The darkest thrill von Porzellan_Puppe (NaruSasu) ================================================================================ Kapitel 10: Inbetween days --------------------------   Es ist Juni und unerträglich warm, als Naruto seine täglichen Irrfahrten quer durch Londons Untergrundsystem antritt. Eine Hitzewelle hat die Stadt vor ein paar Tagen erreicht, die unter den ungewohnten Temperaturen ächzt, und die Thermometer verzeichnen fast jeden Tag irgendwo neue Rekordhochs. Naruto war selten so neidisch auf Sasuke wie jetzt, denn der kann bei diesem Wetter einfach zu Hause bleiben und seine Bewegungen auf ein Minimum reduzieren, weil er sich nicht von Verpflichtungen fesseln lässt und sowieso nur das tut, was er will.   Die überhitzte U-Bahn macht es nicht besser und Naruto fragt sich, während er langsam mit dem Sitz verschmilzt, wieso auf einem der größten Streckennetze der Welt auch nach 150 Jahren noch immer keine klimatisierten Züge fahren. Normalerweise verbringt er seine Zeit damit, verstohlen Leute zu beobachten, aber heute schaut er überall nur in dieselben leidenden, glänzenden Gesichter. Ein paar Minuten lenkt er sich mit den bunten Werbeplakaten über den Sitzen ab, dann studiert er eine zerbeulte Colaflasche, die verschmäht in der Ecke liegt. Ihr Inhalt schwappt beruhigend hin und her, läuft bei jeder Unebenheit auf den Gleisen über und macht die klebrige Pfütze vor der Tür ein bisschen größer, in die bei jedem Halt immer wieder neue Menschen hineintreten und Colafußspuren durch den ganzen Wagon ziehen. Ab Tower Hill wird es dann auch noch eng und er hat sechs Stationen lang den Hintern einer amerikanischen Touristin im Gesicht, bevor er umsteigen muss und sich mühsam nach draußen navigiert, nur um in einen ebenso überfüllten Zug zu drängen und den Rest der Fahrt Schulter an Schulter mit verschwitzten Menschen zu stehen.   Es ist in dem Moment, dass Naruto entscheidet, etwas ändern zu müssen. Uni, Job und Zuhause liegen in drei verschiedenen Himmelsrichtungen, wenn er Hinata dazuzählt, sind es sogar vier, und er ist jeden Tag wertvolle Stunden mit dem Hin und Herpendeln beschäftigt, was bei normalem Wetter schon schlimm genug ist, aber nicht in einer Hitzewelle. Und wenn aus seiner Band irgendwann einmal etwas werden soll, braucht er jede Sekunde, die er finden kann. Denn sich und Sasuke überhaupt eine Band zu nennen, dehnt die Definitionsgrenzen schon ziemlich aus, Sasuke nimmt es sowieso nicht ernst und seit der Gründung vor drei Monaten, an die sich beide Beteiligten nur bruchstückhaft erinnern können, hat sich noch nicht viel bewegt. In seinen Tagträumen hat sich Naruto die ganze Sache irgendwie einfacher vorgestellt, hatte vor, zu diesem Zeitpunkt schon genug Songs für eine EP zu haben und am Ende des Jahres vielleicht einen Vertrag. Dieser Gedanke klingt inzwischen sogar in seinen eigenen Ohren lächerlich, nagt aber nur wenig an seinem Selbstvertrauen. Dann dauert es eben etwas länger und er muss seine unrealistischen Erwartungen begraben, aber am Endresultat wird es nichts ändern. Einen Plan B hat Naruto eigentlich noch nie gehabt und wenn es mit seiner Band erst einmal läuft, wird er bereitwillig alles andere hinwerfen, am liebsten würde er schon jetzt seine gesamte Energie nur auf die Musik konzentrieren, aber dafür ist es noch zu früh.   Als Naruto abends nach Hause kommt, durchgeschwitzt und generell fertig mit der Welt, liegt Sasuke immer noch genau so, wie er ihn heute Vormittag zurückgelassen hat, nur sein T-Shirt hat er an irgendeinem Punkt ausgezogen und über die Sofalehne geworfen. Es ist in der Wohnung nur marginal kälter als draußen und Naruto schnappt sich die letzte Wasserflasche aus dem Kühlschrank, die er wie einen Lebensretter an sein Gesicht hält, bevor er sie in einem Zug halb leer trinkt. Gegen die Theke gelehnt klagt er Sasuke von seinem Leid, während er sich hektisch Luft zufächelt mit einem gefalteten Prospekt, das er vorhin aus dem Briefkasten gezogen hat, aber er könnte genauso gut mit einer Wand reden, denn Sasuke liegt nur scheintot herum und macht sich nicht mal die Mühe, zustimmende Laute zu grummeln.   "Ach ja!", erinnert sich Naruto plötzlich nach einer lebhaft ausgeschmückten Geschichte über ausgefallene Klimaanlagen in Hörsälen und schleppt sich zu Sasuke herüber, wo er mit einem reich frankierten Umschlag vor dessen Nase herum wedelt. "Hier ist Post für dich! Von, mh ... Itachi Uchiha. Ist das dein Vater?"   "Bruder", korrigiert Sasuke, unternimmt aber keinen Versuch, den Brief an sich zu nehmen. Es ist nichtmal gespieltes Desinteresse in seinem Gesicht, sondern absolut aufrichtiges.   "Du hast einen Bruder?"   "Ja, er ist irgendwo in der Welt als Botschafter unterwegs und lebt seinen Pazifismus aus."   Naruto legt den Kopf schief und umrandet das Sofa, bevor er sich irgendwo zwischen Sasukes Beinen Platz sucht. Der lässt das geschehen und rührt sich auch dann nicht, als ihre Knie aneinander stoßen, wie Naruto mit einem kleinen Lächeln bemerkt. Noch vor einem Jahr hätte Sasuke ihn wahrscheinlich direkt vom Sofa gekickt, aber gerade scheint es ihn nicht zu stören. Das ist gut, denn Naruto ist eine sehr physische Person, er hat gerne Körperkontakt zu Menschen, die er mag, und es erfordert manchmal seine höchste Willenskraft, Umarmungen zurückzuhalten, wenn er nicht riskieren will, Opfer körperlicher Gewalt zu werden. Vielleicht macht Sasuke die Hitze aber auch einfach nur so sehr zu schaffen, dass er keine Energie mehr für Proteste aufbringen kann.   "Das hört sich so negativ an, wenn du das sagst … magst du ihn nicht?"   "Nicht besonders, nein."   "Oh. Gibt es einen Grund dafür?", hakt Naruto nach, aber Sasuke reagiert nicht mehr. Das ist nicht besonders überraschend und er hat auch nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet, das hätte vermutlich die Sasuke-Info-Quote für dieses Jahr gesprengt, das Raum-Zeit-Kontinuum aus den Angeln gehebelt oder irgendwas ähnliches. Deshalb hängt sich Naruto auch nicht daran auf, sondern lenkt das Gespräch einfach wieder in eine andere Richtung, auf seinen allmählichen Wärmetod und die Erkenntnis, dass er einen neuen Job braucht, am besten irgendwo nicht ganz so weit weg.   "Ah. Ich auch", meint Sasuke nonchalant und Naruto kann nur verstört blinzeln.   "Was? Im Ernst? Wieso?"   Denn soweit Naruto im Bild ist, zahlt Sasukes Mutter seinen Teil der Miete und schickt ihm regelmäßig Geld—zwar sehr knapp bemessen, aber genug, um all die notwendigen Dinge kaufen zu können und am Ende des Monats trotzdem noch ein paar Pfund auf dem Konto zu haben. Und wenn er mal mehr braucht, muss er das eigentlich nur einfordern. Es ist ein bisschen frustrierend für Naruto, der seine Teenagerzeit mit Babysitten und Zeitungen austragen verbracht hat, weil sein Taschengeld noch nie viel hergegeben hat, und auch jetzt kann er sich nicht auf die finanzielle Unterstützung seiner Eltern verlassen, die zwar seine Studiengebühren zahlen, ihm ansonsten aber nur ein paar Zehner überweisen, falls in einem Monat mal sein Überleben gefährdet ist.   Sasuke zuckt mit den Schultern und schaut dabei, als würde er auf eine Antwort von Naruto warten. Mit fragend-erwartungsvollen Augen und hochgezogenen Brauen und allem.   "Solidarität?", schlägt er dann irgendwann vor. Und es ist wirklich nur das, ein Vorschlag, den er Naruto anbietet, den er akzeptieren kann, wenn er keine weiteren Fragen stellen will. Weil so, wie er das gesagt hat, scheint es von der Wahrheit ein ganzes Stück entfernt zu sein und er hat es sich eben gerade einfallen lassen. Ein bedeutungsloses Wort, das er probeweise in den Raum geworfen hat, weil es ganz nett klingt. Das versucht er nicht einmal zu verbergen.   Aber Naruto nimmt seine Antwort an, weil er tatsächlich keine weiteren Fragen stellen will, jedenfalls nicht jetzt, wozu auch. Also befolgt er Sasukes unausgesprochenen Ratschlag, dass er sich einfach freuen soll, dass er mitmacht und dafür die Klappe hält.   Die Jobsuche geht Naruto ganz pragmatisch an; sobald sich die Wetterlage normalisiert hat, klappert er die Läden, Bars und Cafés auf den nächstbesten Hauptstraßen ab und kehrt am Ende des Tages mit einer Hand voll Telefonnummern und Emailadressen nach Hause, von denen er Sasuke ein paar abgibt. Einige Zeit später kann er dann seine neue Stelle in einem kleinen familienbetriebenen Pub antreten, der nur zehn Minuten zu Fuß entfernt liegt, und verbringt fortan den Großteil seiner Abende damit, leere Gläser einzusammeln und das Genuschel von betrunkenen Gästen zu verstehen.   Sasukes einundzwanzigster Geburtstag kommt und geht; wenn Naruto das Datum nicht in seinem Kalender angemarkert hätte, wäre er komplett an ihm vorbeigezogen, denn Sasuke verliert kein Wort darüber und hat auch nichts geplant. Naruto redet zwar immer wieder auf ihn ein, kann seine Haltung nicht nachvollziehen, denn "Das muss man doch feiern!", aber Sasuke ist da anderer Meinung und am Ende muss er sich beugen. Ein Geschenk gibt es trotzdem—das Produkt von tagelangem Kopfzerbrechen und verzweifelten Shoppingtouren ist aber nur eine kleine Topfpflanze, weil Sasukes Zimmer immer so trist ist und damit er etwas hat, um das er sich kümmern kann, wenn Naruto nicht zu Hause ist.   August verläuft mehr oder weniger ereignislos; Sasuke hängt in einem Sommertief fest, das eigentlich schon seit Mitte Juli andauert, und Naruto freut sich auf seinen ersten gemeinsamen Urlaub mit Hinata, für den er schon seit einer Weile spart. Es wird auch genau so, wie er es erwartet hat—eine schöne erholsame Woche ohne seinen mürrischen Mitbewohner, dafür mit der besten Freundin der Welt, jedenfalls in Narutos Augen.   Aber die Realität hat kein Interesse an einem sanften Übergang und meldet sich sehr schnell wieder zurück, als Naruto  die Wohnung betritt und alles dunkel ist. Oder halbdunkel, ein paar Sonnenstrahlen dringen durch die Rollläden herein. Sasuke sitzt auf dem Sofa und knabbert an einem Stück Toastbrot, während der bläulich flimmernde Schein vom Fernseher auf seinem Gesicht tanzt und es irgendwie noch blasser und lebloser erscheinen lässt. Es ist beängstigend, findet Naruto. Vor allem die Tatsache, dass er dieses niveaulose Nachmittagsprogramm sieht, über das er sonst immer so herablassend spricht. Aber er ist sich nicht wirklich sicher, ob Sasuke überhaupt richtig zuschaut, sein Blick scheint eher direkt daran vorbeizugehen.   "Sasuke?", fragt er vorsichtig in den Raum hinein. Aber alles, was er als Antwort bekommt, sind die monotonen Kaubewegungen seines Kiefers. Spätestens jetzt ist Naruto überzeugt, dass etwas nicht stimmt. Von Sasuke ignoriert zu werden, ist zwar wirklich nichts Ungewöhnliches, aber meistens erkennt er seine Existenz dann doch irgendwie an und verfolgt stattdessen nicht Coronation Street Reruns aus den 80ern.   Sein Blick löst sich von Sasuke und es ist erst jetzt, dass ihm auffällt, wie chaotisch es in ihrem Wohnzimmer aussieht, so, als hätte jemand gefeiert und einfach alles in dem Zustand gelassen. Leere Gläser und Alkoholflaschen stehen herum und der Menge nach zu urteilen, ist er wahrscheinlich einfach nur verkatert. Bisher hat er das zwar immer irgendwie besser weggesteckt, aber Naruto kann auch nicht wirklich einschätzen, was sonst noch alles dabei war, deshalb beschließt er, Rücksicht zu nehmen und ihn in Ruhe zu lassen. Es ändert nichts daran, dass es ein bisschen beunruhigend ist—er bleibt eine Woche allein und dann passiert das mit ihm. Spontan entscheidet Naruto, dass Sasuke das nächste Mal einfach mitkommt, wenn er irgendwo hinfährt oder so.   Es ist Anfang September, als sich die Dinge langsam verändern. Alles fängt sehr unscheinbar an und Naruto überblättert es fast, aber als er sich eines Tages Sasukes Notizbuch schnappt, um ein bisschen produktiv zu sein, stehen da auf einmal Zeilen unter einem seiner Verse, wo vorher keine waren. Es ist unbestreitbar Sasukes Handschrift, die kleinen kursiven (unleserlichen) Schwünge bilden einen deutlichen Kontrast zu seinen eigenen krakeligen Buchstaben und Naruto kommt um den Gedanken nicht herum, dass es irgendwie richtig nebeneinander aussieht.   Ein paar Tage später taucht an einer anderen Stelle etwas auf—eine von Narutos besseren Ideen, auf die er eigentlich ziemlich stolz war, ist zum Drittel durchgestrichen, ein Gürtel aus Wörtern und Satzpassagen sortiert sich darum und wird von uneindeutigen Pfeilen an die richtigen Stellen verwiesen, am Rand ist ein kleines Intro skizziert und Akkorde verteilen sich quer über den Text. Als er das Schema hinter dem Chaos versteht, schlägt sein Herz ein paar Takte schneller und Zukunftsvisionen wirbeln in seinem Kopf durcheinander, denn Sasuke ist sowas wie ein moderner Midas, wenn es darum geht, Narutos Songfetzen in Gold zu verwandeln, und auf diesen Moment hat er viel zu lange warten müssen.   "Sasuke, Sasuke!", ruft er aufgeregt, als eben jener nach Hause kommt und fuchtelt dabei wild mit dem Buch herum. "Das ist es! Da steckt unser erster gemeinsamer Song drin und fuck, es ist besser, als ich erwartet habe! Wieso hast du mir nichts gesagt?!"   "Weil es zu 90% mein Song ist."   Aber Narutos Begeisterung geht auch an Sasuke nicht spurlos vorbei und er lässt sich ein bisschen mitreißen, obwohl er sich alle Mühe gibt, es zu verstecken.   Danach ist es, als ob sich ein Schalter umgelegt hätte. Naruto taumelt von einem High ins nächste und kann immer noch nicht ganz begreifen, wie gut es funktioniert. Es fällt schwer, sich vorzustellen, jemals einen besseren Songwriting-Partner zu finden, jemand anderen, mit dem er Dinge schaffen kann, die größer als die Summe ihrer Einzelteile sind.   Wenn Naruto an Songs bastelt, passiert das spontan. Denn Naruto hat das Talent, einfach ein paar Akkorde zu spielen und dazu singen zu können, was ihm gerade einfällt, in hübschen Sätzen verpackt, die rhythmisch passen und sich manchmal sogar reimen. Sasuke kann das nicht. Sasuke brütet über einem Notizbuch und kaut auf seinem Stift herum, bis er die perfekten Worte gefunden hat, niederschreibt und dann doch wieder durchstreicht, weil sie nicht gut genug sind. Wenn Naruto seine Gedanken ungeordnet auf ein Blatt Papier kritzelt, gibt Sasuke ihnen Sinn und Form, wenn Naruto eine gute Idee hat, feilt Sasuke an ihr bis zur Perfektion. Manchmal fügt er aber auch nur einen einzigen geistreichen Satz zu dem inspirierenden Chaos hinzu, das der Default-Modus in Narutos Kopf zu sein scheint. Aber nicht alles, was Naruto produziert, ist verwertbar, und nicht alles, was Sasuke editiert, wird von ihm abgesegnet.   "Das klingt viel zu düster", beschließt Naruto mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln und fängt an, die ernüchternden Bilder zu romantisieren. Wenn Sasuke Geschichten über Hoffnungslosigkeit erzählt, malt Naruto eine Sonne an den grauen Himmel. "Ich will Spaß haben, wenn ich spiele, und ich will mich über das freuen, was ich singe!"   "Dann schreib deine eigenen Songs."   "Ich meine nur. Das könnten Joy Division Lyrics sein und wir wissen alle, wie das ausgegangen ist. Es macht mir ein klitzekleines bisschen Angst, okay?"   Es braucht keine Sekunde, um Sasukes Laune von mürrisch-verstimmt zum absoluten Gefrierpunkt zu bringen. Vielleicht war es nicht die klügste Bemerkung, muss Naruto im Nachhinein zugeben.   "Was versuchst du da anzudeuten?!", grollt Sasuke gefühlte zwei Oktaven tiefer als er normalerweise spricht und Naruto bemüht sich um Schadensbegrenzung, vor allem weil er selbst nicht genau weiß, was und wieviel er eigentlich damit sagen wollte.   "Schau, kannst du nicht einfach über fröhlichere Dinge schreiben?"   "Über was denn? Siehst du hier irgendwas, über das ich mich freuen könnte?!"   "… mich?"   Und vielleicht ist es Narutos hoffnungsloses Puppyface, vielleicht hat Sasuke angesichts so schlagender Argumente auch einfach keine Lust mehr zu diskutieren, jedenfalls dreht er sich nur kopfschüttelnd weg und die bedrohlich kalte Aura verfliegt.   "Warum mach ich das eigentlich mit?", hängt er wenig später als Nachsatz an, der nicht ganz so rhetorisch klingt wie er sollte, und Naruto antwortet, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.   "Weil es die Chance deines Lebens ist. Und weil du mich liebst, darum."   "Natürlich …" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)