The darkest thrill von Porzellan_Puppe (NaruSasu) ================================================================================ Kapitel 15: Road to ruin ------------------------ Es ist nicht einfach, wie ein Todesbote vor Hinata zu treten und zu sagen, was ihm schon seit Tagen durch den Kopf geht. Noch schwerer wäre es, ihr die Wahrheit zu erzählen, deshalb versucht er es gar nicht erst und packt jede Menge Ausreden und Entschuldigungen und vertröstende Worte um eine eigentlich sehr simple Essenz: "Lass uns Schluss machen."   Es ist nicht nur ihr Herz, dem er einen Gnadenstoß versetzt, denn es sollte niemals so enden, vor wenigen Wochen noch hat er sich nicht einmal vorstellen können, dass es überhaupt irgendwann endet und ein Ablaufdatum war nirgendwo zu sehen. Aber nach gründlichem Überlegen ist er zu dem Entschluss gekommen, dass es so besser ist für alle Beteiligten oder vielleicht redet er sich das auch nur ein, denn eigentlich hat er nicht lange nachdenken müssen. Dafür, dass es ihm bis vor ein paar Tagen an keinem Punkt auch nur in den Sinn gekommen ist, sich von Hinata zu trennen, war für ihn erschreckend offensichtlich, was er zu tun hat. Er hat zwar nie damit gerechnet, dass es eine Wahl gibt, aber wenn er sich entscheiden muss—… es ist immer Sasuke.   Hinata ist nicht einmal wütend auf ihn, obwohl sie das sein sollte für die ganzen inhaltslosen Phrasen, die er ihr serviert, sie fällt nur in sich zusammen und weint und er weiß nicht, ob er sie in seine Arme ziehen oder einfach gehen soll, ob er überhaupt das Recht hat, sie zu trösten. Sie wehrt sich nicht, als er es trotzdem tut und sein Gesicht in ihren Haaren vergräbt, ein letztes Mal den vertrauten Duft ihres Lavendelshampoos einatmet, und das beruhigt ihn ein wenig. Wenn Sasuke dafür sorgt, dass seine Gedanken im Kreis rennen und sich überschlagen, ist Hinata der Ruhepol, der ihnen die wohlverdiente Pause gibt. In Zukunft wird er wohl ohne das auskommen müssen.   Naruto versucht sich vorzustellen, wie die Situation mit Sasuke ablaufen würde und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: Sasuke würde ihn nicht trösten, Sasuke würde seine Worte nicht in Watte packen und Sasuke würde nie, unter keinen Umständen weinen. Vermutlich würde er mit den Schultern zucken und gehen, das kann Naruto vor seinem inneren Auge sehen, aber eine emotionale Reaktion? Der Gedanke ist bizarr. Er hofft nur, dass er das Richtige tut und sich und Sasuke damit nicht ins Chaos stürzt.   Als Naruto die Stufen zu Hinatas Apartment herunterschlurft und wieder auf die Straße tritt, hat es angefangen zu regnen. Er verflucht die Tatsache, dass er es offenbar nicht für nötig gehalten hat, einen Schirm mitzunehmen—auch wenn er generell nicht der Typ Mensch ist, der an solche banalen Dinge wie Schirme denkt, hätte er es doch besser wissen können, denn es hat die gesamte letzte Woche eigentlich nicht viel anderes getan als zu regnen. Vom anbrechenden Frühling der letzten Märzwochen ist nicht mehr viel übrig, stattdessen ist es kalt geworden und Naruto kann sich nur mit Mühe daran erinnern, wann er zuletzt einen warmen Sonnenstrahl auf seiner Haut gespürt oder ein Schimmer Blau im grauen verdeckten Himmel geglänzt hat. Der melodramatische Teil in ihm empfängt den Wolkenbruch mit offenen Armen und lässt es einfach geschehen, keine beschleunigten Schritte, kein Rennen zum nächsten Unterstand, bis sein T-Shirt auch unter der Jacke unangenehm an seiner Haut klebt und er betäubt genug ist, um die kreisenden Gedanken zu stoppen. Irgendwo hatte er ein bisschen gehofft, dass die Trennung von Hinata wie eine bittere Pille ist, die er zwar nur ungern schluckt, aber sofort anfängt zu wirken, die seine Gewissensbisse lindert und das ganze Durcheinander in ihm sortieren kann oder zumindest ein bisschen aufräumt, aber er fühlt sich nicht befreit und auch nicht so, als hätte er ein einziges Problem gelöst.   "Du bist nass", stellt Sasuke eine halbe Stunde später monoton blinzelnd fest, als Naruto triefend zur Tür hereinstolpert.   "Ich hab mit Hinata Schluss gemacht."   "Ah."   Naruto weiß nicht ganz, was er hören wollte, aber das war es nicht. Sasuke rührt abwesend einen halben Löffel Zucker in seinen Tee und wirkt allgemein nicht so, als hätte er Interesse daran, das Gespräch zu vertiefen. Seinem Aussehen nach zu urteilen ist er gerade erst aus dem Bett gerollt und in die nächstbesten Klamotten geschlüpft, noch ein bisschen Müdigkeit schwimmt in seinen Augen als er sich umdreht und seine Haare scheinen stumpf in dem Halbdunkel des Raumes, das nur von den paar wenigen Sonnenstrahlen beleuchtet wird, die ihren Weg durch den dichten Wolkenteppich am Himmel und in ihr trübes Fenster hinein gefunden haben. Ein bisschen verloren steht Naruto im Eingang herum und tropft kleine Pfützen auf den Holzfußboden.   "Ich hab sowas vorher noch nie gemacht. Es war furchtbar. Ich hab ihr Herz gebrochen und sie weiß nicht einmal warum", murmelt er mit brüchiger Stimme, auch wenn ihm klar ist, dass Sasuke das gar nicht hören will, aber sonst ist ja niemand da. Für ein paar Momente wird er einfach nur mit aussagelosem Blick angesehen, bis Sasuke sich wortlos wegdreht und ins Bad verschwindet.   Das ist es, denkt Naruto und sein Herz verkrampft sich, das ist seine gerechte Strafe und natürlich ist es Sasuke, der sie vollstreckt. Eigentlich hat er ja gar kein Mitleid verdient und er erwartet auch keins, am allerwenigsten von Sasuke, aber es tut trotzdem weh, so rücksichtslos geerdet zu werden. Nur kommt es nie dazu, denn er taucht sofort wieder in Narutos Blickfeld auf und hält ein Handtuch in der Hand, das er ihm stumm herüberwirft. Perplex fängt Naruto es auf und ist sich nicht ganz sicher, ob er es als nette Geste deuten darf oder Sasuke einfach nur nicht will, dass er das Wohnzimmer flutet.   Nachdem er sich notdürftig abgetrocknet hat und die nassen Klamotten im Bad über der Heizung hängen, kuschelt sich Naruto mit einer Decke auf das Sofa und starrt uncharakteristisch still aus dem Fenster, wo es eigentlich nicht viel zu sehen gibt außer Regentropfen, die um die Wette laufen, und die karge Backsteinfassade des Hauses gegenüber. Sasuke zögert ein bisschen, sein Gesicht sagt eigentlich ganz eindeutig, dass er gerne woanders wäre, aber er setzt sich schließlich doch zu Naruto in einem unbeholfenen Versuch, für ihn da zu sein, und der interpretiert das als Erlaubnis, ihm sein Leid zu klagen.   "Wir waren zwei Jahre lang zusammen… sie tut mir so leid, weil es lief eigentlich gut mit uns und das kam für sie aus heiterem Himmel. Wer weiß, wenn wir nicht, naja… vielleicht hätte ich sie eines Tages geheiratet."   "Warum hast du dich dann von ihr getrennt?"   Naruto schaut ihn mit großen Augen an und ist das nicht offensichtlich?   "Ich will sie nicht hintergehen."   "Was, hast du plötzlich den Drang, dich durch die Stadt zu vögeln?", lacht Sasuke trocken, humorlos, und eigentlich gibt es nichts Belustigendes an der Situation, aber vielleicht hat er auch einfach nur Spaß daran, wie leicht er Narutos Wunschvorstellungen zertrümmern kann. Für den Fall, dass es nicht schon vorher unmissverständlich klar war, tut Sasuke sein Bestes, um in Narutos Kopf zu hämmern, dass die Transition von seiner Beziehung mit Hinata zu was auch immer es ist, das er mit Sasuke hat, vielleicht doch nicht so reibungslos abläuft, wie er es gerne hätte. Naruto fehlen ein bisschen die Worte, weil es so absurd ist und sie beide wissen das und wieso muss er immer alles so kompliziert machen?   "Was zur Hölle, Sasuke?", knurrt er heraus und als dieser sich zum Gehen wendet, ohne eine Antwort zu geben, belässt er es dabei, denn er ist gerade nicht in Stimmung, um Konfrontation zu suchen.   Das Thema wird danach in stummer Übereinkunft auf die (beunruhigend lange) Liste der Dinge gesetzt, die ums Verrecken nicht angesprochen werden und damit hat sich auch das erledigt. Naruto zerläuft in seinem ungewollten Single-Dasein und vielleicht ist Sasuke ein bisschen kälter zu ihm, vielleicht ist es aber auch nur das Wetter. Die Tage fließen ineinander in alltäglichem Grau und mehr als einmal ertappt sich Naruto bei den Zweifeln, ob er sich die ganze Nacht nur eingebildet hat und es nichts weiter als eine Halluzination ist, der er hinterhersehnt.   Bis Sasuke und er das nächste Mal wieder mehr trinken als gut für sie ist und Berührungen von alleine kommen, ein bisschen länger verweilen als angemessen wäre, Blicke abschweifen und manchmal ist er so kurz davor zu verstehen, was da in Sasukes verschwommenen Augen ist, aber dann blinzelt er und was es auch immer war, ist weg.   Irgendwann hat Naruto genug und drückt seine Lippen gegen Sasukes, und schneller als er begreifen kann, sind sie aus der verrauchten Bar draußen und stehen in einem Hinterhof oder einer Seitengasse, dicht an die Hausfassade gedrückt, um den Sturzbächen hinter ihnen zu entgehen und vielleicht auch neugierigen Blicken. Naruto kichert wie ein kleiner Junge als er Sasuke von der Wand weg in den strömenden Regen zieht, Finger in seinen Gürtelschlaufen verhakt, Lippen nass aneinander entlanggleitend, und stolpernd versucht, an ihn gepresst sein Gleichgewicht zu halten, ohne gegen einen der herumstehenden Müllcontainer zu scheppern. Wasser sammelt sich in seinem Mund und er muss immer wieder unterbrechen, weil er nicht aufhören kann zu lachen. Sasukes Haare kleben an seiner Stirn, Tropfen perlen von seiner bebenden Unterlippe und Nasenspitze und Naruto hat sich noch nie so komplett gefühlt.       Sasuke hat in der Vergangenheit bereits ein paar Mal versucht, Naruto begreiflich zu machen, dass nicht jeder in der Lage ist, Kater und/oder Müdigkeit einfach so abzustreifen, dass manche Menschen lieber schlafen anstatt Lärm und Chaos zu schaffen. Aber Sasuke weiß auch, dass die wichtigen Dinge selten bei Naruto hängen bleiben, und fragt sich jetzt stattdessen, wie zur Hölle er es angestellt hat, sein Türschloss zu knacken. Eine raue Hand packt seine Schulter und rüttelt ihn grob, zerrt an der Bettdecke, die Sasuke schnell wieder richtet und nur noch fester um sich zieht.   "Geh weg."   "Aber es ist Sonntag und ich hab dir Frühstück gemacht. Und schau", verkündet er, und Sasuke muss feststellen, dass er die wahre Bedeutung von Helligkeit nie wirklich kannte. Der kleine Spalt Licht von seiner Zimmertür wirkt wie tiefste Dunkelheit im Vergleich zu den gleißenden Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereinströmen, als Naruto die Vorhänge zurückzieht. "Schau, es hat aufgehört zu regnen. Die Flut ist vorbei, die Menschheit wurde gerettet, Sasuke, das müssen wir feiern!"   "Verpiss dich."   Aber Naruto macht ungestört weiter, anstatt Sasukes weisen Rat zu befolgen, und als Konsequenz schnellt eine Hand von unter der Decke auf Naruto zu, schlägt das nächstbeste, was sie erreichen kann, wenn auch nur sehr halbherzig und kraftlos.   "Hey, das hat weh getan! Jetzt geh ich erst recht nicht." Er schüttelt Sasuke noch einmal, zieht mit Gewalt an der Decke. "Steh auf, du fauler Sack, raus mit dir!"   "Halt die Klappe und geh aus meinem Zimmer—wie bist du überhaupt reingekommen?! Ich hab gestern extra abgeschlossen."   Spätestens jetzt ist sich Sasuke sicher, dass er kaum eine Chance hat, wieder einzuschlafen; selbst wenn Naruto tatsächlich gehen sollte, hat er es geschafft, Sasukes Kopf und Körper unrettbar wachzurütteln.   "Sei nicht dumm, Sasuke", zwitschert er. "Dein Schloss hat noch nie richtig funktioniert. Man muss nur ein bisschen anheben und dagegen treten, weißt du das nicht?"   "Ach, fick dich, verschwinde."   Es dauert noch eine Weile, bis Sasuke wirklich ansprechbar ist und sich zu Naruto an den Tisch setzt. Das versprochene Frühstück besteht aus matschigem Rührei, inzwischen kaltem Toast und einer aufgewärmten Dose Baked Beans, und tut nichts dafür, um Bonuspunkte bei Sasuke zu sammeln. Umso erstaunlicher ist es, dass er sich trotzdem überreden lässt, Naruto bei ein paar Besorgungen zu begleiten, der dringend neue Saiten für seine Gitarre braucht, um die er sich schon viel zu lange herumgedrückt hat, und eigentlich ist es auch mal wieder nötig, einkaufen zu gehen.   Sie kommen nicht weit, eigentlich nur ein paar Meter bis zur Bushaltestelle, an der sie warten müssen. Normalerweise zählt das nicht zu Narutos Lieblingsbeschäftigungen, aber es ist ein schöner Tag, die Luft riecht reingewaschen, nach Frühling und Sonne und Neuanfängen, und er genießt die Zeit mit seiner Lieblingsperson.   Sasuke hat eine Hand in seiner Hosentasche vergraben, in der anderen balanciert er seine obligatorische Zigarette und scharrt abwesend mit dem Fuß am Boden, als wäre er allein unterwegs, obwohl ihm bewusst sein sollte, dass Narutos Blick an ihm heftet. Ein Sonnenstrahl fällt genau in seine Augen und er blinzelt irritiert dagegen an, verzieht das Gesicht, bevor er ärgerlich den Kopf abwendet, und wow, was hat Naruto sonst gespürt, wenn er ihn angesehen hat? Oder hat sich gar nichts verändert?   "Hey Sasuke", sagt er, ohne den Gedanken voll durchzudenken, und küsst ihn auf den Mund, bevor er irgendetwas dagegen tun kann. Sasuke braucht einen Wimpernschlag zu lang, um zu schalten und Naruto stolpernd von sich wegzustoßen. Sein Gesicht versucht gar nicht erst zu verbergen, wie sehr es ihn aus der Fassung gebracht hat, und er sieht aus, als erfordere es seine ganze Selbstkontrolle, um nicht auf dem Absatz kehrt zu machen.   "Was tust du da?!"   "Ich… küsse dich?", blinzelt Naruto verwirrt. "Das ist nicht das erste Mal, weißt du. Wir sind auch schon weiter gegangen, also was ist dein Problem? Gestern—"   "Ich weiß nicht, wovon du redest", unterbricht ihn Sasuke und Naruto möchte am liebsten weinen oder Sasuke zum Weinen bringen, denn er weiß, wo das hinführt und es ist so frustrierend.   "Komm schon, Sasuke, ich bin kein Idiot. Mach doch nicht alles so kompliziert. Wir können uns beide daran erinnern und auch an das Mal davor, denn meine Güte, ich war betrunken, aber doch nicht so betrunken!"   Vereinzelte Passanten schauen schon neugierig zu ihnen herüber und das ist eigentlich nicht der Schauplatz, an dem Naruto diese Auseinandersetzung haben will; ein klärendes Gespräch in der Zweisamkeit ihrer Wohnung wäre ihm unendlich viel lieber als die öffentliche Szene, zu der es langsam eskaliert. Seine Finger beben, als er eine Hand nach Sasuke ausstreckt, noch unentschlossen, ob es eine zärtliche Berührung werden soll oder ein grobes Packen, aber sie wird weggeschlagen, bevor er Kontakt machen kann.   "Fass mich nicht an", zischt er und da ist genug Gift in seiner Stimme, um Naruto zurücktreten zu lassen. "Denkst du, so läuft das?! Du machst mit deiner Freundin Schluss und ich spring einfach ein?! Fick dich!"   Naruto weiß nicht ganz, was er darauf sagen soll, denn das ist kompletter Bullshit, außer natürlich, dass es eigentlich genauso ist, nur klingt es in Sasukes Worten irgendwie unnötig negativ. Er hat nie daran gedacht, dass Sasuke auf den absurden Gedanken kommen könnte, nicht oberste Priorität zu sein, denn das war er schon immer, und genau das will Naruto erklären, aber er erhält nie die Chance, sich eine Antwort zusammen zu suchen, denn noch während er mit offenem Mund starrt, schiebt sich Sasuke an ihm vorbei und verschwindet auf die andere Seite der Straße.       Natürlich ist Sasukes Handy ausgeschaltet. Wahrscheinlich ist der Akku leer und es liegt irgendwo vergessen und ignoriert im Zimmer herum. Sasuke sollte besser nie Kinder haben, jedenfalls wenn es nach Naruto ginge, denn die würden sicher genauso vernachlässigt wie das Handy oder die bemitleidenswerte Topfpflanze, die Naruto ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat und seither als Aschenbecher missbraucht wird.   Es ist nicht das erste Mal, dass sich Sasuke einfach umdreht und geht und ihn mitten auf der Straße stehen lässt. Eigentlich passiert das häufiger. Aber meistens kommt er dann nach ein paar Stunden doch wieder zurück nach Hause und ignoriert ihn eben dort. Jetzt ist es Viertel vor Neun, die Pizza wird langsam kalt und Naruto fängt an, sich Sorgen zu machen.   Irgendwann hat er genug davon, tatenlos herumzusitzen und schnappt sich seine Jacke, bevor er zur Tür heraus stürmt. So hat er sich seinen Abend eigentlich nicht vorgestellt, einsam durch die Stadt zu irren anstatt mit Sasuke zusammen auf dem Sofa zu liegen, aber es bleibt ihm ja nichts anderes übrig, auch wenn er keine Lust darauf hat. Die Straßen sehen im Laternenschein alle gleich aus und es ist ihm mehr als bewusst, dass er keine reelle Chance hat, Sasuke in den nächsten Stunden zu finden, selbst wenn er davon ausgeht, dass er nur zu Fuß unterwegs war. Aber die andere Option ist, zu warten und darauf zu vertrauen, dass sich Sasuke wie ein vernünftiger Mensch benimmt, und Naruto weiß, wie katastrophal das enden kann. Er muss die Sache sofort gerade rücken und nicht erst morgen oder in ein paar Tagen, wenn nur noch darüber geschwiegen wird. Bisher hat er allerdings noch keine richtige Ahnung, was er ihm eigentlich sagen will, und nachdem er zum dritten Mal an derselben Kreuzung landet, mischen sich unter seinen Missmut auch langsam die Zweifel, wieso er sich das überhaupt antut, wieso er Hinata für so viel Ärger und Ballast aufgegeben hat, aber die Gedanken schüttelt er schnell aus seinem Kopf, denn das ist nur der Frust, der sich zu Wort meldet, und er weiß, dass die guten Momente mit Sasuke alles andere aufwiegen können.   Seine Odyssee durch Ostlondon führt ihn schließlich an einen Kanal; er kann das weiche Echo des Wassers hören, das unter der Brücke hin und her schwappt, und die zaghaften Geräusche von jemandem, der weint. Neugierig tastet er sich an dem kühlen Backsteingemäuer entlang, aus dem Schatten heraus auf den besser beleuchteten Uferweg. Im Laternenschein kauert ein Mädchen mit angezogenen Knien auf einer Parkbank und schluchzt herzzerreißend. Sasuke sitzt weiter hinten und wirft Steine ins Wasser. Der Kanal ist nicht breit genug, um sie hüpfen zu lassen, deshalb versinken sie mit einem schweren Gluckern in den Untiefen der schlammig-braunen Brühe.   Unter anderen Umständen hätte Naruto sich wahrscheinlich zu dem Mädchen gesetzt und gefragt, was sie so traurig macht, aber jetzt kann er ihr nur einen mitleidigen Blick im Vorbeigehen zuwerfen. Sasuke ist ein bisschen wichtiger, auch wenn er immer noch völlig unberührt Steine in den Kanal schnickt und starr geradeaus guckt, obwohl er Naruto längst bemerkt haben muss.   "Hier bist du also."   Ein kurzes Flickern mit den Augen, ein Zucken in der rechten Hand und Naruto hat Angst, dass der nächste Stein seinen Kopf als Zielscheibe haben wird.   "Hey", versucht er es noch einmal und tritt sanft gegen Sasukes Fuß. "Ich hab den ganzen Abend nach dir gesucht."   Aber Sasuke dreht nur leicht den Kopf weg und scheint immer noch zu hoffen, dass Naruto einfach verschwindet, wenn er ihn lange genug ignoriert. Zögernd setzt dieser sich neben ihn mit einem kleinen Sicherheitsabstand und schaut auf die durcheinandergebrachte, schwarze Wasseroberfläche vor ihnen. Und nun, wenn sie sich nicht berühren, reden oder er sein Bestes gibt, um zu entziffern, was Sasukes Augen ihm sagen wollen, weiß er nicht, was er tun soll. Also bleibt er einfach sitzen und wartet geduldig auf eine Reaktion. Ein Seufzen, und dann verzögert:   "Ich kann dir echt nicht entkommen, huh?"   "Nein. Niemals. Egal wo du hingehst, ich finde dich früher oder später", antwortet Naruto aufrichtig und zuckt zusammen, sobald die Worte seinen Mund verlassen haben. So sollte das nicht klingen, wie ein Stalker oder Serienkiller, sondern romantisch, zwei Teile eines Ganzen, ein roter Faden an seinem Finger und am anderen Ende ist Sasuke. Er will damit nicht sagen, dass er ihn nie in Ruhe lassen wird, aber wenn Sasuke verloren ist und ihn braucht, dann würde er Himmel und Erde in Bewegung setzen, um ihn zu finden. Normalerweise hat Naruto die Gabe, einfach drauf los zu reden und trotzdem die richtigen Worte zu finden. (Er sollte vielleicht bei einer Suizid-Hotline arbeiten.) Aber was er zu Sasuke sagt, ist immer das falsche oder zumindest nicht das, was er ihn eigentlich wissen lassen möchte. Dafür sind mehrere Anläufe nötig und fatale Missverständnisse und am Ende des Tages kann er sich trotzdem nicht ganz fehlerfrei ausdrücken, ein paar Lücken in der Übersetzung bleiben immer.   "Ich, uhm, ich will nicht, dass sich was ändert", murmelt Naruto irgendwann nach ein paar Minuten des Schweigens und kaut nervös auf seiner Unterlippe. "Das wird keine Beziehung, ja? Ich will den Sex und ich will dich, aber den Rest brauche ich nicht. Keine Verbindlichkeit, nichts Offizielles, kein Coming-Out vor den Familien und so. Ich meine, wenn du das willst, dann hab ich damit kein Problem, aber, was ich sagen will, es muss nicht sein. Ich denke, wir haben vorher gut funktioniert und eh, wozu etwas reparieren, das nicht kaputt ist?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)