zeitversetzt von Futuhiro (24 Std. Alltag am anderen Ende der Welt) ================================================================================ Kapitel 2: Dessauer Vormittag ----------------------------- Dessau, 5 Uhr Als Hiros Wecker klingelte, fühlte sie sich wie erschlagen. So eine fiese Nacht hatte sie schon lange nicht mehr erlebt. Brummend schaltete sie den Wecker aus, knuddelte kurz ihre Katze, die gerade quer über sie drübertrampelte, und drehte sich wieder um. Selbst das nervtötende, ziepende Pflaster in ihrem Gesicht hinderte sie nicht daran, noch ein paar Minuten zu dösen. Als ein paar Minuten später ihr Handy den Ersatz-Weckruf läutete – man wusste ja nie ob der richtige Wecker mal den Geist aufgab – ignorierte sie es komplett. Das Ding ging ja in 20 Sekunden alleine wieder aus. Und das Bett war gerade so schön warm und kuschelig ... zur gleichen Zeit in Okinawa, 13 Uhr „Leute, wollen wir nicht langsam was zum Mittag essen?“, quatschte Yoshihiko in sein Mikrophon, damit seine Bandkollegen draußen im Technikraum ihn hörten. „Dann schaffen wir die Aufnahmen nicht. Wir essen hinterher was, sing weiter!“, gab ihm einer über Lautsprecher zurück. Dem Sänger schlief das Gesicht ein. Die wollten tatsächlich das Mittagessen ausfallen lassen? Nachdem sie schon zum Frühstück nur diese Handvoll Tankstellen-Fraß bekommen hatten? Au backe. Er erinnerte sich an den Eintrag dieses deutschen Mädchens, das gelegentlich auf seinen Blog reagierte. Sie war irre neidisch, weil scheinbar alle Japaner so furchtbar schlank waren. Wenn die nur wüsste, warum das so war ... ! Seufzend blätterte der Sänger also sein Textblatt um und ignorierte das leise Knurren seines Magens. Das wäre mal ein interessanter Soundeffekt. Magenknurren auf CD. Die wollten doch unbedingt ausgefallene Sounds. Dessau, 7:30 Uhr Hiro wurde mehr oder weniger sanft von einer Katzenpfote geweckt, die vorsichtig auf ihre Nasenspitze tupfte. Naja, viel sanfter als die letzten beiden Male jedenfalls. Müde seufzend blinzelte sie die Augen auf und kraulte das schlaflose Katzentier. „Hey, Kater. Na? Alles in Butter?“ Dann schaute sie erst aus dem Fenster (oh, es war schon hell), dann auf die Uhr (fuck, sie hätte seit einer Stunde auf Arbeit sein sollen!!!) und war schlagartig hellwach. „Neeeeeiiiiiiin, ich hab schon wieder verpennt!“, heulte sie und drückte ihrem Kater einen Schmatz auf die Stirn. Der hatte schon oft verhindert, daß sie verschlief, oder zumindest dafür Sorge getragen, daß sie nicht ganz so schlimm verschlief. Ohne ihn hätte sie jetzt sicher noch drei Stunden weitergeschlafen. Hiro wälzte sich ächzend aus dem Bett und begann hektisch herumzuwuseln und ihren Krempel zusammenzusuchen. Das runtergefallene Geschirr von letzter Nacht ignorierte sie auch weiterhin. Das bekam sicher keine Beine, wenn es noch ein paar Stunden länger dort lag. Schnell pfefferte sie ihren Katzen eine Ladung Futter in die Näpfe und war schon auf und davon. zur gleichen Zeit in Okinawa, 15:30 Uhr „Okay, Schluss jetzt. Den Rest können die Tontechniker selber zusammenmixen. Wir müssen weiter, sonst kommen wir nicht mehr rechtzeitig zu unserem Konzert.“, meinte Kohsuke und schmiss den Deckel seines Bassgitarrenkoffers zu. „Helft doch bitte mal schnell beim Abbau des Schlagzeuges!“ Yoshihiko sog erleichtert Luft ein, verkniff sich aber einen Kommentar. Eigentlich hatte er keine rechte Lust mehr auf das Konzert. Er hatte heute schon mehr als genug gesungen. Wenn er jetzt noch eine Bühnenshow durchziehen musste, würde er morgen stockheißer sein. Aber es half ja nichts. Sie konnten das Konzert schlecht absagen. Er schnappte sich eine Drum und stopfte sie wahllos in irgendeinen Koffer, der ihm groß genug erschien. Dessau, 8:15 Uhr Erleichtert ließ Hiro die Tasche auf ihren Schreibtisch fallen. Sie hatte Gleitzeit, eigentlich konnte sie kommen und gehen wann sie wollte, solange sie nur auf ihre Stundenzahl kam. Aber es wäre trotzdem besser gewesen, den Messestand ab Beginn des Besucherverkehrs zu besetzen. Zum Glück war sie keinem ihrer Arbeitskollegen begegnet. Und ihre Standgenossin hatte sowieso Urlaub und Hiro hatte den mit Trennwänden umbauten Verschlag ganz für sich alleine. Eine herrliche Zeit. Sie konnte quasi tun und lassen was sie wollte. Jetzt musste sie erstmal was frühstücken. Sie zog eine Packung Kekse aus ihrer Tasche und riss die Verpackung auf. zur gleichen Zeit in Okinawa, 16:15 Uhr Beinahe zufrieden zückte Yoshihiko sein Handy und wählte sich ins Internet ein. Sie standen auf dem Weg ins Hotel gerade im sattesten Stau den sie je gesehen hatten. Das würde eine Weile dauern und der Sänger war direkt froh, mal sowas wie Ruhe zu haben, und sei es nur auf dem Rücksitz eines Autos. Das Gemecker seines Schlagzeugers Kiri konnte er ja einfach ausblenden. Mit dem Handy wählte er sich in seinen Weblog ein. Dieses deutsche Mädchen hatte mal wieder geschrieben. Sie wollte wissen, ob heidi mal nach Deutschland kämen. Keine schlechte Idee, dachte Yoshihiko. Mal sehen, was sich machen ließ. Aber wahrscheinlich würde sein Label dagegen sein, bestimmt waren sie in Europa nicht bekannt genug. Er würde später auf den Blog antworten, wenn er wieder seinen Laptop hatte, denn mit seinem Handy ließ es sich wirklich blöd schreiben. Aus Mangel an besseren Ideen, und weil sie hier sicher noch eine Weile festsitzen würden, begann er seinen eigenen Namen zu googlen. „Was zur Hölle!?“, machte er, als der altbewährte Freund und Helfer ihm daraufhin ein Bild ausspuckte, das wohl gezeichnet war und offenbar ihn selbst darstellen sollte. Das Ding war als Lineart ausgewiesen und bestand in der Tat nur aus Linien. Leider war sein Handydisplay zu klein, um recht viel zu erkennen, also beschloss er, auch das später nochmal am Laptop nachzurecherchieren. Jetzt gab es doch wirklich schon Leute, die ihn zeichneten, war das denn zu fassen? Yoshihiko musste leicht schmunzeln und hoffte, daß das Bild in der Großansicht nicht allzu schrecklich aussah. Um 17 Uhr erreichten Sie endlich das Hotel. Sie waren für die paar Meter fast eine Stunde unterwegs gewesen. Sicher wären sie zu Fuß schneller gewesen. Also Yoshihiko in sein Hotelzimmer kam und das Bett sah, verspürte er den akuten Drang, sich hineinzulegen. Aber er ließ es bleiben und begann stattdessen seinen Koffer nach etwas essbarem zu durchwühlen. Inzwischen hatte er einen dermaßen unerträglichen Hunger, daß er einfach alles essen würde, zur Not samt Verpackung. Er biss in die Tafel Schokolade, die ihm in die Hände fiel, und zerrte mit der freien Hand seinen Laptop heraus. Er wollte jetzt bitteschön wissen, was das für ein Lineart war. Aber er hatte den Computer noch nichtmal eingeschalten, als sein Bassist Kohsuke, mit dem er das Hotelzimmer teilte, hereinkam, seine Tasche in hohem Bogen aufs Bett beförderte und sagte: „Lass das Ding aus, wir müssen los!“ „Schon wieder?“ „Ja, schon wieder. Du weißt doch, wie lange das Styling immer dauert. Wir werden sowieso schon unpünktlich mit dem Konzert anfangen. Beweg dich!“ Seufzend klappte Yoshihiko den Laptop wieder zu. Er nahm dem Bassisten den rüden Tonfall nicht übel. Auf Tour ging es oft hoch her, es war immer turbulent und hektisch, und es war ganz normal, daß man da schwache Nerven bekam. Er selbst hatte seine Bandkollegen auch schon angefahren, wegen Banalitäten. Eine gute Beziehung der Bandmember untereinander konnte sowas verkraften. Dessau, 10 Uhr Hiro hatte es schon lange aufgegeben, den Passanten irgendwelche Bücher andrehen zu wollen wie ein Marktschreier, und lernte stattdessen ein paar neue Kanji. So einen Messestand für sich allein zu haben und unbeaufsichtigt zu sein, war schon was tolles. Auf Arbeit Japanisch lernen zu können, wer konnte das schon von sich behaupten? „Bei Sturm bleibt die Karre im Schuppen.“, betete sie ihre Eselsbrücke vor sich hin, während sie das Kanji für schrieb und dann ein Dach und Wände drumherum, damit daraus das Kanji wurde. Dann musste sie grinsen, als ihr ein geniales Motiv für ein Bild dazu in den Kopf schoss. Sie legte das Übungsblatt zur Seite und angelte sich ein neues Stück Papier um zu zeichnen. „Malst du?“, wollte in diesem Moment eine quietschige Stimme wissen und ließ Hiro aufsehen. „Malst du was in mein ConHon?“ Ein kleines Kind im Black-Butler-Cosplay hielt ihr auffordernd und mit großem Hundeblick ein Buch hin. zur gleichen Zeit in Okinawa, 18 Uhr Yoshihiko saß in seinem Drehsessel am Spiegeltisch und drehte Däumchen. Die Stylistin war gerade mit seinen Haaren beschäftigt und trug abwechselnd die Bürste und dosenweise Haarspray auf. Er versuchte sie möglichst nicht zu stören, damit sie bald fertig wurde, aber langweilig war ihm schon irgendwie. Die Make-up-Artistin war noch mit Nao, dem Gitarristen, zu Gange, die würde sich aber nachher auch noch an ihm austoben. Erfahrungsgemäß war das ein extrem zeitraubender Prozess. Der Sänger schaute desmotiviert von seinem Handy auf, mit dem er gerade auf seinen Blog geantwortet und den Zeichner des Linearts angeschrieben hatte, als die Tür aufging. „Oh Gott, du rettest mir das Leben, danke!“, meinte Yoshihiko inbrünstig, sprang auf und nahm dem hereinkommenden Stuffmember die Pappbox mit Essen weg. „Hey, die sind aber nicht für ...“, hob der Typ protestierend an, brach aber seufzend wieder ab und machte auf dem Absatz Kehrt, als er merkte, daß er ohnehin auf taube Ohren stieß. Es waren zwar nur gebratene Nudeln vom Straßenimbiss, aber Yoshihiko kamen sie in diesem Moment wie die leckersten Nudeln vor, die er jemals gegessen hatte. Er plumpste in seinen Sessel zurück und fiel wie ein Süchtiger über die Mahlzeit her, und es war ihm völlig egal, ob die Hairstylistin so noch an ihm arbeiten konnte. Jetzt war der Tag gerettet. Mit vollem Magen sah die Welt schon ganz anders aus. Von nun an konnte es nur noch bergauf gehen. Dessau, 12 Uhr Die große Uhr im Haupteingang fixierend zählte Hiro die Sekunden: „... 57 ... 58 ... 59 ... 12:00 Uhr! Mittagspause!“ Begeistert ließ sie alles fallen und liegen und rannte los zum Würstchenstand gegenüber. Das leckere Zeug hatte sie schon den ganzen Vormittag vor der Nase und jetzt wollte sie gefälligst endlich auch welche essen. Die Preise waren zwar messeüblich – sprich: sauteuer – aber das war ihr nun auch egal. „Hey, bist du Cosplayer? Darf ich dich fotographieren?“, wollte jemand wissen, als sie sich mit ihrer Beute wieder vom Würstchenstand wegdrehte und ihr wechselseitig Ketchup und Senf aus den Mundwinkeln tropften. „Mmh? Cosplayer?“ „Naja, grünes T-Shirt und was zu essen, da dachte ich, du musst Choji aus sein. Dieses dicke Specki, du weißt schon. ... Und deine Kratzer passen sehr gut dazu.“ „Das ist meine Arbeitskleidung!“ „Darf ich dich trotzdem fotographieren? Du bist so süß mit den Ketchup-Flecken!“ „Ver...zieh dich!“, blaffte Hiro sauer und biss energisch wieder in ihr Würstchen. zur gleichen Zeit in Okinawa, 20 Uhr Mit nur 10 Minuten Verspätung stürzten sich heidi auf die Bühne. Eine wahre Meisterleistung ihrer Stylisten, die hatten heute wirklich alle Zeitrekorde gebrochen. Das Gekreische der Fans schwappte wie ein Tsunami über sie hinweg. Yoshihiko sog tief die Bühnenluft in sich auf. So satt und ausgeruht wie er inzwischen war – er hatte ja zwei Stunden lang nur rumgesessen – konnte er das Konzert nun richtig genießen. Er schnappte sich in einer runden Bewegung das Mikro vom Ständer und schrie „Hey, Okinawa!!!“ hinein. Begeisterungsstürme antworteten. Bassist Kohsuke setzte bereits zum Intro an, und schon nahm die Show ihren Lauf. Das Publikum war größer als Yoshihiko sich das gedacht hatte. Die Halle musste ausverkauft sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)