Mitternachtskälte von JO89 ================================================================================ Teil eins: Scherben von Gestern ------------------------------- Wiese so weit das Auge reichte, Weiden, die im Garten standen und deren Blätter leicht im Wind wogten, der Wald in der Ferne trug bereits sein rotbraunes Herbstkleid, in den letzten Tagen war es etwas kühler geworden und die Sonne tauchte die Umgebung allmählich in Abendrot. Mit der warmen Tasse Tee in den Händen blickte der junge Mann starr in die Weiten der Welt und rührte sich nicht. Er stand auf dieser Terrasse, die mit Schiefersteinen getäfelt worden war, genauso wie die Treppe die herauf führte, zum Eingang des Häuschens in seinem Rücken. Alles hier war ihm so fremd und er wusste nicht, ob er sich wohl fühlen würde, in einer ruhigen Gegend wie dieser, abseits der Stadt Yorks. Er wollte es nichtwahrhaben, dass er hier stand, an dem Ort, den seine Cousine jedem anderen vorgezogen hatte. Sie war einfach abgehauen, hatte alles stehen und liegen gelassen, im St. Mungos gekündigt und nichts mehr von sich hören lassen. Sie war mit ihren Problemen im Gepäck einfach aufgebrochen und nicht zu ihm gekommen, ihrem besten Freund, wie sie ihn immer nannte. Onkel Ron hatte sofort einen Suchtrupp organisiert, um seine kleine Tochter zu finden, die Aktion blieb erfolglos, bis heute. „Ich freue mich wirklich, dass du gekommen bist, Albus“, kam es matt von der Tür und der junge Quiddtich-Profi wandte sich um. Roses Augen wirkten müde als sie die Plätzchen auf den Glastisch mit dem geschmiedeten Bein stellte, sich in einen dazu passenden Stuhl setzte und sich die Wolldecke, die über der Rückenlehne hing, um die schmalen Schultern legte. „Noch Früchtetee?“, bot sie ihm freundlich an, auch wenn nichts von der Freundlichkeit geblieben war, die er kannte, überhaupt erkannte Albus seine Cousine nicht wieder. Nie hätte sie in so einem biederen Haus gewohnt, dessen Außenwand aus dunklen, gräulichen Backsteinen bestand und derartige holzverkleidete Fenster hatte, schon gar nicht alleine! Der junge Zauberer atmete tief durch um keine böse Bemerkung zu ihrer Entscheidung loszulassen, denn das vor ihm enttäuschte ihn wirklich. Langsam trat er zu ihr, setzte sich ihr gegenüber und ließ sich nochmal nachschenken. „Ich wäre schon viel früher hier gewesen…, wenn ich gewusst hätte, wo du dich aufhältst, Rosie“, die leichte Wut, die mitschwang konnte er nicht unterdrücken. Sie hatte ihre Eltern nicht erlebt, als es hieß, Rose Weasley sei nicht aufzufinden, ganz zu schweigen von den Reaktionen ihrer anderen Verwandten. „Ich brauchte meine Ruhe, Albus… es hat sich so viel getan…. Ich…“ Er ließ sie nicht weiterreden, sondern unterbrach sie aufgebracht: „Ja, im letzten halben Jahr hat sich einiges getan! Du hast in den letzten sechs Monaten keinem Einzigen geschrieben, Rosie! Wieso hast du nicht wenigstens ein ‚Es geht mir gut‘ geschickt!?“ Albus schnappte nach Luft und setzte sich wieder hin, weil er sich so in Rage geredet hatte, dass er aufgesprungen war. „Es tut mir Leid, Albus… Ich habe Dominique geschrieben…“, hörte er sie leise sagen und er verdrehte die Augen. Das war ja klar gewesen, Dominique, auch sie war eine ähnliche Spezialistin, die alle Zelte abgebrochen hatte um die Welt zu entdecken. Im Gegensatz zu Rose, hatte diese Hexe es wenigstens angekündigt. Während der Potter sich schwor, mit der blonden Veela noch ein Hühnchen zu rupfen, beschloss er ebenso rasch, aber nachdenklicher: „Deine Eltern werden sich freuen zu hören, wo du bist, dass du noch lebst, und dass es dir einigermaßen gut geht…“ Er blickte in ihre warmen braunen Augen und sah wie sie den Kopf energisch schüttelte, ehe sie an ihrer Tasse Tee nippte. „Rosie, ich hätte es noch vor meiner Ankunft hier in dieser… dieser…“, an dieser Stelle stockte der Zauberer und betrachtete das eigentlich schöne, neue Zuhause seiner Lieblingscousine, - er hätte es ja akzeptiert, wenn Rose unter anderen Umständen hergezogen wäre, - blickte zu der kleinen, brennenden, flackernden Kerze in der reichverzierten, schmiedeeisernen Lampe mit den milchigen Glasscheiben an der Wand neben der Eingangstür, sah letztlich wieder zu Rose und fuhr frustiert fort: „…ach lassen wir das - ich hätte es noch vorher deinen Eltern gesagt, und sie mitgenommen, wenn ich gewusst hätte, dass die krakelige, rote Nachricht ohne Unterschrift –an meiner Hotelzimmerwand von dir ist!“ Im selben Moment tat es ihm leid, als er in ihre geweiteten Augen blickte, weil er seine Cousine angeschrien hatte, aber er fasste es nicht, dass sie nicht wollte, dass ihre Eltern endlich wieder aufatmen konnten. „Ich sage es ihnen selbst, wenn… sobald mir danach ist, Albus!“, bebte die junge Hexe entschlossen und umklammerte ihre Tasse fester. Ihr Gegenüber raufte sich die Haare und fragte etwas verzweifelt: „War London denn nicht mehr schön, Rosie? Ich meine… warum…?“ In diesem Moment fehlten ihm die Worte, sie hatte keine Erklärungen gegeben, und Rose hatte versichert, dass keine folgen würden, keine Rechtfertigungen, einfach gar nichts. „Ich kehre nie wieder zurück nach London… Da sind einfach zu viele Dinge geschehen, die… nie hätten sein sollen.“ Es störte Rose nicht, dass Albus sie so verständnislos ansah, denn er verstand wirklich nur Bahnhof und das sollte er auch. „Und wo arbeitest du jetzt, Rose? Ich meine, wir hätten dich doch gefunden, wenn da irgendwelche neuen Angaben gewesen wären…Wohnort, Arbeitsstelle….“ Der Schwarzhaarige fühlte sich etwas überfordert, denn es kam ihm immer mehr vor, als führe seine beste Freundin nicht nur ein völlig neues Leben, sondern auch eines, in welchem er einfach keinen Platz mehr fand. „In einem Kindergarten, Albus. Gleich die Straße runter, ein paar Minuten Fußweg“, erklärte sie lächelnd, als sie sah, dass in dem Nachbarhäuschen die alte Frau gerade ein Fenster schloss und freudig winkte. „Aber, Rosie, du weißt schon, dass hier weit und breit kein Portal oder so ist, dass es hier keine magischen Kindergärten gibt, dass…“ Albus war sich so sicher, dass der Suchtrupp seine Cousine gefunden hätte, wenn sie auch nur appariert wäre, geschweige denn, einen Kamin benutzt hätte. Außerdem konnte das magische York eher mit der Winkelgasse verglichen werden, also war da an kleine Kinder in Kindergärten nicht zu denken. Und Rose lächelte matt, sie wirkte überhaupt traurig und kraftlos, so völlig anders, sie war nicht mehr der Wirbelwind, den der Potter kannte. „Natürlich nicht… Aber stell dir vor, in Muggel-York gibt es so etwas“, ein Lachen folgte und Roses Augen glitzerten fröhlich. Wenn die Hexe über ihr neues Leben redete, blühte sie wieder etwas auf. „Das ist nicht dein Ernst!“, entfuhr es Al geschockt und vergaß seinen Tee zu trinken. „Al…“, ein Wort in einer etwas mahnenderen Stimmlage und der gewisse Blick, den sie schon zu Schulzeiten - wenn man es genau nahm… eigentlich immer – aufgesetzt hatte, genügten, wann immer er an ihren Worten zweifelte. „Aber, Rosie…“, protestierte er nochmal und musste letztlich auch schmunzeln. Seine Cousine war wenigstens etwas schräg geblieben, das Einzige, was von ihrem alten Charakter noch übriggeblieben war. Albus blickte sich nochmal um, es war schon erstaunlich, was sich Rose alles aufgebaut hatte, in diesem halben Jahr und automatisch griff er zu den Plätzchen in der Schale. „Die sind gut“, stellte der Potter fest und strich sich erneut durch die Haare, als er zu den Kronen der Weiden blickte. „Wo hast du die gekauft? Die muss ich mir auch besorgen.“ Dann verschluckte er sich, als er hörte, dass Rose zu backen angefangen hatte. „Du, die immer lesende, absolut quirlige Jägerin unter Führung von Zabini, die von solchem Hausfrauenkram nie wirklich viel hielt?“, hustete der Schwarzhaarige und starrte auf das Gebäck. „Al…“, seufzte seine Lieblingscousine, „Meine nette Nachbarin Mrs. Miller hat mir die Rezepte gegeben, wir haben schon ein paar Mal zusammen gebacken.“ Schließlich schob er das bisschen Rest des Plätzchen noch ganz in den Mund und murmelte während des Kauens: „Was haben sie mit dir gemacht?“ Rose Weasley zog eine Augenbraue hoch und ging gar nicht auf Albus ein, während sie streng erläuterte: „Und verwende die Nachnamen meiner beiden Kapitäne nicht als wären sie leblose Gegenstände oder Massenware! Diane Aletta Zabini hat eben nach ihrer Schulzeit den Posten an ihren kleinen Bruder Richard Emile Trento abgegeben, na und?“ Dann begann der Potter zu grinsen und schob sich noch ein weiteres Plätzchen in den Mund und murmelte: „Bescheuerte Namen.“ „Aber du hast dir Albus Severus ausgesucht, was?“, kam es monoton und etwas schnippig zurück und Rose trank ihren Tee und amüsierte sich köstlich, als Albus aufging wie ein Germteig, weil sie so gemein war. „Dafür hättest du nach Slytherin gehen sollen und nicht nach Hufflepuff!“ Normalerweise wäre jetzt ein Augenrollen seitens Rose gekommen und ein blöder Spruch wegen seines besten Freundes, - wie: „Vergleich mich nicht mit diesem präpotenten, prahlenden, mit alles und jedem poussierenden Pickelgesicht, das prädestiniert dafür ist in einem prähistorischen Museum ausgestellt zu werden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass seine Rasse schon vor Jahrtausenden ausgestorben ist, denn so ein Ekelpaket gibt es auf Erden kein zweites Mal!“ oder „ Diese blasierte, Lehrer bluffende, bonafide wirkende, völlig bornierte, blonde Bisamratte soll sich ja nie wieder trauen auch nur einen Fuß in den Mädchenschlafsaal Hufflepuffs zu setzen um mir Kröten und Spinnen unter Kissen und Decke zu mogeln, denn sonst tritt mein Fuß in ihre Weichteile!“ Derartige Reaktionen waren zu Hogwartszeiten typisch gewesen und nichts Außergewöhnliches, sobald von ihm die Rede war - allerdings nippte die Wealsey heute nur an ihrer Tasse Tee und nichts weiter geschah. „Was ist los? Gehen dir die Gemeinheiten aus, wenn es um den von dir ernannten Ober-Slytherin Scorpius Hyperion Malfoy geht?“, wollte der Potter wissen und blickte überrascht zu seiner Cousine Rose. Während die Hexe noch einmal an der Tasse nippte und die Beine anzog, letztlich den Tassenboden mitsamt der Teerückstände begutachtete und endlich wieder zu dem Potter blickend murmelte: „Nicht in Stimmung.“ Dieser starrte die Hexe ungläubig an und legte das noch nicht angebissene Gebäck wieder zurück in die Schale. Nun war ihm der Appetit vergangen. „Du bist echt nicht mehr dieselbe.“ Und seine beste Freundin zuckte mit den Schultern. „Schon möglich, Al“, kam die leise Antwort und die junge Frau strich sich ihr rötliches Haar hinters Ohr. Die beiden saßen für eine Weile so zusammen und schwiegen sich an, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und erst als Albus auf seine Armbanduhr blickte und feststellte, dass es bereits halb Zehn wurde, räusperte er sich und stand auf. „Rosie, ich habe diesen Tag wirklich genossen, und du weißt, dass ich es hasse mich verabschieden zu müssen….“ Dem Potter tat es weh seine beste Freundin so zu sehen und von dem Gefühl überrumpelt gebraucht zu werden, trat er zwei Schritte um dem Tisch, zu der Weasley und drückte ihre Hand und blickte ihr in die Augen als wollte er sagen: Ein Wort und ich bleibe hier. Nur dass Rose Weasley nie um irgendetwas bat und wäre es noch so dringend gewesen, sie hielt sich stets zurück. „Aber morgen muss ich früh aufstehen und wenn ich nicht fit für’s Spiel bin…, dann meucheln mich mein Coach und meine Teamkollegen. Also….“ Immer noch hoffte er, seine beste Freundin würde endlich zugeben, wie dreckig es ihr ging, und dass sich ihr Zustand nur bessere, wenn er ihr Gesellschaft leistete, stattdessen lächelte die Weasley, immer noch matt, aber aufrichtig und wünschte: „Ich hoffe, ihr gewinnt.“ Dann stand die Hexe auf, zog ihren Cousin in eine Umarmung und flüsterte: „Bis bald.“ Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus als der junge Zauberer die Stufen hinab stieg, ein letztes Mal über die Schulter blickte und Rose standhaftes Lächeln erblickte. Das Gefühl wurde nicht besser, als er das Gartentor schloss und den Gehsteig entlang schlenderte, denn er wusste, dass er eine falsche Entscheidung getroffen hatte, weil Rose nie und nimmer nein gesagt hätte, wenn er über Nacht geblieben wäre. * Sobald Albus nicht mehr zu sehen war, drehte sich die junge Weasley zu dem Tisch um, griff bestimmt zu dem silbernen Tablett und stellte in aller Ruhe die Tassen, Schalen und Teller darauf. Ein tiefer Atemzug folgte und Rose zupfte die Decke um ihre Schultern wieder zu Recht, denn diese glitt langsam davon. Erst jetzt bemerkte sie wieder, wie windig und kühl dieser Abend doch war. Ihr Haar war durchwirbelt und eisige Kälte lag auf ihren Wangen. Rose blieb einen weiteren Moment stehen, schloss die Augen und wünschte sich, so zu sein wie der Wind, kraftvoll, energisch, stürmisch und manchmal sanft und warm. Ob die junge Frau nun nur einen Wimpernschlag lang oder eine ganze Stunde dagestanden war, wusste sie nicht. Manchmal verlor Rose einfach das Gefühl, für Zeit, von Wärme, von Freude. Und als die Wealsey sich zum Eingang umdrehte, zu der an der Hauswand befestigten kleinen Lampe schritt, die kleine Glastür öffnete und die brennende Kerze löschte, wurde ihr auch schlagartig klar, warum sie damals nicht zu Albus gegangen war, warum sie heute nicht geredet hatte und warum sie weiterhin schweigen wollte. Irgendwie war es offensichtlich, denn er hätte sie nie verstanden, er hätte es nicht nachvollziehen können und schon gar nicht gutheißen, dieses neue fremde Gefühl, in ihrem Herzen, welches sie zu ersticken versucht hatte. Gegen das sie seit sechs Monaten ankämpfte und immer wieder kläglich verlor. Niemand aus ihrer gesamten Familie hätte auch nur ansatzweise… Rose seufzte schwer und schloss schließlich leise die Haustür hinter sich, die geradewegs in ihre kleine Küche führte. Links vom Eingang stand ein Mülleimer, rechts ein Kleiderständer, an welchem etliche Jacken hingen. Wenn man weiter in den Raum trat, folgte auf der Seite des Abfallbehälters, der Ofen mit Herdplatten, die Spüle und eine Arbeitsfläche von 90x60 Zentimeter, - vor dem Fenster an selber Stelle stand seit dem Einzug, ein Blumentopf von der Nachbarin als kleines Willkommensgeschenk – und schließlich der Kühlschrank. Auf der rechten Seite des Zimmers, das sowieso nicht groß war, standen ein Tisch und zwei Stühle. Am Ende des Raums, der ohnehin mit dem Kühlschrank abschloss, befanden sich zwei Türen an zwei aneinander angrenzenden Wänden. Die eine war immer abgesperrt, weil das eigentliche Esszimmer nicht fertig war und die Heizung noch erneuert werden musste, durch die andere kam man in einen kleinen Gang, wo eine Treppe in den ersten Stock führte. Rose hatte es nicht geschafft das gesamte Haus auf Muggelart zu renovieren. Das wichtigste waren Küche, Bad und Schafzimmer gewesen, für das Wohnzimmer würde sie sicherlich auch noch irgendwann Zeit finden. Natürlich hatte ihr Albus angeboten mit ihm zu kommen und in dieses Haus erst wieder einzuziehen, wenn es fertig war und nicht so eine halbe Bruchbude wie jetzt, allerdings nannte sich Rose Welasey stur, da hatte auch die lange Diskussion bei seinem Eintreffen nichts geholfen. Rose schien davon überzeugt, dass sie hier glücklich werden würde und als sie in dieser Nacht mit dem Abwasch begann, leise ein Lied summte und nicht daran dachte ins Bett zu gehen, obwohl sie morgen aufstehen musste um den Kindern neue Geschichten zu erzählen, mit ihnen zu singen und zu spielen, fiel ihr Blick zum Kerzenständer auf dem Fensterbrett. Tausendmal hatte sie bereits dorthin gesehen, nie hatte es sie gestört, nie zuvor hatte Rose die Beherrschung verloren, aber jetzt glitt ihr das Geschirr aus den Händen und zerbrach in der Spüle. Alles, was die Weasley tun konnte, war vergeblich zu versuchen, die Tränen zu unterdrücken und nach der weißgoldenen Gliederkette mit ovalem Anhänger zu greifen, die liebevoll um die Arme des Kerzenleuchters gewickelt war. Mit Wucht landete das Schmuckstück auf dem roten Fliesenboden und die Hexe setzte sich nieder, lehnte den Rücken gegen die Verkleidung der Spüle und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Ihr Körper bebte, ihr Schluchzen klang kläglich, sie fühlte sich leer, ausgelaugt und kraftlos. Rose wollte diese Kette nicht mehr bei sich tragen, nicht mehr im Haus haben, denn diese Kette machte sie so sentimental, berührte die Tiefen ihres Herzens und war im Stande alte Wunden aufzureißen. Bis heute hatte die Wealsey es nicht über sich gebracht, dieses verdammte Ding in den Abfall wandern zu lassen. Es war überhaupt das Einzige, das sie aus ihrem alten Leben unbewusst mitgenommen hatte. Rose wusste, wie viel Bedeutung diese Kette noch für sie hatte, und der Mensch, der sie ihr schenkte. Die junge Hexe weinte bitterlich, und es wurde schlimmer, als sie sah, dass der Anhänger aufgegangen war. Ein Mädchen lächelte ihr entgegen. Eine Rose, die seit einem halben Jahr nicht mehr lebte, glücklich in den Armen eines jungen, blonden Schönlings, der nichts mehr für sie empfand, aber niemals müde geworden war, ihr immer wieder zu beteuern, dass sie die Frau sei, mit der er alt werden wollte. Die Gravur in der Innenseite des Deckels stammte aus seinem Zauberstab, war seine Handschrift. Was sagte denn noch mehr aus, als ein simples „I love you“, dass all seine Worte gelogen waren? Und warum konnte Rose Weasley diese drei Jahre gelebte Lüge nicht loslassen? Die rothaarige Hexe hatte es versucht, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Und in dieser Nacht, in welcher Wut auf sich selbst sie schüttelte, die Trauer in ihr tobte, Angst ihr die Kehle zuschnürte, spürte Rose die eisige Kälte, die sich durch ihr Herz fraß, die ihr immer wieder die Hoffnung nahm, sie könne ihn je überwinden, irgendwann wieder glücklich werden und endlich das ersehnte Morgen erleben, an dem das Gestern nicht mehr wichtig war. Wie ein Häufchen Elend, so fühlte sich die junge Frau, die es nicht länger hatte ertragen können ihrer Chefin in die freundlichen Augen schauen zu müssen. Seiner Mutter. Ganz gleich, wie kraftlos sich die Weasley fühlte, wie oft sie die Decke enger an sich zog, die Arme um sich selbst schlang, und mit ihren roten, geschwollenen, verweinten Augen die Uhr suchte, auf den Anbruch eines Morgens hoffte, und ihr die Gänsehaut unerträglich schien, wusste sie, dass sich nichts an ihrer Situation geändert hatte als es Mitternacht schlug. So einsam und schwach hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Erst recht nicht so erbärmlich, denn das Weinen in den Nächten war seltener geworden und alles was ihr übrigblieb, war nach der Kette zu greifen und sie vorsichtig aufzuheben. Roses Lippen bebten während sie den Schmuck betrachtete und den Anhänger wieder schloss. „Irgendwann werde ich auch dich aus meinem Leben verbannen“, murmelte die Hexe, küsste das kalte Gold und hängte es wieder sorgfältig und liebevoll mit zittrigen Händen an den Kerzenständer. In Gedanken hatte sie tausendmal von ihrem einstigen Freund Abschied genommen, beschlossen nicht länger auf ihn zu warten, für sich selbst auch den Schlussstrich zu ziehen, den er schon vor Monaten vollbrachte. Mit der Entscheidung, dass sie sich nicht nur von ihrer gemeinsamen Vergangenheit räumlich trennte, sondern auch alles, das sie an ihn erinnerte, zurückließ. Die Kette hatte sie völlig vergessen, denn diese hatte sie Tag und Nacht getragen, seit sie sich mit ihm eingelassen hatte. Rose wusste genau, eines Morgens würde sie aufwachen und die Kälte wäre verschwunden und hätte das bisschen Gefühl mitgenommen. Zumindest hoffte sie es so sehr. * An diesem Abend sank Albus in dem Hotelzimmer in den Ohrensessel. Geistig völlig weggetreten, starrte er an die Wand, an der Rose’s Nachricht gestanden hatte und griff automatisch zu Whiskeyflasche und Glas, die beide auf dem Holztischchen neben ihm standen. Er wusste, er sollte heute nichts mehr trinken, allerdings hatte ihn Rose während des Heimwegs so beschäftigt, dass er als emotionales Wrack das Zimmer betreten hatte. Am aller wenigsten wusste er mit der Frage umzugehen, die ihm ständig in den Sinn kam und Mittelpunkt seiner Gedanken geworden war. Warum verließen ihn immer alle Frauen, die ihm viel bedeuteten? War es sein Los, sein Schicksal? Dass er einfach nichts dafür tun konnte, um irgendjemanden zu halten, zu stützen, zu… Sein Kopf schien wie leergefegt, als er endlich den Alkohol auf der Zunge schmeckte, und auch wenn er wusste, dass ihm Frauen nie wichtig gewesen waren, so hatte es ihn mehr als erwartet getroffen, als auch Rose aus seinem Leben verschwunden war. Mit dieser Erfahrung konnte er nicht umgehen. Ein Leben ohne seine beste Freundin führen zu müssen. Dass ihn eine Liebe verlassen hatte, noch bevor es einen Anfang gefunden hatte, das konnte er runter spielen, abtun, als Anflug von gesuchter Nähe bezeichnen, aber das… Noch immer starrte Albus an die weißgestrichene Wand und stellte sich das blutrote Gekrakel vor seinem inneren Auge vor. Nach Stunden war die Wirkung des Zaubers verblasst, die Zeilen verschwunden. Ohne hinzusehen tastete er auf dem Tischchen nach einem in Leder gebundenen Buch, es sollte eigentlich neben der Whiskeyflasche liegen, die befand sich allerdings auch nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort. Albus wusste nicht warum ihn gerade dieses weiche Leder so beruhigte, der Geruch, die vergilbten Seiten darin, die am Anfang wegen Abnutzung fast herausfielen und gegen Ende beinah wie neu wirkten. Der Quidditch-Spieler legte es behutsam in seinen Schoß, war so zärtlich zu diesem Gegenstand, als würde ein Leben davon abhängen, und sobald er es langsam aufschlug, blickte er endlich auf die Zeilen, in denen dieses Werk erzählte. Er konnte sich an jeden einzelnen Buchstaben erinnern, den er geschrieben hatte, jedes Gefühl, das ihn in jenen Stunden begleitet hatte. „Liebes Tagebuch, ich weiß gar nicht warum ich dich anfangen soll… Rose hat gemeint, es wäre gut für mich, bestimmte Erlebnisse zu verarbeiten, aber…. Was hilft es mir schon, wenn ich es auf ein paar leere Seiten kritzle, kannst du ja doch nicht antworten….“, überflog der Potter die ersten Zeilen und schmunzelte, nippte wieder am Whiskey und blätterte weiter. „… und dann hat er gesagt, dieser Idiot(!): Andere Mütter haben auch schöne Töchter! Kannst du dir das vorstellen? Ich mein Hallo? Hier geht es immerhin um Roxanne, meine Freundin, und nicht um irgendein Mädchen! Ich mein, was erwartest du als Antwort, wenn du sagst: ‚Ich weiß nicht, ob ich sie noch liebe…. Ich,… möglicherwiese hab ich mich in eine andere… verknallt…‘ Ich zumindest sicher nicht: Andere Mütter haben auch schöne Töchter! Dieser Arsch…. Und wie der gezwinkert hat…. Mein Bruder ist unmöglich! Und eins sag ich dir, wenn dich Scorpius jemals in die Finger kriegt, bin ich dran… hier stehen Dinge drin‘, über die ich noch nie mit jemanden gesprochen habe, und das ist auch gut so… und soll auch so bleiben!“, schlagartig fühlte sich der 23-Jährige wieder wie fünfzehn und er schluckte heftig. Damals hatte er mit seiner Cousine wirklich Schluss gemacht, weil er diese andere Hexe einfach nicht aus dem Kopf bekam, dafür schämte er sich bis heute, denn die Trennung hätte wirklich etwas weniger verletzend sein können, als zu Freds kleiner Schwester, die so sehr ihrer Mutter glich, leicht weinerlich und verzweifelt zu sagen: „Aber du bist nicht Dominique!“ Albus würde wohl nie ihre Tränen vergessen, die Backpfeife, die Roxy ihm verpasst hatte, wie er damals fand zu Unrecht, und auch nicht, dass die Weasley ihn seitdem bis zu ihrem 18. Geburtstag vehement ignoriert hatte. Irgendwann waren sie beide erwachsen genug gewesen, um wieder normal miteinander umzugehen. Und natürlich war aus Dominique und ihm nichts geworden, nicht einmal ansatzweise, nicht als er fünfzehn war. Der Schwarzhaarige seufzte, schenkte sich nochmal Whiskey nach und griff zu seinem Lesezeichen, das er immer bei der zuletzt geschriebenen Seite einlegte. Die Seite war gerade erst begonnen, letzter Eintrag vor zwei Tagen, und umfasste sechs Zeilen. Und während er sich die Zeilen genau ansah, ohne sie noch einmal zu lesen, jede Schlaufe, jeden Haken begutachtete, wickelte er das Lesezeichen um seinen Finger. Es war so weich, so seidig glänzend, geflochten, einen halben Meter lang, und am Ende fiel es in Locken, blond. Albus wusste selbst, dass es makaber war, aber als kleines Kind, hatte er dieses Haar bewundert, der Mensch, dem es einst gehörte, sah aus wie ein Engel ohne Flügel, das hatte zumindest Albus schon immer so empfunden. Er hatte es mit vier zugegeben, und Dominique damit zum Lachen gebracht, nachdem James ihr im Streit das Haar fast vom Ansatz an abgeschnitten hatte und die Korkenzieherlocke am Boden gelegen hatte. Dominique hatte geweint, verständlich, welches sechsjährige Mädchen hätte es nicht, und welches sechsjährige Veela-Mädchen hätte es nicht unglaublich süß gefunden, wenn ein Hosenscheißer, wie sie Al immer genannt hatte, ihr ein derartiges Kompliment macht? Der Potter seufzte schwer, nippte ein weiteres Mal an seinem Whiskey und griff dann endlich zur Feder. Und als er zu schreiben begann, merkte er, wie müde er sich fühlte, wie anstrengend dieser Tag gewesen war. „Liebes Tagebuch, ich weiß nicht, wie oft ich dir geschrieben habe, dass ich mir Sorgen um Rosie mache, oder wie sehr ich mir wünsche, sie wäre wieder da. Nun, heute hat sie sich gemeldet. Ihr geht es gesundheitlich gut. Ich weiß, meine Cousine ist nicht mehr dieselbe. Das Warum kenne ich noch nicht, aber ich will es heraus finden.“ Albus blickte noch einmal über die Zeilen, setzte rechts vom Anfang das Datum dazu und gähnte endlich herzhaft. Ein letztes Mal nippte er an seinem Glas Whiskey und stellte das Gefäß wieder zurück an seinen Platz. Er merkte wie ihm die Augenlieder schwer wurden, als er zur Wand blickte. Einen Moment später schloss er sie, und er sagte sich: Nur für ein paar Minuten,…. Und dann war der Potter eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)