Nachtgeflüster von taluna (die Geschichte einer Erinnerung.) ================================================================================ Kapitel 1: Wendepunkt. ---------------------- Die Dielen knarrten unter seinen Füßen, sanfter Staub wirbelte auf und gab dem Bild des alten Dachboten etwas längst vergessenen. Warmes Morgenlicht fiel durch die milchigen Fenster und tauchte den Raum in goldne Farbe. Im Haus war es still. Die Kinder spielten im Garten, er hörte ihr Geschrei und seine Frau bewegte sich lautlos in der neuen Küche um das Frühstück zu zubereiten. Harry Potter atmete tief durch, dann vernahm er die Stimme Ginnys, die munter vor sich hin sang. Der Klang war warm und bescherte ihm ein Lächeln. Es war der elfte September 2017. Albus würde in einigen Stunden zum ersten Mal nach Hogwarts fahren, ganz in Begleitung seines älteren Bruders James. Doch noch bezweifelte der dreifache Vater, dass sein Ältester sich vorbildlich um Albus kümmern würde. Denn auch jetzt konnte er sie im Garten bereits wieder streiten hören, während Lily ganz kindlich-erwachsen versuchte zu schlichten. Harry schritt an den abgedeckten Möbeln vorbei. Er hatte vor aus dem Dachboden ein weiteres Zimmer zu machen, damit James in den Weihnachtsferien nach oben ziehen konnte, um ungestört zu sein und Albus ein größeres Zimmer bekam. Heute Morgen wollte er sich lediglich kurz umsehen um einschätzen zu können, wie viel Möbel es zu beseitigen gab und wie viel Arbeit auf ihm zu kam. Harry ließ den Blick schweifen. Der Staub kitzelte ihn in der Nase und er fragte sich, ob er Ron dazu bringen konnte, einen Hammer zu schwingen. Magisch versteht sich, auf muggelart würde das Projekt bis nächstes Jahr vor sich hingammeln. Die grünen Augen des einstigen Auserwählten blieben an einem mitgenommenen Eichenschrank hängen. Die Türen waren schief, die einst kostbaren Faszierungen verstaubt. Harry trat näher und öffnete den Schrank, ein lautes, dehnendes Knarren hallte in seinen Ohren wieder. Ein vertrauter Geruch schlug ihm entgegen und noch bevor der Schwarzhaarige die Hand ausstreckte, wusste er, was er vorfinden würde. Eine Erinnerung, welche sich in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses verirrt hatte. Und eigentlich war Harry davon ausgegangen, sie in diesem Leben nicht mehr zu bemerken. Er lächelte und berührte mit den Händen den alten dunkelgrünen Umhang. Vor über ein Jahrzehnt hatte er als modisch schick gegolten, jetzt war er nichts weiter als eine Modesünde, die es zu entsorgen gab. Allerdings war dieser Umhang mehr, als nur ein modischer Fehlgriff, zumindest für den anwesenden Betrachter. Vorsichtig strich Harry über die Innenseite und neigte den Kopf. Ihm war, als wäre es erst gestern gewesen, als der längst vergessene Umhang ihm einen Dienst erwies, den er niemals für möglich gehalten hatte. Zumindest damals. Zu einer Zeit, in der er nicht wusste, wie das Morgen aussah. Er zog ein feines Stück Pentagramm aus der Umhangstasche. Das Papier war bereits gelb, doch das prachtvolle Siegel und die geschwungene Schrift erhalten geblieben. Damals, kaum einundzwanzig Jahre alt, hatte er die snobische Einladung zu einem Maskenball für einen Witz gehalten. Die Aufforderung zum tragen einer Maske war ihm subtil erschienen, ebenso die Tatsache, dass es über das Dasein des Feste zu schweigen galt. Sein Sieg über Voldemort war vier Jahre her, doch das Loch in dem er sich befand so tief und verstrickt, dass Harry glaubte, darin zu ersticken. Die Arbeit im Ministerium gab ihm keine Zufriedenheit, eine trügerische Leere breitete sich in seinem Inneren aus. Zusammen mit Ginny wollte er in wenigen Wochen einen Neuanfang wagen und in das Haus in Godric`s Hollow ziehen. Anders als die Weasley freute er sich nicht auf die Zeit im neuen Haus, stattdessen fühlte er sich immer getriebener, unruhiger und um es vorsichtig zu formulieren; Unglücklich. Eine Tatsache, die ihn vor sich selbst Ekel empfinden ließ. Denn wie konnte er Frieden als Unglück empfinden, wenn jeder in seinem Umfeld diesen mehr genoss, als das eigene Leben? Verluste waren zum Grab getragen worden und mit ihrer Abwesenheit hatten Angehörige leben gelernt. Harry hatte George dabei beobachtet. Der Sumpf in den Freds Tod ihn gerissen hatte, schien endlos, doch nach einem schweren Jahr der Trauer, hatte er mit ansehen können, wie der einstige Zwilling aufgestanden war und sich aus seinem Elend herausgekämpft hatte. Stück für Stück, Tag für Tag. George hatte das gemeinsame Zimmer ausgeräumt, den Zauberscherzladen betreten und angefangen neue Spuren zu hinterlassen. Harry hatte die kraftvollen Akzente des Lebens an ihm bewundert. Während einer nach dem anderen von seinen Freunden zurück in seine Spur fand, schien er auf der Strecke zu bleiben. Bereits mit einundzwanzig fühlte er sich als Auror gelangweilt und schritt nur noch mit viel Überwindung ins Ministerium. Nach außen präsentierte er den goldenen Jungen, den alle in ihn sehen wollten, doch innerlich hatte er das Gefühl stehen geblieben zu sein. So wie George Stück für Stück zurück ins Leben fand, so glaube er zu sterben. Sein Herz fühlte sich schrecklich kalt an, wenn er Ginny in seinen Armen spürte, das Lachen hinterließ Schmerzen in seiner Brust, wenn er mit Ron zusammen war und wenn Hermine von einer strahlenden Zukunft philosophierte, dann wollte er noch nicht einmal an das Morgen denken. War er ein schlechter Mensch, wenn er in der Vergangenheit glücklicher gewesen war, obwohl sie einem Desaster glich? Seine Freunde würden ihn des Landes verweisen, sollte er diesen Gedanken offen aussprechen. Trotzdem wurde diese Mutmaßung für Harry immer greifbarer. Bis die Einladung erschien. Vollkommen teilnahmslos lag sie eines Morgens auf seinem Schreibtisch. Das Ganze kam ihm wie ein Witz vor und er wollte seiner Sekretärin bereits ordentlich die Leviten lesen, dass sie solch einen Schmock überhaupt bis zu ihm durchstellte. Doch als er so frustriert in seinem Arbeitssessel saß und die hübsche Karte betrachtete, wurde ihm klar, dass er die Wahl hatte. Entweder, er befand sich am Abend im Wieselpott ein und würde ersticken, oder aber er wagte einen Schritt. Ob in die richtige oder falsche Richtung, wusste er nicht. Fakt war, er beschloss, dass es ein Versuch wert war. Vielleicht würde der Maskenball ihn ein wenig ablenken und sein Gemüt wieder heben. Harry sah sich in seinem überladenen Büro um. Die verplichtende Maske wäre sein kleinstes Problem. Schließlich erinnerte er sich vage daran, dass er in Hogwarts einmal eine Flasche Wein in so ein Ding hatte verwandeln müssen. Ihn plagte viel mehr die Frage, was man bei solch einen ominösen Abend trug. Schlussendlich entschied er sich für einen schlichten dunklen Anzug und seinem neuen dunkelgrünen Umhang. Harry kam sich seltsam festlich vor und apparierte nach halb zehn Abends mit einem murmligen zu der Adresse, welche man ihm auf der Karte mitgeteilt hatte. Der einstige Held taumelte und zog scharf frische Salzluft ein. Verwirrt blickte Harry sich um und setzte sich hastig die silberne Maske auf. Er wusste nicht, ob er enttäuscht, oder erleichtert sein sollte, als er einen Weg, gekennzeichnet durch Fackeln entdeckte, die zu einem großzügigen imposanten Haus führten, welches im Empire Stil gehalten worden war. Sein umhang wehte im Wind, das schwarze Haar war zerzaust wie eh und je, und wie von selbst steckte er seinen Zauberstab in die Innseite seines festlichen Umhangs. „Und ich hatte mich auf einen Hinterhalt von Neo-Todesser gefreut“, murmelte er mehr zu sich selbst, als er klassische Musik vernahm. Ein roter Teppich breitete sich unter seinen Füßen aus, als er durch die Dünen schritt. Immer mehr Menschen kreuzten seinen Weg. Damen in eleganten, bis altmodischen Kleidern. Herren, mit sichtbaren weißen Bärten unter der Maske, aber auch unsicherere Sprösslinge, welche sich immer wieder paranoid umsahen. Niemand schien hier jemanden zu kennen, alle waren sie unabhängig von einander hier und Harry wusste nicht, ob es ihm behagte oder nicht. Zwei Hauselfen verbeugten sich am prachtvollen Eingang vor ihm und ihm wurde bewusst, dass dieses Haus so gar nicht in die Gegend des Küstengebietes passte. Es war, als hätte es jemand darauf abgesehen, es am nächsten Morgen verschwinden zu lassen, damit es keine Beweise für den veranstalteten Maskenball gab. Drinnen empfing ihn helles und freundliches Licht. Kerzen brannten, ein Orchester, ebenfalls maskiert spielte und die Vielzahl der Gäste bewegte sich im Takt der Musik. Harry fühlte sich ins 18te Jahrhundert zurückversetzt. In eine Zeit, in der man Feste, wie diese mit Musik, Poker und unterhaltsamen Anekdoten feierte. Der Tanzraum war hoch, mit geschwungenen Bögen geschmückt. Rhythmisch bewegten sich die Paare zum Walzer und ein irritiertes Lächeln umspielte Harrys Mundwinkel. Er bog in den nächsten Saal ab und erblickte die Pokertische. Seine Vermutung, dass jemand sich an ein vergangenes Vorbild hielt, bestätigte sich. Hexen zogen schwatzend mit Fächern an ihm vorbei und der einstige Held griff nach einem Champagnerglas, das an ihm vorbei schwebte. Der Alkohol prickelte in seinem Hals und Harry entspannte sich etwas. Auch wenn er einen eventuellen Angriff ausschließen konnte, so kam ihm die ganze Angelegenheit doch sehr zwiespältig vor. Ehe er sich jedoch versah, versperrte ihm eine junge Hexe den Weg. „Monsieur, on danse?“ Erschrocken stotterte Harry verlegen: „N-Non. Excusez-moi.“ – war so ziemlich das Einzige, was ihm bei seinem hoppeligen Französisch einfiel. Gut das er sich von Gabrielle ein paar Brocken hatte beibringen lassen, als Fleur sie am letzten Weihnachten einfach ebenfalls in den Fuchsbau eingeladen hatte. Enttäuscht zog die junge Frau weiter und er schob sich an eine Gruppe sichtlich amüsierter Herren vorbei. Er brauchte erst einmal frische Luft. Zielsicher kämpfte er sich möglichst unauffällig auf den großen, angrenzenden Balkon. Die salzige Luft machte ihm deutlich, dass er sich nicht mehr in London befand und Harry war, als schnüre ihm jemand die Luft ab. Er atmete tief durch und legte den Kopf in den Nacken. Der kalte Wind zerrte an seiner Gestalt und im ersten Moment bemerkte er nicht, dass er sich nicht alleine auf dem Balkon befand. Harry blinzelte zweimal, um zu begreifen, dass ein junges Mädchen auf der steinigen Brüstung stand. Ihre Arme waren ausgestreckt, dass vornehme dunkelrote Kleid wehte im Wind. Bei Merlin, würde sie spingen? Regungslos verhaarte er und betrachtete das gelockte, fast goldene Haar, beobachtete ihre schmalen weißen Hände und das glitzernde, silberne Armband um ihr linkes Handgelenk. Er schellte sich einen Hippogreifen, der Damen einfach so zu zusehen, wo sie womöglich mit einem einzigen Schritt aus den Leben schied, denn Harry hörte das Brausen der Wellen. Ein Schritt weiter und es würde ein Abgrund auf sie warten. „M-Meinen Sie, dass es besonders viel Sinn macht, sein Leben bereits jetzt zu beenden?“, bemühte er sich, auf sich aufmerksam zu machen und bemerkte lediglich an eine leichte Regung ihrerseits, dass sie ihn gehört hatte. Ein sanftes Lachen entwich der weiblichen Kehle. „Wir verlangen, das Leben müsse einen haben, aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind.“ Ihre Stimme hatte etwas Melancholisches und Harry spürte, dass sich eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete. Er starrte auf die schmale nackte Schulter, die ihm ihr Schulternfreies Kleid zur Schau stellte. Leicht neigte die Hexe den Kopf und er erkannte eine goldene Maske mit kleinen Stickereien. Strahlend blaue Augen musterten ihn, das Lächeln auf ihren Lippen war geblieben. Die Antwort der jungen Frau hatte ihn schlicht allen Wind aus den Segeln genommen und so beobachtete er fasziniert, wie sie sich leicht wand und nun auf dem Gerüst zu balancieren schien, die Arme dabei provozierend ausgestreckt. Sie gab ein Bild der bedingungslosen Freiheit. „Wollen Sie mich nicht weiter aufhalten?“, fragte sie keck und erneut musste Harry blinzeln. „Nein“, sprach er langsam. „Sie werden ihre Gründe, warum Sie das tun, nur verstehe ich nicht, warum Sie deshalb ausgerechnet hier hin kommen mussten, um über eine Brüstung zu springen.“ Erneut lachte sie und er befand, dass es sich seltsam schön anhörte. Die junge Frau lachte nicht, wie Ginny, laut und heiter, sondern eher amüsiert und eine Spur zurückweisend. Es klang, als würde sie nicht oft lachen. „Wer sagt, dass ich springen möchte?“, stellte sie die Gegenfrage. „Nein, ich bin gekommen um ein bisschen Spaß zu haben und die Nacht zu genießen“, gestand sie schließlich, als sie am Ende des Geländes ankam und Harry hielt die Luft an, als sie sich an der Säule festhielt und ihr Kleid raffte. Dabei fiel ihm auf, dass sie keine Schuhe trug. Sie bemerkte seinen Blick auf ihre Füße und fragte: „Warum sind Sie gekommen?“ Ihre harmlose Frage brachte ihn aus dem Konzept und um Zeit zu gewinnen, eilte er heran, um ihr seine Hand zu reichen. Ihre schmale in seine fühlte sich seltsam warm und geborgen an. Dankend nahm sie an und kletterte so damenhaft, wie es ihr vergönnt war, von der Brüstung. Doch als sie wieder Boden unter den Füßen verspürte, wurde Harry bewusst, dass er ihr noch eine Antwort schuldete. „Nun“, begann er zögerlich. „Ich dachte, ich würde hier etwas finden.“ Interessiert musterte sie ihn und er setzte hinzu: „Was genau, das weiß ich auch nicht. Ich vermute es… ist, na ja, Glück, ein bisschen Zufriedenheit und Ablenkung.“ „Oho“, sie ließ ihr Kleid los und strich es sich gerade. „Ablenkung und ein bisschen Zufriedenheit kann ich Ihnen heute bescheren, wenn Sie Interesse daran hätten, den Abend mit mir zu genießen.“ Sie sprach es aus, als sei es etwas ganz natürliches, einfach einen Abend mit jemanden zu verbringen, den sie weder kannte, noch erkannte. Ziemlich mutig, dass junge Ding. Harry schätze sie auf achtzehn, kein Jahr älter. Dafür klang ihre Stimme zu frisch und ihr Auftreten entsprach keiner Hexe im höheren Alter. Sie wirkte so unbeschwert, wie es vielleicht frische Abgängerinnen aus Hogwarts waren. „Was das Glück angeht“, begann die unbekannte Hexe vergnügt. „ Das Glück ist ein Schmetterling, angelockt vom Duft der stillen Blüte, die sich öffnend dem Augenblick verschenkt.“ Ihre Gedanken glichen denen seiner guten Freundin Luna, doch wenn sich Harry eins sicher war, dann das er definitiv nicht die einstige Ravenclaw vor sich hatte. Weshalb? Es war die Art der jungen Frau sich zu bewegen, ihre Stimme, ihr Duft, alles war im gänzlich unbekannt und als leitender Auror würde er gewiss seine Freunde, geschmückt mit einer Maske, erkennen können. Gut gelaunt ergriff die Hexe seine Hand und zog ihn sanft im Takt der Musik mit sich. „Was wollt Ihr mir damit sagen?“, hielt Harry das Gespräch am laufen und sie erklärte: „Glück kann man nicht erzwingen, es ist einfach da, genauso wie der Duft der Blüte, nur sind wir nicht immer empfänglich es wahr zu nehmen, weil wir es manchmal gar nicht sehen wollen.“ Ihre Worte brachten ihn zum nachdenken, ganz unbewusst schien das Blut in seinen Adern plötzlich zu rauschen. „Warum habt Ihr keine Schuhe an?“ Seine plötzliche Frage ließ sie wieder lachen und unweigerlich entspannten sich seine Gesichtsmuskeln. „Weil ich heute alles mache, was ich mir sonst nie erlauben würde.“ Verwundert über diese Aussage, blieb er stehen, sodass auch sie in ihrer Bewegung verharrte: „Warum?“, harkte er noch einmal nach und das Lächeln auf ihren zarten Lippen fror kurz ein, doch es blieb beständig. Die junge Frau trat näher und als sie direkt vor ihm stand, atmete Harry den Duft von frisch erblühten Blumen ein. Ihre Augen waren so blau, wie ein wolkenloser Himmel und unweigerlich hielt er den Atem an, als sie sich leicht vor beugte und ihre Lippen Hauchfein die seine berührte. Nur kurz, kaum merklich. Sie sahen einander an und ihm war, als würde sie nach irgendetwas suchen, wo sie doch nur seine Augen ausmachen konnte. Sie wandte den Blick ab und umschloss seine Hand mit ihrer noch fester. „Wenn Ihr mir erzählt, warum Ihr so unglücklich seid, dann werde ich euch mit meinen Sorgen vertraut machen.“ Harry schluckte hart und sein Körper versteifte sich. Mit einem Mal schien die wirkliche Realität zu verschwinden, er wusste nicht mehr, wie er an diesen Ort gekommen war, aber etwas sagte ihm, dass es richtig war hier zu sein. „Einverstanden“, brachte er mühsam hervor und trat einen halben Schritt zurück um sie ansehen zu können. Das Lächeln war auf den Lippen zurück gekehrt. Sie neigte leicht den Kopf. „Ich werde in einen Monat heiraten, meine Eltern haben einen akzeptablen Ehemann für mich gefunden.“ Wie vor den Kopf gestoßen starrte er sie an. „Deine Eltern suchen deinen Ehemann aus?“, echote er und sie nickte, ohne sich an seinem fassungslosen Ton zu stören. „Das ist in meiner Familie so üblich“, gestand sie. „Und ich werde mich dem fügen.“ „A-Aber, aber“, verhaspelte sich Harry. „D-Du liebst den Kerl nicht, oder?“ „Nein“, sprach die junge Hexe und zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Aber es ist in Ordnung, er ist ein ehrlicher Mensch, den ich mit der Zeit zu akzeptieren lerne.“ Sie strich sich eine goldblonde Haarsträhne hinter das Ohr. „Als die Einladung heute Mittag plötzlich auf meinem Schreibtisch lag, dachte ich mir, dass ich ein letztes Mal tun sollte, wonach mir ist und ohne, dass mich jemand zur Rechenschaft ziehen kann.“ Sie ließ seine Hand los und drehte sich einmal kindlich und fröhlich um die eigene Achse. „Ich werde heute tanzen, ohne das mir Schuhwerk weh tut, ich bin zwischen Abgrund und Freiheit balanciert und ich werde heute den Abend mit jemanden verbringen, dessen Gesicht ich nicht kenne und deren Name mir ein Geheimnis bleiben wird.“ Sie hielt knapp inne. „Es wird meine Art sein, Abschied von einem Leben zu nehmen, dass ich ganz alleine bestimmen konnte.“ Harry schluckte hart, ein bitterer Beigeschmack machte sich in ihm breit. Er fühlte sich schlecht. Was waren seine Sorgen gegen die eines jungen Mädchens, das ihrem Schicksal so unerschrocken entgegen trat, als würde sie es alleine mit Voldemort aufnehmen? „Aber wissen Sie, so schlimm, wie sich meine Worte anhören, so schlimm ist es nicht.“ Ihr Lächeln bekam auf einmal eine traurige Note, die er vorher noch nicht gesehen hatte. „Denn ich bin sicher, dass ich auch in diesem vorherbestimmten Leben glücklich sein werde. Schließlich werde ich auch dort nach meinem ganz persönlichen Glück suchen.“ Kühler Wind kam auf und bauschte ihr Kleid, fuhr durch ihre Locken und Harry spürte zum ersten Mal, seit langen wieder Wärme in sich aufkeimen, obwohl er nichts anderes tat, als die unbekannte Hexe anzusehen. Sie hatte sich einige Schritte von ihm entfernt und tanzte langsam für sich im Takt der Musik mit. „Jetzt seid Ihr dran“, erinnerte sie ihn und der einstige Gryffindor holte tief Luft. „Ich fühle mich mit meinen kleinlichen Problemen schlechte, wenn ich die Ihre höre.“ Lachen erfüllte die Luft und erneut drängte sie ihn. Widerwillig begann er zu erzählen. „Ich habe das Gefühl, dass ich seit der Zeit des Friedens keinen Schritt von Ort und Stelle gegangen bin. Meine Freunde, alle sind sie Glücklich und haben sich in einen Alltag zurück gekämpft.“ Er dachte an George, schließlich an den kleinen Ted, der von all dem Elend seiner Eltern noch keine Ahnung hatte. „Irgendwo zwischen gestern und heute, habe ich mich selbst verloren“, gestand er. „Ich habe ständig das Gefühl, die Menschen, die mein Leben prägen sollen, sind bereits von mir gegangen und ich sollte-!“ „Es ihnen gleich tun?“, unterbrach sie ihn und zum ersten Mal an diesem Abend war das Lächeln verschwunden. „So etwas dürft Ihr nicht denken!“ „Nein“, sprach Harry und spürte die große Erleichterung seinen Gedanken in Worte gefasst zu haben. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Ich lebe zu sehr in der Vergangenheit, habe Angst vor der Zukunft und vergesse dabei völlig die Gegenwart zu genießen.“ Die junge Frau lächelte wieder und sein entsetzter Tonfall schien sie eher zu amüsieren. „Das kann passieren, aber man muss zurück in die Spur finden. Kennt Ihr denn niemanden, der dies geschafft hat?“ „Doch, natürlich, sogar eine Menge“, ereiferte sich Harry. Sein Gegenüber grinste spitzbübisch. „Dann tut es denen gleich, denn wenn man die Ruhe nicht in sich selbst findet, ist es vergeblich, sie anderswo zu suchen.“ Ihre Worte hatten stets etwas Philosophisches an sich und Harry fragte sich unweigerlich, aus was für einer Familie sie kam. Er sah sie einen Augenblick lang an ohne etwas zu sagen. Seltsamer Weise war ihm leichter ums Herz, er fühlte sich besser, als seit Jahren, irgendwie. Warum, dass wusste Harry selbst nicht, aber es war ihm egal, denn plötzlich verspürte er nach langer Zeit endlich wieder so etwas wie Glück. Glück, dieser jungen Hexe begegnet zu sein, denn mit ihren Worten, den Klang ihrer Stimme, löste sie etwas in ihm auf. „Lass uns die Gegenwart genießen“, sprach er plötzlich und war selbst überrascht von sich. Wie von selbst verbeugte er sich in kindlicher Übertriebenheit vor ihr und küsste ganz alt Gentleman-mäßig ihre Hand. „Darf ich Sie um den nächsten Tanz bitten, und um den danach und dem folgenden?“ Sie kicherte. „Die ganze Nacht, mein Herr.“ Harry lächelte und zum ersten Mal, seit er denken konnte, war es nicht mehr gezwungen, sondern ehrlich und aufrichtig. Er führte sie in den gigantischen Saal, das Orchester spielte den nächsten Walzer und er stöhnte. „Können die nichts anderes spielen?“ Heiter brachte die junge Hexe sie einander in Position, doch noch bevor sie sich bei den Tänzern einreihen konnten, stellte sie sich auf Zehnspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: „Übrigens; keiner geht ganz von uns, er geht nur voraus.“ Er sah in die blauen Augen und verstand ihre Aussage auf Anhieb. Als Antwort zog er sie in den Sprudel der Tänzer. Ohne falsche Scham war dieser Abend für ihn ein Wendepunkt in seinem Leben. Der Morgen nach dem rauschenden Fest, auf dem er getanzt, gelacht und getrunken hatte, zusammen mit Menschen, dessen Namen er nicht kannte, aber die alle aus ihren Alltag fliehen wollten, fühlte er sich wieder lebendig. Zusammen mit der jungen Hexe hatte er die Nacht zum Tag gemacht und sie erst verabschiedet, als die Sonne langsam aufging und sie zu zweit, Hand in Hand durch den weichen, kalten Sand spaziert waren. Die Sonne hatte sogleich auch ihren Abschied in Stein gemeißelt. Kein einziges Wort des Abschieds hatte ihre Lippen verlassen, stattdessen hatte sie einfach seine Hand losgelassen, ihm ein letztes Lächeln geschenkt und war alleine weiter durch den Sand geschritten. Der Wind spielte mit dem roten Kleid und die Spuren im Sand wurden von den anbrausenden Wellen verschluckt. Harry wusste nicht, wie lange er ihr damals nachgesehen hatte. Doch statt Trauer und Bedauern, sie nie wieder zu sehen, hatte er ihr stumm alles Glück der Welt gewünscht und hoffte, dass sie es dort finden würde, wo sie hinging. Die Wellen spülten die Spuren fort, so als wäre sie nie dagewesen und jetzt, als dreifacher Vater, fragte er sich, ob die Begegnung nicht genau hatte so verlaufen sollen. Eine Nacht ohne Beweise, ohne Namen, ohne Gesicht, aber mit einem Klang im Herzen, den er nicht vergessen würde, auch wenn sich die Erinnerung tief versteckte. Harry hang den Umhang zurück und ließ die verblichene Einladung wieder in die Innentasche verschwinden. Er hörte die Stimmen seiner Kinder, das Frühstück war bereits vorbei und Ginny rief zum Aufbruch. Langsam und ohne Hektik schloss Harry die Schranktür, lauschte seinen eigenen Schritten und strich sich kurz durch das zerzauste Haar. Er hatte sich verändert. Die Zukunft war nicht mehr wichtig, sondern die Gegenwart zählte für ihn. Jeder Moment mit seinen Kindern empfand er als Glück, jeder Augenblick mit Ginny erinnerte ihn an Liebe und jeder Gang durch die Straßen, vermittelte ihn Schritte der Freiheit und des Friedens. Er genoss die kleinen Dinge, die er früher verflucht hatte, denn er hatte begriffen, dass all die Menschen, die erliebte, nicht von ihm gegangen waren, sondern lediglich voraus. Und irgendwann würde er es ihnen gleich tun. Irgendwann. In ferner Zukunft. Am Gleis 9 ¾ war wie üblich am elften September die Hölle los, wenn sämtliche Schüler wieder nach Hogwarts aufbrachen. Sie trafen auf viele bekannte Gesichter und ganz, wie es zu seinen Pflichten als Vater gehörte, nahm er Albus die Angst vor Hogwarts, wies James zurecht und verabschiedete seine Nichte Rose. Dass sein Patensohn scheinbar bald ebenfalls ein Anhängsel der Familie Weasley war, erfreute ihn. Der Zug fuhr ab, Harry winkte so lange, bis der Zug um die nächste Kurve verschwand. Dann spürte er eine kleine zierliche Hand. Lily sah zu ihm auf und er lächelte. „Dad, jetzt bin ich ganz alleine zu Hause“, klagte sie, doch er lachte nur: „Dann überleg mal, welchen Unfug du nun in den Zimmern deiner Brüder treiben kannst, ohne dass sie es merken.“ Er zwinkerte und die Laune seiner kleinen Tochter schien sich zu heben. Kurz stieß Ted zu ihnen. Groß, mit wechselnder Haarfarbe bedankte er sich bei Harry: „Die Idee mit dem Geschenk war wirklich ein Torschuss!“ „Welche Idee?“, wollte Lily neugierig wissen und zog an seiner Hand. Teddy erklärte ihr, dass er Victoire zum Geburtstag ein Glas voller Muscheln aus Frankreich geschenkt hatte. Darin hatte Ted eine Flaschenpost gesteckt und der Rest der Geschichte hatte es bis auf den Bahnsteig geschafft. Lily zog eine Schnute als Ted ins Ministerium apparierte. „Wenn ich groß bin, dann will ich auch so ein Freund, der mir lauter tolle Sachen schenkt.“ Sie begann aufzuzählen, was sie erwartete und Harry lauschte ihrer Erzählung. Dabei setzten sie den Weg zu Ron, Hermine, Hugo und Ginny fort. Die Menschen um sie herum brachen ebenfalls auf, um den Gleis zu verlassen. Jemand stieß ihn kurz an und Harrys Haltung versteifte sich. Seine Schritte wurden langsamer. Er roch frische Frühlingsblumen und erkannte die sanfte und helle Stimme wieder. „Verfressen, wie eh und je. Nur weil Scorpius nicht da ist, heißt das noch lange nicht, dass wir weiter so viel Kirschtörtchen backen lassen, du kugelst ja bald durch die Gegend!“ Der Potter blieb stehen und sah über seine Schulter. Die energische Erzählung seiner Tochter drang in den Hintergrund. Astoria Malfoy tadelte auf eine belustigte Art und Weise ihren Gatten, dieser bat sie, die Diskussion nicht in solch einer Lautstärke fortzusetzen und ergriff ihre Hand. Harry sah auf die lockigen Haare, die Art wie sie sich bewegte und ohne, das er damit rechnete, drehte sie sich um. Himmelblaue Augen trafen seine Grünen. Das Lächeln auf ihren Lippen ließ ihn wissen, was sie dachte und sein Herz machte einen Sprung, nicht vor Liebe, dieses Gefühl gehörte seiner Frau und seinen Kindern - sondern vor Glück. Ihre Begegnung einander, war wie ein Schmetterling, angelockt vom Duft der stillen Blüte, die sich öffnend dem Augenblick verschenkt. Aber ein Augenblick verging, so auch dieser. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)