Des Schicksals Ränkespiele von Amelia_le_Blanche ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ohweh, was für eine Woche. So lange die beiden jungen Frauen dies nun schon geplant hatten, der damit verbundene Stress hatte sie doch ziemlich umgehauen. Nun saßen sie in ihrem Zug gen Heimat und waren heilfroh, nicht mit dem Auto gefahren zu sein. So konnten sie auf der langen Fahrt noch ein wenig ausruhen. Um sie stapelten sich die Taschen und Koffer, transportgünstig miteinander verschnürt, damit sie schnell alles schnappen und aus dem Abteil des Zuges buchsieren konnten, sobald sie aussteigen mussten. Der einzige Nachteil an einer Zugfahrt: das ewige Hin und Her mit dem Gepäck. Eine arbeitsreiche Woche lag hinter ihnen, Urlaub sieht anders aus. Aber so war es nun einmal geplant gewesen. Sie waren nach Berlin gefahren, hatten sich bei einer guten Freundin einquartiert und selbst und mit befreundeten Fotographen eine ganze Woche lang Shootings in mehreren unterschiedlichen Outfits durchgeführt. Damit sie endlich einmal qualitativ hochwertige Bilder in ihren schönsten und liebsten Stücken hatten und zudem ein wenig Werbung für sich machen konnten, da ein großer Teil der Outfits selbst gefertigt war. Berlin bot für soetwas unzählige wundervolle Kulissen. Diese Shootings waren auch der Grund für die beinahe grotesce Menge an Gepäck für zwei Personen und eine Woche „Urlaub“. Hat man jedoch mindestens ein Outfit pro Tag vorgesehen, welche mitunter dank Reifrock und mehreren Lagen Stoff recht platzintensiv waren, ist eine Tasche schnell gefüllt. Dazu kommen noch Schmuck und Accessoirs, Perücken und Haarteile, Kopfputz, mehrere Paar Schuhe und natürlich eine gewisse Auswahl an Makeup. Aber die beiden Frauen konnten dennoch stolz auf sich sein, sie hatten es geschafft ihre Sachen erstaunlich gut zu komprimieren. Das Gepäck beschränkte sich auf lediglich einen ziemlich großen Trolley-Koffer, einen kleineren Trolley, zwei große Reisetaschen, zwei kleine Reisetaschen und zwei Rucksäcke, alles prall gefüllt. Mit dem Auto hätten sie allerdings Platzprobleme bekommen, auch wenn sie inzwischen dank jahrelanger WGT-Erfahrung sehr begabt in der hohen Kunst des Taschen-Tetris für kleine Autos waren. Eine der Frauen, die auf den Namen Amelia oder kurz Amy hörte, hatte sich mit ihrem Tablet-PC in die Ecke der Sitzbank gelehnt und las, während sie Musik hörte. Die Zweite, mit dem Namen Morgane oder Nene, hatte sich dagegen auf der Bank lang gemacht und döste ein wenig. Sie hatte, zusätzlich zu den Anstrengungen ihres „Urlaubes“, die letzte Nacht nicht gut geschlafen und war dementsprechend müde. Merkwürdige Geräusche und Lichter hatten sie immer wieder geweckt, waren im Moment des Aufwachens aber schon verschwunden. Auch Amy war davon immerwieder aufgewacht, jedoch durfte zumindest eine von ihnen jetzt nicht einschlafen, sondern musste darauf achten, dass sie nicht ihren Zielbahnhof verpassten. Und beim Lesen konnte man schließlich auch ganz gut entspannen, wenn man dank Stöpsel im Ohr mit Musik die Geräuschkulisse der anderen Fahrgäste ausblenden konnte. Der Zug fuhr in einen kleinen Bahnhof ein. Amy sah aus dem Fenster, um den Namen des Bahnhofes zu lesen. Sie wusste danach, dass dieser der letzte war, durch den sie noch durchfahren mussten. Der nächste Bahnhof war ihr Ziel. Nachdem der Zug wieder angefahren war, schaltete sie ihren TPC aus und packte alle Geräte sicher weg. Sie war sich nicht ganz sicher, wie lange sie noch fahren würden, aber nach der planmäßigen Ankunftszeit im Zielbahnhof waren es keine zehn Minuten mehr. Also lehnte sie sich zu ihrer Freundin hinüber, strich ihr sacht über den Arm und sprach sie an. „Hey Nene, aufwachen. Wir sind in ein paar Minuten da.“ Mit einem Seufzen und sich streckend wachte die Angesprochene auf, lächelte die Freundin an und erhob sich schließlich. Amy erwiederte das Lächeln und war schon dabei, sich ihre Jacke anzuziehen. „Fühlst du dich erholter?“ fragte sie, während sie ein Schaltuch um ihren Hals wickelte. Es war Ende Januar und entsprechend kalt. Noch dazu war es bereits nach fünf Uhr abends, draußen wurde es dunkel und somit noch kälter. Nene streckte sich noch einmal ausgiebig und schlüpfte dann ebenfalls in ihre Jacke. „Geht so. Dann sollten wir unsere Koffer mal zur Tür bringen.“ „Jupp.“ war Amy's knappe Antwort, während sie schon aufstand, in den Gang trat und ihren Rucksack nahm. Die beiden mussten mehrmals gehen, ehe sie alles Gepäck in den Ausstiegsbereich geräumt hatten, dem schmalen Gang und den widerspenstigen Abteiltüren sei Dank. Nun standen sie mit Sack und Pack bei den Türen und warteten, dass der Zug in ihren Zielbahnhof einfuhr. Schon schlängelte er sich durch das vorgelagerte, komplizierte Netz aus Gleistrecken und unzähligen Weichen, vorbei an Güterzügen und gerade ungenutzten ICEs und Regio-Wagons, wobei er seine Geschwindigkeit immer weiter drosselte. Plötzlich war ein merkwürdiges Dröhnen zu hören, was definitiv nicht von den Bremsen oder den Schienen kam, dessen Lautstärke immer weiter zunahm, bis es schließlich in einem lauten Knall mit einem grellen Lichtblitz endete. Abrupt bremste der Zug mit voller Leistung, wodurch ein kräftiger Ruck durch alle Wagons ging. Geblendet von dem grellen Licht und von der Vollbremsung überrascht, verloren beide Frauen das Gleichgewicht und stürzten mitsamt ihren Koffern. Noch bevor sie in Kontakt mit dem Fussboden kamen wurde alles um sie herum schwarz. Kapitel 1: Willkommen auf dem Schloss ------------------------------------- Amy kam langsam wieder zu sich, bedingt dadurch, dass ihr irgendetwas kaltes und feuchtes ins Gesicht rieselte und ihr außerdem im wahrsten Sinne des Wortes arschkalt war. Nene ging es nicht anders. Als sie die Augen öffnete, blickte sie in schwarze Leere, aus der weiße Brösel auf sie herunter fielen – Schnee. Beide Frauen setzten sich fast gleichzeitig auf und erkundigten sich nach dem Zustand der jeweils anderen. „Mir geht es soweit gut, außer dass mir arschkalt ist und meine Hose bald durch.“ meinte Amy. „Mir geht es auch gut, so halbwegs zumindest. Ich lag halb auf einer Tasche, was etwas unbequem war.“ antwortete Nene und sah sich anschließend um. Alles, was sie erkennen konnte, war Schnee, verdammt viel Schnee. Dazu ein paar Hügel, einige Bäume, die talwärts in einen dichten Wald übergingen und in der Ferne einen Gebirgszug, natürlich alles schneebedeckt. „The FUCK!! Wo zur Hölle sind wir?!“ brach es aus ihr heraus. „Keine Ahnung. Irgendwo im Nirgendwo.“ war Amy's wenig begeisterte Reaktion. Die beiden erhoben sich, klopften sich den hängen gebliebenen Schnee von der Kleidung und sahen sich noch einmal genau um. Es war klar, dass sie eine Unterkunft finden mussten, sonst würde die Nacht alles andere als angenehm werden. Nur wie groß waren die Chancen, in dieser Pampa etwas zu finden? Zu ihrer beider Erstaunen und auch Erleichterung entdeckten sie ein Schloss, eine Burg, oder irgendetwas in der Art, auf einem Fels oberhalb ihrer momentanen Position. Amy war sich relativ sicher, in einigen der Fenster einen schwachen Lichtschein ausmachen zu können. Vielleicht war das Schloss bewohnt. Und selbst wenn nicht und es am Ende nur eine Ruine war, mit etwas Glück würden sie schon ein geschütztes Plätzchen finden. Dort würden sie die Nacht verbringen können und am nächsten Morgen auch wieder aufwachen. Allerdings war ihnen Option eins wesentlich lieber. „Versuch macht kluch...“ meinte Amy schulterzuckend und sah ihre Freundin auf eine Antwort wartend an. Nene erwiderte mit einem knappen, aber bestimmten Nicken. Der Entschluss war gefasst. Die beiden Frauen sammelten ihre um sie verstreuten Taschen zusammen und setzten sich in Bewegung Richtung Schloss. Das erste Stück war ziemlich mühsam, da sie sich irgendwo auf einer Wiese oder einem Feld befanden und ihre Taschen zunächst über unebenen Boden und durch tiefen Schnee ziehen mussten. Doch bald erreichten sie besseres Terrain, einen Weg, auf dem sich die Trolleys leichter bewegen ließen. Zudem schien eben dieser Weg direkt zum Schloss zu führen. Auch waren Spuren im Schnee zu erkennen, er wurde also genutzt. Das alles zauberte den Freundinnen ein Grinsen in die Gesichter. „Die Chancen stehen gut, dass das Teil bewohnt ist. Inklusive benutzter Zufahrtsstraße. Wenn auch schlecht geräumt.“ stellte Nene fest. „Jo! Seltsam nur, dass das nach einem Pferdeschlitten oder sowas aussieht. Reifenspuren kann ich jedenfalls nirgends entdecken.“ Amy deutete auf die schmalen glatten Furchen im Schnee und die eindeutigen Hufabdrücke. Die beiden Frauen warfen sich kurz skeptische Blicke zu, zuckten dann jedoch beide gleichgültig mit den Schultern und gingen unvermindert weiter. Je näher sie dem Schloss kamen, um so deutlicher war es in der diesigen, verschneiten Winterluft zu erkennen und schließlich standen sie nur wenige Meter vor dem offensichtlichen Eingangstor. In ehrfürchtigem Staunen, begleitet von einigen „Wow“- und „Krass“- Ausrufen, schauten sie an den Mauern des Schlosses empor. Vielleicht war es doch eher eine Burg, auf jeden Fall war das Bauwerk intakt, keine Ruine. Jetzt war es auch deutlich erkennbar, dass tatsächlich Licht in einigen Räumlichkeiten brannte. „Das Teil ist ziemlich episch! Ich beneide den Besitzer, da tät ich auch drin wohnen wollen.“ brabbelte Amy gebannt vor sich hin. Noch immer wanderte ihr Blick über die erhabenen Mauern. Nene konnte ihr nur beipflichten. „Na dann, versuchen wir unser Glück?“ fragte sie etwas ungeduldig. Sie wollte endlich aus dieser Kälte raus, insbesondere jetzt, wo sich ihre Hoffnung erfüllen könnte. Amy's Blick senkte sich zum Eingang, der von einem verschnörkelten Eisengitter verschlossen war und wanderte dann weiter zu ihrer Freundin. „Und wie kommen wir rein?!“ Mit einem schon fast anklagenden Finger zeigte sie auf das Tor. Beinahe wie auf Kommando war plötzlich ein Klicken zu hören und besagtes Eisengitter schwang langsam und etwas quietschend auf. Die beiden Frauen beobachteten das sich ihnen bietende Schauspiel irritiert und skeptisch, bevor sie einander wieder ansahen. „Spookey~“ kam es von beiden unison. „Jetzt können wir rein.“ meinte Nene beinahe enthusiastisch und legte den Kopf etwas schief. Die eben erlebte Merkwürdigkeit wurde schließlich mit einem gleichgültigen Schulterzucken von beiden abgetan und sie traten durch das Tor. Nun standen sie auf dem Schlosshof, direkt vor ihnen das eigentliche Schloss, rechts und links befanden sich wahrscheinlich Wirtschaftsgebäude. Zusammen mit der Mauer, durch deren Tor sie eben getreten waren, bildete alles einen Ring aus Stein um den kleinen Hof. Nur kurz sahen sich die Freundinnen um und gingen dann zielstrebig auf die riesige Eingangstür des Schlosses zu. Dort angekommen hievten sie ihre Taschen die wenigen Stufen auf den Treppenabsatz hinauf und suchten anschließend den Türbereich nach einer Klingel oder wenigstens einem Türklopfer ab. Diese Suche blieb jedoch erfolglos. Mit einem resignierten Seufzen schlug Amy einfach mit der Faust gegen die Tür, in der Hoffnung, dass das dumpfe Hämmern im Inneren besser zu hören war. Als auch nach mehreren Augenblicken noch nichts geschah, legte sie grummelnd die Hände auf die etwas überdimensionierte Türklinke. „Dann eben Hausfriedensbruch.“ Mit festem Blick drückte sie die Klinke hinunter und musste sich dann mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür stämmen, bevor diese sich überhaupt bewegte. Nene kam ihr zuhilfe und schließlich standen beide in der Eingangshalle. In erneutes Staunen verfallend betrachteten sie die Räumlichkeit. Das wenige Licht, was die Halle erhellte, kam von einer Vielzahl brennender Kerzen, keine Glühbirnen, was die beiden erneut ein wenig wunderte. Aber sie mussten zugeben, diese schummrige Beleuchtung unterstrich den Stil und die Stimmung des Raumes in bester Weise. Eine plötzliche Bewegung lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf das obere Ende der großen Treppe, welche von der ersten Etage hinunter in die Eingangshalle führte. Dort war eine dunkle Gestalt erschienen, welche die Freundinnen für einen Moment zu mustern schien. Dann rührte sich die Person und schritt mit geschmeidigen, fließenden Bewegungen die Treppe ein Stück hinunter und trat damit in den Lichtschein der Kerzen. Nun konnten Amy und Nene erkennen, dass es sich um einen Mann handelte, worauf sie ihn musterten. Ein freches Grinsen stahl sich in ihre Gesichter. Amy neigte den Kopf leicht zu ihrer Freundin und flüsterte ihr ein „Der ist heiß!“ zu, worauf Nene mit „Ooh jaa.“ antwortete. Nun erhob der Mann seine samtige Stimme und begrüsste die beiden Frauen, allerdings in einer Sprache, die keine von ihnen kannte. Dies ließ das Grinsen auf ihren Lippen versterben und sie sahen den Mann stattdessen ein wenig geschockt, mit großen Augen und leicht geöffneten Mündern an. Dessen Blick verdunkelte sich ein wenig, vermutlich interpretierte er etwas in ihre Mimik, was ihm nicht behagte. Sich aus ihrer Starre lösend, begannen die Frauen miteinander zu tuscheln, was seine Miene ein wenig mehr verfinsterte. Sich zu ihrer Freundin beugend flüsterte Nene „Was zur Hölle ist das für 'ne Sprache?!“ „Ich hab keine Ahnung.“ flüsterte Amy zurück. „Huston, wir haben ein Verständigungsproblem.“ Mit einem betretenen Lächeln, aber ein wenig Hoffnung in den Augen sah Amy den Mann direkt an, holte tief Luft und fragte dann gerade heraus: „Verzeihung, sprechen sie vielleicht deutsch?“ Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen und hoffnungsvollem Blick sahen nun beide Frauen zu dem Mann. Dessen finstere Miene wich einem Ausdruck von Verwunderung und er neigte den Kopf ein wenig. Er schien einen Augenblick überlegen zu müssen. Dann wich auch die Verwunderung und machte Platz für ein verstehendes Lächeln. „Ah... natürlich.“ Die beiden Frauen stießen gleichzeitig ein erleichtertes Stöhnen aus und senkten kurz den Kopf. Amy fügte ein „Kami sei Dank.“ an, was ihr einen fragenden Blick des Mannes einbrachte. Dieser wiederholte seine Begrüßung nun auf deutsch, mit einem leichten Akzent, den die beiden Damen als sehr charmant empfanden und ging dabei weiter auf seine Gäste zu. „Wohl der Nacht, die mir die Freude macht, solch reizenden Besuch in mein Schloss zu führen.“ Mit jedem Schritt, den er näher kam, wurde er von dem Kerzenschein besser beleuchtet und den Freundinnen fiel zum ersten mal sein Kleidungsstil auf. Erneut warfen sie sich ein kurzes, vielsagendes Grinsen zu. Kam da doch ein verdammt gutaussehender Mann auf sie zu, Mitte bis Ende dreißig, mit langen dunklen Haaren, die ihm offen über die Schultern fielen, gekleidet in ein schickes Ensemble im Stil des Rokoko. Komplettiert wurde das Ganze durch einen bodenlangen Samtumhang mit großem Stehkragen. Und alles in schwarz, wenn das nicht klischeehafter Vampir-Gothic-Style war?! Amy spürte eine wohlige Wärme in ihrer Brust entstehen, die sich dann aber in gewisse südlichere Regionen bewegte und dort vorübergehend einnistete. „Willkommen meine Damen. Ich bin Graf von Krolock.“ sprach der Mann weiter und stand nun direkt vor den beiden Freundinnen. Diese schauten ihn bei der Erwähnung des Titels überrascht an. 'Oha, auch noch ein adliger Hausherr, der schmeißt uns sicher wieder raus.' dachten sich die beiden. Der Graf lächelte und streckte Amy die Hand entgegen. „Und mit wem habe ich das Verknügen?“ Die junge Frau erwiderte das Lächeln und hob ebenfalls die Hand, in Erwartung eines kurzen Händeschüttelns. „Guten Abend. Mein Name ist Amelia und das ist meine Freundin Morgane. Wir sind erfreut sie kennen zu lernen.“ Der Graf ergriff ihre Hand sanft aber bestimmt und drehte den Handrücken nach oben. Ganz kurz hob sich eine seiner Augenbrauen, etwas schien ihn zu verwundern. Dann hauchte er, absolut formvollendet, einen Kuss auf ihre Hand. Das trieb Amy eine verlegene Röte ins Gesicht. Er wiederholte die Geste bei Nene und auch bei ihr hob sich kurz eine seiner Brauen, als er ihre Hand berührte. Die beiden Frauen beobachteten das Schauspiel fasziniert und kamen sich plötzlich vor wie in einem Historien- oder Kostüm- Film. Eine leise Ahnung darüber, was mit ihnen passiert war und wie sie hierher gekommen waren, keimte in ihnen auf. Mit einem leicht besorgten Blick sah der Graf die beiden nun an. „Ich hoffe es geht ihnen gut? Ihre Hände sind kalt wie Eis.“ Darauf zuckten beide Damen nur mit den Schultern. „Dauerzustand. Außerdem ist es draußen alles andere als warm.“ erklärte Nene. Amy sah den Grafen schmunzelnd an „Ihr seid aber auch nicht sonderlich wärmer.“ Der Angesprochene griff Nene's Aussage auf und antwortete nun seinerseits schmunzelnd mit „Dauerzustand.“ Die beiden Frauen hoben synchron skeptisch eine Augenbraue, bevor sie leicht lachten. Der Graf war offensichtlich zu Smalltalk in der Lage. „Wir entschuldigen uns vielmals für unser ungefragtes Eindringen. Wir hatten gehofft, hier eine Unterkunft für die Nacht zu finden.“ erklärte Amy die Situation und beide Damen sahen den Grafen entschuldigend an. Ein beinahe zufriedenes Lächeln legte sich auf die Züge des Grafen. „Aber nicht doch. Ich sehe Gäste gern. Bleiben sie, solange sie wollen. Ich werde Zimmer für sie herrichten lassen.“ Amy und Nene seufzten erleichtert, zuckten im nächsten Moment aber erschrocken zusammen, als die erhobene Stimme des Grafen durch die Eingangshalle und sicherlich auch einen gewissen Anteil des Schlosses donnerte. „Koukol!“ Nur Augenblicke später schlurfte, oder besser humpelte, eine Gestalt in gebeugter Haltung auf den Grafen zu. Dies war wohl ein Angestellter. Ein wenig Mitleid legte sich in die Blicke der beiden Frauen für den Krüppel vor ihnen. Der Graf gab dem Mann Anweisungen, in der für die Freundinnen unbekannten Sprache und schickte ihn dann fort. Unverständliche Laute von sich gebend verschwand der Bucklige wieder. Nun galt die Aufmerksamkeit des Grafen wieder seinen beiden Gästen. „Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis die Zimmer bereitet sind. Wollen sie mich in der Zwischenzeit nicht in das Kaminzimmer begleiten? Dort können sie sich aufwärmen und mir erzählen, was sie in diese Gegend führt.“ Der Graf hatte sich etwas abgewandt und wies auf eine Tür, die von der Eingangshalle in einen Gang führte. Bei seinen Worten hellten sich die Mienen der beiden Frauen um einiges auf. „Oh ja, gern. Aber... können wir erst noch unser Gepäck reinholen? Das steht noch vor der Tür.“ Mit einem verlegenen Grinsen wies Amy zu der Tür, durch die sie das Schloss betreten hatten. „Natürlich.“ Der Graf nickte kurz und beobachtete dann seine Gäste bei ihrem Vorhaben. Nene zog die Eingangstür auf und stellte sich dann gegen sie, um sie aufzuhalten. Amy ging hinaus und holte eine Tasche nach der anderen herein, um sie neben der Tür zu einem netten kleinen Stapel zusammen zu stellen. Ein wenig entgeistert beobachtete der Graf den kontinuierlich wachsenden Taschenberg. Als alles Gepäck in der Eingangshalle stand, legten die beiden Frauen ihre Jacken ab und kehrten an die Seite des Grafen zurück, um sich von ihm ins Kaminzimmer führen zu lassen. Der Graf musterte die beiden Frauen, die ihm jetzt in Jeans und Pulli gegenüber standen. Er wusste mit dieser Art von Kleidung nicht wirklich etwas anzufangen. Zumal er sowas eher an Männern als an Frauen erwarten würde. Doch darüber würde er seine beiden Gäste schon noch befragen. Er war durchaus interessiert an den Damen, bot ihre Erscheinung doch so viel Unbekanntes. Nicht nur ihre Kleidung, auch ihre Haare waren nach seinem Empfinden und seinem Kenntnisstand äußerst ungewöhnlich. Beide Frauen trugen sehr unnatürliche Haarfarben, helles Lila beziehungsweise dunkles Violett zusammen mit Blond und Schwarz. Die Größere der beiden, die sich mit dem Namen Amelia vorgestellt hatte, trug die Haare zudem jungenhaft kurz, weshalb er sie zunächst auch für einen jungen Mann gehalten hatte. Doch ihr Geruch und auch ihre Stimme wiesen sie eindeutig als Frau aus. Dies war jetzt, ohne die Jacke, auch an den femininen Kurven ihrer schlanken Gestalt zu erkennen. Ihre Freundin Morgane war hingegen auf den ersten Blick als Frau zu erkennen, mit ihren langen Haaren und den ausgeprägten weiblichen Reizen. Beide waren unverkennbar hübsch und auf unterschiedliche Weise attraktiv, wobei er Nene insgeheim die größeren Chancen bei der hiesigen Bevölkerung zusprach. Was ihm auffiel, als er ihnen gegenüber stand, war die vornehme Blässe ihrer Haut, trotz der Kälte draußen. Hätte er ihren Herzschlag nicht gehört, er hätte aufgrund ihrer Erscheinung und ihren wahrlich eiskalten Händen meinen können, die beiden waren wie er, Vampire. Apropos Herzschlag, noch etwas, was ungewöhnlich an seinen Gästen war. Sie waren absolut ruhig ihm gegenüber, er konnte keine Angst in ihnen spüren. Ab und an ein Aufblitzen von Nervosität, aber diese schien immer mit Fragen einher zu gehen. Und sobald er diese, offensichtlich positiv, beantwortete, kehrte die Ruhe in die beiden Frauen zurück. Kannten sie die Warnungen über Kreaturen wie ihn etwa nicht? All die Schauergeschichten, die sich die Menschen erzählten und die ihm so unsäglich zuwider waren, da sie überhaupt nicht zutrafen, oder zumindest nicht so überspitzt, und ihm sein untotes Leben schwer machten. Und selbst die, die ein Interesse an diesen Geschichten hatten, zeigten Angst, wenn sie mit einem leibhaftigen Vampir und damit mit dem Tod konfrontiert wurden. Oder die beiden Frauen hatten die Gefahr, die unvermeidlich von ihm ausging, einfach noch nicht wahrgenommen. Nun gut, wenn dem so war, würde er das zu seinem Vorteil zu nutzen wissen. Er würde ihnen für eine Weile den harmlosen menschlichen Schlossherrn vorspielen, seinen Wissensdurst von ihnen stillen lassen und später dann sicher auch den Durst nach etwas anderem. Der bloße Gedanke daran ließ den Hunger in ihm aufflammen, zumal seine letzte Mahlzeit schon etwas länger her war. Doch er würde sich zügeln. Er atmete tief durch, zwang den Hunger in seine Schranken und schenkte den Damen ein einladendes Lächeln. Mit einer Hand wies er erneut Richtung Kaminzimmer und ging dann voraus. Kapitel 2: Märchenstunde im Kaminzimmer --------------------------------------- Der Graf führte seine beiden Gäste zum Kaminzimmer und hielt ihnen dort, ganz Gentleman, die Tür auf. "Bitte meine Damen, treten sie ein." Amelia und Morgane bedankten sich und betraten den Raum. Eine behagliche Wärme empfing sie und die Erleichterung war ihnen ins Gesicht geschrieben. Fasziniert betrachteten sie den Raum. Wie schon die Eingangshalle strahlte das Zimmer einen besonderen Charme aus. Hohe Wände, geschmückt mit Bildern, Figuren und Kerzenleuchtern, antikes Möbel wie es sich für einen herrschaftlichen Wohnsitz gehört, aber alles etwas düster und für normale Menschen sicherlich zu gruselig, um so zu wohnen. Amy und Nene allerdings fühlten sich auf Anhieb wohl, entsprach diese Einrichtung doch genau ihrer Vorstellung von Wohnästhetik. Das Highlight des Raumes war zweifellos der riesige, steinerne, offene Kamin, in dem das wärmende Feuer brannte. Auch er war reich verziert mit besonderen Motiven. Vor dem Kamin lag ein großes Tierfell, vielleicht von einem Bären, auf dem Teppich, welcher im näheren Einflussbereich des Kamins den Steinboden bedeckte. Um den Kamin herum stand eine Sitzgruppe, bestehend aus einem herrlichen altmodischen Sofa und zwei passenden Sesseln. Auch diese Stücke waren mit makaberen Elementen verziert, genau nach dem Geschmack der beiden Frauen. In dem Sessel, welcher mit der Rückseite zur Tür stand, saß jemand. Man konnte ein leger übereinander geschlagenes, in eine Hose aus einem sehr edlen Stoff gekleidetes, Paar Beine sehen. "Ah, Herbert, hier bist du. Sei so nett und begrüße unsere Gäste." erklang die Stimme des Grafen. Während seine Gäste den Raum bestaunten, hatte er die Tür geschlossen, war ins Zimmer getreten und stand nun wenige Schritte von Amy entfernt. Der Angesprochene schaute um die Lehne des Sessels herum. Ein gutaussehender junger Mann mit langen hellblonden Haaren blickte zunächst den Grafen und dann die beiden Frauen an. Nene konnte sich ein eindeutiges Lächeln nicht verkneifen und schielte kurz zu Amy. Diese schmunzelte nur. Da landen sie, weshalb auch immer, an einem wildfremden Ort, der sonst wo am Ende der Welt liegen könnte, finden dort ein Schloss, eingerichtet wie ein Möbelhaus für Historienfreaks und Gothics und treffen auf zwei verboten gutaussehende Männer mit Stil. Sollten sie wirklich so viel Glück haben? Der jüngere der beiden Männer, Herbert, musterte die beiden Frauen einen Augenblick, besann sich dann jedoch auf seine gute Erziehung, legte seufzend das Buch beiseite, welches er gelesen hatte und stand auf. Kurz zupfte er sich zurecht, bevor er sich umdrehte. Die Art, wie er sich bewegte, verriet jedoch eindeutig etwas über seine sexuelle Orientierung. Nene schaute enttäuscht und ließ die Schultern etwas hängen. Beinahe wehleidigen Blickes sah sie zu ihrer Freundin. Amy blickte fast genauso betrübt drein. Beide Frauen hatten in diesem Moment den selben Gedanken: "Schwul... Verdammter Mist!" "Meine Damen, dies ist mein Sohn Herbert." stellte der Graf den jüngeren vor. Augenblicklich schnellten zwei Köpfe zu ihm herum und sahen ihn ungläubig an. "Ihr... Sohn...?!" fragte Amy skeptisch. "Nett..." fuhr Nene fort. Dann warfen sich die beiden Frauen vielsagende Blicke zu, eine Unterhaltung im Stillen, mit dem Wortlaut "Ist klar... Wann ist er dann bitte Vater geworden? Mit 10?!" Der Graf beobachtete dies nun seinerseits skeptisch. Fast hatte er den Eindruck, seine Gäste beherrschten Telepathie. Herbert hatte unterdessen den Raum durchquert und stand nun vor den Damen. Während der Graf nun die beiden Frauen namentlich vorstellte, hauchte sein Sohn, ebenso formvollendet wie sein Vater zuvor, beiden einen Kuss auf den Handrücken. "Guten Abend. Ich bin erfreut sie kennen zu lernen." sagte er höflich. Sein Blick war jedoch etwas kühl und distanziert. Amy und Nene konnten sich ziemlich gut vorstellen, warum er so schaute. Also schenkten sie ihm ein ehrliches, freundliches Lächeln. "Die Freude ist ganz auf unserer Seite." Auch Herbert waren die immernoch eiskalten Hände der beiden Frauen aufgefallen. Er warf einen kurzen, fragenden Blick zu seinem Vater, der ihn auffordernd ansah. Dann trat er zur Seite und wies zum Kamin. "Sie sollten Platz nehmen und sich aufwärmen. Sie sind ja ganz erfroren." Mit einem Nicken dankten ihm die beiden Damen und gingen zum Kamin, dadurch blieb ihnen das triumphale Grinsen Herberts verborgen, welches er an seinen Vater richtete. Am Feuer nahm jedoch nur Nene Platz auf dem Sofa, möglichst nah an der Wärmequelle. Amy stellte sich mit dem Rücken zu den Flammen so nah wie ertragbar davor. Damit erntete sie verwunderte Blicke von den beiden Herren. "Wollen sie sich nicht setzen?" fragte der Graf nach. "Doch schon, aber..." Amy zupfte an der Rückseite ihrer Hose herum. "Ich hab vorhin eine Weile im Schnee gesessen. Dementsprechend habe ich jetzt eine nasse Hose. Sich damit hinsetzen ist ziemlich unangenehm, zumal ich ihnen womöglich noch Wasserflecken auf das schöne Sofa mache. Das kommt gar nicht in Frage!" erklärte sie entschieden. "Du könntest sie ja ausziehen." scherzte Nene. Amy sah sie vorwurfsvoll an. "Ja klar, hier und jetzt, vor den Augen zweier Männer, die wir gerade kennengelernt haben und unsere Gastgeber sind. Macht 'nen richtig guten ersten Eindruck." Ihre Worte trieften nur so vor Sarkasmus. Der Graf und sein Sohn warfen sich einen kurzen skeptischen Blick zu, bevor sich Herbert wieder in seinen Sessel sinken ließ. „Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Glas Rotwein?“ fragte der Graf freundlich, während er auf einen der Schränke zuging. Dort öffnete er die Türen und nahm eine Flasche eben selbigen Getränkes heraus. Die Augen der beiden Damen waren ihm gefolgt. „Gern. Vielen Dank.“ antworteten ihm beide gleichzeitig. Der Graf sah zu seinen Gästen und schmunzelte etwas, wand sich dann wieder dem Schrank zu und nahm zwei Rotweingläser heraus. „Sie beide scheinen ein Talent dafür zu haben, gleichzeitig mit den selben Worten zu antworten.“ stellte er leicht amüsiert fest. Amy lachte und Nene erklärte trocken: „Wir teilen ein Gehirn.“ Da war er wieder, dieser verwunderte Blick des Grafen, den Amy irgendwie niedlich an ihm fand. Herbert blickte nicht weniger fragend drein. „Das heißt was?“ fragte der Ältere der beiden Männer, während er die zwei Weingläser füllte. „Nun ja, das ist schon etwas schwierig zu erklären.“ begann Nene. „Wir sind beste Freundinnen, wohnen zusammen, haben sehr ähnlichen Geschmack und so ziemlich die selbe Meinung zu verschiedenen Dingen. Wir kommen meist zu den selben Schlussfolgerungen und ja...“ setzte Amy fort. „...haben sehr sehr oft gleiche Gedankengänge. Was mitunter zu gleichen Äußerungen führt. Und manchmal denkt die eine etwas, was die andere ausspricht oder beendet Sätze und ähnliches.“ beendete Nene. Der Graf war mit den gefüllten Gläsern inzwischen an die beiden Frauen herangetreten und reichte jeder eines. „Was sie gerade demonstrierten.“ stellte Herbert mit erhobener Braue fest. „WZBW, wie der Mathematiker sagen würde. 'Was zu beweisen war.'“ Amy schmunzelte amüsiert vor sich hin und Nene lachte leicht. „Manchmal ist das schon erschreckend.“ Die Frauen dankten für den Wein und der Graf wand sich an seinen Sohn. „ Möchtest du auch ein Glas?“ Dieser wollte zuerst verneinen, sah dann aber den mit den Worten „Spiel mit!“ bedeutungsschwangeren Blick seines Vaters und willigte ein. Der Graf ging zurück zu dem Weinschrank, um zwei weitere Gläser zu füllen. Derweilen roch Amy semiprofessionel an ihrem Glas, um das Bukett aufzunehmen. Nene war nun offensichtlich wieder aufgetaut, denn sie konnte es sich nicht verkneifen, Amy ein wenig zu ärgern. „Deine Hose brennt.“ meinte sie trocken und schnüffelte selbst an ihrem Wein. Ein erschrockener Aufschrei hallte durch den Raum. Herbert blickte panisch auf und sein Vater fuhr mit weit aufgerissenen Augen herum. Amy machte einen Satz vom Feuer weg, schaffte es erstaunlicherweise ihr Glas sicher zu balancieren ohne etwas zu verschütten, schlug sich mit der freien Hand auf den Hintern und fuhr herum. Doch sie brannte nicht. Nene brach in schallendes Gelächter aus, worauf ihre Freundin sie bitterböse und vernichtend ansah. „NICHT LUSTIG!“ knurrte Amy, stapfte auf Nene zu und erdolchte sie mit ihren Blicken. Die Freundin lag immernoch lachend auf dem Sofa und hielt mit Mühe das Weinglas gerade. Fassungslos beobachtete der Graf die Szene, sein Sohn war einfach nur geschockt. Diese beiden Frauen legten eine Ungezwungenheit an den Tag, die den beiden Vampiren völlig fremd war. Zudem hatte der Graf gerade ernsthaft um ihre Sicherheit gebangt. Doch es war alles nur ein Scherz gewesen. Ein kleines erleichtertes Seufzen konnte er sich nicht verkneifen, nahm dann die beiden gefüllten Gläser, er hatte sich selbst natürlich auch eines eingeschenkt, und kehrte zurück zu der Kaminsitzgruppe. Leicht angefressen ließ Amy sich nun doch auf dem Sofa nieder. Bei dem selbst zugefügten Klapps auf den Hintern hatte sie festgestellt, dass ihr Allerwertester nun ertragbar trocken war. Nachdem der Graf seinem Sohn ein Weinglas gegeben hatte, nahm er selbst in dem noch freien Sessel Platz. „Beantworten sie mir nun meine Frage, was sie hier her führt?“ Die beiden Frauen sahen ihn einen Moment mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor sie sich gegenseitig einen langen Blick zuwarfen. Es herrschte ein kurzer Augenblick des Schweigens, bevor sie beide gleichzeitig mit „Kulturreise“ antworteten. Und wieder wanderte eine Braue des Grafen in Richtung seines Haaransatzes. „Nun wissen sie, wir sehen uns gern Schlösser, Burgen...“ begann Nene. „...und sonstige alte Gemäuer an.“ beendete Amy den Satz. „Aha.“ war die knappe, nicht sehr überzeugte Reaktion des Grafen. Es war klar das ihm diese Auskunft nicht genügen würde, also mussten die beiden Freundinnen schnell und kreativ sein. Sie konnten dem Grafen ja schlecht die Wahrheit erzählen, da sie die leise Ahnung hatten, eine Art Zeitreise gemacht zu haben. Aufgrund der Kleidung ihrer Gastgeber, ihrem Verhalten, ihrer Art zu reden und der technischen Ausstattung des Schlosses hatten sie dies geschlussfolgert. Eine möglichst glaubhafte Story musste her, und Amy hatte plötzlich einen Geistesblitz. „Also, um ganz ehrlich zu sein, wir wissen nicht, wo genau 'hier' ist. Wir hatten uns spontan zu einer Städtereise aufgemacht, mit dem Orient-Express. Nur gab es kurz hinter Budapest kein Weiterkommen mehr wegen Schnee. Daher mussten wir auf Kutsche umsteigen, um nach Sofia zu gelangen. Allerdings fürchte ich, sind wir unterwegs fürchterlich vom Weg abgekommen.“ Mit einem theatralischen Seufzen untermalte Amy ihre Ausführungen und nippte an ihrem Wein, bevor sie weitersprach. „Aber das Schlimmste war, dass wir wohl irgendwann, warum auch immer, das Bewusstsein verloren haben und als wir wieder zu uns kamen, saßen wir mit unseren Koffern, aber ohne Kutsche, ein paar Meter unterhalb ihres Schlosses.“ Der Graf sah sie mehr als skeptisch an. Die Freundinnen befürchteten schon, dass das zu einem Dauerzustand bei ihm wird. „Das ist ja eine haarstreubende Geschichte. Erstaunlich, dass ihnen nichts geschehen ist.“ meinte er, mit deutlicher Skepsis in der Stimme. Nene rollte auffällig mit den Augen, schnaufte und nickte. „Das können sie laut sagen! Aber so war es leider. Und nun sind wir hier, wo auch immer das ist.“ „In den Karpaten, in Transsylvanien.“ beantwortete Herbert die angedeutete Frage nach dem Ort. Beide Frauen sahen ihn mit großen Augen und offenem Mund an. „Ach du meine Güte!“ brachte Amy geschockt hervor und wieder beendete Nene den Gedanken. „Das ist ja ganz weit daneben!“ Der Graf nickte nachdenklich, vorerst würde er sich mit dieser Geschichte zufrieden geben. Doch wirklich glauben wollte er sie nicht und er würde mit Sicherheit mehr in Erfahrung bringen. Allerdings hatte diese Information, sofern sie richtig war, einen interessanten Aspekt. Es ließ nämlich darauf schließen, dass seine beiden Gäste viel und weit reisten. Perfekte Voraussetzungen, um Teil seines Plans zu werden: die Verbreitung der Vampire über die ganze Welt. Er musterte die beiden Frauen erneut, mehr oder weniger versteckt. Jung, hübsch, intelligent, alles nützliche Eigenschaften für einen Vampir. Ihm fiel erneut ihre ungewöhnliche Kleidung auf und jetzt wollte er auch wissen, was es damit auf sich hatte. „Verzeihen sie mir, wenn ich indiskret bin, aber ist diese Art von Kleidung nicht etwas unzüglich für junge Damen wie sie? Oder tragen die Frauen in ihrer Heimat jetzt Männerkleider?“ Seine Frage klang etwas spöttisch, aber in seinen Augen sollten Frauen Röcke und Kleider Tragen und nicht Hosen. Verwundert sahen Amy und Nene an sich hinunter. Ein weiteres Indiz für ihre Vermutung, dass sie sich nicht in ihrer Zeit befanden, wenn Emanzipation noch Utopie war. Schonwieder musste eine schnelle, glaubhafte Antwort her. Diesmal hatte Nene den rettenden Einfall. „Es ist ungewöhnlich, ja. Wir waren aber vor einiger Zeit in den USA und dort ist diese Art von Hose gerade sehr beliebt, als Arbeitshose für Männer. Der Stoff ist bequem, aber sehr strapazierfähig, absolut perfekt auf Reisen. Röcke sind da eher unpraktisch. Also haben wir uns ein paar Modelle gekauft.“ Mit einem verlegenen Lächeln hoffte sie, dass der Graf das akzeptieren würde. Wieder blickte er die Frauen mit skeptisch hochgezogener Braue an. Das wurde wirklich langsam ein Dauerzustand. Aber er nickte und nahm es hin, machte sich insgeheim jedoch so seine Gedanken. Er konnte sehr gut einschätzen, ob jemand log oder die Wahrheit sprach. Zwar waren seine Gäste recht gut darin, es zu verbergen, aber er hatte eine Ahnung, dass ihre Geschichten nicht so ganz stimmten. Aber gut, er belog sie ja schließlich auch. Und er würde mit Sicherheit noch genügend Gelegenheit haben, die Wahrheit aus den beiden jungen Damen herauszukitzeln. Auf jeden Fall wob er sie in das Netz seines großen Vorhabens ein. Die beiden hatten Potential, es wäre Verschwendung, es nicht zu nutzen. Ein kalkulierendes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Kapitel 3: Nachtgeflüster ------------------------- Die kleine Runde saß noch eine Weile zusammen im Kaminzimmer. Die Damen genossen den Wein, der Graf fragte sie noch ein wenig aus und lauschte ihren Erklärungen. Was sie genau darauf brachte wusste Amy nicht, aber ihr kam etwas in den Sinn, was sie noch klären wollte. „Sagt Graf, wenn sie einen Sohn haben...“ Ihr Blick wanderte kurz zu Herbert. „...gibt es dann auch eine Gräfin?“ Die Miene des Grafen verfinsterte sich etwas und ein Hauch von Traurigkeit lag in seinem Blick. „Nein.“ war die knappe Antwort. Das schien kein gutes Gesprächsthema zu sein, denn auch Herbert schaute etwas melancholisch drein. „Oh verzeihen sie, ich wollte nicht unhöflich sein.“ Betreten senkte Amy den Blick. „Schon gut, sie ist vor langer Zeit gestorben.“ Die Frauen nickten verstehend. Aber zu weiteren Fragen kamen sie nicht mehr, denn gerade in diesem Moment öffnete sich die Tür und der bucklige Diener trat ein. Er teilte seinem Herrn etwas ziemlich Unverständliches mit, worauf der Graf nickte und sich erhob. „Meine Damen, ihre Zimmer sind nun hergerichtet. Kommen sie, ich geleite sie hinauf.“ Herbert hob skeptisch eine Braue, sein Vater war ja heute besonders fürsorglich. Die beiden Angesprochenen tranken schnell noch ihre Gläser leer, stellten sie beiseite und erhoben sich ebenfalls. Bevor sie gingen, stieß Nene ihrer Freundin mit dem Ellenbogen in die Seite und flüsterte ihr etwas zu. „Oh ja, gute Idee!“ meinte Amy leise und wandte sich dann mit fragendem Blick an ihren Gastgeber. „Dürften wir vielleicht auch um etwas zu Essen bitten? Unsere letzte Mahlzeit ist schon eine Weile her.“ Wie zur Bestätigung war von Nene ein leises Grollen zu vernehmen und kurz danach auch von Amy. Beide Frauen legten sich eine Hand auf den Bauch und schauten verlegenen Blickes und mit leicht geröteten Wangen drein. „Gewiss.“ war die recht schnelle Antwort, doch der Graf schien kurz überlegen zu müssen. Dann wandte er sich an seinen Sohn und fragte ihn mit leiser Stimme. „Haben wir überhaupt noch etwas da?“ Herbert sah seinen Vater verständnislos an. „Was fragst du mich das?!“ entgegnete er empört und rollte mit den Augen. Amy und Nene beobachteten den Dialog der beiden Männer skeptisch. Wieder sagte der Bucklige etwas Unverständliches und erneut nickte der Graf, diesmal aber mit offenkundiger Erleichterung. „Koukol wird ihnen etwas auf ihr Zimmer bringen. Wollen wir dann?“ Auffordernd sah er die beiden Frauen an. Diese nickten lächelnd, verließen gemeinsam mit ihrem Gastgeber das Kaminzimmer und folgten ihm. In der Eingangshalle schnappten sie sich aber noch schnell ihre Rucksäcke und Jacken, um nicht mit leeren Händen zu gehen. Der Weg führte sie die große Treppe in der Eingangshalle hinauf und in einen Seitenflügel des Schlosses. Nach einigen Gängen und Abzweigen blieben sie vor einer Tür stehen, die der Graf öffnete und welche dann den Blick in einen Traum von einem Zimmer freigab. „Da wären wir.“ erklärte er und deutete seinen Gästen, einzutreten. Diese nickten dankend und betraten das große, herrlich eingerichtete Zimmer. Ein großer Kleiderschrank und einige Kommoden standen an den Wänden, ein kleiner Tisch und zwei Sessel befanden sich in der Nähe eines der riesigen Fenster, die vom Boden bis fast unter die Decke reichten und in dem Kamin brannte bereits ein wärmendes Feuer. Die dunklen Vorhänge aus schweren Stoffen vor den Fenstern waren beiseite gezogen und gaben den Blick in die Nacht frei. Dominiert wurde der Raum aber von einem irrsinnig großen, reich verzierten Himmelbett. Die beiden Freundinnen staunten nicht schlecht, dieses Schloss wurde besser und besser. „Hier sollen wir schlafen?!“ fragte Nene ungläubig. Der Graf schaute sie verwundert an. „Gefällt es ihnen etwa nicht?“ Beide Frauen schüttelten energisch den Kopf. „Nein nein, das ist genial, fantastisch, ein Traum!“ erklärte Amy, was ihrem Gastgeber ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen zauberte. „Durch diese Tür gelangen sie in das zweite Schlafzimmer und durch diese in das Badezimmer.“ Der Graf wies erklärend auf die entsprechenden Türen, die von dem Raum abzweigten. Die Augen seiner Gäste weiteten sich. „Ein angrenzendes Bad?! Irre!“ Beide ließen ihre Sachen fallen und gingen zu der fraglichen Tür um einen Blick hinein zu werfen. Ausrufe des Staunens und der Begeisterung waren zu vernehmen, bevor sich Amy an den Grafen wandte. „Dürfen wir baden?“ fragte sie mit freudiger Erwartung. „Natürlich.“ entgegnete er ihr, worauf sie ihm ein übermäßig breites Grinsen zuwarf. „Nun denn, meine Damen. Ich empfehle mich. Fühlen sie sich in meinem Schloss ganz wie zu Hause. Sollten sie noch etwas benötigen, scheuen sie sich bitte nicht zu fragen.“ Mit einem leichten Lächeln verbeugte sich der Graf. „Wenn wir jemanden finden. Oder wohl eher, wenn noch jemand wach ist.“ stellte Nene fest. Nun musste er schmunzeltn. „Das werden sie sicher. Ich bin ein Nachtvogel, tagsüber nicht zu gebrauchen.“ Erwartet hatte er nun eigentlich eine Skepsis geprägte Reaktion, doch stattdessen grinsten ihn die beiden Frauen breit an. „Das ist gut, wir nämlich auch.“ meinte Nene und Amy setzte mit einer gewissen Erleichterung fort: „Dann dürfte es also nicht all zu problematisch werden, wenn wir morgen erst spät unter den Lebenden weilen. Wer braucht schon Sonne?!“ Verwundert hob der Graf eine Braue. Welch merkwürdige Formulierung, so menschenuntypisch, genauso wie die Einstellung, die dahinter lag. Das konnte durchaus noch sehr interessant werden mit diesen beiden jungen Frauen. Mit einer erneuten leichten Verbeugung verabschiedete er sich nun und verließ das Zimmer, um zu seinem Sohn zurückzukehren. Er musste mit ihm noch ein paar Dinge bezüglich seiner Gäste klären. Amy und Nene sahen dem Grafen kurz nach, bevor sie mit euphorischen Lauten das Bad betraten. Es war pompös und altmodisch, absolut passend zu dem, was sie bisher von dem Schloss gesehen hatten. Eine ziemlich große, ummauerte Badewanne stand unter einer Art Torbogen auf der einen Seite des Raumes, ein Waschtisch an der angrenzenden Wand und eine kleine Kommode auf der der Wanne gegenüberliegenden. Auch in diesem Raum befand sich ein kleiner Kamin, in dem ebenfalls schon ein Feuer brannte. Die beiden Frauen schwärmten für die Räumlichkeit, sie kamen sich vor wie im Märchen. Die Toilettensituation war jedoch weniger märchenhaft, weshalb Amy das Gesicht verzog. „Latrine.“ meinte sie wehleidig und zeigte auf einen kleinen Erker an der Außenwand mit der entsprechenden Örtlichkeit. Nene folgte dem Hinweis und auch ihr Gesicht verzog sich. Sie seufzte und sah ihre Freundin an. „Man kann nicht alles haben.“ meinte sie resigniert. Und wieder reihte sich ein Punkt in ihre Indizienliste für eine Zeitreise ein. Zunächst verließen sie aber das Bad wieder, denn sie mussten noch ihre Taschen herauf bringen. Zum Glück verfügten sie beide über einen guten Orientierungssinn, weshalb sie verhältnismäßig schnell zurück in die Eingangshalle fanden. Dort schnappten sie sich einige der Taschen und brachten sie nach oben. Noch ein weiteres Mal mussten sie gehen, dann war alles verräumt. Nun warfen sie einen Blick in das zweite Schlafzimmer. Es war ähnlich eingerichtet, wie das erste, also würden beide auf ihre Kosten kommen. Nach kurzer harmloser Debatte war die Verteilung geklärt, Nene blieb im ersten Zimmer, Amy nahm das Zweite. Auspacken würden sie später, jetzt wollten sie erst einmal die Kälte endgültig aus ihren Gliedern vertreiben. Daher kramten sie nur die benötigten Utensilien aus den Taschen und verschwanden im Bad. Der Graf war in das Kaminzimmer zurückgekehrt, wo er zu seiner Zufriedenheit seinen Sohn immernoch vor fand. Dieser schien wieder in sein Buch vertieft zu sein. Mit fließenden Bewegungen ließ sich der Ältere in seinen Sessel sinken und wollte gerade das Gespräch beginnen, als Herbert ihm zuvor kam. „Ich bin erstaunt, Vater. Du bemühst dich ja regelrecht um die Beiden. Aber so wie ich dich kenne hast du doch schon etwas bestimmtes mit ihnen vor, nicht wahr?“ Der Graf schmunzelte. Natürlich kannte sein Sohn ihn sehr gut, er hatte schließlich mehr als 200 Jahre Zeit gehabt, alle Facetten und die Denkweisen seines Vaters zu ergründen. „Ganz recht. Und genau deswegen muss ich mit dir reden.“ entgegnete er. Herbert legte das Buch erneut beiseite und sah seinen Vater aufmerksam und erwartungsvoll an. „Und was bekomme ich als Gewinn? Immerhin habe ich unsere kleine Wette gewonnen.“ Der Graf sah ihn mit fragend erhobener Braue an. „Wette?! Welche Wette?“ Doch als er das triumphale Grinsen auf Herberts Gesicht sah, jenes welches er ihm schon zuvor geschenkt hatte, dämmerte es ihm. Der Graf stand an einem der Fenster, die den Blick über den Hof auf den Wald unterhalb des Schlosses frei gaben und sah in die Nacht hinaus. Seine äußerst sensiblen Sinne hatten ihm gesagt, dass sich in unmittelbarer Nähe zu seinem Anwesen zwei Menschenleben befanden, die nun auch noch näher kamen. Schließlich konnte er sie sogar auf dem Weg, der zum Schloss führte, erkennen. Sein Sohn hatte sich zu ihm gesellt und blickte ebenfalls hinaus in die Nacht zu ihren womöglich baldigen Gästen. „Wir bekommen Besuch!“ stellte er mit gewisser Begeisterung fest. Die zwei Menschlein hatten bald das Schlosstor erreicht und verweilten dort einen Moment. Dank ihrer perfekten Vampirsicht war es den beiden Männern ohne weiteres möglich, die Besucher auch auf diese Distanz hin erkennen zu können. Der Graf schmunzelte. „Sieh an, zwei junge Sterbliche. Und wie mir scheint kommst du dieses Mal auch auf deine Kosten.“ Er warf seinem Sohn einen wissenden Blick zu. Dieser reagierte jedoch mit Unverständnis. „Ich verstehe nicht was du meinst, Vater.“ Von Krolock lachte kurz und drehte sich seinem Sohn zu. „Nun, eine junge Dame für mich und ein junger hübscher Mann für dich.“ Mit diesen Worten wand er sich ab, um die Gäste willkommen zu heißen. Herbert sah seinem Vater nach, legte den Kopf etwas schief und schaute fragend. „Aber Vater, das sind doch beides Frauen!“ Der Graf blieb stehen und warf seinem Sohn einen skeptischen Blick über die Schulter zu. „Bist du dir da sicher?“ Herbert verzog die Lippen zu einem selbstsicheren Grinsen und stolzierte an seinem Vater vorbei. „Natürlich!“ ließ er ihn wissen, bevor er verschwand. „Ich habe dir doch gesagt, es sind beides Frauen! Ich erkenne das. Auch wenn ich zugeben muss, dass die eine ziemlich burschikos ist.“ Der Graf seufzte, lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete einen Moment seine Finger. „Durchaus. Und es sind zwei höchst interessante Persönlichkeiten. Ich habe aber den Eindruck, dass sie uns nicht ganz die Wahrheit sagen.“ Tadelnd legte Herbert den Kopf etwas schief. „Also bitte, was erwartest du? Sie sind sicherlich so von dir verzaubert, dass sie erst einmal alles schön reden.“ Abschätzig drehte der Jüngere den Kopf zur Seite. Seinem Vater gegenüber machte er keinen Hehl daraus, dass er nicht viel für Frauen übrig hatte. Von Krolock lachte kurz. „Das könnte tatsächlich der Fall sein. Sollte ihre merkwürdige Geschichte jedoch stimmen, so wäre dies von Vorteil für mein Vorhaben.“ Ein kalkulierendes Lächeln hatte sich auf sein Gesicht gelegt und er sah ins Leere, offensichtlich in Gedanken versunken. Herbert brauchte einen Moment um zu verstehen, worauf sein Vater hinaus wollte. Als es ihm dämmerte seufzte er missmutig. „Du willst sie also umgarnen bis sie dir hörig sind und sie dann zu Vampiren machen?“ Er konnte einen leicht verächtlichen Unterton in seiner Stimme nicht verbergen. Wenn die Dinge tatsächlich so laufen sollten, würde er wieder leer ausgehen und so langsam frustrierte ihn das gehörig. Das Lächeln seines Vaters veränderte sich zu einem nahezu diabolischen Grinsen. Mehr Antwort brauchte Herbert nicht. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich mit der Technik vertraut gemacht hatten und sich die Wanne endlich mit warmen Wasser füllte. Mittelalterlich war die Einrichtung nicht, schließlich hatten sie fließend Wasser, allerdings das Einstellen der richtigen Temperatur erforderte Fingerspitzengefühl. Zu viel Kalt förderte eisiges Wasser aus dem Hahn, zu viel Heiß war bestens geeignet für einen schnellen Garprozess. Nene stieg zuerst in die Wanne, mit einem wohligen Seufzen bekundend, dass das Wasser gut temperiert war. Amy hatte dafür noch keine Zeit, da sie gerade in den Forscher-Modus gegangen war und das Bad untersuchte. Erst nach einigen Minuten gab sie sich zufrieden und wollte sich gerade in der Nähe der Wanne niederlassen, als es an der Tür klopfte. Sie erhob sich, verließ das Bad und beantwortete die Tür. Es war der Diener des Grafen, der mit einem Servierwagen und wenig begeistert klingenden Lauten nun ins Zimmer schlurfte. „Oh das ist so toll! Vielen Dank für die Mühe.“ meinte Amy begeistert und mit dankbaren Blick zu Koukol. Denn kaum hatte sie ein Auge auf das Essen geworfen, meldete sich ihr Magen fordernd zu Wort. Der Mann schien es gewohnt zu sein, dass man ihm eher mit Ablehnung und Ekel entgegen trat, daher war er von Amys unproblematischer und freundlicher Art so überrascht, dass er für einige Augenblicke in seiner Bewegung verharrte und die junge Frau einfach nur anstarrte. Amy sah ihn nun fragend an und legte den Kopf schief. „Alles in Ordnung?“ Koukol erwachte aus seiner Starre und gab ein Grummeln von sich, während er das Tablett von dem Servierwagen nahm und es zu dem kleinen Tisch am Fenster brachte. Amy sah ihm, immernoch auf eine Antwort wartend, mit fragendem Blick bei seinem Tun zu und als er wieder an ihr vorbeikam, versuchte sie es erneut. „Ehm... Wo sollen wir das Geschirr dann hinbringen?“ Doch alles was sie als Antwort bekam war ein missmutiges Gurgeln und eine abwinkende Handbewegung, dann war der Mann mit seinem Servierwagen auch schon wieder verschwunden. Amy hob skeptisch eine Braue und sah die nun wieder geschlossene Zimmertür einen Moment an. „Dann halt nicht...“ meinte sie mit einem Schulterzucken und ging zu dem Tablett. Koukol hatte ihnen einen Teller mit Brot, einen mit Wurst und Käse und eine Kanne mit zwei Tassen gebracht. Es war zwar kein Festmahl, so auf die Schnelle war das auch nicht zu machen, aber das Gebotene würde satt machen. Amy nahm sich eine Scheibe Brot, packte Wurst darauf, faltete das Brot zusammen, nahm einen großen Bissen und ging damit zurück ins Bad. „Wir haben Essen!“ verkündete sie, nachdem sie hinunter gekaut hatte und hielt ihrer Freundin demonstrativ die Schnitte vor die Nase. Nene grinste und mit einem seeligen „Cool~“ biss sie in das Brot. Nachdem Amy aufgegessen hatte lugte sie in die Wanne. „Die ist doch groß genug für zwei, oder?“ Ohne die Antwort ihrer Freundin abzuwarten zog sie sich aus und stieg ebenfalls in die Wanne. Nene konnte bloß noch ein brotestierendes „Hey!“ äußern, da war die Freundin schon bis zum Hals im Wasser und stöhnte genüsslich. Sie verzog das Gesicht missmutig und verschränkte die Arme vor der Brust. Amy grinste nur. „Auf die Weise verbrauchen wir nur einmal Wasser.“ Mit einem wenig begeisterten Grummeln lies sich Nene ebenfalls bis zum Hals ins Wasser sinken. „Und worüber genau willst du jetzt noch mit mir reden? Ist doch alles klar.“ Herbert lies sich mit verschränkten Armen in den Sessel zurück fallen. Er konnte sich die nächsten Nächte schon lebhaft ausmalen. Sein Vater in seinem Element, wie er die beiden Frauen umgarnt, ihnen schmeichelt, Verheißungen macht und wahrscheinlich sogar hypnotisiert und sie ihm dafür wie treudoofe Hündchen hinterher dackeln und gar nichts mehr merken. Dass sie vor lauter falscher Zuneigung nicht realisieren, wie sie seinem Vater immer mehr in die Falle gingen. Und am Ende würden sie ihre Naivität mit dem Leben bezahlen. Frauen waren so leicht zu beeindrucken, auch ein Grund warum er nichts romantisches für sie übrig hatte. Der Graf sah seinen Sohn mit erhobener Braue an. „Ist wirklich alles klar? Gut, dann kann ich also mit deiner Unterstützung rechnen.“ Die Stimme seines Vaters riss Herbert aus seinen Gedanken und er blickte verwirrt auf. „Wie, bitte, was?! Moment. Was meinst du mit Unterstützung?“ Das Ergebnis, zu welchem ihn die Analyse der ihm eben zugedachten Worte brachte, behagte ihm überhaupt nicht. Sein Vater verlangte doch nicht allen Ernstes, dass er bei diesem Schmierentheater mitmachte, oder?! Seine Begeisterung war ihm deutlich anzusehen, worauf der Graf leicht lachte. „Falls du befürchtest, ich verlange von dir eine der beiden zu umgarnen, dann kann ich dich beruhigen. Das ist nicht der Fall. Ich will lediglich, dass du im entsprechenden Maße mitspielst, charmant und höflich bist. Eben ganz der Sohn eines Grafen.“ Wieder zierte dieses fiese Grinsen die Gesichtszüge des älteren. Die beiden Frauen hatten sich in der Wanne inzwischen arrangiert. Sie war zwar ausreichend groß, aber Amys lange Beine mussten trotzdem irgendwie verstaut werden. Schließlich hatte sie sie unter denen der Freundin hindurch geschoben und zu ihrer beider Seiten abgelegt. „Sag ehrlich, was denkst du von unseren Gastgebern?“ durchbrach die Größere die kurzweilige Stille. „Naja...“ begann Nene, hob einen Arm aus dem Wasser um den Ellenbogen gegen den Wannenrand zu stämmen und den Kopf auf die Hand zu stützen. „Sie sind... gruftig... so irgendwie. Oder hast du eine bessere Umschreibung?“ Amy musste etwas lachen. „Irgendwie schon. Alles hier, um genau zu sein. Und irgendwie ist es auch wie in einem Film, meinst du nicht?“ „Irgendwie schon. Ihre Kleidung, die Art wie sie reden, wie sie sich benehmen, das wirkt alles wie in einem Historienfilm.“ Amy schielte hinüber zu dem Erker mit der gewissen Örtlichkeit und verzog das Gesicht. „Oh ja, modern ist anders.“ Nun lachte Nene. „Durchaus.“ Ein kurzer Moment des Schweigens legte sich über die Badenden, in dem sie ihre Gedanken aussortierten und Schlussfolgerungen formulierten. Amy durchbrach schließlich die Stille, indem sie sich aufsetzte und ihre Freundin mit ihrer Erkenntnis konfrontierte. „Also geh ich recht in der Annahme, dass du mir da zustimmst, wenn ich behaupte, wir sind durch die Zeit gereist?“ „Wenn du dich so ausdrücken möchtest, ja.“ Herbert schnaufte verächtlich. „Und was ist überhaupt mit dem Mädchen aus dem Dorf?“ Der Graf bedachte seinen Sohn mit einem fragenden Blick. „Was soll mit ihr sein? Sie ist Teil meines Plans, ich muss lediglich den richtigen Zeitpunkt abwarten, da sie am empfänglichsten für meine Verheißungen ist. Sie muss schließlich alleine herkommen, ich habe keine Lust das ganze Dorf im Schloss zu haben. Und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich den Mitternachtsball veranstalten.“ Nachdenklich schweifte sein Blick hin zum Kaminfeuer. Was das Mädchen anging entwickelte sich alles nach seinen Vorstellungen. Seit Jahren beobachtete er sie, wie aus einem kleinen ungestümen, frechen Mädchen eine hübsche junge Dame wurde und wie sie ihr Vater immer mehr einsperrte, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne. Der Graf konnte nur schmunzelnd den Kopf schütteln. Ihr Vater spielte ihm regelrecht in die Hände, wie er seine Tochter so verbarg, in übertriebenem väterlichen Beschützerinstinkt. Das Mädchen hatte dadurch ein derart großes Bedürfnis nach Freiheit entwickelt, dass es dem Vampir ein Leichtes sein würde, sie zu sich zu locken. Und eben dieser Freiheitsdrang würde sie in die Welt hinaus treiben, wenn er sie ersteinmal von den Fesseln der Sterblichkeit befreit hatte. Sie würde die Vampire in die Welt hinaus bringen, genau so wie er es wollte. Er hegte keinerlei romantische Gefühle für dieses Mädchen, sie war lediglich Mittel zum Zweck. Gefühle hatte er sich vor langer langer Zeit verboten, zu oft endete sein vermeintliches Glück in einer Katastrophe und brachte ihm nur Leid und Traurigkeit. Zudem konnte er mit einem naiven und unerfahrenen Ding wie der Wirtstochter nicht viel anfangen. „Vater? Hörst du mir überhaupt zu?!“ Die energische Stimme seines Sohnes brachte von Krolock aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität. Verwundert sah er zu ihm, dessen zuvor gestellte Frage er schlichtweg überhört hatte. „Hm? Verzeih, ich war in Gedanken.“ „Ja das habe ich gemerkt!“ erklärte Herbert und sah seinen Vater vorwurfsvoll an. Der Graf erwiderte mit einem finsteren Blick. „Was wolltest du wissen?“ Der Jüngere rollte gespielt theatralisch die Augen. „Was mit unseren Gästen ist. Willst du sie etwa bis zum Ball hier behalten?! Ich denke nicht, dass das gut gehen würde.“ Die Bedenken waren durchaus berechtigt. Was, wenn der Charme seines Vaters die beiden nicht völlig für sich einnahm? Wenn sie die ungewöhnliche Lebensweise ihrer Gastgeber in Frage stellten? Oder schlimmer, wenn sie erkannten, dass er und sein Vater Vampire waren? Das Geschrei wäre groß und die beiden Frauen würden sicher versuchen zu flüchten. Oder sie waren vielleicht Vampirjäger und gezielt hergekommen. Oh Luzifer bewahre! Herbert verzog verunsichert das Gesicht. Jetzt war er es, der in die tiefen seiner Gedankenwelt versunken war und von der Stimme seines Gegenübers nun wieder in die Realität zurück geholt wurde. „Da wirst du Recht haben. Es werden allenfalls ein paar Tage werden, bevor ich sie der ewigen Nacht weihen werde.“ Der Graf lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und verschränkte seine langen dünnen Finger vor seinem Gesicht. Nun hatte er die volle Aufmerksamkeit seines Sohnes wieder. „Aber zuvor werde ich sie ein wenig ausfragen, wir haben schließlich nicht sehr oft so weitgereiste Gäste.“ Ein kalkulierendes Grinsen legte sich erneut auf seine Züge. „Vielleicht bleiben sie auch bis nach dem Ball, dann kann ich das Sternkind in ihre reiseerfahrenen Hände geben.“ Herbert hob skeptisch eine Braue. Wurde sein in Herzensangelegenheiten sonst so unterkühlter Vater jetzt etwa gefühlsduselig in Bezug auf dieses Bauernmädchen? „Damit die beiden die Kleine beschützen können?!“ wollte der Jüngere wissen. Der Graf lachte und schüttelte den Kopf. „Wo denkst du hin? Aber es wäre eine Verschwendung wenn sie in ihrer Unerfahrenheit nach wenigen Nächten verloren geht. Da kommen mir unsere beiden momentanen Gäste sehr gelegen. Zudem scheinen die beiden über ein beachtliches Maß an Intelligenz zu verfügen. Vielleicht können sie noch etwas Wissen in den Dickschädel von Chagals Tochter bringen.“ Nun musste auch Herbert lachen. Nein, sein Vater hatte nicht plötzlich eine 180°-Wende gemacht und irgendwelche nicht nachvollziehbare, romantische Gefühle für die Wirtstochter entwickelt. Somit war er beruhigt. „Tja, dann kannst du wohl nur dein Glück mit den beiden versuchen und der Dinge harren, die da kommen.“ meinte der Grafensohn und griff wieder nach seinem Buch. Für ihn war nun alles besprochen. Dass er seinem Vater nicht in den Rücken fallen und dessen Schauspiel als solches vor den beiden Frauen enttarnen würde, stand außer Frage. Der Graf verstand die Haltung seines Sohnes als die gewünschte Antwort und nickte zufrieden. Dann erhob er sich und machte sich auf den Weg in seine Bibliothek, um sich selbst Lesestoff zu versorgen. Kapitel 4: Erkundungstouren --------------------------- Lange hatten Amelia und Morgane noch in der Wanne gesessen und über ihre Situation diskutiert. Inzwischen war die Haut an ihren Fingerspitzen und Zehen schrumpelig und wenn sie das Wasser nicht bald verließen, würden ihnen womöglich noch Schwimmhäute wachsen. Aber so war das eben, wenn zwei Frauen angeregt diskutierten. Zu allerlei Vermutungen waren sie gelangt. Angefangen von der Zeit, in die es sie verschlagen hatte, bis hin zu der doch sehr klischeehaften Erscheinung des Grafen und seines Schlosses, wenn man den Aspekt des Ortes bedachte: Transsylvanien. „Pass auf, am Ende ist das hier ein Vampir-Schloss und der Graf ein Dracula-Verschnitt!“ hatte Amy scherzend angemerkt. Dass sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, war ihr natürlich nicht klar. Aber was machte das schon? Wenn dem so war, so wäre es nur ein weiteres nettes Detail an der Gesamtsituation. Beide Frauen waren sich einig darüber, dass sie es mit diesem Ort mehr als gut getroffen hatten. Die Atmosphäre des Schlosses, die vielen hübsch morbiden Dekorationen und nicht zuletzt seine Bewohner ließen die Freundinnen ins Schwärmen kommen. Hier würde es sich eine Weile aushalten lassen, selbst wenn sie sich am Arsch der Welt in einer für sie ungewohnten Zeit befanden. Zumal sie sich arrangieren mussten, hatten sie doch sowas von gar keine Ahnung, wie sie in ihre Zeit zurückkehren konnten. Was macht also der unkomplizierte Goth: Take it and enjoy! Es gab allerdings ein gewisses Problem an der Sache. Sie würden mit Sicherheit früher oder später erklären müssen, dass sie aus einer anderen Zeit kamen. Sie konnten nicht ewig irgendwelche Geschichten erfinden. Irgendwann würde es unweigerlich passieren, dass sie etwas behaupten, wovon ihre Gastgeber wissen, dass es falsch ist. Selbst wenn sie herausfinden konnten, in welcher Zeit sie waren, so war doch keine der beiden Freundinnen ein wandelndes Geschichtslexikon. Und selbst dann wären nicht alle Geschehnisse eines bestimmten Jahres bekannt. Zumal ihnen das Risiko, sich unvorbereitet zu verraten, viel zu groß war. Wer wusste denn, wie der Graf in diesem Fall reagieren würde? Es war also klar, dass sie die Karten auf den Tisch legen würden, aber sicher nicht, ohne genaue Vorbereitung. Das schloss sowohl das in Erfahrung bringen des genauen Datums, als auch das Bereitstellen von Beweisen für ihre Aussagen und zu einem kleinen Teil auch das Ausloten der Einstellung des Grafen mit ein. Das „Wie sagen wir es ihm?“ und „Wie wird er es aufnehmen?“ um genau zu sein. Somit war der Entschluss schnell gefasst, wie die nächsten Tage verlaufen würden: dem Grafen so gut es ging aus dem Weg gehen, bis sie das Datum wussten und dann vorsichtiges Herantasten an die gräfliche Auffassung. Beweise waren das kleinste Problem, sie hatten genug moderne Technik bei sich, um ihre Zeitreise zu bestätigen, ganz abgesehen von ihrer bloßen Erscheinung. Nachdem die Freundinnen sich endlich aus dem Wasser, welches inzwischen recht kalt geworden war, erhoben hatten, sich abgetrocknet und frische Kleidung angezogen hatten, machten sie es sich gemeinsam auf dem großen Bett gemütlich. Während sie das bereitgestellte Essen exterminierten, setzten sie ihre Unterhaltung fort. „Weist du, was merkwürdig ist?“ fragte Amy mit vollem Mund. Nene schüttelte kurz den Kopf und sah die Freundin dann erwartungsvoll an. „Das hier.“ setzte die Größere fort, nachdem sie hinunter geschluckt hatte und gestikulierte mit dem Brot in ihrer Hand. „Der Graf meinte doch, er sieht Gäste gern in seinem Anwesen. Ist es da nicht merkwürdig, dass er, so als Adliger, nicht mehr bieten kann, als Brot, Wurst und Käse?“ „Vielleicht ist er gerade knapp bei Kasse.“ argumentierte Nene schulterzuckend. „Hm... Verarmter Landadel oder so?“ meinte Amy nachdenklich. Die Freundin nickte, sah dabei kurz an sich hinunter und dann wieder zu der anderen. „Hör auf mit der Schnitte herum zu wedeln und behalt deine Krümel bei dir!“ Amy kicherte. „Ja ja, ich weis. Dich vollkrümeln kannst du auch ganz prima alleine.“ Damit erntete sie einen vorwurfsvollen Blick der Freundin. Doch schließlich mussten beide Frauen lachen. „Naja, vielleicht liegt es auch einfach an der Jahreszeit. Ist sicherlich schwer im Winter so besondere Lebensmittel zu bekommen.“ sinnierte Nene weiter. Amy nickte nachdenklich. „Und ist ja auch nicht so, als ob hier sonderlich viel Zivilisation wäre. Ich hab jedenfalls nichts gesehen außer Wald und Schnee.“ Nun war es Nene, die nachdenklich nickte. Nach einer kurzen Stille zuckte sie mit den Schultern. „Was soll's. Es schmeckt und macht satt.“ Nachdem sie schließlich gesättigt waren, erhob sich Amy um ihr Handy aus ihrem Rucksack zu kramen. Mit dem Objekt ihrer Begierde in der Hand begab sie sich zurück zu ihrer Freundin auf das große Bett. Eine Weile starrte sie auf das Display, versuchte es mit der ein oder anderen App und musste schließlich mit einem tiefen, resignierten Seufzen aufgeben. „Tote Hose.“ Nene rollte mit den Augen. „Was erwartest du?! Wir sind mitten in der Pampa, in Transsylvanien. Wer weis ob man hier Empfang hätte, wenn wir vielleicht doch nicht durch die Zeit gereist wären?!“ Amy streckte sich in Demutshaltung auf dem Bett aus. „Oh Goooott~ Wer weis wie viele Tage wir hier fest sitzen. Und die ganze Zeit ohne Internet! Aaaahh~“ Sie verbarg das Gesicht in der Bettdecke und begann gespielt zu schluchzen. Nene beugte sich vor, seufzte und tätchelte der Freundin den Kopf. „Tja, da merkt man erst einmal, wie abhängig man doch davon ist. Aber wir werden das schon überleben.“ Plötzlich schreckte Amy hoch und hätte ihrer Freundin beinahe einen Kinnhaken verpasst. „Ach du heilige! Was wenn die Zeit zuhause weitergelaufen ist, wenn wir wieder zurück kehren?!“ Nene war gerade noch rechtzeitig zurückgewichen und sah die Freundin nun verwirrt an. „Was meinst du?!“ „Na erstens wegen unserer Maunzillas! Dann unsere Jobs! Und unsere Familien und Freunde machen sich sicher Sorgen, wenn wir spurlos verschwunden sind!“ Recht hatte sie, das waren keine schönen Gedanken. „Ja schon, aber ändern können wir da jetzt auch nichts. Wir sitzen hier fest, ohne eine Ahnung wie wir zurück kommen. Klar mach ich mir da auch Gedanken, aber in unserer derzeitigen Situation sind wir machtlos.“ Amy nickte und beide Frauen ließen resigniert die Schultern hängen. „Bleibt uns nur abzuwarten und auf das Beste zu hoffen.“ Nach einigen Minuten des Schweigens gähnte Nene herzhaft. „Was meinst du? Gehen wir schlafen? Ich bin totmüde.“ „Klingt gut. Schauen wir, was der morgige Tag bringt.“ Damit wünschten sich die beiden eine gute Nacht und Amy verließ das Bett, schlurfte in ihr Zimmer und kroch in das dortige Bett. Bedingt durch den Stress der vergangenen Tage und den meist recht kurz gekommenen Schlaf waren beide Frauen sehr schnell sehr tief ins Land der Träume eingetaucht und blieben dort bis weit nach Mittag. Das Frühstück, welches Koukol gebracht hatte, blieb lange Zeit unangerührt, weshalb der bucklige Diener es später wieder wegräumte. Er kannte durchaus gehobene Umgangsformen, weshalb er das Zimmer der Damen nie ohne Aufforderung betreten hätte. Und da er auf sein Klopfen keine Antwort bekam, hatte er das Essen einfach vor der Tür stehen lassen. Nun jedoch regte sich allmählich wieder Leben in dem Zimmer. Amy war auch dieses Mal diejenige der beiden, die zuerst auf den Beinen war. Nachdem sie sich angezogen hatte, betrat sie leise Nene's Zimmer und sah nach, ob die Freundin auch schon wach war. Dies war zwar der Fall, jedoch hatte die Ältere keinerlei Interesse daran, ihr Bett bereits zu verlassen und Amy würde sie auch nicht dazu nötigen. Also beeilte sie sich mit der Morgentoilette und verließ dann das Zimmer, sodass Nene ungestört weiterdösen konnte. Draußen war es sonnig und klar, eigentlich ein schöner Tag, wenn da nicht die Winterkälte wäre. Dennoch war es in dem Gang recht dunkel und er musste mit Leuchtern erhellt werden, da er über keinerlei Fenster verfügte, stattdessen zweigten nur einige Türen von ihm ab. Nur am Ende des Ganges, dort wo er in den großen Quergang mündete, war er von Tageslicht erhellt. Da Amy's Magen Zuwendung einforderte, machte sich die junge Frau auf den Weg, die Küche zu suchen. Wie schon am Abend zuvor fand Amy recht schnell den Weg in die Eingangshalle. Nun jedoch war sie etwas ratlos, wo sich die Küche befinden konnte. Sie hätten vielleicht nach einem Lageplan oder ähnlichem fragen sollen. Sie wusste, wie sie zum Kaminzimmer gelangte, mehr jedoch nicht. Sie konnte nun einzig und allein auf ihr Glück vertrauen und auf das, was sie über Burgen und Schlösser wusste. Die Küche war meist im Erdgeschoss, etwas abseits von den Wohnräumen, aber dennoch zentral. Zunächst versuchte sie es in der Richtung, aus der am Abend zuvor der bucklige Diener des Grafen gekommen war. Leider befand sie sich aber schon kurz darauf wieder in einem Gang, von dem einige Türen abzweigten und der ganz am Ende in einen weiteren Quergang mündete. Mit einem tiefen Seufzen begann sie, jede einzelne Tür zu überprüfen. Zunächst war sie erfolglos, fand lediglich halbleere Räume vor, die nicht sonderlich genutzt aussahen, hier und da ein paar Sitzmöbel und so etwas wie einen Lagerraum voller Gerümpel. Amy war schon fast der Verzweiflung nahe, als sie hinter der letzten Tür in dem Quergang nur einen zwar großen und schönen Speisesaal, aber keine Küche vorfand. Jedoch zweigte eine weitere Tür von diesem Saal ab. Sie schickte ein kurzes Stoßgebet an alle höheren Mächte und heidnischen Götter, durchquerte den Saal zu eben jener allerletzten Tür, öffnete diese langsam und spähte in den Raum dahinter. Beinahe hätte sie einen Jubelschrei ausgestoßen, hielt sich aber gerade noch zurück, denn sie hatte sie endlich gefunden: die Küche. Euphorisch betrat sie den Raum, in dem es jedoch keinerlei Spur von Küchenpersonal gab, nur hier und da ein paar benutzte Kochutensilien und Lebensmittel, der Gesamteindruck war aber eher trüb. 'Fühlen sie sich ganz wie zuhause.' hatte der Graf gesagt. Nun, unter den gegebenen Umständen würde die junge Frau das Angebot wörtlich nehmen und sich selbst versorgen. Es war ja nicht so, als wäre sie dazu nicht in der Lage. Also begann sie, sich etwas zu essen zusammen zu suchen. Brot war schnell gefunden und in einem Regal stand ein kleiner Korb voll Eier. Mit etwas Glück waren die sogar genießbar. „Hm~ das sieht schwer nach Rührei mit Brot zum Frühstück aus.“ murmelte Amy vor sich hin. In den nächsten Minuten machte sie ihre Ankündigung wahr und bereitete das Essen zu, ausreichend viel, sodass Nene auch noch etwas davon hatte. Schließlich machte sie sich, mit einem Tablett, zwei Tellern voll Rührei, Brot und zwei Gabeln bewaffnet, auf den Rückweg zu ihrem Zimmer. Jetzt beim zweiten Mal war der Weg gar nicht so kompliziert und die junge Frau fragte sich, warum sie vorhin so verzweifelt war. Ein kleiner Teil ihres Bewusstseins wunderte sich zudem darüber, dass sie in der ganzen Zeit, in der sie hier herum lief, keiner Menschenseele begegnet war, weder dem Grafen selbst, noch irgendwelcher Dienerschaft. Ganz leise murmelte eine Stimme in ihr „Vampirschloss“, worauf sie aber nur mit einer Grimasse und einem Schulterzucken reagierte. Zurück im Zimmer flötete Amy verknügt „Aufsteh'n Schatz, Essen ist fertig!“ und stellte das Tablett auf dem kleinen Tisch ab. Sie bekam jedoch nur ein missmutiges Grummeln als Antwort, Nene hatte offensichtlich noch immer kein Interesse daran, sich zu erheben. Naja, wer nicht will, der hat schon, und so nahm Amy platz und begann, ihre Portion zu vernichten. Erst als sie fast fertig war, kam Nene doch dazu. Somit konnte also schon einmal ein wichtiger Punkt auf der To-Do-Liste abgehakt werden: Küche gefunden und Versorgung mit Nahrungsmitteln gesichert. Der Weg in die Eingangshalle und die Kemenate waren ebenfalls klar. Und dass im Erdgeschoss einige leer stehende Räume und die ein oder andere Rumpelkammer, sowie ein wirklich schöner Speisesaal waren, wusste Amy dank ihrer Küchensuche nun auch. Blieben also nur noch ein oder zwei Stockwerke mit einer absolut unklaren Anzahl von Zimmern auszukundschaften. Und das möglichst ohne Aufsehen zu erregen oder irgendwelche verbotenen Bereiche zu betreten. Na herrlich! Nach dem Frühstück hatten die beiden Freundinnen aber zunächst das Bedürfnis, einen Teil ihres Gepäcks aus den Taschen zu befreien. Angefangen bei der noch sauberen Kleidung, über sämtliche Badutensilien, bis hin zu der bereits getragenen Kleidung der vergangenen Woche, welche gewaschen werden musste und vorübergehend Häufchen in den beiden Zimmern der Frauen bildeten. Sollten sie für länger hier festsitzen, würden diese Sachen gewaschen werden müssen, sonst hatten sie nichts mehr zum Anziehen. Schon während ihrer Auspackerei überlegten sie die genaue Vorgehensweise weiterer Erkundungstouren. Auch wenn sie schneller sein würden, wenn sie getrennt suchten, war ihnen das Risiko zu groß sich zu verlaufen oder in Schwierigkeiten zu geraten. Und so machten sie sich gemeinsam, mit dem Geschirr vom „Frühstück“ und vom Abend zuvor bewaffnet, zunächst auf den Weg zur Küche, damit auch Nene wusste, wie sie dahin gelangte. Ein Blick aus einem der Fenster in der Küche verriet den beiden Frauen, dass sie sich im Nebengelass befanden und das Haupthaus schräg gegenüber lag. Nun konnten sie die Burg auch bei Tageslicht bestaunen und der Eindruck vom Abend zuvor bestätigte sich: ein erhabenes imposantes Bauwerk im gotischen Stil. Erneut keimte der Wunsch in den Freundinnen auf, dauerhaft in so etwas zu wohnen, auch wenn die technische Ausstattung eher rustikal anmutete. Wobei sie wieder bei ihrer Vermutung angelangten, nicht in ihrer Zeit zu sein. Zufällig beobachtete sie, wie der bucklige Diener des Grafen in einem weiteren Nebengebäude zugange war, Stroh und Heu hinein brachte und Eimer schleppte. „Ich glaube, da ist der Stall, inklusive entsprechender Bewohner.“ meinte Amy, auf das Gebäude deutend und ein gewisses Leuchten war in ihren Augen. Die junge Frau liebte Pferde sehr. Das ging sogar so weit, dass sie es nicht über sich brachte, Pferdefleisch zu essen, auch wenn die Tiere, im Gegensatz zu anderen Nutztieren, nicht für den Nahrungsgewinn gezüchtet wurden. Auch Nene war ein großer Pferdefreund, weshalb sie den freudigen Blick ihrer Freundin erwiderte. „Wir können ja mal gucken gehen.“ Amy warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Dazu müssten wir erst unsre Jacken holen gehen, oder willst du da draußen fest frieren?!“ fragte die Größere mit hochgezogener Braue und einem kurzen Nicken in Richtung des Fensters. „Ja und?!“ erwiderte Nene verständnislos, worauf die Andere schnaufte. „Ich dachte, wir wollen das Schloss erkunden?!“ Amy verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Denn eigentlich hatte sie so gar keine Lust, zuerst zurück auf ihr Zimmer zu gehen, ihre Jacke zu holen und sich dann in die Kälte hinaus zu wagen. „Muss ja nicht gleich heute sein, den Stall zu erkunden.“ Nene gab sich ohne Gegenwehr geschlagen, denn sie hatte genauso wenig Lust, hinaus zu gehen. Priorität hatte das Finden von Hinweisen bezüglich der Zeit, in der sich Amy und Nene befanden. Je schneller diese Suche von Erfolg gekrönt war, desto weniger mussten sie sich eine Geschichte aus den Fingern saugen, um sie dem Grafen aufzutischen. Systematisches Vorgehen war dabei am effektivsten. Also knöpften sich die Freundinnen für den Rest des Tages das Erdgeschoss vor. Nachdem sie zurück ins Hauptgebäude gefunden hatten, wollten sie sehen, was sich hinter den anderen Türen befand, die von der Eingangshalle abzweigten. Voller Enthusiasmus traten sie an die erste, recht große Flügeltür und betätigten die Klinke, leise hoffend, dass nicht abgeschlossen war. Sie hatten Glück und das schwarz gestrichene Holz schwang etwas quietschend auf. Dahinter befand sich... nur ein Raum mittlerer Größe. Er war zwar mit einigen Malereien und Figuren verziert, natürlich wieder in dem bekannten hübsch morbiden Stil, und an den Wänden standen mehrere Stühle und kleine Sofas, aber nichts wirklich umwerfendes. Allerdings war auf der gegenüber liegenden Seite eine weitere, beinahe noch größere Flügeltür. Die Freundinnen durchquerten den Raum, um auch hinter dieser Tür nachzusehen. Was sie sahen verschlug ihnen glatt die Sprache. Ein Ballsaal, ein riesiger, düster geschmückter Ballsaal. Dass die eine lange Wand eine Fensterfront und die andere eine Spiegelwand war, machte den Saal dennoch nicht wirklich heller. Ranken, die an knochige Wurzeln erinnerten, und dämonische Figuren rahmten die Spiegel, von denen der ein oder andere zerbrochen war, die Fensterscheiben hatten eine rauchig graue Farbe und zwischen ihnen hingen dicke, schwere Vorhänge aus nachtschwarzem Samt von der Decke bis zum Boden. Einige verschnörkelte Kerzenständer, auf denen offensichtlich schon einige Kerzen ihr Wachs verteilt hatten, standen im Raum verstreut und eine Wendeltreppe führte aus dem Raum über dem Saal herunter. Auf der der Tür gegenüber liegenden Seite war ein kleines Podest, auf dem ein Cembalo stand. Die Freundinnen standen eine ganze Weile einfach nur da in stummem Staunen, bevor sie andächtig und langsamen Schrittes den Saal betraten. Doch die Starre hielt nicht lange an. Nachdem sich Amy ausgiebig umgeschaut hatte und sich ein übermäßig breites Grinsen in ihrem Gesicht festgesetzt hatte, machte sie eine übertriebene Verbeugung vor Nene. Dann zog sie die Freundin in die Ausgangshaltung für einen Walzer und tanzte im nächsten Augenblick mit ihr durch den Saal. Jeder unbeteiligte Zuschauer hätte sie wahrscheinlich für verrückt erklärt, aber das war den beiden Frauen herzlichst egal. Lachend kamen die beiden wieder zum stehen und Amy verbeugte sich erneut in höchst theatralischer Weise, worauf Nene diesmal in ähnlich übertriebener Weise mit einem Hofknicks inklusive Anheben des nicht vorhandenen Rockes antwortete. „Whuuhuuu~ der Saal is toll~“ trällerte die Größere und wuselte durch den Raum Richtung Podest. Die Andere beobachtete ihre Freundin amüsiert und ging ihr langsam hinterher. Kaum hatte Amy das Podest erreicht, hatte sie sich auch schon auf dem Hocker vor dem Cembalo nieder gelassen, öffnete ehrfürchtig den Deckel und betrachtete die Tasten. Das Instrument hatte deutliche Gebrauchsspuren, war aber in einwandfreiem Zustand. So konnte die junge Frau nicht an sich halten und schlug versuchsweise einen Ton an. Der leichte, für Cembalo tüpische Ton hallte durch den großen Raum und Amy gab einen wohligen Seufzer von sich. Wie so oft, wenn sie vor einem Tasteninstrument saß, begann sie eine kleine Melodie zu spielen und bereute es wieder einmal, nie Klavierstunden gehabt zu haben, sondern es sich nur laienhaft nach Gehör selbst beigebracht zu haben. Als sie geendet hatte sah sie mit einem seeligen Lächeln und einem weiteren Seufzer auf. „Gott~ das klingt so toll~“ meinte sie schwärmend. Nene, die vor dem Podest stehen geblieben war und der Freundin gelauscht hatte, nickte nur gedankenverloren. Amy erhob sich und ging zu ihrer Freundin zurück. „Wenn da mal wer ein Menuett von Bach drauf spielt, ich würd zu gern zuhören. Oder tanzen, sofern mir vorher jemand Menuett beibringt.“ fuhr die Größere fort und bekam erneut nur ein Nicken als Antwort. Erst nach ein paar Augenblicken schien Nene aus ihrer Trance zu erwachen und sah die Freundin mit großen Augen an. „Wir müssen hier unbedingt Bilder machen! Und am besten spannen wir den Grafen und seinen Sohn mit ein!“ Amy sah ihre Freundin einen Moment ungläubig an, bevor sie anfing zu lachen. „Machen wir, Schatz! Wollen wir jetzt mal nachsehen, wohin die Treppe führt oder bleiben wir auf der Etage?“ Die beiden Frauen entschieden sich, einen kurzen Blick in den Raum über dem Ballsaal zu werfen und ihre Erkundungstour dann aber im Erdgeschoss fortzusetzen. Langsam stiegen sie die äußerst fragil wirkende Wendeltreppe hinauf und sahen sich oben kurz um. Ein weiterer großer Saal befand sich über dem Ballsaal, jedoch war der Raum bei weitem nicht so hoch. Unzählige Bilder schmückten die Wände, offensichtlich eine Art Gallerie. Sie würden sich das später genauer ansehen, daher stiegen sie die Treppe wieder hinunter, verließen den Ballsaal und nahmen sich den nächsten Raum vor, der ebenfalls mit einer großen Flügeltür von der Eingangshalle abzweigte. Wieder befand sich ein kleinerer, unscheinbarer Raum hinter diesem Durchgang, der bis auf ein paar Schränke völlig leer war, Wieder befand sich auf der gegenüber liegenden Seite eine weitere große Flügeltür und wieder blieben die Frauen staunend in der zweiten Tür stehen. Ihr Weg hatte sie nun in die schlosseigene Bibliothek geführt, die schlicht und ergreifend vor Büchern schon fast überquoll. Sie war nur unwesentlich kleiner als der Ballsaal, reichte über zwei Etagen, mit einem breiten, umlaufenden Balkon und einigen brückenartigen Quergängen auf der Zwischenebene. Raumhohe Regale, was immerhin gut 3m waren, zierten, soweit einsichtig, alle Wände ringsum auf beiden Ebenen und liefen quer zu den beiden langen Seiten in der unteren Ebene. In den freistehenden Regalen gab es Durchgänge, über denen die Regalböden weiter gingen. Selbst die wenigen, wie schon im Ballsaal rauchgrauen Fenster waren von Regalböden umrahmt. Und alle Regale, wirklich alle, waren voller Bücher. Allerdings hatten sich Spinnen schon seit offensichtlich geraumer Zeit ungestört heimisch einrichten können, denn die meisten der Regale aus schwarzem Holz waren zu geschätzten 70% mit Staub und Spinnweben bedeckt, was der Bibliothek zusammen mit dem wenigen Licht einen Gruselcharme wie in einem Haunted House verlieh. „Hogwarts lässt grüßen.“ kommentierte Nene trocken. Andächtig begannen die Freundinnen durch die Reihen zu wandeln, versuchten hier und da einen Buchtitel zu entziffern und fragten sich die ganze Zeit, wie ein Graf im transsylvanischen Nirgendwo eine derart große und umfangreiche Büchersammlung besitzen konnte. Sie fanden alles mögliche in den Regalen: Bücher zu naturwissenschaftlichen Themen, zu Geschichte und Archäologie, Reiseberichte, Enzyklopedien und Lexika, Romane, Gedichtbände, die Werke der großen griechischen Philosophen. Und alles schien säuberlich sortiert, nach Kontext gruppiert und im selben Regalabschnitt eingeordnet. Das einzige, was sie nicht fanden, war modernere Literatur aus dem 20ten Jahrhundert, was sie als weiteres Indiz in ihre Zeitreise-Theorie-Liste aufnahmen. Im hinteren Teil wurde die Bibliothek etwas offener und endete in einem regalfreien Erker, was sie von der Tür nicht hatten sehen können. Dort standen einige Tische und Sitzmöglichkeiten, unter anderem ein recht großer, gemütlich wirkender Lesesessel. Von der fensterfreien Langseite des Raumes gingen 2 Türen ab und auch die Treppe zum Balkon hinauf lag auf dieser Seite. Schon fast etwas widerwillig lösten sich die beiden Frauen von den unzähligen Büchern, um die Räume hinter den beiden neuen Türen zu erkunden. Hatten sie doch, trotz ihrer eher flüchtigen Blicke und unter all dem Staub, das ein oder andere interessant klingende Werk entdeckt, welches sie nur zu gern einmal lesen wollten. Doch dazu würden sie den Graf erst um Erlaubnis fragen, so wie es sich gehört. Langsam öffnete Amy die erste Tür und sie und Nene spähten in das Zimmer dahinter. Sie fanden einen kleinen Raum, in dem sich weitere Bücherregale, ein großer Tisch und einige Sessel befanden. Durch die zwei großen Fenster drang erstaunlich viel Licht, im Vergleich zur Bibliothek und trotz der Tatsache, dass es bereits dämmerte, was den Freundinnen jetzt erst auffiel. Dieser Raum war wohl so etwas wie ein Studierzimmer. Die beiden Frauen verließen das Zimmer wieder und begaben sich zur zweiten Tür. Hinter dieser fanden sie zu ihrem Erstaunen das Kaminzimmer, in dem sie sich am Abend zuvor aufgewärmt und mit ihren Gastgebern ein Glas Wein genossen hatten. Vor dem Kamin entdeckten sie den Diener des Grafen, der gerade das Kaminfeuer entfachte. Nach kurzem Überlegen traten sie in den Raum, schlossen die Tür zur Bibliothek hinter sich und begrüßten den Mann freundlich. Dieser schien zunächst etwas verunsichert und ein wenig grummelig, erwiderte die Begrüßung dann aber, wenn auch beinahe unverständlich. Amy trat neben ihn und hockte sich einen Moment auf den Teppich und sah den Buckligen fragend an. „Weil keiner da war, habe ich mich vorhin einfach selbst bedient in der Küche. Ich hoffe das geht in Ordnung?“ Der Angesprochene war vor der ungenierten Nähe etwas zurück gewichen und sah die junge Frau nun verwirrt an. „Wir können das auch beibehalten. Ist ja nicht so als ob wir noch nie in einer Küche zugange waren. Allerdings müsste uns dann jemand mal zeigen, wo alles ist.“ Amy's erwartungsvoller Blick irritierte Koukol noch mehr und er wusste nicht, wie er die Worte seines Gegenübers verstehen sollte. Nach einigen Augenblicken gab er etwas völlig unverständliches von sich, was allerdings einen leicht mürrischen Ton hatte und schlurfte Richtung Bibliothek davon. Die beiden Freundinnen sahen ihm verwundert nach. „Tja da wirst du wohl den Hausherrn nochmal drauf ansprechen müssen.“ meinte Nene mit hochgezogenen Brauen, woraufhin Amy nur nachdenklich nickte. Die Dimensionen des Schlosses waren beeindruckend weitläufig. So war es nicht verwunderlich, dass den beiden Frauen nach lediglich einem halben Tag herumlaufen und Erkunden von nur einer Etage, und diese noch nicht einmal vollständig, die Füße weh taten. Daher waren sie ganz froh, dass ihr Weg sie zufällig in das Kaminzimmer geführt hatte, denn hier war es warm und es gab bequemes Sitzmöbel. Dass solch alte Schlossburgen schwierig warm zu halten sind, war den Freundinnen wohl bekannt und während ihres Streifzuges hatten sie das auch deutlich am eigenen Leib gespürt. Insgeheim waren sie froh, dass vor ihrem unfreiwilligen Aufbruch hier her, dort wo sie herkamen, auch gerade Winter war und sie entsprechend dickere Kleidung mit hatten. Nicht dass sie zitternd und Zähne klappernd umher gerannt wären, so kalt war es dann auch wieder nicht, aber in den Gängen und den großen Sälen hatte es allerhöchstens 12°C. Da tat so ein heimelich warmer und gemütlicher Raum richtig gut. Amy hockte ja bereits am Boden, direkt vor dem Kamin, in dem das frisch entfachte Feuer langsam an Stärke gewann. Und da sie kein Problem damit hatte, auf dem Fussboden zu sitzen und auch so gar keine Lust, sich wieder zu erheben, ließ sie sich einfach auf dem großen und weichen Tierfell nieder und machte die Beine lang. Nene gesellte sich zu ihr und machte es sich ebenfalls vor dem Kamin auf dem Boden bequem. Beinahe wie in Trance beobachteten die Freundinnen gemeinsam, wie die leuchtenden Flammen über das Holz leckten und schwarze Spuren hinterließen, während einzelne, hervorstehende Stellen in der Hitze verglühten. Eine ganze Weile saßen die Beiden so, in andächtiges Schweigen gehüllt. Amy schmunzelte. „Weist du, meine Mama sagt immer, ich soll nicht so lange ins Feuer schauen, sonst pinkel ich mir ein.“ meinte sie mit staubtrockener Ironie. Nene schaute ihre Freundin an und legte den Kopf schief. „Und? Wirst du schon feucht?“ fragte sie ebenso ironisch. „Wenn, dann nicht weil ich mir eingepinkelt habe. Der feuchte Tropfen hat 'nen anderen Grund.“ setzte Amy mit einem eindeutigen Grinsen auf den Lippen nach. Die Blicke der beiden Frauen trafen sich und es herrschte einen Moment Stille, bevor sie beide prusteten und in schallendes Gelächter ausbrachen. Just in dem Moment öffnete sich die Tür und seine Exzellenz, Graf von Krolock, betrat das Kaminzimmer. Seine Gäste bemerkten ihn nicht sofort, da sie, halb aufeinander liegend, von Lachkrämpfen geschüttelt waren und Tränen in den Augen hatten. „Wenn uns einer hört...“ meinte Nene in einem lachfreien Augenblick, sorgte damit aber für neues Gelächter. Eine Weile beobachtete der Graf die beiden Frauen verwundert. Dann jedoch machte er sich bemerktbar, indem er seinen Gästen einen guten Abend wünschte. Die Freundinnen verstummten einen Moment und sahen zu ihrem Gastgeber, hatten aber immernoch deutlich mit dem Lachen zu kämpfen. „Guten Abend.“ erwiederten sie unison und erhoben sich. Der Graf trat an den Kamin, deutete den Beiden, wieder Platz zu nehmen und setzte sich selbst in einen der Sessel. Solange er noch stand, wurde er von seinen Gästen aufs ausgiebigste gemustert. Wieder trug er ein schickes Ensemble in schwarz aus, für Amy und Nene, längst vergangenen Modeepochen oder wahlweise auch passend für Gothic Aristocrat/Romantic Gothic/Vampir. Und wieder vervollständigte dieser tolle Samtumhang das Bild. Wie schon am Abend zuvor fielen ihm seine langen schwarzen Haare, deren Spitzen sich in leichten Locken wanden und die von einzelnen feinen Silbersträhnen durchzogen waren, offen über die Schultern. In Gedanken hatte Amy ihn bereits mit dem Stempel „Traummann“ versehen und seufzte nun verträumt, während sie sich zusammen mit Nene auf dem Sofa nieder ließ. Dem Herrn waren die musternden Blicke seiner Gäste natürlich nicht entgangen und auch das Seufzen vernahm er und machte sich so seine Gedanken darüber. Offensichtlich war zumindest die Größere der beiden Frauen sehr empfänglich für ihn, sie verhielt sich jetzt schon benahe so, als wäre sie unter seinem Bann, dabei hatte er noch nichts in dieser Richtung unternommen. Er würde vermutlich ein leichtes Spiel mit ihr haben. „Hatte es eine bestimmte Bewandnis, weshalb sie auf dem Boden saßen?“ fragte von Krolock mit leichter Verwunderung über das Bild, welches sich ihm geboten hatte, als er den Raum betrat. Die beiden Frauen zuckten mit den Schultern. „Och, es war grad so bequem und außerdem nah am Feuer.“ erklärte Amy lächelnd. Der Graf bedachte sie mit einem skeptischen Blick, fragte aber nicht weiter nach. Stattdessen wollte er wissen, wie seine Gäste geschlafen hatten, da sie am Abend zuvor nicht noch einmal herunter gekommen waren. Mit leichter Verlegenheit erklärte Nene, dass sie nach dem Bad und dem Essen und aufgrund der Reisestrapazen so müde gewesen seien, dass sie direkt in die Betten fielen und bis weit nach Mittag geschlafen hatten. „Ich habe uns dann etwas zu essen gemacht und...“ begann Amy, wurde aber von einem erstaunten Grafen unterbrochen. „Sie haben etwas zu essen gemacht?! Hat Koukol ihnen nichts bereitet?!“ „Er war gerade nicht auffindbar, daher hab ich uns ein paar Eier in die Pfanne gehauen. Und das ist auch kein Problem, wenn wir uns selbst versorgen, das müssen wir zuhause schließlich auch. Allerdings wäre dann eine kleine Einweisung in die Küche ganz nett, mehr als Brot und Eier hatte ich auf die Schnelle nicht gefunden.“ erklärte sie. Der Graf sah sie interessiert an. 'Gut, sie scheinen sehr selbstständig, das dürfte von Vorteil sein. Allerdings sollten wir aufpassen.' dachte er sich und ein Lächeln zuckte an einem seiner Mundwinkel. „Das dürfte sicherlich möglich sein. Dennoch behagt mir der Gedanke nicht sonderlich, schließlich sind sie meine Gäste.“ Nene winkte beschwichtigend ab. „Ach, bitte keine Umstände. Zumal wir doch oft recht ungewöhliche Essenszeiten haben. Eben dann wenn wir Hunger haben.“ Wieder wanderte eine Braue des Grafen in Richtung seines Haaransatzes. Er sollte wirklich aufpassen, sonst könnte das doch noch zu einem Dauerzustand werden. 'Essen, wenn wir Hunger haben', Nene's Worte hatten einen erschreckend vertrauten Klang für den Vampir. „Und wie haben sie die anschließenden Stunden zugebracht? Ich hoffe es war nicht all zu langweilig für sie, da wir leider außer Haus waren.“ fragte er, seine Abwesenheit durch die Tagruhe vertuschend. „Oh keineswegs!“ platzte es aus Amy heraus und ein begeisterter Glanz trat in ihre Augen. „Wir waren so frei und haben uns etwas umgesehen. Der Ballsaal ist ja ein Traum! Umwerfend! Und erst die Bibliothek! Hach, da würde ich mich glatt für ein paar Tage einquartieren wollen. An dieser Masse an Büchern müssen sie doch schon seit Generationen sammeln!“ schwärmte die junge Frau und schien völlig aus dem Häuschen. „Ja das könnte man so sagen.“ Äußerlich schmunzelte der Graf, innerlich befiel ihn jedoch eine gewissen Unruhe. Seine Gäste erkundeten unbeaufsichtigt sein Schloss, das könnte noch zu unangenehmen Überraschungen führen. Andererseits hatte er ihnen gesagt, sie sollen sich hier ganz wie zuhause fühlen. Ein unschöner Zwiespalt, dem er nur mit erhöhter Vorsicht entgegentreten konnte. „Ist es ihnen recht, wenn wir uns bei Gelegenheit ein Buch aus ihrer Bibliothek nehmen? Wir haben einige interessante Werke entdeckt, die wir uns gern einmal zu Gemüte führen würden.“ setzte Nene die Unterhaltung fort. Der Graf sah sie einen Moment an und lächelte dann. „Nur unter der Bedingung, dass sie die Bücher pfleglich behandeln und wieder dahin stellen, wo sie sie her hatten.“ Seine Bücher waren ihm heilig, genauso wie die Ordnung, in der sie standen. Eine Notwendigkeit bei einer solchen Vielfalt und Anzahl, wollte man einen gewissen Überblick darüber behalten, was man alles besaß. Die meisten waren Erstausgaben und einige sehr alt und damit wertvoll. Das kleine Sammelsorium seiner Vorfahren hatte er, getrieben durch seinen schier unbändigen Wissensdurst, in seinem 300jährigen Dasein auf dieser Erde beständig erweitert. Dies führte unweigerlich dazu, dass er auch mehr Stellmöglichkeiten bieten musste. Zuerst wurde die zweite Bibliotheksebene notwendig, dann folgten die frei im Raum stehenden Regale, schließlich ließ er auch Fenster zustellen und die, die er frei ließ, mit Regalflächen umrahmen. In ein paar jahrzehnten würde er auch den kleinen Vorraum mit Regalen versehen müssen. Aber es war ihm gleich, die Bücher halfen ihm, die Zeit nicht aus den Augen zu verlieren, stillten seinen Wissensdurst und seinen Geist wach zu halten. „Lesen ist eine gute Möglichkeit, die Zeit zu nutzen, wenn man nicht wirklich etwas anderes tun kann. Sie werden noch einige Tage meine Gäste sein, da werde ich ihnen diesen Zeitvertreib sicher nicht verbieten.“ sinnierte der Graf nachdenklich. „Oh, wieso das?“ wollte Amy verwundert wissen. „Der Winter hat viele Straßen unpassierbar gemacht und es gibt hier nicht wirklich eine Möglichkeit, sie in die nächste größere Stadt zu bringen. Selbst für die Menschen im Dorf unten ist diese Jahreszeit entbehrungsreich. So leid es mir tut. Ich hoffe, ein ausgedehnterer Aufenthalt hier ist für sie nicht all zu problematisch.“ Die angeführten Bedingungen entsprachen zwar durchaus der Wirklichkeit, aber das war nicht der wahre Grund, weshalb sie bleiben würden. Das äußere Bild wahrend, erlaubte er sich nur innerlich ein kalkulierendes Grinsen. Es war beschlossene Sache, dass diese beiden jungen Frauen sein Schloss allenfalls als Vampire wieder verlassen würden. „Hm verstehe.“ sagte Amy leise und sah zu ihrer Freundin. Diese zuckte nur mit den Schultern. „Ist nicht zu ändern. Halb so tragisch, uns drängt nichts.“ Als die Größere schon zum Protest ansetzte, in Gedanken um ihre Katzen bangend, wurde sie mit einem vorwurfsvollen Blick von Nene gestraft und gab sich geschlagen. Die Ältere hatte recht, sie konnten sowieso nichts an ihrer Situation ändern. Ein leises Grummeln durchbrach schließlich die Stille, die vorübergehend über die drei Okupanten des Kaminzimmers hereingebrochen war. Nene verdrehte theatralisch die Augen. „Toll. Mein Magen verlangt Aufmerksamkeit.“ Ein weiteres Grummeln ertönte, allerdings von einer anderen Person. „Trifft sich gut, meiner auch.“ kicherte Amy und wand sich dann höflich an den Hausherrn. „Wenn sie gestatten, würden wir gern etwas essen. Schlösser erkunden macht eben doch hungrig. Werden sie uns Gesellschaft leisten?“ Dieser senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf. „Verzeihen sie mir, aber ich muss sie enttäuschen.“ Betrübt senkten die beiden Frauen den Blick und fuhren einen Augenblick später erschrocken zusammen. Der Graf hatte, wie schon am Abend zuvor, mit erhobener Stimme den Namen seines Dieners gerufen, der nur Momente später das Kaminzimmer betrat. Er gab dem Buckligen Anweisungen, worauf dieser mürrisch schnaubte, erhob sich dann aus seinem Sessel und lächelte seinen Gästen aufmunternd zu. „Koukol wird ihnen ein Abendessen bereiten. Heute Abend bestehe ich darauf. Er wird ihnen aber in der Küche alles zeigen, entsprechend ihres Vorschlages. Ich wünsche guten Appetit. Wir sehen uns sicher später noch einmal.“ Ganz und gar Gentleman verabschiedete er sich von den beiden Frauen, die daraufhin das Zimmer mit Koukol verließen und sich in die Küche begaben. Langsam ließ er sich wieder in den Sessel sinken. Sicher würde Herbert in Kürze hier vorbeischauen, dann würde er den Jungen zur Vorsicht ermahnen. Bei der offenkundigen Selbstständigkeit seiner Gäste konnte eine kleine Unachtsamkeit sehr schnell das fragile Bild der „Normalität“, das er gerade angefangen hatte zu errichten, tosend zum Einsturz bringen. So wartete der Graf mehr oder weniger geduldig, dass sein werter Herr Sohn seinen allabendlichen Herrichtmarathon beendete und ihn mit seiner Anwesenheit beehrte. Unterdessen bemühte sich jemand zusehens, halbwegs deutlich zu sprechen und zwei Fremden seine Küche zu erklären. Der zunächst gehegte Unmut gegenüber der Bitte seines Herrn war schnell verflogen, als die beiden Frauen ihm erneut freundlich und ohne Ablehnung begegneten und sich zudem bereitwillig anboten, zu helfen. So standen die drei nun in der Küche und bereiteten ein Essen zu, was dieses Mal eines gräflichen Anwesens durchaus gerecht wurde. Die beiden Frauen kamen zu dem Schluss, dass das einfache Mahl am Abend zuvor tatsächlich durch den Zeitmangel bedingt war. Und sie stellten mit Erstaunen fest, dass der bucklige Diener ein ziemlich guter Koch war. Nach dem Essen, welches sie nach einigem Bitten zusammen mit Koukol genaßen, halfen sie ihm beim Aufräumen der Küche, ließen sich noch einiges zeigen, trafen eine Abmachung bezüglich der nächsten Mahlzeiten und verabschiedeten sich schließlich. Es erschien ihnen zwar etwas ungewöhnlich, dass es hier offensichtlich keine festen Essenszeiten gab, weshalb es auch relativ unproblematisch zu sein schien, dass die Freundinnen sich selbst versorgen wollten, andererseits hatte der Graf ja gemeint ein Nachtvogel zu sein. Dies ließ vermuten, dass er hauptsächlich in den Abendstunden aktiv war, was sicherlich auch zu ungewöhnlichen und teils auch unterschiedlichen Essenszeiten führte. Wie dem auch sei, man konnte sich anscheinend problemlos arrangieren, sehr zur Freude der beiden Frauen. Auf dem Weg zurück in das Haupthaus sinnierten die beiden darüber, was sie nun tun sollten. Letzten Endes landeten sie wieder in der Bibliothek, die sie noch einmal aufs gründlichste untersuchten, schließlich waren sie noch immer auf der Suche nach Hinweisen. Zwischendurch sahen sie ihren Gastgeber für längere Zeit in einem Raum verschwinden, der von dem Balkon abzweigte. Dort würden sie auch noch nachsehen müssen. Mit Lesestoff bewaffnet begaben sie sich anschließend in das Kaminzimmer, wo sie Herbert begegneten, der ihnen nach einem knappen „Guten Abend“ allerdings gänzlich aus dem Weg ging. Er zeigte eindeutig, dass ihn die Gesellschaft der beiden Frauen wenig interessierte, was diese zwar schade fanden, aber hinnahmen. Erst Stunden nach Mitternacht war der Graf wieder zu gegen, doch seine Gäste waren inzwischen so müde, dass sie sich alsbald verabschiedeten. Der folgende Tag verlief ähnlich, wie der erste: zu Mittag aufstehen, sich etwas zu essen machen und dann das Schloss erkunden. Diesmal hatten sie jedoch ein genaues Ziel, das sie direkt anstrebten: Bibliothek plus das Zimmer auf der zweiten Ebene. Wieder begegneten sie auf ihren Wegen niemandem, dennoch waren sie auf der Hut und schlichen sich später in besagten Raum. Es hätte ja durchaus sein können, dass seine Exzellenz sich dort aufhielt. Dem war zum Glück nicht so und sie konnten das Zimmer, was sehr nach einem Büro aussah, ungesehen erkunden. Natürlich waren sie nicht so dreist und durchwühlten einfach alles. Sie sahen sich nur ausgiebig um und schauten etwas genauer auf das ein oder andere Schriftstück, das herumlag. Sie wurden jedoch jäh unterbrochen, als sie eine andere Tür vernahmen und die schlurfenden Schritte des Dieners. Schnell, aber möglichst leise, verließen sie das Zimmer, schlossen die Tür und entfernten sich von dieser. Zu ihrem Pech schien Koukol aber gerade diesen Raum anzustreben. Amy und Nene gaben sich so unscheinbar wie möglich, taten so, als würden sie sich den Inhalt der Regale auf dem Balkon genauer ansehen. Als Koukol die Treppe erklommen hatte, grüßten sie ihn freundlich und widmeten sich scheinbar interessanter Literatur. Der Bucklige brachte etwas is die Schreibstube und verschwand dann wieder. Erleichtert ließen sich die zwei Frauen gegen das Geländer des Balkons sinken. „Gerade nochmal Glück gehabt.“ meinte Nene schnaufend, als Koukol die Bibliothek verlassen hatte. Amy nickte nur. Nach weiteren Minuten, in denen sie ihre rasenden Herzen beruhigten, begaben sie sich zurück in die Schreibstube, um ihre Suche fort zu setzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)