Von gleicher Natur von Re-belle ================================================================================ Kapitel 8: In der Klemme ------------------------ ca 5 Jahre in der Vergangenheit / 5 Jahre nachdem Tara & Ophelia sich kennengelernt haben Ein beunruhigendes Krachen drang an ihre Ohren. Sie waren weit gekommen, vielleicht zu weit, als gut gewesen wäre. Die Gänge waren immer dunkler geworden und fest installierte Lichtquellen hatten sie seit mehreren Kilometern nicht mehr gesehen. Doch die Neugierde trieb sie weiter voran. Der Gang, den sie seit einigen Minuten entlangliefen verlief sehr geradlinig mit leichter Neigung und verbreiterte sich stetig, je weiter sie kamen. Ophelia schwebte ein Stück über Tara, doch inzwischen kam ihr Lichtschein nicht mehr an das Gestein der Decke und sie schwebte in fast kompletter Finsternis. Ophelia konnte zwar auch sehr gut in der Dunkelheit sehen, doch durch ihr ständiges Leuchten war sie etwas im Nachteil im Vergleich mit Tara. Bei Lichtverhältnissen wie diesen vergrößerte sich ihre Pupille so sehr, dass ihre Augen fast komplett Schwarz wirkten, wäre da nicht der hauchdünne Ring ihrer Iris gewesen. Das zusammen mit der Sclera, die bei Daoinen generell immer schwarz war, ergab ein fast gruseliges Bild. Dazu kam, dass Tara als eine der wenigen Daoine auch noch Male besaß. Ihre befanden sich unterhalb der Augen, verliefen dort in rundlicher Form vom unteren Lidrand bis ungefähr zur Mitte ihrer Wange, wo sie dann verblassten. Ein wenig wirkte es als hätte sie ihre Augen geschminkt und ziemlich gleichmäßig nach unten hin verschmiert. Ihre Körpermale befanden sich an ihrem Rücken. Dort begannen sie in etwa auf Höhe des Hinterhauptbeins am Schädel und zogen sich über ihr Rückgrad nach unten. Wenn Tara ihr Kleid anhatte, das sie meistens fürs Alpträume Einfangen und Unternehmungen trug (es war am Rücken in Schlitzform offen) konnte man diese besonders gut sehen. Sie trug einen frechen Kurzhaarschnitt, ihre Haare waren fast weiß und leicht gelockt - sie verdeckten ihren Rücken also genausowenig wie ihr Kleid. Ophelia hatte insgeheim schonmal darüber nachgedacht ob sie ihre Male mit Absicht so zur Schau trug, vielleicht um ein bisschen anzugeben, oder ob das Kleid einfach nur praktisch beim Rennen und Klettern war, denn so konnte ihr niemals zu warm werden. Tara hatte ihr mal erzählt, dass den meisten Daoinen mit Malen wohl eine großartige Zukunft bevorstünde, so hieß es jedenfalls immer in den Erzählungen der Eltern und Großeltern. Anscheinend beriefen sich diese wohl aber auf Tatsachen, denn es gab genug Beispiele, die von jenen sofort aufgezählt wurden um ihre Behauptungen zu bekräftigen. Tara selbst fand ihre Male zwar irgendwie ganz hübsch, aber einen großen Nutzen hatte sie noch nicht daraus ziehen können, außer vielleicht, dass sie sich als Kind immer besonders hatte anstrengen müssen Freundschaften zu schließen und andere kennenzulernen. Die Kinder ohne Male fanden es natürlich eigenartig, wenn ein neu zur Gruppe gestoßenes Mädchen rote Punkte im Gesicht und auf dem Rücken hatte. Natürlich hatte nicht jeder die gleichen Formen oder Farben als Mal. Luri hatte ein größeres Mal auf dem Kopf, das in die Stirn verlief und an jeder Seite des Halses einen Strich der irgendwo hinterm Ohr begann und am Schlüsselbein auslief. Sie waren in einem ungesättigten Grünblau gefärbt. Vinn, fand Tara, hatte mit ihren Malen Glück gehabt. Sie waren Grün und verliefen um ihre Augen wie Schminke und um ihren Hals, wie eine verlaufende Kette oder ein Halstuch. Kela hatte in ihrer Kindheit am meisten gelitten. Ihre Ohren waren hellblau gefärbt, es zog sich von dort noch leicht ins Gesicht. Außerdem hatte sie einen gleichfarbigen kreisrunden Fleck in der Drosselgrube - der Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen. Besonders fiese Exemplare hatten sie gerne an den Ohren gezwickt und sie wegen der auffälligen Farbe aufgezogen. Heute war sie Leiterin und Koordinatorin der Traumzentrale des Berges, in und unter dem sie alle lebten. Zumindest für sie hatte sich die großartige Zukunft schonmal bewahrheitet, denn sie hatte viel zu sagen und sich einen sehr hohen Rang in der Gemeinschaft erarbeitet. Tara wusste außerdem, dass Kela ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte und gewisse Dinge niemals vergaß. Schlecht für die Ohrenzwicker von damals, die heute für sie arbeiteten. Es krachte und knackte erneut und ließ Tara und Ophelia aufschrecken. Sie mussten inzwischen in einer weitläufigen Höhle sein, Tara konnte vieles erkennen, doch die hinteren Wände der Höhle sah sie nicht mehr. Da war nur endloses Schwarz. Irgendwo in dem tiefen Schwarz klackerte ein lose gewordener Stein über Felsbrocken und fiel dann mit einem abgedämpften Knall auf den Boden. Taras Gedanken rasten. Der Stein hatte sich sicher nicht von alleine gelöst, irgendetwas musste die Ursache dafür gewesen sein. Wenn sie nun nicht alleine in dieser riesigen Höhle waren und sich etwas im Schwarz versteckte, wäre Ophelia wie eine leuchtende Zielscheibe. "Komm hier runter!" zischte sie leise nach oben. "Du kannst nicht so ungeschützt umherschweben. Stell Dir vor wir wären hier nicht alleine." "Ich leuchte nunmal, ich wüsste nicht, wie sich das abstellen ließe..." entgegnete das Alpträumchen kleinlaut und schwebte augenblicklich in Bodenrichtung. "Vielleicht gibt es hier irgendwo einen größeren Felsen oder eine Spalte in der Du Dich verstecken kannst, so lange ich mich hier umsehe." rätselte Tara. "Oh, natürlich, ich verkriech mich auch irgendwo, während Du vielleicht in dein Verderben rennst." "So war das nicht gemeint, das weißt Du genau. Ich kann mich nur besser herumschleichen, wenn ich kein Glühwürmchen bei mir hab, was sofort auf mich aufmerksam macht." sie lächelte ihre Freundin versöhnlich an. "Husch, husch, Du merkst schon, wenn was schief läuft." ihr Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, dann drehte sie sich um und hüpfte geräuschlos in die Dunkelheit. Ophelia blickte ihr grimmit hinterher, tat dann aber, was sie gesagt hatte. Natürlich wusste sie, dass es das einzig Richtige war. Manchmal wollte sie nur nicht so schnell klein beigeben und sich aufmüpfig verhalten. Lag wohl in ihrer Natur, vermutete sie. Ophelia schwebte langsam und vorsichtig am Rand der Höhle entlang, auf der Suche nach einem Versteck. Von Tara hörte sie nichts, das war ein gutes Zeichen. Wenn etwas passieren würde, wäre Tara sicher nicht zu überhören. Ein Mal hatte sie aus einiger Entfernung einen Streit zwischen Tara und jemandem, den sie nicht kannte, mitgehört. Eigentlich hatte sie das nicht gewollt, aber die Lautstärke hatte es ihr förmlich aufgedrängt. Vor ihr ging es plötzlich nicht mehr geradeaus weiter. Etwas ragte parallel zur Wand aus dem Gestein. Ophelia flog näher heran und als sie erkannte, was es war, wurden ihre Augen riesengroß und ihr spitz bezahnter Mund öffnete sich, bereit einen erschrockenen Ausruf auszustoßen. Im gleichen Moment hörte sie Taras überraschten Schrei aus einiger Entfernung. "Oh, scheiße, Ophelia, RAUS HIER!" _____________________________________________ In der Zwischenzeit in der Zentrale: In dem rund geschnittenen, sehr hohen Raum, der direkt neben der großen Halle lag und durch eine Tür von ihr abgegrenzt wurde, drängten sich die eintreffenden Daoine aneinander vorbei und suchten nach Sitzplätzen, die nahe am Zentrum gelegen waren. Dort würde gleich das Anliegen vorgetragen werden und man könnte den Sprecher am besten verstehen. Jemand vom alten Rat hatte eine Versammlung einberufen, es musste also etwas dringendes sein. Vinn betrat als eine der letzten die Halle und erblickte in der Menge Kela, Luri und ein paar der anderen Mitarbeiter der Traumzentrale. Sie drängte sich mit einem entschuldigenden Lächeln durch die dicht an dicht stehenden Leute und gesellte sich zu ihren Freundinnen. "Einer 'ne Ahnung worums geht?" fragte sie die beiden. "Ich weiß nicht. Ich bin ganz aufgeregt, ich war noch nie bei sowas dabei. Mir ist ganz flau im Magen..." antwortete Luri und sah wirklich etwas bleich aus. "Ich hab keinerlei Vorstellung. Ein paar kleinere Versammlungen hab ich schon miterlebt, waren nie große Angelegenheiten. Da hatte aber auch keiner vom Rat das Treffen ausgerufen." sagte Kela. "Wo ist'n eigentlich Tara, die kommt doch nie zu spät zu sowas." fragte Vinn nachdem sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und umgesehen hatte. "Vielleicht vorn, bei ihrer Familie?" vermutete Luri. Sie zog die Schultern nach oben und strich sich über die Oberarme. Ihr war wirklich komisch zumute. "Nein, sie ist heute nicht dabei. Hat wieder einen Auftrag bekommen, wegen dem frechen Alpträumchen. Obwohl sie das hier sicher auch ziemlich spannend fänd, aber jemand muss ja auch die Arbeit erledigen, nicht wahr?" sie piekste Vinn in den Arm und grinste fies. "Wenn das eine Anspielung darauf sein soll, dass ich das Mistvieh letztens nicht schnappen konnte, dann kannst Du mich mal!" eingeschnappt drehte Vinn den Kopf weg. Sie war immer die beste Läuferin gewesen und hatte abwechselnd mit Tara die besten Einfangquoten. Doch dieses eine, aufsässige Alpträumchen hatte sie nie schnappen können. Das Murmeln der Menge verstummte als eine alte Frau in die Mitte schritt, sich an ihrem kunstvoll gearbeitetem Gehstock festhaltend aufrichtete und zu sprechen begann. Resaria war eine der Ältesten Daoine der Traumberge und seit gefühlten Ewigkeiten im alten Rat. Ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, doch ihre Augen glänzten noch wach und blickten aufmerksam in die umstehenden Gesichter. "Meine lieben Freunde." begann sie ihre Rede. Sie hob beide Hände zum Gruß und nickte der Menge zu, die erfurchtsvoll zurückblickte und das Nicken erwiederte. "Wir haben dieses Treffen einberufen um eine wichtige Angelegenheit zu klären." ihr rhetorisches Talent hatte sie schon früh zur Sprecherin der Rates gemacht. Sie wusste genau, wann und wie lange sie Pausen zwischen ihren Sätzen zu lassen hatte und konnte innerhalb von kürzester Zeit eine riesige Daoinemenge zum Verstummen bringen und sie in ihren Bann ziehen. Jeder Anwesende hörte ihr zu und hatte seine gesamte Aufmerksamkeit auf sie gerichtet. "Den meisten wird es nicht aufgefallen sein, doch es ist eventuell etwas im Gange, dass unserer gesamten Gemeinschaft gefährlich werden könnte." sie ging nun langsam im Kreis und sah den Umstehenden eindringlich in die Augen. "Immer wieder werden Daoine geboren, die eine besondere Verbundenheit mit den Traumwesen verspüren, doch ist es nicht unsere Aufgabe, uns mit ihnen zu verbünden, sondern sie zu leiten und die Bösen unter ihnen aufzuhalten." sie unterbrach ihre Rede und ließ den Zuhörern Zeit über das Gesagte nachzudenken. Natürlich hatte sie sie durch ihre Wortwahl und Betonung in eine Richtung gelenkt, denn die spätere Abstimmung sollte wie geplant ausfallen und das hätte sie nicht mit verherrlichenden Ausdrücken bewirken können. "Von einigen wurde berichtet, dass sie unbekannte magische Schwingungen im Wohnbereich und den umliegenden Gängen wahrgenommen hätten." Wieder eine Pause. Zustimmendes Gemurmel wurde lauter. Einige bestätigten laut die These indem sie ihre eigenen Erfahrungen kundtaten. "Als ich zu meiner Wohnung lief, spürte ich ein eigenartiges Gefühl im Rücken!" sagte eine Duine. "Ich habe eines Nachts widerhallendes Gekicher in den Gängen und Höhlen gehört!" rief ein anderer. Natürlich war das wenigste von dem, was die Leute erzählten wirklich der Wahrheit entsprechend, sondern nur Einbildung oder Kleinigkeiten die überspitzt wurden, angeregt durch die Rede von Resaria. "Nun, wir haben noch keine eindeutigen Beweise, aber eine Menge begründeter Vermutungen, dass sich seit einiger Zeit ein Traumwesen unbefugt Zutritt zu diesen Teilen der Anlage verschafft hat. Allerdings ist es klar, dass es dies nicht ohne Hilfe geschafft haben kann. Wir gehen also davon aus, dass jemand es hierhergeführt oder sogar eingeschleust hat. Dies vielleicht immer wieder tun wird. Es eventuell nicht bei dem einen Wesen belässt, sondern mehr und mehr herholt." Resarias Blick verfinsterte sich mit jedem Satz mehr. "Alle kennen die Gefahren, die eine solche Situation birgt. Wir kennen nur Teile der Kräfte der Alpträume, aber woher sollen wir wissen, dass sie nicht noch mehr können und uns übles wollen? Das Unterschätzen der Gefahren hat schon viele in den Untergang getrieben. Erinnert euch an die Geschichte von Bailedearrs, der leuchtenden Stadt. Wir können nicht zulassen, dass uns das gleiche passiert." Resaria befand nun wieder im Zentrum des Raums, inmitten der Daoine, die in einem Abstand von wenigen Metern um sie herum standen und gebannt zuhörten. Bei der Erwähnung von Bailedearrs ging ein Raunen durch die Menge. Alle kannten die Geschichte von dem Untergang der leuchtenden Stadt. Eine gewaltige Anlage, die Unmengen an hell erleuchteten Höhlen umfasste und tausende, vielleicht millionen Daoine beherbergte. Es hieß, die Stadt sei ein Imperium gewesen, das bis heute seinesgleichen sucht. Die Räte wurden wie Könige behandelt, waren mächtig und weise, aber zu nachlässig mit der Sicherheit und dem Umgang mit den Alpträumen. Sie hatten Seite an Seite mit ihnen gelebt und nie damit gerechnet, dass eines Tages ebendies ihr Verhängnis hätte sein können. Ein mutiertes, besonders bösartiges Exemplar, unvergleichlich hässlich und erfüllt von Hass und Zerstörungswut hatte viele der anderen Alpträume sowie einige Alpträumchen zusammengerufen, aufgehetzt und die Stadt in einem einzigen, überraschenden Angriff niedergemacht. Niemand wusste ob die Geschichte tatsächlich wahr war, ob es diese Stadt oder den Alptraum jemals gegeben hatte, trotzdem hielt sie stets als Mahnmal her. Das Ungeheuer wurde über die Jahrhunderte immer grässlicher und bildhafter beschrieben und hatte sich irgendwann den Spitznamen "Teufel" verdient. Er kam in fast jeder Kindergeschichte vor und war nicht selten das, was die meisten Daoine als ihre größte Angst beschreiben würden. Es war inzwischen so still im Raum geworden, dass man eine Nadel hätte herunterfallen hören. Resaria hatte genau die Wirkung erzielt, die sie hatte erzielen wollen. "Ihr stimmt mir sicher zu, dass wir etwas unternehmen müssen, nicht wahr?" Die Menge bekundete Beifall. Kelas Augen verengten sich. Sie drückte Luri und Vinn ein Stück an sich, so dass sie sie hören konnten und flüsterte dann: "Bin ich die Einzige hier oder habt ihr auch das Gefühl, dass jetzt gleich irgendwas Großes kommt?" Luri presste die Lippen aufeinander, Vinn knirschte nervös mit den Zähnen. "Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache, irgendwas stimmt hier nicht." sagte Vinn. "Davon red' ich doch schon die ganze Zeit..." flüsterte Luri den beiden zu. _____________________________________________ "Lauf! Lauf schneller!" rief sie im Fliegen ihrer Freundin zu, die ein ganzes Stück hinter ihr rannte. Tara war eine der schnellsten Daoine, trotzdem war sie noch immer langsamer als Ophelia, die dank des Fliegens einen großen Geschwindigkeitsvorteil hatte. In einem halsbrecherischen Tempo jagten sie den gerade verlaufenden Gang entlang, den sie vor kürzester Zeit auch entlanggegangen waren um zu der Höhle zu kommen, in der sie von dem Wesen überrascht worden waren. In der Luft hatte Ophelia keine Probleme mit der leichten Steigung des Bodens, die für Tara umso schwieriger zu bewältigen war. Fast komplette Dunkelheit umhüllte sie, weiter vorne konnte sie den leichten Schein der sanft leuchtenden Ophelia vernehmen und hinter sich in der totalen Düsternis hörte sie die knirschenden Geräusche und die brechenden Steine, die der Körper des Ungeheuers verursachte, das hinter ihnen her war. Sie wagte es nicht sich umzublicken. Wahrscheinlich hätte sie in der Hektik und der Dunkelheit sowieso nichts erkannt, zumal sie dadurch langsamer werden würde und dem Wesen unausweichlich näher gekommen wäre. Noch hatte sie keine Probleme beim Atmen und auch ihre Kondition würde so schnell nicht schlapp machen, trotzdem hoffte sie bald an einen Punkt des Ganges oder vielleicht einen Seitengang zu kommen durch den der gigantische Steinfresser nicht passen würde, denn dieses Gebiet war ihr kaum vertraut und ihre Schritte auf dem unbekannten Boden waren etwas unsicher. Sie fragte sich gerade, warum sie ihre verdammte Lampe nicht mitgenommen hatte. Sie wäre zwar genauso eine Zielscheibe im Dunkeln gewesen, wie Ophelia, aber Tara hätte zumindest sehen können, wo sie hinrannte und ob in unmittelbarer Nähe kleine, versteckte Seitengänge zu finden waren. Im gleichen Moment knickte sie dank eines spitzen Steins, der aus dem Boden ragte, um und prallte im nächsten Augenblick auf dem Boden auf. Der Schwung fegte sie noch einige Meter weiter, sie rollte sich gekonnt ab und rappelte sich so schnell sie konnte wieder auf. Sie musste irgendein Geräusch von sich gelassen haben, denn Ophelia kam im Tiefflug zurück in ihre Richtung geflogen. "Tara!" rief sie. "Was ist passiert, kann ich helfen?" schrie sie ihr aus einiger Entfernung zu. Tara riskierte einen Blick zurück und vernahm die Gestalt im Schatten, die sich rasend schnell näherte. Sofort wandte sie sich um und wollte weiterrennen, kam aber nicht weit, denn in ihrem Knöchel breitete sich ein stechender Schmerz aus und sie knickte wieder ein. "Flieg weg! Kümmer Dich nicht um mich!" rief sie zurück. Mit dem Fuß könnte sie die Verfolgungsjagd unmöglich fortsetzen. Das Spiel war gelaufen, es wäre ihr Ende. Ihre Überschwänglichkeit, ihr könne nichts passieren und sie würde immer einen Ausweg finden, schien letztendlich doch noch ihr Verderben zu werden. Hatten die anderen ihr nicht genau das immer prophezeit? "Spiel nicht die Heldin, du Weichstein! Als würde ich Dich im Stich lassen!" Ophelia schwebte jetzt vor ihr, starrte auf den Knöchel, dann in ihre Augen. "Scheiße." entfuhr es ihr. Das Mahlen und Knirschen im Gang hinter ihnen wurde immer lauter, es würde nur noch wenige Augenblicke brauchen um sie zu erreichen. "Jetzt hau schon ab, Ophelia!" Tara schubste sie von sich. "Keine Zeit sich zu streiten!" ihre Augen glänzten feucht, als sie das Traumwesen ein letztes Mal betrachtete, dann schloss sie sie und atmete tief ein um zu versuchen sich mental irgendwie auf das Kommende vorzubereiten. ______________________________________________ "Der Rat hat beschlossen, in diesem speziellen Fall anders als gewohnt zu verfahren. Es gibt Hinweise, die uns zu einer Person führen, die eventuell dafür Verantwortlich sein könnte. Aber wir wollen Milde walten lassen. Sollte sich die entsprechende Person also von sich aus bei uns melden, wird das Verfahren in der Öffentlichkeit verhandelt und eine Verbannung oder andere ähnlich schlimme Strafen womöglich durch die Mitbestimmung der hier lebenden Daoine abgewandt." Resarias berechnende Augen verengten sich zu funkelnden Schlitzen, als sie jetzt wieder die Reihen der Umstehenden ansah. "Vorerst werden wir keinen Namen nennen. Jedoch werden viele vielleicht eine Vermutung haben um wen es sich handeln könnte. Tragt die Botschaft also an jeden Daoine weiter, dem ihr begegnet. Wir warten drei Tage." Damit schloss sie ihre Rede und verließ langsam den Raum. Die Menge teilte sich ungefragt vor ihr und alle starrten ihr schweigend hinterher. Das Klacken ihres Stocks auf dem Steinboden war noch einige Zeit zu hören, dann brach mit einem Schlag die Unruhe aus. Alle strömten hinaus und verteilten sich in den Hallen und Gängen, sprachen mit denjenigen, die nicht anwesend gewesen waren und verbreiteten so die Informationen. Die drei jungen Daoine waren als letzte noch in dem Raum, sie standen nebeneinander und brauchten sich nicht ansehen um zu wissen, dass sie alle den gleichen schockierten Gesichtsausdruck trugen. Luri schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und schloss die Augen. Kela atmete ein Mal tief durch um sich zu sammeln. "Denkt ihr das gleiche, wie ich?" Ihr Schweigen war Antwort genug. _____________________________________________ RUMMS. Die Erschütterung kam unerwartet und warf Tara auf die Seite. Von der Decke bröckelten kleine Felsstücke ab und trafen sie an Schulter und Rücken, als sie sich schützend auf dem Boden zusammenkugelte. Das Knirschen der Steine unter dem Leib des Monsters hatte sich verändert. Außerdem kam ein unheilvolles gurgelndes Knurren dazu, so nah an Taras Ohr, dass sie schwören könnte, dass Wesen wäre direkt neben ihr. "Tara!" quiekte Ophelia, die sich die letzten Sekunden fest an ihre Freundin gedrückt hatte. "Oh große Mütter! Schau Dir das an! Ich glaubs' ja nicht!" das kleine Traumwesen löste sich von ihr und verschwand. Tara überlegte kurz, dann traute auch sie sich, sich aufzusetzen und nach hinten zu sehen. Keine fünf Meter von ihr blickten ihr mehrere wütend im Licht von Ophelia funkelnde Augenpaare entgegen. Als das Alpträumchen näher heranflog zogen sich die Lider enger zusammen, die Pupille nur noch ein dünner Schlitz, das Knurren wurde lauter und langsam öffnete sich eine breiter werdende Linie in dem seltsamen Gesicht, die gigantische, spitz zulaufende Zähne entblößte, die von der Struktur her wirkten wie aus Stein geschlagene Speerspitzen. Tara konnte ihren Augen kaum glauben. Was für unglaubliches Glück sie gehabt hatte, dass sie sich erst kurz hinter der Stelle, die für ihren Verfolger zu eng zum Passieren geworden war, verletzt hatte. Sie schluckte, dann merkte sie, dass sie vergessen hatte zu Atmen und schnappte laut nach Luft. Ophelia war inzwischen noch näher an den Steinfresser, einen ausgewachsenen Clachith, geflogen und schlug ihm gegen die Stirn. Zumindest glaubte sie, dass es seine Stirn war. "Tja, Pech gehabt, Kumpel!" flötete sie und grinste überheblich. Die vielen Augen fixierten sie aufmerksam und die Steinzähne knirschten unheilvoll, als es begann seine Kiefer mahlend hin und her zu bewegen. "Ophelia, geh lieber etwas auf Abstand!" sagte Tara, die sich jetzt versuchte aufzurichten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte sie ein Stück vorwärts und winkte das Alpträumchen zu sich. Plötzlich drehte sich das riesige, grimmige Gesicht zur Seite, zog sich ein Stück zurück und schnellte mit lautem, schallendem Gebrüll wieder nach vorn. Sein Schädel krachte gegen die Steinwände und riss große Brocken aus dem Fels. Es war einen guten halben Meter näher gekommen. Erschrocken sprang Tara, taumelnd durch die erneute Erschütterung, nach hinten und bereute es sogleich wieder, weil sich der Schmerz in ihrem Gelenk durch die Bewegung nur nochmal verstärkt hatte. "Verdammtnochmal!" fluchte sie. Ophelia schwebte an ihre Seite und packte ihren Oberarm. "Wenn ich Dich etwas stütze, kannst du das Bein ein Stück heben und mit dem anderen weiterhüpfen!" Tara sah sie halb verwirrt, halb belustigt an. Die Vorstellung wie das aussehen musste war wirklich absurd. Trotzdem war die Idee wirklich gut, so könnte sie zumindest schneller vom Fleck kommen als humpelnd oder kriechend. Nach einigen hundert Metern erreichten sie den Gang, der sie wieder auf den richtigen Rückweg bringen würde und waren endlich außer Sichtweite des Clachith. Nach etwa dem halben Weg hielten sie an um kurz zu verschnaufen. Die Geräusche, die das Ungeheuer im anderen Gang verursacht hatte, waren verstummt. Er hatte es wohl aufgegeben und war zurück in seine große Höhle geschlängelt. Tara lehnte sich an die halbwegs glatte Steinwand und ließ sich daran heruntergleiten. Am Boden sitzend legte sie ihren Kopf auf die Knie und machte endlich allen überkochenden Gefühle und Anspannungen durch einen lauten Seufzer Luft. "Das war echt knapp." ächzte sie, drehte ihren Kopf hin und her und ließ ihre Knochen dadurch knacken. "Ja, aber wirklich..." antwortete Ophelia. Sie sank neben Tara nieder, spreizte die kleinen, krallenähnlichen Finger und plumpste dann auf den Boden. Tara hatte noch nie gesehen, dass das Lichtwesen jemals nicht schwebte und war merklich erstaunt über die Tatsache, dass dies überhaupt möglich war. Genau genommen hatte sie noch nie darüber nachgedacht, sondern einfach angenommen dass das Schweben einfach eine Art Dauerzustand bei Traumwesen sei. "Was guckst Du denn so? Noch nie einen herumlungernden Alptraum gesehn'?" sie grinste ihr matt zu und gestikulierte dabei wild mit den Armen. "Uff!" sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. "Wir haben auch keinen unerschöpfbaren Energievorrat, weißt Du?" "Natürlich nicht... " mit einem Schulterzucken beendete sie das kurze Gespräch. Sie schwiegen sich einige Minuten an, dann kringelte sich Ophelia zusammen, streckte sich wieder und zeigte Tara ihr breitestes Grinsen. Durch ihre spitzen Zähne wirkte das schon fast etwas angsteinflößend, zumindest für Außenstehende. Tara kannte ihre Freundin jetzt schon mehrere Jahre und hatte sich an die Beißerchen gewöhnt. "Aber irgendwie... war's doch auch echt spannend, findest Du nicht?" Ophelias Augen verengten sich zu sichelförmigen Schlitzen als sie begann leise zu kichern. Tara versuchte noch eine ernste Miene zu wahren, doch dann stimmte sie in das Kichern ein. "Ja, irgendwie schon. Das nächste Mal lassen wir es nicht so knapp werden, okay?" "Abgemacht. Komm, lass uns weitergehen!" Keine von beiden konnte ahnen, dass ihnen das Schlimmste noch bevorstand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)