht sich zu dem jungen Mann neben ihm um, der vielleicht den Schlüssel zu seinen Träumen hält. "Mhm. Es gibt da so einen Club in der Nähe, wo alle paar Tage irgendwelche unbekannten Bands auftreten. Du kannst mitkommen, wenn du willst. Morgen spielen Bekannte von mir, ich könnte dich vorstellen oder so." Einen Tag später steht Naruto aufgeregt vor seinem Kleiderschrank und fühlt sich ein bisschen wie ein Mädchen, das heute ihr erstes Date hat, nur maskuliner und nicht ganz so nervös. Er ist sich nicht sicher, was ihn erwartet, und er möchte nicht fehl am Platz wirken oder einen falschen Eindruck hinterlassen. Vor allem nicht, wenn Kiba ihn wie versprochen seinen Freunden vorstellt, denn Naruto ist sich sicher, dass einer von ihnen genau das ist, wonach er schon immer gesucht hat. Vielleicht verändert sich heute Nacht sein Leben und da möchte er nicht langweilig aussehen. Um Kibas Stil zu treffen, sind seine Klamotten allerdings zu sauber. Wobei er sich natürlich jederzeit ein paar Löcher in seine Hosen schneiden könnte, aber die Möglichkeit zieht er nicht ernsthaft in Betracht, dafür sind sie ihm zu schade. Deshalb schnappt er sich einfach eine dunkle Jeans und ein T-Shirt, denn damit kann man nicht viel falsch machen, auch wenn er beim Blick in den Spiegel irgendwie das Gefühl hat, nicht dazu zu gehören, obwohl er noch nicht einmal das Haus verlassen hat. Dank den vagen Ortsangaben, die Kiba gemacht hat, ist er ein ganzes Stück zu spät, weil er sich durch ein Labyrinth aus dunklen Seitengassen kämpfen musste, die einen perfekten Schauplatz für die Ripper-Morde abgegeben hätten. Wahrscheinlich führt auch ein direkterer, beleuchteter Weg von der U-Bahn-Station hier her, aber so hat er schon eine anständige Dosis Nervenkitzel intus, bevor der Abend überhaupt richtig begonnen hat, und weiß jetzt wenigstens, wo er hingehen muss, wenn ihm irgendwann einmal danach ist, jemanden kaltblütig abzustechen. Nun steht er hier, vor einem unscheinbaren, zwielichtigen Gebäude mit Menschen, die rein- und raus gehen und einem kaputten Neonschild über dem Eingang. Es dauert nicht lange, bis er Kiba entdeckt hat, der an einer Backsteinmauer lehnt und wie abgemacht auf ihn wartet, obwohl er eine halbe Stunde zu spät ist. Winkend läuft Naruto auf ihn zu und wird zum Glück nicht von wütenden Blicken, sondern von einem amüsierten Grinsen begrüßt. "Ah, auch endlich mal da?", spottet er, aber es ist nicht böse gemeint, und geht einen Schritt von der Wand weg. Nervös lächelnd fährt sich Naruto eine Hand durchs Haar. "Es war nicht so leicht zu finden…", erklärt er entschuldigend. 'Und deine Wegbeschreibung war scheiße', fügt er in Gedanken hinzu. "Immerhin hast du's geschafft. Reingehen?" Der Club ist ein bisschen schäbig. Die Leute hier drin auch. Es ist eng und dunkel und unübersichtlich, darum folgt er Kiba einfach wie ein Kind seiner Mutter, weil der zumindest zu wissen scheint, wo er hin will. Direkt durch die Mitte, obwohl es außenrum sicher einfacher gegangen wäre, durch die Menschenmassen, die er teilt wie Moses das Schilfmeer, nur nicht ganz so spektakulär und dramatisch. Naruto bemüht sich, ihm so dicht wie möglich an den Fersen zu hängen, weil er fürchtet, sonst einfach weggespült zu werden. Die Luft ist stickig und verqualmt, aber das stört hier keinen, weil sowieso jeder zweite eine Zigarette in der Hand hält. Nur Naruto muss sich zusammenreißen, um nicht loszuhusten, und fragt sich, ob es eine Grenze für das "Du gehörst nicht dazu"-Gefühl gibt, und wenn ja, wie lang es noch dauert, bis er sie erreicht hat. Weder seine Eltern noch seine Freunde haben je geraucht und er selbst hat im Schulunterricht genug verteerte Lungen gesehen, um seine Neugier im Keim zu ersticken. Auf einer kleinen Bühne an der Seite spielt eine Band, die ihren Schmerz über eine verflossene Liebe ins Mikrophon grölt. Naruto verzieht das Gesicht und hofft, dass ihr Auftritt bald vorbei ist. Kiba ruft ihm über die Schulter etwas zu, aber er kann ihn nicht verstehen und findet es dumm, noch einmal nachzufragen, deshalb nickt er einfach nur und lacht ein bisschen, für den Fall, dass es lustig war. Sie sind inzwischen auf der anderen Seite des Raumes angekommen und steuern auf eine Sitzgruppe zu. Offensichtlich sind es Bekannte von Kiba, denn er wird gleich begrüßt, als sie sich nähern. Naruto steht solange im Hintergrund und wird von den anderen überhaupt erst wahrgenommen, als sich Kiba zu ihm umdreht und ihn auffordert, sich hinzusetzen. Sofort wird er mit Kibas Freunden bekannt gemacht, die alle schrecklich cool und interessant aussehen, aber keiner von ihnen bemüht sich auch nur um ein bisschen Smalltalk mit ihm. Sie schauen kurz herüber, nicken, tauschen Begrüßungsformeln aus und dann wenden sie sich auch schon wieder anderen Gesprächspartnern zu. Es ist ein kleines bisschen frustrierend und schmerzhaft desillusionierend—Naruto hatte sich heute eigentlich auf den Anfang seiner schillernden Musikkarriere eingestellt, aber nicht einmal Kiba beachtet ihn momentan. Der flirtet nämlich gerade offensiv mit einem süßen, schüchternen Mädchen, das etwas verloren und ratlos umherblickt. Da ist einmal Suigetsu. Er spielt Bass, laut Kiba aber nicht sehr gut, hat gebleichte Haare, spitz gefeilte Zähne und einen tiefschwarzen Humor. Neben ihm steht Jugo, ein Riese mit sanften Zügen und orangenen Sid-Vicious-Haaren, der leise spricht und Bäume umarmt. Die anderen beiden heißen Shino und Neji; der eine ist komplett vermummt—Kapuze, hoher Kragen und schwarze Sonnenbrille tragen nichts zu seiner Vertrauenswürdigkeit bei—und der andere ist erfrischend normal, mit der kleinen Ausnahme, dass er zu posh wirkt, um hier wirklich hereinzupassen. Adelslandsitze und die Bond Street scheinen eher sein Territorium zu sein. Bestimmt sind alle wahnsinnig faszinierende Menschen und werden über kurz oder lang zu guten Freunden werden, daran hat Naruto keinen Zweifel, aber das, was er so sehr gesucht hat, sein zukünftiger Co-Frontman, der McCartney zu seinem Lennon, befindet sich nicht unter ihnen. "Ich geh mir mal was zu trinken holen", wirft er beiläufig ein, es hört ja sowieso niemand zu. Ein Bier wird ihm sicher nicht schaden und wenn er schon mal hier ist, kann er schließlich auch das Beste daraus machen. An der Bar ist nicht viel los und deshalb dauert es auch nicht lange, bis er einen Plastikbecher Ale in der Hand hält und sich zufrieden auf den Rückweg macht. Auf der Bühne steht jetzt eine andere Band, die sich deutlich besser anstellt als die letzte, und Naruto dreht sich anerkennend zu der neuen Musikquelle um. Schnelle Akkordfolgen scheppern ihm entgegen und die Stimme des Sängers ist überraschend warm dafür, dass er zu Protest und Anarchie aufruft. Wenn sie eine CD herausbringen würden, würde er sie wahrscheinlich sogar kaufen, überlegt sich Naruto und beobachtet fasziniert die geschickten Finger des Gitarristen, als er auf einmal zur Seite gestoßen wird und beinahe stolpert; über den Boden rollt vor seinen aufgerissenen Augen der Becher Bier, in dem inzwischen keins mehr drin ist. Wütend dreht er sich um, findet den Idioten, der ihn gerade angerempelt hat, triefend neben sich und tritt ungemütlich nah an ihn heran. "Hey, pass auf, wo du hinläufst! Wegen dir ist mein Bier verschüttet!" Ein dunkles Paar Augen hebt sich erstaunt von dem nassen Fleck auf seinem T-Shirt und Naruto ist fast froh, endlich einmal wirklich angesehen zu werden. Auch wenn es kein freundlicher Blick ist und er vielleicht in den nächsten paar Sekunden eine gebrochene Nase hat. "Bist du blind oder so?!", nuschelt bis lallt der andere Junge und schafft es irgendwie, sich unglaublich klar auszudrücken, auch wenn die einzelnen Worte nicht mehr ganz definierbar sind. Er ist in etwa so groß wie Naruto, sieht aber ein bisschen älter aus, obwohl das auch nur an der schlechten Beleuchtung liegen könnte. Angewidert schüttelt er die Flüssigkeit ab, die von seinen Armen heruntertropft, und zupft an dem durchtränkten T-Shirt, das vorne an seiner Haut klebt. Es ist schwarz mit Bandlogo und hat einen Riss im Kragen. Immerhin ist es nicht schade drum. "Du bist in mich reingelaufen! Das ist deine Schuld!", schreit ihm Naruto empört entgegen und versucht, seinen Punkt durch aggressives Herumgefuchtel deutlich zu machen. "Ich hab dich nicht mal gesehen! Und du hast mir diese Scheiße übergeschüttet!" "Anstatt mich anzuschreien, solltest du dich eigentlich entschuldigen und mir ein neues Bier kaufen!", beschwert sich Naruto und gestikuliert dabei zu dem verschütteten Getränk am Boden. Die Augenbraue des anderen zuckt gefährlich unter einem Vorhang dichter schwarzer Haarsträhnen, die ihm ungleichmäßig ins Gesicht fallen. "Achja? Komm, dann klären wir das draußen!", schlägt er angriffslustig vor und Narutos Augen leuchten auf. "Okay", antwortet er nur, bevor er die Chance hat, noch einmal darüber nachzudenken. Alarmglocken schrillen in seinem Kopf und sind unerträglich laut, aber er ist gerade nicht in der Stimmung, darauf zu hören. Es ist ein bisschen lächerlich, wie schnell ihn dieser Typ wütend macht und wie sehr ihm die Vorstellung gefällt, seine Faust in dem hübschen, fremden Gesicht zu versenken. Der Junge hat sich inzwischen umgedreht und ist dabei, sich aggressiv durch die Menge zu kämpfen, denn einfach außen herum geht hier anscheinend keiner. Aber Naruto kommt nicht weit, dann wird er am Arm gepackt und zurückgezogen von einem grinsenden Kiba. "Heeey, hier bist du! Ich hab dich gesucht." Naruto blinzelt und schaut hin und her zwischen Kiba und der ungefähren Richtung, in die der Junge verschwunden ist. Er weiß nicht ganz, ob er nun genervt oder froh sein soll, dass Kiba gerade jetzt aufgetaucht ist, aber am Schluss entscheidet er sich für Letzteres. Denn wenn er noch einmal darüber nachdenkt, möchte er eigentlich nicht mit geschwollenem Gesicht und blauem Auge nach Hause gehen. Also lässt er (ein bisschen widerwillig) von der Vorstellung ab, unhöfliche schwarzhaarige Kerle zu schlagen, so gut sich das auch anfühlen mag, und wendet sich resigniert seufzend Kiba zu. Es sieht zwar jetzt mit Sicherheit so aus, als hätte Naruto Angst bekommen, aber wahrscheinlich wird er den Jungen nie wieder sehen und muss nur heute aufpassen, dass er ihm nicht nochmal über den Weg läuft. Sie gehen wieder zurück zu den anderen und dieses Mal bekommt er sogar ein bisschen was von der Aufmerksamkeit ab, die er sich gewünscht hat. "Naruto, oder? Du warst auf einmal weg." "Du siehst wütend aus", merkt Neji mit hochgezogener Braue an. Narutos Blick verdüstert sich. "So ein Wichser ist gegen mich gelaufen und hat mein Bier verschüttet." "Ah, ja, so Idioten gibt es. Reg dich nicht zu sehr drüber auf." Kiba klopft ihm mitfühlend auf die Schulter und dann wird sich einem neuen Thema zugewandt. Die Zeit vergeht. Naruto hat inzwischen ein Gespräch mit Suigetsu begonnen, weil er zufällig neben ihm sitzt und in einer Band spielt, zusammen mit Jugo, was ihn gleich ein ganzes Stück interessanter macht. Neugierig fragt Naruto ihn über alles aus, was ihm in den Sinn kommt. "Spielt ihr heute auch?" Suigetsu winkt ab, als wäre die Antwort offensichtlich, und verzieht dabei das Gesicht. "Nah, heute nicht. Ich würde gerne, aber unser Gitarrist hat keine Lust." "Oh." "Ja, und was er sagt, ist Gesetz, mehr oder weniger. Der Bastard." Das überrascht Naruto ein bisschen, denn eigentlich wirkt Suigetsu nicht so, als würde er sich von irgendjemandem Vorschriften machen lassen. Ganz im Gegenteil. Erst recht nicht von einem despotischen Bandkollegen, den er so offensichtlich nicht leiden kann, wie es hier der Fall zu sein scheint. "Wieso kickt ihr ihn dann nicht einfach aus der Band?" "Weil er gut ist. Und die meisten Songs hat er allein geschrieben. Von daher." Teilnahmslos zuckt er mit den Schultern, wie ein Mann, der sein Schicksal akzeptiert hat. Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette und lässt seinen Blick durch den Raum streifen. Es dauert nicht lange, dann stößt er Naruto mit dem Ellenbogen zwischen die Rippen, bevor er irgendwo in die Ferne deutet. "Da hinten sitzt er, siehst du? Hat 'nen Drink zu viel gehabt, wie's aussieht." Neugierig verfolgt Naruto seinen ausgestreckten Arm und, oh, das Klischee, da hinten auf der Bank in der dunkelsten Ecke sitzt der Junge von vorhin, mit den aufmerksamen Augen und der schlechten Laune. Ungläubig blinzelt Naruto, schaut nochmal zu Suigetsu und wieder zurück, um sich zu vergewissern, dass er nicht eigentlich jemand ganz anderen meint. Aber es sitzt sonst niemand in der Nähe, der infrage kommen könnte, und Naruto glaubt, nachvollziehen zu können, was Suigetsus Problem ist. Widerwillig denkt er an seine eigene kleine Begegnung mit dem Jungen vor vielleicht gerade mal einer Stunde zurück, die alles andere als einen positiven Eindruck hinterlassen hat. Aber ganz so bedrohlich sieht er jetzt gar nicht mehr aus; ein Glas liegt lose in seiner Hand und sein Kopf ist nach hinten gegen die Wand gelehnt. Eigentlich wirkt er bloß müde und vielleicht auch ein kleines bisschen einsam. "Wieso sitzt er so allein?", fragt Naruto, ein bisschen überrascht von sich selbst, aufrichtig besorgt, Augenbrauen zusammengezogen in Nicht-verstehen-können und Nicht-verstehen-wollen. Der ganze Raum ist aufgeteilt in Paare und Grüppchen und das ist ja auch irgendwie der Sinn, dass man mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Nur einer scheint das nicht ganz begriffen zu haben. Und Suigetsu zuckt nur gleichgültig mit den Schultern, als würde es ihn nicht interessieren und vielleicht tut es das ja auch wirklich nicht. "Du kannst ja zu ihm rüber gehen und dein Glück versuchen." Vielleicht, denkt Naruto, auch wenn er sich sicher ist, dass Suigetsu es nicht ernst gemeint hat, vielleicht ist das genau das, was er jetzt gleich machen wird. Verschüttete Getränke hin oder her, er wird einfach beweisen, dass er der größere Mann von beiden ist und einen Schritt auf ihn zugehen, ganz im Zeichen der Nächstenliebe und Vergebung. Außerdem braucht er noch immer jemanden, der ihm beibringt, wie man Gitarre spielt, und vielleicht ergibt sich da ja was. Also nimmt Naruto seinen Mut zusammen, steht auf und versucht dabei, Suigetsus ungläubiges Lachen und schadenfrohes "Viel Spaß!" zu ignorieren. Es sind nur ein paar Meter, die ihn von seinem Ziel trennen. Zum Glück hat der Junge die Augen geschlossen und sieht ihn nicht kommen, kann ihm also auch keine einschüchternden Blicke zuwerfen, durch die es sich Naruto vielleicht noch einmal anders überlegt hätte. Auch als er direkt vor ihm steht, weist nichts darauf hin, dass seine Anwesenheit registriert wurde. Nervös fährt sich Naruto durch die Haare und setzt sich neben den Jungen. "Hey. Uhm, wir haben uns vorhin nicht unbedingt unter den besten Umständen kennen gelernt. Darum... vergessen wir das doch einfach und fangen nochmal ganz von vorne an, ja? Ich bin Naruto." Die Augen öffnen sich, die auch unter dieser Beleuchtung mehr wie tiefe, schwarze Löcher aussehen als irgendetwas anderes. Aber trotz all dem Nichts, das in ihnen herrscht, schaffen sie es ganz leicht, Naruto zu fesseln, obwohl sie ihn nicht einmal richtig fokussieren können. "Fick dich, Naruto." Er bricht den Blickkontakt ab und damit auch die Kommunikation, beobachtet stattdessen die amateurhafte Band auf der Bühne, obwohl ihn das wahrscheinlich gar nicht wirklich interessiert. Sie spielen eine seltsame bis unhörbare Mischung aus Metal und Hip Hop und der Frontman stößt gerade einen schrillen Schrei aus. Naruto findet, dass das noch der beste Teil der ganzen Performance war. Sein Blick wandert zurück zu dem abweisenden jungen Mann neben ihm, er betrachtet sein Profil und seine Augen, die so hartnäckig von ihm wegschauen, und versucht, ihn sich dort oben vorzustellen, mit einer Gitarre in der Hand und einem Mikro, gegen das er seine Lippen presst. Er sieht aus wie jemand, der zwar auf eine Bühne passt, da aber nicht unbedingt hingehört. Jemand, der kein Lampenfieber bekommt, aber auch nicht süchtig ist nach Aufmerksamkeit und Scheinwerferlicht. Gerade sieht er aber so aus, als wäre er an jedem Ort lieber als hier. Naruto bleibt neben ihm sitzen, mit den besten Absichten, und versucht noch ein paar Mal, eine Konversation zu beginnen. "Ich hab gehört, du spielst in einer Band. Was für Musik macht ihr so?" und "Du kannst Gitarre spielen, oder? Wie lange schon?" bleiben erfolglos, eine Entschuldigung wegen der Auseinandersetzung vorhin wird auch bloß ignoriert und irgendwann gibt Naruto es einfach auf. Er versteht nicht ganz, was das Problem ist, was er dem Jungen getan hat und warum er nicht einfach antworten kann, aber er versteht langsam, wieso er so alleine sitzt. Nach ein paar Minuten und einem Blick auf das leere Glas in blassen, schlanken Händen steht Naruto seufzend auf und versucht es mit einem Strategiewechsel. "Ich hol mir noch ein Bier. Soll ich dir eins mitbringen? Ich zahl auch." Auf einmal sind die dunkle Augen auf ihn gerichtet und Naruto klopft sich gedanklich auf die Schulter für seine brillante Idee. "Okay." "Gut! Ich bin dann gleich wieder da, warte hier!" Grinsend wendet er sich ab, um sich zum zweiten Mal auf den Weg zur Bar zu machen, und das Gefühl des Sieges können ihm auch die paar Menschen, die davor anstehen, nicht mehr nehmen. Als er wenig später wiederkommt mit zwei Bier in der Hand, sitzen zwei lachende junge Frauen auf der Bank, aber den dunkelhaarigen Jungen kann er weit und breit nicht entdecken. ---------- Joa. Sasuke taucht auf und die Story beginnt. :D Ich versuche, bei ca wöchentlichen Updates zu bleiben, aber ich kann nichts versprechen. :S Ansonsten hoffe ich, dass es gefallen hat und Feedback ist wie immer gern gesehen. Kapitel 3: Action is eloquence ------------------------------ Naruto wäre nicht Naruto, wenn er einen Wink mit dem Zaunpfahl verstehen würde. Die unschönen Details einfach ausblenden, so hat er das sein Leben lang gehandhabt. Wenn ein Mädchen ihm eine falsche Handynummer gegeben hat, hat sie sich vielleicht nur mit einer Ziffer vertan und wenn fremde, düstere Jungen ohne ein Wort verschwinden, während er ihnen etwas zu trinken holt, dann muss noch lange nicht Antipathie Grund dafür sein. Das geht Naruto wie ein Mantra durch den Kopf, während er eine unbekannte Straße entlang trottet. Seine Fixierung auf den Jungen von gestern ist ein bisschen irrational und seltsam, denn Naruto kennt ihn kaum. Er weiß nicht einmal viel über ihn. Er weiß, dass er schwarze Haare hat und dunkle Augen und ein hübsches Gesicht. Eins von der Sorte, das Getränke spendiert bekommt, Frauen flachlegt oder Polizisten nochmal ein Auge zudrücken lässt. Außerdem weiß er, dass er Sasuke heißt und irgendwo im nordöstlichen London wohnt. Das hat Naruto sehr schnell herausbekommen, weil Suigetsu kein Gespür für Datenschutz hat. Die genaue Adresse ist auf eine leere Zigarettenschachtel gekritzelt, weil im Club gerade nichts anderes zur Hand war, und eigentlich kann man es kaum lesen. Aber Naruto hütet es trotzdem wie Gollum seinen Ring. Denn in einer Sache ist sich Naruto seit gestern Abend absolut sicher—Sasuke wird ihm beibringen, wie man Gitarre spielt, ob er will oder nicht. Denn Hartnäckigkeit ist Narutos Stärke und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt es nur sehr wenig, was ihn davon abhalten kann. Dass er ihn dabei noch nie selbst spielen gehört hat, ist nicht so wichtig, er weiß, dass er gut ist, weil er herumgefragt hat. Für seinen Charakter gab es weniger freundliche Worte, aber nach langem Nachdenken und Abwägen ist Naruto zu dem Schluss gekommen, dass das alles nebensächlich ist und nichts, womit man sich nicht irgendwie arrangieren könnte. Darum irrt er jetzt auch am anderen Ende der Stadt durch eine komische Gegend, in der noch komischere Gestalten herumlaufen. In seinem Heimatort hätte sich jeder sofort nach ihnen umgedreht, aber hier tun das nur die Nicht-Londoner und deshalb widersteht auch Naruto seinem Drang. Aber er notiert sich in Gedanken, dass hier wohl nicht der sympathischste Ort ist, um nachts alleine durch die Gassen zu wandern. Halbverfallene und besetzte Häuser reihen sich aneinander, mit Graffiti an den Fassaden oder eingeworfenen Fensterscheiben. Naruto ist froh, dass das hier noch nicht Sasukes Straße ist, obwohl es nicht mehr weit sein dürfte, wenn er sich seinen Stadtplan richtig ins Gedächtnis ruft. Und wirklich, hundert Meter weiter entdeckt er das Straßenschild, nach dem er schon die ganze Zeit Ausschau gehalten hat, biegt links ab und sucht nach der richtigen Hausnummer. Ein paar Minuten später steht er vor seinem Ziel. Das Gebäude sieht von außen okay aus. Nichts Spektakuläres, aber deutlich weniger heruntergekommen als die Häuser eine Straße weiter. Es ist irgendwie beruhigend, dass Sasuke eine funktionierende Tür hat und wahrscheinlich keine Junkies und Prostituierte als Nachbarn. Anzunehmen, dass die Tür nicht kaputt ist, stellt sich als voreilig heraus. Entweder das oder es hat einfach jemand vergessen, sie richtig zu schließen. Aber das kommt Naruto ohnehin ganz gelegen, denn es ist ein bisschen zweifelhaft, ob Sasuke ihm aufmachen würde, wenn er brav hier unten stehen bleibt und klingelt. Deshalb geht er einfach hinein in den engen, dunklen Flur und die Treppen hoch in den zweiten Stock, wo er laut Suigetsu Sasukes Wohnung finden soll. Er ist ein bisschen aufgeregt und sein Herz pocht laut in seiner Brust, obwohl er sich immer wieder zuredet, dass es keinen Grund gibt, nervös zu sein, denn mehr als 'Nein'-sagen kann Sasuke nicht und eigentlich ist das ja auch zu erwarten. Narutos Blick fällt auf das kaputte Klingelschild. Es sieht aus, als hätte es jemand absichtlich demoliert, und ganz sicher nicht so, als würde es noch funktionieren. Aber das macht nichts, Naruto kann auch genauso gut an die Tür klopfen. Einmal, dann wartet er, um nicht aufdringlich zu sein. Ein zweites Mal, als sich nach ein paar Minuten nichts rührt. Und ein drittes, festeres Mal, das in eine Serie aus lauten Schlägen und Tritten übergeht, weil ihm immer noch niemand aufmacht, obwohl er fest davon überzeugt ist, dass Sasuke zu Hause ist. Es dauert gefühlte Stunden, bis endlich jemand auf Narutos Sturmklopfen reagiert, aber nur gefühlte Nanosekunden, in denen er Zeit hat, Sasukes entgleiste Gesichtszüge zu bewundern, bevor die Tür laut knallend seiner Nase gefährlich nahe kommt. Perplex lässt Naruto seine Hand sinken und starrt das Stück Holz vor seinen Augen an. Immerhin weiß er jetzt zwei Dinge; Sasuke ist wirklich zu Hause und er möchte ihn offensichtlich nicht sehen. Die ganze Sache ist ein bisschen komplizierter geworden, als Naruto sich das ursprünglich gedacht hat. Selbst in seinen pessimistischsten Vorstellungen hat er wenigstens ein paar Wörter herausbringen können, bevor er schroff abgewiesen worden ist, aber Sasuke ist ein größerer Bastard als er erwartet hat und dieses Mal gibt es auch keinen Alkohol, auf den man vielleicht die Schuld schieben könnte. Naruto ist wütend und genervt und wollte eine Sache noch nie so sehr wie jetzt. Auch wenn seine Vernunft protestiert—da ist etwas, ein Funke, Chemie, irgendetwas, das ihn daran hindert, sich einfach umzudrehen und zu gehen. Doch ist ihm das wichtig genug, um notfalls vor Sasukes Tür zu campen? Er ist sich noch nicht ganz schlüssig. Mit ein bisschen Glück kommt es aber gar nicht so weit und die nächsten paar Stunden hier zu stehen und auf die Tür vor ihm einzuhämmern, macht Naruto wenig aus, er hat heute sowieso nichts Besseres vor. Früher oder später muss Sasuke kapitulieren, denn den Lärm hält auf Dauer niemand aus und die Wohnung liegt zu hoch, um aus dem Fenster zu flüchten. Also klopft Naruto hartnäckig weiter, obwohl es inzwischen mehr brutales drauf Einschlagen und -treten ist, aber das wirkt Wunder für seine aufgestauten Aggressionen, die er eigentlich schon ansammelt, seit er Sasuke zum ersten Mal gesehen hat. Die Tür öffnet sich wieder und diesmal nicht nur einen Spalt breit, sondern richtig. Noch nicht einladend, aber weit genug, um die Person dahinter von Kopf bis Fuß betrachten zu können. Naruto hält überrascht in seiner Bewegung inne—fast hätte er gegen Sasukes Schienbein gekickt—stolpert einen Schritt zurück und blinzelt. Sasuke sieht jünger aus bei Tageslicht. Weniger düster und mysteriös, wenn die Schwarz- und Blautöne fehlen und man tatsächlich etwas sehen kann. Sehr normal irgendwie, fast schon ernüchternd normal, in Jeans, weißen Socken und einem Baumwollt-shirt. Seine Haare machen den Eindruck, als wäre er gerade eben erst aufgewacht, dabei hat Naruto extra bis Nachmittag gewartet, bevor er losgefahren ist, in der Hoffnung, so vielleicht ein kleines bisschen weniger unerwünscht zu sein. Sein Plan ist nicht aufgegangen, daran lässt Sasukes Gesichtsausdruck keinen Zweifel. Naruto versucht, mit einem fröhlichen Lächeln zu kontern. "Erinnerst du dich an mich?" "Warum, meinst du, hab ich die Tür zugeschlagen?", nuschelt Sasuke zur Antwort, als wäre Naruto es nicht wert, den Mund weit genug zu öffnen, um klare Worte hervorzubringen. Er verlagert sein Gewicht auf das andere Bein und nimmt eine defensive Haltung ein. "Was willst du?" Naruto überlegt einen Moment. Irgendwann einmal hat er sich in Gedanken zurecht gelegt, was er zu Sasuke sagen will. Aber das ist jetzt natürlich weg, war es eigentlich auch schon die ganze Zeit vorher. Ein Monolog, der sich in seinem Kopf gut und überzeugend angehört hatte, in der nächsten Minute allerdings schon wieder in Vergessenheit geraten war. Es fühlt sich alles so ein bisschen mehr nach Heiratsantrag-Machen an, als es das eigentlich sollte, und Naruto weiß, wovon er spricht. Er ist in seinen jungen 19 Jahren Zeit auf der Erde vor mehr Leuten auf die Knie gegangen als normale Menschen in ihrem ganzen Leben; vor der Kassiererin im örtlichen Tesco seiner Heimatstadt, seiner Grundschullehrerin, dem besten Freund aus Kindergartentagen und zuletzt einer hübschen Pariserin, die er im Urlaub vergangenen Jahres kennengelernt hatte. Aber mit seinen rhetorischen Fähigkeiten hat er bisher noch nie Erfolg gehabt und darum beschließt er, einfach ganz direkt und ehrlich zu sein. "Bring mir Gitarre bei." "Nein. Und jetzt verschwinde." Die Tür ist schneller wieder zu, als Naruto blinzeln kann. --- Es vergehen ein paar Wochen. Inzwischen hat Naruto eine neue Routine entwickelt; jeden Tag, an dem er nicht arbeiten muss, schaut er bei Sasuke vorbei, bleibt manchmal länger, mal aber auch nur wenige Minuten, je nachdem, wie er gerade Lust und Zeit hat. Die ersten zwei Tage hat Sasuke tatsächlich noch aufgemacht, seitdem ignoriert er ihn aber eisern, mit einem Durchhaltevermögen, für das Naruto tief in seinem Herzen großen Respekt übrig hat. An der Oberfläche ist es aber mehr Wut und Frustration. Die geschlossene Tür wird langsam zu einem verhassten Anblick und bald hat er lange genug darauf gestarrt, um jede einzelne Holzfaser und jeden Riss auswendig zu kennen. Es ist Sonntagmorgen und nach einer halben Stunde pausenlosem Hämmern lässt sich Naruto an der Wand entlang zu Boden sinken. Seine Motivation hat über die Tage hinweg nachgelassen und in schwachen Moment fragt er sich, ob es überhaupt möglich ist, einen Krieg gegen Sasukes Willen zu gewinnen. Bis jetzt hat er jedenfalls keine einzige Schlacht gewonnen. Entmutigt stützt Naruto die Stirn an seine angezogenen Knie und rauft sich die Haare. Vielleicht ist es die ganze Sache ja gar nicht wert, vielleicht sollte er es einfach vergessen, aus seinem Kopf streichen, weil es ja sowieso keinen Sinn hat. Das wäre der vernünftigste Weg, muss Naruto zugeben, auch wenn es überhaupt nicht nach ihm klingt. Er seufzt niedergeschlagen und hält dann inne, als er Schritte auf der Treppe hört. "Hey, du." Naruto blickt auf. Zwei lange Beine versperren ihm die Sicht, die ein Stück weiter oben in viel zu knappe Shorts münden. Darauf folgt ein weit ausgeschnittenes Top und eine Flut von roten Haaren, die ein blasses Gesicht einrahmen. Er erkennt die junge Frau, die vor ihm steht, und richtet sich von seiner kauernden Position am Boden auf; es ist die Mieterin einen Stock obendrüber. Sie rückt die Brille auf ihrer Nase zurecht und legt den Kopf schief, während sie Naruto neugierig von oben bis unten mustert. "Ich seh dich in letzter Zeit öfters. Was machst du hier?", fragt sie misstrauisch und verengt dabei ihre Augen. Naruto kann das nachvollziehen—es muss auf andere sicher komisch wirken, wieviel Zeit er vor der Tür zu Sasukes Wohnung verbringt. Irgendwie ist es ja auch genau das, komisch. Aber Naruto will nicht so sehr darüber nachdenken und strahlt sein Gegenüber lieber an wie eine Leuchtkugel aus den Restbeständen an positiver Energie. "Ich versuche, mich mit Sasuke anzufreunden!", verkündet er pseudo-optimistisch, mehr um sich selbst zu überzeugen, als irgendetwas anderes, und beobachtet gleich darauf, wie sich die Mundwinkel der rothaarigen Frau amüsiert nach oben ziehen. "Gib's auf", sagt sie und wendet sich mit einem großen Schwung ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen. Perplex starrt Naruto ihren langen plastikroten Haaren nach, die rhythmisch hin und her pendeln. Dann verschwindet sie aus seinem Sichtfeld und er wendet sich wieder kopfschüttelnd Sasukes Tür zu. Aber wenn Naruto eines in seinem Leben gelernt hat, dann ist es, dass manchmal doch Wunder passieren und sich Beharrlichkeit meistens auszahlt. Ein paar Minuten später ist er kurz davor, die Wohnung auszuräuchern oder irgendwo eine Leiter zu klauen und durch das Fenster einzubrechen. Seine Stimme ist heiser vom Schreien ("Ich weiß, dass du da bist, mach auf!!") und er holt tief Luft, als auf einmal das Schloss klackt, die Tür aufgerissen wird und Sasuke vor ihm steht und Naruto in seiner Fassungslosigkeit zu nichts anderem fähig ist, als perplex zu blinzeln und mit offenem Mund zu starren. Seufzend fährt sich Sasuke durch die schwarzen Haare, die heute mit Sicherheit noch keinen Kamm gesehen haben. Er sieht gestresst aus und so, als ob er nicht die geringste Ahnung hätte, was er mit dem Halbfremden vor seiner Tür anstellen soll. Und dann folgt kein aggressives "Verschwinde" und auch kein resignierendes "Okay, komm rein", auf das Naruto jetzt schon seit ein paar Wochen wartet. Nein, Sasuke dreht sich einfach um und geht wortlos, einen verwirrten Naruto im Hausflur zurücklassend, der nicht ganz weiß, ob das gerade eine Einladung war oder nicht. Aber an solchen Kleinigkeiten hat er sich noch nie aufgehängt und folgt Sasuke einfach in die Wohnung hinein. Neugierig schaut er sich um, versucht es aber nicht ganz so auffällig zu machen. Auf dem Boden vor ihm liegen ein paar Schuhe durcheinander, die Sasuke wohl einfach von seinen Füßen gekickt und sich nie die Mühe gemacht hat, sie ordentlich auf die Seite zu stellen. Die Wohnung ist nicht sehr groß, es gibt nur einen richtigen Raum, in dem Naruto gerade steht, und eine geschlossene Tür, die wahrscheinlich zum Badezimmer führt. Eine kleine Einbauküche steht in der einen Ecke, in der anderen ein Bett, das von ein paar Regalen verdeckt wird, und dann gibt es noch ein Sofa mit Fernseher, einen Tisch und ein paar Stühle. Naruto zählt insgesamt zwei Gitarren, die beide an die Wand gelehnt sind, eine elektrische und eine akustische. Ansonsten ist die Wohnung eher unpersönlich; keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen oder Deko. Weil er sicher lange warten kann, bis Sasuke ihm einen Sitzplatz anbietet, lässt er sich einfach auf einen herumstehenden Stuhl fallen, der nicht mit Büchern, Zetteln oder gelegentlichem Kleinzeug vollgepackt ist. Eine Lederjacke hängt über der Lehne, aber das lässt sich ignorieren. Ansonsten ist es erstaunlich aufgeräumt, jedenfalls liegt nichts auf dem Fußboden oder dem Sofa und sogar das Bett ist gemacht, aber Naruto hat natürlich als Vergleich nur sein eigenes Zimmer vor Augen, das manchmal sehr stark an Messywohnungen aus Nachmittags-Doku-Soaps erinnert. Er liebäugelt ein bisschen mit der Akustikgitarre, die in einer Ecke des Raums steht. Ob Sasuke ihn spielen lassen würde? Sie sieht ein bisschen verstaubt aus. "Es ist nett hier", hört er sich irgendwann sagen, weil er die Stille nicht länger ertragen will. "Wohnst du allein?" Schon im nächsten Moment bereut Naruto die Frage, weil sie so überflüssig ist und Sasuke ihn jetzt sicher für einen Idioten hält. Natürlich wohnt er allein. Neben den augenscheinlichen Dingen, dass hier zum Beispiel überhaupt kein Platz für eine weitere Person ist und er in den vergangenen Wochen einem Mitbewohner längst begegnet wäre, spricht auch einfach Sasukes Charakter dagegen, zumindest das, was er bis jetzt von ihm gesehen hat. Offensichtlich scheint Sasuke genauso wenig der Meinung zu sein, dass diese Frage eine Antwort verdient hat, denn er tut einfach so, als hätte er nichts gehört. Stattdessen streckt er sich nach einem Päckchen Zigaretten auf dem Sofatisch und fischt ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche, das er mit einer kurzen Fingerbewegung zum Aufflammen bringt. "Du rauchst in der Wohnung?", fragt Naruto, bevor er sich zurückhalten kann. "Ja und?" "Ah, nichts", zwitschert er und versucht über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass er eher nicht so auf Zigarettenrauch in geschlossenen Räumen steht und überall anders eigentlich auch nicht, denn er will Sasuke ja nicht verärgern. Der wirft ihm gerade einen kritischen Blick zu. "Problem damit?" "Nein, nein, ist okay." Sasuke beäugt ihn weiter misstrauisch. Wenn er Narutos Lüge durchschaut hat, ignoriert er es gekonnt. Dafür nimmt er einen Zug, dreht sich wieder weg und sieht schrecklich cool dabei aus. "Gut. Hätte sie eh nicht ausgemacht." "Wusstest du, dass Zigaretten die Hauptursache für Brände im Haus sind?" "Was willst du?" Irgendwie hat Naruto es geschafft, Sasuke noch genervter zu machen, als das sowieso der Fall war. Es ist fast eine Kunst, Naruto könnte damit in Talentshows auftreten oder ein Buch schreiben, How to annoy Sasuke Uchiha. Aber so schön es ist, eine Sache zu finden, in der man gut ist—momentan hat Narutos neues Talent eher eine kontraproduktive Wirkung auf das, was er eigentlich erreichen will, und deshalb bleibt ihm nichts anderes übrig als zurückzurudern. "Nichts. Das ist nutzloses Wissen, du weißt schon, was immer in diesen Magazinen steht." Sasuke sieht nicht so aus, als wüsste er, wovon Naruto spricht. Entgeistert starrt er ihn von dem Sofa aus an, so wie andere Menschen auf ein lästiges Insekt schauen, kurz bevor sie es zerquetschen. Aber er tut nichts dergleichen, sondern wendet sich irgendwann einfach ab. Mit Sasuke Zeit zu verbringen, ist nur halb so spannend, wie er sich das vorgestellt hat, muss Naruto zerknirscht feststellen. Es ist ziemlich eintönig, eigentlich. Sasuke ist auch nicht der Typ, der sich zwar gerade hinsetzen will, aber mitten in der Bewegung innehält und dich dann fragt, ob er dir eine Tasse Tee anbieten kann. Nein, Sasuke gehört eher zu der Sorte Gastgeber, die einen wortlos im Raum stehen lassen und sich dann etwas anderem zuwenden. Aber genau genommen kann Naruto ihm da auch keinen Vorwurf machen, weil es ja nicht so ist, dass er eingeladen wurde. Im Gegenteil. Und Sasuke passt auch sehr gut auf, dass er ihm nicht aus Versehen das Gefühl gibt, willkommen zu sein. Gerade liest er in einem Buch, dessen Titel von seinen Fingern verdeckt wird, aber der Einband sieht langweilig aus und so ist es sicher nichts, was Naruto freiwillig in die Hand nehmen würde. Der einzige Vorteil an der Situation ist, dass er Sasuke offen anstarren kann, aber auch das macht auf Dauer keinen Spaß. Die Luft im Zimmer ist inzwischen sehr stickig geworden und Naruto schmeckt Rauch, wenn er seinen Mund öffnet. "Ich mach mal ein Fenster auf, ja?" Sasuke sieht nicht so aus, als hätte er irgendwelche Einwände, er sieht nicht mal so aus, als hätte er überhaupt zugehört. Das muss er aber, denn so leise spricht Naruto nicht. Er zuckt nicht mal mit den Wimpern, als Naruto aufsteht und den Raum durchquert. Das Fenster ist alt und lässt sich nur schwer hochschieben und Naruto ist für den Moment ganz froh, dass Sasuke nicht herschaut, weil es sicher furchtbar lächerlich aussieht, wie er sich abmüht. Aber nach einem kurzen Kraftakt ist das Fenster schließlich oben und frische Luft strömt herein, die er erleichtert einatmet. Es ist zwar Sommer, aber nicht übertrieben warm, sondern sehr angenehm von der Temperatur her. Mit neuer Entschlossenheit dreht er sich um und beschließt, sich von Sasuke nicht länger ignorieren zu lassen. Naruto ist hier aus einem Grund und er wird nicht eher gehen, bis er sein Ziel erreicht hat, egal, was soziopathische Schwarzhaarige dazu zu sagen haben. Ohne wirklich darüber nachzudenken, marschiert Naruto direkt auf Sasuke zu, der seinen Blick noch immer nicht hebt, und reißt ihm das Buch aus den Händen. Sasukes Kopf ruckt schlagartig nach oben und endlich hat er seine ungeteilte Aufmerksamkeit, auch, wenn das heißt, von ein paar wütenden Augen praktisch durchbohrt zu werden. Unsicher leckt sich Naruto über die Lippen. "Ich will dir was vorspielen." Sasuke öffnet seinen Mund, um etwas zu entgegnen, wahrscheinlich, um Naruto demonstrativ abzuweisen, überlegt es sich dann aber noch mal anders. Erst jetzt, so aus der Nähe, fällt ihm auf, dass Sasuke ein bisschen kaputt aussieht, mit dunkeln Ringen unter den Augen und blassen Lippen. Und zum ersten Mal kommt ihm der Gedanke, dass er vielleicht einfach nur seine Ruhe haben will. Fast hätte Naruto Mitleid mit ihm, aber dann denkt er noch einmal nach und, nein, Sasuke ist ein Bastard und hat sein Mitgefühl nicht verdient. "Ich hab mich extra in einen Musikladen gesetzt und geübt. Komm schon." Sasuke zögert und Narutos Augen leuchten hoffnungsvoll auf. Er hat nicht sofort Nein gesagt, wie er es sonst immer tut, und das ist ein gutes Zeichen. Unentschlossenheit steht ihm ins Gesicht geschrieben, deutlich genug, dass es selbst Naruto sieht. Hin- und hergerissen schaut er zur Seite, bevor er schließlich seufzt und die Augen niederschlägt, dass Naruto jede einzelne dunkle Wimper zählen könnte, wenn er wollte. "Okay. Ich geb dir fünf Minuten, danach verschwindest du." Kapitel 4: On the road to fuck knows where ------------------------------------------ Er kann nicht spielen. Nicht ein bisschen. Es ist eigentlich zum Lachen, wenn es nicht so furchtbar traurig wäre, wieviel Talentlosigkeit in einem einzelnen Menschen stecken kann. Ich weiß nicht, was mich auf die Idee gebracht hat, ihm eine Chance zu geben, ich weiß auch nicht, wieso ich ihn überhaupt in die Wohnung gelassen habe. Es war eigentlich absehbar, was das für katastrophale Folgen mit sich bringt. Die letzten Wochen—es sind wirklich schon Wochen, in denen er mich belästigt, sicher ist das illegal, ich hätte ihn anzeigen oder zumindest damit drohen sollen oder was auch immer. Die letzten Wochen habe ich ihn irgendwie ignorieren können, aber heute bin ich müde und mein Kopf pocht und es klappt nicht. Ich würde schrecklich gerne einfach nur schlafen, aber er ist da und merkt nicht, wie unerwünscht er ist. Vielleicht interessiert es ihn aber auch einfach nicht. Er beherrscht ganze vier Akkorde—G, D, Em und C—die er einfach wahllos aneinanderreiht und daraus eine mehr oder weniger harmonische Begleitung formt. Nichts davon klingt, wie es sollte. Seine Finger sind ungeübt, dämpfen die anderen Saiten ab, und der Anschlag ist viel zu basslastig. Außerdem setzt er die Griffe oft nicht richtig auf und hängt beim Akkordwechsel mit dem Rhythmus hinterher. Aber trotzdem, umso faszinierender, nach ein bisschen Saitengeklimper sieht er auf und grinst mich voller Selbstvertrauen an. "Gut, nicht?", strahlt er und klopft sich mental wahrscheinlich gerade selbst auf die Schulter. In seinem Blick schwingt Erwartung mit und mir wird erst jetzt klar, dass er mich mit seinem kleinen Spiel wohl einfach beeindrucken wollte oder so. Das ist ziemlich schief gegangen. Ohne ihm direkt zu antworten, seine Frage war ja sowieso mehr rhetorisch und ein 'Nein, du warst schlecht' lässt er sicher nicht gelten, nehme ich ihm meine Gitarre aus den Händen und spiele seine Akkordfolge zurück, aber in richtig und barré. "Wow! Du bist ein Genie!", platzt es ganz unverhohlen aus ihm heraus. "Wie machst du das? Es sieht so schwer aus!" "Das sind ganz normale Akkorde." Er gibt sich erst gar keine Mühe, die Bewunderung in seinem Blick zu verstecken. Dabei wollte ich ihn gar nicht beeindrucken, sonst hätte ich etwas ganz anderes gespielt, ich wollte ihm einfach nur zeigen, dass er schlecht ist. Das hat nicht funktioniert, genauso wenig wie es funktioniert hat, ihm klar zu machen, dass ich ihn nicht um mich herum haben will. Er ist zu dumm, um das zu verstehen, glaube ich, oder er ist einfach nur einer von diesen widerlich positiven Menschen, die sich ständig etwas vormachen und in einer einzigen riesigen Illusion leben, weil sie nicht wahrhaben wollen, wie kaputt die Welt eigentlich ist. Vielleicht ist er auch eine Mischung aus beidem, keine Ahnung. "Bring mir bei, wie ich auch so spielen kann!" "Das dauert lange. Du kannst nichts und hast auch überhaupt kein Talent." "Bitte?" Es ist echt faszinierend, wie er jede Kritik ignoriert. Dafür klimpert er mit den Wimpern und schaut mich aus großen Augen an, wie so ein Hundewelpe, aber ich hasse Hundewelpen. "Nein. Ich hab keine Zeit für sowas." Und mit einem Mal ist die Pseudo-Niedlichkeit weg und sein Blick wird fühlbar kälter. "Laber' nicht. Du sitzt den ganzen Tag nur hier rum. Da kannst du mir auch ein paar Akkorde beibringen." "Ich hab aber Besseres zu tun als—" "Ach, komm schon. Du hast dafür auch was gut bei mir." Ich stutze. Ist ihm das wirklich so wichtig? Sein Angebot ändert ein bisschen was, hört sich ganz gut an, denn es schadet nie, jemanden zu haben, der einem etwas schuldig ist. Und ich schätze ihn auch nicht als falsch genug ein, um im Nachhinein sein Wort zu brechen. Die Rede ist ja nur von ein paar Akkorden, ich muss ihn nicht zu einem Profi machen oder so, vorausgesetzt, das wäre überhaupt möglich. Ein, zwei Monate muss ich ihn wahrscheinlich ertragen, dann bin ich ihn für immer los. Das hört sich gar nicht so schlecht an. Ich kann zwar in erster Linie nichts dazu, dass ich in diese Situation geraten bin, aber er wird nicht gehen, wenn ich 'Nein' sage und eigentlich hab ich ja überhaupt keine Wahl. "…Okay." "Eh? Im Ernst?", macht er ungläubig und unintelligent. "Das ist—…wow, das ist so cool, Sasuke, vielen vielen Dank!" Er versucht mich zu umarmen und ich weiche zurück. Keine Ahnung, was das sollte oder wie er darauf gekommen ist, dass das angebracht wäre. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihm irgendwie mitgeteilt zu haben, dass Umarmungen okay sind. Aber er lässt sich davon nicht beirren, sondern setzt sich einfach nur wieder zurück und schaut mich grinsend an. "Was willst du als Gegenleistung? Ich tu, was du willst!" "Ich überleg mir noch was." "Okay, kein Problem! Wann fangen wir an?", strahlt er und ist so unfassbar fröhlich, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht schlagen würde. Vielleicht hört er dann auf damit. Aber ich bin Schuld, dass er so glücklich ist und von dem Gedanken wird mir fast schlecht. "Besorg dir erstmal eine eigene Gitarre." "Aber es ist Sonntag und ich hab kein Geld." Seine Stimmung fällt ein bisschen und ich seufze. "Fürs erste kannst du die hier haben." Ich drücke ihm die Akustikgitarre in die Hände, auf der ich gerade eben noch gespielt habe. Gerne mache ich das nicht—es ist ein sehr schönes, hochwertiges Modell, viel zu gut für ihn eigentlich—aber etwas anderes bleibt mir nicht übrig und ihm meine E-Gitarre zu überlassen, steht außer Frage. Sein Strahlen kehrt zurück, als er die Gitarre in seinen Armen hält und ich bereue es sofort, sie ihm gegeben zu haben. Aber jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück und ich kann nur noch versuchen, das alles so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Entnervt atme ich aus und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die mich schon den ganzen Tag stört. "Okay, fangen wir an mit den Grundlagen..." --- Es klopft an der Tür und ich schlage die Augen auf. Im ersten Moment kommt es mir gar nicht komisch vor, so bin ich in den vergangenen Tagen oft geweckt worden. Aber es ist später als sonst, ich bin überrascht, dass ich überhaupt so lange geschlafen habe, und dann erinnere ich mich an gestern und daran, dass er eigentlich nicht schon wieder hier sein sollte. So war das nicht geplant. Ich bin eher davon ausgegangen, dass er ein paar Tage Ruhe gibt, bevor er das nächste Mal auftaucht, denn jetzt hat er ja, was er will, und muss mir nicht mehr so brutal auf die Nerven gehen. Gerne würde ich mich noch mal umdrehen und weiterschlafen, aber es hat keinen Sinn, ihn zu ignorieren, das weiß ich ja inzwischen. Also stehe ich auf und schleppe mich erst einmal ins Bad. Er wird so schnell nicht weggehen, also kann ich mir auch Zeit lassen und duschen, Zähne putzen, was anderes anziehen, vielleicht. Dabei beeile ich mich nicht und irgendwann verstummt das Klopfen, aber ich glaube kaum, dass er weg ist. So viel Glück hab ich nicht. Und ja, ich hatte recht, als ich die Tür aufreiße, steht er da wie gewohnt, sehr fröhlich, sehr wach und sehr blond. Seine Freude kann ich nicht ganz teilen. "Wieso bist du hier?" "Ich dachte, das hätten wir inzwischen hinter uns?", fragt er verwirrt und legt dabei den Kopf schief. "Es war nie davon die Rede, dass du gleich am nächsten Tag wieder aufkreuzt." "Es war aber auch nie die Rede davon, dass ich es nicht tue, also…" Er macht ein paar Handbewegungen, die mich dazu bringen sollen, aus dem Weg zu gehen. Aber ich bleibe, wo ich bin, und er schiebt sich mit einem Seufzen einfach an mir vorbei in die Wohnung. Er sieht viel weniger unsicher aus, als er das gestern noch getan hat, stattdessen lässt er sich direkt auf das Sofa fallen und schnappt sich ohne zu zögern die Gitarre, die daran angelehnt ist. Erwartungsvoll schaut er zu mir herüber, mit hochgezogenen Augenbrauen und allem, während er ungeduldig auf die Holzdecke trommelt. Ich glaube, das wird ein anstrengender Tag heute. "Können wir nicht eine Pause oder so machen? Meine Finger tun weh." Es ist keine ganze Stunde vergangen, in der ich ihm erst erklären musste, wie man eine Gitarre richtig hält und er dann fünfzehn Minuten lang tatsächlich etwas gespielt hat. Im Prinzip hat er also noch gar nichts gemacht und trotzdem guckt er mich erschöpft und leidend an und lässt seine ganze Haltung sinken, bis sein Kopf auf der Gitarre lehnt. Ich kann ihm nicht ganz folgen. "Deine Finger tun weh…?" "Ja, da sind sogar schon Abdrücke drauf! Guck!" Übereifrig streckt er mir seine linke Hand entgegen, von der ich instinktiv Abstand nehme. Natürlich sind da Abdrücke drauf, was erwartet er, wenn er seine Fingerkuppen minutenlang gegen Metallsaiten drückt? Aber das ist normal und tut nicht weh und was hat er hier eigentlich verloren, wenn er so übertrieben empfindlich ist? Es ist so lächerlich; ich wusste, dass er kein Talent hat und 'Versager' praktisch auf seiner Stirn tätowiert ist, aber er muss nicht jedes Mal aufs Neue beweisen, wie richtig ich mit dieser Einschätzung liege. "Willst du mich verarschen?" "Nein, das tut echt weh!" "Dann geh. Du verschwendest meine Zeit." "Was?" Ungläubig blinzelt er mich an. Seine Augen werden ganz groß, sein Mund hängt offen und er wirkt gerade ein bisschen verständnislos. Hat er nicht zugehört? Er weiß, wo die Tür ist, also was macht er dann noch hier? "Meinst du das ernst, Sasuke?" "Ja. Ich will dich nicht mehr sehen." Irritiert schüttelt er den Kopf und senkt seine Augenbrauen. "Du bist scheiße als Lehrer", murmelt er mürrisch vor sich hin und versucht, mir einen düsteren Blick zuzuwerfen, aber er bewegt sich keinen Zentimeter. "Wieso bist du dann noch hier? Verschwinde doch einfach." "Nein." "Und warum?" "Weil…" Er schweift ab und wirkt nicht so, als hätte er vor, auf meine Frage irgendwann nochmal zu antworten. Auch gut. Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht, zutrauen würde ich ihm das. Es wäre zwar ganz hilfreich zu erfahren, was genau sein verdammtes Problem ist, aber vielleicht muss ich es ihm ja erklären. "Schau, das ist doch sinnlos. Du hasst mich, ich hasse dich, such dir einen anderen Gitarrenlehrer und wir sind beide glücklich." "Ich will aber keinen anderen." Das ganze wird mir zu dumm. Ich hab keine Lust mehr, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Er ist zu anstrengend, zu kindisch, zu stur. "Geh heim, Naruto." Ich stehe auf und will ihm die Gitarre abnehmen, aber er klammert sich an ihr fest und für einen Moment scheint es so, als würde er sich weigern, sie herzugeben, wie ein Kleinkind, aber dann lässt er sie doch los. Einen Augenblick lang bleibt er noch sitzen und schaut zu mir hoch, hofft vielleicht, dass ich meine Meinung wieder ändere, bevor er schließlich mit einem Seufzen aufsteht. An der Tür zögert er kurz und mit seiner Hand auf der Klinke dreht er sich noch einmal zu mir um. "Okay. Für heute. Aber ich komme wieder!" Die Tür fällt ins Schloss und ich lasse mich zurück aufs Sofa fallen. --- Das nächste Mal, als ich die Tür öffne, steht er mit einem Pizzakarton und einem Sixpack in den Händen vor mir und mit seinem üblichen, unerschütterlichen Grinsen. Ich habe, ehrlich gesagt, nichts anderes erwartet. "Ich dachte mir, Alkohol macht dich vielleicht ein bisschen umgänglicher", erklärt er lachend, als wäre nie etwas gewesen, während er mir in die Wohnung folgt, wo er das ganze Zeug auf dem Sofatisch abstellt. Ich habe heute noch nichts richtiges gegessen, also kommt es mir ganz gelegen. Obwohl ich das Gefühl habe, damit mein eigenes Todesurteil zu unterschreiben—eine Linie wird überschritten, da ist ein Unterschied zwischen rein formalem Kommen, Gitarre lernen, Gehen und dem hier. Das ist irgendwie zu freundschaftlich, aber ich glaube, genau darauf will er hinaus. Hoffentlich kann ich ihm danach immer noch deutlich machen, dass ich seine Anwesenheit wirklich nicht schätze. Aber jetzt ist er hier und hat diesen Raum auch schon wie zu seinem eigenen gemacht. Den Grund, wieso er eigentlich da sein sollte, die Gitarre, ignoriert er zugunsten der Bierdose, die er gerade mit einem Zischen öffnet. Er nimmt einen Schluck, dann schaut er mich einladend an; 'Setz dich zu mir' 'Nimm dir was' 'Das Essen wird kalt'. Zum ersten Mal in meinem Leben höre ich auf seine (nicht ausgesprochenen) Worte. "Hey, Sasuke", wirft er irgendwann mit einem Pizzastück im Mund ein, das er hastig versucht runterzuschlucken. "Was machst du eigentlich den ganzen Tag lang?" "Das geht dich nichts an." Ich nehme mir das letzte Stück Pizza im Karton und gehe nicht weiter auf seine Frage ein. Es geht ihn wirklich nichts an. Nur weil von dem Sixpack fast nichts mehr übrig ist, heißt das nicht, dass ich ihm antworte. Zweidrittel Liter Bier lassen mich noch lange nicht redselig werden. "Studierst du?", versucht er es nonchalant weiter. "Ich bin an einer Uni eingeschrieben, ja." "Aber du gehst nicht hin…?" Ich zucke mit den Schultern. Vor einer Weile habe ich herausgefunden, dass Studieren und ein Schreibtischjob später nicht das ist, was ich wirklich will, es aber jede Menge Vorteile mit sich bringt, offiziell als Student eingetragen zu sein. Meine Mutter bezahlt die Rechnungen und fragt nicht nach, zum Beispiel. Wenn mir sehr langweilig ist, gehe ich aber auch manchmal in Vorlesungen. "Okay… Naja, ist deine Sache", sagt er und gibt sich betont gleichgültig, aber selbst ich kann sehen, dass es ihn irgendwie stört. Keine Ahnung, wieso, interessiert mich auch nicht weiter. Ich schlucke den letzten Bissen herunter und drehe mich dann zu ihm um. "Fängst du jetzt endlich mit dem Üben an oder bist du nur gekommen, um zu essen?" --- Naruto ist spät. Es ist seltsam, er hat sich so gewaltsam in mein Leben gedrängt und mir dabei keine Wahl gelassen—wenn ich eine gehabt hätte, würde ich jetzt sicher nicht hier sitzen und auf ihn warten—aber irgendwie hat sich daraus so etwas wie eine Routine entwickelt. Eine Zeit lang habe ich sein tägliches An-die-Tür-klopfen-Ritual sogar als Wecker benutzt. Es ist nicht so, dass ich es vermisse, ihn um mich zu haben, sondern es ist einfach nur komisch, weil er so nervig und präsent ist, dass es wirklich auffällt, wenn das fehlt. Am Ende kommt er aber doch, lächelt entschuldigend und erzählt irgendwas von Überstunden auf der Arbeit, so, als würde mich das interessieren. Es ist Anfang September. Ein paar Wochen sind vergangen, seit ich ihn das erste Mal in meine Wohnung gelassen habe und er kommt inzwischen immer öfter, bleibt länger und fängt an, das als eine Art Freundschaft zu sehen, was absolut lächerlich ist, weil sie dann nämlich sehr einseitig wäre. Ich weiß nichts über ihn, ich kenne nicht einmal seinen Nachnamen, aber ich bin an diesen Dingen auch nicht wirklich interessiert. Das ein oder andere hat er mir erzählt und ist unbeabsichtigt hängen geblieben, ich habe mich aber nie aktiv darum bemüht, mehr über ihn zu erfahren. Wozu auch? Unsere Wege werden sich hoffentlich sehr bald wieder trennen und ich habe nicht die Absicht, ihn danach jemals wiederzusehen. Noch ist er aber hier, sitzt auf einem Stuhl und versucht sich an dem Riff zu 'Come as you are', während ich lustlos durch die Post von heute Morgen blättere. Ein neuer Brief von Itachi ist dabei. Für einen kurzen Moment habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, ihn zu öffnen, aber am Ende ist er wieder nur im Müll gelandet. Ich frage mich, wie lang es dauert, bis er aufhört zu schreiben. Vielleicht macht er sich aber auch nur über mich lustig und es steht in den Briefen nie etwas drin, weil er weiß, dass ich sie sowieso nicht lese. Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, als ich siebzehn war und er eine Moralpredigt darüber gehalten hat, was ich alles an meinem Leben ändern muss. Dann ist er ins Ausland versetzt worden, ich bin weggezogen und habe mich um keinen Kontakt mehr bemüht. Die Adresse hat er sich wohl von meiner Mutter sagen lassen und ich bin froh, dass es bisher nur bei Briefen geblieben ist und er noch nie vor meiner Tür gestanden hat. Naruto hat inzwischen aufgehört zu spielen und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er versucht, meinen Blick einzufangen. Den Gefallen tue ich ihm und schaue für einen Moment von der Rechnung in meinen Händen auf. "Das war gut, oder? Ich hab mich nur einmal verspielt! –Hey Sasuke, hast du überhaupt zugehört?" "Red nicht so viel und üb weiter." Ich sage es ihm nicht, aber er macht langsam Fortschritte. ---------------- Das Kapitel hat sich ein bisschen gezogen. :S Und sorry für die vielen kleinen Zeitsprünge, ich hoffe, sie stören nicht? Die FF wird sich insgesamt über ein paar fiktive Jahre erstrecken, also kommt sowas öfter vor. Das nächste Kapitel ist schon halbfertig und mh, da werden dann auch so langsam ein paar Problematiken eingebracht bzw angedeutet. Eher angedeutet. Langsam kommen wir nämlich zu dem Teil, wo es ein bisschen interessanter wird. Also freut euch schon mal auf ein (hoffentlich besseres…) nächstes Kapitel! :D Kapitel 5: Between love and hate - I ------------------------------------- Oktober Mit jedem Mal, an dem Naruto über die Schwelle zu Sasukes Wohnung tritt, ändert sich ein bisschen was. Finstere Blicke sind nicht mehr ganz so finster, Gespräche werden länger und Sasuke achtet nur noch halb so sorgfältig darauf, zu jeder Zeit den größtmöglichen Abstand zu halten. Wobei das schon fast übertrieben ist, denn gerade scheint es ihn überhaupt nicht zu stören, dass seine Finger auf Narutos liegen, um einen verrutschten Akkord zu korrigieren, und er so nahe sitzt, dass man seinen Atem im Nacken spüren kann. Es fällt Naruto ein bisschen schwer, sich unter solchen Umständen zu konzentrieren. "Schau, du darfst deine Hand nicht so biegen", seufzt Sasuke und hängt pro forma ein "Idiot" hintendran, um es nicht so nett klingen zu lassen, während er Narutos Finger unsanft in die richtige Form drückt. Aber es klappt nicht richtig und nach ein paar gescheiterten Versuchen gibt Sasuke auf und stößt Naruto von sich weg, jedoch nicht ohne ihn aufs Neue darauf hinzuweisen, wie talentlos und unfähig er ist. "Ich hasse Barré-Akkorde, wer hat sich so einen Mist überhaupt ausgedacht?!", beschwert dieser sich und würde am liebsten die Gitarre zu Boden werfen, aber es ist nicht seine eigene und deshalb lehnt er sie nur vorsichtig gegen die nächstgelegene Wand. Grummelnd dreht er sich zu Sasuke zurück, aber der ist inzwischen aufgestanden und nimmt sich eine Flasche von dem Bier, das Naruto vor ein paar Tagen gekauft hat. Sasuke ist sogar freundlich genug, um ihm auch eins mitzubringen und das ist ein riesiger Fortschritt für seine sozialen Qualitäten, die bis vor wenigen Wochen noch nonexistent waren. Manchmal, so zum Beispiel jetzt, wo sie nebeneinander auf dem Sofa sitzen, Bier trinken und schweigen, weil sie sich eigentlich nichts zu sagen haben, fragt sich Naruto, wieso er sich so viel Mühe macht, wieso es ausgerechnet Sasuke sein muss, der überhaupt nicht das ist, was sich Naruto unter einem halbwegs brauchbaren Freund vorstellt. Je mehr Zeit sie zusammen verbringen, desto deutlicher werden ihm die Unterschiede bewusst, die ab und zu beinahe unüberbrückbar scheinen. Aber trotzdem ist da etwas, das sie zusammentreibt, obwohl sie sich meistens eigentlich gar nicht ausstehen können. "Hast du irgendwann nochmal vor, weiter zu üben?", murrt Sasuke von der Seite zu ihm herüber und Naruto sieht seinen Punkt, wirklich, aber das macht es auch nicht einfacher, ihn sympathisch zu finden. Doch eine Wahl hat er nicht, wenn er hier bleiben möchte, darum schnappt er sich wieder die Gitarre und versucht sich noch einmal an dem Bm Akkord, der einfach nicht richtig sitzen will. Sasuke ist sofort zur Stelle, um zu kritisieren und auf ihn herabzusehen, aber diesmal sind nur seine Worte hart und die Finger ganz sanft, mit denen er Narutos in Position rückt. "Bleib so", nuschelt er, bevor er seine Hand wegnimmt, und als Naruto die Saiten durchstreicht, klingt der Akkord auf einmal—zwar nicht perfekt, aber gut genug, um ihn stolz zu machen auf seinen kleinen Fortschritt. Auch Sasukes Lippen haben sich zu so etwas wie einem Lächeln verzogen, obwohl man es fast nicht sehen kann. Und das ist einer der seltenen Momente, in denen Naruto Potential erkennt, die ihm bestätigen, dass er doch die richtige Entscheidung getroffen hat. Er hat so ein Gefühl bei Sasuke—vielleicht ist es nichts weiter, aber vielleicht wird dieser Junge sein Retter sein. Sein Ticket weg von einem eintönigen, routinierten Leben, das aus Schulden-Abbezahlen, gescheiterten Ehen und brillantem, verschwendeten Talent besteht. Dafür muss er aber erst die Stunden voller Frustration und Wut auf Sasuke überstehen, die noch vor ihm liegen, bis er das Instrument beherrscht. --- November "Was ist mit deinem Gesicht passiert?!", platzt es aus Naruto heraus, als ihm die Tür geöffnet wird von einem etwas mitgenommen wirkenden Sasuke. Er sieht eigentlich aus wie immer, wäre da nicht dieser große dunkle Fleck um sein Auge herum, der es unmöglich macht, irgendwo anders hinzuschauen. Naruto gibt sich auch gar keine Mühe, selbst als sich zwei dunkle Brauen darüber zusammenziehen und ihm zu verstehen geben, dass Sasuke nicht gerne angestarrt wird. Aber daran hätte er denken müssen, bevor er sich ein blaues Auge zuzieht, findet Naruto und rätselt im Stillen, ob es das Überbleibsel einer Schlägerei ist oder Sasuke vielleicht einfach nur ganz uncool gegen einen Pfosten gerannt ist. Das wird er zwar wahrscheinlich nie erfahren, wird nie eine vernünftige Antwort darauf bekommen, aber er versucht es trotzdem. "Was hast du da gemacht?", fragt Naruto vorsichtig und streckt eine Hand nach Sasukes Auge aus. Der schwarzhaarige Mann weicht zurück, bevor Naruto auch nur in die Nähe seines Gesichts kommt, und öffnet die Tür ein bisschen weiter, um ihm stumm mitzuteilen, dass er einfach eintreten und keine Fragen stellen soll. Einen Moment zögert er, weiß nicht so recht, ob nun Mitgefühl oder Schadenfreude angebracht ist, denn Sasuke merkt man nichts an, aber das würde man vermutlich auch nicht, wenn gerade seine Mutter gestorben wäre. Also lässt Naruto seine Hand sinken und schiebt sie stattdessen in seine Hosentasche. Neugierig ist er aber schon, denn es ist nicht lange her, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben (das ist es nie, dafür sorgt Naruto) und da hatte Sasuke noch lächerlich makellose Haut, ohne Blutergüsse oder sonstige Verletzungen. Er würde gerne den Mund aufmachen und sagen, was ihm durch den Kopf geht, aber er hält sich zurück, um Sasukes Willen und weil es ein bisschen wie Minesweeper spielen ist—er kann sich nie ganz sicher sein, wann er nur einen unangebrachten Kommentar vom Rauswurf entfernt ist. Noch sieht Sasuke aber friedlich aus, jedenfalls für seine Verhältnisse, nicht wie eine tickende Bombe und auch nicht wie jemand, der in eine dunkle Gasse gezerrt und zusammengeschlagen wurde. Das ist ein bisschen beruhigend, findet Naruto und trottet hinter Sasuke in die Wohnung herein. Die Gitarre bleibt heute in der Ecke stehen, denn Naruto hat es inzwischen geschafft, dass seine Anwesenheit auch akzeptiert wird, wenn er keinen konkreten Grund fürs Kommen hat. Ob Sasuke das wirklich gut findet, steht auf einem anderen Blatt, aber er hat zumindest aufgehört sich zu beschweren. "Tut es noch weh?", fragt Naruto irgendwann nach längerem Schweigen und weil er seinen Blick immer noch nicht richtig abwenden kann. Sasuke zuckt nur kurz mit den Schultern und sieht dabei nicht so aus, als würde er gern näher darauf eingehen. "Geht", ist deshalb die knappe Antwort, die wieder in zäher Stille mündet. Naruto ist ein paar Mal sehr versucht, sich darüber lustig zu machen, aber so stabil ist ihre Beziehung dann doch nicht, auch wenn er Sasuke in seinem Kopf schon lange unter 'Freund' abgeheftet hat—die Realität sagt ein bisschen was anderes, aber Realität ist überbewertet, findet Naruto, deshalb ignoriert er sie ja auch so gut es geht. --- Dezember In der Stadt hängt schon überall Weihnachtsschmuck, Schaufenster sind festlich dekoriert und es bitten mehr Leute als sonst um Spenden für Kinderheime, Dritte-Welt-Länder oder andere gute Zwecke. In Sasukes Wohnung bekommt man von der Weihnachtsstimmung aber nichts mit, er scheint irgendwie immun dagegen zu sein, es gibt keine Kerzen, keine Plätzchen, nicht einmal weihnachtlichen Tee oder so. Das macht Naruto nichts aus, er kriegt auf dem Weg zu ihm schon die volle Dröhnung ab und außerdem wäre es gruselig, Sasuke beim Weihnachtsbaumschmücken zu sehen. Aber das alles ist nur schwer zu begreifen für jemanden, der Erinnerungen an glückliche Kindheitstage hat, in denen er schneeverweht vom Spielen draußen heimgekommen ist und seine Mutter ihm ein heißes Getränk in die Hand gedrückt hat oder er in aller Frühe am Weihnachtsmorgen aufgewacht ist und sich ins Wohnzimmer geschlichen hat, wo bunte Päckchen unter dem Christbaum lagen und das ganze Haus so magisch still war. Auch heute noch hat er eine Schwäche für Weihnachten; die frostigen Temperaturen und überheizten Räume, die Besinnlichkeit und die kleinen Wunder, die in der Adventszeit passieren, wenn Menschen über ihren Schatten springen und ein bisschen Nächstenliebe zeigen. Sasuke meint, das würden sich die Leute nur einreden, aber Sasuke ist ein hoffnungsloser Zyniker und Naruto weiß es besser. Auch das Wetter scheint ein Problem mit weihnachtlicher Atmosphäre zu haben, denn es ist kaum kalt genug, dass Schnee fallen könnte, stattdessen ist es nass und matschig und immer schon fast dabei, dunkel zu werden, wenn sich Naruto auf den Weg zu Sasuke macht. Das drückt ein bisschen auf seine Stimmung, denn Naruto mag Sonne und Licht und alles, was fröhlich und hell ist. Die einzige Ausnahme davon sitzt nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt und zappt durch das Nachmittagsfernsehen, allerdings nicht ohne gelegentlich herablassende Kommentare zu unterfordernden Doku-Soaps abzugeben. Sasuke ist nicht fröhlich und auch nicht hell; wären sie eine Zeichentrickserie, würde über seinem Kopf zu jeder Zeit eine besonders finstere Regenwolke schweben, aber Naruto hat genug positive Energie für beide, deshalb ist das nicht schlimm. In den letzten Wochen hat sich die Beziehung zwischen ihnen allerdings ein bisschen abgekühlt und Naruto weiß nicht, woran das liegt oder was er tun kann, um dagegenzusteuern. Alles, was er momentan macht, ist falsch, Sasuke ist gereizter als sonst und hat nur noch Spott übrig, wenn Naruto Gitarre übt, egal wieviel Mühe er sich gibt. Auch die Idee, sich in eine U-Bahn-Station zu stellen und Weihnachtslieder zu spielen, damit die ganze Welt seine Fortschritte hören kann und ihn mit ein bisschen Kleingeld belohnt, wurde von Sasuke ziemlich schnell verworfen. Aber das war eigentlich zu erwarten; Naruto ist sich nicht sicher, was er sich überhaupt dabei gedacht hat, so etwas vorzuschlagen. Er hofft nur, dass Sasuke bloß in einer vorübergehenden Phase steckt und sich die Dinge bald wieder ändern. Denn Naruto ist nicht gewillt, ihn aufzugeben und so ist es für alle Beteiligten leichter. Entspannt streckt er sich auf dem Sofa, das sich jeden Tag mehr nach Zuhause anfühlt, auch wenn es nicht weich genug ist für Narutos Geschmack. Sasuke hat es inzwischen aufgegeben, eine Sendung zu finden, die seinen Ansprüchen gerecht wird und starrt ausdruckslos auf einen schwarzen Fernsehbildschirm. "Ab nächste Woche bist du mich los. Das freut dich sicher, huh?", meint Naruto mit einem Kopfnicken zu dem jungen Mann neben ihm, der nicht wirklich zuzuhören scheint. "Ich fahr über die Feiertage runter zu meinen Eltern. Hab sie jetzt ein halbes Jahr nicht mehr gesehen…" "Schön für dich." "Hmm", macht er nachdenklich und dreht sich halb herum, damit er Sasuke besser anschauen kann. Die Fernbedienung liegt lose in seiner blassen Hand, er hat ein paar Kratzer am Arm und ein Konzertbändchen ums Handgelenk. Aus den Augenwinkeln sieht er zu Naruto herüber, aber sein Blick ist distanziert. "Ne Sasuke? Was machst du eigentlich an Weihnachten?" "Dasselbe, was ich jeden anderen Tag auch mache." "Feierst du mit deiner Familie?" "Nein." Die Antwort ist kalt und eindeutig und genug, um Naruto verstummen zu lassen. Er hat sich noch nie wirklich Gedanken um Sasukes Familie gemacht und erst jetzt fällt ihm auf, dass er eigentlich gar nichts über sie weiß. Weder, wie Sasukes Eltern aussehen, noch, ob sein Verhältnis zu ihnen gut ist oder er Geschwister hat oder überhaupt irgendetwas. Aber dafür kann er nichts; auch wenn er gefragt hätte, hätte ihm Sasuke wahrscheinlich nicht geantwortet. Daran muss Naruto noch ein wenig feilen, denn diese ganze Verschlossenheit steht ein bisschen im Kontrast dazu, dass er Sasuke in Gedanken schon sein halbes Leben verschrieben hat. Aber so schlecht kann die Beziehung zu seinen Eltern gar nicht sein, denn er arbeitet nicht und irgendwo muss er das Geld ja herkriegen. Naruto beschließt, ihn in Zukunft einfach danach zu fragen, wenn er besser gelaunt ist und man von Einvernehmlichkeit sprechen kann, was ihre Freundschaft angeht. Vielleicht kommt ja irgendwann der Tag, an dem Sasuke ihm solche Dinge freiwillig erzählt, weil er gar nicht mehr anders kann, als seine Dämonen und Träume mit Naruto zu teilen. Aber bis es soweit ist, freut er sich über jedes Puzzleteil Information, das er in die Finger bekommt, egal wie belanglos es scheint. --- Januar Draußen schneit es. Dicke, weiße Flocken segeln vom Himmel, aber sie bleiben nicht liegen und schmelzen gleich wieder, weil die Temperatur zu mild ist. Obwohl der Wetterbericht von Minusgraden gesprochen hat, zumindest gestern Abend noch. Auf den Straßen gibt es deshalb nur schmutzig braunen Schneematsch, aber von drinnen sieht alles sehr idyllisch aus, solange man nicht nach unten schaut, denn die Häuserdächer sind sogar ein klein wenig weiß bestäubt. Sasuke sitzt auf dem Sofa und spielt ein bisschen auf seiner Lieblingsgitarre, als die Tür aufgeht und ein weiß-gepunkteter Naruto die Wohnung betritt. Den Schlüssel hat er vor einer Weile mal mitgehen lassen und Sasuke hat sich bis jetzt noch nicht beschwert, auch wenn er ihn sicher nie freiwillig hergegeben hätte. Der Fernseher läuft im Hintergrund, ist aber so leise gestellt, dass er nicht stört. Es ist bloß ein nebensächliches Rauschen zu hören, das irgendwie ein Fundament zu Sasukes klarer Melodie bildet. Er hat dieses Riff schon einmal gesehen, erinnert sich Naruto, während er Mütze, Schal und Jacke über einen herumstehenden, bepackten Stuhl hängt. Es ist hübsch, nicht so aufdringlich und viel weniger verzerrt, als Sasuke normalerweise spielt. Sehr griffig, aber relativ einfach gehalten, wenn er das mit seinem Pseudo-Fachwissen schon richtig beurteilen kann. Ein bisschen überraschend ist es schon, weil er weiß, wie gerne Sasuke zeigt, was er kann. Komplexe Fingersätze sind der Standard, Tonlagen, die gekonnt den Abgrund des Schiefklingens entlang balancieren und unruhige Rhythmen, alles sehr edgy und irgendwie cool. Fast möchte er ihn fragen, wie er zu dem Stilbruch gekommen ist. Aber dafür ist später noch genug Zeit, denn wenn er ihn unterbricht, hört Sasuke vielleicht auf zu spielen und das ist das letzte, was Naruto erreichen will. Deshalb setzt er sich auch nicht zu ihm, sondern hantiert in der Miniküche, um Tee zu machen, und versucht dabei, so leise zu sein wie möglich. Während er darauf wartet, dass das Wasser anfängt zu kochen, summt er ein bisschen mit und ist insgeheim überzeugt, dass diese Melodie die Skizze für einen unglaublich tollen Song sein wird, der in ein paar Jahren überall im Radio läuft und von mehr Leuten als Naruto beim Teekochen gesummt wird. Ein paar Minuten später trägt er zwei Tassen herüber zu Sasuke, der die Gitarre inzwischen beiseite gelegt hat, und setzt sich neben ihn aufs Sofa. Ein 'Danke' ist zwar nicht zu hören, aber Naruto stellt sich einfach vor, dass Sasukes Schweigen mit stiller, aufrichtiger Dankbarkeit unterlegt ist, und das ist fast genauso gut. Schneeflocken lassen sich draußen vom Wind tragen und ein paar von ihnen segeln gegen die Fensterscheibe, an der sie wenig später als kleine Tröpfchen hinabrinnen. Es schneit, als Sasuke fast zaghaft seine Tasse Tee nimmt und probiert, als wäre Gift hineingemischt worden. Es schneit noch immer, als Naruto mit dem Zeigefinger über den Couchtisch streicht und dann den pulvrigen Schmutz wegpustet. Sasuke hat wohl länger nicht mehr Staub gewischt. --- Februar Es ist irgendwann zwischen einem verregneten Freitagabend und sintfluthaften Samstagmorgen, als er Sasuke mit sich aus den Türen des Clubs zieht und sich auf den Heimweg macht. Die Situation ist bizarr und bruchstückhaft in seinem Kopf, aber das ist schon eine ganze Weile lang so; seit ein paar Stunden, würde er sagen, wenn er noch Zeitgefühl hätte. "Sasukeee", lallt Naruto grinsend und legt einen Arm um die Schultern des anderen Mannes, der sich widerstandslos gegen seinen Oberkörper ziehen lässt. Das macht es nicht unbedingt stabiler; keiner von beiden kann noch gerade laufen und Sasuke lehnt mit mehr Gewicht gegen Naruto, als der es momentan ausgleichen kann. In Schlangenlinien stolpern sie von einer Straßenseite zur anderen, bis sich Sasuke den Fuß an einem parkenden Auto stößt und leise fluchend stehen bleibt. Er kann nur mit Mühe dem Impuls widerstehen, dagegen zu treten, stattdessen reißt er sich von Naruto los, der das alles gerade sehr lustig findet, und lässt sich demonstrativ zu Boden fallen, wie ein kleines Kind, das nicht mehr weiterlaufen will. Er ist betrunken genug, um sich nicht daran zu stören, dass es kalt und nass ist und seine Kleidung vielleicht schmutzig wird, aber Naruto denkt offensichtlich anders darüber, wenn das konstante Zerren an Sasukes Arm und die sanften Tritte in seine Seite irgendetwas zu bedeuten haben. Schwerfällig dreht er seinen Kopf und schaut zwischen triefenden Haarsträhnen zu dem blonden Mann über ihm herauf. "Lass mich hier liegen." "Waas? Aber es regnet!", macht Naruto entsetzt und gestikuliert überflüssig in der Gegend herum. "Du wirst sterben, wenn du hier liegen bleibst und das kann ich nicht zulassen!" "Laber nicht." "Doooch! Ich bin mir hundertprozentig sicher! …Ach, was soll's, ich will mich auch hinlegen." "Trottel." Es ist schwer, gegen das Grinsen anzukämpfen, das mit solcher Gewalt an seinen Mundwinkeln zieht, findet Sasuke, vor allem, weil ihm nicht mehr einfällt, warum er sich überhaupt so wehrt. Naruto stolpert ein paar Schritte um ihn herum und legt sich neben ihn, dass sich ihre Schultern berühren. Ein Teil von Sasuke registriert das, aber sein gewohnter Zurückweich-Reflex ist irgendwo unter Litern von Alkohol verschwunden und er hat keine Lust, danach zu suchen. Über ihm blinken die Lichter von einem Flugzeug durch das dunkle Wolkenmeer und alles ist ruhig, bis auf das Prasseln des Regens und Naruto, dessen Anwesenheit man fast ausblenden könnte, würde er nicht durch grundloses Kichern immer wieder auf sich aufmerksam machen. Aber es stört nicht, erstaunlicherweise—eigentlich stört ihn gar nichts im Moment, stellt Sasuke überrascht fest, und schließt die Augen. Naruto ist währenddessen damit beschäftigt, Regentropfen mit seinem Mund aufzufangen und geht dieser Aufgabe eine Weile lang auch voll kindlicher Begeisterung nach, bis ihn irgendwann die Motivation verlässt. Sasuke neben ihm ist still geworden, wobei er das eigentlich schon die ganze Zeit ist, aber Naruto war zu sehr in seiner Welt vertieft, um davon Notiz zu nehmen. Jetzt ist ihm langweilig und er möchte unterhalten werden, deshalb dreht er sich um und rollt dabei fast auf Sasuke. Aber das kann er noch rechtzeitig verhindern, denn sonst würde er auf ihm liegen und das wäre ein bisschen schwul. Nichts, womit er unbedingt assoziiert werden will, wenn er die Wahl hat. Darum stützt er sich auf einem Ellbogen ab und lehnt herüber, aber sein Kopf ist schwer und kommt Sasukes Gesicht immer wieder gefährlich nahe. Halbherzig bemüht sich Naruto, ein paar Zentimeter Abstand zu halten. "Schläfst du?", lacht er, als er zwei geschlossene Augen sieht, aber die irritiert zuckenden Brauen darüber beantworten ihm seine Frage sehr schnell. Fasziniert beobachtet Naruto, wie kleine Regentropfen von seiner Nasenspitze perlen und auf der blassen Haut unter ihm landen, bis Sasukes Atem seine Wange streift und ihn aufschreckt. Das ist ein bisschen zu nahe, selbst für Narutos betrunkenen Verstand, deshalb lässt er sich wieder zurück auf den Rücken fallen und blinzelt verirrte Wassertropfen aus seinen Augen. Die nächsten Minuten liegt er einfach nur da, schaut in den Himmel, der eigentlich gar kein Himmel ist, sondern nur ein dichter schwarzer Wolkenteppich, und denkt an seine Zukunft und Sasuke und das hübsche Mädchen mit den dunklen Haaren, das er irgendwann im Laufe des Abends kennengelernt hat. Eine Bewegung neben ihm reißt ihn schließlich aus seinen Gedanken und in einem kurzen Moment der Klarheit bemerkt Naruto zum ersten Mal, wie kalt es eigentlich ist. Desorientiert setzt er sich auf und rüttelt an Sasukes Schulter, der seine Augen inzwischen geöffnet hat. "Mir ist langweilig, lass uns weitergehen", jammert Naruto, während er ungeschickt versucht, sich aufzurichten. "Mmh." Sasuke scheint sich nicht wirklich bewegen zu wollen, aber er lässt sich trotzdem ganz leicht von Naruto nach oben ziehen. Für einen Moment drohen beide wieder hinzufallen, doch sie können sich noch rechtzeitig fangen und setzen strauchelnd ihren Weg fort in die Richtung, aus der sie glauben, nicht gekommen zu sein, aber dafür würde keiner von ihnen seine Hand ins Feuer legen. Der Weg verläuft nicht im Stillen, dafür sorgt Naruto und erzählt fröhlich Anekdoten, die ihm spontan in den Sinn kommen, während Sasuke nur halb zuhört und darüber schweigt, dass er schon seit einer Weile wahllos in Straßen einbiegt, weil er eigentlich keine Ahnung hat, wo genau sie sich befinden. Auf einmal verstummt Naruto und bleibt ohne Vorwarnung vor der Tür zu einem mehrstöckigen Wohngebäude stehen. Sasuke schenkt dem wenig Beachtung, erst als er nach ein paar Schritten nicht nachkommt, dreht er sich irritiert um. "Was machst du da?", will Sasuke wissen, aber als Antwort bekommt er nur ein verdächtiges Kichern, bevor Naruto mit seiner Handfläche gegen die Klingeln des Hauses drückt und lossprintet. Unschlüssig bleibt Sasuke stehen, schaut von Naruto zu dem Gebäude und wieder zurück, aber nur kurz, denn als Licht in einem der Fenster angeht, fängt er an, dem blonden Jungen hinterher zu joggen. Nicht allzu schnell, denn er ist zu cool zum Wegrennen und außerdem ist die Straße vom Regen ein bisschen rutschig und er nicht betrunken genug, um zu denken, dass das kein Problem ist. Naruto lacht atemlos und weckt wahrscheinlich die ganzen Anwohner auf, aber das scheint ihn nicht zu stören. Sasuke sieht den Humor in der Sache nicht wirklich, findet sich jedoch mit dem Gedanken ab, dass es irgendwie zu erwarten war. Der Boden verschwimmt unter Narutos Füßen, die selten trittsicher aufkommen, aber es fühlt sich gut an, zu rennen und zu lachen und obwohl der Klingelstreich eher lahm war, kommt es ihm vor, als wäre es die lustigste Sache der Welt. Für eine Weile ist alles perfekt, aber dann rutscht auf einmal sein Fuß weg und er denkt eine kurze, panische Sekunde lang, er müsste sterben, als er nach vorne fällt und unsanft mit der Straße kollidiert. Der Alkohol dämpft den Schmerz vom Sturz ein bisschen ab und eigentlich ist es sowieso mehr Schreck als irgendetwas anderes, aber alles dreht sich und er bleibt liegen, bis er realisiert hat, was gerade eben passiert ist. Blut pulsiert viel zu laut in seinen Ohren und von irgendwo her hört er jemanden lachen, aber es ist kein fröhliches Lachen, sondern ein schadenfrohes, und Naruto braucht ein paar Sekunden, um es zuzuordnen, weil es so fremd klingt. Dann sitzt er plötzlich wieder aufrecht, als wäre nie etwas gewesen und deutet mit ausgestrecktem Arm und großen Augen auf den jungen Mann wenige Meter vor ihm. "Du lachst!", ruft er anklagend. "Du bist hingefallen", antwortet Sasuke schulterzuckend und sieht immer noch sehr amüsiert aus. Verständnislos blinzelt Naruto ihn an, bis ihm auf einmal bewusst wird, dass er ausgelacht wurde und eigentlich wütend sein sollte, aber dafür hat er gar keine Zeit, denn Sasuke ist da und hält Naruto eine Hand hin, die zwar nicht ganz verlässlich aussieht, aber trotzdem vertrauensvoll gepackt wird. Mit dem zusätzlichen Gewicht scheint er jedoch nicht zurecht zu kommen, verliert das letzte bisschen Balance, das er hat, und fällt halb auf den Asphalt, halb auf Naruto. "Ouch, Sasuke, das hat weh getan!", beschwert dieser sich, meint es aber nicht so. Stattdessen lacht er und hilft Sasuke auf, der ein kleines Lächeln nicht unterdrücken kann, obwohl er sich wirklich Mühe gibt. Naruto besteht darauf, sich für den Rest des Weges an Sasukes Jacke festzuhalten, falls einer von ihnen wieder das Gleichgewicht verlieren sollte. Die Idee ist dumm und kontraproduktiv, findet Sasuke, sagt aber nichts. Stattdessen trottet er stumm neben Naruto her, der jeden belanglosen Gedanken ausformuliert, auch wenn ihm niemand zuhört. Die Luft wird mit jedem Schritt kälter, obwohl das auch nur die Wirkung des Alkohols sein könnte, die stetig nachlässt. Langsam beginnt sich alles wieder so ungemütlich real anzufühlen, aber um die Ecken herum ist es immer noch ein bisschen unscharf. Zum ersten Mal fällt Sasuke auf, wie müde er eigentlich ist. "Mmh, sind wir bald da?", macht Naruto und hört sich dabei genauso schläfrig an wie Sasuke sich fühlt. "Nur noch ein paar Minuten." "Ah, gut, ich kipp nämlich gleich weg." Zur Antwort murmelt Sasuke etwas, aber Narutos Konzentration reicht nicht mehr, um es wirklich zu verstehen. Er muss kämpfen, damit seine Augen offen bleiben, gibt das jedoch irgendwann auf und legt seinen Kopf auf Sasukes Schulter, wovon der andere zwar etwas zurückscheut, es aber trotzdem geschehen lässt. Sasuke ist nass, dafür warm und gar nicht unbequem. So sollte es öfter sein, überlegt Naruto und schließt die Augen. Es ist nur schade, dass er sich morgen nicht mehr richtig daran erinnern wird. ------------- Äh ja, um den Schreib- und Post-Prozess ein wenig zu beschleunigen, hab ich das Kapitel spontan geteilt, weil die andere Hälfte ist teilweise nur grob skizziert und das hätte sonst noch ewig dauern können. Und sorry für die längere Pause. Joa, das Kapitel hier liest sich zwar mehr wie eine Sammlung Mini-Oneshots (das nächste logischerweise auch, danach gehts dann wieder normal weiter), aber so ist alles schön aufs Wichtigste konzentriert und man kann die Entwicklung der beiden besser verfolgen. Denke ich. Hoffe ich. War jedenfalls meine Absicht. :D Kapitel 6: Between love and hate - II ------------------------------------- März   Das Erste, was Naruto durch den Kopf geht, als er seinen Zulassungsbescheid von der Uni in den Händen hält, ist, dass er sein Glück mit Sasuke teilen muss. Also würgt er den Rest des halbverbrannten Marmeladentoasts vor ihm herunter, überbringt seinen Eltern die frohe Botschaft per SMS während er sich eine Jacke überwirft und verlässt fluchtartig das Haus, um noch die nächste Bahn zu erwischen. Denn die Zusage ist weniger sein eigener Verdienst als Sasukes, der ihn souverän durch den Irrgarten von Uniwebseiten geführt und mehrere Stunden dafür geopfert hat, um ihm beim Schreiben seines Personal Statements zu helfen. Leider zeigt er immer nur dann so viel Hilfsbereitschaft, wenn er die Chance sieht, seine eigene Überlegenheit demonstrieren zu können, aber dieses Mal drückt Naruto gern ein Auge zu.   Nach einer schier endlosen Fahrt eingequetscht zwischen Büromenschen und Schülern findet er sich schließlich auf dem Weg zu Sasukes Wohnung, den er inzwischen sogar im Halbkoma zurücklegen könnte. Wahrscheinlich schläft Sasuke noch, überlegt Naruto grinsend, während er in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel kramt, und kann schon fast sehen, wie Sasuke gleich seinen zerzausten Kopf vom Kissen hebt und ihn aus schlaftrunkenen Augen anblinzelt, bevor er daran denkt, mürrisch und aggressiv zu sein. Aber heute ist ein seltsamer Tag, denn als sich die Tür schließlich öffnet, steht er mitten im Flur, halbwach und halbangezogen, und lässt sich von seiner rothaarigen Nachbarin bedrängen. Von allen Szenarien, in denen Naruto erwartet hat, Sasuke mal zu finden, rangiert das ziemlich weit hinten.   "Oh", macht er erstaunt. "Du hast Besuch?"   "Eigentlich nicht."   Sasukes Augen richten sich für einen Sekundenbruchteil auf Naruto, bevor sie wieder zu der Frau einen halben Meter vor ihm zurückkehren. Sein Tonfall und Blick machen kein Geheimnis daraus, dass sie nicht erwünscht ist. Sogar weniger als das, denn auch wenn Naruto selbst selten das Gefühl hat, wirklich willkommen zu sein, wird seine Anwesenheit meistens doch akzeptiert. Den Wink mit dem Zaunpfahl scheint sie jedenfalls verstanden zu haben, denn Naruto hat kaum Zeit, beiseite zu treten, bevor sie sich unsanft an ihm vorbei durch die Tür zwängt und die Treppen zu ihrer Wohnung hochstampft. Noch immer etwas perplex zieht er erst eine, dann die andere Augenbraue hoch.   "Was war das denn?"   "Karin. Meine Nachbarin."   Sasuke fährt sich mit einer Hand durchs Haar und lässt sich schwerfällig auf das Sofa fallen, als hätte er gerade das Maximum an Stress erreicht, das er an einem Tag ertragen kann. Naruto zögert nicht und setzt sich zu ihm.   "Ich weiß… uhm, ich meinte eher, was sie hier macht."   "Sie wollte mich irgendwas fragen. Und dann ist sie einfach reingekommen und hat sich geweigert zu gehen."   "Oh. Ziemlich aufdringlich."   "Du bist nicht anders", murmelt Sasuke mit einem Seitenblick zu Naruto, der darauf nur grinsen kann.   "Aber ich bin cool und du magst mich."   "..."   "Und, stehst du auf sie?", fragt Naruto nach einer Weile, als wäre das die logische Schlussfolgerung. Sasuke scheint da anderer Meinung zu sein, wenn das wiederholte Blinzeln und die zuckenden Augenbrauen irgendetwas zu bedeuten haben.   "Was?"   "Na, sie sieht gut aus und du kennst sogar ihren Namen. So viel Interesse zeigst du bei sonst kaum jemandem", erklärt Naruto und nickt dabei wissend, ohne Sasukes entgeisterten Blick in seine Theorie miteinzubeziehen.   "Sie wohnt einen Stock über mir, natürlich kenne ich ihren Namen."   "Du hast meine Frage nicht beantwortet, Sasuke…", grinst er schelmisch mit filmreifem Augenbrauen-Gewackel.   "Nein, ich stehe nicht auf sie. Glücklich?"   Narutos Gesicht fällt, aber nur ein bisschen, bevor er sich wieder fängt.   "Wirklich nicht? Hm… Gibt es denn eine andere, die du im Auge hast? Das wollte ich dich schon die ganze Zeit mal fragen."   "Nein. Und selbst wenn, wäre das nichts, was ich mit dir besprechen würde."   "Aw, du verletzt mich, Sasuke!", ruft Naruto theatralisch und drückt seine Handfläche gegen die Stelle Brust, worunter er sein Herz vermutet, aber seine Schauspielkünste sind nicht sehr überzeugend und so gibt er es schnell wieder auf. "Hey, wo wir schon beim Thema sind—du erinnerst dich nicht zufällig an dieses süße schwarzhaarige Mädchen, an dem Abend vor zwei Wochen, als wir so betrunken waren? Sie schien dich nämlich zu kennen."   Sasuke sieht fast so aus, als wäre er überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel und hebt erstaunt die Augenbrauen, antwortet nach ein paar Sekunden aber trotzdem, obwohl er sich vorstellen kann, wohin diese Konversation führt.   "Ja, das ist Nejis Cousine."   "Echt jetzt? Cool! Wie heißt sie?", antwortet Naruto etwas zu schnell und zu motiviert für Sasukes Geschmack.   "Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht."   "Aber mich!"   "Dann frag Neji oder so."   Das dämpft Narutos Stimmung ein klein wenig und er sinkt wieder zurück ins Sofa, von dem er eben beinahe aufgesprungen wäre. In der Hinsicht kann man Sasuke immer vertrauen; er holt einen zurück auf den Boden und macht sein Desinteresse unmissverständlich klar. Grummelnd pustet Naruto eine blonde Haarsträhne aus seinen Augen, die etwas zu lang geraten ist, und verschränkt die Arme in einem Anflug von Pseudo-Trotz. Es dauert aber keine zwei Minuten, bis ihm das zu dumm wird; die Haltung ist ungewohnt und außerdem hat er ja eigentlich gar kein Problem mit Sasuke. Der ist inzwischen aufgestanden und gerade dabei, sich Frühstück zu machen. Naruto legt den Kopf schief und beobachtet, wie er die Küchenschränke durchwühlt auf der Suche nach etwas Essbarem und letztendlich nur mit einer großen Tasse Tee zurückkommt. Er will Sasuke schon vorwerfen, wie egoistisch es ist, dass er keine für ihn mitgebracht hat, als ihm auf einmal etwas einfällt.   "Hey! Ich hab ganz vergessen, wieso ich eigentlich hier bin!", ruft er kopfschüttelnd und sucht nach Sasukes Blick, der ihn nur unbeeindruckt erwidert. "Ich wurde an der Uni angenommen! Cool, oder?"   "Ah. Dann heißt das wohl, du wirst in Zukunft nicht mehr die Zeit haben, hier so oft rumzuhängen?", fragt Sasuke beinahe hoffnungsvoll und klingt interessierter als er sollte.   "Wahrscheinlich…"   "Gut."   Naruto rollt mit den Augen und legt seinen Kopf auf die Sofalehne in seinem Nacken. Er ist sich in solchen Situationen immer noch nicht ganz sicher, ob Sasuke es wirklich ernst meint oder nur eine komische Art von Humor hat.   ---   April   Es hat eine Weile gedauert, Sasuke davon zu überzeugen, dass der Kontakt mit ein paar Menschen ihn nicht umbringen wird. Aber die kalten Temperaturen und der feine Sprühregen scheinen Narutos ganze langwierige Arbeit zunichte machen zu wollen, denn es gibt keinen Grund, wieso Sasuke sich nicht auf dem Absatz umdrehen und nach Hause laufen sollte, wenn selbst Naruto das gerade ernsthaft in Erwägung zieht. Im gelegentlichen Laternenschein kann er sehen, wie fest zusammengepresst Sasukes Lippen sind und wie angespannt seine Schultern, die er fast bis zu den Ohren hochgezogen hat. Ein paar Mal hatte Naruto den Instinkt, ihm seine eigene, viel zu dünne Jacke anzubieten, aber es ist zu kalt, um selbstlos zu sein und Sasuke würde sie sowieso nicht annehmen. Zum Glück ist es nicht mehr weit, wenn der Plan und die Adresse stimmen.   "Sind wir überhaupt eingeladen?", kommt irgendwann misstrauisch von Sasuke, das erste, was er seit gefühlten Stunden von sich gegeben hat. Naruto kratzt sich verlegen am Hinterkopf.   "Öh, weiß nicht. Kiba hat mir die Adresse gegeben, also schon, irgendwie. Denke ich. Von dir hat er allerdings nichts gesagt…"   Das ist aber auch nicht weiter überraschend, denn Kiba scheint Sasuke nicht besonders zu mögen, und so hat er nicht weiter darüber nachgedacht und beschlossen, Sasuke trotzdem mitzunehmen. Auch wenn der sich zunächst hartnäckig dagegen gewehrt hat und immer wieder betont, dass er so bald wie möglich gehen wird, ob mit oder ohne Naruto. Das ist nicht sehr solidarisch, aber Sasuke meint es wahrscheinlich sowieso nicht ernst.   Als sie schließlich vor ihrem Ziel stehen, einem unscheinbaren Reihenhaus, wird ihnen die Tür geöffnet von einem etwas fertig aussehenden Mädchen und Naruto kann nicht sagen, ob sie hier wohnt oder nur Gast ist, aber das spielt keine Rolle, denn sie lässt die beiden rein und fragt nicht nach. Sasuke und er tauschen kurze Blicke aus, dann folgen sie ihren Schlangenlinien durch den engen Flur ins Wohnzimmer, das vollgepackt ist mit Menschen, die Naruto noch nie zuvor gesehen hat. Aber dann entdeckt er Shino und setzt sich zu ihm, froh darüber, überhaupt jemanden zu kennen, obwohl es zu dritt ein wenig eng auf dem Sofa ist. Dafür entschuldigt er sich kurz und fängt an, ein bisschen mit ihm zu plaudern, aber Shino ist nicht besonders kommunikativ und deshalb gibt er das Reden schnell für eine herumliegende Chipstüte auf, die er mit Sasuke teilt, denn beide haben heute noch nicht viel gegessen. Man kann Rauchschwaden sehen, wenn man im richtigen Winkel ins Licht schaut, die Musik ist laut und es riecht ein bisschen illegal. Grinsend dreht sich Naruto zu Sasuke.   "Wollen wir nicht doch bleiben? Vielleicht kriegen wir was ab, hehe…"   Das Mädchen, das sie hereingelassen hat, hat sich inzwischen auf die Sofalehne neben Sasuke gesetzt und macht ihm eindeutige Angebote, aber der knabbert nur desinteressiert an einem Chip. Naruto wippt fröhlich mit seinem Fuß im Takt zu der Musik.   "Weißt du was, Sasuke?", fällt ihm auf einmal ein. "Ich hab letztens Hinata getroffen—so heißt sie, Nejis Cousine. Und rate mal! Sie hat mir ihre Nummer gegeben! Cool, huh?"   "Furchtbar cool."   "Komm schon, du musst dich für mich freuen", lacht Naruto und schubst Sasuke scherzhaft zur Seite, dass Chips auf den Boden regnen und das Mädchen von der Lehne fällt. Kleinlaut entschuldigt sich Naruto bei ihr, aber sie hört gar nicht zu und stolpert irgendwo anders hin.   In dem Moment entscheidet Kiba, endlich mal aufzutauchen, obwohl er nach der halbleeren Flasche Bier in seiner Hand zu urteilen schon eine Weile da ist.   "Heey! Schön dich zu sehen, Alter!", ruft er quer durch den Raum, als er Naruto entdeckt, und quetscht sich zwischen ihn und Shino, der ein bisschen abgedrängt wird, aber davon nimmt niemand Notiz. Etwas anderes interessiert Naruto gerade viel mehr.   "Wo sind denn Getränke?", fragt er mit einem Nicken zu Kibas Bier.   "Steht hier nichts mehr rum? Im Keller sind sicher noch welche."   Das lässt er sich nicht zweimal sagen und zieht Sasuke am Arm nach oben, der nicht ganz unglücklich darüber scheint, für ein paar Minuten wegzukommen. Im Flur finden sie eine Tür, die in den Keller hinab führt, aber es gibt kein Licht und deshalb steigen sie nur ganz langsam herunter, denn die Treppe ist ungewöhnlich steil. Unten angekommen tastet Naruto im Dunkeln nach einem Lichtschalter und dann sieht er sie—eine einsame, vernachlässigte Gitarre mit dicken Staubschichten auf dem roten Lack und abgenutzten Saiten, von denen der Rost abblättert.   "Schau mal, Sasuke", macht er und rüttelt ihn an der Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. "Arme Gitarre. Eigentlich schade drum."   Aber Sasuke hat sich schon abgewendet und nimmt zwei Flaschen aus einem Bierkasten, die er geschickt mit seinem Feuerzeug öffnet und eine davon Naruto reicht, der erst gar nicht reagiert, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, sehnsüchtig auf die Gitarre zu starren.   "Nimm sie halt mit", schlägt Sasuke augenrollend vor. Überrascht dreht sich Naruto zu ihm um.   "Was—meinst du das ernst?"   "Das ist es doch, was du die ganze Zeit überlegst, oder nicht? Du brauchst sowieso eine", meint er nur schulterzuckend und schiebt sich an Naruto vorbei.   "Wer wohnt hier eigentlich?"   "Ist doch egal, die merken eh nichts mehr."   Eine Sekunde lang scheint er abzuwägen, dann wäscht sich die Unschlüssigkeit aus seinem Gesicht und wird mit einem Grinsen ersetzt.   "Hast recht."   Ohne länger nachzudenken, nimmt er die E-Gitarre unter den Arm und wartet noch auf Sasuke, der wohl nicht mit leeren Händen gehen will und deshalb den Kasten Bier mitschleppt. Naruto muss lachen über die Absurdität der Situation und wie gut es sich anfühlt, einen unbekannten Partygastgeber auszurauben. Er kommt sich vor wie ein Ninja auf geheimer Mission, als er die Treppe hochschleicht und dann den Flur entlang, Sasuke darf sein Sidekick sein, obwohl es ja eigentlich seine Idee war, aber in Narutos Kopf spielt das keine Rolle. Auf dem Weg zur Tür begegnet ihnen niemand, aber trotzdem ist Naruto bis zum Bersten mit Adrenalin aufgepumpt und kalte Nachtluft in seinem Gesicht hat sich noch nie so befreiend angefühlt.   "Wow… wir haben wirklich—", setzt Naruto an, bricht aber ab und fängt wieder an zu lachen. Sasuke und er sind ein gutes Team. Mit leuchtenden Augen schaut er zu ihm herüber und es sieht aus, als wüsste er, wie sich Naruto fühlt, auch wenn er das nicht zeigt.   Der Heimweg erscheint nur noch halb so lange und überhaupt nicht mehr kalt.   ---   Mai   Als Naruto an diesem Morgen in die Küche kommt, ist er nicht alleine. Denn auf dem Platz, den normalerweise er für sich beansprucht, sitzt eine Frau, die er vorher noch nie gesehen hat. Sie hat lange blonde Haare, ein paar Nuancen dunkler als Narutos, und fast jugendlich anmutende Gesichtszüge. Er tippt auf eine von Jiraiyas Liebschaften, die es verpasst hat, sich am nächsten Morgen aus dem Haus zu schleichen. Sie rührt abwesend in ihrem Tee, während sie durch eine Tageszeitung blättert. Naruto bleibt im Türrahmen stehen und überlegt, ob er wirklich so großen Hunger hat, dass er nicht ein paar Minuten auf sein Frühstück warten kann, bis sie hoffentlich bald weg ist. Aber die Entscheidung wird ihm abgenommen, denn während er noch herumsteht und nachdenkt hat sie ihn längst bemerkt und sich auf ihrem Stuhl vollständig zu ihm umgedreht. Kritische braune Augen mustern ihn sorgfältig von oben bis unten, dann wird ihr Blick weicher.   "Ah, du musst Naruto sein."   Perplex blinzelt er und deutet ungläubig auf sich, als gäbe es hier noch einen zweiten Naruto, den sie gemeint haben könnte.   "Jiraiya hat mich erwähnt?"   "Natürlich." Schulterzuckend nimmt sie einen Schluck von ihrem Tee und wendet sich dann wieder zu ihm. "Ich bin übrigens Tsunade."   "Cool. Freut mich. Ich muss dann los. Vielleicht sieht man sich ja irgendwann."   Spontan entscheidet Naruto, dass er genauso gut auch bei Sasuke frühstücken kann, denn die Situation ist merkwürdig und wenn er wieder nach Hause kommt, ist Tsunade sicher längst verschwunden.   Doch Tsunade geht nicht und Naruto ist gezwungen, sich einen neuen Lieblingssitzplatz zu suchen. Es dauert ein paar Tage, bis ein offizielles Statement von Jiraiya folgt und Naruto fragt sich, wie lange das eigentlich schon am Laufen ist und ob er nur nichts mitgekriegt hat, weil er die ganze Zeit bei Sasuke war und auch sonst nie sonderlich viel Interesse am Liebesleben seines Onkels gezeigt hat.   "Warte, warte. Hab ich das richtig verstanden? Von allen Menschen auf der Welt willst ausgerechnet du eine ernsthafte Beziehung führen? Du?"   Auf Narutos überzogen verwunderten Blick reagiert Jiraiya mit trockenem Lachen.   "Was erstaunt dich so daran?"   "Huh. Nichts", macht Naruto und sorgt dafür, dass man die Ironie in seiner Stimme nicht überhören kann. "Und sie wohnt jetzt ab sofort hier oder was?"   "Ja. Wenn du was dagegen hast, musst du damit leben. Du bist doch sowieso kaum zu Hause."   "Nein, ist okay. Ich hab's nur nicht erwartet."   Und das meint Naruto, denn er mag Tsunade, obwohl sie schroff ist und lasterhaft und die dritte Person in dem Haushalt, die nicht richtig kochen kann. Aber das ist nicht schlimm, denn es gibt genug gute Eigenschaften, die das ausbalancieren, und außerdem hat sich Naruto schon mit viel unmöglicheren Menschen angefreundet. Jemanden um sich zu haben, der weiß, was zu tun ist und mit beiden Beinen im Leben steht, wird ihm sicherlich nicht schaden.   --- Juni   Es ist ein trister Freitagnachmittag, für den Naruto schönere Tätigkeiten einfallen, als Lebensmittel in Supermarktregalen aufzufüllen, aber er hat heute Abend ein Date, auf das er sich freuen kann, und deshalb geht die Arbeit ein klein wenig leichter von der Hand als sonst. In Gedanken ist er schon ein paar Stunden weiter, im dunklen Kino neben Hinata mit einem Arm lässig um sie gelegt, als Kiba ihn an der Schulter rüttelt und aus seinen Tagträumen reißt.   "Sieh mal, wer dich besuchen kommt", grinst er mit einem Kopfnicken in Richtung Kasse, wo zwischen einer alten Dame und einem händchenhaltenden Teenagerpärchen der wahrscheinlich letzte Mensch ansteht, den Naruto hier erwartet hätte. Überrascht drückt er Kiba das Zeug in die Hände, das er gerade einräumen wollte, und eilt zur Kasse.   "Hey, Sasuke, was machst du denn hier?", ruft er, ein bisschen zu laut, sodass sich der halbe Supermarkt zu ihm umdreht und Sasuke kurz zusammenzuckt. Daraus macht sich Naruto aber nichts und läuft die letzten paar Meter zu ihm herüber, bevor er etwas leiser fortfährt. "Hast du mich vermisst?"   "Ich wollte nur Zigaretten kaufen", entgegnet Sasuke abweisend und legt zur Demonstration ein Päckchen aus dem Regal auf das Fließband. Naruto hebt eine skeptische Augenbraue.   "Natürlich. Dafür fährst du durch die halbe Stadt."   "Ich war in der Nähe", erklärt er und klingt dabei gereizter als sonst. "Außerdem—wieso sollte ich dich sehen wollen? Du drängst dich mir fast jeden Tag auf."   Eigentlich stimmt das nicht, denkt Naruto und versucht, die kleinen Gewissensbisse in seinem Hinterkopf zu ignorieren. Denn in Wahrheit hat er im vergangenen Monat nur sehr wenig Zeit für Sasuke gehabt, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben, sind schon fast zwei Wochen vergangen und das ist furchtbar viel, wenn man darauf zurückschaut, dass sie bis vor kurzem nie länger als wenige Tage getrennt waren. Aber natürlich sagt Sasuke das nicht. Er bezahlt nur stumm seine Zigaretten mit ein paar Münzen, die er aus seiner Hosentasche fischt, und geht dann in Richtung Ausgang, als ob es den kurzen Wortwechsel eben nie gegeben hätte. Augenrollend entscheidet Naruto, dass es wieder einmal an ihm liegt, die Situation zu retten, und schiebt sich mit einem 'Entschuldigung' auf den Lippen an ein paar Kunden vorbei, um Sasuke hinterher zu laufen. Er holt ihn ein, noch bevor er durch die Automatiktüren gehen kann und packt sein Handgelenk, damit Sasuke sich zu ihm umdrehen muss und ihn nicht einfach ignoriert.   "Schau, ich hab gleich Feierabend. Wartest du auf mich?", versucht Naruto es mit einem Lächeln, das auf Sasuke keine Wirkung zeigt, denn der grummelt nur etwas Undeutliches vor sich hin, was sich stark nach 'Als ob ich nichts Besseres zu tun hab' anhört. Dann reißt er sich los und Naruto wendet sich wieder seiner Arbeit zu, weil sein Chef sonst sicher wütend wird und man mit Sasuke sowieso nichts anfangen kann, wenn er schlecht gelaunt ist.   Aber was Sasuke sagt und was Sasuke sagen will sind viel zu oft zwei völlig unterschiedliche Dinge und deshalb wundert es Naruto auch nicht, ihn mit einer neugekauften Zigarette in der Hand vorm Supermarkt zu finden, gegen die Wand gedrückt, weil es regnet, obwohl er ihn fast übersehen hätte.   "Du hast ja doch gewartet."   Als Sasuke aufschaut, ist sein Gesicht blank und spiegelt nicht mal ein bisschen das zufriedene Lächeln auf Narutos Lippen. Stattdessen zuckt er teilnahmslos mit den Schultern und drückt seine Kippe an der Wand aus, bevor er sie wegschnickt.   "Geh'n wir?", fragt er ungeduldig und spannt seinen Regenschirm auf, an den er natürlich gedacht hat. Ohne auf eine Antwort zu warten, läuft er los, bleibt aber nach ein paar Schritten stehen, als er bemerkt, dass Naruto nicht nachkommt.   "Was ist?"   "Ich hab meinen Schirm vergessen…", erklärt Naruto kleinlaut und hofft dabei auf einen Funken Altruismus, von dem er sicher ist, dass er irgendwo in Sasuke steckt. Aber der starrt ihn nur verständnislos an.   "Ich seh's."   "Kann ich mit unter deinen?", versucht er es noch einmal, für den Fall, dass es für Sasuke vorhin zu subtil war.   "Nein."   "Aw, Sasuke, komm schon...!" "Wieso? Du bist selbst dran schuld."   Aber Abweisungen haben vor Naruto keinen Bestand und deshalb rennt er einfach die paar Meter durch den Regen auf Sasuke zu, krallt sich an dessen Jacke fest, bevor er reagieren kann, und duckt sich unter den Schirm. Sasuke sieht nicht erfreut aus über sein neues Anhängsel, aber er reagiert nur mit einem finsteren Blick. Es ist viel zu kalt für Juni und Naruto verflucht sich dafür, dass er heute Morgen dachte, ein T-Shirt würde reichen, als er spürt, wie kühles Regenwasser seinen Arm herabrinnt. Denn Sasukes Schirm ist nicht für zwei Personen gemacht und deshalb schafft es keiner von beiden, wirklich trocken zu bleiben.   "Hast du Hunger? Wollen wir irgendwo was essen gehen?", fragt er nach ein paar Minuten, als sie in die Nähe der U-Bahn-Station kommen. "Ich treff mich später mit Hinata, also lohnt es sich für mich gar nicht, heim zu fahren."   Sasukes Antwort fällt nicht positiv aus, aber auch nicht eindeutig negativ und deshalb zieht Naruto ihn einfach in den nächstbesten Gastropub, wo er für beide Bier holt und dann ein paar zähe Minuten daran verschwendet, eine Konversation zu starten, bevor ihnen endlich das Essen an den Tisch gebracht wird. Nach zwei gescheiterten Versuchen, seine Pommes mit der Gabel aufzuspießen, gibt Naruto schließlich auf und schwört dem Besteck endgültig ab. Sasuke beobachtet alles mit hochgezogenen Augenbrauen, während er ein paar Mal an seinem Bier nippt.   "Ihr seid zusammen?", fragt er dann auf einmal aus heiterem Himmel und Naruto ist so überrascht, dass er sich beinahe an seinem Essen verschluckt.   "Uhm", macht er unintelligent und schiebt sich noch mehr Pommes in den Mund. "Irgendwie schon, ja. Glaube ich zumindest. Wir waren schon ein paar mal aus und haben uns geküsst und—"   "Will ich nicht wissen", unterbricht ihn Sasuke eilig, bevor Naruto weitere Details aus seinem Liebesleben ausplaudern kann. "Lässt du dich deswegen so selten blicken?"   Schuldbewusst schaut Naruto auf seinen Teller und kratzt sich an der Wange.   "Eh ja, liegt wohl größtenteils daran. Tut mir echt leid, ich versuch, mehr Zeit für dich zu finden, okay? Versprochen."   "Nein, ich bin froh, wenn ich dich nicht so oft sehen muss. Ernsthaft."   Sasuke spricht mit solcher Aufrichtigkeit, dass Naruto gar nicht anders kann, als ihm jedes Wort zu glauben. Es tut ein bisschen weh, aber das überspielt er mit einem Lächeln und wendet sich wieder seinem Essen zu.   Der Pub füllt sich allmählich mit Menschen, die von der Arbeit kommen und ihren Feierabend mit einem Bier einläuten wollen, was für Naruto das Stichwort ist, sich langsam nach einer Uhr umzuschauen. Er hat ein schlechtes Gefühl, denn es ist voller als sonst und das heißt wohl, dass es noch immer regnet und sich deshalb alle in den viel zu kleinen Raum quetschen anstatt wie gewöhnlich draußen zu stehen.   "Ich muss langsam gehen", verkündet er nach einem Blick auf sein Handy und wühlt in seinen Hosentaschen nach Kleingeld, das er abzählt und auf den Tisch legt, damit Sasuke für ihn bezahlt. 'Langsam' ist eine Untertreibung, denn eigentlich gibt es keine Möglichkeit, wie er noch rechtzeitig ankommen kann und das Wetter spielt ihm nicht in die Karten.   "Maaaann, es regnet immer noch. Was soll das denn?!", ruft er genervt, als er die Wassertropfen auf den getönten Fensterscheiben und die nassen Regenschirme in den Händen der Leute sieht. Aber Sasuke hat wohl doch etwas Mitleid für ihn übrig, denn bevor Naruto verschwinden kann, ruft er ihn zurück und hält ihm seinen Schirm hin.    "Hier, du kannst meinen haben. Wir wollen doch nicht, dass du nass zu deinem Date kommst…"   "Wow, ehrlich? Danke, Sasuke!"   Naruto muss dem Impuls zu widerstehen, Sasuke vor lauter Dankbarkeit um den Hals zu fallen, und verabschiedet sich nur winkend, während er in den Regen hinaus eilt.   Vor dem Kino, geschützt durch einen kleinen Dachvorsprung, lehnt Hinata zitternd gegen das breite strahlende Lächeln einer Werbetafel, das an Farbe verliert, als sich ihre eigenen Gesichtszüge aufhellen. Naruto begrüßt sie mit einem flüchtigen Kuss auf den Mund und entschuldigt sich dafür, dass er sie warten lassen hat, bevor er einen Arm um ihre Schultern legt und sie aus dem Regen in das warme Kino hineinführt.   ---   Juli   Jugo hat als einziger ein Glas Cola vor sich stehen und keinen Alkohol, weil er nach eigenen Angaben gewalttätig wird, wenn er etwas trinkt. Das ist aber gar nicht mal schlecht, so gibt es wenigstens immer jemanden, der klar im Kopf bleibt, während alle anderen tröpfchenweise ihre eigene Adresse vergessen. Suigetsu trinkt sich Mut an, den er eigentlich gar nicht braucht, und auch der Rest (Kiba, Neji und das, was nach seiner Freundin aussieht, auch wenn sie Naruto noch nicht als solche vorgestellt wurde) kippt Becher um Becher, außer Sasuke, der sich heute sehr zurückhält. Stattdessen ist er komplett ruhig und gelassen, obwohl er in etwas mehr als einer Stunde auf der kleinen Bühne stehen und vor der Menschenmenge hier spielen wird, woran sich gerade eine andere Band versucht, die Messlatte dabei aber so niedrig ansetzt, dass Sasukes Entspanntheit vielleicht doch nicht ganz ungerechtfertigt ist. Naruto fühlt sich dafür, als hätte er Sasukes fehlende Dosis Aufregung abbekommen und ist schon den ganzen Abend lang hibbeliger als sonst. Neji beäugt ihn kritisch von der Seite, aber das macht er eigentlich ständig seit er von ihm und Hinata erfahren hat.   "Wieso hab ich euch eigentlich noch nie spielen gehört?", verbalisiert Naruto irgendwann, was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf geht.   "Weil Sasuke uns das ganze Jahr lang ignoriert hat", beantwortet Suigetsu die Frage mit Sarkasmus in der Stimme und wirft seinem Bandkollegen einen anklagenden Blick zu, der seine Wirkung leider verfehlt.   "In letzter Zeit haben wir aber oft geprobt", wendet Jugo beschwichtigend ein und Sasuke tut einfach so, als würde ihn die Sache nichts angehen.   Irgendwann verschwindet Sasuke mit der Erklärung, dass er vor dem Auftritt noch etwas zu erledigen hätte, aber außer Naruto nimmt davon keiner Notiz und auch der hat seine Aufmerksamkeit schnell wieder woanders. Eine halbe Stunde später machen sich Jugo und Suigetsu, der nicht mehr ganz gerade laufen kann, ebenfalls auf den Weg und verschwinden hinter irgendeiner 'Staff only'-Tür.   Die nächsten Minuten verbringt Naruto damit, Nejis Blicke zu ignorieren und ein bisschen mit Kiba zu reden, ein bisschen mit dem Mädchen, das sich als sehr sympathisch und unkompliziert herausstellt, sodass er gar nicht mitbekommt, wie Sasuke die Bühne betritt und anfängt zu spielen. Erst als der Song schon zur Hälfte durch ist und Kiba ihn mit einem Schlag auf den Oberarm darauf hinweist, was er gerade verpasst, dreht er sich erschrocken um.   Man hört Sasukes Stimme kaum, weil das Mikrofon und die Verstärker falsch eingestellt sind, aber trotzdem klingt es irgendwie gut, wenn auch ein bisschen durcheinander und schwammig. Was er auf der Gitarre macht, ist aber präzise, jeder Griff sitzt und jeder Anschlag hat das richtige Timing und Naruto weiß nicht, ob er neidisch oder beeindruckt sein soll. Etwas anderes hätte er von Sasuke aber auch nicht erwartet. Angestrengt versucht er, seinen Blick einzufangen, aber es klappt nicht. Nur selten schaut er in die Menge, die meiste Zeit haften seine Augen ein paar Zentimeter vor seinen Füßen, an der Decke, auf dem Gitarrengriffbrett oder sie sind von schwarzen Haarsträhnen verdeckt. Trotzdem hat Sasuke eine gewisse Bühnenpräsenz, obwohl er nichts daraus macht und auch da oben so unkommunikativ ist wie immer. Aber er scheint Spaß zu haben—nicht zusammen mit den Zuschauern, dafür mit sich selbst und der Musik und seiner Gitarre, und irgendwie reicht das. Naruto reicht es auf jeden Fall, mehr als das, er findet es ungewohnt schwer, seine Augen von Sasuke zu nehmen, aber da bildet er keine Ausnahme. Und eigentlich ist die Performance gar nicht überwältigend, er gibt sich nicht mehr Mühe als zwingend notwendig, ist kein richtiger Frontman, nur ein hübscher Junge mit Gitarre, der ein paar Meter vor seinen Bandkollegen steht. Dennoch verfolgt Naruto die hektischen Bewegungen seiner Finger, die auf einen Klimax hinarbeiten, versucht zu verstehen, was er achtlos in das Mikro nuschelt, bevor er einen finalen Akkord anschlägt und plötzlich alles vorbei ist. Die Bühne verlässt er, als hätte er gerade Stoff für eine Legende geschaffen, und Naruto weiß nicht, was er denken soll.   "Arrogant wie immer", übernimmt Kiba das für ihn.   Es dauert nicht lange, bis Jugo wieder zurückkommt und auf Narutos Frage, wo Sasuke geblieben ist, in eine vage Richtung deutet. Stolpernd macht er sich auf den Weg und findet ihn schließlich, nachdem er schon überall gesucht hat. Ein paar Mädchen hängen an Sasuke wie Blutegel und Naruto muss sich mühsam zu ihm hindurchkämpfen, aber durch überschwängliches Rufen und Winken kann er ihn schnell auf sich aufmerksam machen. Sasuke sieht ausnahmsweise froh aus, Naruto zwischen all den Menschen zu entdecken, aber er hat auch schon froh ausgesehen, als er von den ganzen Mädchen umzingelt war, die jetzt eine nach der anderen wegstolzieren, weil er nicht richtig auf ihre Avancen eingeht. Vielleicht macht es ihn ja glücklich, auf einer Bühne zu spielen.   "Du warst gut, Sasuke!", strahlt Naruto voll aufrichtiger Begeisterung und klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Anders als sonst weicht Sasuke nicht von der Berührung zurück, sondern antwortet mit einem selbstgefälligen Lächeln.   "Ich weiß. Was hast du erwartet?"   "Uh, keine Ahnung."   "Wenn Suigetsu endlich mal lernen würde, mit seinem Bass umzugehen, wäre es besser gewesen. Generell wäre es besser gewesen, wenn ich nicht mit solchen Idioten spielen müsste. Aber ich bin gut genug, um das auszugleichen."   "Jugo ist doch nicht schlecht? Ich fand ihn ziemlich cool", wirft Naruto ein, als hätte er auch nur eine Sekunde auf jemand anderen geachtet als Sasuke.   "Jugo ist ganz okay. Besser als Suigetsu auf jeden Fall, aber noch lange nicht auf meinem Niveau."   Naruto rollt mit den Augen und entscheidet spontan, dass zu viel Arroganz auch an Sasuke nicht gut aussieht und nimmt sich vor, sein Ego nicht noch weiter mit Komplimenten aufzupumpen. Stattdessen zieht er ihn am Handgelenk zum Ausgang, weil es drinnen unerträglich stickig und heiß ist und die frische Nachtluft Sasuke vielleicht wieder etwas runterholt.   "Bist du nicht müde? Oder wenigstens erschöpft oder so?", fragt er, als sie das Gebäude verlassen haben, sich ein paar Meter weiter gegen die Backsteinmauer lehnen und ihm deutlich seine eigene Schläfrigkeit bewusst wird.   "Nein, mir geht's gut. Sehr gut sogar."   Misstrauisch schaut Naruto zu ihm herüber und muss feststellen, dass Sasuke tatsächlich sehr wach aussieht, wenn auch ein bisschen unruhig.   "Okay, wie du meinst", murmelt er und gähnt. Sein Kopf fühlt sich schwer an und rollt wie von allein auf Sasukes Schulter, doch Naruto ist nicht mehr ganz nüchtern und stört sich daran nur wenig. Sasuke riecht gut, nach Shampoo und Aftershave. Aber das sagt er ihm nicht.   "Weißt du was? Wir sollten eine Band gründen", spricht Naruto stattdessen aus, wovon er insgeheim träumt, seit er Sasuke vor einem Jahr kennengelernt hat als mürrischen zurückgezogenen Jungen, der die Menschen hasst und schönere Melodien erschafft als irgendjemand anderes, den Naruto kennt. Heute hat er es deutlicher denn je gespürt, dass er und Sasuke gemeinsam unantastbar sein und Bedeutendes schaffen könnten—weit über die Summe ihrer Einzelleistungen hinaus. Naruto hat Visionen, große Pläne, die in jedem anderen Fall lachhaft utopisch erscheinen würden, aber nicht bei ihnen, nicht für Naruto. Doch Sasuke hat nur ein herzloses Lachen und Spott übrig.   "Frag mich in ein paar Jahren nochmal, wenn du auch was kannst."   "Du bist heute sogar noch arroganter als sonst", grummelt Naruto und versucht davon abzulenken, wieviel es ihm ausgemacht hat. Missbilligend schielt er auf Sasukes rechten Schuh, ein abgewetzter schwarzer Converse, der im Takt zu einem imaginären Rhythmus klopft. Es macht keinen Spaß, seinen Kopf auf Sasukes Schulter zu legen, wenn der nicht still stehen kann. Aber das spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr, denn er hat sich ein paar Schritte von der Wand entfernt und damit auch von Naruto.   "Ich muss nochmal rein und meine Gitarre holen, aber dann lass uns gehen, ja?"   "Okay."   Sasuke braucht eine kleine Ewigkeit, bis er endlich mit seinem Gitarrenkoffer in der Hand durch die Tür spaziert, aber vielleicht kommt es Naruto auch nur so lange vor. Etwas ist anders an ihm, vielleicht sein Gesichtsausdruck oder die Art, wie er sich bewegt—was es auch ist, Naruto kann es nicht festmachen. Müde entschließt er sich, nicht weiter darüber nachzudenken und trottet neben Sasuke her.   "Fahren noch Bahnen?"   "Als ob, schau auf die Uhr."   "Ugh, ich will aber nicht laufen", macht Naruto und verzieht das Gesicht. Der Gedanke an einen Heimweg zu Fuß hinterlässt kein angenehmes Gefühl. "Das letzte Mal haben wir Stunden gebraucht!"   "Da waren wir ja auch betrunken und sind in die falsche Richtung gerannt. Eigentlich ist es nicht weit", erklärt Sasuke, dem das alles nicht halb so viel auszumachen scheint. Im Gegenteil, er wirkt ganz zufrieden mit der Situation.   "Bist du dir sicher? Es kommt mir nämlich ziemlich weit vor!"   "Stell dich nicht so an und beweg dich."   "Sei nicht so motiviert. Ich will schlafen."   Sasuke lacht ihn aus und schüttelt den Kopf. Vielleicht würde es ihm komisch vorkommen, wenn er noch klar denken könnte, aber das kann er nicht und deshalb genießt er einfach Sasukes Stimmung, die besser ist, als er je in Erinnerung hatte.       --------------------   ich lebe noch und es geht auch weiter! updates werden aber voraussichtlich unregelmäßig bleiben, obwohl ich beinahe jeden tag an der ff arbeite, nur meistens nicht ganz so viel und oft an anderen stellen. außerdem fürchte ich, dass ich absofort nicht mehr ganz so viel zeit dafür finden werde, denn nach einem halben jahr freizeit beginnt jetzt die uni für mich (interessante übereinstimmung mit dem kapitel, war nicht geplant, denn ich hab nie mit einer zusage gerechnet…) und chillen ist jetzt wohl nicht mehr... auf der positiven seite: ich war vor kurzem erst in london und fühle mich jetzt hardcore inspiriert mit zeitweiligen motivationsschüben. also mal schauen, wie es weitergeht. :D Kapitel 7: Whatever happened ---------------------------- Auch wenn Sasuke ihm mehr als einmal auf seine ganz besondere Sasuke-Weise klargemacht hat, dass seine Abwesenheit sehr wohl erwünscht ist, kann sich Naruto nicht dazu durchringen, wirklich auf ihn zu hören. Denn Sasuke gibt viel Abweisendes von sich, wenn man ihn machen lässt, ohne auch nur die Hälfte davon ernst zu meinen. Außerdem geht es ebenso sehr um Naruto und der ist mit seinen Gefühlen genug im Einklang, um zuzugeben, dass er seinen besten Freund vermisst. Deshalb gibt es spontane Überraschungsbesuche, wann immer er es schafft, welche in seinem Zeitplan unterzubringen, und Sasuke kann nichts dagegen tun, denn er hat einen Schlüssel und somit die Macht. In letzter Zeit ist die Wohnung aber manchmal leer, wenn er ankommt, und Naruto musste die bittere Erfahrung machen, dass es auch nicht hilft, ein paar Stunden lang auf Sasuke zu warten; wenn er nicht da ist, ist er nicht da und kehrt auch den Rest des Tages nicht zurück. Aber das ist im Grunde sogar gut, redet sich Naruto gerne ein, um seine Enttäuschung nach einer vergeblichen halbstündigen Bahnfahrt zu lindern, denn es zeigt ja nur, dass Sasuke auch ohne Naruto zurecht kommt und sich nicht komplett verbarrikadiert oder so. Unabhängige Leben voneinander zu führen ist gesund, Naruto hat Hinata und Sasuke hat wen auch immer, mit dem er seine Zeit verbringt.   Nach einer zähen Periode des Auseinandertreibens ist es schließlich Sasuke, der sich um Annäherung bemüht und an Narutos Geburtstag überraschend vor dessen Tür steht. Ohne Geschenk, aber das wäre auch zu viel des Guten gewesen, dafür nuschelt er etwas, das sich vage nach Glückwünschen anhört. Er sieht ein bisschen so aus, als wäre er gerne woanders und Naruto weiß es zu schätzen, dass Sasuke für ihn über seinen Schatten gesprungen ist. Mit leuchtenden Augen bittet er ihn herein, oder zieht in vielmehr, denn er möchte sich nicht dem Risiko aussetzen und Sasuke eine Wahl lassen. Das geht selten gut. Aber wenn die Tür erst einmal geschlossen ist, wird er schon nicht auf dem Absatz kehrtmachen.   Es braucht exakt fünf Schritte und Sasuke wünscht sich, nie hergekommen zu sein. Denn so lange dauert es, bis er Hinata im Wohnzimmer sitzen sieht, ahnungslos, mit überschlagenen Beinen und so, als ob sie hierher gehören würde. Sie lächelt scheu, als sie Sasuke entdeckt, aber der kann die Höflichkeit nicht erwidern.   "Eigentlich wollte ich mit Hinata essen gehen", hört er Naruto erklären, der von hinten herantritt, "aber du kannst mitkommen, wenn du willst."   "Nein, danke."   "Sie hat sicher kein Problem damit. Oder, Hinata?"   Wie zu erwarten schüttelt sie stumm aber freundlich den Kopf. Das "Ich habe ein Problem damit" liegt Sasuke auf der Zunge, letztendlich schluckt er es aber herunter und beschließt, ihr eine Chance zu geben. So schlimm kann sie ja nicht sein und es scheint Naruto viel zu bedeuten.   "In Ordnung", besiegelt er somit sein Schicksal für den Abend und zaubert dem Geburtstagskind ein Lächeln ins Gesicht, auch wenn er seine Entscheidung in der nächsten Sekunde schon wieder bereut.   Naruto schleppt sie mit zu seinem Lieblingsitaliener oder dem einzigen Italiener im Umkreis, der überhaupt etwas taugt, und Sasuke ist froh, als sie endlich ankommen und er nicht mehr mitansehen muss, wie sie händchenhaltend neben ihm herlaufen. Es gibt wenig, was er mehr verabscheut als turtelnde Pärchen, und das heißt etwas, denn Sasuke ist ein ausgesprochen hasserfüllter junger Mann. Irgendetwas an ihr eckt bei ihm an und das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie unauffällig und rücksichtsvoll sie sich eigentlich benimmt. Sein Verhalten ist unter objektiven Gesichtspunkten irrational, aber Sasuke war nie jemand, der sich in seinem Handeln irgendwelchen Gesetzen der Logik unterworfen hat und er plant nicht, jetzt damit anzufangen. Es war klar, dass sich Naruto früher oder später eine Freundin anlachen würde und eigentlich hätte es ihn ja viel schlimmer treffen können. Nach dem, was er in der Vergangenheit von Hinata mitbekommen hat, ist sie ein zurückhaltendes, höfliches Mädchen und ihre Gesellschaft in keinster Weise unangenehm, jedenfalls war es das nie, dafür ließ sie sich viel zu leicht ausblenden. Aber jetzt ist sie vom Statist zur Hauptdarstellerin befördert worden und Ignorieren ist keine Option mehr. Naruto benimmt sich in ihrer Gegenwart ganz anders, er hält die Tür für sie auf, hilft ihr aus der Jacke, gibt sich für einen Gentleman aus, der er in Wahrheit gar nicht ist, und Sasuke fragt sich, ob Hinata überhaupt weiß, wie nervtötend er eigentlich sein kann, oder ob sie noch in der Phase steckt, wo sie die Augen vor allem Fehlerhaften an ihm verschließt, oder ob es am Ende vielleicht sogar nur Sasuke ist, auf den Naruto diese Wirkung hat. Was es auch sein mag, Sasuke ist ehrlich genug, um zuzugeben, dass er die Beziehung am liebsten scheitern sehen würde, aber nicht ehrlich genug, um Naruto das ins Gesicht zu sagen. Denn der würde das sicher missverstehen und außerdem—wenn Naruto einen schlechten Witz erzählt, kichert Hinata trotzdem und dann ist da so etwas in seinen Augen, und vielleicht ist er ja wirklich wirklich glücklich? Und wer ist Sasuke, um ihm das zu verwehren?   Naruto ist unglücklich. Er hält sehr viel auf seine Fähigkeiten im Atmosphäre-Lesen, aber die sind gerade gar nicht nötig. Nichts läuft so, wie es soll. Hinata ist zu verschüchtert, um mehr als ein paar leise Sätze zu stammeln und Sasuke sieht aus, als wollte er seine Spaghetti erstechen. Das romantisch flackernde Kerzenlicht gibt sich alle Mühe, schafft es aber auch nicht, seine Gesichtszüge aufzuhellen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Sasuke mitzunehmen, vielleicht hätte er ein bisschen besser zuhören oder das "Nein" einfach als solches akzeptieren sollen. Aber wenn Naruto sich etwas in den Kopf gesetzt hat, überdenkt er seine Pläne selten und Einwände stoßen auf taube Ohren. Er versteht ja nicht einmal, wo das Problem liegt—bei Sasuke, offensichtlich, aber wo exakt? Die beiden kennen sich bereits flüchtig und das weiß er, aber sie sollen sich richtig kennenlernen, als bester Freund und feste Freundin von Naruto Uzumaki. Er möchte Hinata zeigen, was genau es ist, das er an Sasuke findet, und er möchte, dass Sasuke sieht, was für ein wundervolles Mädchen Hinata ist, obwohl sich das sicher leichter realisieren lässt. Hat er gedacht. Aber der Angelpunkt ist Sasuke und der scheint irgendwie nicht mitmachen zu wollen. Seine Blicke sind stechend, mit denen er Hinata bedenkt, und das tut Naruto so leid, denn sie hat ihm nichts getan und ist sowieso schon schüchtern genug, da braucht es nicht noch jemanden, der ihrem Selbstvertrauen den Hals umdreht.   Sasuke hält sich währenddessen von jeglicher Konversation fern, das letzte Mal hat er gesprochen, als der Kellner die Bestellungen aufgenommen hat und das ist nun auch schon eine Weile her.   "U-und, Sasuke? Was machst du momentan so?", durchschneidet ganz unerwartet Hinatas dünne Stimme das Schweigen und Naruto kann nicht beschreiben, wie stolz er gerade auf seine Freundin ist. Er will sich gar nicht vorstellen, wieviel Überwindung sie das gekostet haben muss, aber sie ist über ihren Schatten gesprungen und gibt sich Mühe—seinetwegen.   "Ich wüsste nicht, was dich das angeht", antwortet Sasuke und seine Worte sind nicht überraschend, aber die Art, wie er es sagt, ist viel kälter und feindseliger, als Naruto von ihm gewohnt ist. Hinata fährt erschrocken zurück.   "Oh. E-Entschuldigung", murmelt sie kleinlaut und schlägt die Augen nieder. Naruto passt es gar nicht, wie Sasuke mit Hinata umgeht und versucht, ihm durch böse Blicke klarzumachen, dass er das nicht toleriert, aber Sasuke schaut nicht mehr von seinem Teller auf.   "Ich hab noch was zu tun."   Er legt ein paar Scheine auf den Tisch, ohne sie vorher abzuzählen, und Naruto sieht sofort, dass es zu viel ist, aber das wird überschattet von der Tatsache, dass Sasuke aufsteht und einfach geht.     Ein paar Tage später sitzt Naruto mit Hinata in seinem Zimmer. Sie zupft ihren Rock zurecht, der ein bisschen nach oben gerutscht ist, obwohl es nur sie beide sind und er sie schon mit weniger Kleidung gesehen hat und er spielt ihr einen Song vor, den er tagelang geübt hat, weil er weiß, dass er zu Hinatas Favouriten gehört und badet in den Komplimenten, mit denen sie ihn bereitwillig überschüttet. Sasuke lässt sich leicht vergessen, wenn sie lächelt und ihn dabei ansieht, als wäre er der talentierteste Gitarrist der Welt. So fühlt sich Naruto zumindest in dem Moment und das ist eine nette Abwechslung zu sonst. Denn Hinata ist lieb und feminin und sanft und eigentlich alles, was Sasuke niemals sein wird. Es ist einfach, mit ihr zusammen zu sein, auch wenn es viel Geduld braucht, um sie aus ihrem Schneckenhaus zu locken, aber dafür lässt sie die Sonne aufgehen und macht es ihm nicht unbedingt schwer zu entscheiden, wessen Präsenz er mehr schätzt. Denn beides auf einmal kann er nicht haben, das hat ihm sein Geburtstagsdinner rücksichtslos vor Augen geführt, und es wäre eine Lüge zu behaupten, dass er Sasuke nicht die gesamte Schuld daran gibt. Naruto weiß nicht, woran es liegt, ob Sasuke Hinata aufrichtig nicht leiden kann oder das seine Form von Eifersucht ist, vielleicht auch ein bisschen was von beidem, aber er weiß, dass es nicht nötig war und Sasuke sich ruhig hätte Mühe geben können. Doch stattdessen hat er alles kaputt gemacht und Naruto die Möglichkeit genommen, seinen besten Freund und seine Freundin gleichzeitig um sich zu haben. Es tut ihm leid, aber er kann nicht viel dagegen tun und Sasuke ist ihm wahrscheinlich sowieso dankbar für den Abstand. Das hat er schließlich selbst gesagt. Mehrfach, sogar. Und dieses eine Mal nimmt er ihn beim Wort und hofft, dass er keinen Fehler damit macht.   Als Naruto seinen Geburtstag eine Woche später mit ein paar Freunden nachfeiert, kommt Sasuke nicht, obwohl er eingeladen war. Das ruiniert den ganzen Abend ein bisschen für Naruto. Er ist gar nicht mehr richtig wütend, sondern nur noch besorgt, weil er nicht weiß, was los ist, und Sasuke nicht erreichbar ist. Hinata hat ihm gut zugesprochen, versichert, dass alles okay und Sasuke bestimmt einfach nur nicht in der Stimmung ist, dass Naruto nichts dafür kann und sich wahrscheinlich bald alles von alleine klärt. Er möchte ihr glauben, denn es hört sich gut und vernünftig an, aber es ist so schwer. Die ganze Sache hängt wie eine dunkle Wolke über ihm und hindert seine Laune daran, wirklich aufzuklaren. Auch Kiba bemerkt das und tritt neugierig an Naruto heran, nachdem er sich erstaunt umgesehen hat.   "Sasuke ist ja gar nicht da."   "Er war ein Idiot und jetzt meldet er sich nicht mehr. Keine Ahnung, was mit ihm ist", seufzt Naruto und schaut zur Seite, in einem Versuch, unbekümmerter zu wirken, als er eigentlich ist.   "Ich hab ihn letztens erst gesehen", wirft Kiba ein und sieht nachdenklich aus, als versuche er sich zu erinnern. Als sein Blick auf Narutos leuchtende Augen fällt, fährt er grinsend fort. "Ihm schien es ziemlich gut zu gehen, wenn du verstehst, was ich meine."   Naruto ist sich nicht sicher, ob er versteht, aber das ist vielleicht auch besser so.   "Dann ist also alles okay mit ihm?", fragt er ein wenig zu hoffnungsvoll, zu enthusiastisch, um irgendjemandem etwas vorzumachen. Kiba zuckt nur mit den Schultern.   "Schätze schon. Sah aus, als wäre er mit Freunden da gewesen, waren ein paar komische Gestalten dabei, mehr kann ich dir aber auch nicht sagen. Mach dir nicht so viele Gedanken um ihn, er ist vor dir klargekommen, er wird es auch jetzt tun."     Aber es gibt ein Limit an Tatenlosigkeit, das Naruto ertragen kann, bevor er Dinge in die eigene Hand nehmen und etwas tun muss, und das ist schnell erreicht nach ein paar Tagen nervöser Unruhe und Sorgen-Machens, denn irgendetwas stimmt mit Sasukes Telefon nicht und ans Handy geht er auch nicht ran. Also macht er sich an einem freien Tag auf den Weg zu Sasukes Wohnung und beschließt, nicht eher zu gehen, bis er den anderen gesehen hat und im besten Fall auch eine Erklärung bekommt, denn Naruto ist am Ende seiner Weisheit (von der in erster Linie nie viel da war) und findet, dass es so nicht weiter gehen kann. Er ist schließlich kein Masochist und die Situation macht ihn unglücklich.   Als er Sasukes Wohnung betritt, ist niemand zu Hause. Das ist nicht ungewöhnlich, damit hat Naruto gerechnet, aber nicht mit der Entdeckung, wie leer der Raum ist. Das einzige, was noch steht, ist die kleine Küchenzeile, alles andere ist weg und ein kaltes Gefühl krallt sich in Narutos Eingeweide. In einem Versuch, die aufschwappende Panik zu besänftigen, klingelt er einen Stock tiefer beim Vermieter, erhält aber nur die Information, dass Sasuke schon vor einer Woche ausgezogen und eine neue Adresse nicht bekannt ist. Naruto bedankt sich motorisch und gibt seinen gestohlenen Schlüssel zurück, bevor er sich wie benommen auf den Rückweg macht.   Erst zu Hause bricht alles über ihm zusammen, als er panisch herumtelefoniert, aber niemand etwas weiß und er der grausamen Realität ins Auge sehen muss, dass er keine Chance hat, Sasuke jemals zu finden. Seine einzige Verbindung zu ihm wurde gekappt, er könnte überall sein und niemand hat auch nur einen Anhaltspunkt. Alles liegt in Sasukes Händen und wenn Sasuke will, dass das das Ende ist, dann gibt es nichts, was er dagegen tun kann.   Der nächste Morgen sieht nicht mehr ganz so düster aus. Naruto weigert sich, um etwas zu trauern, das noch gar nicht verloren ist. Es stimmt zwar, dass es im Moment nicht so scheint, als hätte Sasuke die Absicht, Naruto irgendwann nochmal zu kontaktieren, aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss. Denn Naruto versteht nicht. Überhaupt nichts, weder die Situation an sich, noch wie es dazu gekommen ist. Das alles ergibt keinen Sinn für ihn, darum kann er nur auf irgendeine große, komplizierte Erklärung hoffen, die alles zurecht rückt und ihm die Angst nimmt, Sasuke könnte ihn so sehr hassen, dass er alle Brücken zwischen ihnen niederreißen will. Vertrauen in Sasuke zu haben, wirkt ein bisschen verzweifelt unter diesen Umständen, selbst in Narutos Augen, aber es ist das einzige, was er wirklich tun kann. Vertrauen haben und hoffen, dass wenigstens etwas Gegenseitigkeit in ihrer Freundschaft existiert hat. Sasuke müsste ein ungewöhnlich talentierter Schauspieler sein, um so lange Zeit etwas vorzutäuschen, was nie da war, und das ist er nicht.     Narutos Gebete werden schließlich erhört, als es eines Abends an der Tür klingelt und er in ein Gesicht blickt, das er schon verloren geglaubt hat.   "Sasuke—"   Naruto weiß nicht, ob er ihm um den Hals fallen oder auf ihn einschlagen soll, deshalb entscheidet er sich für wortloses Starren. Sasuke sieht aus wie immer, vielleicht ein bisschen matter als sonst, aber es sind ja auch keine Jahre vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben, sondern lediglich eineinhalb Monate, auch wenn es Naruto länger vorkommt. Sasukes Augenbrauen senken sich.   "Darf ich rein?"   "Oh ja, klar", murmelt Naruto und stolpert sofort beiseite, während er die Tür aufhält. "Kommst du mit nach oben?"   Sasuke nickt und folgt Naruto die Treppen hinauf in sein Zimmer. Kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, wirbelt er herum und fixiert Sasuke mit aufgewühlten Augen.   "Warum hast du dich nicht gemeldet?", ruft er vorwurfsvoll und als er keine Antwort bekommt, fügt er etwas leiser hinzu: "Ich hab mir Sorgen gemacht."   "Wieso?"   "Weil du verschwunden warst, vielleicht? Ich meine, im Ernst, was soll die Frage?!"   Sasuke schaut ihn nur müde an. Er sieht nicht so aus, als wäre er in der Stimmung, sich zu streiten.   "Ah."   Naruto ballt seine Fäuste, die vor Wut begonnen haben zu zittern. Er weiß, dass die Situation zerbrechlich ist und Sasuke jederzeit gehen kann, wenn er einen Fehler macht, und dieses Mal vielleicht nicht wiederkommt, aber das einzige, was er gerade wirklich will, ist, Sasuke seinen leeren Ausdruck aus dem Gesicht zu prügeln. Es ist irgendwie merkwürdig, dass sich trotz all der Liebe, die er für ihn übrig hat, manchmal einfach nur der Wunsch durchsetzt, ihm wehzutun. Für einen Moment flackert der Gedanke in ihm auf, Sasuke wegzuschicken, sich zu rächen, ihn genauso abzuweisen, wie er es bei Naruto getan hat, aber er weiß auch, dass er das nicht tun wird, denn am Ende schadet er damit nur sich selbst.   "Wo warst du die letzten Wochen eigentlich?", fragt Naruto ein paar Minuten später, diesmal etwas ruhiger. Er hat sich auf sein Bett gesetzt und zurückfallen lassen, damit er nur noch die Decke anschauen muss und nicht mehr Sasuke. Das ist sicherer, so kann er vernünftig bleiben und wird nicht gezwungen, etwas zu tun, was er später bereuen würde.   "Bei Bekannten und seit ein paar Nächten in einem Hotel. Aber das ist teuer auf Dauer."   "Deshalb bist du hier?"   Es ist weniger eine Frage als eine Feststellung und Sasuke wendet den Blick ab.   "Ich kann dich nicht rauswerfen und das weißt du", seufzt Naruto und fährt sich mit einer Hand durchs Haar. "Ich muss mit meinem Onkel reden, aber von mir aus kannst du hier solange bleiben, bis du was gefunden hast."   ---   Tsunade ist nicht glücklich über ihren neuen temporären Mitbewohner. Obwohl sie seine Situation versteht und ihn nur selten sieht, gelingt es ihr nicht, ihn sympathisch zu finden. Aber Naruto ist ihr in der kurzen Zeit seit sie ihn kennt ans Herz gewachsen, er ist lebhaft und umgänglich und macht es einem mit seinem eigenwilligen Charme schwer, ihn nicht zu mögen. Sasuke jedoch ist in ihren Augen nichts weiter als ein verzogener undankbarer Junge, der Narutos Aufopferung nicht verdient hat, aber es ist so offensichtlich, wieviel er ihm bedeutet, deshalb sagt sie nichts. Und irgendwie scheinen die beiden ja gut füreinander zu sein, auch wenn das erst auf den zweiten Blick erkennbar ist.   Naruto hat aus der Vergangenheit gelernt und versucht nie wieder, Hinata und Sasuke in einen Raum zu bringen. Wenn er sich mit seiner Freundin treffen will, dann irgendwo anders, nicht bei ihm zu Hause, solange Sasuke da ist, und das alles funktioniert so wunderbar, dass es ihn gar nicht mehr interessiert, wo eigentlich das Problem lag. Es ist so, als hätte es die letzten paar Wochen nie gegeben, und irgendwie hat er das vermisst, die ganze Zeit um Sasuke herum zu sein, bis sich die Gegenwart des anderen überhaupt nicht mehr fremd anfühlt und jeder das macht, was er auch alleine getan hätte. Tagsüber ist Naruto meistens weg, auf der Uni, arbeiten oder bei Hinata, aber wenn er nach Hause kommt, ist Sasuke immer da und angenehm umgänglich. So auch jetzt, wie er mit der Gitarre in der Hand auf dem Bett sitzt und sich überhaupt nicht davon stören lässt, dass Naruto das Zimmer betritt, sondern unbeirrt weiter nach den richtigen Tönen sucht und wenn er sie gefunden hat, beugt er sich über ein zusammengefaltetes Blatt Papier und schreibt alles auf. Das macht er manchmal und wenn er nicht zu Hause ist, sucht Naruto überall im Zimmer nach den Zetteln, um es heimlich nachzuspielen, aber er kann Sasukes achtlos hingeschmierten Zahlen und Buchstaben nie viel Sinn geben.   Weil er ihn nicht unterbrechen will, sagt er nichts und versucht, sich so unauffällig wie möglich durch den Raum zu bewegen. Er legt ein paar Bücher auf dem Schreibtisch ab, die er sich heute ausgeliehen hat, aber wahrscheinlich ungelesen wieder zurückgeben wird, und setzt sich verkehrtherum auf seinen Stuhl, zu Sasuke gewandt, um ein bisschen zuzuhören. Er beobachtet ihn eine Weile schweigsam mit auf der Lehne verschränkten Armen und darauf abgestütztem Kinn, bis ihm ein Gedanke kommt.   "Da fehlen Worte."   Abrupt hört Sasuke auf zu spielen und sieht Naruto an.   "Ja. Du spielst immer nur Melodien. Schöne Melodien. Aber du machst sie nie zu einem Song, obwohl sie es verdient hätten."   Sasuke wirkt nicht so, als würde er verstehen, darum winkt Naruto ab, denn so wichtig war es nicht und er möchte lieber mehr hören als in ein fragendes Gesicht zu starren.   "Ah, nichts. Spiel einfach weiter."   "Du hast mich aus dem Konzept gebracht", seufzt Sasuke, aber mit wenig Vorwurf in der Stimme. Er sortiert sich kurz, bevor er weitermacht, und Naruto ist glücklich.   Es ist schade, dass es nicht so bleiben kann, denn ein langfristiger Aufenthalt von Sasuke war nie vorgesehen und er wird wieder ausziehen, sobald er eine geeignete Wohnung gefunden hat. Das ist nur eine Frage der Zeit und der Gedanke macht Naruto traurig, denn die letzten Wochen waren so unwirklich perfekt und er möchte das nicht einfach aufgeben. Seine Freundschaft zu Sasuke ist immer noch sehr fragil und beängstigend unberechenbar. Er versteht nicht, wie sie funktioniert, aber so funktioniert sie und es gibt keine Garantie, dass nicht alles wieder in sich zusammenstürzt, wenn Sasuke alleine wohnt und Naruto keine Zeit hat, ihn oft zu besuchen.   "Hey Sasuke", fängt er eines Tages an und beißt sich auf die Unterlippe. "Ich hab nachgedacht."   Der Angesprochene dreht sich zu ihm herum und hebt seine Augenbrauen in einem stummen 'Rede weiter' (oder vielleicht ist es auch mehr ein 'Du kannst nachdenken?', Naruto ist sich da nicht so sicher, tendiert aber zu ersterem).   "Ich finde, wir sollten zusammenziehen. Du brauchst eh eine neue Wohnung und ich wohne ja immer noch bei meinem Onkel. Das wird sicher richtig cool. Was meinst du?"   Sasuke blinzelt.   "In Ordnung."   "Was, echt?!", macht Naruto perplex. "Wow, ich hab nicht gedacht, dass das so einfach ist!"   Aber das ist nicht wichtig, denn Sasuke hat Ja gesagt und er bemüht sich erst gar nicht, das Strahlen aus seinem Gesicht zu verbannen. Stattdessen überschwemmt er Sasuke mit Plänen und Vorfreude und Motivation, bis er einen Schlag auf den Kopf bekommt und aufgefordert wird, die Klappe zu halten. Aber das stört Naruto nicht, er lächelt weiter vor sich hin und freut sich einfach im Stillen auf seine rosige Zukunft.         --------------------- Hat lange genug gedauert, dafür ist der Plot endlich mal vorangeschritten. Das sind aber nur Babyschritte im Vergleich zu dem, was noch aussteht. :D Aber der Anfang ist getan, sie wohnen endlich zusammen und jetzt geht es Stück für Stück vorwärts. Dafür kommen langsam die Dinge dran, die ich bisher vor mir hergeschoben habe. :S Und Plotbunnys befallen mich, es ist schrecklich! Nicht nur, dass es sowieso dauert, bis ich mich mal zum Schreiben hinsetze, jetzt muss sich diese FF auch noch die kurze Zeit teilen (und bei 80% meiner Plotbunnys wird eh nie was draus). D: Eh, genug von mir. Kommentare sind gern gesehen (sie machen mich glücklich und glückliche Menschen schreiben besser)! Und euch allen schon mal ein schönes Weihnachtsfest und guten Rutsch, denn ich glaube nicht, dass ich in diesem Jahr nochmal was hochladen werde. :D Kapitel 8: Through hell and high tide ------------------------------------- Es dauert nicht lange bis zur ersten Auseinandersetzung.   Das ist nichts Ungewöhnliches, denn es ist nicht die erste überhaupt, aber die erste in ihrer neuen Wohnung und dabei sind sie noch nicht einmal richtig eingezogen.   Jiraiya war so nett und hat Naruto morgens samt seiner wenigen Habseligkeiten bei der Wohnung abgesetzt, bevor er für irgendwelche zweifelhaften Recherchen in die Innenstadt gefahren ist, während sich Sasuke auf den Weg zu einem Freund gemacht hat, bei dem seine ganzen Sachen untergebracht waren. Ihr neues Zuhause liegt ein bisschen zentraler, ist ein bisschen größer als Sasukes alte Wohnung, was aber nicht viel heißt, denn es gibt nur zwei Zimmer, für mehr reicht das Geld nicht. Sie hat ihre besten Jahre schon hinter sich, aber Naruto findet das irgendwie charmant und Sasuke schien bei der Wohnungssuche sowieso keine Meinung zu haben, solange er einen Raum für sich hat, in den er sich zurückziehen kann, wenn Naruto seine Toleranzgrenze für den Tag überschreitet.   In der Theorie wollte Naruto als erster ankommen, die neue Erweiterung an seinem Schlüsselbund fest in der Hand haltend, und sich mitten in das zukünftige Wohnzimmer setzen, direkt vor die Tür, um Sasuke voller Stolz zu begrüßen, sobald er seinen ersten Schritt auf den abgetretenen Fußboden macht. Aber als die Tür schließlich aufgeht, fällt Narutos Gesichtsausdruck von Erwartungsfreude herunter zu Unglauben und Ärger, das geplante "Willkommen in unserer Wohnung!" stirbt in seiner Kehle, stattdessen gibt es nur ein leise grollendes "Sasuke… wo ist dein Zeug?".   Als Antwort erhält er eine halbherzig vor sich hin genuschelte Erklärung, die es nicht ganz schafft zu überzeugen (Freunde mit Autos sind nicht zwangsläufig besonders gute Freunde, wie es scheint) und an sich ist Naruto ein Fan von Spontaneität und dem Unerwarteten und überraschenden Wendungen, aber nicht, wenn es das bedeutet.   "Meinst du das wirklich ernst?", fragt er vorsichtshalber nach, in der Hoffnung, es ist nur ein schlechter Scherz auf seine Kosten und Sasuke wird ihn gleich dazu auffordern, mit nach draußen zu kommen und beim Einräumen zu helfen. Aber der zieht es vor zu schweigen und die Glühbirne zu studieren, die an einem Kabel von der Decke baumelt.   Es ist wirklich erstaunlich, findet Naruto, woher Sasuke immer wieder das Talent nimmt, andernfalls perfekte Tage zu ruinieren. Heute sollte der Start eines neuen verheißungsvollen Kapitels seines jungen Lebens werden und anstatt vor Glück zu strahlen, muss er die nagenden Zweifel zurückdrängen, wie er in Zukunft mit Sasuke zusammenleben soll, wenn er schon nach wenigen Minuten eigentlich nur gehen möchte. Dafür, dass er Unkompliziertheit und Gelassenheit als sein Aushängeschild benutzt, wirft ihn das hier mehr aus der Bahn als er gerne hätte, aber er hat sich so gefreut und wenn er Sasuke jetzt ansieht (der seinem Blick noch immer ausweicht), ist da nur Wut und Frust.   "Was zur Hölle sollen wir jetzt tun? Auf dem Boden schlafen? Dachtest du, das wäre 'ne gute Idee, oder was?!"   "Lass es gut sein—"   "Nein, werde ich nicht! Du hattest diese eine Aufgabe und jetzt haben wir 'ne leere Wohnung!"   "Warum bleibt alles an mir hängen?! Wieso konntest du dich nicht um irgendwas kümmern?!"   "Weil ich gedacht hab, dass du das tust!"   "Werd erwachsen, Naruto! Wenn ich irgendein Kerl wäre, hättest du da einfach nichts mitgebracht? Nein, aber weil ich es bin, denkst du, du kannst rumsitzen und ich hab alles, was du brauchst!"   "Whoa, fick dich! Versuchst du gerade, mir die Schuld zu geben? Ich hab nicht mal Möbel, die ich hierher schleppen könnte!"   Das hilft nicht weiter, beschließt Naruto und geht einen Schritt zurück, sich zu streiten nützt niemandem etwas und es ist besser, wenn er sich beruhigt, bevor die Sache eskaliert, denn er ist sich nicht sicher, ob er in der Situation auf Sasukes Vernunft zählen kann. Deshalb atmet er ein paar Mal tief durch und läuft haareraufend Kreise, bevor er sich wieder dazu im Stande fühlt, in Sasukes Gesicht zu schauen ohne den Impuls, seine Faust darin zu versenken.   "Okay. Was machen wir jetzt?"   Sasuke zuckt mit den Schultern, als wäre die Angelegenheit nicht weiter wichtig, nichts, worüber er sich Gedanken machen müsste.   "Keine Ahnung. 'Ne Matratze würde ja vorerst reichen."   "Ich kann Jiraiya anrufen, wenn er wieder zu Hause ist."   "Ja, mach das."   Zwei Stunden später gibt es zwar eine Schlafmöglichkeit (Narutos alte Matratze, auf der es schon dicht an Hinata gekuschelt sehr eng war), aber das ist in seinen Augen nur marginal besser als auf dem Boden zu schlafen—da gäbe es wenigstens genug Platz. Das Auspacken ist auch schon erledigt, denn es fehlt ja jeglicher Stauraum bis auf Küche und Bad, und seit ein paar Minuten sitzt Naruto nur noch auf seiner Matratze, die ein bisschen verloren wirkt in dem großen Raum, der eigentlich relativ klein ist und nur so groß erscheint, weil er komplett leer ist. Was Sasuke macht, weiß er nicht, und es interessiert ihn auch nicht genug, um aufzustehen und nachzusehen. Morgen hat er die ganze Sache wahrscheinlich schon wieder vergessen, denn Naruto ist nicht nachtragend, auch wenn er ihm im Moment lieber aus dem Weg geht.   Aber Naruto wäre nicht Naruto, wenn er der Situation nicht auch etwas Positives abgewinnen könnte. Nach zähen Minuten an die Wand starren und Gedanken wandern lassen, fällt ihm auf, dass es keinen besseren Zeitpunkt für eine Einweihungsfeier gibt, denn was nicht da ist, kann auch nicht kaputt gehen. Die Idee trägt er sofort Sasuke vor, der vielleicht doch ein kleines bisschen schuldbewusst ist und nichts dagegen hat. Vorbereitungen zu treffen lenkt ihn ein wenig von seiner Misere ab und andere Menschen um sich zu haben, schadet sicher auch nicht. Zum Glück ist am Ende der Straße ein kleiner Off-licence-Shop und Naruto muss nur drei Mal hin und zurück laufen, bis er alle Getränke und sonstigen Einkäufe in der Wohnung verstaut hat. Dann geht er seine Kontaktliste durch, um kurzfristige Einladungs-SMS zu verschicken. Bei einem Namen gerät er allerdings ins Zögern.   "Stört es dich, wenn Hinata kommt?", fragt er, ohne den Blick von seinem Handydisplay zu heben.   "Sie ist deine Freundin. Du kannst sie schlecht nicht einladen."   Das beantwortet zwar nicht seine eigentliche Frage, verrät ihm aber trotzdem, was er wissen will.   Gefüllt mit Menschen wirkt der kahle Raum ein bisschen weniger trostlos. Anfangs hallen die Musik und Gespräche zwar sehr, aber es wird besser, je mehr Leute kommen, auch wenn Naruto einige von ihnen noch nie gesehen hat. Wahrscheinlich sind es Freunde von Sasuke, der erstaunlich gut gelaunt ist, aber nicht immer präsent. Naruto achtet allerdings auch nicht besonders auf ihn, denn Hinata ist durch den Alkohol ein bisschen forscher als sonst und seine eigene steigende Trunkenheit besorgt den Rest. Irgendwann hört er auf zu denken und reagiert einfach nur noch.   Ein paar Stunden später schwört sich Naruto, nie wieder Gastgeber von irgendwelchen Partys zu sein, als er langsam nüchtern wird und ihm auffällt, dass das Bad nach Gras riecht und sein frischgekaufter Vorrat an Instantsuppen weg ist. Bierflaschen stehen überall herum oder liegen in Scherben verteilt und der Fußboden klebt. Kopfschüttelnd beschließt er, das Aufräumen auf den nächsten Tag zu verschieben, wenn Sasuke wach ist und mithelfen kann. Vor einiger Zeit hat er sich in das andere Zimmer zurückgezogen, allerdings nicht zum Schlafen, wie Naruto feststellt, denn selbst mit dem wenigen Licht, das von der geöffneten Tür einfällt, kann er sehen, dass Sasuke mit wachen Augen an die Decke starrt. Umso besser, denkt Naruto und lässt sich auf seine Hälfte der Matratze fallen, so braucht er wenigstens nicht mehr extra leise zu sein, um Sasuke nicht aufzuwecken.   Das Einschlafen gestaltet sich als schwierig, denn sobald er die Augen schließt, fährt sein Gleichgewichtssinn Karussell und dann ist da noch Sasuke, der wohl genauso wenig schlafen kann, wenn das ständige hin und her Wälzen etwas zu bedeuten hat. Irgendwann ebbt das Schwindelgefühl ab und er beginnt, in tiefere Bewusstseinsebenen hinunter zu sinken, aber dann bewegt sich Sasuke schon wieder und streift ihn versehentlich mit der Schulter und er ist so hypersensibilisiert auf jede kleine Berührung, dass es fast denselben Effekt hat wie ein Eimer Eiswasser ins Gesicht. Langsam wird es ihm zu viel, er ist müde und will schlafen und wieso kann Sasuke nicht fünf Minuten lang ruhig liegen?   Genervt dreht sich Naruto herum und stößt ihn unsanft weg, in der Hoffnung, dadurch all seine Probleme zu lösen, aber er hat nicht damit gerechnet, im nächsten Moment auf dem Boden zu liegen, Sasuke wütend und aufrecht sitzend.   "Was ist dein Problem?!", zischt er und Naruto kann nicht glauben, dass er das ernst meint.   "Was ist dein Problem?! Ich versuche nur zu schlafen!", donnert Naruto noch während er sich aufrappelt. "Du drehst dich alle paar Minuten rum, obwohl es verdammt eng ist, die ganze Situation ist scheiße und das ist deine Schuld!"   Falls es Sasuke etwas ausgemacht hat, lässt er sich das nicht anmerken. Vielmehr sieht er aus, als würde er Naruto jeden Moment angreifen und nur auf das eine Wort, den einen Funken warten, der das Pulverfass trifft. Naruto weiß nicht, wie sie überhaupt an diesen Punkt gekommen sind, aber er weiß, dass er nicht im selben Raum mit Sasuke bleiben kann. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, solidarisch zu sein, egal, was passiert, aber gerade klappt das nicht, gerade ist er übermüdet und gereizt und will einfach nur schlafen. Ungeschickt tastet er im Dunkeln nach seinem Handy und stürmt aus dem Raum, als er es gefunden hat.   Sasuke sinkt erschöpft auf die Matratze zurück und hört zu, wie sich Naruto mehrmals bei Hinata entschuldigt, dass er sie um diese Zeit anruft, und dann pathetisch um Asyl bettelt (mit einer reichlich überzogenen Darstellung der Ereignisse, wie Sasuke findet). Keine drei Sekunden später ist er wieder im Zimmer und stopft die nächstbesten Klamotten in einen Rucksack, bevor er ohne ein Wort verschwindet. Die Wohnungstür fällt mit einem laut hallenden Klicken ins Schloss, dann wird es still und Sasuke atmet aus.   Für ein paar Tage herrscht Funkstille. Sasuke meldet sich nicht, davon ist Naruto aber sowieso nie ausgegangen, und er selbst hat es auch nicht besonders eilig, in seine kleine leere Wohnung zu seinem untragbaren Mitbewohner zurückzukehren. Denn Hinatas Bett ist so bequem und groß, sie selbst ist lieb wie immer und jeden Tag gibt es leckeres Essen. Aber Naruto hat nicht für einen langen Aufenthalt gepackt, sondern nur die paar Kleidungsstücke, die er im Dunkeln auf die Schnelle finden konnte und schon bald ist sein Vorrat an sauberen Klamotten erschöpft.   Mit großem Unbehagen macht er sich deshalb auf die Reise zu seiner Wohnung und bereitet sich den ganzen Weg in der U-Bahn schon gedanklich auf die Konfrontation vor, die er eigentlich gerne weiter hinausgeschoben hätte. Nur, dass sie nie kommt—nachdem er ein paar Mal in falsche Straßen eingebogen ist und beschämt Passanten nach dem Weg zu seiner eigenen Wohnung fragen musste, steht er voller Staunen im Wohnzimmer, ohne Sasuke, dafür mit Möbeln. Es sieht alles noch sehr provisorisch aus, seine Kartons liegen in einer Ecke zusammen mit seiner Matratze und Sasuke wird bestimmt nie ein erfolgreicher Innenarchitekt, aber das spielt keine Rolle. Er fährt sofort zu Hinata zurück, aber nur, um sich zu verabschieden und seine Sache zu packen, denn jetzt steht dem richtigen Einzug in sein neues Zuhause nichts mehr im Wege.   Narutos anfängliche Bedenken lösen sich mit jedem Tag ein bisschen mehr in Luft auf. Auch wenn er eine Zeit lang überzeugt war, dass es nur in einer Katastrophe enden kann; mit Sasuke zusammen zu wohnen hat einige Vorteile. Wenn er zum Beispiel irgendwo einen coolen Song entdeckt, muss er nur ein bisschen betteln und Sasuke tabt ihn für Naruto, hilft ihm sogar beim Lernen, wenn er gut gelaunt ist. Außerdem schreibt ihm niemand mehr vor, was er zu tun hat. Seine neugewonnene Freiheit lebt Naruto gnadenlos aus, Dinge wie Ordnung und Regelmäßigkeit existieren nicht mehr in seinem Wortschatz, und Sasuke lässt ihn machen, er beschwert sich nicht einmal, wenn Narutos Socken überall verteilt liegen, er kickt sie höchstens beiseite und Naruto findet sie nie wieder. Es braucht drei Wochen und eine verschüttete Chipstüte, bis ihm überhaupt auffällt, dass sie keinen Staubsauger besitzen; der ist mit seinem entwaffnenden Charme aber schnell von den Nachbarn ausgeliehen. Sasuke schaut vom Sofa aus zu und lacht ihn aus, als er über das Kabel fällt.   Die Küche ist praktisch unbenutzt, nur Toaster und Wasserkocher sind im Einsatz, denn keiner von beiden ist wirklich gewillt zu kochen (oder überhaupt in der Lage dazu). Naruto brüstet sich mit der Fähigkeit, die perfekte Instantsuppe kochen zu können und für Sasuke ist es ein guter Tag, wenn sein Toast nicht angesengt ist. Wahrscheinlich fällt das nicht unter das, was Leute eine gesunde und ausgewogene Ernährung nennen, aber was weiß Naruto schon, mit dem Thema hat er sich bisher noch nie auseinander gesetzt und wird jetzt bestimmt nicht damit anfangen.   Zum Kochen oder Aufräumen oder allgemein Ordnung halten hätte Naruto auch überhaupt keine Zeit (und Sasuke hilft erwartungsgemäß wenig mit), denn er muss immer noch sein Leben jonglieren zwischen Job, Studium und Hinata, die er eigentlich nur mitbringt, wenn er weiß, dass Sasuke nicht zu Hause ist. Aber das ist kein Problem, nichts ist mehr ein Problem nach Narutos Definition, denn alles, was er anpackt, geht in letzter Zeit erstaunlich leicht von der Hand, nur seine Leber hat gelegentlich mehr zu arbeiten.   Kapitel 9: Faith in love and music ---------------------------------- Das Aufwachen ist jedes Mal aufs Neue überraschend unglamourös und unangenehm. Als würde man beim Augenaufschlagen den spitzen, faustkeilgroßen Stein bemerken, der schon die ganze Nacht Zeit hatte, sich in den Rücken zu bohren, nur dass man es bisher nicht gespürt hat. Aber hier gibt es keine Steine, in Sasukes und Narutos Wohnung, obwohl man dafür wahrscheinlich alles andere findet, wenn man nur lang genug sucht. So zum Beispiel der verschollen geglaubte Briefkastenschlüssel, der Naruto gerade neckisch von unter dem Sofa heraus anglänzt, oder eine ungeöffnete Instantnudelsuppe, die wohl irgendwie da drunter gerollt sein muss. Und—wow, ist das ein Plektrenfriedhof?   Mit so vielen Erkenntnissen kommt Narutos Kopf so früh am Morgen (oder Mittag) nach einer so exzessiven Nacht nicht zurecht. Und der Boden wird auch nicht bequemer, je länger er darauf liegt. Außerdem drückt er das ganze Blut von Sasukes Arm ab, der sich irgendwie unter Narutos Schulterblätter verirrt hat. Was nichts Neues ist, im Gegenteil, die beiden sind schon in sehr viel ungewöhnlicheren Konstellationen aufgewacht; mal komplett ineinander verschlungen oder aneinander gekauert, ein anderes Mal mit Sasukes Hand unter Narutos T-Shirt. Wie auch immer, Erfahrung hat gezeigt, dass es ziemlich egal ist, wie sie einschlafen, das Resultat ist jedes Mal dasselbe, immer wachen sie nebeneinander oder übereinander oder ineinander verworren auf, solange sie im selben Zimmer sind. Wie zwei Magnete, ein bisschen.   Sein Kopf dröhnt beim Aufsetzen wie der Techno der Raver aus dem zweiten Stock—inzwischen ist es friedvoll still, aber um 5 Uhr morgens war das noch nicht so. Vielleicht hätte er einfach liegen bleiben sollen, wäre mit etwas Glück sogar wieder eingeschlafen, und dann müsste er sich nicht dieser unbequemen Realität stellen, sondern könnte genauso entspannt vor sich hin träumen wie Sasuke, der zur Hälfte in einer Pfütze verschüttetem Vodka liegt, ohne dass es ihm etwas ausmacht.   Auf dem Weg zum Bad stolpert Naruto über einen Plastikbecher mit undefinierbarer Flüssigkeit, in der Zigarettenstummel schwimmen wie kleine Boote auf einem umweltverseuchten See, und flucht ein bisschen, als der Becher kippt und seinen Inhalt über dem Fußboden verteilt. Aber dadurch lässt er sich nicht abbringen von seinem Weg zur herbeigesehnten Dusche. Mit etwas Glück ist das Wasser sogar warm.   Als Naruto mit tropfenden Haaren wieder zurück ins Wohnzimmer kommt, ist Sasuke schon wach, jedenfalls sitzt er aufrecht und betastet angewidert seinen vodkaverklebten Hinterkopf. Vielleicht ist es zu früh, ihm Guten Morgen zu wünschen, denn anstatt zurück zu nicken, schaut ihn Sasuke nur an, als würde er sich am liebsten in eine Ecke verkriechen und sterben. Dass Sasuke kein Morgenmensch ist, war Naruto schon zwei Wochen nachdem er ihn kennengelernt hat klar, wobei die Tageszeit an sich keine Rolle spielt, Sasuke kann auch am späten Nachmittag aufwachen und ist trotzdem noch schlecht gelaunt, sogar ganz besonders, wenn er beim Einschlafen nicht nüchtern war. Naruto ist da anders; er sprüht vor Energie seit dem ersten Augenaufschlag und auch wenn sein Kopf pocht, ändert das nur wenig an seiner angeborenen Lebensfreude. Deshalb achtet er auch gar nicht besonders darauf, was Sasuke so feindselig vor sich hin nuschelt (er scheint den umgekippten Becher entdeckt zu haben) und tänzelt auf Zehenspitzen zur Küchenzeile, um Frühstück zu machen, bevor er etwas gegen das Chaos im Wohnzimmer unternimmt.   Es gibt heute auch gar keinen Grund für Naruto, nicht motiviert und euphorisch zu sein, denn etwas Großes ist gestern Nacht passiert; Sasuke und er haben nach langem Herumgerede und ein bisschen zu viel Alkohol beschlossen, eine Band zu gründen. Nicht irgendeine Band, sondern die Band, auf die das Land gehofft hat, all die plastikpop-sedierten Revolutionäre, die nur auf jemanden warten, der Mauern niederreißt und ihnen den Glauben an Liebe und Musik wiedergibt. Vielleicht sind diese Ziele ein bisschen hochgesteckt, aber niemand hat die Welt je verändert, indem er bescheiden war. Das ist jedenfalls Narutos Sicht auf die Dinge und auch genau das, was er Sasuke verkündet hat, als der schon nicht mehr gerade stehen konnte. Bestimmt war der Alkohol Schuld, aber Sasuke hat ihm zugestimmt, sogar so etwas wie Begeisterung gezeigt, soweit ihm das überhaupt möglich ist, und Naruto hat keine Absicht, sich wieder wegnehmen zu lassen, worauf er seit fast zwei Jahren hingearbeitet hat. Auch wenn es nicht viel ist, keine Band per se, sondern nur eine mündliche Zusage auf sehr wackeligen Beinen. Das kann so natürlich nicht bleiben, findet Naruto, das ideologische Grundgerüst ist zwar sorgfältig modelliert, aber all die konkreten praktischen Details fehlen.   "Wir brauchen einen Namen! Und Songs!"   "…Was?"   "Für die Band!"   Blinzelnd dreht sich Sasuke herum. Wann genau haben sie beschlossen, dass sie eine Band gründen wollen? Er erinnert sich nur noch vage an gestern Abend, der Alkohol verschmiert alles ein bisschen, so um die Ecken herum.   "Weißt du, Sasuke, ich habe eine Vision! Und du und ich, wir können das schaffen. Da bin ich mir ganz ganz sicher!"   Er nimmt einen Schluck und kichert in sich hinein, bevor er fortfährt und seine Pläne skizziert. Alles, was er sagt, ist lächerlich idealistisch und naiv, aber durch den Schleier des Alkohols klingt es wie eine gute Idee.   "Ich spiel Akkorde, weil ich, uh, nichts anderes kann, und du machst Lead. Das wird super. Wir werden das nächste große Songwriter-Duo nach Lennon/McCartney und Morrissey/Marr, nein, wir werden sie sogar noch übertreffen und in die Musikgeschichte eingehen als die beste Band aller Zeiten! Wenn das einer schafft, dann wir, Sasuke, du und ich."   Nüchtern hört es sich nach Megalomanie und Zeitverschwendung an, jedenfalls für Sasuke, bei Naruto ist er sich da nicht so sicher, es wäre ihm zuzutrauen, dass er das alles wirklich ernst meint. Deshalb und weil Sasuke inzwischen genug Zeit in seiner Gegenwart verbracht hat, um ziemlich sichere Prognosen stellen zu können, weiß er, dass er aus der Sache nicht mehr herauskommt und es wahrscheinlich einfacher ist, mitzuspielen als sich dagegen zu sträuben. Er bezweifelt, dass es klappt, aber Naruto hat alles Selbstvertrauen der Welt und vielleicht hilft das ja.   Natürlich hilft es nicht. Selbstvertrauen kann keine Plattenverträge herbeizaubern und nicht mal dafür sorgen, dass sich Narutos musikalische Talente auf magische Weise vervielfachen. Eine Woche ist vergangen seit der spontanen Bandgründung, aber in ihrem Alltag hat sich nichts verändert, mit der vernachlässigbaren Ausnahme, dass Naruto manchmal zu ihm kommt und quengelt, weil er gerne gemeinsam Songs schreiben würde und Sasuke bisher noch keinen Finger gerührt hat. Dabei hat er ein ganzes Notizbuch voller Melodien und Licks, das eigentlich genug Stoff für ein paar Lieder hergeben sollte, aber bis auf den gelegentlichen verstreuten Vers auf ein paar Seiten gibt es keine Lyrics. Es ist lange her, seit er das letzte Mal etwas geschrieben hat, denn er wird selten seinen eigenen Ansprüchen gerecht und es kostet jedes Mal Überwindung, auch nur nebensächliche Details seiner Psyche preiszugeben. Aber diesen Part des Songwritings einfach Naruto zu überlassen, geht ihm nur ein einziges flüchtiges Mal durch den Kopf; er verwirft den Gedanken sobald er gekommen ist, denn es ist Naruto und ihm ist das Ganze nicht wichtig genug, dass er dafür so tief sinken würde.   Deshalb steht alles erst einmal still und Sasuke kann nicht von sich behaupten, dass ihm das irgendetwas ausmacht. Bis Naruto eines Tages beschließt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wörtlich, denn als Sasuke nach Hause kommt, sitzt er wartend auf dem Sofa, mit seiner Gitarre, und hält ein dünnes Notizbuch mit schwarzem Einband in die Luft.   "Kann ich mal sehen?", fragt er überflüssig und Sasuke hat keine Ahnung, wie er das Teil gefunden hat, es ist nicht so, dass er es offen herumliegen lässt und ihm ist nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, dass Naruto sein Zimmer durchsucht, wenn er nicht da ist. Aber jetzt ist es sowieso zu spät, deshalb zuckt Sasuke nur mit den Schultern und notiert sich im Hinterkopf, dass er bei Gelegenheit mal mit Naruto über Privatsphäre sprechen sollte.   "Tu dir keinen Zwang an."   Die nächsten Stunden brütet Naruto über dem Heft und seiner Gitarre, versucht Sasukes unleserliche Handschrift zu dechiffrieren und verschafft sich einen Klangeindruck von allem. Wenn ihm irgendwo etwas einfällt, passiert das meistens noch während er die letzten Töne spielt, und er kritzelt fiebrig seine Worte neben Sasukes Melodien.   Die meiste Zeit versucht Sasuke, ihm einfach keine Beachtung zu schenken, aber Naruto ist so seltsam und vertieft in seiner eigenen Welt, dass es nicht immer klappt; manchmal wirft er ihm verstohlene Blicke aus den Augenwinkeln zu, manchmal lässt er sich sogar dazu hinreißen, offen zu starren, weil Naruto so auffällig ist und sowieso nichts mitbekommt von dem, was um ihn herum passiert.   Irgendwann klappt er das Buch zu und legt die Gitarre beiseite und es dauert keine fünf Sekunden, bis er vor Sasuke steht und ihm übereifrig jeden einzelnen Satz zeigt, den er sich zusammengereimt hat; mal sind es ganze Verse oder ein Chorus, manchmal aber auch nur wenige Zeilen. Das meiste ist keinen zweiten Blick wert, aber ab und zu bleibt er an etwas hängen und es ist nicht schlecht, auch wenn Sasuke mit sich ringen muss, so etwas überhaupt zu denken. Es ist ein bisschen ungeschickt, ja, und nicht scharfsinnig genug, aber es ist brauchbarer als alles, was er selbst in den letzten Monaten zu Papier gebracht hat und das ist sein Abschied von jedem Rest an Objektivität, den er sonst irgendwie zusammengekratzt hätte. Naruto macht große Augen und wartet auf ein Urteil, auf ein positives wahrscheinlich, so hoffnungsvoll wie er schaut, und wenn sein Strahlen irgendetwas zu bedeuten hat, weiß er, dass er stolz auf sich sein kann, freut sich vielleicht auf seltenes Lob von Sasuke, aber es gibt in dem Moment nichts, was ihm mehr widerstrebt.   "Das ist nicht gut genug. Probier was anderes."   "Waas? Gar nichts davon ist brauchbar, im Ernst?", jammert Naruto, aber die Enttäuschung schlägt schnell in Ärger um und Sasuke will nicht zugeben, wieviel es ihm ausmacht, dass Naruto nur so wenig demoralisiert ist. "Du bist doch überhaupt nicht qualifiziert, um das einfach so zu bestimmen! Das meiste ist nicht schlechter als was normal so im Radio läuft!"   "Damit will ich aber nicht assoziiert werden", entgegnet Sasuke und hat das letzte Wort.   Aber Naruto ist nicht dumm. Er weiß, was er kann und er weiß, dass Sasuke ein unfairer Bastard ist, also kommt die Kritik nicht wirklich überraschend, wenn er so darüber nachdenkt, es war vielleicht ein bisschen zu naiv, auf Lob von Sasuke zu hoffen. Aber das ist kein Problem, davon lässt sich Naruto nicht runterziehen, dann muss er eben etwas Besseres schaffen, das Sasuke einfach nicht ablehnen kann ohne wirklich lächerlich dabei zu klingen.   Das ist sein neues Ziel und Naruto hat keine Zweifel, es sehr bald zu erreichen, denn sein Kopf sprudelt praktisch über vor Ideen, hinter jeder Ecke verstecken sich neue Inspirationen und alles, was er tun muss, ist, sie irgendwie in Worte einzufassen. Die nächsten Tage macht er nicht viel anderes und es gibt nur eine Handvoll Dinge, die seine Aufmerksamkeit für mehr als fünf Minuten davon wegziehen können.   Sasuke ist wie erwartet nicht sehr unterstützend. Er demotiviert Naruto, wo er nur kann, und bemüht sich, seine Geringschätzung so offen und unmissverständlich wie möglich zu machen, das ist eines seiner Talente und dafür hat Naruto beinahe so etwas wie Respekt. Es hilft aber nicht viel gegen sein Bollwerk an unerschütterlichem Optimismus und auch wenn Sasuke von psychologischer Kriegsführung abrückt und ihm andere Steine in den Weg legt, er weigert sich zum Beispiel prinzipiell, Naruto sein Notizbuch zu überlassen, auch wenn er besonders lieb fragt und bittet, dann ist das kein Problem, er wartet einfach, bis Sasuke die Wohnung verlässt und sucht es eben selbst. Er versteht nicht wirklich, wieso Sasuke das Buch nicht einfach offen liegen lassen kann und es immer verstecken muss, denn Naruto durchsucht eigentlich nur ungern die Zimmer anderer Menschen ohne ihr Wissen, aber es dient ja einem guten Zweck.   Das Problem dabei ist, Sasukes Zimmer ist Chaos in seiner reinsten Form. Von außen wirkt alles völlig unscheinbar, es ist im Gegensatz zu ihrer Küche und Couch hygienisch und auch relativ staubfrei, nichts liegt auf dem Boden herum, das Bett ist sogar gemacht, aber es existiert kein System. Immer wenn Naruto etwas sucht, muss er das ganze Zimmer auseinandernehmen, weil sich die Zusammensetzung der Schränke und Schubladen fortlaufend ändert. Stifte verstecken sich zwischen T-Shirts, CDs Socken und Magazine teilen sich eine Schublade, Feuerzeuge haben überall Kolonien gegründet—Naruto fühlt sich ein bisschen wie Alice im Wunderland; jedes Mal, wenn er wiederkommt, sieht alles anders aus und er verläuft sich hoffnungslos. Selbst ist er sicher auch nicht der Ordentlichste, aber er hat zumindest ein System—einen Schrank für saubere Klamotten und einen Berg Wäsche, der je nach Tageszeit den Standort wechselt, ein paar Schubladen für thematisch sortiertes Kleinzeug und seine Bücher-, CD- und Videospielsammlung, die zum Teil noch immer in Kartons in der Ecke liegt, weil es an Stauraum mangelt, und sich zum Teil quer im Wohnzimmer verteilt. Der Punkt ist, wenn Naruto etwas sucht, findet er es sofort oder nach wenigen Fehlschlägen, aber er kann sich nicht vorstellen, dass dasselbe auch auf Sasuke zutrifft. Vielleicht steckt ja irgendeine Form von Logik dahinter, die nur er durchschaut, Naruto wird jedenfalls nicht daraus schlau. Etwas Positives hat die ganze Sache allerdings—so kann er sich inzwischen sicher sein, dass Sasuke nichts vor ihm verbirgt, weil er es sonst nämlich längst entdeckt hätte.   Bis er dann doch etwas findet; ein ziemlich funktional und ziemlich illegal aussehendes Springmesser irgendwo zwischen Batterien und Handschuhen. Es ist ein bisschen merkwürdig, Naruto ist zwar kein Experte in Sachen Waffengesetz, doch er ist sich ziemlich sicher, dass solche Messer nicht erlaubt sind und man auch nicht ohne Weiteres an eins kommt, es wirkt aber nicht so, als hätte Sasuke irgendwie den Versuch unternommen, es zu verstecken. Verschwörungstheorien purzeln in Narutos Kopf durcheinander, von denen über die Hälfte selbst in seinen eigenen Gedanken lächerlich klingt, deshalb beschließt er, den unkomplizierten Weg zu gehen und Sasuke einfach zu fragen, sobald er nach Hause kommt. Falls er wirklich ein Attentäter sein sollte, wird er hoffentlich Erbarmen mit Naruto haben.   Während er sich langweilt und auf Sasuke wartet, der eigentlich nur kurz weg wollte, um etwas zum Essen zu besorgen, kommt ihm eine Idee, die sich in dem Moment und in seinem Kopf wie die beste überhaupt anhört, aber er hat keine Zeit mehr, um nochmal nachzudenken, denn Schritte im Treppenhaus schrecken ihn auf. Er eilt zur Tür und versteckt sich dahinter, als er Schlüssel klimpern hört, springt fünf Sekunden später mit gezücktem Messer hervor und säbelt dabei fast Sasukes Nasenspitze ab, weil er nicht damit gerechnet hat, dass die Klinge so lang ist. Als Resultat hat er ein paar blaue Flecken mehr an dem Abend, dafür konnte er ein Bild von Sasukes erschrockenem Gesicht in seinen Erinnerungen abspeichern und das war es irgendwie wert.   "Ich hab dieses Messer vorhin bei dir gefunden. Wieso hast du sowas?", fragt er ein paar Minuten später, als Sasuke auf dem Sofa mit chinesischem Take-Away sitzt und sich seine Wut gelegt zu haben scheint. Dabei lässt er es aufspringen und studiert die Klinge ehrfürchtig. "Sind die Dinger nicht illegal?"   "Familienerbstück. Und jetzt gib her."   Aber Sasuke macht keine Anstalten aufzustehen und hält nur seine Hand auf.   "Ich weiß nicht, ob ich mich so wohl dabei fühle, so etwas im Haus zu haben… Wer sagt, dass du mich nicht eines Nachts damit im Schlaf meuchelst?"   "Du hast mich doch gerade attackiert", stellt er entgeistert und ein bisschen vorwurfsvoll fest zwischen zwei Löffeln Reis. "Das Risiko musst du wohl eingehen. Ich könnte dich auch jederzeit mit einem gewöhnlichen Küchenmesser abstechen."   "Hm. Stimmt. Ich bin ständiger Gefahr ausgesetzt!"   Naruto wedelt theatralisch mit den Armen und Sasuke verdreht die Augen, lässt das Ganze aber unkommentiert.   Die Erkenntnis, dass Sasuke wahrscheinlich kein Fremder im Umgang mit illegalen Dingen ist, kommt für Naruto nur schleichend. Erst als Kiba ihn praktisch mit der Nase darauf stößt, zieht er den Gedanken in Erwägung, dass es vielleicht doch Verstecke in Sasukes Zimmer gibt, die er nicht kennt.   Es ist einer der seltenen Abende, an denen er Sasuke dazu überreden konnte, mit ihm ein bisschen am Nachtleben teilzunehmen, das passiert nicht oft, aber gerade genießt er nur die Gesellschaft von Kiba, weil Sasuke vor einer Weile irgendwohin verschwunden ist. Sein Blick schweift durch die Menge und er klopft geistesabwesend mit seiner freien Hand den Rhythmus der Musik gegen die Wand, an der er lehnt, bis seine Augen irgendwann über eine bekannte Figur stolpern und er beobachtet, wie Sasuke mit einem zwielichtigen bebrillten Mann spricht, bevor er ihm auf die Herrentoilette folgt. Naruto weiß nicht ganz, was er darüber denken soll, deshalb beugt er sich zu Kiba herüber, der die Szene desinteressiert mitverfolgt hat.   "Was macht Sasuke? Wieso geht er mit einem anderen Mann aufs Klo?"   "Was denkst du denn, was er macht?", fragt Kiba amüsiert und ein bisschen überrascht.   "Sasuke ist schwul?!"   "Hahaha, nein. Okay, das vielleicht auch, keine Ahnung, aber er zieht sich nur etwas rein, nehme ich an."   Naruto blinzelt und senkt seine Augenbrauen. Kiba sagt es so, als wäre es die normalste Sache der Welt und halb so schlimm, aber für Naruto fühlt es sich eher an wie ein Schlag in die Magengrube.   "Meinst du wirklich? Sasuke nimmt Drogen…?"   "Wahrscheinlich, genauso wie die gute Mehrheit in diesem Raum. Du lebst jetzt schon seit zwei Jahren hier, bist du echt überrascht?"   "Keine Ahnung, hab nie drüber nachgedacht. Ich wusste das nicht."   Naruto ist sich nicht sicher, was er davon halten soll. Er erinnert sich an Präventionsvorträge in der Schule und Bücher, die ihm seine Eltern geschenkt haben, über Jugendliche, deren Sucht ihr Leben in eine Horrorshow verwandelt hat. Aber solche Geschichten sind absichtlich überzogen und sollen abschrecken und Naruto hält sich für intelligent genug, um die Dinge realistisch betrachten zu können. Es ist ja schließlich nicht so, als hätte er selbst noch nie irgendetwas probiert, nur eben nichts Hartes, höchstens mal einen Joint hier und da, wenn sich die Gelegenheit ergeben hat. Aber das ist etwas anderes und er würde wirklich gerne aufgeschlossen und entspannt sein, gibt sich größte Mühe dabei, doch das unangenehme Gefühl verschwindet nicht richtig. Alle Versuche, rational zu bleiben, können nicht viel dagegen ausrichten, dass es ihm gar nicht gefällt, dabei ist er sich nicht einmal sicher, ob er sich einfach nur Sorgen macht oder es etwas anderes ist, das seine kalten Klauen in seine Eingeweide krallt.   An dem Abend sieht er nicht viel von Sasuke, er kommt ein paar Mal zu ihm herüber, redselig und gut gelaunt und aufgekratzt für seine Verhältnisse, und es ist so offensichtlich, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt, dass Naruto es nicht fassen kann, wie er diesen Schluss nie gezogen hat, wenn ihm im Rückblick mindestens vier Situationen einfallen, in denen Sasuke ganz eindeutig auf irgendetwas drauf war. Es ist nicht so, dass er auf einmal anhänglich wird oder abstruse Dinge erzählt oder sonst irgendwie stark aus seinem Charakter fällt, und eine außenstehende Person würde es vielleicht gar nicht richtig bemerken, aber Naruto weiß, wie sich Sasuke normalerweise verhält, und es hätte ihm wirklich auffallen sollen.   Seine Stimmung erholt sich den Rest der Nacht nur wenig und er denkt ein paar Mal darüber nach, ob er Sasuke darauf ansprechen soll oder nicht, aber als sie später heimgehen, ist er so normal, deshalb zuckt Naruto nur mental mit den Schultern und verstaut die Information irgendwo weit hinten in seinem Kopf. Er hat kein Recht, Moralapostel zu spielen und Sasuke ist alt genug, um zu wissen, was er tut.   (Und wenn er wirklich, wirklich ehrlich zu sich selbst ist, stört ihn eigentlich nur, dass Sasuke ihn so einfach ausschließt.) Kapitel 10: Inbetween days --------------------------   Es ist Juni und unerträglich warm, als Naruto seine täglichen Irrfahrten quer durch Londons Untergrundsystem antritt. Eine Hitzewelle hat die Stadt vor ein paar Tagen erreicht, die unter den ungewohnten Temperaturen ächzt, und die Thermometer verzeichnen fast jeden Tag irgendwo neue Rekordhochs. Naruto war selten so neidisch auf Sasuke wie jetzt, denn der kann bei diesem Wetter einfach zu Hause bleiben und seine Bewegungen auf ein Minimum reduzieren, weil er sich nicht von Verpflichtungen fesseln lässt und sowieso nur das tut, was er will.   Die überhitzte U-Bahn macht es nicht besser und Naruto fragt sich, während er langsam mit dem Sitz verschmilzt, wieso auf einem der größten Streckennetze der Welt auch nach 150 Jahren noch immer keine klimatisierten Züge fahren. Normalerweise verbringt er seine Zeit damit, verstohlen Leute zu beobachten, aber heute schaut er überall nur in dieselben leidenden, glänzenden Gesichter. Ein paar Minuten lenkt er sich mit den bunten Werbeplakaten über den Sitzen ab, dann studiert er eine zerbeulte Colaflasche, die verschmäht in der Ecke liegt. Ihr Inhalt schwappt beruhigend hin und her, läuft bei jeder Unebenheit auf den Gleisen über und macht die klebrige Pfütze vor der Tür ein bisschen größer, in die bei jedem Halt immer wieder neue Menschen hineintreten und Colafußspuren durch den ganzen Wagon ziehen. Ab Tower Hill wird es dann auch noch eng und er hat sechs Stationen lang den Hintern einer amerikanischen Touristin im Gesicht, bevor er umsteigen muss und sich mühsam nach draußen navigiert, nur um in einen ebenso überfüllten Zug zu drängen und den Rest der Fahrt Schulter an Schulter mit verschwitzten Menschen zu stehen.   Es ist in dem Moment, dass Naruto entscheidet, etwas ändern zu müssen. Uni, Job und Zuhause liegen in drei verschiedenen Himmelsrichtungen, wenn er Hinata dazuzählt, sind es sogar vier, und er ist jeden Tag wertvolle Stunden mit dem Hin und Herpendeln beschäftigt, was bei normalem Wetter schon schlimm genug ist, aber nicht in einer Hitzewelle. Und wenn aus seiner Band irgendwann einmal etwas werden soll, braucht er jede Sekunde, die er finden kann. Denn sich und Sasuke überhaupt eine Band zu nennen, dehnt die Definitionsgrenzen schon ziemlich aus, Sasuke nimmt es sowieso nicht ernst und seit der Gründung vor drei Monaten, an die sich beide Beteiligten nur bruchstückhaft erinnern können, hat sich noch nicht viel bewegt. In seinen Tagträumen hat sich Naruto die ganze Sache irgendwie einfacher vorgestellt, hatte vor, zu diesem Zeitpunkt schon genug Songs für eine EP zu haben und am Ende des Jahres vielleicht einen Vertrag. Dieser Gedanke klingt inzwischen sogar in seinen eigenen Ohren lächerlich, nagt aber nur wenig an seinem Selbstvertrauen. Dann dauert es eben etwas länger und er muss seine unrealistischen Erwartungen begraben, aber am Endresultat wird es nichts ändern. Einen Plan B hat Naruto eigentlich noch nie gehabt und wenn es mit seiner Band erst einmal läuft, wird er bereitwillig alles andere hinwerfen, am liebsten würde er schon jetzt seine gesamte Energie nur auf die Musik konzentrieren, aber dafür ist es noch zu früh.   Als Naruto abends nach Hause kommt, durchgeschwitzt und generell fertig mit der Welt, liegt Sasuke immer noch genau so, wie er ihn heute Vormittag zurückgelassen hat, nur sein T-Shirt hat er an irgendeinem Punkt ausgezogen und über die Sofalehne geworfen. Es ist in der Wohnung nur marginal kälter als draußen und Naruto schnappt sich die letzte Wasserflasche aus dem Kühlschrank, die er wie einen Lebensretter an sein Gesicht hält, bevor er sie in einem Zug halb leer trinkt. Gegen die Theke gelehnt klagt er Sasuke von seinem Leid, während er sich hektisch Luft zufächelt mit einem gefalteten Prospekt, das er vorhin aus dem Briefkasten gezogen hat, aber er könnte genauso gut mit einer Wand reden, denn Sasuke liegt nur scheintot herum und macht sich nicht mal die Mühe, zustimmende Laute zu grummeln.   "Ach ja!", erinnert sich Naruto plötzlich nach einer lebhaft ausgeschmückten Geschichte über ausgefallene Klimaanlagen in Hörsälen und schleppt sich zu Sasuke herüber, wo er mit einem reich frankierten Umschlag vor dessen Nase herum wedelt. "Hier ist Post für dich! Von, mh ... Itachi Uchiha. Ist das dein Vater?"   "Bruder", korrigiert Sasuke, unternimmt aber keinen Versuch, den Brief an sich zu nehmen. Es ist nichtmal gespieltes Desinteresse in seinem Gesicht, sondern absolut aufrichtiges.   "Du hast einen Bruder?"   "Ja, er ist irgendwo in der Welt als Botschafter unterwegs und lebt seinen Pazifismus aus."   Naruto legt den Kopf schief und umrandet das Sofa, bevor er sich irgendwo zwischen Sasukes Beinen Platz sucht. Der lässt das geschehen und rührt sich auch dann nicht, als ihre Knie aneinander stoßen, wie Naruto mit einem kleinen Lächeln bemerkt. Noch vor einem Jahr hätte Sasuke ihn wahrscheinlich direkt vom Sofa gekickt, aber gerade scheint es ihn nicht zu stören. Das ist gut, denn Naruto ist eine sehr physische Person, er hat gerne Körperkontakt zu Menschen, die er mag, und es erfordert manchmal seine höchste Willenskraft, Umarmungen zurückzuhalten, wenn er nicht riskieren will, Opfer körperlicher Gewalt zu werden. Vielleicht macht Sasuke die Hitze aber auch einfach nur so sehr zu schaffen, dass er keine Energie mehr für Proteste aufbringen kann.   "Das hört sich so negativ an, wenn du das sagst … magst du ihn nicht?"   "Nicht besonders, nein."   "Oh. Gibt es einen Grund dafür?", hakt Naruto nach, aber Sasuke reagiert nicht mehr. Das ist nicht besonders überraschend und er hat auch nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet, das hätte vermutlich die Sasuke-Info-Quote für dieses Jahr gesprengt, das Raum-Zeit-Kontinuum aus den Angeln gehebelt oder irgendwas ähnliches. Deshalb hängt sich Naruto auch nicht daran auf, sondern lenkt das Gespräch einfach wieder in eine andere Richtung, auf seinen allmählichen Wärmetod und die Erkenntnis, dass er einen neuen Job braucht, am besten irgendwo nicht ganz so weit weg.   "Ah. Ich auch", meint Sasuke nonchalant und Naruto kann nur verstört blinzeln.   "Was? Im Ernst? Wieso?"   Denn soweit Naruto im Bild ist, zahlt Sasukes Mutter seinen Teil der Miete und schickt ihm regelmäßig Geld—zwar sehr knapp bemessen, aber genug, um all die notwendigen Dinge kaufen zu können und am Ende des Monats trotzdem noch ein paar Pfund auf dem Konto zu haben. Und wenn er mal mehr braucht, muss er das eigentlich nur einfordern. Es ist ein bisschen frustrierend für Naruto, der seine Teenagerzeit mit Babysitten und Zeitungen austragen verbracht hat, weil sein Taschengeld noch nie viel hergegeben hat, und auch jetzt kann er sich nicht auf die finanzielle Unterstützung seiner Eltern verlassen, die zwar seine Studiengebühren zahlen, ihm ansonsten aber nur ein paar Zehner überweisen, falls in einem Monat mal sein Überleben gefährdet ist.   Sasuke zuckt mit den Schultern und schaut dabei, als würde er auf eine Antwort von Naruto warten. Mit fragend-erwartungsvollen Augen und hochgezogenen Brauen und allem.   "Solidarität?", schlägt er dann irgendwann vor. Und es ist wirklich nur das, ein Vorschlag, den er Naruto anbietet, den er akzeptieren kann, wenn er keine weiteren Fragen stellen will. Weil so, wie er das gesagt hat, scheint es von der Wahrheit ein ganzes Stück entfernt zu sein und er hat es sich eben gerade einfallen lassen. Ein bedeutungsloses Wort, das er probeweise in den Raum geworfen hat, weil es ganz nett klingt. Das versucht er nicht einmal zu verbergen.   Aber Naruto nimmt seine Antwort an, weil er tatsächlich keine weiteren Fragen stellen will, jedenfalls nicht jetzt, wozu auch. Also befolgt er Sasukes unausgesprochenen Ratschlag, dass er sich einfach freuen soll, dass er mitmacht und dafür die Klappe hält.   Die Jobsuche geht Naruto ganz pragmatisch an; sobald sich die Wetterlage normalisiert hat, klappert er die Läden, Bars und Cafés auf den nächstbesten Hauptstraßen ab und kehrt am Ende des Tages mit einer Hand voll Telefonnummern und Emailadressen nach Hause, von denen er Sasuke ein paar abgibt. Einige Zeit später kann er dann seine neue Stelle in einem kleinen familienbetriebenen Pub antreten, der nur zehn Minuten zu Fuß entfernt liegt, und verbringt fortan den Großteil seiner Abende damit, leere Gläser einzusammeln und das Genuschel von betrunkenen Gästen zu verstehen.   Sasukes einundzwanzigster Geburtstag kommt und geht; wenn Naruto das Datum nicht in seinem Kalender angemarkert hätte, wäre er komplett an ihm vorbeigezogen, denn Sasuke verliert kein Wort darüber und hat auch nichts geplant. Naruto redet zwar immer wieder auf ihn ein, kann seine Haltung nicht nachvollziehen, denn "Das muss man doch feiern!", aber Sasuke ist da anderer Meinung und am Ende muss er sich beugen. Ein Geschenk gibt es trotzdem—das Produkt von tagelangem Kopfzerbrechen und verzweifelten Shoppingtouren ist aber nur eine kleine Topfpflanze, weil Sasukes Zimmer immer so trist ist und damit er etwas hat, um das er sich kümmern kann, wenn Naruto nicht zu Hause ist.   August verläuft mehr oder weniger ereignislos; Sasuke hängt in einem Sommertief fest, das eigentlich schon seit Mitte Juli andauert, und Naruto freut sich auf seinen ersten gemeinsamen Urlaub mit Hinata, für den er schon seit einer Weile spart. Es wird auch genau so, wie er es erwartet hat—eine schöne erholsame Woche ohne seinen mürrischen Mitbewohner, dafür mit der besten Freundin der Welt, jedenfalls in Narutos Augen.   Aber die Realität hat kein Interesse an einem sanften Übergang und meldet sich sehr schnell wieder zurück, als Naruto  die Wohnung betritt und alles dunkel ist. Oder halbdunkel, ein paar Sonnenstrahlen dringen durch die Rollläden herein. Sasuke sitzt auf dem Sofa und knabbert an einem Stück Toastbrot, während der bläulich flimmernde Schein vom Fernseher auf seinem Gesicht tanzt und es irgendwie noch blasser und lebloser erscheinen lässt. Es ist beängstigend, findet Naruto. Vor allem die Tatsache, dass er dieses niveaulose Nachmittagsprogramm sieht, über das er sonst immer so herablassend spricht. Aber er ist sich nicht wirklich sicher, ob Sasuke überhaupt richtig zuschaut, sein Blick scheint eher direkt daran vorbeizugehen.   "Sasuke?", fragt er vorsichtig in den Raum hinein. Aber alles, was er als Antwort bekommt, sind die monotonen Kaubewegungen seines Kiefers. Spätestens jetzt ist Naruto überzeugt, dass etwas nicht stimmt. Von Sasuke ignoriert zu werden, ist zwar wirklich nichts Ungewöhnliches, aber meistens erkennt er seine Existenz dann doch irgendwie an und verfolgt stattdessen nicht Coronation Street Reruns aus den 80ern.   Sein Blick löst sich von Sasuke und es ist erst jetzt, dass ihm auffällt, wie chaotisch es in ihrem Wohnzimmer aussieht, so, als hätte jemand gefeiert und einfach alles in dem Zustand gelassen. Leere Gläser und Alkoholflaschen stehen herum und der Menge nach zu urteilen, ist er wahrscheinlich einfach nur verkatert. Bisher hat er das zwar immer irgendwie besser weggesteckt, aber Naruto kann auch nicht wirklich einschätzen, was sonst noch alles dabei war, deshalb beschließt er, Rücksicht zu nehmen und ihn in Ruhe zu lassen. Es ändert nichts daran, dass es ein bisschen beunruhigend ist—er bleibt eine Woche allein und dann passiert das mit ihm. Spontan entscheidet Naruto, dass Sasuke das nächste Mal einfach mitkommt, wenn er irgendwo hinfährt oder so.   Es ist Anfang September, als sich die Dinge langsam verändern. Alles fängt sehr unscheinbar an und Naruto überblättert es fast, aber als er sich eines Tages Sasukes Notizbuch schnappt, um ein bisschen produktiv zu sein, stehen da auf einmal Zeilen unter einem seiner Verse, wo vorher keine waren. Es ist unbestreitbar Sasukes Handschrift, die kleinen kursiven (unleserlichen) Schwünge bilden einen deutlichen Kontrast zu seinen eigenen krakeligen Buchstaben und Naruto kommt um den Gedanken nicht herum, dass es irgendwie richtig nebeneinander aussieht.   Ein paar Tage später taucht an einer anderen Stelle etwas auf—eine von Narutos besseren Ideen, auf die er eigentlich ziemlich stolz war, ist zum Drittel durchgestrichen, ein Gürtel aus Wörtern und Satzpassagen sortiert sich darum und wird von uneindeutigen Pfeilen an die richtigen Stellen verwiesen, am Rand ist ein kleines Intro skizziert und Akkorde verteilen sich quer über den Text. Als er das Schema hinter dem Chaos versteht, schlägt sein Herz ein paar Takte schneller und Zukunftsvisionen wirbeln in seinem Kopf durcheinander, denn Sasuke ist sowas wie ein moderner Midas, wenn es darum geht, Narutos Songfetzen in Gold zu verwandeln, und auf diesen Moment hat er viel zu lange warten müssen.   "Sasuke, Sasuke!", ruft er aufgeregt, als eben jener nach Hause kommt und fuchtelt dabei wild mit dem Buch herum. "Das ist es! Da steckt unser erster gemeinsamer Song drin und fuck, es ist besser, als ich erwartet habe! Wieso hast du mir nichts gesagt?!"   "Weil es zu 90% mein Song ist."   Aber Narutos Begeisterung geht auch an Sasuke nicht spurlos vorbei und er lässt sich ein bisschen mitreißen, obwohl er sich alle Mühe gibt, es zu verstecken.   Danach ist es, als ob sich ein Schalter umgelegt hätte. Naruto taumelt von einem High ins nächste und kann immer noch nicht ganz begreifen, wie gut es funktioniert. Es fällt schwer, sich vorzustellen, jemals einen besseren Songwriting-Partner zu finden, jemand anderen, mit dem er Dinge schaffen kann, die größer als die Summe ihrer Einzelteile sind.   Wenn Naruto an Songs bastelt, passiert das spontan. Denn Naruto hat das Talent, einfach ein paar Akkorde zu spielen und dazu singen zu können, was ihm gerade einfällt, in hübschen Sätzen verpackt, die rhythmisch passen und sich manchmal sogar reimen. Sasuke kann das nicht. Sasuke brütet über einem Notizbuch und kaut auf seinem Stift herum, bis er die perfekten Worte gefunden hat, niederschreibt und dann doch wieder durchstreicht, weil sie nicht gut genug sind. Wenn Naruto seine Gedanken ungeordnet auf ein Blatt Papier kritzelt, gibt Sasuke ihnen Sinn und Form, wenn Naruto eine gute Idee hat, feilt Sasuke an ihr bis zur Perfektion. Manchmal fügt er aber auch nur einen einzigen geistreichen Satz zu dem inspirierenden Chaos hinzu, das der Default-Modus in Narutos Kopf zu sein scheint. Aber nicht alles, was Naruto produziert, ist verwertbar, und nicht alles, was Sasuke editiert, wird von ihm abgesegnet.   "Das klingt viel zu düster", beschließt Naruto mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln und fängt an, die ernüchternden Bilder zu romantisieren. Wenn Sasuke Geschichten über Hoffnungslosigkeit erzählt, malt Naruto eine Sonne an den grauen Himmel. "Ich will Spaß haben, wenn ich spiele, und ich will mich über das freuen, was ich singe!"   "Dann schreib deine eigenen Songs."   "Ich meine nur. Das könnten Joy Division Lyrics sein und wir wissen alle, wie das ausgegangen ist. Es macht mir ein klitzekleines bisschen Angst, okay?"   Es braucht keine Sekunde, um Sasukes Laune von mürrisch-verstimmt zum absoluten Gefrierpunkt zu bringen. Vielleicht war es nicht die klügste Bemerkung, muss Naruto im Nachhinein zugeben.   "Was versuchst du da anzudeuten?!", grollt Sasuke gefühlte zwei Oktaven tiefer als er normalerweise spricht und Naruto bemüht sich um Schadensbegrenzung, vor allem weil er selbst nicht genau weiß, was und wieviel er eigentlich damit sagen wollte.   "Schau, kannst du nicht einfach über fröhlichere Dinge schreiben?"   "Über was denn? Siehst du hier irgendwas, über das ich mich freuen könnte?!"   "… mich?"   Und vielleicht ist es Narutos hoffnungsloses Puppyface, vielleicht hat Sasuke angesichts so schlagender Argumente auch einfach keine Lust mehr zu diskutieren, jedenfalls dreht er sich nur kopfschüttelnd weg und die bedrohlich kalte Aura verfliegt.   "Warum mach ich das eigentlich mit?", hängt er wenig später als Nachsatz an, der nicht ganz so rhetorisch klingt wie er sollte, und Naruto antwortet, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.   "Weil es die Chance deines Lebens ist. Und weil du mich liebst, darum."   "Natürlich …" Kapitel 11: Hatful of hollow ---------------------------- Es ist verdammt kalt, weil es Winter ist und zwar richtiger Winter, mit meterhohen Schneedecken und endlos fallenden Temperaturen und prinzipiell allem, worauf in London niemand vorbereitet ist, besonders nach einem so heißen Sommer (aber auch sonst nicht). Am allerwenigsten Narutos und Sasukes Vermieter, der es verpasst hat, rechtzeitig den Öltank aufzufüllen, weshalb schon seit ein paar Tagen die gesamten Heizkörper des Hauses nur auf der Minimalstufe stehen. Von gemütlicher Adventszeit fehlt jede Spur und zur Abwechslung ist Naruto froh darüber, dass er nur wenig Zeit zu Hause verbringt und sich sonst meistens in kuschelig warmen Räumlichkeiten aufhält, die sich nicht so sehr nach Bodensatz der Gesellschaft anfühlen.   "Es ist kalt", stellt Naruto zähneklappernd zum gefühlten fünften Mal innerhalb der letzten Stunde fest und vergräbt sich tiefer in seinen verwaschenen Hoodie. Aus den Augenwinkeln wirft ihm Sasuke einen Blick zu, der mit der Zimmertemperatur konkurrieren kann.   "Ach."   Man kann seinen Atem sehen, eine trübe, weiße Rauchwolke, und das sollte nicht sein, nicht in einer Wohnung, aber vielleicht bildet es sich Naruto auch nur ein.   "Schade, dass du kein Mädchen bist, Sasuke. Dann wüsste ich nämlich, wie uns ganz schnell warm wird."   Dabei wackelt er anzüglich mit den Augenbrauen und grinst Sasuke an, der unbeeindruckt zurückschaut.   "Du würdest deine Freundin mit mir betrügen?"   "Das war doch nur hypothetisch! Außerdem—wenn du ein Mädchen wärst, wären wir beide sowieso zusammen."   "In deinen Träumen vielleicht."   Naruto seufzt und schließt seine Hände um eine Tasse Tee, die inzwischen nur noch lauwarm ist und nicht viel gegen seine kalten Fingerspitzen tut. Während er an der übersüßten Flüssigkeit nippt, schielt er prüfend zu Sasuke herüber.   "Ja, wahrscheinlich ...", gibt er zu. "Du wärst bestimmt heiß als Frau. Ich meine, du bist auch jetzt heiß, aber halt ... ein Kerl."   Irritiert blinzelt Sasuke ihn an und Naruto fragt sich, ob er irgendwas falsches gesagt oder sich nicht klar ausgedrückt hat.   "... Versuchst du gerade, mich anzugraben?"   "Haha, oh Gott, nein. Mein Herz gehört einzig und allein Hinata!", lacht Naruto ein bisschen zu laut und ein bisschen zu überschwänglich, denn so lustig war es eigentlich gar nicht, aber der Gedanke ist so abstrus und Sasuke soll auf keinen Fall irgendwas missverstehen. Das sind schließlich nur Scherze, die er macht, weil er eine unerschöpfliche Faszination daran findet, Reaktionen jeglicher Art aus Sasuke herauszukitzeln, aber er denkt nicht wirklich so über ihn. Und das ist gut, überlegt Naruto, während er seine Tasse zur Spüle stellt, wo sich inzwischen ganze Türme an Geschirr stapeln, die vergeblich auf den Abwasch warten. Ihm tut die unglückselige Person schon jetzt leid, die eines Tages ihr Herz an Sasuke verlieren wird, denn es übersteigt seine Vorstellungskraft, sich auszumalen, wie eine gesunde, liebevolle Beziehung mit Sasuke aussehen soll, falls das überhaupt irgendwie möglich ist. Vielleicht in einem Paralleluniversum oder so, aber wahrscheinlich nicht mal das.   Sasuke verschwindet irgendwann in sein Zimmer, um schlafen zu gehen (oder einfach nur seine Ruhe zu haben, wer weiß das schon) und lässt Naruto mit seinem bevorstehenden Kältetod alleine, der verzweifelt versucht, sich damit abzufinden, dass es einfach nicht wärmer wird, egal wie eng er seine Bettdecke um sich herum schnürt. Es ist nicht kalt genug, dass er Angst haben muss, nicht mehr aufzuwachen, aber kalt genug, um gar nicht erst einschlafen zu können. Das geht so nicht, Naruto muss morgens früh raus und er braucht seinen Schönheitsschlaf, also kratzt er all seinen Mut zusammen und schleicht mit Kissen und Decke bepackt zu Sasukes Zimmer herüber. Einen Moment verweilt er dort und geht in seinem Kopf alle Worst-Case-Szenarios durch, die ihm auf die Schnelle einfallen, bevor er die Türklinke behutsam herunterdrückt und den finsteren Raum betritt.   "Hey Sasuke", flüstert er und rüttelt vorsichtig an dessen Schulter, jederzeit bereit, zu seiner eigenen Sicherheit zurückzuspringen und aus dem Zimmer flüchten zu müssen, sollte Sasukes Reaktion nicht ganz so positiv ausfallen.   "Was willst du?", dringt aber nur die schläfrig vernuschelte Antwort unter einer hochgezogenen Bettdecke hervor.   "Ich frier mir drüben den Arsch ab und kann nicht schlafen. Bei dir ist es wärmer", klagt Naruto sein Leid und es ist gut, dass Sasuke zu müde ist, um zu diskutieren und einfach nur ein Stück zur Seite rückt. Bevor er es sich anders überlegen kann, klettert Naruto dankbar neben ihn auf die Matratze und kuschelt sich in seine mitgebrachte Decke. Sasukes Bett ist groß genug, um eine angemessene Distanz zu wahren, aber die Wärme eines Körpers nur eine halbe Armlänge entfernt wirkt trotzdem Wunder für seine eingefrorenen Zehenspitzen und es dauert nicht lange, bis er tief und fest schläft.       Als Naruto in der Stille des frühen Morgens die Augen öffnet und außer Sasukes Hinterkopf kaum etwas sehen kann, braucht er nicht lange, um zu bemerken, dass er so nicht eingeschlafen ist. Schwarze Haare kitzeln seine Nasenspitze und unter seinem Arm spürt er einen Brustkorb, der sich gleichmäßig auf und ab bewegt.   Sasukes kantiger, harter Körper ist ein großer Unterschied zu all den anderen Erfahrungen, die er in einem Bett gemacht hat—bisher war da entweder gar nichts neben ihm oder weibliche Rundungen, aber nicht das. Unauffällig versucht er, ein bisschen Distanz zwischen ihn und Sasuke zu bringen. Es ist nicht so, dass es ihn stören würde—Sasuke ist wunderbar warm und Gott, er ist schon viel zu lange nicht mehr mit jemandem im Arm aufgewacht, aber wer weiß schon, wie Sasuke reagieren würde, und das Risiko ist es nicht wert. Gut, dass Naruto vor ihm aufstehen muss und seine innere Uhr so zuverlässig funktioniert, denn in ein paar Minuten wird sein Wecker anfangen zu klingeln, den er gestern Nacht nicht mit umgesiedelt hat, und auch wenn Sasuke normalerweise einen tiefen Schlaf hat, möchte er es lieber nicht darauf ankommen lassen.   Vorsichtig rollt er vom Bett, tappst aus dem Zimmer und fühlt sich dabei wie ein One-Night-Stand, der verschwunden sein will, bevor der andere aufwacht und es unangenehm wird. Was völlig absurd ist, denn Naruto hatte noch nie einen One-Night-Stand und es ist nur Sasuke, dem er im Schlaf ein bisschen zu nahe gekommen ist, aber das passiert immer mal wieder und ist kein Grund, die Nerven zu verlieren.   Auf dem Weg zur U-Bahn hat er den Vorfall schon so gut wie vergessen und denkt den ganzen Tag nicht mehr daran, bis er abends neben Sasuke sitzt, beschäftigt durch den Pappbecher Instant-Ramen, den er gedankenverloren in sich hineinschaufelt, und sein Mitbewohner auf einmal den Kopf hebt, um ihm mit unleserlicher Miene in die Augen zu sehen.   "Du klammerst nachts", murmelt er nur und wendet sich dann wieder seinem eigenen Essen zu, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Naruto starrt ein paar Sekunden, weil er nicht wirklich weiß, was er mit dieser Situation anstellen soll.   "Oh. Okay", sagt er dann schließlich viel zu spät für eine so lahme Antwort und klingt dabei in etwa so ratlos wie er sich fühlt. Die unangenehme Stimmung, die sich den Rest des Abends über sie legt, hält Naruto aber auch nicht davon ab, später wieder bei Sasuke anzuklopfen. (Und wieder und wieder).   Ein paar Tage danach hat sich das Problem mit den Heizungen zwar längst gelöst und es gibt eigentlich keinen Grund mehr, dieses Arrangement weiterzuführen, aber so können Kosten gespart werden, das ist doch was, und Naruto hat sowieso nicht vor zu gehen, bis Sasuke ihn aus seinem Bett wirft. Denn dort ist es viel bequemer als auf seiner kleinen, durchgelegenen Matratze und das macht als Begründung ausreichend Sinn, jedenfalls in Narutos Kopf, jedenfalls wenn er nicht zu viel darüber nachdenkt. Sasuke sagt nichts dazu und lässt ihn gewähren, er besteht inzwischen nur darauf, dass Naruto am anderen Ende des Bettes liegt, um sich nicht noch einmal mitten in der Nacht in einer einseitigen Umarmung wiederzufinden. Naruto hält nicht viel davon, Kopf an Fuß zu schlafen. Er hat das ein paar Mal angedeutet, versucht, Alternativen vorzuschlagen, aber es funktioniert nicht ganz, verdüstert nur Sasukes Gesichtszüge und färbt seine Stimme dunkler und unverständlicher als sonst. Sasuke scheint den Gedanken nicht zu mögen, denkt wohl, dass es ein bisschen merkwürdig ist, ein bisschen schwul, nichts, was normale Freunde machen. Naruto findet, dass sie sich ansonsten auch nicht wie normale Freunde verhalten und sieht seinen Punkt nicht.       Das geht eine Weile lang gut, eigentlich viel zu lange für ihre Verhältnisse und Naruto rechnet schon jeden Tag damit, dass irgendetwas passiert und Sasukes Laune umschlägt, aber als es dann endlich so weit ist, wird er vom Sturm überrascht.   Es ist Heiligabend und das erste Weihnachtsfest, das er nicht mit seiner Familie verbringt; zum einen weil er sich nicht ganz sicher ist, ob die Zugfahrt und Geschenke und das alles in seinem Monatsbudget überhaupt noch drin sind, und zum anderen aus Solidarität zu Sasuke, weil er sonst ganz alleine sein müsste, wie jedes Jahr, und irgendwie tut das Naruto leid, auch wenn Sasuke immer wieder betont, dass es eine bewusste Entscheidung ist und er sich sogar darauf freut, für ein paar Tage Ruhe zu haben. Nur wird das nicht passieren, solange Naruto einen Samariterkomplex hat und Sasuke als sowas wie sein ganz persönliches Resozialisierungsprojekt ansieht, auch wenn er die Entscheidung im Nachhinein ein bisschen bereut. Morgen ist er zwar zum traditionellen Christmas Dinner bei Hinatas Eltern eingeladen, aber heute gibt es nur die stets angenehme Gesellschaft von Sasuke und viele trostlose Stunden zum Überbrücken. Auf Geschenke wurde einvernehmlich verzichtet, das kostet nur Geld, das sie nicht haben, aber um trotzdem für ein bisschen Weihnachtsstimmung zu sorgen (soviel Sasuke zulässt), hat sich Naruto ein Plastikpflänzchen besorgt und es mit Lichterketten und Lametta behängt, was am Ende ein bisschen danach aussieht als hätte er es einfach aus der nächstbesten Mülltonne gefischt. Sasuke macht aus seiner Verachtung für das Ding keinen Hehl und Naruto musste schon mehrere Pläne zur Entsorgung vereiteln, aber gerade herrscht so etwas wie Waffenstillstand, obwohl Naruto trotzdem immer ein Auge auf seinen improvisierten Weihnachtsbaum behält. Das Abendessen fällt gewohnt schmucklos aus; Naruto hatte etwas festlicheres geplant, dem Anlass entsprechend, aber keiner von beiden kann kochen und am Ende bestellen sie sich einfach Pizza.   Sasuke zieht sich ziemlich bald in sein Zimmer zurück und auch wenn es durchaus vorkommt, dass Naruto seine Privatsphäre respektiert, ist heute nicht so ein Tag. Denn im Fernsehen laufen nur die alljährlichen Weihnachtsspielfilme, die er schon öfter gesehen hat als für irgendjemanden gut sein kann, Hinata antwortet seit einer halben Stunde nicht mehr auf seine SMS und wenn er um die Zeit Gitarre spielt, beschweren sich wieder die Nachbarn. Deshalb folgt er seinem Mitbewohner auf der Suche nach etwas Unterhaltung, aber Sasuke ist unkommunikativ wie eh und je.   Er sitzt mit angezogenen Beinen direkt unter dem Fenster, was Naruto ein bisschen seltsam findet, weil das wahrscheinlich der kälteste Platz im ganzen Zimmer ist. Deshalb trägt er auch seine Jacke—über einem Kapuzenpulli über einem Sweatshirt über einem T-Shirt. Dabei könnte er genauso gut zu Naruto in die andere Ecke des Raumes kommen und sich unter die warme Steppdecke kauern. In seinen Händen hält er eine zusammengefaltete Ausgabe des Guardians, den Naruto gestern auf seinem Heimweg von der Uni aus irgendeinem Briefkasten gezogen hat, weil Sasuke die kostenlosen Zeitungen zu unintellektuell findet. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso er am Fenster sitzt; er versucht zu lesen und nutzt dafür das schwache Licht von der Straße. Denn die Glühbirne in diesem Zimmer funktioniert schon seit ein paar Tagen nicht mehr und niemand hatte bisher Lust, sie auszutauschen.   "Und, was gibt es Neues in der Welt?", hört sich Naruto irgendwann fragen, weil er die Stille nicht mehr ertragen will.   "Lies doch selbst."   "Nah, ich komm nie über den Sportteil hinaus."   Und damit breitet sich wieder zähes Schweigen zwischen den beiden aus, aber wahrscheinlich empfindet das nur Naruto so, denn Sasuke ist ja beschäftigt. Wenn sie eine Uhr hätten, würden wenigstens die tickenden Zeiger eine passende Geräuschkulisse bieten, aber hier raschelt nur gelegentlich die Zeitung, wenn Sasuke eine Seite umschlägt, und ab und zu kann man auch ein Auto draußen vorbeifahren hören.   Am Ende ist es jedoch Sasuke, der mit der Stille bricht, obwohl er zunächst gar nichts sagt; es ist nur dieser Blick, mit dem er Naruto festnagelt und warten lässt, auf einen Satz oder auch nur ein Wort, auf irgendwas, bevor er sich mit undefinierbarem Ausdruck abwendet.   "Vielleicht sollten wir das mit der Band einfach sein lassen", nuschelt er schließlich mit dem Blick aus dem Fenster, leise genug um übertönt zu werden, würde Naruto nicht hilflos wie ein Fisch an der Angel an seinen Lippen hängen, als wäre es nur ein flüchtiger Gedanke. Aber das ist es nicht, es ist wichtig und Naruto kann ihn gut genug lesen, um zu wissen, dass es ihm schon seit einer ganzen Weile durch den Kopf geht.   "Wieso? Wie kommst du darauf?!", fragt er nach, ein Stückchen aufrechter im Bett, und Sasuke sieht müde aus, als er Naruto belehrt wie ein bitterer alter Mann und nicht sein Rettungsring auf stürmischer See, der er eigentlich sein sollte.   "Naja, sei realistisch, das führt doch zu nichts. Wir werden nie wirklich Geld damit verdienen können. Am besten suchen wir uns irgendeinen festen Job und versuchen, uns damit zu arrangieren."   "Was redest du da?"   Und natürlich weiß Naruto, was er redet, auch wenn er ungläubig den Kopf schüttelt, mehr zu sich selbst als zu Sasuke. Es ist das Offensichtliche, das Vernünftige, aber Naruto will davon nichts hören. Nach den anfänglichen Startschwierigkeiten dachte er eigentlich, Sasuke hätte den Platz an seiner Seite inzwischen gefunden, denn ja, es läuft gerade nicht besonders gut, eigentlich läuft es gar nicht, aber das ist für Naruto noch kein Grund, die Hoffnung aufzugeben oder auch nur an seinem Traum zu zweifeln. Er hat auch an Sasuke nie gezweifelt, immer noch nicht, aber er fühlt sich gerade so schrecklich verraten.   "Wir haben nicht mal einen Drummer oder Bassisten."   "Dann suchen wir uns halt welche."   Aber Sasuke schüttelt nur müde den Kopf.   "Selbst wenn—bist du wirklich so realitätsfern und denkst, wir würden je einen Vertrag bekommen?"   "Ja, das denke ich. Ich glaube an uns."   Sasuke verzieht bei seinen Worten das Gesicht, als hätte er einen lernunwilligen Schüler vor sich sitzen, der immer wieder die falsche Antwort gibt, egal wie oft man ihm eine Sache erklärt. Seine Teilnahmslosigkeit weicht langsam der Ungeduld und dem Ärger, und es schlägt sich in jeder Faser seines Körpers nieder; wie er sich nach vorne lehnt und seine Beine genau richtig positioniert, um so schnell wie möglich aufspringen zu können (um den Raum zu verlassen oder um Naruto anzugreifen?), seine Hände, die sich unbemerkt im Schatten zu Fäusten geballt haben.   "Du bist so naiv, Naruto", zischt er fast verächtlich, als wäre es die schlimmste Beleidigung, die er ihm an den Kopf werfen könnte, und ein bisschen ist es das auch, in dem Moment.   "Halt die Klappe!"   Es braucht nicht viel, damit das kalte Gefühl in Narutos Bauch in Wut umschlägt. Sasuke kann sowas gut, er könnte wahrscheinlich selbst einen buddhistischen Mönch zu einem Mord treiben, aber vielleicht ist es auch nur Naruto, auf den er diese Wirkung hat.   Sein Handy vibriert sanft neben ihm, es muss wohl Hinata sein, die ihm endlich geantwortet hat, aber das ist gerade das letzte, woran er denkt. Sein Blick weicht nicht von Sasuke, der von Minute zu Minute verärgerter aussieht.   "Hast du eigentlich eine Vorstellung, wie wenige Musiker einen Vertrag bekommen? Und genug Geld damit verdienen, um davon leben zu können?"   "Seit wann bist du denn jemand, der an seinem Können zweifelt?!"   "Das hat nichts mit Können zu tun. Entweder man hat Glück und trifft den Geschmack der Masse oder eben nicht und dann kann man noch so viel Talent haben, man wird es trotzdem nie zu mehr als einem Album bringen, das in alternativen Plattenläden einstaubt, vielleicht zwanzig Jahre später Kultstatus erlangt, aber dann nützt es auch niemandem mehr."   Die Realisation trifft Naruto wie ein Schlag auf den Kopf. Das ist nichts, was Sasuke im Eifer des Gefechts zusammenspinnt; er hat sich Gedanken darüber gemacht, es ist kein kurzer Moment der Schwäche, vorübergehende Selbstzweifel, sondern vielmehr—   "Du denkst das wirklich."   "Ich bin nur realistisch, Naruto. Das solltest du auch sein. Mach dir keine Hoffnungen."   Einen Moment lang ist der Ärger wie weggewaschen. Naruto sitzt mit hängenden Schultern auf der Bettkante, eben noch kurz davor, aufzustehen und Sasuke Vernunft einzuprügeln, aber gerade spürt er dazu überhaupt keinen Drang mehr.   Es ist still in Narutos Kopf für ein paar kurze friedliche Sekunden und damit könnte es beendet sein, aber er reißt sich gewaltsam aus der Starre heraus und Angriffslust kocht wieder in ihm hoch.   "Hörst du dich eigentlich reden?!", ruft er ihm entgegen, frustriert von Sasuke und sich selbst und der ganzen Situation, am meisten aber von der Tatsache, dass es schon jetzt eine aussichtslose Schlacht ist und ihm langsam die Munition ausgeht. Nichts, was er sagt, zeigt irgendeine Wirkung und bald ist er alle Instanzen durch, an die er appellieren kann. "Was ist los mit dir?! Das ist nicht der Sasuke, den ich kenne!"   "Rede nicht so, als wüsstest du irgendetwas über mich!"   Bevor er es bemerkt, hat Naruto die Distanz zwischen ihm und Sasuke hinter sich gelassen (nur die physische, denn die emotionale erscheint ihm gerade unüberbrückbar) und Finger in seine Schultern gegraben, die so viel schmaler sind als sie es durch die ganzen Kleidungsschichten vorgeben. Wenn Sasuke nicht austeilt, wirkt er beinahe fragil, aber er ist es nicht, denn selbst wenn Naruto ihm wirkliche Schmerzen zufügen wollte—er wüsste nicht, wie.   "Du—", setzt er an und bricht nach einem Wort ab, weil er nicht weiß, wofür er ihn überhaupt beschuldigen soll, ohne dass es lächerlich klingt. '—machst meinen Traum kaputt, du hast mich enttäuscht, du bist nicht der, der du sein sollst' bleibt ihm im Hals stecken, stattdessen drückt er Sasuke gegen die Wand und schüttelt ihn. "Was ist dein Problem?! Oder brauchst du 'ne Nase voll Koks, um selbstbewusst zu sein?!"   "Was…?"   Wenn Sasuke vorher schon wütend war, weiß Naruto nicht, was er jetzt ist. War das unter der Gürtellinie? Hat es überhaupt etwas damit zutun? Naruto hat keine Ahnung, wieso er das Thema überhaupt aufgeworfen hat, aber Sasuke reagiert, er versucht sich loszureißen und kämpft und Naruto ist froh, dass er einen festen Griff um seine Arme hat, sonst wäre wahrscheinlich längst Blut geflossen. Als Sasuke merkt, dass sich Naruto nicht wegstoßen lässt, weicht er auf Guerilla-Taktiken aus und krallt seine Finger in alles, was er erreichen kann, aber Sasukes Nägel sind kurz und stumpf und die Kratzspuren, die er hinterlässt, nur oberflächlich.   Für einen Moment löst sich Narutos Blick von den tiefschwarzen Augen vor ihm, die ihn kalt und herausfordernd anstarren, wandert von Sasukes dunkler Silhouette zu den Eisblumen auf dem Fenster hinter ihm, das sich nicht richtig abdichten lässt. Die Farbe auf dem Rahmen blättert ab, das Glas ist trüb und fleckig und auch dahinter reihen sich nur die trostlosen Backsteinfassaden der Häuser gegenüber aneinander. Naruto war immer in der Lage, selbst die ernüchterndsten Dinge zu romantisieren—kalte Nächte, schäbige Räume, schmutzige Gassen, aber gerade…—er kann es sehen, was Sasukes Augen so stumpf werden lässt. Und es ist eine völlig neue Art von bitterer Realität, mit der er auf einmal konfrontiert wird. Sasukes Hände haben ihren Kampfgeist inzwischen verloren und fallen wieder neben ihn zu Boden. Naruto schluckt schwer.   "Ich bin mir sicher—", beginnt er und neigt dabei den Kopf vorsichtig nach vorn, bis seine Stirn gegen Sasukes lehnt. Blut pulsiert laut in seinen Ohren und lässt seine eigene Stimme seltsam richtungslos klingen. "Es wird nicht immer so sein. Vertrau mir."   Und Sasukes Augen sind weit geöffnet, alarmiert, aber er lässt die Nähe zu, auch als Narutos Finger ihren sicheren Griff um seine Schultern lockern und zu seinem Nacken hinaufwandern. Naruto hat schon lange keine Ahnung mehr, was er tut, aber sein Herz klopft unerträglich laut und eigentlich müsste es Sasuke hören können. Es ist das einzige, was er noch hören kann, als sich ihre Nasenspitzen berühren und Naruto die letzten rationalen Gedanken über Bord wirft.   Der erste Kuss ist mehr Austausch von Wärme als physischer Kontakt. Sie sind Millimeter voneinander getrennt, teilen Sauerstoff und Kohlendioxid, bevor sich ihre Lippen einen Wimpernschlag lang berühren. Sasuke ruckt seinen Kopf zurück als hätte er sich verbrannt und schlägt ihn dabei fast an den Fensterrahmen hinter ihm.   Alles ist seltsam still und ein bisschen zeitlos für wenige Sekunden, bis Sasuke nuschelnd seine Müdigkeit deklariert, aber das ist eigentlich auch schon egal, den Moment hat er sowieso längst verscheucht. Narutos Puls rationalisiert sich und das, was mit viel Potential und verdrehter Romantik begonnen hat, verklingt in Bettwäschegeraschel und einem mondlichtumrissenen Sasuke, der still, fast heimlich auf die Matratze klettert und sich unter der Decke zusammenrollt.   Vielleicht schläft er sofort ein, vielleicht liegt er aber auch wach bis in die frühen Morgenstunden, so wie Naruto, der seinem Atem zuhört wie einer Gute-Nacht-Geschichte. Kapitel 12: Bound together -------------------------- Als ich aufwache, ist es fast Nachmittag. Der Himmel ist trüb und wolkenverhangen und es kommt kaum Licht ins Zimmer, das mich im Schlaf hätte blenden können. Und trotzdem fühle ich mich absolut unausgeruht, obwohl ich nicht müde bin, sondern eher—nicht bereit für das, was auf mich wartet. Zwei verschiedene Decken sind um mich gewirrt und wenn ich meine Arme ausstrecke, ertaste ich nur Leere, wo sich normalerweise ein warmer Körper befindet.   Ich brauche keine Sekunde, um mich zu orientieren, obwohl es selten ist, dass Sasuke vor mir aufsteht. Und eigentlich sollte ich auch gar nicht hier liegen. Im Rückblick erscheint es sogar mir irgendwie dreist, dass ich in der Nacht tatsächlich noch in Sasukes Bett geschlafen habe, aber nach langen gedankenlosen Minuten unter dem Fenster bin ich einfach aufgestanden und hab nicht mehr nachgedacht. Es sah fast aus, als hätte Sasuke extra Platz für mich gelassen, dabei ist es nur seine Angewohnheit, nah an der Wand zu schlafen und die Hälfte des Bettes unberührt zu lassen, genauso wie ich meistens in die Mitte rolle und alles umklammere, was sich auf dem Weg dorthin befindet. Vielleicht ist es seltsam, dass ich unsere Schlafgewohnheiten so gut gegenüberstellen kann, aber gerade ist alles seltsam, irgendwie.   Auch im Wohnzimmer ist Sasuke nicht zu entdecken, dafür hängt eine Jacke weniger neben der Tür. Mein Herz schnürt sich zusammen, aber ich kann es ihm nicht vorhalten, dass er mir erstmal aus dem Weg gehen will. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, ich glaube, ich hab gar nicht gedacht, aber vielleicht war es ja auch nur ein Versehen und ich habe einfach das Gleichgewicht verloren? Meine Erinnerungen an die Nacht sind idealerweise schwammig (obwohl ich die Sekunden danach wie einen Film abspielen kann, seine erschrockenen Augen und der Frost am Fenster, das Stück Zeitung unter meinem Knie und die Sprachlosigkeit in meinem Kopf) und so lässt es sich besser schlafen und vor allem Hinata leichter in die Augen sehen. Und das ist ganz ganz wichtig, denn in wenigen Stunden bin ich bei ihrer Familie zum Essen eingeladen und spätestens dann sollte der ’So tun als wäre nichts’-Modus fehlerfrei laufen. Dabei bin ich ein grottiger Lügner und ich fühle mich schrecklich, dass ich ihr nach fast zwei Jahren zum ersten Mal in unserer Beziehung etwas verheimlichen muss. Vielleicht kann ich es ihr irgendwann erzählen und wir lachen gemeinsam darüber (und Sasuke hoffentlich auch), aber im Moment vergesse ich es lieber so schnell wie möglich.   Sasuke kommt nicht zurück, bis ich mich selbst auf den Weg machen muss, aber damit hab ich auch nie wirklich gerechnet. Ein bisschen niedergeschlagen deswegen stapfe ich durch die gepflegten, freigeschaufelten Straßen in Kensington, wo ich mich immer noch sehr sehr fehl am Platz fühle, weil alles viel zu schick und teuer aussieht (und die Leute, die normalerweise hier rumlaufen, auch). Als mich Hinata zum ersten Mal zu sich nach Hause eingeladen hat, wäre ich fast an der Tür wieder umgedreht, denn ich wusste zwar, dass sie eigentlich außerhalb meiner Liga spielt, aber nicht wie sehr, und ich hatte nicht einmal gebügelte Klamotten an.   Das ist zum Glück nur noch eine unangenehme Erinnerung, ich bin inzwischen oft genug hier gewesen, dass mich der Pförtner erkennt und mir zur Begrüßung zunickt, während ich auf den Aufzug zusteuere. Oben angekommen erwartet mich Hinata auch schon, wie immer wunderschön und mit der Fähigkeit, selbst den grauesten Tag zu erhellen. Ich begrüße sie mit einem kurzen Kuss auf die Lippen und versuche dabei den aufdringlichen Gedanken loszuwerden, der mich daran erinnern will, wer die letzte Person war, die ich geküsst habe. (Als ob ich das nicht gut genug wüsste.) Die Wohnung ist festlich dekoriert, es sieht ein bisschen so aus, als hätten sie die Weihnachtsabteilung von Harrod's aufgekauft, und ich lege eine heimliche Schweigeminute für mein eigenes Weihnachtspflänzchen ein, das ich beim Verlassen des Hauses heute im vermüllten Vorgarten nebenan entdeckt habe. Sasuke hätte wenigstens etwas diskreter sein können, wenn er seinen Ärger über mich schon an unschuldigen Objekten auslassen muss.   Hinatas Familie sitzt bereits im Esszimmer; am Anfang als ich ihnen vorgestellt wurde, waren sie ziemlich distanziert und spürbar skeptisch, aber ich glaube, sie haben mich inzwischen schon als sowas wie ihren Schwiegersohn in spe akzeptiert und auch Neji ist mir gegenüber viel wärmer geworden. Es flackert sogar ein Feuer im Kamin, um das Bild perfekt zu machen, und es ist so kitschig, aber ich fühle mich wirklich wohl. Im Laufe des Nachmittags hat es schon wieder angefangen zu schneien und das ist auch das einzige, was man sehen kann, wenn man aus dem Fenster schaut, schwere weiße Flocken. Ich frage ich mich, was Sasuke wohl gerade macht, denn es ist Feiertag und fast jeder sitzt in familiärer Atmosphäre zu Hause. Ich hoffe, er hat einen Ort gefunden, wo er hingehen kann, und irrt nicht in der Kälte draußen rum, nur weil er den Gedanken an meine Anwesenheit gerade wohl so unerträglich findet, dass er nicht in der Wohnung bleiben kann.   Etwas später zieht mich Hinata beiseite und ich hab es schon kommen sehen, nach den ganzen sorgenvollen Blicken, die sie mir während dem Essen immer wieder zugeworfen hat.   "Ist irgendetwas mit dir, Naruto?", fragt sie beunruhigt und ich ärgere mich so, dass ich so leicht zu lesen bin, denn das letzte, was ich will, ist, dass sich Hinata wegen irgendetwas Sorgen macht. Deshalb lache ich ein bisschen gezwungen und winke ab.   "Nein nein, ich hab nur schlecht geschlafen. Ich hatte mit Sasuke gestern Abend noch Streit. Das geht an die Substanz."   "Ohje…" Sie fragt gar nicht erst, worum es ging, und dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Hinata hat das perfekte Gespür, wie weit sie sich in welche Dinge einmischen sollte, und besonders wenn es um Sasuke geht, agiert sie behutsam wie auf einem Minenfeld. "Ist alles wieder in Ordnung?"   "Ich hab ihn heute noch nicht gesehen."   "Achso...", macht sie mitfühlend und beißt sich sanft auf die Lippe. "Ich hoffe, ihr könnt das bald aus der Welt schaffen."   Ich weiß nicht, wie sie das macht. So aufrichtig besorgt zu klingen, obwohl ihr meine Freundschaft zu Sasuke doch eigentlich ein Dorn im Auge sein müsste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihn mag, denn Sasuke zählt allgemein nicht zu den liebenswürdigsten Personen und er hat ihr auch nie einen Grund dazu gegeben, mit seinem Namen etwas Positives zu verbinden, aber es ist unmöglich, das an ihren Reaktionen oder irgendetwas festzumachen. Sasuke spricht zwar an sich auch nie schlecht über Hinata, aber er macht es trotzdem unmissverständlich klar, dass er sie nicht wirklich leiden kann.   Wenn Hinata vor mir steht, sehe ich dieses perfekte Mädchen, und ich frage mich immer noch manchmal, womit ich sie eigentlich verdient habe, wenn ich aber Sasuke ansehe—habe ich oft gar keine Ahnung, was ich eigentlich denken soll. Inzwischen noch weniger als jemals zuvor.   Als ich nach Hause komme, rechne ich irgendwo fest damit, dass er gegangen ist und mich nur gepackte Kisten begrüßen (nicht, dass er mich sonst begrüßen würde...). Denn wenn es um Sasuke geht, ist es gesünder, wenn man immer vom Schlimmsten ausgeht, aber er ist da und es hat sich eigentlich nichts geändert, mit der Ausnahme, dass meine Bettwäsche jetzt wieder auf meiner eigenen Matratze liegt und er in der Nacht seine Zimmertür abschließt. Damit kann ich leben, ist eh nicht so, als würde ich mich noch näher als eine Armlänge an ihn herantrauen.   Für eine Weile spiele ich sogar mit dem Gedanken, mich bei ihm zu entschuldigen und eine billige Erklärung aufzutischen, aber wenn ich es mir recht überlege, will ich das Thema eigentlich gar nicht nochmal anschneiden. Das ist wahrscheinlich auch in Sasukes Interesse, Ignorieren und Weitermachen, er hat sowas perfektioniert, ich beneide ihn manchmal darum, auch wenn ich irgendwo vermute, dass er in Wahrheit eine unglaublich nachtragende Persönlichkeit hat und einfach nur nicht über unangenehme Dinge reden möchte. Sich distanzieren oder gleich verschwinden ist da eher sein Ding. Aber alles ist gut und irgendwie schaffen wir es, umeinander herum zu navigieren, ohne es zu merkwürdig werden zu lassen.   Eines Abends kommt Sasuke zur Tür herein, schneeverweht, mit weißen Sprenkeln in seinen dunklen Haaren und roten Wangen von der Kälte. Er sieht fast jungenhaft aus für den kurzen Moment, wenn seine Augen glänzen und er noch nicht sortiert genug ist, um seine stoische Mimik hochzufahren. Nicht ganz wie 21 1/2, aber sobald die Emotionen erstmal aus seinem Gesicht gewichen sind, wirkt er direkt um mehrere Jahre gealtert. Noch während er mit kühler Präzision die Handschuhe einzeln von seinen Fingern streift, hat er sich wieder hinter seine nichtssagende Maske zurückgezogen, und ich schaue ihm gelangweilt dabei zu, wie er seine Schuhe achtlos in den Raum kickt.   "Ich hab uns 'nen Gig in irgend so einer Bar organisiert", meint er einen Takt später und es ist komplett offensichtlich, dass er es absichtlich so beiläufig wie möglich erwähnt hat, als wäre es für ihn keine große Sache, aber ich freue mich zu sehr, um ihn darauf hinzuweisen.   "Oh mein Gott, Sasuke, im Ernst?!", rufe ich aufgeregt und ich glaube, ich bin noch nie so schnell vom Sofa aufgestanden wie jetzt gerade. Bevor ich es merke, bin ich auf halbem Weg zu ihm und fast dabei, ihn anzuspringen, aber ich kann mich rechtzeitig fangen, denn Körperkontakt wird von uns beiden in stummem Einvernehmen vermieden seit dem Vorfall an Heiligabend, und ich stehe stattdessen nur ein bisschen unnütz im Raum herum. "Wow, das ist so cool! Oh Gott, ey, du hast keine Ahnung, wie glücklich mich das macht!"   "Es ist nur ein kleiner Auftritt", meint Sasuke augenrollend und hängt seine Jacke auf.   Aber das ist es nicht und das weiß er. Ich hab noch deutlich seine Stimme im Ohr, wie er die Band begraben wollte, ohne ihr überhaupt eine Chance zu geben, und jetzt ist er von sich aus losgegangen und hat ihr bei den ersten Gehversuchen geholfen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, warum er das macht oder was ihn dazu gebracht hat, seine Meinung zu ändern, aber das ist jetzt nicht wichtig, ich will es nicht kaputt machen, indem ich es hinterfrage.   Es ist tatsächlich nichts Großes, was er organisiert hat; wir dürfen als musikalische Untermalung in einer gut besuchten Bar dienen, weil da kurzfristig jemand abgesprungen ist, aber das spielt keine Rolle, ich bin trotzdem die ganze Zeit schon sehr hibbelig, denn ich habe bisher nur vor Sasuke oder Hinata gespielt und auch wenn es mir nichts ausmacht, das vor anderen Leuten zu tun, ist so ein erster richtiger Auftritt doch etwas anderes.   Sasuke sucht eine Hand voll Lieder aus, die so weit geschliffen sind, dass man sie einem Publikum zumuten kann und ergänzt Basslines und Drumbeats. Ich wusste nicht, dass er das kann, aber laut Sasuke sind es nur schlichte Standardsachen und er hat sich dafür kein mentales Bein ausgerissen. Weil wir zwei Personen zu kurz sind, holt er Suigetsu und Juugo für das eine Mal an Bord und sie sind einverstanden, wenn auch in Suigetsus Fall ein wenig widerwillig. Das ganze ist zu spontan, um zusammen zu proben, aber die werden es schon irgendwie hinbekommen, meint Sasuke, und wenn nicht, ist es nicht seine Schuld.   Ein paar Tage später ist es soweit, wir sitzen in einem Hinterzimmer der Bar während Juugo noch sein Drumset aufbaut und Sasuke gibt uns schonmal ein vorsorgliches Briefing. Er ist nicht annähernd so nervös wie ich, warum auch, er hat das ja alles schon gemacht. Außerdem gibt es keinen Grund für ihn, nicht in seine Fähigkeiten zu vertrauen. Er ist ein verdammtes Genie und ich hab vor zwei Jahren meine erste Gitarre geklaut. Und jetzt stehen wir hier, mit Suigetsu am Aushilfs-Bass und Juugo an den Aushilfs-Drums. Eigentlich sind wir ja nicht einmal eine richtige Band, sondern ich und Sasuke und halt noch irgendwer, der sich auf die Schnelle zusammentreiben ließ. Er hält mir seine halbleere Jack-Daniels-Flasche hin, die heute schon den ganzen Abend an seinen Lippen hängt. Irgendwie kriegt er es aber hin, sich relativ normal zu verhalten, nur sein Gang ist nicht mehr so stabil. Und eigentlich ist das ja gar keine schlechte Idee, sich ein bisschen Mut anzutrinken—   Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist, betrunken Gitarre zu spielen. Wir haben vor zwei Minuten angefangen und meine Finger bewegen sich fast automatisch zu den richtigen Stellen, drücken gegen die abgenutzten Saiten—ich muss mir wirklich neue kaufen—und dann schiebe ich den Griff nur noch hoch und runter, hoch und runter, hoch und—wow, ich habe keine Ahnung, was ich gerade tue. Blinzeln macht meine Sicht nicht weniger verschwommen, da sind so viele Menschen in dem Raum und sie stehen sicher schon eine Weile da, aber es ist mir eben erst richtig aufgefallen. Als wir angekommen sind, war noch überhaupt nichts los und ich hab nicht damit gerechnet, dass es in der kurzen Zeit so voll wird. Ein hübsches Mädchen lächelt mich von einem Tisch in der Nähe aus an. Oder lacht sie mich aus? Ich weiß nicht, aber ich spiele einfach weiter, das ist sicher das beste, einfach hier stehen zu bleiben und die Gitarre festzuhalten und diesen Song so fehlerfrei wie möglich hinter mich zu bringen, denn es ist einer von Sasukes Favoriten, glaube ich, und wenn ich Scheiße baue, wird er bestimmt wütend. Gerade steht er halb vor mir und singt in mein Mikro, blockt dabei meine Sicht auf das Mädchen und das ist schade, weil ihr Oberteil so tief ausgeschnitten war. Jetzt kann ich nur Sasukes Rücken sehen, der zwar okay ist, aber irgendwie nicht so erregend. Ich verstehe kein Wort von dem, was er singt—ist das überhaupt noch derselbe Song?—vielleicht liegt es aber auch nur an mir, es fällt mir so schwer zu denken. Hoffentlich ist Sasuke mehr bei sich, hoffentlich weiß er, was er tut, denn ich hab keinen Plan, aber ich würde meinen Kopf gerne an seine Schulter lehnen. Nur ist das nicht drin, jetzt sowieso nicht und bestimmt auch nicht später. Seine Haarspitzen kleben ein bisschen in seinem Nacken, nasses schwarz auf blasser Haut, und whoa, wir haben uns vor ein paar Wochen fast oder ganz oder halb geküsst und sollte es mich beunruhigen, dass ich es nicht bereue? Ich meine, er sieht gut aus, er ist Sasuke und—fuck, ich hab vergessen, weiterzuspielen. Wo sind wir gerade? Wenn Sasuke nicht so verdammt nuscheln würde, wüsste ich es, aber, ah, okay, das Wort gerade hab ich erkannt, glaub ich, jetzt muss ich nur noch den richtigen Akkord finden und dann bin ich wieder dabei. Ist das jemandem aufgefallen? Die werden uns hier wahrscheinlich nie wieder spielen lassen, weil wir so extrem schlecht sind, vielleicht hätte ich nicht so viel trinken sollen, aber irgendwie… juckt mich das nicht. Es ist dafür richtig lustig, die ganze Situation, wenn ich so darüber nachdenke und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Sasuke spielt gerade sein Solo und trifft die Hälfte der Töne nicht und dann sind es nur noch ein paar Akkorde, bis ich es geschafft habe. Zumindest den einen Song. Denn gleich geht es weiter und ich habe komplett den Faden verloren.   Angestrengt versuche ich mich daran zu erinnern, was Sasuke vorhin gesagt hat, als wir die Setlist besprochen haben, aber das ist alles weg. Der Whiskey hat jede neue Information einfach direkt weggespült und es wundert mich, dass Sasuke noch so bei sich ist, denn er hat mehr getrunken als ich. Aber er hat sich meistens besser im Griff, vielleicht schlägt sich der Alkohol bei ihm auch auf andere Weise nieder, keine Ahnung. Ein bisschen unfair ist es schon.   Juugo hat schon damit angefangen, einen Rhythmus zu trommeln und ich habe das Gefühl, dass ich meinen Einsatz verpasst habe. Sasuke schlägt einen Akkord an und dreht sich erwartungsvoll zu mir um, aber das hilft mir auch nicht wirklich und ich spiele ihn verunsichert zurück. Die Ungeduld in seinem Gesicht wächst immer weiter und ich bekomme langsam Panik, aber dann wird seine Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anderes gelenkt und ich schaue mich verwirrt um. Ohne Vorwarnung drückt er mir seine Gitarre unsanft in die Hand und ich sehe nur noch, wie Sasuke von der flachen Bühne hüpft und irgendwelche Leute zur Seite stößt, die ihm im Weg stehen. Ich hab keine Ahnung, was gerade überhaupt passiert, aber er ist wütend und ich glaube, das wird böse enden.   Sasuke steht mitten in der Menschenmasse, er ist ganz gut zu erkennen, weil alle um ihn herum Platz gemacht haben. Und schon im nächsten Moment hängt er im Gesicht von irgendeinem Bodybuilder, jedenfalls sieht der Typ so aus, in dessen zu enges T-Shirt er seine Hand krallt. Ein bisschen wirkt es so, als würden sie sich gleich küssen, aber das tut es immer, wenn Sasuke jemandem droht. Dafür, dass er sich immer so unnahbar gibt, kann er extrem physisch werden.   "Nicht sein Ernst...", murmelt jemand neben mir, Suigetsu, glaube ich, aber das nehme ich nur noch am Rande wahr.   Normalerweise habe ich vollstes Vertrauen in Sasukes Fähigkeit, alleine klarzukommen, aber nicht wenn der Kerl, mit dem er sich angelegt hat, einen guten Kopf größer ist als er und bestimmt das Doppelte wiegt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eingreifen soll, meine Gedanken sind zu wirr, um zu einem richtigen Entschluss zu kommen, aber dann wird Sasuke gegen die Brust gestoßen und ich habe unsere Instrumente schneller an Suigetsu weitergegeben und bin von der Bühne runter als ich hinterherkomme mit dem Denken. Ich stolpere gegen Sasuke oder vielleicht stolpert Sasuke auch gegen mich, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich atme auf einmal in sein Ohr hinein, flüstere "Lass uns verschwinden", und der Rest ist Tauziehen, Gesichter, Körper, Klaustrophobie, und dann endlich Luft und Freiheit. Meine Hände sind immer noch irgendwo an Sasuke, ziehen, schieben, zerren ihn mit mir, weiter und weiter, weg, und ich bemerke gar nicht, dass er sich die ganze Zeit halbherzig dagegen wehrt.   "Komm!", sage ich und fange an zu rennen, ein bisschen paranoid und ein bisschen adrenalinsüchtig, aber Sasuke rennt trotzdem mit. Die Straße verschwimmt unter meinen Füßen und es fühlt sich an, als würde das Auf-die-Fresse-fliegen mit jedem Schritt unausweichlicher, bis ich mich im letzten Moment dann doch immer wieder fangen kann.   Hinter der nächsten Ecke greift Sasuke nach meinen Arm und zwingt mich mit einem Ruck dazu, stehenzubleiben. Wir sind beide außer Atem und er muss erstmal nach Luft schnappen, bevor er mich verständnislos anfahren kann.   "Was soll das? Ich hätte ihn fertig gemacht!"   "Er war doppelt so groß wie du", lache ich ungläubig, halb weil Sasuke so einen Mist zusammenredet und halb weil ich nie gedacht hätte, dass ich selbst betrunken mal der Vernünftigere von uns beiden sein würde. Aber er bleibt stur.   "Egal, lass mich zurück!"   "Nein, wir gehen da nicht nochmal rein!", sage ich entschieden und hoffe, dass Sasuke es gut sein lässt. Wenn er das Bedürfnis nach selbstzerstörerischem Verhalten hat, muss er schon warten, bis ich weg bin und ihn nicht davon abhalten kann. "Was war überhaupt dein Problem?"   "Der Wichser hat uns beleidigt."   "Wir waren ja auch ziemlich scheiße", werfe ich schulterzuckend ein.   "Du warst scheiße."   Das kann ich leider nicht leugnen, darum lache ich einfach nur. So hab ich mir meinen ersten Auftritt an Sasukes Seite eigentlich nicht vorgestellt, sondern ein bisschen cooler und beeindruckender. Denkwürdiger. Wobei es das ja irgendwie war, nur eben nicht auf einer Weise, an die man sich auch gerne zurück erinnert. So spazieren wir eine Weile lang vor uns hin, bis ich mir irgendwann eine entscheidende Frage stelle.   "Eh, Sasuke. Wie kommen wir eigentlich heim?"   "Keine Ahnung. Da lang, glaube ich", antwortet er mit überzeugender Kompetenz und deutet in eine ungefähre Richtung.   Hoffnungslos betrunken sind wir durch Londons Straßen geirrt, ohne Plan, ohne Orientierung, ich habe mich auf Sasuke verlassen und er sich auf mich und am Ende wussten wir beide nicht, wo wir waren. Es hat etwas Romantisches, etwas Abenteuerliches, sich zu verlaufen. Aber irgendwann biegen wir dann doch mal richtig ab; die Gegend beginnt langsam, mir vage vertraut vorzukommen, ohne dass ich sie konkret zuordnen kann, und ein paar glückliche Wendungen später tun sich am Ende einer Straße die Häuserfronten auf und geben den Blick frei auf das Themsenufer.   "Ich weiß, wo wir sind!", rufe ich aufgeregt und renne ein Stück vor. Der Fluss glitzert schön in der Nacht, man sieht das trübe, graue Wasser gar nicht mehr, stattdessen ist es tiefblauschwarz.   "Was du nicht sagst."   Sasuke navigiert schon in Richtung der nächsten Fußgängerbrücke und zieht an meinem Ärmel, um mich zum Gehen zu bewegen, aber ich ignoriere ihn und laufe auf die Brüstung zu, wo ich mich darüberlehne, bis ich meine schemenhafte Umrisse auf der dunklen Wasseroberfläche sehen kann. Zwei, drei Mal schwappen sanfte Wellen gegen die Kaimauer, bevor sich Sasukes Spiegelbild zögerlich zu meinem gesellt.   Wir schweigen eine ganze Weile. Aber irgendwann öffnet Sasuke den Mund für einen zusammenhangslosen, seltsam betonten und unverständlich genuschelten Satz.   "Es ist entweder die Spitze der Welt oder der Grund von diesem Fluss."   Ich brauche ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass er etwas gesagt hat, was er gesagt hat und wie genau er es meint. Und dann begreife ich es auf einmal und es kommt mir so vor, als hätte er noch nie eine bessere Idee gehabt, noch nie weisere Worte gesprochen. Da liegt so eine grob skizzierte Schönheit in dem Lebensentwurf, die mich in meiner Trunkenheit auf sentimentale Weise ergreift.   "Weißt du, was du da sagst?", höre ich mich fragen und richte mich auf, bis ich in Sasukes unleserliches Gesicht sehen kann. "Meinst du das wirklich wirklich ernst? Weil es ist das Sinnvollste, was du seit Langem gesagt hast, und, wenn du willst—ich bin dabei."   "Ja", antwortet er, aber sein Blick ist ganz weit weg.   Und erst jetzt fällt mir auf, dass ich zum ersten Mal seit dem Vorfall an Heiligabend in einer Position bin, wo ich die paar Zentimeter zwischen unseren Gesichtern ohne weiteres überbrücken könnte, wenn ich wollte, aber ich kann nicht sagen, ob nun Sasuke unvorsichtiger geworden ist oder ich selbst. Der Gedanke drängt sich auf—ich könnte es wirklich nochmal versuchen, einfach so, warum nicht?   Und dann fallen mir tausend Gründe ein, warum nicht, und ich lasse mich einfach nur gegen ihn fallen. Es ist fast nicht zu bemerken, wie sein Atem stockt, bevor er wieder zu seinem gewohnten ruhigen Rhythmus findet, aber ich kann noch eine ganze Weile lang jeden durcheinandergebrachten Herzschlag spüren.   Ich würde so gerne eine triefend-kitschige Szene beschreiben. Bedeutsame Stille, bis auf das sanfte Plätschern der Themse, über uns der sternenbesetzte Nachthimmel, der sich funkelnd auf der Wasseroberfläche spiegelt. Aber das ist von der Realität ungefähr so weit entfernt, wie wir davon, durchdachte, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. In Wirklichkeit ist es natürlich laut, chronischer Stadtlärm eben, und dieser gravierende Moment hält auch kein Polizeiauto davon ab, die Sirene einzuschalten. Einen Sternenhimmel gibt es hier in London sowieso nicht und das Wasserplätschern kann man nur hören, wenn man sich sehr, sehr anstrengt. Wir sind ja nicht mal alleine, sondern werden von einem betrunkenen Obdachlosen um Geld angebettelt, noch bevor die dramatische Musik in meinem Kopf ganz verklungen ist. Rest in peace, Romantisches Klischee. Kapitel 13: Hearts and minds and melodies ----------------------------------------- Kleinere Auftritte werden danach so etwas wie eine Normalität; wenn es etwas größeres ist, holen sie sich Unterstützung von Suigetsu und Juugo, meistens sind sie aber nur zu zweit und unterhalten die angetrunkene Stammkundschaft in schäbigen Pubs. Geld springt dabei nicht viel heraus, aber es gibt zumindest Freibier für den Abend lang und Naruto hat das Gefühl, dass sie sich vorwärts bewegen. Das Desaster vom ersten Mal wiederholt sich zum Glück nicht, aber wirklich eingespielt und sicher fühlt er sich eigentlich nur, wenn er allein mit Sasuke und zwei Akustikgitarren abgeschminkte Versionen ihrer Songs oder Cover seiner Lieblingslieder singt. Eine Fanbase hat sich zwar noch nicht zusammengefunden, aber immerhin fallen sie nicht mehr negativ auf und wenn es so weiter geht, ist sich Naruto sicher, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis sie sich einen Namen erspielt haben.   Das Leben mit Sasuke ist wieder in gewohnte Bahnen zurückgependelt; Naruto weiß nicht wann oder wie es passiert ist, aber der selbstauferlegte Sicherheitsabstand hat sich allmählich aufgelöst und er kann Sasuke wieder nahe sein, wenn ihm danach ist, ohne dabei jedes Mal an ihren Pseudo-Kuss zu denken. Der Vorfall ist zwar nicht vergessen, drängt sich aber eigentlich nur noch in den Vordergrund, wenn sie sich ein Mikro teilen müssen und es schwer wird, das gelegentliche Streifen von Wangen und Nasenspitzen nicht zu bemerken.   Irgendwo schleicht sich der Gedanke ein, dass die Grenzen zwischen platonisch und romantisch sowieso leicht verwischbar sind und in ihrem Fall schon öfter neu gezogen werden mussten, als Naruto zählen kann, aber eigentlich hat das ja nicht viel zu heißen.   Dass er Sasukes Körperwärme beim Schlafen vermisst, ändert daran nichts, genauso wenig wie seine Angewohnheit, ab der ersten Promille genug Distanz zwischen Sasuke und ihm schmelzen zu lassen, bis er nicht mehr sagen kann, wo der eine aufhört und der andere anfängt. Aber das macht er nicht, weil er auf Sasuke steht (und deshalb gibt es auch überhaupt keinen Gewissenskonflikt, was Hinata angeht), sondern weil Sasuke manchmal so aussieht, als würde er das brauchen, wenn seine Augen stumpf sind und seine Haltung einsam.   Wenn sein Blick auf Sasukes Lippen ruht, stellt er sich nicht vor, wie es sich anfühlt, sie zu küssen. Da sind keine Schmetterlinge in seinem Bauch, nichtmal ein Kribbeln oder flaues Gefühl. Wenn seine Hände zucken, weil er Sasuke berühren möchte, dann nur um ihm Emotionen ins Gesicht zu prügeln, aber niemals für eine romantische Geste. Naruto betrachtet sich selbst als durch und durch hetero; sein Unterleib pocht für weibliche Rundungen, weiche Gesichtszüge und volle Lippen, und es gibt nicht einen Moment, in dem er Sasukes Körper begehrt hat—er ist aber durchaus in der Lage, männliche Schönheit anzuerkennen, wenn er ihr begegnet.   Nicht Sasukes Aussehen zieht ihn an, diese makellose Fassade, sondern alles, was dahinter steckt; seine Gedanken, seine Werte, sein unüberschaubares Chaos aus Schein und Sein. Jedenfalls ist es das, was er sagen würde, wenn er seine Gefühle herab rationalisieren müsste. Zu allen anderen Zeiten gibt er sich einfach damit zufrieden, dass es so ist und er nicht viel dagegen tun kann.   (Der Gedanke, dass er längst mit dem Rücken zur Wand steht, kommt ihm nie.)       Es ist wieder ein produktiver Abend gewesen; sie haben vor einer Viertelstunde ihr Set beendet, in dem Naruto Sasuke mehrere Male davon abhalten musste, bei Liedwünschen verächtliche Kommentare über den Musikgeschmack der betreffenden Personen zu machen—die Akkorde konnte er sich dann aber meistens doch zusammenreimen, auch wenn er nicht so aussah, als hätte er viel Spaß dabei.   Jetzt sitzen sie in einer der dunkleren Ecken des Pubs und Sasuke ist gerade aufgestanden, um eine zweite Runde Bier zu ordern, die sie sich auch wirklich verdient haben, wie Naruto findet, denn es ist alles gut gelaufen heute. Wenn es nach ihm ginge, könnte er das jeden Tag so machen; Übung bekommen, Lampenfieber abbauen. Außerdem ist es irgendwie schön, Menschen zu unterhalten, auch wenn die Hälfte wahrscheinlich gar nicht richtig hinhört. Die wichtigste Person im Raum hört aber immer zu und wenn ihm Sasuke auf seine eigene chiffrierte Art signalisiert, dass er mit Naruto zufrieden war und es ihm vielleicht sogar ein kleines bisschen gefallen hat, ist das genug, um ihn durch die ganze Woche zu tragen.   Narutos Gedanken werden unterbrochen, als jemand neben seinem Tisch zum Stehen kommt; überzeugt, vertraute düstere Gesichtszüge zu sehen, weil es immer so ein Gedränge am Ausschank ist, dreht er sich um, aber das sind blaue fremde Augen, die ihn da aus langen getuschten Wimpern anblinzeln.   "Hey", macht die Unbekannte und lächelt. "Du hast doch heute gespielt, oder? Ihr wart echt gut!"   "Fandest du? Wow, cool, hehe. Du bist die erste, die das sagt", antwortet Naruto und kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Es ist schon eine Weile her seit ihn zuletzt ein Mädchen angesprochen hat; es war nie so, dass er sich vor Umwerberinnen nicht retten konnte, aber ein kleiner Flirt hier und da hat sich dann doch mal ergeben. Irgendwie ist er immer davon ausgegangen, dass er vielleicht seinen Beziehungsstatus ausstrahlt oder dass Sasukes hostiler Blick jede potentielle Interessentin verschreckt, doch daran kann es eigentlich nicht liegen, denn der bekommt mehr Aufmerksamkeit als ihm (und Naruto) lieb ist.   Aber die junge Frau, Naruto schätzt sie auf Anfang 20, ist sogar richtig hübsch, sie sieht ein bisschen nach Barbie aus und ein bisschen nach Soft Grunge—lange blonde Haare, die in pinken Spitzen enden, aufdringlich rote Lippen, in kalkulierter Achtlosigkeit zusammengewürfelte Klamotten.   "Ich hab euch vor ein paar Wochen schonmal gehört und fand euch direkt ziemlich cool", erzählt sie weiter und sieht sogar aus, als würde sie jedes Wort meinen. Nonchalant gestikuliert sie zu der leeren Bank gegenüber von Naruto und lässt ihren Armschmuck aus verblichenen Konzertbändchen und bunten Reifen schwingen. "Darf ich mich dazusetzen? Ich heiße übrigens Ino."   "Klar! Hier ist genug Platz und du sagst so nette Sachen, hehe, du darfst gern noch ein bisschen weiterreden. Ich bin Naruto!"   Es ist ungewohnt, von jemandem mit Bewunderung angesehen zu werden und es macht ihn ein wenig nervös, als er es realisiert, aber es fühlt sich nicht schlecht an. Ino ist wirklich nett und kommunikativ und scheut nicht davor, Komplimente zu verteilen. Es stellt sich heraus, dass sie so etwas wie eine selbsternannte Expertin für junge, aufstrebende Musiker ist, von denen noch nie jemand irgendetwas gehört hat und vermutlich auch nie wird, aber wenn Naruto ihren Worten Glauben schenkt, dann haben er und Sasuke eine steile Karriere vor sich und spielen in zwei Jahren auf großen Festivals statt in kleinen verrauchten Kneipen.   Das Gespräch wird erst unterbrochen, als Naruto seinen Namen in einer bekannten irritierten Stimmlage hört und er muss sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass Sasuke ihn gerade mit bedrohlich zuckenden Augenbrauen und in Missfallen verzogenen Mundwinkeln ansieht. Aber er schaut trotzdem nach und Jackpot, Sasukes Blick sagt ganz unmissverständlich 'Was ist das?!'. Es wirkt auf ihn sicher so, als hätte sich Naruto in seiner Abwesenheit einfach das nächstbeste Mädchen angelacht, aber er versteht die Situation nicht.   "Da bist du ja endlich, Sasuke! Schau mal, wir haben unseren ersten Fan!", ruft Naruto fröhlich und ist optimistisch, ihm die Ergänzung ihres Abends ohne Probleme schmackhaft machen zu können.   "Du heißt Sasuke? Schön, dich kennenzulernen! Ich bin Ino."   Sasukes Geringschätzung steht ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass es Naruto ein kleines bisschen unangenehm ist (hoffentlich kann Ino nicht gut in ihm lesen). Er stellt die Biergläser mit einem unfreundlichen Klirren auf den Tisch und deutet Naruto dann durch ein Kopfnicken an, Platz für ihn zu machen, obwohl er vorher eigentlich auf der anderen Seite gesessen hatte. Mit einem schlecht getarnten Augenrollen kommt Naruto der wortlosen Bitte nach und zieht sein Ale zu sich herüber.   "Er hat einen schlechten Tag, mach dir nichts draus", entschuldigt er sich für seinen Freund, obwohl das gelogen ist; Sasuke war die ganze Zeit über bester Laune, aber Ino braucht ja nicht unbedingt zu wissen, was für einem Soziopathen sie gegenübersitzt.   Es scheint sie jedenfalls nicht besonders zu stören, denn sie plaudert unbeschwert weiter und versucht dabei mehr als einmal, Sasukes Blick einzufangen, obwohl er sich alle Mühe gibt, am Gespräch nicht teilzunehmen. Auf direkte Fragen antwortet er entweder mit einem Grummeln oder, wenn er sich dazu hinreißen lassen kann, sogar mit ein, zwei vollständigen Worten. Naruto sieht gequält dabei zu und wünscht sich, sie würde damit aufhören und es ihm ersparen, nach jeder verbalen Sackgasse wieder einen neuen Anknüpfpunkt finden zu müssen. Es ist offensichtlich, dass Ino Sasukes Aufmerksamkeit vorziehen würde und Naruto eigentlich nur der Trostpreis ist, aber an die Rolle hat er sich schon lange gewöhnt und es kratzt nur noch marginal an seinem Selbstbewusstsein.   Sasuke hat sich währenddessen eine Zigarette angesteckt und raucht, als ob seine Lungen den Tod verdient hätten. Das gibt ihm etwas zu tun und lässt es nicht so auffallen, dass er Ino eigentlich komplett ignoriert.   Naruto findet es immer wieder interessant zu beobachten, wie lange sich Leute mit Sasuke aufhalten, bevor sie beschließen, dass es die Mühe nicht wert ist. Frauen schneiden erfahrungsgemäß etwas besser ab, vielleicht blendet sie das hübsche Gesicht, aber den ewigen High Score hält nach wie vor Naruto und der Counter läuft immer noch. In Sasuke muss man eine Menge Zeit und Mühe investieren, bevor er überhaupt nur eine winzige Rendite abwirft, da ist es nicht überraschend, wenn die meisten Leute schon nach fünf Minuten aufgeben.   Anscheinend ist dieser Zeitpunkt nun auch für Ino gekommen, denn sie wendet sich wieder frontal Naruto zu und lässt Sasuke mit seiner Zigarette alleine.   "Habt ihr eigentlich schon mal Aufnahmen gemacht? Weil ein paar Sachen, die ihr heute gespielt habt, waren eigene, oder? Wenn ihr Demos habt, würde ich die mir gerne mal anhören!"   "Ne, so weit sind wir leider noch nicht", antwortet Naruto mit einem Kopfschütteln. "Ich meine, die Songs haben wir. Aber bis jetzt sind es eben nur Sasuke und ich."   "Achso, ihr sucht noch Mitglieder?"   "Ja, ein Bassist und Drummer wären schon ganz cool."   "Ich kenne da wen", wirft Ino plötzlich ein und fängt an, in ihrer Handtasche zu kramen. Naruto hebt neugierig den Blick von seinem Glas und auch Sasuke zollt ihr zum ersten Mal an diesem Abend einen Bruchteil seiner Aufmerksamkeit. "Er spielt Bass, schon ziemlich lange und auch relativ gut. Also, ich weiß nicht, ob er wirklich Interesse hat, aber ihr könnt es ja mal versuchen."   "Wow, im Ernst? Das wäre perfekt!"   Ino sieht fast genauso enthusiastisch aus wie Naruto, als sie endlich findet, wonach sie sucht, und ein strassbestücktes Handy zückt.   "Ich kann morgen gleich mal mit ihm reden. Am besten tauschen wir Nummern aus, dann gebe ich euch direkt Bescheid!"   Naruto zögert keine Sekunde, um sein eigenes Handy hervorzuziehen und mit ungeschickten Fingern Inos Nummer einzutippen. Nachdem alles gespeichert und überprüft ist, wendet sie sich erwartungsvoll Sasuke zu und Naruto hat jetzt schon Mitleid mit ihr für den Korb, den sie gleich bekommen wird.   "Gibst du mir deine auch, Sasuke?", fragt sie mit viel zu viel Hoffnung in der Stimme für den bisherigen Verlauf des Abends. Vielleicht denkt sie, dass sich Sasuke von ein bisschen Wimperngeklimper beeinflussen lässt, aber der drückt nur seine Zigarette im Aschenbecher vor ihm aus, bevor er ihr einen verständnislosen Blick aus den Augenwinkeln zuwirft.   "Wieso? Du hast doch Narutos."   Und damit steht er auf und verschwindet in Richtung Toilette. Naruto seufzt.   "Wir wohnen zusammen. Alles, was du mir schreibst, kommt also auch direkt bei Sasuke an", versucht er sie zu vertrösten und wundert sich ein bisschen als Ino ihn ansieht, als hätte sie gerade das letzte große Rätsel der Menschheit gelöst.   "Aah, ihr seid also—"   "Oh Gott, nein nein!", korrigiert er panisch bevor sie die Chance hat, ihren Satz zu vollenden. Vielleicht reagiert er etwas zu vehement, aber es ist ihm wahnsinnig unangenehm, wenn jemand unterstellt, dass er und Sasuke so eine Art von Beziehung haben. "Wir teilen uns einfach nur eine Wohnung. Ganz platonisch. Ich hab 'ne Freundin."   "Und Sasuke?"   Erleichtert darüber, dass Ino so schnell das Thema wechselt, atmet er aus und stiert auf den Grund seines Bierglases, wo die letzten kleinen Schaumbläschen zerbersten.   "Ich würde ja sagen 'frag ihn selbst', aber nein, besser nicht. Er ist single, aber ich glaube nicht, dass er daran was ändern will."   Ino kommt nie dazu, etwas zu entgegnen, und Naruto hofft einfach, dass sie den nicht ganz so subtilen Wink verstanden hat, denn Sasuke wählt genau diesen Moment, um zurückzukehren. Er macht sich nicht einmal mehr die Mühe, sich zu setzen, sondern drängt Naruto, sein Bier auszutrinken, damit sie nach Hause können, weil ihm langweilig ist und er seine soziale Quote für den Tag schon um das zehnfache überschritten hat—nicht in so vielen Worten, er verkündet eigentlich nur, dass er jetzt gehen wird, aber Naruto kennt ihn inzwischen gut genug, um seine impliziten Botschaften automatisch mitzulesen.     Ein paar Tage später meldet sich Ino wieder mit Termin und Adresse, um Naruto und Sasuke mit ihrem zukünftigen Bassisten bekannt zu machen, und hier sitzen sie nun, in einer kleinen, hellen Neubauwohnung, die sauberer und aufgeräumter ist als alles, was Naruto seit einer langen Zeit gesehen hat. Schallplattencover und Polaroid-Collagen zieren die Wände und ein Vintage-Kronleuchter glitzert von der Decke.   Inos Bekannter—sie scheinen sich schon lange zu kennen und Naruto hätte fast getippt, dass er ihr Freund ist, wenn sie nicht so offenes Interesse an Sasuke gezeigt hätte—heißt Shikamaru und wie sich ziemlich bald herausstellt, hatte Ino nicht daran gedacht, ihn ausreichend zu informieren und einfach nur herzitiert, um ihm 'zwei Freunde vorzustellen'.   "... Das hört sich stressig an", ist alles, was er dazu zu sagen hat, und macht ein Gesicht, als würde man ihm eine Sisyphusarbeit aufzwingen. Er hat braune Haare in einem groben Pferdeschwanz gebunden, einen unbeeindruckten Blick und ist lässig aber ordentlich gekleidet (nicht wie Naruto aus dem Bett gerollt und in die nächstgelegenen, zerknitterten Klamotten geschlüpft).   "Überleg doch mal! Wenn ihr erfolgreich werdet, ist das der schnellste und einfachste Weg, um Geld zu verdienen. Du brauchst nichtmal Angst vor Medienrummel oder so zu haben, denn für den Bassist interessiert sich sowieso niemand. Besonders nicht, wenn du solche Frontmänner hast."   "Ja ja, lass mich darüber nachdenken."   Schwerfällig steht er von seinem Platz auf dem Sofa auf und kramt in seiner Jacke nach einem Päckchen Zigaretten und einem Feuerzeug, die er mit auf Inos Balkon nimmt. Sasuke folgt ihm, also macht Naruto dasselbe.   "Auch eine?", bietet Shikamaru ihm an, nachdem er die Glastür hinter sich geschlossen hat. Etwas zögerlich starrt Naruto die Zigarettenschachtel an, die ihm hingehalten wird, bevor er mit den Schultern zuckt und eine herauszieht.   "Klar, wieso nicht."   Jetzt, wo es mit der Band ernster wird, kann es schließlich nicht schaden, ein wenig an seiner Rockstar-Ästhetik zu feilen, und es gibt seinen Händen etwas zu tun, die schon die ganze Zeit sehr unnütz an seinen Seiten baumeln. Naruto ist längst überzeugt, dass er genug Passivrauch eingeatmet hat, um seine Lungen für immer zu zerstören, denn Sasuke raucht wann und wo er will und scheint in Narutos Gesundheit keinen adäquaten Grund zu sehen, um irgendwie Rücksicht zu nehmen. (Außerdem will er nicht der einzige sein, der untätig in der Gegend herumsteht.)   Mit der Hoffnung, ähnlich cool wie Sasuke dabei auszusehen, nimmt er einen tiefen Zug und bereut es direkt wieder. Es ist nicht so, dass er noch nie irgendwas geraucht hat, aber seine Kehle ist weit davon entfernt, daran gewöhnt zu sein und er will nicht wie ein Idiot aussehen, also versucht er seinen Hustenreiz diskret herunterzuschlucken und die Tränchen wegzublinzeln, die ihm in die Augen schießen. Sasuke beobachtet ihn schon die ganze Zeit sehr amüsiert, sagt aber nichts, und Shikamaru scheint es entweder nicht zu bemerken oder es interessiert ihn einfach nicht.   "Wir können dir auch zeigen, was wir so spielen, wenn du willst!", schlägt Naruto nach einer Weile ungemütlichem Schweigen vor, um nochmal darauf zurückzukommen, wieso sie eigentlich hier sind.   "Nicht nötig, ich hab euch hier irgendwo schon mal gehört. Ino hat danach nicht mehr die Klappe gehalten, war also schwer, das zu vergessen."   Es lässt sich nicht definitiv sagen, ob er wirklich genervt ist oder nur so tut, vielleicht ist das ja seine Art von Humor, aber Naruto ist Optimist und geht deshalb vorsorglich von letzterem aus.   "Oh. Achso. Cool!", grinst er und stößt Sasuke mit dem Ellbogen an. "Hast du das gehört? Wir werden berühmt! Leute erkennen uns schon!"   Aber der rollt als Antwort nur mit den Augen und atmet eine dichte graue Rauchwolke aus, die vom Wind zerstäubt wird. Von hier oben wirkt die Welt fast frühlinghaft, in den Gärten blühen schon ein paar erste mutige Blumen und auch auf den kahlen Zweigen von Inos Balkonpflanzen sprießen fragile grüne Triebe, aber die Luft ist immer noch frostig und Naruto schüttelt sich nach einer besonders eisigen Böe. Instinktiv rückt er näher an Sasuke heran, um etwas von seiner Körperwärme abzuhaben, aber das fällt kaum auf, weil sie sowieso sehr gepfercht stehen zwischen all den Terrakotta-Töpfen und einem sonnenverfärbten Tischchen mit Stuhl.   "Ich habe eine Kondition", meint Shikamaru dann schließlich, nachdem seine Zigarette schon zu einem kleinen Stummel abgebrannt ist, und obwohl Sasuke bisher kein Wort mit ihm gewechselt hat, kommt seine Reaktion sehr direkt.   "Du bist nicht in der Position, um Forderungen zu stellen", antwortet er, bevor Naruto etwas sagen kann, aber Shikamaru redet einfach weiter, als hätte er nichts gehört.   "Ein guter Freund von mir spielt Schlagzeug. Das fehlt euch doch auch noch, oder?"   "Ja! Heißt das—"   "Taugt er auch was?", unterbricht Sasuke wieder und Naruto würde ihn gern zur Seite nehmen, damit er ihre Aussichten auf eine voll besetzte Band nicht weiter dezimieren kann, aber dafür ist es jetzt auch schon zu spät.   "Er spielt noch nicht lange. Aber ich glaube, er hat viel Potential."   "Das klingt nicht sehr überzeugend."   "Entweder wir beide oder keiner", stellt Shikamaru klar und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Balkongeländer, während er ihre Antwort abwartet. Er wirkt nicht so, als wäre er zu weiteren Zugeständnissen bereit.   "Komm schon, Sasuke!", bettelt Naruto und kommt sich dabei vor wie ein quengelndes kleines Kind, das von seiner Mutter ein Spielzeug gekauft haben möchte. Aber für den höheren Zweck schluckt er seine Würde gerne herunter. "Wir wären dann komplett! Am Anfang hast du auch immer gesagt, ich würde nie vorwärts kommen!"   "Das sage ich immer noch."   "Dann können wir ja gemeinsam besser werden!"   Naruto kommt es so vor, als würde er gegen eine Wand anreden, denn Sasuke kann so wahnsinnig stur sein, wenn er sich auf etwas festsetzt, und er hat eigentlich schon alle rhetorischen Register gezogen, die normalerweise sein Fundament wenigstens ein bisschen zum Wackeln bringen. Aber sein Blick ist noch genauso skeptisch wie zuvor, alles in ihm sträubt sich—und dann wendet er sich ab, ohne dass seine Augen etwas von ihrer Härte verlieren, und kapituliert.   "... Von mir aus."   Auf dem Weg nach Hause beschwert sich Sasuke noch ein wenig über Narutos nicht vorhandenes Verhandlungsgeschick und 'da hätten sie genauso gut bei Suigetsu und Juugo bleiben können', aber als sie ein paar Tage später schließlich auf Choji, ihren Drummer in spe, treffen, ist er umgänglich genug, dass sogar Sasuke nichts auszusetzen hat und die paar Beats, die er ihnen demonstriert, klingen in Narutos Ohren einwandfrei, aber Naruto hat auch keine Ahnung. Die Tatsache, dass Sasuke nichts sagt, verrät ihm allerdings, dass es allzu schlimm nicht sein kann.   Und das ist alles, was es braucht, um Naruto den ganzen Tag lang in euphorischen Höhen schweben zu lassen, denn wow, er hat es endlich geschafft, eine komplette Bandbesetzung zusammenzutreiben, seinem Traum steht praktisch nichts mehr im Wege und das ist ein Grund zu feiern, wenn es je einen gegeben hat. Sasuke sieht das gar nicht mal unähnlich und Naruto beschließt, dass es die denkwürdigste Hausparty wird, die das Londoner East End je gesehen hat (nur passend für die Geburtsstunde der besten Band aller Zeiten und spätestens seit heute hat er auch keine Zweifel mehr daran, dass es eines Tages soweit sein wird). Er lädt jeden ein, den er erreichen kann, ohne sich an etwaigen Kapazitätsgrenzen ihrer Wohnung zu stören, und Sasuke muss ihn ein paar Mal davon abhalten, ihre Adresse an wildfremde Leute auf der Straße zu verteilen. Nur Hinata hat leider schon andere Pläne und das macht ihn ein bisschen traurig, denn er hätte sie gern dabeigehabt und ihr von seinem Glück abgegeben, aber dann muss er das eben auf einen anderen Tag verschieben. Partys sind sowieso nicht Hinatas Ding und so gibt es auch niemanden, auf den er ein Auge zu haben braucht, denn wenn Naruto eines weiß, dann ist es, dass er heute nicht nüchtern ins Bett gehen wird.   Der Abend fängt entspannt an und wird chaotischer, je weiter die Uhrzeiger vorrücken. Zwischendurch hat er das Gefühl, dass es ein bisschen außer Kontrolle gerät; wenn er sich umsieht, kann er die Hälfte der Gesichter gar nicht zuordnen (das hält ihn jedoch nicht davon ab, durch die Gegend zu stolpern und jeden zu umarmen, der Blickkontakt mit ihm macht), aber dann schenkt er sich einfach noch was nach und spült jede Bedenken mit einem großzügigen Schluck Alkohol hinunter.   Seine Erinnerungen an die nächsten Stunden sind wenig mehr als aneinandergereihte Schnipsel; wie er versucht, eine Kostprobe seiner Gitarrenkünste zu demonstrieren und auf spektakuläre Weise scheitert, wie er Pizza bestellen will und sich fünf mal verwählt, bis ihm Sasuke irgendwann genervt das Telefon aus der Hand zerrt, wie Kiba ihn zu einem Wetttrinken herausfordert und er gar nicht weiß, ob er gewinnt oder verliert, weil ihm schon nach dem dritten Shot einfach der Film reißt.   An irgendeinem Punkt findet er sich auf dem Badezimmerboden wieder—ein weit entfernter Gedankenfetzen rät ihm aufzustehen, weil sie eine Wohnung voller Betrunkener haben und er selbst am besten weiß, wie selten hier geputzt wird, aber sein Bewusstsein schwebt irgendwo in höheren Sphären herum und sein Magen schlägt Räder und das einzige, was ihn noch an die Realität kettet, ist das kühle Gefühl von den Fliesen gegen seine Haut. Die Tür geht alle paar Minuten auf und rammt dabei ständig in seine Seite, jedes Mal fragt eine andere Stimme, ob es ihm gut geht und er kann immer nur wenige gebrochene Wörter nuscheln, die er nicht mal selbst versteht. Dann herrscht einen Augenblick Ruhe, bevor die Prozedur wieder von vorne losgeht.   Aber die Übelkeit ebbt irgendwann ab, kohärente Gedanken finden ihren Weg zurück und eigentlich ist er nur noch müde. Er weiß nicht, wann er es geschafft hat, sich aufzurappeln, aber da steht er nun schwankend vorm Waschbecken und schaufelt sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht (das hilft allerdings auch nicht, um sein Spiegelbild wieder menschenähnlicher zu machen). Erschöpft wischt er sich die nassen Haare von der Stirn und lässt seinen schweren Blick durch den Raum wandern.   Und irgendwie sieht die Badewanne so einladend aus...   Kapitel 14: Louder than bombs ----------------------------- Naruto hat keine Zeit, darüber nachzudenken, wieso er in einer Wanne aufwacht (und sein Gedächtnis zeigt sich bei der Sache nicht gerade kooperativ), denn die Tür zum Badezimmer schwingt auf und Sasuke strauchelt herein. Er hat schonmal besser ausgesehen, definitiv, aber wer weiß schon, seit wann er nur noch von Stimulantien wachgehalten wird. Naruto hat jedenfalls keine Ahnung, wie spät es ist. Musik dröhnt vom Wohnzimmer aus herein, das wahrscheinlich schon ausgebrannt ist oder halb leergeräumt, aber als sich Naruto aufsetzen und einen Blick erhaschen will, schlägt die Tür zu, weil Sasuke sich dagegen fallen gelassen hat. Es dauert nicht lange, bis offensichtlich wird, weshalb sich Sasuke ins Bad geflüchtet hat, denn noch während er abschließt, greift eine unruhige Hand in seine Hosentasche hinein und bringt zum Vorschein, was von seinem Kokainvorrat übrig geblieben ist. Das Tütchen raschelt verheißungsvoll, der pulvrige Inhalt leuchtet unschuldig weiß und Naruto fragt sich, wie lange es wohl noch dauern wird, bis Sasuke bemerkt, dass er nicht allein im Zimmer ist. Aber der interessiert sich gerade nicht für das, was um ihn herum passiert, denn er ist damit beschäftigt, einen kleinen Hügel Kokain in hübsche, ordentliche Linien aufzuteilen. Das macht er mit großer Sorgfalt und nimmt sich mehr Zeit dafür, als eigentlich nötig wäre, obwohl seine Hände schon ganz unruhig sind. Naruto schaut ihm zu, wie er ein zweites Mal in die Taschen greift und einen zerknickten 5-Pfund-Schein herauszieht, den er ungeschickt zusammenrollt, bevor er sich über die zwei weißen Lines beugt. Den Moment wählt Naruto, um Sasuke endlich auf sich aufmerksam zu machen. Mit mehr Mühe als gewohnt setzt er sich auf und faltet seine Arme auf dem Wannenrand, wo er es sich mit seinem Kopf bequem macht. "Gib mir was ab", nuschelt er schläfrig gegen seinen Bizeps und fängt fast an zu lachen, als sich Sasuke erschrocken umdreht, bis sein gescheuchter Blick Naruto findet und er sichtbar entspannt. "Ah. Du bist's nur", murmelt er und packt seine Utensilien wieder zurück in seine Hosentaschen. Naruto hat eigentlich damit gerechnet, dass er defensiver reagiert und vielleicht ein bisschen wütend wird, aber es scheint ihn nicht besonders zu stören. Im Gegenteil, er wirkt sehr zugänglich und hat wohl beschlossen, Naruto ein wenig Gesellschaft zu leisten, denn er lehnt sich mit angewinkelten Beinen an die Wand gegenüber und schaut ihn aus wachen Augen an. "Wie lange liegst du schon hier?" "Keine Ahnung. Ich hab kein Zeitgefühl mehr", gibt Naruto zu und rauft sich die Haare bei dem Gedanken an jede einzelne Weise, auf die er sich im Vollrausch blamiert hat—jedenfalls an das, woran er sich erinnern kann. Er ist immer noch nicht ganz nüchtern, aber die paar Stunden Schlaf (waren es überhaupt so viele?) haben seinen Kopf wieder etwas gerade gerückt. Sasuke scheint das irgendwie zu amüsieren. "Suigetsu und Karin waren zwischendurch mal hier drin. Nicht mitbekommen?" "Ugh", macht Naruto und verzieht angewidert das Gesicht. "Warte. Karin ist doch deine rothaarige Ex-Nachbarin? Was macht sie hier?" "Ich ... weiß es nicht. Sie war auf einmal da." "Uh-oh. Ich fürchte, du hast dir einen Stalker zugelegt, Sasuke." "Oder irgendjemand hat sie zufällig eingeladen, weil du jedem gesagt hast, dass sie auch ihre Freunde mitbringen können." "Haha ja, das war vielleicht keine so gute Idee", lacht Naruto und kratzt sich schuldbewusst am Hinterkopf. "Was machen die da draußen eigentlich? Steht alles noch?" Es ist nicht so, dass er und Sasuke sonderlich viel besitzen, was kaputt gehen könnte, aber Naruto beschließt, sicherheitshalber doch mal lieber nachzufragen. "Deine Playstation ist Schrott." "Was?! Im Ernst?!" "Hah, nein, beruhig dich. War'n Witz. Alles noch ganz." "Du Wichser", grummelt Naruto und fühlt sich gleichzeitig furchtbar lächerlich, dass er es so ernst genommen hat. "Seit wann machst du Witze?!" Sasuke zuckt nur mit den Schultern, als wüsste er darauf selbst keine Antwort oder vielleicht will er auch einfach nichts sagen, weil sie den Grund sowieso beide kennen. Er hat inzwischen angefangen, an seinem Feuerzeug herumzuspielen, ein glitzerndes neonpinkes Plastikteil, das Naruto ihm vor einiger Zeit mal vom Einkaufen mitgebracht hatte, und er ist überrascht, dass Sasuke es tatsächlich verwendet. Die kleine Flamme flackert in unregelmäßigen Abständen auf und setzt die tiefen Schatten unter seinen Augen noch mehr in Szene. Seine gewöhnliche Attraktivität ist an diesem Punkt nur noch vage zu erahnen hinter einem Schleier aus Übernächtigung und Achtlosigkeit, aber Naruto würde diesen imperfekten Sasuke jederzeit gegenüber einem vorziehen, bei dem keine Strähne von ihrem rechten Platz weicht. Er sieht zwar nicht so aus, als würde er auf Hochglanzseiten passen, aber genau hier in Narutos Blickfeld mit den nicht mehr ganz weißen Badezimmerfliesen gehört er hin. "Ich hab's übrigens ernst gemeint. Gib mir was ab." Sasuke starrt ihn mehrere ungemütliche Sekunden lang einfach nur an, mit einer hochgezogenen Augenbraue, 'Bist du dir sicher?', aber er hakt nie verbal nach. "Okay", meint er dann schließlich und krabbelt zu Naruto auf die andere Seite des Raumes. Es fühlt sich irgendwie surreal an; für den größten Teil seines Lebens hätte Naruto es nie für möglich gehalten, dass er einmal hier sitzt und darauf wartet, wie diese potentiell fatale Substanz für ihn präpariert wird. Er erinnert sich vage daran, wie vor Jahren einmal ein Junge aus der Nachbarschaft mit einer Überdosis ins Krankenhaus gebracht werden musste und seine Eltern ihm aus gegebenem Anlass und Sorge einen langen Vortrag gehalten haben. Damals hat er mit tiefer Überzeugung und ohne Zögern versprochen, niemals nie etwas Illegales anzurühren, aber es ist mitten in der Nacht, da können Prinzipien schonmal abhandenkommen und Sasuke würde ihm auch nie etwas geben, das ihm wirklich Schaden zufügt. Er zerkleinert das Pulver auf dem Wannenrand mit seiner Oystercard, vor Narutos Augen, wie so ein japanischer Koch in diesen schicken Restaurants, die er sich nicht leisten kann, und achtet sogar darauf, dass am Ende nicht ein winziger Klumpen mehr übrig ist. Es sieht ein bisschen aus wie gesiebtes Backpulver, harmlos irgendwie, eher wie etwas, das er finden würde, wenn er seiner Mutter beim Kuchenbacken über die Schulter schaut, und das hilft ihm, seine Hemmungen beiseite zu schieben. Mit Sasukes abwartendem Blick auf ihm gibt es sowieso keine wirkliche Wahl mehr. Es nicht angenehm, aber nur halb so schlimm, wie er sich das vorgestellt hatte. Seine Nase fühlt sich ein bisschen taub an, aber ansonsten spürt er kaum einen Unterschied. "Es wirkt nicht", stellt er enttäuscht fest, denn jetzt, wo er sich überwunden hat, hätte er auch gerne einen Effekt. Sasuke schaut ihn währenddessen an, als würde ihm ein Vorschüler gegenüber sitzen. "Du musst schon ein paar Minuten warten, Idiot." "Oh. Achso", grinst Naruto verlegen, denn eigentlich wollte er es nicht so offensichtlich machen, wie wenig er sich auskennt. Aber dafür ist ja Sasuke da und vielleicht ist es leichtsinnig, aber das reicht ihm, um sich in Sicherheit zu wiegen. "Lass uns hier bleiben, Sasuke, ja? Da sind so viele komische Leute draußen, die wir nicht eingeladen haben, und hier ist es wirklich bequem, ich will nicht aufstehen." "Die Badewanne ist bequem?" "Ja, ehrlich! Setz dich zu mir, dann siehst du's." "Das hättest du wohl gerne", neckt Sasuke nonchalant und Narutos erste Reaktion ist, es mit einem Lachen abzutun, denn Sasuke hat das nicht ernst gemeint, aber dann überlegt er nochmal, denkt an Sasukes Beine, die sich Platz zwischen seinen eigenen suchen, Berührungen, die sich nicht vermeiden lassen und wenn er ehrlich ist... "Ja. Ja, da hast du recht." Sasukes Blick flirrt kurz zu Naruto herüber und da ist so etwas wie Panik in seinen Augen, aber das ist mehr wirres Raten als irgendwas anderes, weil wer weiß schon, wie sich solche Emotionen in Sasukes Gesicht übersetzen. Pseudo-Flirten ist harmloses Terrain und manchmal lässt sich Sasuke sogar animieren, auf seinen Nonsens einzugehen, wenn er sich sicher genug ist, dass Naruto nur scherzt. Aber sobald sich auch nur ein Funken zu viel Aufrichtigkeit zwischen seinen Worten versteckt, scheut er zurück und das ist ein kleines bisschen frustrierend, denn Naruto ist sich nicht sicher, ob er ausdrücken könnte, welche Wirkung Sasuke auf ihn hat, ohne dass es furchtbar falsch klingt, dabei ist es so wichtig, dass er versteht. Seine Augen sind unfixiert und wandern überall im Raum herum, nur nicht zu Naruto. Wenn er mehr Kontrolle darüber hätte, würde Naruto ohne Zögern zu dem Schluss kommen, dass Sasuke seinem Blick ausweicht, aber so lässt es sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Narutos Beine fangen an zu kribbeln und er rutscht unruhig auf dem Wannenboden herum, bis er eine Position gefunden hat, in der sie nicht einschlafen. Aber der Rest seines Körpers ist hellwach, sein Herz schlägt schnell und stetig, und zum ersten Mal fällt ihm so richtig auf, wieviel leichter es geworden ist, seine Augen offen zu halten. "Ich glaube, ich merk was", verbalisiert Naruto den ersten Gedanken, der ihm in den Sinn kommt und Sasuke sieht fast schon dankbar aus für den Themenwechsel. "Ich hab dir nicht so viel gegeben, weil du dich vorhin fast ins Koma gesoffen hast, also musst du schauen, wie gut es wirkt. Sonst kannst du nachlegen. Ich stell es dir auch nicht in Rechnung." "Wow, wie nobel von dir", lacht Naruto augenrollend. "Bei mir gibt es eh keinen Penny zu holen. Ich bin fast pleite und es ist nichtmal die Hälfte des Monats. Es wird Zeit, dass wir berühmt werden und endlich genug Geld verdienen! Ino meinte, in spätestens zwei Jahren sind wir ganz oben und wenn du mich fragst, sie hat recht." "Aber niemand fragt dich. Und Ino hat die ganze Zeit geschleimt." "Du kannst sie nur nicht leiden, weil sie versucht hat zu flirten. Oder weil sie dir wertvolle Zeit mit mir gestohlen hat. Ich bin noch am Überlegen." "Du laberst noch mehr Mist als sonst", stellt Sasuke kopfschüttelnd aber amüsiert fest. Naruto verzichtet auf den Kommentar, dass sie beide eigentlich genau wissen, wie Recht er damit hat, und kehrt stattdessen wieder zu seinem Thema zurück. "Jedenfalls, was ich sagen will, hasse Ino nicht! Sie hat uns zu Shikamaru und Choji geführt, immerhin. Ich kann es kaum erwarten, dass wir endlich alle zusammen proben, das wird bestimmt richtig gut! Bald reißen sich alle Plattenfirmen um uns, ich kann es schon sehen! Und Fans—wir werden so viele Fans haben, Sasuke, wie denn auch nicht bei guter Musik und zwei attraktiven Frontmännern!" "Ich kenne nur einen", entgegnet Sasuke, und Naruto versucht sich einzureden, dass es bloß die schiere Arroganz in seiner Stimme ist, die ihn sprachlos werden lässt, und auf keinen Fall Sasukes seltenes Grinsen mit seinen lächerlich perfekten Zähnen. Narutos Herz hämmert gegen seinen Brustkorb, aber daran ist wahrscheinlich die Droge schuld. "Mir ist warm...", murmelt er, weil es das einzige in seinem Kopf ist, dem er einen Namen geben kann. Am Rande ist ihm bewusst, dass es in dem Kontext irgendwie seltsam klingt. "Das ist normal." Sasukes Lächeln verschwindet und ein alarmierter Ausdruck verirrt sich in seine Augen, aber das merkt Naruto nicht mehr, weil sich sein Blick eigentlich kaum noch von Sasukes Lippen hebt. Und vielleicht … vielleicht wäre es ja gar keine so schlechte Idee? Sasuke ist schon die ganze Zeit so unglaublich nahe, wenn er sich nur ein kleines bisschen weiter rüber beugt— Abrupt hält Naruto inne und lässt sich wieder zurücksinken. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er sich so weit nach vorn gelehnt hatte, bis auf einmal sein Brustkorb mit dem Wannenrand kollidiert und ihn mit einer stummen Warnung wieder zurück in die Realität holt. Leise lachend fährt er sich mit einer Hand übers Gesicht. "Wow, ich glaube, ich bin immer noch ganz schön betrunken. Oder kommt das vom Koks?" "Was meinst du?" Er schaut auf und sieht Sasuke zum ersten Mal seit einer langen Zeit in die Augen, die ihm viel größer vorkommen als er sie in Erinnerung hatte. Es ist unmöglich zu sagen, wo Sasukes Pupillen enden, er hat Augen wie Schallplatten, glänzende schwarze Kreise, in die so viele Melodien eingraviert sind, aber Naruto kann sie nicht zum Singen bringen. "Nur so ein Gefühl..." Es ist schmerzhaft offensichtlich, dass Sasuke ganz genau weiß, was Naruto meint. Er kann sich auch nicht vorstellen, wie der Bruch in der Atmosphäre einfach an ihm vorübergegangen sein sollte, denn seine Gedanken sind so aufdringlich und laut genug, dass sie eigentlich überall zu hören sein müssten, aber der einzige, der zurückgewichen ist, ist Naruto. Sasuke lehnt noch immer gegen die Badewanne, er hat seinen linken Ellbogen auf den Rand gestützt und streift seine Fingerspitzen durch die feinen Haare in seinem Nacken, während er ein bisschen abwesend auf irgendeinen Punkt hinter Narutos Schulter schaut. Das ist keine fremde Situation. Naruto hat sie schon öfter durchlebt, als er zählen kann, in achtlosen Momenten, in Träumen, jeden Tag, jede Stunde Minute Sekunde, und das, was ihn am meisten erschüttert, ist, wie wenig eigentlich anders ist. Ja, da schaukeln sich Wellen aus künstlichen Glücksgefühlen in ihm auf, aber es nimmt ihm nicht die Sicht, im Gegenteil, er hat noch nie so klar gesehen wie jetzt. Nur ist dieses Mal keine Stimme mehr da, die ihm jeden einzelnen Grund aufzählt, warum es besser ist, die Finger von Sasuke zu lassen ("das letzte Mal ist nicht gut ausgegangen, du hast eine perfekte Freundin, Sasuke ist unberechenbar, was ihr habt ist platonisch und das ist gut und eigentlich denkst du doch gar nicht auf diese Weise über ihn"), sondern da sind nur anfachende Gedanken und worauf wartet er noch? Weil es kommt ihm vor wie die beste Idee, die er je hatte und er weiß, was ihn bisher davon abgehalten hat, aber das ist nicht mehr wichtig, denn er weiß auch, was er jetzt will und er sieht keinen Grund, weshalb er sich das nicht nehmen sollte. "Was machst du da?", dringt Sasukes verwirrte Frage an sein Bewusstsein, aber er sagt es mit einem Lächeln in der Stimme, auch wenn es sich nicht auf sein Gesicht überträgt. Naruto hat von ihm schon genug abblockende Reaktionen bekommen, um zu wissen, wie sich sowas anhört und das ist die deutlichste Einladung, die er jemals von Sasuke bekommen wird. Denn alles ist so klar und simpel und... "Naruto—" Es ist seltsam, Sasuke zu küssen (und zwar richtig, nicht wie das letzte Mal eine scheue verwirrte Berührung), so antiklimatisch, ohne Engelschöre und Schmetterlinge und lebensverändernden Realisationen. Das sind einfach nur ein paar feste trockene Lippen, gegen die er seine eigenen bewegt, und natürlich stellt es etwas an—sein Herz pocht wie verrückt, aber das tut es schon die ganze Zeit, und irgendwo ist auch der Reiz, über die klare sichere Freundschaftslinie zu treten, einfach weil er es kann. Er ist froh, dass der Alkohol seine Geschmacksnerven betäubt hat, denn gerade schmeckt sicher keiner von beiden einladend, nach Bier und Zigaretten und mitten in der Nacht. Aber es ist nicht schlecht, entscheidet Naruto und zieht ihn ein bisschen näher. Sasukes Augen sind offen und das nimmt dem Ganzen die Romantik, wenn es sowas überhaupt je gegeben hat, aber es macht alles realer, irgendwie, kein schwarzes Nichts hinter seinen Lidern, das von Fantasien und Trugbildern infiltriert werden kann, sondern Sasuke direkt vor ihm und jetzt kann er auch endlich den dünnen dunklen Ring um seine Pupillen sehen, in denen er sich spiegelt. Es wirft ihn völlig aus der Bahn, wie gut er sich fühlt; Euphorie schwappt in Wogen über ihn hinweg, bis er nicht mehr anders kann, als sich von der Flut wegschwemmen zu lassen und er weiß nicht einmal, ob seine Gefühle überhaupt echt sind, aber er ist zu verstrickt, um sich dafür noch zu interessieren. Es braucht nicht viel, um jeglichen Zweifel aus Sasuke zu treiben; eine Hand an seiner Wange und ein leichter Zug am Handgelenk genügen und er lehnt sich Naruto so weit entgegen bis der Wannenrand in seine Magengrube schneidet. Bevor er begreifen kann, was passiert, verschwindet der warme Druck auf seinen Lippen und für den Bruchteil einer Sekunde stürzt Naruto ins Bodenlose, aber dann klettert Sasuke zu ihm und seine kognitiven Funktionen schalten ab, als er ein unvertrautes Gewicht auf seinem Schoß spürt und zwei Hände auf seiner Brust, die ihn unzeremoniell zu Boden drücken. Der Funken einer Emotion flackert durch Sasukes Blick und er weiß nicht, was es ist; Verlangen, Verzweiflung, Rausch, vielleicht auch alles auf einmal oder etwas völlig anderes, bevor sich Sasuke zu ihm herabbeugt. Eigentlich ist eine Badewanne der letzte Ort, der für gehetzte, aufgedrehte Koks-Küsse geeignet ist, mit den ganzen abgerundeten Kanten und der glatten Oberfläche, an denen ungeschickte Hände keinen Halt finden, viel zu wenig Raum für zwei ausgewachsene Männer und den boshaften Wasserhahn, an dem man sich so leicht stoßen kann. Aber das ist ein bisschen in den Hintergrund geraten. Denn Sasukes Lippen sind auf Narutos und seine Zunge ist in seinem Mund und alles ist genau so, wie es sein soll. Warme raue Finger tasten sich seine Rippen entlang und die Realisation trifft Naruto wie ein Schlag—das ist Sasuke, der ihn da berührt, Sasuke, unter dessen T-Shirt er seine Hand schiebt und alles rastet ein. Während er seine Finger in schwarze Haare krallt und seinen Unterkörper nach oben drückt, fragt er sich für einen kurzen Moment, ob ihn die Droge so berauscht oder Sasuke oder ob das sowieso nicht mehr auseinander zu halten ist. Die Kanten und Linien unter seinen Handflächen fühlen sich fremd und vertraut zugleich an. An ein paar Details verfängt er sich; der rauere Kiefer, über den er seinen Daumen streicht, die 15 kg mehr, die ihn in den Wannenboden drücken und der Mangel an Rhythmus mit dem sie sich gegeneinander bewegen, aber gerade in dem Moment ist es alles, was er jemals wollte. Wann hat er angefangen, Sex und Sasuke im selben Gedanken zu verbinden? Denn es ist schwer, jetzt noch an etwas anderes zu denken, wenn er seine Hand unter Sasukes Hosenbund schiebt und seine eigene Jeans mit jeder Sekunde ungemütlicher wird. Er ist klar genug, um zu wissen, was er tut. Wie es um Sasuke steht, kann er nur erahnen, aber es wirkt nicht so, als wäre er willenlos. In einem unbeholfenen Gemenge aus Körpern schafft Naruto es, ihre Positionen zu vertauschen und Sasuke unter ihm festzupinnen. Er hat schon vor einer Weile aufgegeben, sich auf dem engen Raum sinnvoll um Sasuke herum zu koordinieren, also drängt er sich dazwischen, wo auch immer er Platz findet, wie zwei Puzzleteile, die nicht ganz passen wollen. Aber davon lässt er sich nicht beirren, während er Pfade auf seinem blassen Nacken hinunterküsst und Sasukes Atem an seinem Ohr ist schwer, die Finger in seinen Haaren verkrampft. Mit fahrigen Händen öffnet er seine Hose, schiebt sie aus dem Weg und wendet sich dann Sasukes Reißverschluss zu, bis ihn ein lockerer Griff um sein Handgelenk zum Stillstand bringt. "Komm schon, bitte—", macht er fast flehend und würde sich selbst gerade schrecklich erbärmlich finden, wenn er es nicht so bitter nötig hätte. "Weißt du, was du tust?" "Jaja." Trotz erhitzten Wangen und geschwollenen Lippen schafft es Sasuke immer noch irgendwie, zutiefst unüberzeugt auszusehen, aber er lässt seine Hand dennoch herabgleiten und Naruto weiter an seiner Jeans hantieren. Die Hose ist ein bisschen zu eng, um sie elegant von Sasukes Beinen zu streifen und Naruto ungeschickt genug, um an einer Ferse hängen zu bleiben. Er braucht länger als ihm lieb ist, bis er den Fuß von der Jeans befreit hat, also macht er sich für das andere Bein gar keine Mühe mehr. Das muss so reichen und für sinnliches Entkleiden, einander auspacken wie Geschenkpapier, kann er sich ein anderes Mal Zeit nehmen, wenn er nicht so aufgekratzt ist. Naruto hat eigentlich wenig Ahnung, aber er weiß durch Hörensagen in etwa, was er machen muss und streckt sich nach einer Shampooflasche, wobei er die Hälfte ihrer Duschartikel umstößt; ein paar landen auf dem Boden, ein paar rutschen zu ihnen in die Wanne und zwischen ihre Körper, aber darum kann er sich später kümmern. Ungeduldig verreibt er das Gel auf seiner Hand und fängt an, Sasuke zu präparieren, erst ein Finger, dann zwei, dann drei, bis er entscheidet, dass Sasuke entspannt genug ist. Er versucht, nicht genauer darüber nachzudenken, was er gerade im Stande ist zu tun, sondern sich einfach nur noch von Impulsen leiten zu lassen, denn das funktioniert bedeutend besser und sein Verstand hat sich sowieso längst abgemeldet. Den Rest des Shampoos verteilt Naruto hastig auf sich selbst und schiebt Sasukes Beine beiseite, bis er genug Platz hat, um sich dazwischen sinken zu lassen. Sein Körper fühlt sich an als würde er überdrehen, seine Nervenenden verglühen, es ist so eng und warm und zu viel. Weiße Flecken sprenkeln pochend vor seinen Augen und er lehnt den Kopf gegen Sasukes Schulter, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Es ist alles ein bisschen schneller, alles ein bisschen roher als er gewohnt ist, ohne Finesse, nur Hitze und verschlungene Gliedmaßen und mehrmehrmehr— ... Zum zweiten Mal in 24 Stunden wacht Naruto in einer Badewanne auf, aber diesmal ist sein Gedächtnis nur allzu bereitwillig, die Lücken für ihn auszumalen, an die er sich nicht sowieso schon beim ersten Augenaufschlag erinnern kann. Vielleicht hilft Sasukes halbnackter Körper auch ein bisschen, der in einer Weise um ihn herum drapiert ist, die niemals bequem sein kann. Generell war es wahrscheinlich nicht die beste Idee, an Ort und Stelle einzuschlafen—alles an ihm tut weh und ist übersät mit blauen Flecken—aber gemengt unter den ganzen anderen nicht so guten Ideen, die sie gestern Nacht hatten, fällt es eigentlich kaum ins Gewicht. Vorsichtig steigt Naruto aus der Wanne, um Sasuke nicht aufzuwecken, denn er fühlt sich gerade nicht imstande, mit irgendwelchen unangenehmen Konsequenzen fertig zu werden. So kann er Sasuke wenigstens die Option freilassen, einfach so zu tun, als wäre nichts passiert. Er ist sich selbst nicht ganz sicher, was ihm lieber wäre, das hängt auch ein bisschen von Sasukes Reaktion ab, aber für eine Weile auf Pause zu drücken, bis er sich sortiert hat, ist vermutlich das beste, was er tun kann. Es ist eine seltsame Situation; er bereut, dass er Hinata nun wirklich hintergangen hat, ohne dass sich da noch etwas schönreden lässt, und was das vielleicht mit seiner Beziehung zu Sasuke anstellt, aber es ist schwer, den Sex an sich zu bereuen. Er erinnert sich mit mehr Klarheit als gesund sein kann, an jedes Detail und Gefühl, an die überwältigende Euphorie, die durch seine Venen pulsiert ist bis nichts mehr wichtig war außer er und Sasuke und die hundert Wege, auf denen er der ultimativen Emotion zum Greifen nahe kommen kann. Wobei er nicht sicher ist, ob es an Sasuke liegt oder an seinen wenigen Vergleichsmöglichkeiten, und die eine Line Koks ist vielleicht auch nicht ganz unbeteiligt daran. Irgendwann kommt Sasuke angezogen und mit tropfenden Haaren aus dem Bad, trotz der wachrüttelnden Dusche kann man ihm letzte Nacht problemlos an den Schatten unter seinen Augen ablesen und in der Weise, wie sich seine Lippen verziehen, als er Naruto beim Aufräumen entdeckt. "Können wir das nicht morgen machen? Mir tut alles weh." Naruto hält kurz inne, denn hat Sasuke gerade indirekt anerkannt, was gestern passiert ist? Ihm liegt eine Entschuldigung auf den Lippen, aber das würde es dann vielleicht ein bisschen zu real machen und darum springt er lieber zu einem ungefährlichen Thema. "Theoretisch schon. Ich wollte mir Frühstück machen, aber wir haben kein sauberes Geschirr mehr und hier steht ein Topf auf dem Herd mit—keine Ahnung, was das mal war, aber ich glaube nicht, dass der noch zu retten ist", erklärt Naruto und schabt nachdenklich mit einem Messer an der schwarzen festen Masse, die sich in den Boden des Topfes eingebrannt hat. "Es sind aber noch Eier da. Soll ich dir eins mitbraten?" "Nicht nötig, ich leg mich wieder hin", nuschelt Sasuke, nachdem er eine Weile lang überfordert vor sich hingeblinzelt hat, als wäre eine simple Frage schon zu viel für seinen übernächtigten Verstand. Ohne Naruto einen weiteren Blick zu schenken, schleppt er sich in sein Zimmer und macht sich gar nicht mehr die Mühe, die Tür zu schließen, bevor er vornüber auf sein Bett kippt. Die nächsten Tage zeigen, dass Sasukes favourisierte Strategie tatsächlich Ignorieren ist und Naruto kooperiert bereitwillig. Alles andere wäre vermutlich wie ein Zündholz bei einem Gasleck, auch wenn das Verdrängen dieses Mal nicht ganz so gut klappt. Denn er weiß, wie Sasuke nackt aussieht, so mehr oder weniger, er weiß, wie er sich anfühlt von innen und von außen, er weiß, wie Sasuke schmeckt und riecht und welche Geräusche er macht, wenn er die Kontrolle verliert. Es ist nicht einmal so, dass Naruto auf Wolken schwebt und rosa Brillen trägt oder ihm auf andere Weise die Realität aus den Fingern gleitet, wie sie es gerne tut, wenn er sich verliebt hat. Er glaubt nicht einmal, dass er verliebt ist, aber wenn er nicht aufpasst, springen seine Gedanken immer wieder zu diesem Moment zurück und er war wirklich wirklich glücklich, das ist nichts, was er vergessen will. In schwachen Augenblicken fragt sich Naruto, wie es wäre, wenn sie beide nüchtern sind, und ob er vielleicht irgendwann die Chance bekommt, das herauszufinden, aber er kann seine Gedanken immer stoppen bevor sie eskalieren und erinnert sich wieder daran, dass es eine einmalige Sache war, ein Versehen, und es wird zu einem der Dinge werden, über die er nie ein Wort verliert, außer Jahre später vielleicht nach ein paar Bier zu viel, wenn bereits eine ganze Wiese darüber gewachsen ist und er sich an die Episode aus seiner turbulenten Jugend erinnert, wie er einmal durch zweifelhafte Umstände seinen besten Freund gevögelt hat. Denn wenn es sich nicht wiederholt ... das radiert sein schlechtes Gewissen zwar nicht aus, aber er möchte Hinata nicht für etwas verwerfen, von dem sich Sasuke wünscht, dass es nie passiert wäre. Es dauert nicht lange, bis all seine mühsam zusammengesetzten Vorsätze wieder verworfen werden müssen, denn er hat nie Sasukes sich jedem Schema entziehende Launen in die Gleichung einbezogen. Was tagsüber gut funktioniert, stellt sich mitten in der Nacht nach ein paar Drinks als unhaltbar heraus, in den zeitlosen Stunden vor Sonnenaufgang, als sie den Weg in ihre Wohnung zurückgefunden haben und Naruto nach mehreren erfolglosen Versuchen endlich den richtigen Schlüssel für ihre Tür in den Fingern hält. Als er sich umdreht, ist Sasukes Gesicht viel näher als gut für ihn sein kann, denn seine Gedanken brechen ab und die Hand auf der Türklinke vergisst, was sie eigentlich zutun hat. "Ich glaube, ich bin betrunken...", flüstert er gegen Sasukes warme Lippen, von denen er nicht genau weiß, wann sie hier her gekommen sind. "Okay." Und natürlich ist er das nicht, denn der Raum steht still und er spürt den Augenblick und Sasuke spricht viel zu deutlich. Aber wer achtet schon auf die Details? Sein Alkoholspiegel spielt sowieso keine Rolle, wenn Sasuke sich so an ihn drückt. Er hat ihm noch nie etwas abschlagen können, da lohnt es sich auch nicht, jetzt damit anzufangen. Kapitel 15: Road to ruin ------------------------ Es ist nicht einfach, wie ein Todesbote vor Hinata zu treten und zu sagen, was ihm schon seit Tagen durch den Kopf geht. Noch schwerer wäre es, ihr die Wahrheit zu erzählen, deshalb versucht er es gar nicht erst und packt jede Menge Ausreden und Entschuldigungen und vertröstende Worte um eine eigentlich sehr simple Essenz: "Lass uns Schluss machen."   Es ist nicht nur ihr Herz, dem er einen Gnadenstoß versetzt, denn es sollte niemals so enden, vor wenigen Wochen noch hat er sich nicht einmal vorstellen können, dass es überhaupt irgendwann endet und ein Ablaufdatum war nirgendwo zu sehen. Aber nach gründlichem Überlegen ist er zu dem Entschluss gekommen, dass es so besser ist für alle Beteiligten oder vielleicht redet er sich das auch nur ein, denn eigentlich hat er nicht lange nachdenken müssen. Dafür, dass es ihm bis vor ein paar Tagen an keinem Punkt auch nur in den Sinn gekommen ist, sich von Hinata zu trennen, war für ihn erschreckend offensichtlich, was er zu tun hat. Er hat zwar nie damit gerechnet, dass es eine Wahl gibt, aber wenn er sich entscheiden muss—… es ist immer Sasuke.   Hinata ist nicht einmal wütend auf ihn, obwohl sie das sein sollte für die ganzen inhaltslosen Phrasen, die er ihr serviert, sie fällt nur in sich zusammen und weint und er weiß nicht, ob er sie in seine Arme ziehen oder einfach gehen soll, ob er überhaupt das Recht hat, sie zu trösten. Sie wehrt sich nicht, als er es trotzdem tut und sein Gesicht in ihren Haaren vergräbt, ein letztes Mal den vertrauten Duft ihres Lavendelshampoos einatmet, und das beruhigt ihn ein wenig. Wenn Sasuke dafür sorgt, dass seine Gedanken im Kreis rennen und sich überschlagen, ist Hinata der Ruhepol, der ihnen die wohlverdiente Pause gibt. In Zukunft wird er wohl ohne das auskommen müssen.   Naruto versucht sich vorzustellen, wie die Situation mit Sasuke ablaufen würde und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: Sasuke würde ihn nicht trösten, Sasuke würde seine Worte nicht in Watte packen und Sasuke würde nie, unter keinen Umständen weinen. Vermutlich würde er mit den Schultern zucken und gehen, das kann Naruto vor seinem inneren Auge sehen, aber eine emotionale Reaktion? Der Gedanke ist bizarr. Er hofft nur, dass er das Richtige tut und sich und Sasuke damit nicht ins Chaos stürzt.   Als Naruto die Stufen zu Hinatas Apartment herunterschlurft und wieder auf die Straße tritt, hat es angefangen zu regnen. Er verflucht die Tatsache, dass er es offenbar nicht für nötig gehalten hat, einen Schirm mitzunehmen—auch wenn er generell nicht der Typ Mensch ist, der an solche banalen Dinge wie Schirme denkt, hätte er es doch besser wissen können, denn es hat die gesamte letzte Woche eigentlich nicht viel anderes getan als zu regnen. Vom anbrechenden Frühling der letzten Märzwochen ist nicht mehr viel übrig, stattdessen ist es kalt geworden und Naruto kann sich nur mit Mühe daran erinnern, wann er zuletzt einen warmen Sonnenstrahl auf seiner Haut gespürt oder ein Schimmer Blau im grauen verdeckten Himmel geglänzt hat. Der melodramatische Teil in ihm empfängt den Wolkenbruch mit offenen Armen und lässt es einfach geschehen, keine beschleunigten Schritte, kein Rennen zum nächsten Unterstand, bis sein T-Shirt auch unter der Jacke unangenehm an seiner Haut klebt und er betäubt genug ist, um die kreisenden Gedanken zu stoppen. Irgendwo hatte er ein bisschen gehofft, dass die Trennung von Hinata wie eine bittere Pille ist, die er zwar nur ungern schluckt, aber sofort anfängt zu wirken, die seine Gewissensbisse lindert und das ganze Durcheinander in ihm sortieren kann oder zumindest ein bisschen aufräumt, aber er fühlt sich nicht befreit und auch nicht so, als hätte er ein einziges Problem gelöst.   "Du bist nass", stellt Sasuke eine halbe Stunde später monoton blinzelnd fest, als Naruto triefend zur Tür hereinstolpert.   "Ich hab mit Hinata Schluss gemacht."   "Ah."   Naruto weiß nicht ganz, was er hören wollte, aber das war es nicht. Sasuke rührt abwesend einen halben Löffel Zucker in seinen Tee und wirkt allgemein nicht so, als hätte er Interesse daran, das Gespräch zu vertiefen. Seinem Aussehen nach zu urteilen ist er gerade erst aus dem Bett gerollt und in die nächstbesten Klamotten geschlüpft, noch ein bisschen Müdigkeit schwimmt in seinen Augen als er sich umdreht und seine Haare scheinen stumpf in dem Halbdunkel des Raumes, das nur von den paar wenigen Sonnenstrahlen beleuchtet wird, die ihren Weg durch den dichten Wolkenteppich am Himmel und in ihr trübes Fenster hinein gefunden haben. Ein bisschen verloren steht Naruto im Eingang herum und tropft kleine Pfützen auf den Holzfußboden.   "Ich hab sowas vorher noch nie gemacht. Es war furchtbar. Ich hab ihr Herz gebrochen und sie weiß nicht einmal warum", murmelt er mit brüchiger Stimme, auch wenn ihm klar ist, dass Sasuke das gar nicht hören will, aber sonst ist ja niemand da. Für ein paar Momente wird er einfach nur mit aussagelosem Blick angesehen, bis Sasuke sich wortlos wegdreht und ins Bad verschwindet.   Das ist es, denkt Naruto und sein Herz verkrampft sich, das ist seine gerechte Strafe und natürlich ist es Sasuke, der sie vollstreckt. Eigentlich hat er ja gar kein Mitleid verdient und er erwartet auch keins, am allerwenigsten von Sasuke, aber es tut trotzdem weh, so rücksichtslos geerdet zu werden. Nur kommt es nie dazu, denn er taucht sofort wieder in Narutos Blickfeld auf und hält ein Handtuch in der Hand, das er ihm stumm herüberwirft. Perplex fängt Naruto es auf und ist sich nicht ganz sicher, ob er es als nette Geste deuten darf oder Sasuke einfach nur nicht will, dass er das Wohnzimmer flutet.   Nachdem er sich notdürftig abgetrocknet hat und die nassen Klamotten im Bad über der Heizung hängen, kuschelt sich Naruto mit einer Decke auf das Sofa und starrt uncharakteristisch still aus dem Fenster, wo es eigentlich nicht viel zu sehen gibt außer Regentropfen, die um die Wette laufen, und die karge Backsteinfassade des Hauses gegenüber. Sasuke zögert ein bisschen, sein Gesicht sagt eigentlich ganz eindeutig, dass er gerne woanders wäre, aber er setzt sich schließlich doch zu Naruto in einem unbeholfenen Versuch, für ihn da zu sein, und der interpretiert das als Erlaubnis, ihm sein Leid zu klagen.   "Wir waren zwei Jahre lang zusammen… sie tut mir so leid, weil es lief eigentlich gut mit uns und das kam für sie aus heiterem Himmel. Wer weiß, wenn wir nicht, naja… vielleicht hätte ich sie eines Tages geheiratet."   "Warum hast du dich dann von ihr getrennt?"   Naruto schaut ihn mit großen Augen an und ist das nicht offensichtlich?   "Ich will sie nicht hintergehen."   "Was, hast du plötzlich den Drang, dich durch die Stadt zu vögeln?", lacht Sasuke trocken, humorlos, und eigentlich gibt es nichts Belustigendes an der Situation, aber vielleicht hat er auch einfach nur Spaß daran, wie leicht er Narutos Wunschvorstellungen zertrümmern kann. Für den Fall, dass es nicht schon vorher unmissverständlich klar war, tut Sasuke sein Bestes, um in Narutos Kopf zu hämmern, dass die Transition von seiner Beziehung mit Hinata zu was auch immer es ist, das er mit Sasuke hat, vielleicht doch nicht so reibungslos abläuft, wie er es gerne hätte. Naruto fehlen ein bisschen die Worte, weil es so absurd ist und sie beide wissen das und wieso muss er immer alles so kompliziert machen?   "Was zur Hölle, Sasuke?", knurrt er heraus und als dieser sich zum Gehen wendet, ohne eine Antwort zu geben, belässt er es dabei, denn er ist gerade nicht in Stimmung, um Konfrontation zu suchen.   Das Thema wird danach in stummer Übereinkunft auf die (beunruhigend lange) Liste der Dinge gesetzt, die ums Verrecken nicht angesprochen werden und damit hat sich auch das erledigt. Naruto zerläuft in seinem ungewollten Single-Dasein und vielleicht ist Sasuke ein bisschen kälter zu ihm, vielleicht ist es aber auch nur das Wetter. Die Tage fließen ineinander in alltäglichem Grau und mehr als einmal ertappt sich Naruto bei den Zweifeln, ob er sich die ganze Nacht nur eingebildet hat und es nichts weiter als eine Halluzination ist, der er hinterhersehnt.   Bis Sasuke und er das nächste Mal wieder mehr trinken als gut für sie ist und Berührungen von alleine kommen, ein bisschen länger verweilen als angemessen wäre, Blicke abschweifen und manchmal ist er so kurz davor zu verstehen, was da in Sasukes verschwommenen Augen ist, aber dann blinzelt er und was es auch immer war, ist weg.   Irgendwann hat Naruto genug und drückt seine Lippen gegen Sasukes, und schneller als er begreifen kann, sind sie aus der verrauchten Bar draußen und stehen in einem Hinterhof oder einer Seitengasse, dicht an die Hausfassade gedrückt, um den Sturzbächen hinter ihnen zu entgehen und vielleicht auch neugierigen Blicken. Naruto kichert wie ein kleiner Junge als er Sasuke von der Wand weg in den strömenden Regen zieht, Finger in seinen Gürtelschlaufen verhakt, Lippen nass aneinander entlanggleitend, und stolpernd versucht, an ihn gepresst sein Gleichgewicht zu halten, ohne gegen einen der herumstehenden Müllcontainer zu scheppern. Wasser sammelt sich in seinem Mund und er muss immer wieder unterbrechen, weil er nicht aufhören kann zu lachen. Sasukes Haare kleben an seiner Stirn, Tropfen perlen von seiner bebenden Unterlippe und Nasenspitze und Naruto hat sich noch nie so komplett gefühlt.       Sasuke hat in der Vergangenheit bereits ein paar Mal versucht, Naruto begreiflich zu machen, dass nicht jeder in der Lage ist, Kater und/oder Müdigkeit einfach so abzustreifen, dass manche Menschen lieber schlafen anstatt Lärm und Chaos zu schaffen. Aber Sasuke weiß auch, dass die wichtigen Dinge selten bei Naruto hängen bleiben, und fragt sich jetzt stattdessen, wie zur Hölle er es angestellt hat, sein Türschloss zu knacken. Eine raue Hand packt seine Schulter und rüttelt ihn grob, zerrt an der Bettdecke, die Sasuke schnell wieder richtet und nur noch fester um sich zieht.   "Geh weg."   "Aber es ist Sonntag und ich hab dir Frühstück gemacht. Und schau", verkündet er, und Sasuke muss feststellen, dass er die wahre Bedeutung von Helligkeit nie wirklich kannte. Der kleine Spalt Licht von seiner Zimmertür wirkt wie tiefste Dunkelheit im Vergleich zu den gleißenden Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereinströmen, als Naruto die Vorhänge zurückzieht. "Schau, es hat aufgehört zu regnen. Die Flut ist vorbei, die Menschheit wurde gerettet, Sasuke, das müssen wir feiern!"   "Verpiss dich."   Aber Naruto macht ungestört weiter, anstatt Sasukes weisen Rat zu befolgen, und als Konsequenz schnellt eine Hand von unter der Decke auf Naruto zu, schlägt das nächstbeste, was sie erreichen kann, wenn auch nur sehr halbherzig und kraftlos.   "Hey, das hat weh getan! Jetzt geh ich erst recht nicht." Er schüttelt Sasuke noch einmal, zieht mit Gewalt an der Decke. "Steh auf, du fauler Sack, raus mit dir!"   "Halt die Klappe und geh aus meinem Zimmer—wie bist du überhaupt reingekommen?! Ich hab gestern extra abgeschlossen."   Spätestens jetzt ist sich Sasuke sicher, dass er kaum eine Chance hat, wieder einzuschlafen; selbst wenn Naruto tatsächlich gehen sollte, hat er es geschafft, Sasukes Kopf und Körper unrettbar wachzurütteln.   "Sei nicht dumm, Sasuke", zwitschert er. "Dein Schloss hat noch nie richtig funktioniert. Man muss nur ein bisschen anheben und dagegen treten, weißt du das nicht?"   "Ach, fick dich, verschwinde."   Es dauert noch eine Weile, bis Sasuke wirklich ansprechbar ist und sich zu Naruto an den Tisch setzt. Das versprochene Frühstück besteht aus matschigem Rührei, inzwischen kaltem Toast und einer aufgewärmten Dose Baked Beans, und tut nichts dafür, um Bonuspunkte bei Sasuke zu sammeln. Umso erstaunlicher ist es, dass er sich trotzdem überreden lässt, Naruto bei ein paar Besorgungen zu begleiten, der dringend neue Saiten für seine Gitarre braucht, um die er sich schon viel zu lange herumgedrückt hat, und eigentlich ist es auch mal wieder nötig, einkaufen zu gehen.   Sie kommen nicht weit, eigentlich nur ein paar Meter bis zur Bushaltestelle, an der sie warten müssen. Normalerweise zählt das nicht zu Narutos Lieblingsbeschäftigungen, aber es ist ein schöner Tag, die Luft riecht reingewaschen, nach Frühling und Sonne und Neuanfängen, und er genießt die Zeit mit seiner Lieblingsperson.   Sasuke hat eine Hand in seiner Hosentasche vergraben, in der anderen balanciert er seine obligatorische Zigarette und scharrt abwesend mit dem Fuß am Boden, als wäre er allein unterwegs, obwohl ihm bewusst sein sollte, dass Narutos Blick an ihm heftet. Ein Sonnenstrahl fällt genau in seine Augen und er blinzelt irritiert dagegen an, verzieht das Gesicht, bevor er ärgerlich den Kopf abwendet, und wow, was hat Naruto sonst gespürt, wenn er ihn angesehen hat? Oder hat sich gar nichts verändert?   "Hey Sasuke", sagt er, ohne den Gedanken voll durchzudenken, und küsst ihn auf den Mund, bevor er irgendetwas dagegen tun kann. Sasuke braucht einen Wimpernschlag zu lang, um zu schalten und Naruto stolpernd von sich wegzustoßen. Sein Gesicht versucht gar nicht erst zu verbergen, wie sehr es ihn aus der Fassung gebracht hat, und er sieht aus, als erfordere es seine ganze Selbstkontrolle, um nicht auf dem Absatz kehrt zu machen.   "Was tust du da?!"   "Ich… küsse dich?", blinzelt Naruto verwirrt. "Das ist nicht das erste Mal, weißt du. Wir sind auch schon weiter gegangen, also was ist dein Problem? Gestern—"   "Ich weiß nicht, wovon du redest", unterbricht ihn Sasuke und Naruto möchte am liebsten weinen oder Sasuke zum Weinen bringen, denn er weiß, wo das hinführt und es ist so frustrierend.   "Komm schon, Sasuke, ich bin kein Idiot. Mach doch nicht alles so kompliziert. Wir können uns beide daran erinnern und auch an das Mal davor, denn meine Güte, ich war betrunken, aber doch nicht so betrunken!"   Vereinzelte Passanten schauen schon neugierig zu ihnen herüber und das ist eigentlich nicht der Schauplatz, an dem Naruto diese Auseinandersetzung haben will; ein klärendes Gespräch in der Zweisamkeit ihrer Wohnung wäre ihm unendlich viel lieber als die öffentliche Szene, zu der es langsam eskaliert. Seine Finger beben, als er eine Hand nach Sasuke ausstreckt, noch unentschlossen, ob es eine zärtliche Berührung werden soll oder ein grobes Packen, aber sie wird weggeschlagen, bevor er Kontakt machen kann.   "Fass mich nicht an", zischt er und da ist genug Gift in seiner Stimme, um Naruto zurücktreten zu lassen. "Denkst du, so läuft das?! Du machst mit deiner Freundin Schluss und ich spring einfach ein?! Fick dich!"   Naruto weiß nicht ganz, was er darauf sagen soll, denn das ist kompletter Bullshit, außer natürlich, dass es eigentlich genauso ist, nur klingt es in Sasukes Worten irgendwie unnötig negativ. Er hat nie daran gedacht, dass Sasuke auf den absurden Gedanken kommen könnte, nicht oberste Priorität zu sein, denn das war er schon immer, und genau das will Naruto erklären, aber er erhält nie die Chance, sich eine Antwort zusammen zu suchen, denn noch während er mit offenem Mund starrt, schiebt sich Sasuke an ihm vorbei und verschwindet auf die andere Seite der Straße.       Natürlich ist Sasukes Handy ausgeschaltet. Wahrscheinlich ist der Akku leer und es liegt irgendwo vergessen und ignoriert im Zimmer herum. Sasuke sollte besser nie Kinder haben, jedenfalls wenn es nach Naruto ginge, denn die würden sicher genauso vernachlässigt wie das Handy oder die bemitleidenswerte Topfpflanze, die Naruto ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat und seither als Aschenbecher missbraucht wird.   Es ist nicht das erste Mal, dass sich Sasuke einfach umdreht und geht und ihn mitten auf der Straße stehen lässt. Eigentlich passiert das häufiger. Aber meistens kommt er dann nach ein paar Stunden doch wieder zurück nach Hause und ignoriert ihn eben dort. Jetzt ist es Viertel vor Neun, die Pizza wird langsam kalt und Naruto fängt an, sich Sorgen zu machen.   Irgendwann hat er genug davon, tatenlos herumzusitzen und schnappt sich seine Jacke, bevor er zur Tür heraus stürmt. So hat er sich seinen Abend eigentlich nicht vorgestellt, einsam durch die Stadt zu irren anstatt mit Sasuke zusammen auf dem Sofa zu liegen, aber es bleibt ihm ja nichts anderes übrig, auch wenn er keine Lust darauf hat. Die Straßen sehen im Laternenschein alle gleich aus und es ist ihm mehr als bewusst, dass er keine reelle Chance hat, Sasuke in den nächsten Stunden zu finden, selbst wenn er davon ausgeht, dass er nur zu Fuß unterwegs war. Aber die andere Option ist, zu warten und darauf zu vertrauen, dass sich Sasuke wie ein vernünftiger Mensch benimmt, und Naruto weiß, wie katastrophal das enden kann. Er muss die Sache sofort gerade rücken und nicht erst morgen oder in ein paar Tagen, wenn nur noch darüber geschwiegen wird. Bisher hat er allerdings noch keine richtige Ahnung, was er ihm eigentlich sagen will, und nachdem er zum dritten Mal an derselben Kreuzung landet, mischen sich unter seinen Missmut auch langsam die Zweifel, wieso er sich das überhaupt antut, wieso er Hinata für so viel Ärger und Ballast aufgegeben hat, aber die Gedanken schüttelt er schnell aus seinem Kopf, denn das ist nur der Frust, der sich zu Wort meldet, und er weiß, dass die guten Momente mit Sasuke alles andere aufwiegen können.   Seine Odyssee durch Ostlondon führt ihn schließlich an einen Kanal; er kann das weiche Echo des Wassers hören, das unter der Brücke hin und her schwappt, und die zaghaften Geräusche von jemandem, der weint. Neugierig tastet er sich an dem kühlen Backsteingemäuer entlang, aus dem Schatten heraus auf den besser beleuchteten Uferweg. Im Laternenschein kauert ein Mädchen mit angezogenen Knien auf einer Parkbank und schluchzt herzzerreißend. Sasuke sitzt weiter hinten und wirft Steine ins Wasser. Der Kanal ist nicht breit genug, um sie hüpfen zu lassen, deshalb versinken sie mit einem schweren Gluckern in den Untiefen der schlammig-braunen Brühe.   Unter anderen Umständen hätte Naruto sich wahrscheinlich zu dem Mädchen gesetzt und gefragt, was sie so traurig macht, aber jetzt kann er ihr nur einen mitleidigen Blick im Vorbeigehen zuwerfen. Sasuke ist ein bisschen wichtiger, auch wenn er immer noch völlig unberührt Steine in den Kanal schnickt und starr geradeaus guckt, obwohl er Naruto längst bemerkt haben muss.   "Hier bist du also."   Ein kurzes Flickern mit den Augen, ein Zucken in der rechten Hand und Naruto hat Angst, dass der nächste Stein seinen Kopf als Zielscheibe haben wird.   "Hey", versucht er es noch einmal und tritt sanft gegen Sasukes Fuß. "Ich hab den ganzen Abend nach dir gesucht."   Aber Sasuke dreht nur leicht den Kopf weg und scheint immer noch zu hoffen, dass Naruto einfach verschwindet, wenn er ihn lange genug ignoriert. Zögernd setzt dieser sich neben ihn mit einem kleinen Sicherheitsabstand und schaut auf die durcheinandergebrachte, schwarze Wasseroberfläche vor ihnen. Und nun, wenn sie sich nicht berühren, reden oder er sein Bestes gibt, um zu entziffern, was Sasukes Augen ihm sagen wollen, weiß er nicht, was er tun soll. Also bleibt er einfach sitzen und wartet geduldig auf eine Reaktion. Ein Seufzen, und dann verzögert:   "Ich kann dir echt nicht entkommen, huh?"   "Nein. Niemals. Egal wo du hingehst, ich finde dich früher oder später", antwortet Naruto aufrichtig und zuckt zusammen, sobald die Worte seinen Mund verlassen haben. So sollte das nicht klingen, wie ein Stalker oder Serienkiller, sondern romantisch, zwei Teile eines Ganzen, ein roter Faden an seinem Finger und am anderen Ende ist Sasuke. Er will damit nicht sagen, dass er ihn nie in Ruhe lassen wird, aber wenn Sasuke verloren ist und ihn braucht, dann würde er Himmel und Erde in Bewegung setzen, um ihn zu finden. Normalerweise hat Naruto die Gabe, einfach drauf los zu reden und trotzdem die richtigen Worte zu finden. (Er sollte vielleicht bei einer Suizid-Hotline arbeiten.) Aber was er zu Sasuke sagt, ist immer das falsche oder zumindest nicht das, was er ihn eigentlich wissen lassen möchte. Dafür sind mehrere Anläufe nötig und fatale Missverständnisse und am Ende des Tages kann er sich trotzdem nicht ganz fehlerfrei ausdrücken, ein paar Lücken in der Übersetzung bleiben immer.   "Ich, uhm, ich will nicht, dass sich was ändert", murmelt Naruto irgendwann nach ein paar Minuten des Schweigens und kaut nervös auf seiner Unterlippe. "Das wird keine Beziehung, ja? Ich will den Sex und ich will dich, aber den Rest brauche ich nicht. Keine Verbindlichkeit, nichts Offizielles, kein Coming-Out vor den Familien und so. Ich meine, wenn du das willst, dann hab ich damit kein Problem, aber, was ich sagen will, es muss nicht sein. Ich denke, wir haben vorher gut funktioniert und eh, wozu etwas reparieren, das nicht kaputt ist?" Kapitel 16: Your happiest days ------------------------------ Es ist ein paar Tage her, seit Naruto beim längst überfälligen Aufräumen seiner Wohnung auf eine der unangetasteten Kisten gestoßen ist, in die er damals beim Auszug all die Dinge hineingeworfen hat, die er nicht mehr brauchen wird und vielleicht auch gar nicht mehr sehen will, und eine alte Kamera mit fast vollem Film darin findet. Er ist sich nicht sicher, was er damit anstellen soll, denn wenn die Bilder aus den letzten Jahren stammen, in denen es noch okay war, eine Analogkamera zu benutzen (und das tun sie ziemlich sicher), hat Naruto eine vage Ahnung, was das für Fotos sind und trotz sentimentalem Wert ist das nichts, was er sich gerne antun möchte.   Am Ende lässt er sich doch dazu überreden, sie zum Entwickeln zu bringen, denn seine Freundin gewinnt ein unnatürliches Interesse daran und er kann ihr nicht wirklich erklären, warum er so zögert.   "Das ist cool! Wie eine Zeitkapsel!", findet sie und ist aufgeregter als er, aber das ist auch nicht schwer, denn für sie ist es ein bequemer, unterhaltsamer Weg, Facetten aus seiner Vergangenheit zu entdecken, die sie nicht bereits aus Magazinen oder Erzählungen von Bekannten kennt, denn es gibt ein paar Kapitel, über die er nur ungern spricht (besonders mit ihr) und das ist eines davon.   "Wie alt sind die Bilder? Du siehst so jung aus! Und…—ah! Ist das Sasuke?", fragt sie, als sie über eines der wenigen Bilder stolpert, auf denen Sasuke tatsächlich in die Kamera schaut und man nicht nur einen Anschnitt oder Schatten im Hintergrund von ihm erkennen kann. "Er hat sich nicht viel verändert, oder? Das ist gruselig. Wer ist er, Dorian Gray?"   "Das… dürfte sechs Jahre her sein. Ziemlich sicher sogar."   So zu tun, als könnte er sich nicht genau erinnern, wäre eine lächerliche Lüge, wenn er jeden einzelnen dieser Momente exakt in seinem Gedächtnis abrufen kann. Denn sein Leben lässt sich am sinnvollsten unterteilen in vor, mit und nach Sasuke, und dort auf dem Hochglanzpapier ist einer der letzten Zeitpunkte abgedruckt, an denen wirklich alles gut war.   "Der Rest ist glaube ich so ziemlich dasselbe. Nichts, was man sich ansehen muss", wirft Naruto einen Takt später ein und nimmt ihr den Bilderstapel vorsichtig aus der Hand, bevor sie auf Fotos mit schlafenden Sasukes stoßen kann, die von der Bettdecke nicht mehr ausreichend verhüllt werden.   Es ist ein bisschen bitter, nach all den Jahren auf diese Bilder zu schauen und zu wissen, wie es ausgeht, dass es nicht mehr besser werden wird, und dabei dachte er, sie hätten noch ihre ganze Ewigkeit vor sich.   ...   Naruto gleitet in und aus seinem Schlaf in den frühen Stunden eines Montagmorgens. Das Bett ist warm und wunderbar weich und für eine Weile das einzige, was er von seiner Umwelt registriert. Aber er steht kurz genug vorm Aufwachen, dass ihn jede kleine Störung an die Oberfläche seines Bewusstseins tauchen lässt, so wie das fremde Bein, das sich um seine eigenen schlängelt und sein erster Instinkt ist es, zurückzuschrecken und Platz zu schaffen zwischen Sasukes schlafendem Körper und ihm selbst, ein lebensrettender Reflex, den er sich in den letzten Monaten antrainiert hat, aber dann erinnert er sich und es hat sich noch nie so gut angefühlt, erleichtert die Augen zu schließen und sich noch ein bisschen näher an Sasuke zu schmiegen.   Er hat nie eine direkte Antwort bekommen—nicht in Worten, jedenfalls, aber gestern in der Dunkelheit des Kanalufers hat seine Hand Sasukes gefunden und er hat sie nicht weggezogen, bis sie sich auf den Heimweg gemacht haben. Was vielleicht nur beschränkt aussagekräftig ist bei den meisten anderen Menschen, aber bei jemandem wie Sasuke, der im Default-Modus von gut gemeintem, gewaltlosem Körperkontakt zurückscheut, fällt es nicht schwer, etwas weniger 'Ich bin zu faul, meine Hand zu bewegen' und mehr von 'Ich will mein Leben mit dir verbringen' hineinzuinterpretieren. Spätestens als sich Sasuke danach widerstandslos von ihm ins Bett ziehen lassen hat, gab es keinen Grund mehr, noch von etwas anderem auszugehen.   Vielleicht ist es riskant, hoch hinaus in den Himmel zu bauen, solange das Fundament brüchig ist und es gibt so viele Dinge, die schief gehen können, weil er sich nicht eine Sekunde lang mit der Packungsbeilage zu seinen Gefühle befasst hat und aus Sasuke keine Stellungnahme herauslocken konnte, wahrscheinlich auch nie kann, aber das Funktionieren, woran er mit jeder Faser seines hartnäckigen Optimismus geglaubt hat, stellt sich vor seinen eigenen Augen ein und Naruto hat sich noch nie so frei von Ballast gefühlt. Wenn sich eine Meinungsverschiedenheit anbahnt, küsst er Sasuke einfach die Worte aus dem Mund und was auch immer das Problem war, ist nie wichtig genug, um sich danach noch daran zu erinnern.   Dabei hat sich ihr Alltag kaum verändert; wenn Naruto morgens aufsteht, rollt er sich so leise wie möglich aus dem Bett, um Sasuke nicht zu wecken, und für den seltenen Fall, dass Sasuke früher wach ist, klettert er ohne Rücksicht auf Verluste über Naruto drüber; Platz für morgendliches Kuscheln oder einen Dornröschenkuss ist nie. Zielgerichtete Berührungen werden erwidert, und wenn sie allein sind und Sasuke zu müde, um sich wegzudrehen, lässt er auch zärtliche Gesten zu, aber Naruto weiß trotzdem, dass er vermutlich blaue Flecken riskieren würde, wenn er so etwas Kitschiges versucht wie beim Spazierengehen Händchen zu halten. Ihre Dynamiken schwanken irgendwo zwischen reinplatonischen Mitbewohnern und einem frischverliebten Pärchen, das nicht genug voneinander bekommen kann (wobei das Flitterwochen-Gefühl vielleicht ein bisschen mehr von Naruto ausgeht) und das sollte ihn irritieren, diese erbarmungslosen Kontraste, aber irgendwie macht alles mehr Sinn als jemals zuvor. Die Puzzleteile fügen sich langsam zusammen, lassen vage, zaghafte Ahnungen zu, wie das fertige Bild einmal aussehen wird, und Naruto würde seine Hand darauf verwetten, dass es das größte und beste und schönste sein muss, was er in seinem Leben je sehen wird, und solange er noch atmet und bei Sinnen ist, wird er nicht zulassen, dass irgendetwas es ruiniert.   Manchmal kommen Shikamaru und Chouji zu improvisierten Proben, wenn man sie so nennen kann, denn für richtiges gemeinsames Spielen ist kein Platz und für Choujis Drumset sowieso nicht. Aber Absprachen werden getroffen, die zwei zusätzlichen Instrumente Song für Song integriert und Naruto ist erleichtert zu sehen, wie Sasuke warm wird, den letzten Rest Skepsis zwar  noch nicht ablegen kann, aber seine Ideen trotzdem in all ihren Details vor ihnen ausbreitet.   Noch ist ihre Band ein bisschen zusammengewürfelt und weit davon entfernt, als die Einheit zu funktionieren, die Naruto gerne hätte, doch das wird schon, solche Dinge brauchen eben Zeit, spricht er sich zu, und es könnte auch sehr viel schlechter laufen. Sasuke und Shikamaru respektieren sich immerhin auf technischer Ebene und diskutieren gerade ein paar Basslines, während Naruto mit Chouji zusammensitzt und Lieferservice-Flyer durchforstet.   "Soll ich ehrlich zu dir sein?", setzt er auf einmal an und schreckt Narutos gedankenlosen Blick von Sasuke auf, der quer durch den Raum betrachtet ein klein wenig fesselnder ist als die Speisekarte eines Asia-Restaurants vor seiner Nase. "Ich dachte nicht, dass das was wird. Ich meine, ich kenne weder dich noch Sasuke richtig, aber als ich euch vorgestellt wurde, dachte ich mir die ganze Zeit 'wow, wie hältst du es eigentlich mit ihm aus, ohne dass ihr euch die Köpfe einschlagt?'. Aber jetzt ist es eigentlich ganz cool."   "Hehe, es kommt bei Sasuke eigentlich nur darauf an, ob man einen guten oder schlechten Tag erwischt und du hast noch nie einen wirklich schlechten erlebt, glaub mir. In letzter Zeit hat er aber viele gute", antwortet Naruto mit gedämpfter Stimme, damit Sasuke auf der anderen Seite des Raumes nichts aufschnappen kann. "Es hat ewig gedauert, da hin zu kommen. Hab ich das schonmal erzählt? Als ich hier her gezogen bin, wollte ich unbedingt Gitarre spielen lernen und Sasuke war einfach der erste, dem ich begegnet bin, der das auch wirklich konnte. Ich hab Wochen gebraucht, bis er mich überhaupt in seine Wohnung gelassen hat, und er war nicht mal ein guter Lehrer, aber irgendwie hat trotzdem alles geklappt. Die Band hier überhaupt zu gründen war so ein Akt und darum bin ich mir auch sicher, dass wir es schaffen werden. Weil ganz im Ernst, so viel schwerer kann  alles andere gar nicht mehr sein."   Und das ist es, woran Naruto noch Monate glaubt, ein bisschen zu lange vielleicht, aber es gibt auch keinen Grund für ihn, das nicht zu tun, wenn alles so leicht ins Rollen gerät, obwohl er gewohnt ist, mit aller Kraft anzuschieben.   Ein geeigneterer Ort für ihre Proben wird auserkoren und niemand weiß so genau, wieso sie das nicht schon früher gemacht haben, denn Chouji wohnt bei seinen Eltern in einem Haus mit Keller, der in einen Proberaum umgewandelt werden kann und groß genug ist, um sie alle plus Instrumente unterzubringen. Mit der einen Konsequenz, dass Ino sich manchmal unangemeldet von Shikamaru mitnehmen lässt und Sasuke nichts dagegen tun kann, denn seine Dreistigkeit erstreckt sich zum Glück nicht darauf, Leute aus anderen Wohnungen als seiner eigenen zu werfen. Aber außer ihm hat niemand ein Problem mit ihrer Anwesenheit, die im Wesentlichen sowieso nur daraus besteht, dass sie zuschaut, ein bisschen um sie herumgeistert und gelegentliche (unkonstruktive, findet Sasuke) Kommentare einwirft.   "Aaw, ist das ein Liebeslied?", gurrt sie einmal, als Sasuke das Konzept eines Songs demonstriert, an dem er zuletzt etwas herumgeschraubt hat. Ihr entgeht leider, wie sich drohende Finsternis über seine Gesichtszüge legt, bevor sie weiterspricht. "Ich wünschte, jemand würde solche Lieder über mich schreiben! Um welches glückliche Mädchen geht es? Eine alte Flamme?"   "Was zum—?"   "Hey! Wieso gehen so viele davon aus, dass nur Sasuke die Songs schreibt? Das ist Teamwork gewesen! Und eigentlich soll es gar kein Liebeslied sein... denke ich?", springt Naruto schnell zur Rettung, um Sasuke nicht das Wort zu überlassen, und zieht ihn lachend an der Taille zu sich heran. "Außer Sasuke hat dabei an jemand Bestimmten gedacht, natürlich."   "Nein", antwortet dieser tonlos und drückt ihn von sich weg mit mehr Kraft als notwendig gewesen wäre, doch Naruto kann sich immer noch einreden, dass es nur die aneinandergestoßenen Gitarren sind, die ihn stören, und nicht sein Public Display of Affection.   Aber Ino hat auch hilfreichere Dinge zu sagen und Naruto schätzt ihre Anwesenheit insgeheim sehr, denn das bedeutet Zuspruch für ihn und Ausnutzen der Tatsache, dass sie meistens etwas mehr Durchblick hat. Leider kommt das nur wirklich dann zum Vorschein, wenn Sasuke abwesend ist und sie sich keine Mühe mehr geben muss, um ihm schöne Augen zu machen oder vergebliche Flirtversuche zu unternehmen.   "Habt ihr eigentlich schon mal darüber nachgedacht, wie es jetzt weitergehen soll?", wendet sie sich eines Tages an Naruto, während Sasuke und Shikamaru eine Raucherpause einlegen.   "Hm? Was meinst du?"   "Naja, euer nächster Schritt. Oder willst du mir erzählen, dass ihr vorhattet, einfach so weiter zu machen und zu warten, bis jemand kommt und euch unter Vertrag nimmt?"   "Uhm, ich weiß nicht, irgendwie schon", antwortet Naruto verunsichert und kratzt sich am Kopf. "Ich hab da nie drüber nachgedacht. Aber wenn du das so ausdrückst, klingt es irgendwie dumm..."   Es erinnert ihn ein bisschen an Sasuke, die Art, wie sie mit den Augen rollt und ihm auch ohne Worte versichert, dass es tatsächlich dumm klingt.   "Du willst das doch wirklich, oder? Solche Dinge darfst du nicht dem Zufall überlassen, sonst sitzt ihr in zehn Jahren noch hier. Sucht euch eure besten Songs raus, macht ein Demo draus und schickt das an alle Plattenfirmen, die ihr kennt, und vielleicht habt ihr Glück."   Das nimmt Naruto ein bisschen den Wind aus den Segeln, denn er möchte gar nicht darüber nachdenken, wie lange er weitergemacht hätte, ohne einen konkreten Schritt in Richtung seines Ziels zu setzen. Sein Verstand versorgt ihn tröstend mit dem Hinweis, dass sie noch nicht lange vollständig sind und auch in keinem Zustand, den man als eingespielt bezeichnen kann, aber das ist ja nichtmal nötig, Demos sind nicht da, um perfekt zu klingen. Dafür warten seit einem Jahr ganze Bände voller Lieder darauf, irgendwo festgehalten zu werden und mehr zu sein als ein paar Zeilen auf einem Blatt Papier und Griffabfolgen in den Köpfen von zwei Männern, die schon Schwierigkeiten haben, sich an ihre eigene Telefonnummer zu erinnern, jedenfalls wenn Naruto für sich selbst spricht. Für ihn ist es nichts Ungewöhnliches, wenn er Akkorde durcheinander wirft, aber manchmal beobachtet er auch, wie Sasuke blind nach den richtigen Tönen tastet und das macht ihm ein klein wenig Angst—dass etwas verloren gehen könnte, dass sie Perfektion mit den Fingerspitzen streifen nur um sie wieder entgleiten zu lassen.   Ein Kopfhörer wird mit einem Ruck aus seinem rechten Ohr gerissen und seine Gedanken sind wieder in der Gegenwart, in einem Bus neben Sasuke, der sich weggedreht hat, um der urbanen Szenerie vor seiner Fensterscheibe mehr Aufmerksamkeit zu schenken als Naruto. Langsam blinzelnd nimmt er das baumelnde Kabel wieder an sich, das sie gerade eben noch verbunden hatte, und zögert einen Moment.   "Ino meinte, wir sollen ein Demoalbum aufnehmen, das wir dann an Plattenfirmen schicken können", bricht er schließlich das Schweigen und trommelt seine Finger abwesend gegen die Seite von Sasukes Oberschenkel, für den Fall, dass seine Stimme allein nicht genug ist, um ihn aus seinen Tagträumen zu reißen.   "Ah."   "Macht irgendwie Sinn, oder? Ich hab da echt nicht dran gedacht", erklärt Naruto aufrichtig, auch wenn das vielleicht bedeutet, sich Spott über seine Naivität anhören zu müssen. Aber Sasuke sagt gar nichts dazu und sein Schweigen verrät, dass auch er nicht darauf gekommen ist oder einfach allgemein nicht so viele Gedanken da rein investiert. Naruto weiß nicht, was ihm lieber wäre. "Jedenfalls hat sie angeboten, sich nach einem geeigneten Tonstudio für uns umzusehen und ich hab ihr mein Okay gegeben, weil ich glaube, sie kennt sich da besser aus. Das ist in Ordnung für dich, oder?"   "Hmm."   Seufzend gibt sich Naruto mit dieser Nicht-Antwort zufrieden, obwohl er nicht sagen kann, ob Sasuke tatsächlich zustimmt oder es ihn einfach nur nicht genug interessiert, um den Mund aufzumachen. Sein Blick ruht immer noch auf den vorbeiziehenden Häuserfassaden; jahrzehntealte Backsteine mit bunten Neonschildern über Shopfenstern; und das macht er manchmal, sich in der Öffentlichkeit zurückziehen, wenn er vorher nicht genug Zeit hatte, mit seinen Gedanken allein zu sein. Immer öfter, seit Naruto mehr und mehr von seinem Tag in Anspruch nimmt. Gegen die Hand auf seinem Bein scheint er aber nichts unternehmen zu wollen.   Es ist manchmal immer noch eine Geduldprobe für Naruto; er kann ihm so nah sein, wie es physisch nur möglich ist—buchstäblich in ihm, aneinandergepresst bis kein Molekül mehr Platz zwischen ihnen hat—und trotzdem schmälert sich ihr Abstand kein bisschen. Der Abbau emotionaler Distanz wäre ihm viel lieber; barrierefreier Gedankenaustausch, heruntergerissene Masken, unversperrten Blick in Sasukes Innerstes, geteilte Freuden, Leiden und Träume. Aber an diesen Mauern wird er noch eine Weile zu meißeln haben, auch wenn ihn das später am Abend der Geruch von Sasukes Shampoo in seiner Nase und erhitzte Haut unter seinen Fingerspitzen leicht vergessen lassen.   Denn er hat mehr und besseren Sex als jemals zuvor in seinem Leben und er kann sich nicht ganz dagegen wehren, was die Hormone mit seinem Kopf anstellen. Will er auch gar nicht. Obwohl es ihn manchmal ein bisschen erschreckt, wie er zu diesem Punkt gelangt ist—er ist einundzwanzig Jahre alt und sich so sicher, dass er seine eine Person gefunden hat; eine Erkenntnis, die er gerne in die Welt hinausschreien würde, aber ebenso sehr damit zufrieden ist, es still in seinem Kopf zu wiederholen, wenn ihn die Wirklichkeit von alldem einholt.   Und es ist so seltsam, denn Sasuke ist nicht perfekt. Weit davon entfernt, eigentlich. Er hat Ecken und Kanten, an denen man hängen bleibt oder sich daran stößt, Spitzen, die sich unangenehm in die Haut bohren. Aber gerade das ist gut, das erzeugt Reibung und macht ihn griffig, wie es ein aalglatter Mr Perfect niemals sein könnte.   Sasuke ist nicht perfekt, aber Sasuke ist perfekt für Naruto und das ist fast dasselbe. Kapitel 17: At the palace gates ------------------------------- Es ist ein kleines, ein bisschen schäbiges Tonstudio, das Ino für sie arrangiert hat. Kaum größer als ihr Wohnzimmer hat es wenig von der dichten kreativen Atmosphäre, die sich Naruto bei den namhafteren Vertretern immer vorgestellt hat, aber für professionelle Aufnahmen können sie ja auch warten, bis sie einen Vertrag in der Tasche haben und das dann irgendwelche reichen Plattenbosse zahlen. Er steht trotzdem motivierter und wacher da als jeder andere in dem Raum, denn ihm fallen nur wenig Dinge ein, die er lieber tun würde, als stundenlang seine Songs zu spielen und am Ende des Tages eine Quittung für sein Potential zu bekommen, die er jedem Zweifler in die Hand drücken kann, der seine Karriereplanung noch belächelt. Auch Chouji und Ino sehen gut gelaunt aus, Shikamaru so, als wäre er gerne woanders, aber das tut er eigentlich immer und Naruto achtet schon gar nicht mehr darauf. Sasuke schwebt irgendwo jenseits von alldem, vielleicht ist es der Kontakt mit zu vielen Menschen zu früh am Morgen, vielleicht stört es ihn auch noch immer, dass das Glück nicht auf seiner Seite war, als er mit Naruto eine Münze geworfen hat, um letzte Differenzen bei der Songauswahl beizulegen, aber wenn er wirklich nicht hier sein wollte, wäre er das auch nicht. Ein Tontechniker weist sie kurz ein und hilft ihnen, ihre Instrumente richtig zu verkabeln, bevor sie anfangen dürfen, und Naruto kann nicht ganz glauben, dass jemand sowas als Mühe bezeichnen würde, auch wenn die Stimmung zäher wird, je länger sich die Aufnahmen strecken. Es geht nicht ganz so schnell voran wie eigentlich angenommen und mit jedem verpatzten Take sieht Sasuke ein wenig unentspannter aus, aber er hat bis jetzt noch niemanden beleidigt und dafür muss ihm Naruto Respekt zollen. Mehr als einmal verpasst jemand seinen Einsatz, verspielt sich oder lässt sein Plektrum fallen, aber auch Sasuke ist nicht immer so textsicher, wie er es gern wäre. Naruto schafft es irgendwann nach mehreren Stunden ununterbrochenem Spielen, mit seinen Füßen an einem Kabel hängen zu bleiben und fällt scheppernd gegen den Mikrofonständer vor ihm. "Fuck, sorry, das müssen wir nochmal machen", murmelt er schuldbewusst und vermeidet es, in Sasukes Richtung zu sehen, während er das Mikro wieder aufrichtet und in Position rückt. "Wollen wir nicht mal 'ne Pause machen? Ich hab Hunger", wirft Chouji ein, als hätte er nur auf die Unterbrechung gewartet, vielleicht hat er das auch, und Naruto dreht sich strahlend zu ihm herum. "Das ist eine tolle Idee!" "Keine Pause", entgegnet Sasuke. "Wir zahlen pro Stunde." "Oh..." "Ich zahl die halbe Stunde, wenn ich dafür endlich was essen kann." Sasuke scheint einen Moment zu zögern, aber dann zuckt er schließlich mit den Schultern und nickt. "Okay, von mir aus." "Oh Gott, danke! Ich glaub, ich hab schon seit zehn Minuten 'nen Krampf in der Hand", ruft Naruto erleichtert und massiert seine geschundenen Muskeln. Von der Gitarre hat er sich schneller befreit als jemals zuvor in seinem Leben und achtlos an den nächstbesten Verstärker gelehnt. Das ist nichts, was er normalerweise tut, denn eigentlich zählt er sie zu seinen wertvollsten Besitztümern, auch wenn sie schon ein paar Kratzer im Lack hat und lockere Buchsen und genaugenommen nicht mal ihm gehört, aber gerade lässt die Perspektive auf eine halbvolle Flasche Wasser ihn das vergessen. Als er sich das nächste Mal umsieht, hat sich der Raum bereits geleert, einzig Sasuke sitzt auf einem Sofa in der Ecke mit geschlossenen Augen und zurückgelehntem Kopf. Dafür, dass er zuerst protestiert hat, sieht er sehr danach aus, als hätte er die Pause am nötigsten, aber eigentlich tut er das immer. Obwohl die tiefstehende Nachmittagssonne sein Gesicht weicher macht, hat er Ringe unter den Augen, die nie wirklich weggehen, auch wenn er sich mehr Schlaf nimmt als er braucht, und seine Haut ist viel zu blass, weniger Porzellanteint und mehr ungesunde Variante. Naruto findet es trotzdem schwer, seinen Blick abzuwenden. "Ich schwöre, ich werde morgen bestimmt meine Arme nicht mehr bewegen können", beschwert er sich auf dem Weg zu Sasuke herüber, der zwar nicht den Eindruck macht, als würde er sich über Gesellschaft freuen, aber das hält Naruto nicht davon ab, sich neben ihm niederzulassen. "Erzähl keinen Mist." "Doch, wirklich. Schau dir meine Finger an, diese Saitenabdrücke werden niemals wieder verschwinden!", quengelt er weiter und streckt seine Hände Sasuke entgegen, damit er den Schaden begutachten kann. Widerwillig öffnet dieser die Augen und wirft ihm daraus aber lieber einen irritierten Blick zu als sich irgendetwas anzusehen. "Bist du dir sicher, dass du weißt, worauf du dich einlässt? Wenn alles so läuft, wie du es dir vorgestellt hast, wirst du sowas noch sehr viel öfter machen. Du kannst es dir immer noch anders überlegen." Naruto blinzelt verständnislos. "Versuchst du gerade ernsthaft, mir irgendwas auszureden?", fragt er ungläubig und vielleicht auch ein kleines bisschen verärgert, denn wenn es jemand besser wissen sollte, dann definitiv Sasuke. Das letzte Mal hat diese Diskussion in Streit und einem merkwürdigen Kuss und eintägiger Funkstille geendet, Narutos Erinnerungen daran sind noch sehr lebendig, aber seitdem schien das Thema eigentlich keins mehr zu sein. "Ich dachte, wir wären uns inzwischen einig? Ich hab zwar keine Ahnung, worauf ich mich einlasse, aber das hab ich allgemein nicht und meistens komme ich ganz gut klar." Und anscheinend hat Sasuke nichts dagegen einzuwenden, denn er antwortet mit einem Schnauben und so etwas wie ein Lächeln, auch wenn es im Profil nicht ganz identifizierbar ist. Naruto entspannt sich, als er merkt, dass Sasuke eigentlich gar keine Wellen schlagen wollte. Vielleicht ist er ein bisschen überempfindlich, vielleicht sind es noch die Restreflexe aus einer Zeit, in der fast jedes Wort aus Sasukes Mund der Funken zum Entzünden eines Pulverfasses hätte sein können. Aber es ist besser geworden, inzwischen, die rauen Stellen haben sich abgeschliffen und er ist nicht mehr der einzige, der einlenkt, bevor es zu einem offenen Konflikt kommen kann. Mit müden Augen lehnt Naruto seinen Kopf zurück, schmiegt seine Wange an den nicht mehr ganz weichen Bezug der Couch und schaut zu, wie Sasuke sich windet, um eine zerbeulte Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche zu ziehen. Er steckt sie sich an mit immer noch demselben pinken Glitzerfeuerzeug, oder vielleicht ist es auch ein anderes aus der Packung, das Naruto jedes Mal zum Lächeln bringt. Es ist lange her, seit er zuletzt versucht hat, etwas gegen Sasukes Rauchgewohnheiten einzuwenden, besonders in Gebäuden, aber im Aufnahmeraum riecht es ohnehin so, als hätte der Besitzer kein Problem damit. "Hey Sasuke." Grinsend entwendet Naruto die Zigarette von ihrem rechtmäßigen Platz zwischen Sasukes Lippen und zieht selbst daran, denn indirekte Küsse sind das einzige, was er stehlen kann, ohne mit Gegenwehr rechnen zu müssen. "Ich dachte, du rauchst nicht?", fragt Sasuke in amüsierter Verwirrung, aber er verzichtet darauf, sich zurückzuholen, was ihm genommen wurde. Naruto zuckt mit den Schultern und legt seine Beine über Sasukes Oberschenkel. "Vielleicht sollte ich damit anfangen", überlegt er semi-ernst. "Nicht dass du frühzeitig stirbst und ich den Rest meines Lebens alleine absitze. Wenn du dich ruinierst, müsste ich das eigentlich auch tun." Narutos Lachen hallt ein bisschen deplatziert und verstummt abrupt als sich Sasukes Gesichtsausdruck verdüstert, und er wünscht sich, besser nichts gesagt zu haben. Auch wenn es nur ein Scherz sein sollte, schwingt in seinen Worten genug Wahrheit mit, dass Naruto praktisch die Alarmglocken hören kann, die in Sasukes Kopf schellen. Unsicher schaut er zur Seite und nimmt einen Zug von der Zigarette, die er in seiner Hand fast vergessen hat, um irgendetwas zu tun zu haben. "Seh ich wenigstens cool dabei aus?", versucht er das Thema zu wechseln und posiert ein bisschen, als er Sasukes Blick immer noch auf sich spürt. "Du siehst aus wie ein Idiot mit 'ner Kippe in der Hand." "Aw, Sasuke, du verletzt mich!", ruft Naruto theatralisch und lässt sich in seiner besten Impression von Todesqualen halb gegen die Sofalehne, halb gegen Sasukes Schulter fallen, in die er sein Gesicht vergräbt. Die Mischung aus Waschpulver und Rauch, nach der Sasukes Kleidung immer duftet, vermischt sich mit dem muffigen Geruch der Couch und Narutos eigenem Atem. "Ich hatte mir eigentlich ein bisschen Rockstar-Ästhetik und so erhofft, du weißt schon." "Bei deinem Gesicht können alle Zigaretten der Welt nicht helfen." "Lüg nicht. Du liebst mein Gesicht", grinst Naruto und ist so kurz davor, den Beweis dafür einzufordern, so kurz davor zu vergessen, wo sie sind und dass es eigentlich eine stumme Übereinkunft gab, den weniger platonischen Teil ihrer Beziehung nicht hinaus in die Öffentlichkeit zu tragen, aber Naruto kann fast das Blut in Sasukes Halsschlagader pulsieren hören und er müsste sich nur so viel bewegen, um seinen Nacken zu küssen, sein Schlüsselbein, die Unterseite seines Kiefers— "Braucht ihr noch 'ne Minute?", unterbricht Shikamarus schroffe Stimme den Moment und Naruto dreht sich um zu drei Augenpaaren, die auf sie gerichtet sind. Verwirrt blinzelnd nimmt er ein wenig Abstand. "Ah nein, alles super, wir können direkt weitermachen!", winkt er lachend ab und springt vom Sofa auf mit einer Energie, die er eigentlich gar nicht mehr haben dürfte. Sasuke folgt ihm einen Takt später. 'Hab Geduld, das wird schon' hat Ino gesagt, 'Warte halt ab' meinte Sasuke dazu, aber zwei Monate reichen, findet Naruto, um sich die fünf Titel auf ihrer Demo-CD anzuhören und festzustellen, dass so etwas Vielversprechendes unbedingt an die Öffentlichkeit muss. Doch anscheinend sieht das nicht jeder so (oder zumindest nicht die Leute, auf die es ankommt), denn als er endlich genug vom Warten hat und nachhakt, muss die Dame am Telefon entschuldigend zugeben, dass er nach über zehn Wochen eigentlich nicht mehr mit einer Antwort zu rechnen braucht. "Hast du gedacht, dass es gleich beim ersten Anlauf funktioniert? Sowas braucht Zeit", versucht Sasuke uninspiriert, etwas gegen Narutos Niedergeschlagenheit zu tun, aber vielleicht war das auch gar nicht seine Absicht, denn er gibt sich keine richtige Mühe und es hilft auch nicht wirklich. "Das hat Ino auch schon gemeint. Aber ich will nicht länger warten." "Major Labels sind eh scheiße. Versuchen wir es einfach woanders", schlägt er schulterzuckend vor und Naruto kann nicht sagen, ob es Optimismus ist oder fehlendes Interesse, das aus Sasuke spricht. "Hm, ja, vielleicht probieren wir es lieber mit einem kleineren…" Und so beginnt ein langer Sommer des Wartens, der zuerst kaum spürbar ist und dann mit einem Mal ihre Wohnung bis tief in die Nacht hinein in eine Hölle aus verschwitzten Bettlaken, abgestandenen Getränken und stickiger Luft verwandelt. Rettung offenbart sich Naruto in Form eines kaum benutzten Dachausstiegs, durch den er mit Sasukes Hilfe und viel Gewalt seine inzwischen überflüssige Matratze hinaufzwängt, um wenigstens abends abzukühlen und unter freiem Himmel zu schlafen, bis die Sonnenstrahlen hartnäckig genug werden, um sie zu wecken. Es ist ein völlig neues Bild, das sich vor ihm ausbreitet; zwar im Grunde nichts, was er noch nie gesehen hat, aber die Perspektive ist eine andere und Visionen fluten Narutos Kopf von improvisierten Grillpartys, akustischen Rooftop Concerts und langen warmen Nächten mit nichts als dem lichtverschmutzten Stadthimmel über ihnen. Nur sie beide gegen den Rest der Welt, gegen ihren Vermieter, der sie sofort wieder da runterholen wird, sobald er etwas mitkriegt, gegen all die Plattenfirmen, die sich noch immer nicht gemeldet haben. Zusammen sind sie unantastbar, hier oben, über den Dächern der Stadt, auch wenn es genug höhere Gebäude in der Umgebung gibt, die seine Sicht versperren—es ist die Spitze seiner Welt und Verheißung weht ihm mit der lauen Abendluft ins Gesicht. Naruto ist fast zu betrunken, um noch irgendetwas mitzukriegen oder sich morgen an die Einzelheiten zu erinnern, aber seine motorischen Fähigkeiten reichen aus, um ein paar einfache Akkorde hinzuklimpern und dazu mehr oder weniger gerade zu singen. Über ihm schwebt der pechschwarze Nachthimmel—ohne Sterne, dafür mit Flugzeugen und das ist ja fast genauso gut. Sasuke versucht sich gerade an einem Solo; es klingt schmutziger als sonst, aber das merkt keiner von beiden. "Woah, Sasuke, schau mal, eine Sternschnuppe!", bricht Naruto mittendrin ab und lässt sich rückwärts in die Kissen fallen. Sasukes Gitarrenklänge verstummen und er mustert Naruto, der zu sehr damit beschäftigt ist, seine Finger nach dem einzigen Lichtfleck am Himmel auszustrecken, bevor er zögerlich sein Instrument beiseite legt und sich neben ihm niederlässt. “Das ist ein Flugzeug, du Idiot. Oder ein Satellit oder so.” “Oh”, macht Naruto unintelligent und lässt seinen Arm wieder sinken. "Kann ich mir trotzdem etwas wünschen?" "So viel hattest du gar nicht zu trinken, dass es den Bullshit rechtfertigt, den du laberst." "Unterschätz mich nicht!", lacht Naruto, und lacht und lacht etwas leiser… bis es irgendwann nur noch ein bröckelndes Kichern ist, das schließlich ganz verebbt. Für einen kurzen Moment streifen Sasukes Finger seinen Handrücken und Narutos Herz flattert, aber er kann nicht genau sagen, ob es Versehen oder Absicht war und wagt nicht, die Geste zu erwidern. Romantik ist nicht Sasukes Ding, Händchenhalten, Kuscheln, alles, was zu ruhig und zu nah ist und die Gedanken nicht ausreichend trübt. Manchmal ist es schwer, das zu vermeiden, wenn die Dinge von alleine an ihre richtigen Plätze fallen—ein bisschen wie jetzt, findet Naruto, und es gibt nicht viele Situationen, für die er selbst mit viel Fantasie und gutem Willen das Wort ‘romantisch’ verwenden würde, aber wenn er still ist, kann er Sasukes Atem hören und sein eigenes pochendes Herz, das die meisten anderen Geräusche übertönt, und in dieselbe Finsternis schauen, die sich über ihnen wölbt. "Woran denkst du?", flüstert er vorsichtig und neigt seinen Kopf, damit er Sasuke ansehen kann. "Stell nicht so dumme Fragen." "Das ist eine vollkommen normale Frage!" "In Hollywood-Klischees vielleicht." "Ugh, mach es doch nicht so schwer…", murmelt Naruto, während er sich ohne Vorwarnung auf ihn rollt und ihm die Proteste von den Lippen küsst, bevor sie sich richtig materialisieren können. Es ist ein bisschen einfacher, Sasuke zum Fallenlassen zu animieren, wenn er angetrunken ist, und die Hand auf seiner Brust, die ihn eben noch auf Distanz halten wollte, krallt sich in sein Shirt, um ihn näher heranzuziehen. Irgendwann reagiert er mehr als er denkt, klammert sich an Naruto wie ein ertrinkender Mann, und es ist inmitten von Alkoholrausch und verklärender Erregung, als er Sasukes Blick einfängt und sich darin ein ganzes Sternenmeer spiegelt. Als Sasuke in den Himmel schaut, sieht er nichts. "Ich dachte immer, dass es komisch werden würde", flüstert Naruto irgendwann nach einer so langen Weile, dass Sasuke eigentlich schon glaubte, er würde schlafen. Sein Atem war ruhig genug um sich davon täuschen zu lassen, und auch jetzt kommen die warmen Luftstöße ganz gleichmäßig. "Was?", fragt Sasuke schläfrig nach, obwohl er eine vage Ahnung hat, worauf das ganze hinaus soll. "Das, wir." Und es ist nichts, worüber er sich Gedanken machen will. "Keine Ahnung." Naruto seufzt leise in seinen Nacken hinein und justiert den Griff um Sasukes Oberkörper zurecht. Er versucht gar nicht erst zu verbergen, dass das nicht die Antwort ist, die er hören wollte (das ist sie meistens nicht), aber es ist auch gar nicht Sasukes Job, zufriedenstellende Antworten zu geben oder über Gefühle zu reden oder irgendetwas anderes von der Checkliste für erfolgreiche Beziehungen abzuhaken. Narutos Handflächen schmirgeln über seinen Brustkorb, aufgeraut von zu viel Gitarre spielen, und die Muskeln darunter verknoten sich. "Ich hatte vorher noch nie etwas mit einem Kerl", gibt er zu als wäre es eine neue Information und Sasuke fühlt sich erinnert an einen ihrer besonders denkwürdigen frühen Versuche, als Naruto es vielleicht ein bisschen zu eilig hatte und auf Sasukes Flüche nicht mehr schnell genug reagieren konnte, um einem reflexhaften Tritt ins Gesicht auszuweichen, und sich am Schluss beide unter Schmerzen gewunden haben. "Ich weiß." "Was ist mit dir?" Vage wundert es ihn, dass Naruto erst jetzt anfängt, solche Fragen zu stellen, aber vielleicht hat er sie auch schon früher gestellt und Sasuke ihm nur nicht zugehört. Seufzend befreit er sich von Narutos Umarmung und seinen rastlosen Fingerspitzen, die abwesende, irritierende Muster auf seinem Oberkörper entlanggefahren sind. Auf der kleinen Matratze ist nicht viel Platz zum Ausweichen, aber Naruto versteht auch so genug, um sich nicht wieder anzuschmiegen. "Ich war fast zehn Jahre lang auf einem Jungeninternat. Da passieren Dinge." "Echt?", hakt Naruto nach und es ist nicht zu überhören, dass gerade sein Interesse geweckt wurde. "Was für Dinge?" "Dinge halt. Harmlose Sachen. Das sind ein paar hundert Jungen, die den ganzen Tag nichts anderes sehen und Alkohol ist leichter reingeschmuggelt als ein Mädchen." "Haha. Wow. Also stimmen die Klischees? Ich glaube, ich wär echt gern dabei gewesen." "Sei froh, dass du's nicht warst." "Oh. Keine schönen Erinnerungen?", spricht Naruto das Offensichtliche aus und es ist erstaunlich, findet Sasuke, wie er immer wieder Gesprächsthemen finden kann, die ihm schon nach wenigen Wortwechseln zu anstrengend werden. Dabei ist das keine Kunst, wenn er ehrlich mit sich ist, und im Grunde ist Naruto sogar der einzige, der überhaupt mit Antworten rechnen darf, aber das ist er auch in jeder Menge anderer Hinsichten. "Wieso eigentlich Internat?" Sasuke seufzt als er warme, erwartungsvolle Atemzüge in seinem Nacken spürt, die eigentlich nicht da sein sollten, wenn Naruto an seinem Platz geblieben wäre. Es ist kein Raum mehr übrig für ihn, um etwas dagegen zu tun, und nur noch eine Frage der Zeit, bis er von der Matratze rollt, weil er dem Balanceakt auf der Kante nicht länger standhalten kann. "Meine Familie ist früher oft umgezogen. So konnte ich mir die Schulwechsel sparen", erklärt er in so wenigen Worten wie möglich und gerade leise genug, um nicht bitter zu klingen. "Das wusste ich alles gar nicht…" Naruto scheint aufrichtig überrascht und Sasuke würde mit den Augen rollen, wenn er sie nicht geschlossen hätte. "Ich hab es ja auch nie erwähnt." Und dabei hätte es genau so gut bleiben können, findet Sasuke, und hofft, dass das Gespräch sein natürliches Ende gefunden hat. Narutos Arm legt sich einmal mehr um seine Taille, schwer und drückend, aber ohne verbliebene Auswege hat er keine andere Wahl, als sich der unwillkommenen Nähe zu ergeben. Kapitel 18: The world won't listen ---------------------------------- Es ist ironisch, findet Naruto, wie zeitlos sich die lauen, unbekümmerten Nächte auf ihrem Dach angefühlt haben, wenn sie schon wenige Tage später auf ihr abruptes Ende treffen, als die regnerische Zeit des Sommers anbricht und tagelange Wolkenbrüche das Klima zwar angenehm herunterkühlen, es aber drückend und trist zurücklassen. Mit einem Regenschirm bewaffnet, der eigentlich Sasuke gehört und der letzte seiner Art war, trottet er über das nasse Straßenpflaster auf dem Heimweg nach einem frustrierenden Tag. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, bei ein paar Plattenlabels persönlich nachzuhaken, denn außer Absagen direkt ins Gesicht hat sich nicht viel ergeben und er war nicht ganz darauf vorbereitet, wie sehr ihm das auf den Magen schlägt. Sasuke hat sich erfolgreich gedrückt und ihm wahrscheinlich auch irgendwo davon abgeraten auf seine "Mach, was du willst, aber mach es alleine"-Weise und es stört Naruto nicht einmal, dass er sich den ganzen Ernüchterungen und Rückschlägen alleine stellen musste, denn wenn er eines gelernt hat in seinen drei Jahren turbulenter Quasi-Freundschaft mit Sasuke, dann ist es, dass er auf moralische Unterstützung nicht zu hoffen braucht. Aber dennoch; wenn er seinen Blick hebt von dem kleinen Ausschnitt Gehweg, den er unter seinem Schirm sehen kann, die Straße vor ihm entlang in ihrer nass schimmernden Einsamkeit zu all den Häusern rechts und links, in deren Fenstern helle Zimmer leuchten, da wünscht er sich, Sasuke wäre jetzt hier. Jemand, der ihn ablenkt, von dem er ein paar verstreute Regentropfen wegbürsten kann, die auf seiner Jacke glänzen, den er unter einer Laterne küssen kann, nasse Lippen, die sich gegeneinander bewegen. Aber das würde Sasuke wahrscheinlich nicht mitmachen, wäre ihm zu schwul, zu romantisch.   Er kehrt nach Hause in eine leere, dunkle Wohnung. Die Vorhänge sind zugezogen und es sieht noch genauso aus wie heute Mittag, als Naruto das Haus verlassen hat, nur dass sich inzwischen ein weiterer Teller zu dem Stapel in ihrer Spüle gesellt hat, der schon seit über einer Woche nicht mehr angerührt wird. Im Grunde ist es ein kleines Kunstwerk und eine Meisterleistung der Raumnutzung, findet Naruto, aber langsam spielt sogar er mit dem Gedanken, etwas dagegen zu tun, bevor es sein eigenes Ökosystem entwickeln kann. Allerdings nicht heute, nicht solange er noch Wege finden kann, ohne Geschirr auszukommen, auch wenn das bedeutet, dass zum vierten Tag in Folge Instantsuppen auf seinem Speiseplan stehen. Eigentlich könnte sich genauso gut Sasuke darum kümmern, aber irgendwie ist das auch der Grund für den Zustand ihrer Wohnung, harmlose Prokrastination ist zu einem impliziten Kontest geworden, wer das Chaos am längsten erträgt, und Naruto ist sich noch nicht sicher, ob irgendjemand einen solchen Kampf gegen Sasuke gewinnen kann.   Dass sein Mitbewohner fehlt, macht sich nicht zuletzt an der abgeschlossenen Tür oder dem einen Schuhpaar weniger bemerkbar, das sonst verstreut auf dem Boden liegt. Vielleicht muss er arbeiten oder vielleicht ist er auch einfach nur in weiser Voraussicht geflohen, bevor ihm Naruto seine Klagelieder vorsingen kann; es ist nicht so, als würde er irgendetwas davon ankündigen. Also tut Naruto das nächstbeste, was ihm einfällt, und verbringt den Abend mit einem Plastikbecher Suppe und einer der Castingshows, die seit geraumer Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, während er versucht, sich nicht wie eine einsame Ehefrau zu fühlen, die bis spät in die Nacht auf ihren Mann wartet.   Naruto liegt längst im Bett, als er das Schloss knacken hört und kurz darauf die schlurfenden Schritte durch das Zimmer nebenan. Ein unterdrückter Fluch stört die monotonen Geräusche und Naruto kichert leise bei dem Gedanken daran, dass Sasuke wahrscheinlich über seine eigenen Schuhe gestolpert ist, weil er keine Lust hatte, das Licht anzuschalten. Die Tür zum Schlafzimmer öffnet sich und Sasuke gleitet in einer fließenden Bewegung hinein, die man fast als heimlich bezeichnen könnte, würde das Scharnier nicht so verräterisch quietschen.   "Wie ist es gelaufen?", fragt er ohne Naruto anzusehen und erst nachträglich flackert sein Blick zu ihm herüber, um sich zu vergewissern, dass er noch nicht schläft. Im fahlen Straßenlicht zeichnet sich seine schmale Silhouette ab, hängende Schultern, nasser Glanz in den Haaren, der verrät, dass Sasuke seinen Schirm wohl vermisst hat. Ein Wassertröpfchen landet auf Narutos Unterlippe, als er sein Shirt über den Kopf zieht und sich trockenschüttelt.   "Nicht gut. Der eine hat mir die CD sogar wieder zurückgegeben. Er meinte, es wäre nicht schlecht, aber sie glauben nicht, dass sie damit was anfangen können."   "Und die anderen?"   "Die konnten sich gar nicht mehr an uns erinnern", seufzt Naruto und rutscht ein Stück, als sich Sasuke zu ihm legt. "Aber lass uns über was anderes reden. Das deprimiert mich nur."   "Oder wir reden überhaupt nicht", schlägt Sasuke vor, aber er hält immer noch trägen Augenkontakt zu Naruto anstatt sich wegzudrehen. Vor einiger Zeit noch wäre das nicht so abgelaufen, vor ein, zwei Jahren hätte er noch gemeint, was er gesagt hat und die Konversation eigenmächtig für beendet erklärt, aber das ist zu einem Relikt der Vergangenheit geworden und es ist so entspannend, wieviel leichter er es ihm macht. Kein Kampf um ein kurzes Gespräch mehr, kein Bangen vor den Konsequenzen ungefilterter Liebesbekundungen—auch wenn Sasuke faktisch immer noch keine Sozialkompetenzen hat, aber das macht seinen eigenwilligen Charme irgendwie aus.   "Nächste Woche ist dein Geburtstag", wirft Naruto plötzlich ein; er weiß noch nicht ganz, worauf er hinaus möchte, aber es ist ihm gerade wieder eingefallen und manchmal scheint es so, als müsste Sasuke daran erinnert werden.   "Ich weiß."   "Feierst du?", fragt er nach und einen irritierten Blick von Sasuke später muss er einsehen, dass er sich die Antwort auch eigentlich selbst hätte geben können. "Warum nicht?"   "Was gibt es denn zu feiern?", grummelt Sasuke, überlegt es sich aber nochmal anders und formuliert um. "Ich feiere meinen Geburtstag schon seit Jahren nicht."   "Wirklich? So gar nicht? Das klingt echt traurig."   "An meinem neunzehnten war ich feiern, wenn dich das beruhigt. Und dann kam so ein Idiot und hat mir sein Bier übergeschüttet."   "Aw, das klingt ja echt mies", bekundet Naruto sein aufrichtiges Mitleid und überlegt, ob das vielleicht der Grund für diese Geburtstagsantipathie sein könnte, als sich Sasuke vollends zu ihm umdreht und ihm mit der Handfläche gegen die Stirn schlägt.   "Das warst du."   "Was? Im Ernst? Das war dein Geburtstag?", blinzelt Naruto überrascht irgendwo zwischen Lachen und Beunruhigung. Die Details des Abends sind nicht mehr alle präsent, aber er kann Sasukes  angriffslustigen Blick sehen, wenn er die Augen schließt, und den verschütteten Becher Bier auf glitschig schmutzigem Boden und seine isolierte Gestalt in der dunkelsten Ecke des Raumes. Im Grunde hat sich seitdem nicht viel verändert. "Das wird ja immer trauriger."   "Es ist nur irgendein Tag", seufzt Sasuke augenrollend und dreht Naruto dann endgültig den Rücken zu.   ---   Ganz kann Sasuke Feierlichkeiten in diesem Jahr aber doch nicht vermeiden, auch wenn es nur ein kleiner akustischer Gig ist, der am Abend vor seinem Geburtstag stattfindet und in erster Linie dazu dient, Naruto verdrängen zu lassen, wie düster es momentan für sie aussieht. So ernüchternd jede einzelne Absage von selbst den kleinsten Independent Labeln ist, so motivierend fühlt es sich an, live die Reaktionen von einem Publikum zu beobachten, das zumindest etwas Spaß an dem hat, was er so von sich gibt. Vielleicht sind es nur Zufälle, aber manchmal meint Naruto, ein paar Gesichter wiederzuerkennen.   Heute gesellen sich nach dem Auftritt sogar angetrunkene Gäste zu ihrem Tisch und geben ihnen eine Runde Bier aus. Naruto macht freudestrahlend Platz, um so viele Menschen wie möglich um sich zu scharen und sich in positivem Feedback zu sonnen, während sich Sasuke zusammengedrückt zwischen Naruto und der Wand wiederfindet, Gespräche abwimmelt und sich daran erinnern muss, dass Sozialisieren für eine erfolgreiche Musikkarriere wichtiger ist als er gerne hätte. Solange sein Glas voll ist, lassen sich die fremden Menschen zumindest tolerieren. Die Aufmerksamkeit geht in solchen Situationen ohnehin immer schnell auf Naruto über und das ist nicht das Schlechteste, was ihm passieren könnte, findet Sasuke. Win-Win für alle Parteien; eine Gelegenheit für Naruto, sich in Selbstdarstellung zu üben vor Leuten, die das auch tatsächlich interessiert, und die Möglichkeit, sich aus alldem auszuklinken für Sasuke.   Zu weit können seine Gedanken jedoch nie abdriften, bevor ein gelegentlicher Ellbogen in seine Rippen stößt, wenn Naruto beim Gestikulieren den Platzmangel vergisst und von Zeit zu Zeit verirrt sich auch mal eine Hand auf Sasukes Oberschenkel als kleine Erinnerung, dass ihn Naruto nicht vergessen hat, obwohl er ihm gerade uncharakteristisch wenig Aufmerksamkeit schenkt. Das ist nicht weiter tragisch, findet Sasuke und tut so, als hätte er eine Frage nicht gehört, die eindeutig in seine Richtung gestellt wurde, als plötzlich ein wedelnder Arm haarscharf an seiner Stirn vorbei streift.   “Pass doch auf“, grummelt Sasuke, aber Naruto winkt nur enthusiastisch fuchtelnd herum und hört ihm gar nicht zu.   “Hey Ino, hier sind wir!“, ruft er laut über die Geräuschkulisse des Pubs hinweg und ein paar Sekunden später entdeckt Sasuke sie dann auch, vermutlich zeitgleich mit dem Großteil der anwesenden Männer.  Ihre Haare sind etwas zu blond und ihr Rock etwas zu kurz, um übersehen zu werden, generell ist sie etwas zu sehr zurecht gemacht für einen spontanen Besuch in einem Pub. Vielleicht ist dieses Aufmerksamkeit-Anziehen auch einer der Gründe, weshalb er immer noch mit ihrer Anwesenheit fremdelt – neben ihren gelegentlichen Flirtversuchen, mit denen er nicht so recht umzugehen weiß – aber selbst Sasuke muss anerkennen, dass sie ohne ihre Hilfe nicht einmal eine funktionsfähige Band hätten.   "Hey, cool, dass du noch gekommen bist!", begrüßt Naruto Ino, als sie es zu ihrem Tisch geschafft hat und macht ihr etwas Platz frei. "Wie ist dein Date gelaufen?"   "Ach, es war ganz okay. Bis er gesagt hat, dass seine Lieblingsband Nickelback ist… da wusste ich, das wird nichts", erzählt Ino schulterzuckend und winkt ab. "Seid ihr schon fertig für heute?"   "Ne, wir spielen gleich noch eine zweite Runde. Du hast also noch nicht alles verpasst."   "Perfekt! Ich hole mir eben noch was zu trinken, dann bin ich wieder bei euch. Kann ich euch was mitbringen?"   Es ist beinahe lächerlich, findet Sasuke, wie leicht man Narutos Herz erobern und ihn komplett zum Strahlen bringen kann, obwohl auch er Inos Angebot für eines ihrer besseren hält. Nach welchen Kriterien Naruto Personen aussucht, die er mag, ist sowieso ein großes Mysterium, denn wieso er ausgerechnet Sasuke aus all den sympathischen, unkomplizierten Menschen herausgepickt hat, kann keiner so recht verstehen.   Als Ino wiederkommt und ihm ein Glas goldgelbes Bier herüberreicht, kann sogar Sasuke einen spontanen Impuls Dankbarkeit nicht unterdrücken, auch wenn er sich äußerlich nichts anmerken lässt.   "Sag mal, was ist eigentlich aus den Demos geworden, die du behalten hast? Du meintest doch, du kennst vielleicht ein paar Leute, die das interessieren könnte?", steigt Naruto schließlich nach ein paar Schlücken und einer angemessenen Menge Pre-Smalltalk direkt ins Thema ein. Es ist so etwas wie seine letzte Hoffnung – Sasuke hat zwar sein Bestes gegeben, um ihn auf die ernüchternde wahrscheinliche Wahrheit vorzubereiten, hat ihn immer wieder daran erinnert, dass Ino sich bestimmt gemeldet hätte, wenn irgendetwas bei ihren Kontakten herausgekommen wäre, aber Naruto ist für solche Realitäten zur Zeit nur schwer empfänglich.   Ino windet sich etwas unter Narutos erwartungsvollem Blick, druckst ein bisschen herum, bevor sie mit so viel Feinfühligkeit, wie sie aufbringen kann, im Grunde nur das bestätigt, was sowieso lange klar war.   "Was?! Selbst die wollen uns nicht?!"   Ino schreckt etwas zurück vor Narutos unregulierter Wut in der Stimme, die sie so noch nicht von ihm kennt. Ein bisschen tut sie Sasuke leid, wie sie alleine an der Front steht, obwohl Narutos Frustration nicht wirklich auf sie abzielt.   "Mach dir keinen Kopf. Viele erfolgreiche Bands haben Jahre gebraucht, um an einen Vertrag zu kommen. Das ist manchmal so", versucht sie ihn zu beschwichtigen mit bedeutungslosen Phrasen und es überrascht Sasuke nicht, dass sie bei Naruto keine Wirkung zeigen.   "Aber ich will keine Jahre warten, wir sind gut genug! Du warst doch auch optimistisch, als wir das Demo aufgenommen haben!"   "Ich bin auch jetzt noch optimistisch–"   "Überall, wo ich unser Demo hingeschickt habe, wurde es abgelehnt! Ich meine, da waren echte Noname-Label dabei! Wollen die uns echt erzählen, dass wir nicht gut genug sind?! Ich hab mir angehört, wen die sonst so unter Vertrag haben und wir sind um Level besser als der ganze Mist, den die vertreten!"   "Beruhig dich, Naruto", mahnt Sasuke leise von der Seite. Es ist zwar irgendwie ganz unterhaltsam, Naruto so aufgebracht zu erleben, besonders weil es sich diesmal nicht gegen Sasuke richtet, aber an den Nachbartischen haben sich schon Leute zu ihnen umgedreht und Ino sieht nicht so aus, als könnte sie die Situation entschärfen.   "Aber es ist so unfair!", beschwert sich Naruto noch einmal, wenn auch mit weniger Nachdruck als zuvor und lässt sich erschöpft gegen die Rückenlehne der Bank fallen.   ---   Es erschüttert Naruto mehr als er zugeben möchte, der Gedanke, dass was auch immer er tut, nicht genug sein könnte, dass eine exogene Variable wie Glück vermutlich eine größere Rolle spielt als alles, was er beeinflussen kann. Im Grunde widerspricht das allem, wofür er steht, seiner gesamten Lebensphilosophie– es ist schließlich nicht das erste Mal, dass er etwas erreichen möchte, was eigentlich außerhalb seiner Möglichkeiten liegt. Als er damals nach London aufgebrochen ist mit der Ambition, eine Band zu gründen und Songs zu schreiben, obwohl er bis auf das Intro von Wonderwall vorher nie etwas auf einer Gitarre gespielt hat, haben seine Freunde und Verwandten zu Hause auch nicht daran geglaubt, aber er hat es geschafft, trotz aller Widrigkeiten, trotz aller Steine, die ihm vor allem Sasuke in den Weg gelegt hat– es gibt eine Band und es gibt Songs und auch wenn es noch nicht für einen Lebensunterhalt reicht, so bringen gelegentliche Auftritte doch wenigstens ein paar willkommene Extrapfund auf seinem Konto. Selbst auf diesen Ausgang hätte außer Naruto vermutlich niemand gewettet.   Aber er ist weit davon entfernt, zufrieden mit dem Status Quo zu sein, mit heruntergekommenen Apartments und stumpfen Nebenjobs, dem kontinuierlichen, erschöpfenden Betteln um Auftritte, um dann doch nur musikalische Untermalung zu sein und nie das Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht dabei für Naruto nicht nur um das abstrakte Konzept der Berühmtheit, der Aussicht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen ohne je von Alltag und Langeweile eingeholt zu werden, sondern weil er das Gefühl hat, etwas sagen zu können, und mit Sasukes Hilfe in der Lage ist, seinen Ideen eine greifbare Form zu geben in einer Weise, die Gehör findet.   Es ist schwer zu sagen, wie Sasuke mit diesem Schwebezustand umgeht. Im Grunde hat sich an seinem Verhalten nichts geändert und eigentlich ist das das Merkwürdige, wenn Naruto an das ständige Achterbahnfahren denkt, mit dem er seit dem ersten Tag zu kämpfen hat. Inzwischen ist die letzte wirkliche Auseinandersetzung bereits Monate her und es ist unmöglich zu sagen, ob das an einer neugewonnenen Ausgeglichenheit liegt oder an stiller, tiefer Resignation. Oder auch nur eine weitere Projektion von Narutos Sich-nie-zufrieden-geben ist. Eigentlich sieht Sasuke in diesem Moment sogar recht entspannt aus; eine kleine Furche zwischen seinen Augenbrauen ist noch übrig geblieben von seiner Samstagnachmittags-Schicht im Pub, von der er vor einer Viertelstunde zurückgekehrt ist. Seine Gesprächigkeit hält sich danach zwar meistens in Grenzen, laute angetrunkene Fußballfans haben seine Toleranzlevel leergesogen, dafür bringt er immer zwei Portionen übrig gebliebene Pommes mit nach Hause und das ist schon okay. Sie sind nicht mehr ganz warm und etwas gummiartig in der Konsistenz, aber Naruto ist der Letzte, der sich an einer kostenlosen Mahlzeit stört.   "Ich hab vorhin nachgedacht, Sasuke", fängt er etwas zögerlich an, während er eine Pommes sorgfältig in Ketchup ertränkt. "Wir müssen irgendwas anders machen."   "Wovon sprichst du?", fragt Sasuke mit eher halbherzig hochgezogener Augenbraue, denn er ahnt, dass es um ein Thema geht, dass sie schon ein paar Mal durchdiskutiert haben.   Naruto gestikuliert uneindeutig mit seiner Hand in der Luft herum. "Das, alles hier. Wir sollten den Tag damit verbringen, zu proben, Musik zu schreiben… oder uns erholen nach einem tollen Gig oder einer Party… und nicht hier sitzen und labberige Pommes essen."   "Ich kann dir nächstes Mal auch einfach keine mitbringen."   "Darum geht es doch nicht, ich meinte das als Metapher!", erklärt Naruto frustriert darüber, dass Sasuke mit voller Absicht alles falsch versteht und nicht auf sein Problem eingeht. "Vielleicht wäre es am besten, wenn wir einfach unsere Jobs kündigen."   "Meinst du das ernst?", fragt Sasuke probend, als wollte er ihm noch einmal eine Chance geben, auf dem Absatz kehrt zu machen und seine Argumentationskette zu verwerfen, von der er offenkundig so wenig hält, dass er sie nicht mal Naruto zutrauen würde. Aber Sasuke hält grundsätzlich nie viel von seinen Vorschlägen.   "Naja, damit wir mehr Zeit für die Band haben", versucht Naruto in Worte zu fassen, worüber er in letzter Zeit viel gegrübelt hat. "Ich hab das Gefühl, wir kommen nie voran, wenn wir uns nicht voll darauf konzentrieren und alles auf eine Karte setzen."   "Und wer soll die Miete zahlen? Sowas kannst du machen, wenn wir von unseren Tantiemen leben können."   "Ach, ich weiß doch auch nicht! Vielleicht sollten wir andere Songs schreiben, unseren Stil verändern… keine Ahnung. Aber irgendwas müssen wir machen."   "Es ist gut so, wie es ist."   "Finde ich auch, aber der Rest der Welt offensichtlich nicht!"   "Es haben noch nicht alle abgelehnt, oder? Warte erstmal ab", schlägt Sasuke vor, der offensichtlich keine Lust mehr auf die Diskussion hat.   In den letzten Monaten hat Naruto diese Sätze immer wieder gehört, nie waren sie hilfreich und inzwischen hat er nicht einmal ein müdes Lächeln dafür übrig. Es ist Anfang Oktober, sechs Monate seit sie ihr Demo verschickt haben, und auch wenn er es lange nicht zugeben wollte, rechnet Naruto nicht mehr mit einer Antwort von irgendeiner Plattenfirma. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sasuke zu einem anderen Schluss gekommen ist und gerade das ist es, was er nicht begreift.   "Wie kannst du zufrieden damit sein, einfach nur da zu sitzen und zu warten?!"   "Weil wir ansonsten nichts tun können. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass es Glückssache ist. Nicht meine Schuld, wenn du dich so hineinsteigerst", antwortet Sasuke und zuckt unbeteiligt mit den Schultern, als würde ihn all das nichts angehen. Mehr noch als seine Worte ist es genau diese Geste der Gleichgültigkeit, die Narutos Puls steigen lässt.   "Ich soll mich nicht hineinsteigern?!", ruft er aufgebracht. "Das ist mein verdammter Traum, ich hab keinen Plan B! Hast du etwa einen?!"   "Ich hatte nicht mal einen Plan A—", zischt Sasuke und verschluckt dabei den letzten Teil des Satzes, weil er seinen Mund so abrupt schließt. Irgendetwas in seiner Stimmung ist gekippt, da ist eine feine Änderung in seiner Haltung und Naruto kann es nicht ganz lokalisieren, aber es ist genug, um ihn stutzen zu lassen.   "Wie meinst du das?"   Sasukes Blick ist schon nicht mehr zu erreichen. Stattdessen presst er seine Lippen zusammen, um jede Kommunikation unmöglich zu machen. Ein unterdrückter Fluchtreflex zuckt durch alle Fasern seines Körpers und man kann seinen Augen von der Jacke zu den Schuhen zu der Tür folgen.   "Hey, du kannst jetzt nicht einfach so gehen!", ruft Naruto und springt von seinem Stuhl auf im selben Moment, in dem sich auch Sasuke bewegt. Er versucht noch, sich ihm in den Weg zu stellen, aber Sasuke sitzt der Haustür am nächsten, wie er es meistens tut, als würde er sich für solche Situationen strategisch platzieren. Er schnappt sich noch schnell seine Schuhe auf dem Weg und ist aus der Wohnung raus, bevor Naruto ihn irgendwie zurückhalten kann.   Es ist nicht das erste Mal, dass Sasuke mitten in einem Gespräch verschwindet. Der genaue Anlass ist im Nachhinein selten feststellbar, manchmal kehrt er nach ein paar Stunden wieder zurück, manchmal lässt er sich Tage lang nicht blicken. Dass Naruto am selben Abend noch den Schlüssel in ihrem Haustürschloss hören kann, wertet er deshalb als gutes Zeichen – als der nächste Morgen aber nicht die erhoffte Entspannung und So-tun-als-wäre-nichts-gewesen bringt, sondern magere Kommunikation und viel Nebeneinanderher-Leben, ist er sich da nicht mehr so sicher. Die folgende Woche begegnen sie sich kaum, ob es an ihren unterschiedlichen Zeitplänen liegt oder Sasuke ihm mit voller Absicht aus dem Weg geht, ist dabei schwer zu sagen. Naruto weiß immer noch nicht so richtig, was eigentlich passiert ist, für ihre Verhältnisse war es nicht einmal ein richtiger Streit, aber Sasuke hat seitdem so eine kühle Distanz zwischen ihnen aufgebaut und Naruto ist zu sehr mit seiner eigenen Frustration beschäftigt, um sich damit näher zu befassen.   Es ist Freitag, als sich die Dinge schließlich wieder ändern. Ino hat ihnen einen Auftritt in einer Bar organisiert, in einem der abgelegenen südöstlichen Stadtteile, die man nur als Endstationen der Zuglinien kennt, aber nie wirklich einen Fuß hinein gesetzt hat. Wenn es nach Naruto geht, hätte es auch so bleiben können.   Shikamaru, Chouji und Ino sind bereits mit dem Auto vorgefahren, da niemand ein Schlagzeug in öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren möchte und so waren es die Fahrt lang nur Sasuke und er, die seit der Auseinandersetzung vor ein paar Tagen nur das Nötige miteinander sprechen. Nach einer Weile hat sich der Wagon so geleert, dass Naruto sich nicht mal mehr durch Menschen Beobachten ablenken kann. In weiser Voraussicht hat er deshalb eine Flasche Whiskey mitgenommen, die ihn auf der Fahrt unterhalten kann und eine fragile Brücke an Kommunikation zwischen ihm und Sasuke schlägt, wenn er sie herüber reicht.   Als sie endlich ankommen, werden sie direkt in ein Hinterzimmer geschleust, in dem sie ihre Sachen ablegen können. Shikamaru und Chouji sind bereits da und bauen das Schlagzeug in einem kleinen abgesteckten Bereich im Gastraum auf, der wohl so etwas wie eine Bühne sein soll. Der Pub ist ganz gut besucht, aber es ist auch ein Freitagabend, da ist so etwas zu erwarten. Ino stimmt sich in der Zwischenzeit mit dem Besitzer ab oder wer auch immer es ist, der an diesem Abend das Sagen hat. Sie sieht nicht ganz zufrieden aus, als sie wenig später auf sie zukommt, ihre Hände vorsorglich erhoben in einer "Ich hab alles versucht"-Geste.   "Es gibt eine Planänderung, Jungs. Der Besitzer möchte, dass ihr nur bekannte Songs spielt, nichts Eigenes. Für solche Fälle habt ihr aber doch eine passende Setlist im Repertoire, oder?"   Natürlich haben sie das nicht. Seit die Band in dieser Konstellation existiert, haben sie immer versucht, bei jeder Gelegenheit einen möglichst großen Anteil eigener Kompositionen zu spielen mit dem ein oder anderen eingestreuten Klassiker, der verlässlich für gute Stimmung sorgt. Es ist daher nicht so, dass Naruto grundsätzlich etwas dagegen hat, fremde Werke zu covern, er hat meistens sogar Spaß daran, aber diese unreflektierte Ablehnung seiner eigenen Songs, die verdammt nochmal großartig sind, ist für ihn nichts anderes als eine persönliche Beleidigung.   Sasuke scheint die Situation hingegen erstaunlich gelassen zu nehmen. Naruto versteht nicht, wie gerade er diese Herabwürdigung seines Talents einfach so hinnehmen kann, der sonst bei diesem Thema ein Level an Stolz und Überzeugung zeigt, das kaum mehr von Arroganz zu unterscheiden ist. Aber anstatt dem Bareigentümer die Meinung zu sagen, lässt er sich einfach nur einen Stift und Papier geben und bringt eine Runde Bier mit, die es bei solchen Auftritten meistens aufs Haus gibt. Vielleicht hilft es ja, seinen Frust einfach zu ertränken, überlegt Naruto, der langsam beginnt, die Effekte der halben Flasche Whiskey zu spüren, die er und Sasuke auf der Hinfahrt geteilt haben.   Das gemeinsame Brainstorming verlegen sie nach draußen, wo es langsam zwar etwas kühl wird, aber immerhin können sie sich in normaler Lautstärke unterhalten und Zigaretten sind dort auch nicht verboten. Es ist mühsamer als gedacht, genügend Lieder zusammenzukratzen, die alle vier schon einmal zusammen geprobt haben oder zumindest auswendig spielen können und dass Sasuke aus Prinzip jeden einzelnen Vorschlag von Naruto ablehnt, macht die Sache nicht einfacher.   "Ihr wisst schon, dass ihr gerade echt anstrengend seid?", seufzt Shikamaru nach einer Weile, als ihre Gläser bereits leer sind und sich durch gegenseitige Vetos mal wieder nichts bewegt. Sein Blick wandert träge von Naruto zu Sasuke, die uncharakteristisch weit voneinander entfernt stehen. "Habt ihr irgendwie Stress oder sowas?"   Als er auf seine Nachfrage von Sasuke einen eisigen Blick zugeworfen bekommt und selbst Naruto nur mürrisch das Gesicht verzieht, beschließt Shikamaru, dass ihn dieses offensichtliche Problem nichts weiter angeht.   "Ist mir eigentlich auch egal", sagt er deshalb schulterzuckend und nimmt den Zettel an sich, um noch etwas zu ergänzen. "Hier, die beiden Songs haben wir alle drauf. Das sollte für den Abend reichen. Ich geh mit Chouji dann schon mal rein, um unser Set aufzubauen."   Und damit lassen sie eine angespannte Atmosphäre zurück, in der Sasuke die letzten paar Züge von seiner Zigarette nimmt und Naruto sich weiter in seiner Unzufriedenheit suhlt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Vorgaben für ihre Songauswahl erhalten und auch nicht das erste Mal, dass sie an entlegenen Orten spielen oder nur wenig Geld für ihren Auftritt bekommen. Es ist kein wirklicher Rückschritt, aber auch kein Fortschritt und schon gar nicht das, wo Naruto sie in seiner Vorstellung schon lange sieht. Das wird er auch nicht müde, den ganzen Abend lang zu wiederholen.   "Kannst du nicht einmal die Klappe halten?!", unterbricht Sasuke ihn in einem weiteren Anflug von Beschwerden. "Ich weiß, dass es ätzend ist. Ich kann es nicht ändern."   "Das ist auch irgendwie deine Erklärung für alles, oder? Du kannst es nicht ändern, also tust du einfach gar nichts."   "Was erwartest du denn von mir?! Ich schnippe mit den Fingern und all deine Träume werden wahr? So läuft das nicht!", entgegnet Sasuke aufgebracht und etwas zu laut, vermutlich lauter als beabsichtigt, denn es drehen sich schon Leute zu ihnen um. Naruto versucht nicht daran zu denken, dass das hier das erste richtige Gespräch zwischen ihnen seit knapp einer Woche ist und eigentlich anders ablaufen sollte, aber Alkohol vergiftet seine Worte und es ist so einfach, dieses Ventil für seinen Frust zu nutzen.   "Hast du dir das so etwa vorgestellt? Du bist talentierter als jeder andere, den ich kenne, eigentlich steht dir die Welt offen, und jetzt spielst du irgendwelche Cover in so 'nem schäbigen Laden, wenn du nicht gerade Teilzeit in einem verdammten Pub aushilfst?!"   "Ich geh rein. Den Mist muss ich mir nicht geben", nuschelt Sasuke kopfschüttelnd und schnickt den glimmenden Rest seiner Zigarette vor sich auf den Boden, wo er sie mit der Schuhsohle zerdrückt. Als er sich zum Gehen wenden will, steht Naruto ihm schon im Weg.   "Ach ja, du verpisst dich einfach wieder, so wie immer?", baut er sich provozierend vor Sasuke auf und nutzt dabei die wenigen Zentimeter Größenunterschied, um die er ihn überragt. Seine Körperhaltung macht deutlich, dass er Sasuke nicht gehen lassen wird, bevor ihre Auseinandersetzung beendet ist, auch wenn er sich noch nicht überlegt hat, wie genau das aussehen soll.   "Geh mir aus dem Weg, Naruto", knurrt Sasuke drohend und macht einen Schritt auf ihn zu, nachdem er erfolglos versucht hat, an ihm vorbeizukommen.   Ihre Nasenspitzen berühren sich fast und Naruto meint, seinen Herzschlag spüren zu können, ein dunkel grollendes Stakkato, das den schmalen Raum zwischen ihnen ausfüllt. Es ist nicht lange her, da hätte Naruto den Abstand längst geschlossen, seinen Körper gegen Sasukes gepresst, Hände in den schwarzen Haaren und um sein blasses Gesicht, aber gerade jetzt würde er viel lieber hineinschlagen. Hitze sammelt sich in seinem Bauch, stechend und beißend, und er kann nicht mehr sagen, ob es sich dabei um Erregung oder Wut handelt. Sasukes Atem kitzelt auf seinen Lippen, dunkle Pupillen weiten sich kaum merklich, als er plötzlich von einem Druck auf seiner Brust überrascht wird und das Gleichgewicht verliert. Der Stoß ist etwas zu fest, um freundschaftlich zu sein, und Naruto hat viel Glück, dass er nur rücklings auf flachen Boden fällt und sich nicht den Kopf an der Kante der Backsteinfassade stößt. Über ihm steht Sasuke in seiner ganzen Unlesbarkeit, erst halb zum Gehen gewandt, dann zögert er kurz und dreht sich noch einmal um.   "Unser Set hätte längst anfangen sollen. Wenn du also damit fertig bist, hier rumzuliegen, komm rein und mach deinen Job."   Wütendes Blut pocht hinter Narutos Augen und er ist schneller auf den Beinen als seine Füße hinterherkommen, aber nicht schnell genug, um Sasuke einzuholen, bevor er durch die Tür in den Barraum tritt. Es dauert ein paar Sekunden, bis er sich orientiert und Sasukes zerzausten Haarschopf inmitten all der anderen Menschen lokalisiert hat, als irgendwo von der Seite ein Gitarrenhals in sein Blickfeld hinein schwebt, der ihn lange genug ablenkt, um das Momentum zu verlieren. Irritiert nimmt er die Augen von Sasukes abgewandter Kieferpartie und findet Shikamaru neben ihm stehen, der ihm sein Instrument hinhält. Einen Moment zögert Naruto, dann reißt er die Gitarre aus Shikamarus hilfreichen Händen und hängt sie sich widerwillig über die Schulter. Am Rande bekommt er mit, wie Sasuke seinen Mikrofonständer ein paar Meter weiter entfernt aufstellt und sein Puls beschleunigt sich instinktiv. Er hat schon wieder vergessen, welche Songs sie jetzt eigentlich spielen wollen.   Zum Glück steht er mit dem Problem alleine da und das erste Riff ist markant genug, dass er seinen Einsatz nur knapp verpasst. Einen flüchtigen Moment lang ist das alles, worauf er sich konzentriert und die Wogen in seinem Kopf glätten sich, bis Sasukes Stimme aus den schlecht eingestellten Lautsprechern dröhnt und Narutos Aufmerksamkeit von Neuem auf sich zieht. In seiner verschwommenen, alkoholgetränken Perspektive fällt es ihm nicht schwer, alle anderen Menschen auszublenden und sich nur noch auf Sasuke zu fokussieren, als wäre das jemals anders gewesen. Ungelenk rutschen seine Finger über das Griffbrett der Gitarre, immer einen halben Takt zu spät, aber das merkt er kaum während er Brandlöcher in Sasukes Hinterkopf starrt.   Dreieinhalb Songs lang geht das gut, bis Sasuke während eines Solos die Gesangspause nutzt, um zu Naruto herüberzukommen. Ein kurzer Augenkontakt reicht aus, um alle Fasern in Narutos Körper auf Konfrontation zu bürsten und ihn komplett aus dem Rhythmus zu werfen.   "Reiß dich mal zusammen, du spielst grottig, wenn du voll bist", zischt Sasuke in sein Ohr und das ist alles, was gefehlt hat. Er wendet sich bereits zum Gehen, als Naruto die Kontrolle verliert und ihm ins Gesicht schlägt.   Die Musik verstummt abrupt, ein entsetztes Raunen geht durch die Menge und Sasuke schafft es gerade noch, einen Gegentreffer zu landen, bevor Shikamaru und Chouji die beiden auseinanderzerren.   "Okay, was war das gerade?", fragt Shikamaru entnervt, sobald er Naruto trotz Gegenwehr in das Hinterzimmer geschleppt und dazu gebracht hat, sich hinzusetzen.   "Sasuke ist ein Arschloch."   "Erzähl mir was Neues? Sonst stört dich das doch auch nicht."   "Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit und er hat sich dann einfach verpisst, sonst hätte ich das direkt geklärt", beschwert sich Naruto, aber in Shikamarus Gesicht zeichnet sich nicht das Verständnis ab, auf das er eigentlich gehofft hatte. Trotzig verzieht er die Mundwinkel. "Er hat es verdient."   "Das bezweifle ich nicht. Aber klär sowas in Zukunft vielleicht woanders."   "Ja, aber—"   Die Tür schwingt krachend auf als würde sie in Deckung gehen wollen, als Sasuke hereinrauscht, seine Augen leuchten genauso zornig wie der rote Abdruck auf seinem Kiefer. Instinktiv springt Naruto auf, bevor ihn jemand zurückhalten kann, Kampfeslust und Adrenalin wiegeln sich auf ein neues Hoch in seinem Körper.   "Du Wichser! Du hast unseren Gig ruiniert! Wenn du vorhin nicht einfach abgehauen wärst—"   "Ist das dein scheiß Ernst?!", poltert Sasuke und Naruto tritt automatisch einen Schritt zurück. Es ist das erste Mal, dass ihm diese Art von Aggressivität entgegengeschleudert wird, hitzig und zerstörerisch statt dem kalten warnenden Grollen, in dem sich Sasukes Wut normalerweise manifestiert. Shikamaru stellt sich antizipatorisch schon mal zwischen die beiden. Für ein paar Sekunden scheint es, als würden sie nur auf den Funken warten, der das Pulverfass entzündet, aber dann öffnet sich die Tür ein weiteres Mal und es ist Ino, die den Raum betritt.   "Packt eure Sachen zusammen. Der Besitzer will euch raus haben", schneidet ihre Stimme durch die dichte Atmosphäre mit kaum verborgener Enttäuschung. Drei Augenpaare richten sich sofort auf sie, aber Ino selbst fixiert starr einen Punkt an der Wand. "Das war echt daneben. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ihr solltet selbst wissen, dass ihr an einem Punkt seid, wo ihr jede Chance nutzen müsst, die sich euch bietet, und ihr werft das einfach so hin… ich meine- ich gebe mir Mühe und organisiere euch Gigs, und ihr werdet rausgeworfen, weil ihr euch auf der Bühne prügelt, ist das euer Ernst?!"   "Sag das nicht mir. Wenn Naruto nicht so eskaliert wäre—"   "Du hast angefangen! Das ist nicht meine Schuld!", widerspricht Naruto sofort. "Sasuke hat—"   "Halt die Klappe, Naruto", unterbricht Shikamaru den Anflug von Ausreden, die sowieso keiner hören will, und sieht dabei um Jahre gealtert aus. "Ich gehe Chouji mal beim Einpacken helfen. Versucht solange, euch einzukriegen."   Die angestaute Wut, die in Sasuke schwelt, nachdem alle bis auf ihn und Naruto den Raum verlassen haben, ist fast greifbar. Es ist offensichtlich, wie wenig es ihm passt, so eine Ansage zu bekommen und besonders nicht von Ino, aber auch er muss akzeptieren, dass es gerechtfertigt war und das macht es nur umso schwieriger. Er scheint mit sich zu kämpfen, nicht die fremde Inneneinrichtung zu zertreten und greift schließlich wütend zur herumstehenden Whiskeyflasche, die noch von der Hinfahrt übrig geblieben ist, um seinen Zorn in eine Richtung zu kanalisieren, die nicht in einer Prügelei endet.   "Ich glaub nicht, dass du noch mehr trinken solltest", versucht Naruto einzuwenden, obwohl er weiß, dass er gerade nicht in der Position ist, gut gemeinte Ratschläge zu verteilen. Sasuke sieht ihn nicht mal an.   "Mir scheißegal, was du glaubst."   "Wir sollen versuchen runterzukommen", setzt er ein zweites Mal zu seiner Deeskalationsstrategie an. Eigentlich ist er sich noch nicht sicher, ob er das gerade überhaupt will – sich wieder vertragen, Ruhe einkehren lassen – aber es geht hier nicht mehr nur um ihn und Sasuke, andere Leute sind involviert, und dieser Gedanke hilft ihm etwas, seinen guten Willen zusammenzukratzen. "Ich weiß, du bist noch wütend, bin ich auch, aber Alkohol macht es nicht besser."   "Du bist doch selbst betrunken. Wenn du dich an deine eigenen Ratschläge halten würdest, wäre das nie so eskaliert."   "Ich konnte ja wohl kaum ahnen, dass du dich wie ein Arsch verhältst!", ruft Naruto anklagend und ist so kurz davor, seine Vorsätze zu vergessen und sich wieder hochzuschaukeln, aber er schluckt seinen Ärger noch einmal mit aller Willenskraft herunter. "Übrigens bin ich auch fast gar nicht mehr betrunken."   "Ja, klar", nuschelt Sasuke und danach kehrt Stille ein.   Ein paar Minuten verweilen sie so schweigend im Raum; Sasuke lehnt an einem Regal und konzentriert sich weiter auf seinen Whiskey, während Naruto sichere trennende Meter entfernt sitzt und versucht, mit dieser merkwürdigen Stimmung zurecht zu kommen.   "Erinnert mich irgendwie an unseren allerersten Auftritt. Als du auf diesen einen Bodybuilder losgegangen bist, weißt du noch?", fängt Naruto irgendwann nach einer längeren Pause an zu erzählen und kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. "Kaum zu glauben, dass das erst Anfang des Jahres war. Zum Glück kannte uns Ino da noch nicht, haha, sie wäre ausgerastet."   Ein leises amüsiertes Schnaufen kommt aus Sasukes Richtung und Naruto meint sogar, erkennen zu können, wie sich seine Mundwinkel für eine Millisekunde nach oben gezogen haben. Das ist zwar nicht viel und womöglich auch nie passiert, denn gerade sieht Sasuke wieder so unzugänglich aus wie vorher, aber es stellt ein Bruchstück Normalität her und Naruto hat schon fast vergessen, wie gut sich das anfühlt.   "Irgendwann haben wir Hausverbot in allen Läden…", prophezeit er etwas zufriedener als er sein sollte, bis ihn eine unerwartete Bewegung von Sasuke ablenkt. "Wo willst du hin?"   "Meine Sachen packen, damit ich hier verschwinden kann."   Vielleicht ist das nicht die schlechteste Idee, muss Naruto zugeben, er hat jedenfalls kein Interesse daran, lang genug zu warten, bis sie am Ende womöglich noch hinauseskortiert werden. Er schnappt sich seine Jacke, packt die Gitarre in ihren Koffer zurück und folgt Sasuke dann möglichst unauffällig durch die Bar. Zum Glück ist der einzige, von dem er aufgehalten wird, Shikamaru.   "Geht ihr?"   "Mhm", macht Naruto abwesend und versucht dabei Sasuke im Auge zu behalten, der gerade das Gebäude verlässt. Shikamaru verfolgt seinen Blick mit Skepsis.   "Und ihr kommt wieder klar?"   "Alles wieder gut. Wir haben die Sache geklärt", winkt Naruto ab, aber das zuversichtliche Lächeln will sich nicht ganz auf sein Gesicht transportieren. Falls es Shikamaru auffällt, sagt er nichts dazu. "Ich muss dann mal los. Kommt gut heim."   "Ja, ihr auch."   Vielleicht war es ein bisschen gelogen, was er zu Shikamaru gesagt hat, denn als ihm die kühle Nachtluft gegen die erhitzten Wangen weht und er Sasukes Rücken an der nächsten Straßenkreuzung entdeckt, ohne die Absicht zu warten, möchte er am liebsten einen anderen Heimweg suchen. Am Ende liegt es zu drei Vierteln an seiner absoluten Orientierungslosigkeit, dass er diesen Plan verwirft und der stetig kleiner werdenden Gestalt vor ihm hinterher joggt, auch wenn seine Gitarre dabei immer wieder von seiner Schulter rutscht.   "Du hättest ruhig warten können", knirscht Naruto vorwurfsvoll in den Kragen seines Parkas, den er mit frosttauben Fingern zu schließen versucht. Sasuke zuckt mit den Schultern als hätte er dazu nichts zu sagen und vielleicht hat er das auch wirklich nicht. "Du weißt, wie wir heimkommen?"   "Nachtbus."   "Ich dachte, du hasst Nachtbusse. Und die komischen Menschen, die darin sitzen. Manchmal ist das fast irgendwie witzig… Aber besser als 50 Pfund – die wir auch gar nicht haben – für das Taxi zu bezahlen, schätze ich. Und Laufen wäre echt weit. Es ist kalt", versucht Naruto sich durch Reden von den winterlichen Temperaturen abzulenken und davon, dass eigentlich gar nichts geklärt oder gut ist und er sich bei jedem zweiten Schritt dabei erwischt, wie er Sasuke gerne in die Fersen treten würde.   Obwohl er noch ziemlich angepisst ist, versucht er ihm die Hand zu reichen, nicht nur einmal, sondern immer wieder, die ganze Zeit, Sasuke hat alle Chancen, ins Gespräch einzusteigen als wäre nichts gewesen und so lange durchzuhalten, bis sie tatsächlich vergessen haben, dass sie eigentlich wütend sind. Er könnte es ihnen so viel einfacher machen, den Olivenzweig akzeptieren, mit dem Naruto schon die ganze Zeit vor seiner Nase herumwedelt, aber Sasuke ist schon die ganze Zeit beängstigend ruhig. Kein richtiges Eingeschnapptsein und auch nicht sein normales ‘Ich bin zu cool, um zu antworten’-ruhig, sondern eine tiefere, dunklere Variante davon. Jeder andere würde keinen Unterschied sehen, aber Naruto ist nicht jeder; er ist derjenige, der Sasuke zu dem größten und wichtigsten Teil seines Lebens gemacht hat, auch wenn er es aktuell ein wenig bereut, und jetzt irgendwie damit zurecht kommen muss.   Der Herbstmond scheint blass auf sie herab und die Nachtluft ist frostig genug, dass Naruto seinen Atem sehen kann. Frierend vergräbt er die Hände tiefer in seinen Jackentaschen. Ihr Heimweg führt sie an den Docks entlang, was wahrscheinlich nicht am kürzesten ist, aber immerhin gibt es so weniger Risiko sich zu verlaufen, wenn man nicht in dichtem Straßengewirr steckt, sondern einen Fluss auf der rechten Seite hat, der die Optionen begrenzt.   Naruto entgeht nicht, wie Sasukes Schritte etwas unkoordinierter werden, was vermutlich an der Menge Alkohol liegt, die er vor einer halben Stunde noch im Rekordtempo vernichtet hat. Denn auch wenn Sasuke genug Übung hat, um einiges wegstecken zu können, hat auch er seine Grenzen und die scheinen bald ausgereizt zu sein.   An manchen Tagen kann Naruto damit umgehen, kann geduldig sein und so tun, als könne er Sasuke vor der Dunkelheit beschützen, als wäre es nicht längst zu spät. Aber an Tagen wie heute, wenn Sasuke sich komplett verschließt und Naruto den Schlüssel verwehrt, da ist es anders. Wenn sich Wälle vor ihm auftun, will Naruto sie niederbrechen, einen Weg durch die Ruinen suchen, finden, was auch immer sich dahinter versteckt, und es so lange treten, bis es zurückkickt. Bevor er weiß, was er tut, ist er ein paar Schritte hinter Sasuke stehen geblieben.   “Wetten, du traust dich nicht, ins Wasser zu springen?”   Sasuke schaut ihn an, zum ersten Mal seit einer gefühlten Stunde. Seine Augen sind ungewohnt glasig, als er seinen Mund überrascht öffnet.   “Was?”   Naruto weiß irgendwo, dass das eine schlechte Idee ist. Aber alles, was eine Reaktion aus Sasuke herauskitzelt, ist ihm gerade recht. Sasuke wird nicht darauf eingehen, natürlich nicht, er ist nicht so verdammt dumm, und falls doch, ist das Wasser an dieser Stelle wenigstens relativ ruhig.   “Spring”, wiederholt Naruto. “Komm schon, ich fordere dich heraus.”   Er wird es nicht machen, niemals. Nur weil er seine Lippen stolz und entschlossen zusammenpresst und keinen Ausdruck mehr in den Augen hat und immer irgendwelche Dinge beweisen will, die keinen Sinn machen. Naruto stößt ihn mit dem Ellbogen an.   “Hast du Angst?”   Er wird allerhöchstens nass. Das ist das Schlimmste, was passieren kann.   “Fick dich”, sagt Sasuke und springt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)