Teilchenbeschleuniger von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Relativitätstheorie ------------------------------ Alles klar, es geht los - Neue Story, neues Glück^^! Ich hoffe, das erste Kapitel gefällt Euch und macht Euch Lust auf mehr. Schönen Sonntag Euch allen noch :) y ={21x + ¼Z} - ℮ ≤ 56c + 44% ≠ 0 ≥ ½ Ω ≈ ¾ E = mx + √6β - 4² + α = ∞ An diesem einen, besonderen Donnerstag, der mich wie ein Erdbeben durchgeschüttelt hat und von dem ich heute erzählen will, war ich ziemlich früh dran. Normalerweise verließ ich das Haus immer erst 20 nach 9, wenn ich mich vor der Uni mit den Anderen im Teilchen & Beschleuniger zum Frühstück traf. Doch seit einiger Zeit musste mein Mitbewohner Nils am Donnerstag schon um 8 im Büro sein, sodass er sich den Wecker um 7 stellte. Dummerweise kam er morgens schlecht hoch, schlief direkt wieder ein, sobald er den Wecker ausgeschaltet hatte. Deshalb stellte er sich insgesamt 5 Wecker und verteilte sie im ganzen Zimmer, damit er auf jeden Fall aufstehen musste, um sie zum Schweigen zu bringen. Theoretisch war das sehr klug. Aber da Nils morgens ja schlecht hochkam, konnte es schon mal eine Weile dauern, bis der durchdringende Chor seiner Weckerschar verstummte. Und die Wände in unserer Wohnung waren recht dünn. Das addiert führte dazu, dass auch seine 2 Mitbewohner am Donnerstag spätestens um ¼ nach 7 aufstanden, ich inklusive. Lange Rede, kurzer Sinn. An diesem Donnerstagmorgen war ich wegen Nils und seiner Wecker ziemlich früh dran. Noch dazu hatte Florian nicht bei mir übernachtet, wodurch Duschen, Anziehen und Zähneputzen noch weniger Zeit in Anspruch nahm als sowieso schon. Er war am vorigen Abend mal wieder feiern gewesen, was er durchschnittlich 9-mal im Monat machte. Und wenn er feiern ging, schlief er nie bei mir, weil er mich nicht mitten in der Nacht wecken wollte. Dafür war ich ihm eigentlich ziemlich dankbar, obwohl ich ihn natürlich gern nachts bei mir hatte. Er war schön warm und schnarchte nicht. Doch weil er an diesem Morgen nicht bei mir war, kam ich ziemlich schnell aus dem Bett. Und nachdem ich mich vorgedrängelt und gleich als 2. geduscht hatte, verließ ich das Haus gemeinsam mit Nils schon um 10 vor 8. Ich fuhr mit dem Rad zum Teilchen & Beschleuniger und das Glöckchen an der Tür klingelte leise, als ich eintrat. Um diese Zeit, so kurz nach dem Öffnen, war das Café noch ziemlich leer. Außer mir befanden sich nur noch 2 andere Gäste darin. Das Teilchen & Beschleuniger war seit dem 1. Semester das Stammcafé von mir und meinen Freunden. Wir trafen uns jeden Dienstag und Donnerstag hier, um gemeinsam zu frühstücken, und dazwischen auch immer mal wieder, um etwas zu trinken oder auch zu lernen. Hier hatte ich fast genauso viel Zeit verbracht wie zu Hause oder in der Uni. Anfang meines 3. Semesters hatte ich hier Florian kennen gelernt. Es war das schönste Café in der ganzen Stadt. Ich liebte die knuddligen, altmodischen Sessel und Sofas, die alten Lampenschirme und Tische und den knarrenden Parkettboden. Nichts passte zusammen, alles kam vom Flohmarkt oder war selbstgemacht. Auch der Kuchen und die köstlichen Bagels, die ich schon fast alle durchprobiert hatte. Der sagenhafte Kaffee kam aus fairem Handel, die Milch von glücklichen Kühen und so weiter. Ein echter Geheimtipp. Ich durchquerte also den rechteckigen Raum, ging an den 2 anderen Gästen vorbei, zu unseren 3 Stammtischen gegenüber der Theke. Genießerisch atmete ich den Duft von frischgebrühtem Kaffee ein und ließ meine zerfranste Ledertasche auf meinen Lieblingssessel sinken. „Guten Morgen,“ begrüßte ich lächelnd den brünetten Kellner, der hinter der Theke stand und verschiedene, bunte Flaschen fritz-kola in den Kühlschrank einordnete. Als er meine Stimme hörte, drehte er sich um und lächelte ebenfalls. „Guten Morgen,“ erwiderte er und strich sich die Haare aus der Stirn, „Heute schon so früh hier? Trefft ihr euch nicht eigentlich erst gegen halb 10?“ „Ja, schon. Aber die Wecker meines Mitbewohners…sind wirklich sehr laut. Und die Wände in unserer Wohnung dagegen ziemlich dünn…,“ „Wie grässlich. Das hört sich an, als könntest du eine Menge Kaffee vertragen. Soll ich dir einen Cappuccino machen?“ „Das wäre nett, danke schön.“ „Gern.“ Ich setzte mich in meinen Lieblingssessel und holte das Buch über numerische lineare Algebra aus meiner Tasche. Darüber würde ich in der nächsten Woche Klausur schreiben. Ich vertiefte mich in die Lektüre und schreckte aus meinen Gedanken, als auf den Tisch vor mir eine große und duftende Tasse Cappuccino abgestellt wurde. „Bitte sehr,“ sagte der Kellner. „Danke schön,“ ich lächelte und legte das Buch weg, um großzügig Zucker auf den schneeweißen Milchschaum zu streuen. „Schon jetzt am Lernen?“, fragte mich der Kellner nach einer kleinen Pause, „Schreibst du bald Klausur?“ „Ja, nächsten Donnerstag,“ antwortete ich unglücklich und zog mein Portemonnaie aus der Hosentasche, um zu bezahlen, „Und ich muss zugeben, dass ich deshalb ein wenig Panik schiebe. Der Dozent gilt als Serienkiller.“ „Das tut mir Leid,“ erwiderte er und verzog mitfühlend das Gesicht, „Dann geht der Cappuccino heute aufs Haus. Als Trost.“ Verdutzt hob ich den Kopf und sah ihn an. „Das ist aber lieb, vielen Dank.“ „Gern geschehen.“ Mit einem letzten Lächeln ging er zur Theke zurück und ich wandte mich zufrieden wieder meinem Buch zu. Ich schaffte fast ein ganzes Kapitel, bevor mir jemand von hinten die Hände auf die Augen legte und mich damit halb zu Tode erschreckte. „Hallo!“, sagte eine mir wohlbekannte Stimme und lachte über meinen Schock. „Florian…,“ seufzte ich und griff nach den fremden Fingern, um sie mir vom Gesicht zu ziehen, „Hast du mich erschreckt.“ „Entschuldige,“ mein Freund kicherte, trat grinsend in mein Sichtfeld und ließ sich auf den Sessel neben mich fallen. Ich betrachtete ihn liebevoll. Er sah ein bisschen erschöpft aus, aber seine vollen Lippen hatten sich zu einem Strahlen verzogen. Seine braungrünen Augen leuchteten spitzbübisch. „Du bist schon hier?“, fragte ich verwundert, „Du musst doch hundemüde sein. Wie hast du es aus dem Bett geschafft?“ „Ich war noch gar nicht im Bett,“ antwortete Florian unbekümmert, „Ich war zu Hause nur kurz duschen und bin dann direkt hergekommen. Ich lass Uni heute ausfallen und geh nach dem Frühstück schlafen.“ „Das heißt wohl, du hattest viel Spaß gestern?“ „Sehr viel Spaß,“ er lächelte mich an, „Und du? Hast du tatsächlich den ganzen Abend gelernt?“ „Fast den ganzen Abend.“ „Du Armer…,“ er beugte sich zu mir rüber und streichelte mir zärtlich über die Wange, „Was hältst du davon, wenn du mich heute Abend besuchst? Dann helfe ich dir beim Entspannen.“ Er grinste anzüglich und ich musste ebenfalls grinsen. „Das hört sich gut an,“ erwiderte ich und nahm seine Hand in meine, um sie zu küssen. „Schön.“ Er lächelte, dann drehte er sich zur Theke um. „Kann ich eine fritz-limo haben?“, fragte er den Kellner, „Orange.“ „Natürlich,“ nickte der Kellner und holte eine sonnengelbe Flasche aus dem Kühlschrank. Florian zückte sein Portemonnaie und bezahlte 2,50, nachdem die gekühlte Flasche vor ihm auf dem Tisch stand. Ich lächelte den Kellner vage an und er lächelte zurück. „Er hat mir heute meinen Cappuccino spendiert, weil ich nächste Woche Klausur schreibe,“ erzählte ich Florian, als der Kellner zum nächsten Tisch gegangen war, um dort abzuräumen, „Ist das nicht nett?“ „Ach… Hat er das?“, entgegnete Florian, setzte seine Flasche ab und bedachte den Rücken des Kellners mit einem scharfen Blick. Ich lächelte erstaunt. „Bist du etwa eifersüchtig? Das war doch nur eine kleine Aufmerksamkeit. Immerhin komm ich hier schon seit 3 Jahren her. Ich bin Stammgast.“ Florian musterte mich nachdenklich, dann lächelte er wieder. „Du hast Recht. Ich sehe immer viel zu schnell rot, wenn es um dich geht.“ „Seit wann das denn?“, erkundigte ich mich verdutzt, „Du bist doch sonst nie eifersüchtig.“ „Manchmal schon,“ er grinste und nahm mir das Buch aus den Händen, um sich auf meinen Schoß zu setzen, „Du bist der tollste Freund, den man nur haben kann. Das bemerken bestimmt auch andere Kerle.“ Ich wollte antworten, kam jedoch nicht mehr dazu, denn er begann mich zu küssen und sofort vergaß ich, was ich hatte sagen wollen. Ich zog ihn an mich, meinen Kleinen, und genoss das Kribbeln im Bauch. Seufzend schmiegten wir uns aneinander und knutschten und scherten uns wie immer nicht die Bohne darum, dass wir uns in einem öffentlichen Café befanden. Ja, manchmal beunruhigte es mich geradezu, wie verrückt ich immer noch nach ihm war, obwohl wir nun schon seit über 18 Monaten ein Paar waren. Er wusste ganz genau, welche Knöpfe er bei mir drücken musste, damit ich ihm aus der Hand fraß. Doch das machte mir nichts aus, denn ich trug ihn gern auf Händen. Ich liebte seine Unbefangenheit und dass er so lebendig und albern war und immerzu vor Energie sprühte, auch wenn er die ganze Nacht durchgetanzt hatte. Selbst wenn er miese Laune hatte, fand ich ihn bezaubernd, und es war mir auch völlig gleichgültig, dass meine Freunde unsere Beziehung nicht unbedingt für eine gute Idee hielten. Auch nachdem wir unseren Kuss schon wieder gelöst hatten, blieb Florian auf meinem Schoß sitzen, was mich selbstredend keineswegs störte. Er erzählte mir von seinem vergangenen Abend und fragte mich sogar nach dem Inhalt meiner Klausur. Das tat er nur selten, da ihn mein Mathematik- und Physikstudium mit Grauen erfüllte. Zwischendurch kuschelte er sich immer wieder an mich und hauchte warme und schrecklich angenehme Küsse auf meinen Hals, meine Schläfen und Lippen, was mein Interesse an Mathe allmählich vollständig verschwinden ließ. Am liebsten hätte ich das Frühstück sein lassen und mit ihm ein privateres Umfeld aufgesucht. „Kann man euch nicht mal 5 Minuten allein in der Öffentlichkeit lassen, ohne dass ihr übereinander herfallt?“, erklang irgendwann eine Stimme wie aus weiter Ferne und Florian unterbrach unser Geschmuse. „Mhm…?“, machte ich geistesabwesend, während mein Freund in meinen Armen kicherte. „Hi, Leute,“ sagte er lässig. Unter einigen Anstrengungen klärte ich meinen Blick und erkannte Ricarda, Florians Feierfreundin Nr. 1, und Lauritz, einen meiner engsten Freunde aus dem Studium. Sie grinsten uns an und ließen sich auf 2 der anderen Sessel sinken. Lauritz nahm mein Mathematikbuch vom Tisch und klappte es auf. „Hast du das 8. Kapitel schon durchgearbeitet?“, fragte er mich, während Florian sich lächelnd von meinem Schoß erhob, um sich neben Ricarda zu setzen, „Langsam geht mir der Arsch echt auf Grundeis. Ich hoffe, Hölscher hält sich an seine Vorgaben.“ „Hoffe ich auch…,“ brummte ich, wischte mir über den Mund und trank meinen lauwarmen Cappuccino aus, „Aber wenn man den Gerüchten glauben kann, tut er das nicht unbedingt.“ „Eben…,“ Lauritz klatschte das Buch zu und lehnte sich in seinem Sessel zurück, „Zum Glück sind wir den bald los. Wenn wir die Klausur hinter uns haben, betrinke ich mich.“ „Gute Idee,“ grinste Ricarda und tauschte einen vielsagenden Blick mit Florian, „Wir machen mit, oder Flo?“ „Aber klar!“ Nach und nach trafen auch die anderen ein: Yves, mein bester Kumpel, mit dem ich schon gemeinsam zur Schule gegangen war, und Imke, die große Schwester von Ricarda. Die beiden studierten ebenfalls Mathe und Physik und wohnten seit dem 2. Semester zusammen – Lauritz und ich waren uns ziemlich sicher, dass da was lief, aber die beiden leugneten es standhaft. Und dann noch Amelie, eine weitere Freundin von Ricarda und Florian. Bei dem brünetten Kellner, der nach bald 3 Jahren Frühstücksritual fast alle unsere Bestellungen voraussagen konnte, bestellten wir also Kaffee, Kuchen und Bagels. Lauritz, Imke, Yves und ich begannen schon bald ein Gespräch über die kommende Klausur und ihre Themen, aus dem sich Amelie, Ricarda und Florian nur allzu gern raushielten und stattdessen über Haarfärbungen philosophierten. In regelmäßigen Abständen warf mein Freund mir sein entzückendstes Lächeln zu und plinkerte mit den Wimpern. Er war der Einzige, der keinen Kaffee trank, sondern bei Limonade blieb, was angesichts seiner Schlafpläne wahrscheinlich von Vorteil war. Als es jedoch auf 10 Uhr zuging und wir bezahlten, um zur Uni zu fahren, machte sich die durchgefeierte Nacht bei ihm bemerkbar. „Fährst du jetzt direkt ins Bett?“, fragte Amelie, während wir draußen unsere Fahrräder aufschlossen, „Soll ich dir morgen meine Aufzeichnungen mitbringen?“ „Das wär super. Danke, Amelie…,“ gähnte Florian und lehnte sich an mich. Ich streichelte ihm durchs Haar. „Soll ich heute Abend für dich kochen?“, fragte ich lächelnd, „Ich könnte mal wieder Nudelauflauf machen.“ „Oh ja, bitte…,“ murmelte er und blinzelte müde zu mir hoch, „Das wär toll…,“ „Dann bis heut Abend. Schlaf gut.“ Ich beugte mich zu ihm hinunter, um ihn zu küssen. Dann schwangen wir uns alle auf die Fahrräder, winkten uns gegenseitig zum Abschied und fuhren in unterschiedliche Richtungen davon: Florian nach Hause, Amelie und Ricarda zum Fürstenberghaus und Imke, Lauritz, Yves und ich zur Einsteinstraße, die direkt um die Ecke lag. Noch vor 10 kamen wir in der Einsteinstraße an, stellten unsere Räder ab und gesellten uns zu ein paar Kommilitonen in die Sonne, die es ebenfalls nicht eilig damit hatten, den Vorlesungssaal zu betreten. Einer von ihnen war Pascal, von dem meine Freunde stets behaupteten, er hätte einen Crush für mich. Ich hielt das für Unsinn. Und als er mich anlächelte, lächelte ich gedankenlos zurück. Augenblicklich kam das Thema auf die bevorstehende Klausur. „Ich geh noch mal aufs Klo,“ sagte ich zu Imke, „Passt ihr kurz auf meine Tasche auf?“ „Warte, ich komm mit,“ murmelte sie, „Wenn ich Angst habe, muss ich immer Pipi.“ „Und jetzt hast du Angst?“, gluckste ich und stellte meine Tasche auf den Boden. „Total. Ich hab immer Angst vor Hölscher. Männer, passt ihr kurz auf unsere Taschen auf?“, fragte sie an Lauritz und Yves gewandt. Die beiden unterbrachen ihre Unterhaltung nur kurz, um zustimmend zu grunzen. „Danke.“ Wir schlenderten durch den Gebäudekomplex zur Toilette und lästerten dabei über Dr. Hölscher und seine grausamen Durchfallquoten. Wir trennten uns vor den 2 Türen der Toiletten und nachdem ich fertig war, wartete ich vor der Tür mit dem Figürchen im Rock auf Imke. Als sie kurz darauf hindurch kam, grinste sie. „Wenn du heute Abend für Florian kochst, darf ich dann auch kommen?“, fragte sie und wir machten uns auf den Weg zurück zu den Anderen. „Ähm… Nein,“ antwortete ich. „Warum nicht?“ „Weil wir nicht nur kochen werden.“ „Ahhh…,“ sie schmunzelte Richtung Fußboden. „Du kannst doch Yves fragen, ob er für dich kocht.“ „Der kocht aber nicht gern.“ „Für seine Freundin wird er bestimmt eine Ausnahme machen.“ „Ich bin nicht seine Freundin!“, zeterte sie und schlug nach mir, „Hört endlich auf, das ständig zu behaupten!“ Ich wich ihr aus und lachte. Um 10 nach 10 zwangen wir uns doch in den Vorlesungssaal, um uns die letzte Stunde vor der Klausur anzutun. Ich setzte mich gemeinsam mit Lauritz, Yves, Imke und einigen anderen in die hinterste Reihe und kramte meinen Collegeblock und das Buch zur Vorlesung, das ich auch schon im Teilchen & Beschleuniger gelesen hatte, hervor. Ich öffnete mein ledernes Federmäppchen, um das Datum des heutigen Tages zu notieren, als ich zwischen meinen Kulis und Bleistiften einen zusammengefalteten Zettel bemerkte. Ich nahm ihn in die Hand und wunderte mich. Der Zettel war weiß und ich schrieb normalerweise nur auf kariertem Papier. Aber vielleicht hatte ich ihn zu Hause geschrieben und dann vergessen. So was war bei mir nicht auszuschließen. Also faltete ich den Zettel auseinander. Und einen Sekundenbruchteil später wusste ich, dass ich ihn nicht geschrieben hatte. Dein Freund betrügt dich. Kapitel 2: Kernreaktion ----------------------- Schönen Sonntag, Ihr Lieben, und willkommen zum 2. Kapitel :) Ich widme dieses Kapitel der süßen Nasti, weil sie mich gebeten hat, es direkt nach dem Aufstehen hochzuladen, damit sie nicht allzu lange warten muss ^-^ Viel Spaß beim Lesen! y ={21x + ¼Z} - ℮ ≤ 56c + 44% ≠ 0 ≥ ½ Ω ≈ ¾ E = mx + √6β - 4² + α = ∞ Ich starrte auf die Schrift hinab. Mein Herz setzte mehrere Schläge lang aus und die Welt schien um mich herum zu verschwimmen. „Yves…,“ wisperte ich, die Augen unverwandt auf den Zettel gerichtet, „Sieh… Sieh mal…,“ Er sah zu mir auf. „Was issen…?“, raunte er angesichts meiner entsetzten Miene, dann folgte er meinem Blick. Seine Augen weiteten sich. „Oh… Mann…,“ Lauritz beugte sich zu uns rüber. „Worüber redet…? Oh…,“ Er stieß Imke neben sich an. „Hey, schau dir das an.“ „Was i–,“ Sie schnappte nach Luft. Bleiernes Schweigen legte sich über uns. Nacheinander fixierte ich meine Freunde. „Was soll das…?“, brachte ich schließlich hervor, „War das einer von euch?“ „Nein!“, erwiderten sie wie aus der Pistole geschossen im Chor. „Und das soll ich glauben? Außer euch kommt doch keiner an meine Tasche ran!“ In meiner Brust schlug mein Herz wie ein Hammer. Jähe Wut schnürte mir sekundenlang die Kehle zu. „Wer immer das auch war, das ist nicht komisch!“, fuhr ich zischend fort, „Florian würde mich nie betrügen!“ Die Stille, die meinen Worten folgte, war lauernd. Ich wartete darauf, dass meine Freunde mir zustimmten und mich beruhigten. Aber sie taten es nicht. Fast schon flehentlich schaute ich von einem zum anderen. Sie tauschten stumme Blicke. „Jonas…,“ begann Yves dann behutsam, „Hör mal…,“ „Was?“, blaffte ich, „Was ist los?!“ „Hör zu, das war keiner von uns! Ehrlich nicht. Aber…,“ „Aber was?!“ „Wer immer das auch geschrieben hat…,“ sprach Imke an Yves‘ Stelle weiter, „ Jonas, er… er hat Recht.“ Ein Felsbrocken fiel in meinen Magen. Mir wurde eiskalt. „Was?“, hauchte ich mit brechender Stimme, „W… Wieso sagst du das…?“ „Weil es stimmt!“, antwortete Lauritz hitzig, „Mann, Jonas! Alle wissen es. Ständig, wenn Florian ohne dich weggeht, schleppt er jemanden ab. Das geht schon seit Ewigkeiten so. Und alle wissen das. Nur du nicht. Weil du zu verknallt und zu blind bist, um es zu bemerken.“ In meinen Ohren klingelte es. Ich konnte, ich wollte nicht glauben, was ich da hörte. „Hör auf…,“ wisperte ich, „Hör auf damit. Du lügst.“ „Nein, tut er nicht!“, mischte sich Yves wieder ein und packte meinen Arm, „Es ist alles wahr, Mann!“ Energisch und bebend vor Zorn schüttelte ich seine Hand ab. „Hört auf damit! Wie könnt ihr… Wie könnt ihr nur so was sagen?! Ich wusste ja schon immer, dass ihr was gegen meine Beziehung zu Florian habt, aber dass ihr–,“ „Aber was meinst du denn, warum wir was dagegen haben?“, fragte Imke inständig, „Bitte, Jonas, denk doch mal nach! Wir haben schon 100mal versucht, es dir zu sagen, aber du wolltest nix davon hören!“ „I… Ich vertraue Florian!“, krächzte ich. „Und eben da liegt das Problem, Mann!“, sagte Yves eindringlich, „Du bist so was von naiv und vertrauensselig, dass all unsere Worte einfach an dir abgeprallt sind. Aber es ist wahr, Jonas: Florian benutzt dich nur!“ Ich konnte kaum mehr atmen. Meine 3 engsten Freunde sahen mich mit großen Augen an und warteten auf meine Reaktion. Noch nie hatte ich sie so gehasst wie in diesem Moment. „Nein…,“ keuchte ich und schüttelte den Kopf, „Nein, ihr lügt.“ „Jonas–,“ „LASS mich los!“, schäumte ich vor Wut, riss meinen Arm aus Yves‘ erneutem Griff und sprang auf die Füße, „Ihr könnt mich mal, ihr alle 3! Ich hätte nie gedacht, dass ihr eine so miese Tour fahren würdet, um mich und Florian auseinander zu bringen!“ Zitternd begann ich meine Sachen zurück in die Tasche zu stopfen. Nur am Rande bemerkte ich, dass die Leute in der Nähe – unter anderem Pascal – sich zu uns umgedreht hatten. „Ich dachte, ihr wärt meine Freunde, aber das…,“ fassungslos schnappte ich nach Luft und musterte sie, „…das hätte ich nie von euch gedacht!“ Mit einem Satz schwang ich mich über die Sitzreihen und rauschte dem Eingang des Vorlesungssaals entgegen. „Jonas, warte doch!“, rief Yves mir nach, aber ich ignorierte ihn. Ich floh regelrecht aus dem Gebäude. Mir war schwindelig und mit der linken Hand zog ich an dem engen Ausschnitt meines Shirts, um besser Luft zu bekommen. Ich hielt erst an, als ich unter freiem Himmel war und einige Entfernung zwischen mich und die Uni gebracht hatte. Schwer atmend lehnte ich mich gegen einen Baum. Mir war übel und ich schloss die Augen, versuchte, ruhig zu atmen. Alles tat mir weh. Ich war so zornig und so enttäuscht. Enttäuscht über meine Freunde. Ich konnte nicht verstehen, wieso sie mir solche Lügen erzählten. Denn nie, nie, nie würde Florian mir so etwas antun. Er wusste, wie wichtig mir Vertrauen und Treue in einer Beziehung waren. Und wenn er mir sagte, dass er mich liebte, dann glaubte ich ihm das. Und ich würde mir das, was wir beide miteinander hatten, nicht durch irgendwelche Gerüchte kaputt machen lassen. Durch die Entrüstung stiegen Erinnerungen in mir auf. Erinnerungen von teilweise lange zurückliegenden Gesprächen mit Yves, Lauritz und Imke. Gespräche, in denen sie mich gefragt haben, ob ich mir sicher sei, dass Florian unsere Beziehung ebenso ernst nahm wie ich. Ob ich es nicht auffällig fand, dass er so oft feiern ging. Ich hatte sie immer ausgelacht. Jede einzelne Andeutung entschieden von mir gewiesen. Ich hatte wirklich nichts davon hören wollen. Sie hatten doch keine Ahnung. Und jetzt das. Ich senkte den Blick auf meine geballte Faust. Langsam öffnete ich meine Hand und starrte auf den kleinen zerknitterten Zettel. Dein Freund betrügt dich. Abermals schnürte sich mir die Kehle zu. Ich versuchte, die Schreibweise zu erkennen. Einen Charakter hinter den Buchstaben zu sehen, aber die Schrift kam mir völlig unbekannt vor. Vielleicht waren es Ricarda oder Amelie gewesen? Doch die hätten nicht unbemerkt an mein Federmäppchen kommen können. Und wieso sollten sie Florian verleugnen wollen? Es mussten Lauritz oder Yves gewesen sein. Die beiden hatten doch kurz auf meine Tasche aufgepasst, als Imke und ich auf der Toilette gewesen waren. Aber wieso? Wieso nur? Wieso taten sie das? Ein winziger, mathematischer Teil von mir sagte, dass ich zurück in die Vorlesung gehen sollte. Schließlich war es die letzte Stunde vor der Klausur. Doch ich verwarf diesen Gedanken auf der Stelle. Ich könnte mich doch jetzt niemals konzentrieren. Außerdem wollte ich nicht zurück zu meinen 3 Freunden. Ich wollte sie nie wieder sehen. Mit weichen Knien stieß ich mich von dem Baum ab und ging zu den Fahrradständern zurück. Ich wusste zwar nicht, wohin ich fahren wollte, aber ich wusste, dass ich weg wollte. Nicht nach Hause, aber weg. Weit weg. Den Zettel steckte ich in die Hosentasche. Als ich mein Rad erreichte, entdeckte ich Vivian, eine weitere Kommilitonin von mir, die sich jedoch weniger für das Studium, als vielmehr für sich selbst interessierte. Deshalb kannte ich sie nur flüchtig. Sie stand neben den abgeschlossenen Fahrrädern in der Sonne und rauchte. „Hallo,“ sagte ich matt und legte meine Tasche auf den Gepäckträger meines Rads. „Hallo,“ grüßte sie zurück und zog an ihrer Kippe, „Bist du nicht auch bei Hölscher?“ Ich nickte und wunderte mich kurz über die Tatsache, dass sie mich tatsächlich ansprach. „Ja, aber ich…,“ ich räusperte mich und durchsuchte mit gesenktem Kopf die Tasche nach meinem Schlüsselbund, „Ich…musste da kurz raus.“ „Aha,“ antwortete sie, aschte ab und fragte nicht weiter nach. „Wieso bist du nicht drin?“, erkundigte ich mich aus Höflichkeit. Ihre unsagbare Coolness und Unabhängigkeit ließen sie die Achseln zucken. „Hatte noch Bock, eine zu rauchen.“ „Ah…,“ Ich fand meine Schlüssel. Doch plötzlich hatte ich ein ganz anderes Bedürfnis. „Hast du vielleicht auch eine für mich?“, fragte ich zu meiner eigenen Verblüffung. Sie sah mich an. Aber dann nickte sie und zog eine rote Schachtel Gauloises aus ihrer Jackentasche. Sie gab mir eine Zigarette und ihr Feuerzeug. „Danke.“ Ich steckte mir die Kippe in den Mund und entzündete sie. Der 1. Zug war ziemlich scharf und ich musste kurz das Husten unterdrücken. „Uh…,“ machte ich und sprach grauen Qualm, „Ganz schön stark…,“ „Man gewöhnt sich dran,“ erwiderte Vivian lässig. Wir rauchten schweigend. Als mir vom ungewohnten Nikotin ein bisschen neblig wurde, lehnte ich mich gegen mein Rad. „Alles in Ordnung?“, wollte sie wissen, „Du siehst geschafft aus.“ „Ja,“ schwindelte ich erst, doch dann: „Nein. Meine Freunde sagen, dass mein Freund mich betrügt.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und schien verwirrt. Ob über die Bezeichnung mein Freund oder aber den Fakt, dass ich ihr tatsächlich von meinem Problem erzählte, wusste ich nicht. Letzteres überraschte mich übrigens ebenfalls. „Das habe ich vorhin in meinem Federmäppchen gefunden,“ fuhr ich trotzdem fort und holte den Zettel hervor, „Meine Freunde behaupten, sie wären es nicht gewesen, aber nur sie hätten an meine Tasche heran kommen können.“ „Oh,“ sie starrte auf den Zettel, „Äh…,“ „Ich versteh das einfach nicht. Verstehst du?“ „Du… Du musst mir nicht davon erzählen, wenn du nicht willst,“ wandte sie ein, was im Nachhinein eher wie ein Bitte lass mich mit deinem Kram in Ruhe. klang, aber ich achtete nicht darauf. Rigoros zog ich an der Zigarette und benutzte meine Hände, um den Grad meiner Empörung zu verdeutlichen. „Wieso machen sie das? Wieso lügen sie mich so dermaßen an? Ich wusste schon immer, dass sie meine Beziehung für einen Fehler halten, aber das!“ Unter Vivians kritischem Blick redete ich mich in Rage. „Sie behaupten allen Ernstes, dass das schon seit Ewigkeiten so ginge – was immer das auch heißen soll. Dass er ständig irgendwelche Kerle abschleppen würde und alle davon wüssten. Nur ich nicht, weil ich zu verliebt wäre, um es zu checken. Kannst du dir das vorstellen? Und dass sie nur deshalb etwas gegen unsere Beziehung hätten! So ein Scheiß!“ Ich schnaubte und aschte so heftig ab, dass mir die Zigarette beinahe aus den Fingern flog. Vivian blinzelte. „Und du…bist dir sicher, dass dein Freund dich nicht betrügen würde?“, fragte sie dann und ihre Stimme klang skeptisch. Entrüstet beäugte ich sie. „Ja!“, antwortete ich dann felsenfest überzeugt, „Absolut!“ „Aber warum sollten alle deine Freunde dich belügen?“ In meinem bitteren Ärger hob ich die Schultern. „Das frage ich mich auch.“ Vivian kräuselte die Lippen und zog an ihrer Kippe. „Also, ehrlich gesagt, halte ich es für wahrscheinlicher, dass dein Freund derjenige ist, der lügt, nicht deine Freunde.“ Mir blieb die Spucke weg. „Wie bitte?!“, keuchte ich voller Abscheu, „Wie kannst du so was sagen? Du kennst weder meinen Freund, noch meine Freunde. Wie willst du bitte beurteilen können, wer eher lügen würde?“ „Kann ich nicht,“ entgegnete sie kühl, „Aber nach meiner Erfahrung ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Freunde einen wegen so was belügen. Wenn einer lügen würde, weil er…keine Ahnung…selber auf dich oder deinen Freund steht, ist das eine Sache. Aber alle auf einmal? Und dann auch noch so? Da halte ich es eher für wahrscheinlich, dass dein Freund dich tatsächlich betrügt und deine Freunde dich nur schützen wollen.“ Mein Magen zog sich zusammen. Verzweifelt suchte ich nach einer Antwortmöglichkeit, nach Lücken in ihrer Argumentation, nach einem Ausweg. Doch irgendwo in meinem Inneren wusste ich, dass sie Recht hatte. Wieso sollten meine 3 besten Freunde mich gleichzeitig belügen? Wieso sollten sie mir meine glückliche Beziehung missgönnen, wenn sie wirklich glücklich war? Bebend atmete ich ein, zog an der Zigarette, als müsste ich mich an ihr festhalten. „Ich… Ich kann das nicht glauben…,“ flüsterte ich erstickt, „Ich kenne ihn doch. Er würde mir das nicht antun. Ich…ich würde doch bemerken…,“ Elend schüttelte ich den Kopf und verstummte. Ich fixierte Vivian flehend. „Was… Was soll ich denn jetzt machen?“ „Naja,“ begann sie gelassen und kratzte ihr Nasenpiercing, „Du könntest zum Beispiel zu deinem Freund gehen und ihn einfach fragen. Frag ihn ins Gesicht, ob er dich betrügt. Wenn du ihn wirklich so gut kennst, wie du sagst, dann solltest du sehen können, ob er lügt oder nicht. Und je nachdem, ob er lügt oder die Wahrheit sagt, weißt du, ob du dir einen neuen Freund oder neue Freunde suchen solltest.“ Sie zuckte erneut die Achseln und warf ihre Kippe auf den Boden, um sie dort auszutreten. „Jedenfalls solltest du nicht weiter hier rumstehen und dir die Haare raufen. Das führt zu nix. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. So. Ich geh jetzt in die Vorlesung. Viel Erfolg bei dem, was du als nächstes tust. Was es auch immer sein mag.“ Sie grinste schief, warf sich ihre Dreads über die Schulter und stolzierte davon. Mit offenem Mund und rasendem Herzen sah ich ihr nach. Kapitel 3: Vakuumfluktuationen ------------------------------ Hallo Ihr Lieben und viele Emotionen beim 3. Kapitel von Teilchenbeschleuniger^^! Dieses Mal möchte ich das Kapitel gern widmen, da sie zu meiner Belustigung einen Antrag auf VIP-Status-Ausnutzung gestellt hat :D! Ich hoffe, wir lesen uns nächste Woche wieder y ={21x + ¼Z} - ℮ ≤ 56c + 44% ≠ 0 ≥ ½ Ω ≈ ¾ E = mx + √6β - 4² + α = ∞ Ich fuhr zu Florian. Zwar hatte ich mich nicht bewusst dafür entschieden, doch irgendwie brachte mich mein Rad automatisch zu dem Mehrfamilienhaus, in dem er seine Wohnung hatte. Als ich es abstellte, schlug mein Herz so laut, dass es in meinen Ohren widerhallte. Ich verabscheute mich selbst für das Misstrauen, das mich hierher geführt hatte. Ich wollte nicht klingeln, wollte seinen Schlaf nicht stören. Doch ich musste die Wahrheit erfahren. Wie sollte ich ihn heute Abend bekochen und küssen, wenn ich die gesamte Zeit über den Zettel im Hinterkopf hatte? Ich brauchte ganze 5 Minuten, bis ich mich endlich dazu durchringen konnte, den Finger auf den Klingelknopf neben seinem Namen zu drücken. Ich wartete mit schlotternden Eingeweiden. Als nichts passierte, klingelte ich erst ein 2. und dann noch ein 3. Mal. Ich spürte, wie sich mein Körper erleichtert entspannte und wollte schon wieder umdrehen, da ertönte der Summer und mein Magen verkrampfte sich aufs Stichwort. Die Stufen des Treppenhauses schlich ich mit weichen Knien hinauf. Ich musste mich zu jedem Schritt zwingen. Am 2. Treppenabsatz blieb ich wie angewurzelt stehen. Florian lehnte sich gegen den Türrahmen und gähnte. Er trug eines meiner ausrangierten T-Shirts, das sich aufreizend um seine Schenkel bauschte. Sein Haar war ein wenig verstrubbelt. „Hey…,“ sagte er überrascht als er meiner ansichtig wurde und lächelte, „Was machst du denn hier? Konntest du nicht bis heut Abend warten?“ Ich schluckte. Meine Kehle war staubtrocken. „Ich… Ich muss mit dir reden…,“ erwiderte ich rau. Sein Schmunzeln verschwand. Er blinzelte und schien verdutzt. „Okay…,“ er trat beiseite, „Komm rein.“ Ich ging an ihm vorbei, in seine Wohnung. Der vertraute Geruch nach frischer Wäsche und seinem Deo wallte mir entgegen und erfüllte mich mit schmerzhafter Wehmut. Ich blieb in dem kurzen, mir so wohlbekannten Flur stehen und atmete tief ein, bevor ich mich zu Florian umdrehte. Er schloss hinter mir die Tür und sah mich mit wachsender Besorgnis an. „Was ist los?“, fragte er, „Ist was passiert?“ Ich senkte den Kopf. Fast konnte ich den kleinen, weißen Zettel in meiner Hosentasche knistern fühlen. „Jonas, was ist?“, hörte ich Florians beunruhigte Stimme, „Jetzt sag schon!“ Ich sah auf. Sah ihn an, meinen Freund, meinen Schatz, meinen Florian. Mit einem Mal war ich mir wieder nicht sicher, was ich hier eigentlich wollte. Wollte ich tatsächlich alles riskieren, meine Gefühle, unsere Verbundenheit, nur wegen ein paar haltlosen Worten auf einem weißen Blatt Papier? Hatte ich mich nicht immer gegen die Neigung vieler Menschen gewehrt, erfundenen Anschuldigungen fremder Leute mehr Glauben zu schenken als den Beteuerungen des oder der Liebsten? Wie gern würde ich einfach vergessen, was passiert war. Einfach lächeln, ihn in meine Arme nehmen und ihm ins Ohr flüstern, dass ich mich nach ihm gesehnt hatte und nur deshalb die Vorlesung ausfallen ließ. Ihn zurück ins Bett tragen, ihn küssen und ausziehen und streicheln und ihm danach beim Schlafen zuschauen. Doch wieso sollten meine 3 besten Freunde mich belügen? Diese Frage blieb unbeantwortet. Yves, Lauritz und Imke waren nicht irgendwelche Fremden für mich. Ich kannte sie länger als Florian. Yves kannte ich sogar schon über 10 Jahre lang. Wieso sollte er mich anlügen? Das machte keinen Sinn. Ich musste die Wahrheit wissen. Und dafür musste ich Florian fragen. Also räusperte ich mich. „Ich…muss dich was fragen…,“ sagte ich leise. Florian starrte mich an. „Was…? Was fragen?“ Langsam steckte ich die Hand in die Hosentasche und ertastete den verhängnisvollen Zettel. Ich holte ihn hervor und behielt ihn einige Sekunden zwischen meinen tauben Fingern, bevor ich ihn Florian zeigte. „Das habe ich…vorhin in meinem Federmäppchen gefunden…,“ erklärte ich und meine Stimme bebte, „Ich weiß nicht, wie es dorthin gekommen ist. Yves, Lauritz und Imke behaupten, sie hätten nix damit zu tun.“ Florian stand unbeweglich und fixierte den Zettel. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber als er den Kopf schließlich hob, waren seine Augen geweitet. Seine Stimme funktionierte erst nach dem 2. Anlauf. „Du… Du glaubst das doch nicht?“, hauchte er eindringlich, „O… Oder?“ Ich biss die Zähne so hart zusammen, dass es wehtat. „Ich… Ich weiß nicht, was ich glauben soll…,“ brachte ich hervor und schluckte, „Ich… Ich möchte es nicht glauben, aber…aber die anderen…haben mir…haben mir Sachen erzählt…,“ Ich verstummte, schüttelte kurz den Kopf und wandte den Blick ab, betrachtete Florians Flur, die Wände, die Decke, nur nicht ihn. „W… Was für Sachen?“, drang seine Stimme gepresst an mein Ohr und dann, noch beschwörender, „Jonas! Was für Sachen haben sie dir erzählt?“ Ich holte Luft. „Sachen über dich. Sachen, die… Sie… Sie haben gesagt, dass du…dass du mich schon seit einer Ewigkeit ständig betrügst und alle davon wissen und…,“ Ich konnte nicht mehr weitersprechen. Mit größter Anstrengung richtete ich meine Augen wieder auf meinen Freund. Er schwieg. Er war ganz blass geworden. „Ich muss die Wahrheit wissen,“ wisperte ich und eine brennende Schlinge legte sich um mein Herz, als ich mich plötzlich daran erinnerte, wie Florian sich einmal bei mir beschwert hatte: Boah, Jonas, es ist ätzend! Ich kann bei direkten Fragen nie lügen. Ich kann Wahrheiten weglassen oder verbiegen. Ich kann indirekt lügen. Aber wenn mir jemand eine direkte Frage stellt, dann muss ich die Wahrheit sagen. Selbst gestern bei diesem blöden BAföG-Menschen am Telefon. Es ist wie ein Zwang. Also nahm ich all meinen Mut zusammen. „Florian? Be… Betrügst du mich?“ Mein Freund erzitterte. Unverwandt starrte er mich an. Er bewegte die Lippen, doch kein Laut kam heraus. Die Welt schien um mich herum stehen zu bleiben. Und dann sackte er in sich zusammen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Und er nickte. „Ja… Ja, es stimmt…,“ schluchzte er, „Oh Gott, Jonas, es tut mir so leid…,“ Mein Gott. Es war, als würde mich ein Rammbock treffen. Es presste mir die Luft ab, es saugte mir die Kraft aus den Beinen, es nahm mir die Sicht und das Gleichgewicht. Nach Atem ringend kippte ich gegen die nächste Wand und keuchte. „Nein…,“ krächzte ich, „Nein…,“ „Jonas, bitte lass mich erklären…,“ schluchzte Florian leise und ergriff meinen Arm, „Es ist nicht so, wie du denkst, ehrlich.“ In meinen Ohren klingelte es. Mit einem Ruck riss ich mich von ihm los und stolperte rückwärts. Sprachlos starrte ich ihn an. Meinen Freund, meinen Kleinen. Ich konnte es einfach nicht glauben. Fast konnte ich mein Herz knacken hören. „Jonas…,“ hauchte Florian händeringend und Tränen liefen ihm über die Wangen, „Bitte, hör mir zu… Ich will nur mit dir zusammen sein, die anderen haben mir absolut nichts bedeutet!“ Die Wut kam ganz plötzlich. Mit einem Schlag war meine Kraft zurück und tobte. „UND DAS SOLL ICH DIR GLAUBEN?“, brüllte ich und spürte das Blut in meinen Venen kochen, „Wenn das so wäre, wieso hast du es dann getan? Wieso vögelst du irgendwelche anderen Kerle, wenn du nur mit mir zusammen sein willst? Hab ich es dir nicht anständig genug besorgt oder was?!“ Florian bedeckte sein Gesicht mit den Händen, seine Schultern zitterten, während er weinte, und er schüttelte den Kopf. „Nein…,“ wimmerte er erstickt, „Nein, so war es nicht…,“ Ich hatte kein Mitleid. Ich war so wütend, so verletzt, so enttäuscht wie nie zuvor in meinem Leben. Und seine Tränen änderten nichts daran. Mehr noch, sie stachelten meinen gerechten Zorn geradezu an. Er hat kein Recht zu weinen, dachte ich. Er hat mich betrogen. Ich bin derjenige, der verletzt ist. Ich bin derjenige, der weinen dürfte. „Wie konntest du mir das antun?“, fauchte ich angewidert und ballte die Fäuste, „Ich habe dir vertraut! In all der Zeit habe ich nicht mal eine Sekunde lang an irgendeinen anderen gedacht. Gott, die anderen hatten Recht, ich war ja sowas von blöd! Und ich habe sie als Lügner beschimpft, ich habe dich verteidigt, ich habe…,“ Das Ausmaß meiner eigenen Blindheit ließ mich verstummen. All die Versuche meiner Freunde, mich zu warnen, all die Andeutungen, die ich vor lauter Vertrauensseligkeit in den Wind geschlagen habe. Und all die anderen Männer. Vor meinem inneren Auge nahmen sie Gestalt an. Die anderen Männer, die mit meinem Freund geschlafen haben, während ich nichtsahnend von ihm träumte. „Wie viele waren es…?“, flüsterte ich heiser, „Wie viele…?“ „Jonas, es…,“ „WIE VIELE?!“, brüllte ich und Florian zuckte furchtbar zusammen. „Ich weiß es nicht!“, schrie er zurück und noch mehr Tränen rannen ihm übers Gesicht, „Ich weiß es nicht…,“ Ich schloss die Augen. 18 Monate. 1 Jahr, 6 Monate, 2 Wochen und 2 Tage. In dieser Zeit war er bestimmt um die 160 Mal feiern gewesen. 90 Mal davon ohne mich. 90 Männer. Vielleicht nur 60. Vielleicht auch nur 40, 20 oder 10. Und trotzdem. Trotzdem. Mir wurde schwindelig. Ich musste mich gegen die Wand lehnen, um nicht umzufallen. Wie durch Watte drang Florians Stimme an meine Ohren. „Sie waren mir egal, Jonas… Ich schwöre dir, sie waren mir ganz egal! Es war nur Sex, nicht mehr. Du bist der, den ich will. Du bist mein Fels in der Brandung. Bei dir fühle ich mich sicher, bei dir kann ich so sein, wie ich bin. Ich wollte danach immer zu dir zurückkehren. Keiner von denen konnte es mit dir aufnehmen. Es tut mir so leid…,“ Der Zorn verschwand aus meinen Gliedern. Mit einem Mal wurde ich von einer solchen Mattigkeit überspült, dass ich beinahe auf den Boden sank. Mit einem Mal tat es einfach nur noch weh. „Bitte verzeih mir…,“ fuhr Florian belegt und flehentlich fort, „Bitte… Ich schwöre dir, dass ich das nie, nie, nie wieder tun werde. Niemals wieder. Gib mir bitte noch eine Chance…,“ Aber ich schüttelte den Kopf. „Nein…,“ raunte ich, „Nein, Florian. Das war’s. Es ist aus. Endgültig.“ Ich schluckte und bewegte mich von der Wand weg. Ich musste raus. Ich sah Florian nicht an, nahm nur aus den Augenwinkeln wahr, dass sein Gesicht bleich und fleckig, seine Augen gerötet und weit aufgerissen waren. Er hielt mich nicht zurück, schien völlig erstarrt zu sein, als ich mich wie in Trance zum Gehen wand, und mich den endlos langen Flur entlang schleppte, bis zur Wohnungstür. „Mach’s gut…,“ sagte ich noch, dann öffnete ich dir Tür, ging hindurch und ließ sie hinter mir ins Schloss fallen. Kapitel 4: Lichtgeschwindigkeit ------------------------------- Hallohooo :)! Tut mir Leid, dass es heute so lange gedauert hat, aber hier ist es - das 4. und vorletzte Kapitel von Teilchenbeschleuniger! Ich hoffe, es gefällt Euch und Jonas' Gefühlsanwandlungen sind nachvollziehbar und so. Und entschuldigt den Cliffhanger ;) P.S. Dieses Kapitel widme ich , weil sie es noch vor meiner Ens gefunden hat^^ y ={21x + ¼Z} - ℮ ≤ 56c + 44% ≠ 0 ≥ ½ Ω ≈ ¾ E = mx + √6β - 4² + α = ∞ Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie ich die Treppen hinunter kam. Plötzlich stand ich im Freien, die Sonne strahlte auf mich hinunter und blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu atmen. Der Gurt meiner Ledertasche schnitt mir in die Schulter und in meinem Kopf drehte es sich. Den Zettel hielt ich immer noch in der Hand. Den Zettel, der alles ausgelöst hatte, der mich mit aller Gewalt daran erinnerte, dass ich nun wieder solo war. Nach 18 Monaten Beziehung. Einer Beziehung, die sich von Anfang bis Ende als Lug und Trug herausgestellt hatte. Trocken schluchzte ich auf und schmiss den Zettel mit einer heftigen Bewegung zu Boden. Als dies nicht half, trat ich auch noch darauf. „Verdammte Scheiße!“, fluchte ich mit brechender Stimme, „Verdammt…,“ Ich legte mir die Hände über das Gesicht und senkte den Kopf. Und dort stand ich dann und fühlte nur noch den Schmerz, der mich immerzu fragte: Aber wieso? Wieso? Wieso? Wieso, wieso, wieso nur? Irgendwann fand ich die Kraft, mich wieder aufzurichten. Ich hob den inzwischen arg strapazierten Zettel von Fußweg auf und stopfte ihn zurück in die Hosentasche, wollte mich nicht davon trennen. Lethargisch schloss ich mein Rad auf und fuhr los. Fuhr einmal nach links, einmal nach rechts und dann geradeaus. Dann wieder rechts, geradeaus und wieder nach rechts. Als ich anhielt und den Kopf hob, befand ich mir vorm Teilchen & Beschleuniger. Ich wunderte mich nicht darüber, dass ich ausgerechnet hierher gefahren war, stellte einfach mein Rad ab und ging hinein. Drinnen war es inzwischen schon voller. Unsere Stammplätze waren besetzt, weshalb ich mich ganz hinten, direkt neben der Eingangstür in einen Sessel am Fenster fallen ließ. Ich achtete kaum auf meine schnatternde Umwelt, ging auch nicht zur Theke, um mir etwas zu bestellen. Ich saß einfach dort und starrte auf die Straße hinaus. Beobachtete die vorbeiziehenden Menschen, ohne sie wirklich zu sehen. Ich konnte kaum glauben, dass mein Leben vor knapp 1 Stunde noch vollkommen in Ordnung gewesen war. Als ich das letzte Mal hier gesessen hatte, war mein Freund noch mein Freund gewesen und mein einziges Problem hatte darin bestanden, dass ich kommenden Donnerstag eine heftige Klausur bestehen musste. Und nun hatte sich auf einen Schlag alles verändert. Sterbenselend erinnerte ich mich an Florian und mich. An unsere 1. Begegnung hier im Teilchen & Beschleuniger, als Imke ihre kleine Schwester und deren 2 neue Studienfreunde das 1. Mal zum Frühstück mitbrachte. An die Wochen des Kennenlernens und an unser 1. Date im Dezember letztes Jahres. Wie wir durch die Geschäfte gezogen sind, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Meine wachsenden Gefühle, mein wildes Herzklopfen, die Schmetterlinge im Bauch und all das gemeinsame Gelächter. Und dann Silvester. Bescheuerte Party, unsere Enttäuschung. Um halb 3 waren wir alle schon auf dem Nachhauseweg. Ziemlich besoffen übrigens. Ich wollte Florian noch nach Hause bringen, aber vor der Haustür: Kommst du noch mit hoch? Wir könnten zusammen noch etwas weiterfeiern. Nein sagen? Unmöglich. Rotwein, Reden, Musik, stümperhaftes Bleigießen mit Wachs. Wir lachten uns scheckig. Florian? Ja? Ich muss dir da was sagen. Ich sagte ihm, was ich für ihn fühlte. Und er sagte mir, dass es ihm genauso ging. Wir lallten nicht schlecht. Unser 1. Kuss fiel ziemlich unkoordiniert aus, was uns wieder zum Lachen brachte. Er zog mich an sich. Jonas? Ja? Ich würd ja echt gern mit dir schlafen, aber ich bin vermutlich viel zu blau, um noch einen hochzukriegen. Ich befürchte, bei mir ist es das gleiche. Wir lachten und lachten und dann wankte er ins Bad, um sich zu übergeben. Später, als wir schon offiziell zusammen waren, hat er diese Geschichte immer auf eine sehr witzige und dramatische Weise erzählt: Also, wir waren dann bei mir und haben Wein getrunken und rumgealbert und so. Und wir waren echt gut dabei. Und dann sagt er mir plötzlich, dass er in mich verknallt ist. Und ich denke: OMG, wie geil ist das denn? Ich war so glücklich, das könnt ihr euch nicht vorstellen! Und ich sage ihm, dass ich auch in ihn verknallt bin und wir küssen uns und alles ist voll romantisch und so. Und dann…, er deeehhhnt seine Worte und alle Zuhörer beugen sich vor, um die Pointe ja nicht zu verpassen, …wird mir schlecht und ich renne aufs Klo und kotze. Und dann haben alle gelacht und Florian hat mich angesehen und gestrahlt. Und ich hab zurück gelächelt und wir haben uns an Neujahr erinnert, wo wir beide den größten Teil des Tages fürchterlich verkatert nebeneinander gelegen und gepennt haben. Ohhh, wie peinlich, das ist so peinlich, tut mir sooo Leid, wie peinlich. Nein, nein. Das muss dir nicht peinlich sein. Das macht mir gar nix aus. Versprochen? Versprochen. Erst am 4. Januar klärten wir, was zwischen uns vorgefallen war, nachdem wir mehrere Tage lang verlegen umeinander herum getänzelt waren. Ich tauchte abends einfach unangemeldet bei ihm auf und sagte ihm, dass ich es Silvester ernst gemeint hatte und gerne mit ihm zusammen wäre. Und er sagte wieder, dass es ihm genauso ginge. Unser 2. Kuss war um Welten besser als der 1. Ich machte Nudelauflauf für uns und wir kuschelten uns auf sein Bett, um zu essen und den Tatort zu sehen. Aber wir hielten es nicht lange aus. Diesmal waren wir nicht betrunken und bekamen deshalb auch beide mit Leichtigkeit einen hoch. Und nun war es aus. Florians und meine Geschichte war vorbei und das Ende war genauso dramatisch wie der Anfang. Allerdings viel weniger witzig. Er hatte mich betrogen. Ich konnte es noch immer nicht glauben. Aber es war die Wahrheit. Immer wieder hatte er mich betrogen und damit alles, was wir beide hatten, in den Dreck gezogen. Nun war es nichts mehr wert. Eine einzige große Lüge war zurück geblieben. Und ich war zurück geblieben. „Ähm, hey. Entschuldige, aber…ist alles okay? Dürfte ich mich vielleicht…zu dir setzen?“ Es war der Kellner. Der brünette Kellner, der uns an diesem Vormittag schon bedient und mir den Cappuccino ausgegeben hatte. Er stand vor meinem Tisch und musterte mich besorgt. Ich starrte ihn an, dann fiel mir wieder ein, wie man sich bewegte. Ich atmete ein, setzte mich etwas aufrechte hin und strich mir über die Stirn. „Tut mir leid, ich war…in Gedanken…,“ sagte ich matt und wies auf den Sessel mir gegenüber, „Bitte…,“ Er lächelte ein wenig und nahm Platz. Über die verzierte Tischplatte hinweg sah er mich unverwandt an. „Du siehst traurig aus,“ stellte er fest, „Ist…etwas passiert?“ Ich hob den Kopf und warf ihm einen Blick zu. Ich wusste nicht, ob ich schon in Stimmung war, darüber zu reden. Noch dazu mit einem Fremden. Doch mit meinen Freunden wollte ich im Moment noch viel weniger reden. Er schien meine Gedanken zu lesen. „Manchmal…tut es gut, mit einem Unbeteiligten zu sprechen. Natürlich nur, wenn du willst.“ Ich verzog die Mundwinkel. „Richtig…,“ Dann leckte ich mir über die Lippen, räusperte mich und machte ein Geräusch, das wie ein Lachen klang, aber meilenweit davon entfernt war. „Tja, ich…ich hab grad mit meinem Freund Schluss gemacht.“ Er zog die Augenbrauen hoch und öffnete den Mund. „Wirklich? Mit…dem Blonden? Wie heißt er…? Florian?“ Ich nickte und schniefte. „Ja. Genau mit dem.“ „Aber…warum? Heute Morgen wart ihr doch noch so…,“ „Ich weiß.“ Wir schwiegen. Dann fällte ich offenbar eine Entscheidung, denn meine Hand wanderte in die Hosentasche und zog den arg lädierten Zettel heraus. „Das habe ich am Anfang der Vorlesung heute in meinem Federmäppchen gefunden.“ Ich zögerte, doch dann reichte ich die Nachricht schweigend weiter. Der Kellner starrte auf den Zettel und als er mich wieder anschaute, wirkte er betroffen. „D…,“ machte er und schluckte, „Ist das… Ich meine, hast du deshalb…?“ Ich senkte den Blick und nickte erneut. „Ich bin zu ihm gefahren und hab ihn direkt gefragt,“ erzählte ich möglichst teilnahmslos, „Da hat er’s zugegeben. Wir haben gestritten. Oder eigentlich habe nur ich gestritten. Er hat geweint, ich habe gebrüllt. Und dann bin ich gegangen.“ Der Kellner schwieg. Mit der Zunge fuhr ich mir über die Lippen. Ich öffnete abermals den Mund. Und schloss ihn wieder. Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid…,“ murmelte ich und beließ es dabei. Doch er nickte nur. Und lächelte zaghaft. „Ich versteh schon,“ er räusperte sich, „Hast du eine Ahnung, wer…das getan haben könnte? Ich meine, den…den Zettel…,“ Frustriert schüttelte ich den Kopf. „Eigentlich hätten nur meine Freunde an meine Tasche kommen können. Oder vielleicht jemand, der in der Nähe war, als ich auf Toilette…,“ Ich verstummte, als mir plötzlich einfiel, was die anderen immer über Pascal sagten. Dass er auf mich stand. Das wäre ein Motiv. Aber…das war Blödsinn! Pascal kannte Florian überhaupt nicht. Und ob er sich überhaupt in der Szene bewegte, wusste ich auch nicht. Andererseits… „Nein, ich weiß es nicht. Aber irgendwie ist es mir gerade auch ziemlich egal. Die Tatsache, dass es wahr ist, dass Florian…,“ Ich schwieg bekümmert, erwiderte den aufmerksamen Blick des Kellners und holte schließlich tief und hastig Luft. „Es ist nur, dass ich es einfach nicht glauben kann,“ sprudelte es dann aus mir heraus, „Ich kann es einfach nicht glauben! Es kommt mir alles so unwirklich vor. Ich meine, ich habe absolut nix geahnt… Absolut nix. Und jetzt… Jetzt komme ich mir so dumm vor…,“ Ich machte eine Pause, um die Erschütterung aus meiner Stimme zu räuspern. „Meine Freunde…haben versucht, es mir zu sagen. 100mal. Aber ich habe ihnen nicht zugehört. Nie. Deshalb haben sie’s irgendwann aufgegeben. Ich habe sie beschimpft und…jetzt… Sie…hatten die ganze Zeit Recht. Ich war so blöd, ich…hab ihm von ganzem Herzen vertraut. Gott, ich hätte die Hand für ihn ins Feuer gelegt. Ich…bin so ein Vollidiot.“ Düster starrte ich auf die Tischplatte. „Du bist kein Vollidiot,“ erwiderte der Kellner dann leise, „Du…bist verliebt.“ Ich schnaubte angeekelt. „Du meinst, von wegen Liebe macht blind? Pff… Ich dachte immer, das bezieht sich darauf, dass man sich auch in Leute verlieben kann, die krumme Zähne oder einen Buckel haben. Ich dachte nicht, dass das heißt, man stellt seinen gesunden Menschenverstand ab. Scheiße, ich hätte es ahnen müssen!“, ich schlug mir die Hände vors Gesicht, „Oh Gott, er wollte nie bei mir schlafen, wenn er feiern ging…!“ Schlagartig drängten sich mir weitere Erinnerungen ins Gedächtnis. Mit einem Ächzen ließ ich mich rücklings in den Sessel fallen. Plötzlich ergab so vieles Sinn! Dieser Knutschfleck an seiner Hüfte vor 4 Monaten, an den ich mich partout nicht erinnern konnte. Seine Unruhe, als ich einmal vormittags ohne Voranmeldung bei ihm vor der Haustür stand und dann 5 Minuten warten sollte. Dieser eine Kerl, den wir in der Stadt getroffen haben und der mich die ganze Zeit so blöde angrinste. Die Häufigkeit, mit der er neue Kondome brauchte. Fassungslos schüttelte ich den Kopf. So viele Zeichen und ich hatte nichts bemerkt. Alle – und wer zum Teufel war eigentlich alle? Amelie und Ricarda? Meine Mitbewohner? Die gesamte Schwulenszene? – hatten Bescheid gewusst, nur ich nicht. Ich hatte ihm vertraut, ihm jede seiner indirekten Lügen geglaubt. Hatte ihn erst heute Morgen noch bekuschelt, verknallt und nichtsahnend. Obwohl er vielleicht nur wenige Stunden zuvor in den Armen eines anderen gelegen hatte. Jonas, du dummer, blinder, naiver Hornochse. Ich hätte heulen können. Hier im Teilchen & Beschleuniger, vor den Augen des Kellners. Weil es so weh tat und ich es nicht verstand und es mich so sehr enttäuschte. Und wie sollte es nun weitergehen? Wie sollte ich bitte nächsten Dienstag wie gehabt mit ihm zusammen frühstücken? Wie würde unser Freundeskreis das verkraften? Würden Yves, Lauritz und Imke mir verzeihen, dass ich sie so beschimpft hatte? Sollte ich Pascal zur Rede stellen? Und wieso hatte Florian das getan? Wieso hatte ich ihm nicht ausgereicht, wenn ich doch, wie er behauptet hatte, derjenige war, mit dem er eigentlich zusammen sein wollte? Ich versteckte mein Gesicht, um hektisch und ungesehen die Feuchtigkeit wegzuwischen, die ich in meinen Augenwinkeln fand. Ich zog die Nase hoch und wünschte mir die kalte Wut zurück, die das Herz schonte. Verlegen blinzelte ich zum Kellner hinüber, der mir noch immer gegenüber saß. Überrascht stellte ich fest, dass er nicht nur mitfühlend, sondern geradezu gequält wirkte. „Was…?“, erkundigte ich mich mit leicht rauer Stimme. Er schluckte. „Es… Es tut mir so leid, dass du so…so schrecklich traurig bist…,“ Ich winkte ab und seufzte und riss mich am Riemen. „Das…muss dir nicht leidtun. Du kannst ja schließlich nix dafür.“ Er räusperte sich. „Doch…,“ hauchte er dann kleinlaut, „Das…kann ich eigentlich schon…,“ Ich hob den Blick und starrte ihn an. „W… Wie bitte…?“ flüsterte ich wie vom Donner gerührt, „Wie… Wie meinst du das…?“ Sein Gesicht verzerrte sich. „I… Ich hab den Zettel in dein Federmäppchen getan.“ Kapitel 5: Bewegungsenergie --------------------------- Und hier ist es schon: das letzte Kapitel von Teilchenbeschnleuniger! Dies ist mein Lieblingskapitel und es ist auch etwas länger geworden als die anderen 4. Ich hoffe, es gefällt Euch und beantwortet Eure Fragen - falls nicht, dann schreibt mir und fragt nach ;) Ach ja, ich möchte dieses Kapitel gern widmen, weil sie mich immer wieder mit ihrer entzückenden Begeisterung glücklich gemacht hat! Ich danke Euch allen für Eure Favos und Eure Kommentare, wir lesen uns hoffentlich bald wieder y ={21x + ¼Z} - ℮ ≤ 56c + 44% ≠ 0 ≥ ½ Ω ≈ ¾ E = mx + √6β - 4² + α = ∞ Mein Unterkiefer sackte mir auf die Brust. „Was?!“ „Bitte sei nicht böse!“, flehte er und fixierte mich verzweifelt über seine aneinander gelegten Handflächen, „Ich meine, ich könnte das verstehen, aber bitte lass mich erklären.“ Ich dachte gar nicht daran. „Du?“, stieß ich entsetzt hervor, ohne auf seine Bitte zu achten, „Du willst mich wohl verarschen?!“ „Nein, es stimmt! Beruhige dich. Okay? Ich erklär’s dir!“ Ich wollte nix hören, ich wollte es nicht wissen. Hinter meiner Stirn fand ein kleiner Weltuntergang statt. Benommen starrte ich den Kellner, diesen jungen Mann vor mir an, den ich das 1. Mal wirklich zu sehen schien. Dieser Junge, den ich kaum kannte, hatte meine 18monatige Beziehung zerstört. Und er gab es einfach zu – sogar ohne direkte Frage, beharrte geradezu darauf. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber da überfiel er mich wieder, der gerechte Zorn. Ich sah rot, sah schwarz, sah alle Farben des Regenbogens. „Ich will’s nicht hören!“, blaffte ich den heuchlerischen Mistkerl an, „Wie zum Teufel kommst du dazu, meine Beziehung kaputt zu machen?! Das geht dich verdammt nochmal überhaupt nix an!“ Köpfe flogen herum und glotzten uns an. Zum 2. Mal an diesem Tag sprang ich wutschnaubend auf die Füße. „Das muss ich mir echt nicht geben! Das war garantiert das letzte Mal, dass ich in diesem Scheißladen war!“ Ich packte meine Tasche, warf dem überrumpelten Kellner einen letzten, zornerfüllten Blick zu und schoss aus meinem Lieblingscafé, dem ich momentan grauenvolle Rachegefühle entgegen brachte. Am liebsten hätte ich es angezündet. Bei meinem Fahrrad angekommen, fisselte ich den Schlüssel aus meiner Tasche und ließ ihn fallen. Ich fluchte und bückte mich, um ihn aufzuheben. Mein Herz trommelte vor Zorn und Verwirrung. Ich konnte es nicht fassen, konnte diesen verfluchten Tag nicht fassen. Das konnte doch alles nicht wahr sein, das war zu viel für mich! Erst die Sache mit Florian und dann auch noch das hier. Und wieso? Wieso? Wieso hatte Florian mich betrogen? Und wieso zerstörte dieser Wicht meine Beziehung? Wieso hatte er das getan? Wieso mischte er sich ein? Wie war er an meine Tasche gekommen und wer war er überhaupt? Was bildete er sich eigentlich ein? Ich rammte den Schlüssel in mein Fahrradschloss und stieg gerade auf, als die Tür zum Teilchen & Beschleuniger mit einem Klingeling aufflog und besagten Wicht auf den Fußweg spuckte. Mit 4 Schritten war er an meinem Fahrrad, ergriff den Lenker und funkelte mich an. „Oh nein!“, fauchte er, bevor ich ihn beleidigen konnte, „Du wirst jetzt nicht einfach abhauen, du hörst dir jetzt verdammt nochmal meine Erklärung an!“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Pah! Du kannst mich mal! Lass gefälligst mein Rad los!“ „Das hättest du wohl gern, so leicht lass ich mich nicht abfertigen! Nicht nach allem, was ich durchgemacht habe!“ „Wie bitte? Durchgemacht?! Lass los oder–,“ „Oder was?! Willst du mich schlagen?“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und Herausforderung. Seine Augen schleuderten Blitze. Ich wollte ihn tatsächlich schlagen, diesen Mistkäfer. Aber ich tat es nicht, natürlich nicht. Ich hatte noch nie irgendjemanden oder irgendetwas geschlagen. Dafür fehlte mir ein gehöriges Maß an Brutalität. Also schnaubte ich nur und wandte grollend den Blick ab. Einige Sekunden lang atmeten wir nur. Am Himmel kreiste eine Schar Vögel, um uns herum schlenderten nichtsahnende Passanten und auf der Straße rauschten die Autos vorbei. „Hör zu…,“ begann er nach einer Weile mit ruhiger Stimme von Neuem, „Ich kann verstehen, dass du wütend bist, ehrlich. Aber bittebitte lass mich erklären. Das bist du mir schuldig.“ „Schuldig?“, knurrte ich. „Ja, allerdings. Schließlich hab ich dir die Wahrheit über deine verkorkste Beziehung gezeigt. Ich habe dich gerettet!“ „Gerettet?!“, höhnte ich voller Abscheu und ein vorbeiflanierendes Mädchen beäugte uns erstaunt, „Das ist allein mein Bier, verstanden?! Du kannst doch nicht einf–,“ „Mein Gott!“, unterbrach er mich hitzig, „Du bist wirklich ein Vollidiot, weißt du das?! Du kannst doch nicht allen Ernstes darüber enttäuscht sein, dass du jetzt endlich die Wahrheit kennst. Dein Freund hat dich betrogen! Ständig!“ Ich schnappte nach Luft. „Danke, dass du’s mir nochmal unter die Nase reibst, ich hatte es fast vergessen! Ja, ich kenne jetzt die Wahrheit. Toll, soll ich mich jetzt freuen? Dir dafür danken, dass du’s mir gezeigt hast? Du hattest kein Recht dazu, verdammt! Ich hätte es selbst rausfinden müssen!“ „Aber das hättest du nicht! Du hättest es nicht rausgefunden. Du hast es mir selbst gesagt: Deine Freunde haben dich 100mal darauf hingewiesen, aber du wolltest nicht zuhören. Sie haben aufgegeben, dich überzeugen zu wollen, weil du es einfach nicht wissen wolltest. Du hast nix geahnt und du hättest auch nie was geahnt. Du weißt, dass es stimmt.“ Das wusste ich in der Tat. Ich wusste es und das tat weh. Dummer, blinder, naiver Hornochse. Dort stand ich über meinem Fahrrad, die Hände am Lenker, gezeichnet als Vollidiot, und beschimpfte jemanden, der eigentlich gar nichts dafür konnte. Jemanden, der mir – objektiv gesehen – geholfen hatte. Doch noch konnte ich mich nicht freuen. Noch konnte ich nicht dankbar sein. Die Wunde war noch zu frisch. Erneut verschwand der Zorn so schnell wie er gekommen war. Kraftlos und bekümmert sackte ich auf meinem Fahrradsattel zusammen. Senkte den Kopf und schloss die Augen. Mein Florian hatte mich betrogen. Die ganze Zeit. Und ich hatte nichts bemerkt. „Tut mir Leid…,“ flüsterte ich, „…dass ich dich angebrüllt habe…,“ „Ist schon okay…,“ antwortete der Kellner leise, „Ich hätte mich an deiner Stelle auch angebrüllt. Lass uns wieder reingehen, ja? Ich mach dir noch nen Kaffee gratis und dann erklär ich dir alles. Alles, alles, alles. In Ordnung?“ Ich nickte. Langsam und träge wie eine Schildkröte stieg ich vom Fahrrad, schloss es wieder ab und folgte dem Kellner ins Teilchen & Beschleuniger. Ich ließ mich zurück in den Sessel plumpsen und trauerte still vor mich hin, während er mir einen Cappuccino machte. Nachdem er zurück war und erneut gegenüber Platz genommen hatte, betrachteten wir einander schweigend. Das 1. Mal fiel mir mehr an ihm auf, als sein dunkelbraunes Haar. Nun bemerkte ich, dass er hellblaue Augen hatte, ein rundes Gesicht, eine Stupsnase und einen kleinen, niedlich geschwungenen Mund, schwarze Augenbrauen, ein Grübchen im Kinn. Mir wurde klar, dass ich ihn das 1. Mal tatsächlich bemerkte. Ich hatte nie wirklich auf ihn geachtet. Obwohl ich nun schon fast 3 Jahre lang ins Teilchen & Beschleuniger kam. Ich hatte immer nur Augen für Florian gehabt. Er war lediglich »der Kellner« gewesen. Er lächelte unter meinem forschenden Blick und schlug die Augen nieder. „Starr mich bitte nicht so an…,“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Auf einmal so verlegen?“, spottete ich mit einem neuerlichen Anflug von Missmut, „Wolltest du mir nicht alles erklären?“ Er nickte und musterte seine Hände. „Ja, ich…ich weiß nur nicht genau, wo ich anfangen soll…,“ „Wie wäre es mit dem Grund für alles?“, fragte ich angesäuert und schüttete energisch Zucker auf die Milchschaumhaube meines 2., unbezahlten Cappuccino dieses Tages, „Der Grund, wieso du es für nötig hieltst, dich in meine Beziehung einzumischen. Betrug hin oder her.“ Als er nicht gleich antwortete, hob ich den Blick und stellte fest, dass er meinen ungesund hohen Zuckerkonsum belächelte. Allerdings nicht verächtlich, sondern eher…? „Der Grund sollte dir inzwischen völlig klar sein…,“ sagte er sachte. Ich blinzelte. „Äh… Nein. Nein, der ist mir nicht klar, fürchte ich.“ Er grinste schief. „Entschuldige. Ich hatte vergessen, dass du blind und blöd bist.“ „Haha. Jetzt sag schon.“ Er seufzte. „Es ist wirklich ganz einfach,“ erklärte er nüchtern, „Ich bin in dich verliebt.“ Tja. Das erklärte tatsächlich alles. Trotzdem erwischte er mich kalt. Vollkommen überrascht riss ich Augen und Mund auf. Ich war absolut sprachlos. Das war endgültig zu viel für mich. Mein Kopf schaltete ein paar Sekunden in den Leerlauf, bis ich meinen Körper wieder spüren konnte und mein Herz aufgehört hatte, SOS zu morsen. „Was?!“, machte ich erneut, „W… I… D…Das kann unmöglich dein Ernst sein…!“ „Doch,“ erwiderte er ruhig, als würden wir über das Wetter sprechen, „Das ist sogar mein voller Ernst.“ Ich verstand nur Bahnhof. In meinem Hirn ging alles durcheinander: Wie? Was? Wo? Verliebt? Bitte?! Ich beäugte ihn wie etwas, das sich spontan aus der Luft vor mir materialisiert hatte. Ich versuchte zu sprechen und brauchte ungefähr 9 Anläufe. „D… A… Aber… Aber du…du kennst mich doch gar nicht…,“ Er grinste. Das machte mich verrückt. Aber was er dann sagte, war der Gipfel. „Dein Name ist Jonas Warbende. Du bist am 16. Juni 24 geworden. Du studierst im 6. Semester Mathe und Physik auf Lehramt. Eigentlich wolltest du kein Lehrer werden, aber dann hast du ein paar Tutorien geleitet und festgestellt, wie viel Spaß dir das Unterrichten macht. Du wohnst seit Studienbeginn in einer 3er-WG, in der du dich sehr wohl fühlst, obwohl es andauernd chaotisch ist. Du benutzt Number One von Hugo Boss. Deine Schuhgröße ist 45/46. Du nimmst immer einen Haufen Zucker in deinen Kaffee. Deine liebste fritz-kola ist Apfel-Kirsch-Holunder, dein Lieblingsbagel ist Henrikas Bagel. Du bist gegen Fisch allergisch, weswegen du nur den Bagel mit Lachs nie ausprobiert hast.“ Er holte Luft und ich schloss währenddessen meinen offenen Mund, nur um ihn einen Moment später wieder aufzuklappen. „Deine Eltern haben sich scheiden lassen als du 8 warst. Erst hast du bei deinem Vater gelebt, bist mit 15 aber zu deiner Mutter gezogen, weil dein Vater ein Problem mit deiner Homosexualität hat. Deshalb hast du zu ihm auch nur noch wenig Kontakt, was du traurig findest. Du bist Einzelkind, obwohl du dir immer kleine Geschwister gewünscht hast. Du hattest in deinem Leben nur ein einziges Haustier, ein Meerschweinchen namens Polly Pocket. Du lachst nicht über frauenfeindliche Witze, deine Lieblingsfarbe ist blau. Du magst The Killers, Kings of Leon und 30 Seconds to Mars. Aber wenn du dich unbeobachtet fühlst, dann summst du manchmal Schlager.“ Er lächelte unschuldig. „Soll ich weitermachen?“ Das war wohl eine rhetorische Frage, denn er lehnte sich zurück und schien keine Antwort zu erwarten. Er hätte auch keine bekommen, da ich für mehrere Augenblicke das Bewusstsein verloren hatte. Als ich wieder zu mir kam, war mir schwindelig vor Empörung. „Sag mal, hast du sie noch alle?!“, schnappte ich, „Hast du mir etwa nachspioniert?“ Er nickte ergeben und vielleicht auch ein bisschen zerknirscht. „Ja. Schon. Jeden Tag hab ich dein Profil bei Facebook angesehen. Dienstags und donnerstags hab ich die Gespräche mit deinen Freunden belauscht. Ich hab jedes Details deines Lebens, an das ich heran kommen konnte, gespeichert.“ „Oh Gott…,“ ich war entgeistert, „Ich… Ich hab einen Stalker…,“ Er lachte schuldbewusst und steckte sich ein paar Finger in den Mund. „Aber ich verspreche dir, ich bin harmlos. Nicht so, wie die Irren im Fernsehen. Ich würde dir nie Säure ins Gesicht schütten oder dich entführen und einkerkern oder so.“ „Das wäre ja auch noch schöner!“ „Ich weiß noch mehr über dich. Willst du’s wissen?“ „Nein.“ Erschöpft und überfordert massierte ich meine Schläfen und versuchte zu denken: Ich hatte vorhin mit meinem Freund Schluss gemacht, weil er mich betrogen hatte. Soeben hatte ich erfahren, dass ich einen Stalker hatte, der über kurz und lang für meine Trennung verantwortlich war. Ich brauchte dringend eine Pause. Also nahm ich einen Schluck Kaffee. „Sag es mir.“ „Was?“ „Was du noch über mich weißt.“ Er lächelte weich. „In einer Beziehung geht dir Treue und Vertrauen über alles. Wenn du liebst, dann liebst du ohne Vorbehalte. Du würdest deinen Freund nie belügen oder betrügen. Du würdest ihn nie grundlos verdächtigen, lieber legst du dich mit deinen Freunden oder wahlweise der ganzen Welt an. Du…bist der netteste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Und ich habe mich fast sofort nach unserer 1. Begegnung in dich verliebt.“ Ich schloss die Augen. Nervenkollaps. „Oh mein Gott…,“ „Tut mir Leid. Also, dass das jetzt alles auf einmal kommt. Ich hatte mir unsere Aussprache auch anders vorgestellt. Aber…,“ er seufzte und strahlte mich so hell an, dass es mich beinahe blendete, „…du hast keine Ahnung, wie wundervoll ich es finde, dir endlich einmal so gegenüber zu sitzen und direkt mit dir zu sprechen. Nicht nur Smalltalk zwischen Kellner und Gast. Sondern…so richtig. Ich hab so lange von diesem Tag geträumt.“ Ich konnte es nicht glauben. Diese Situation, dieser Junge, diese Art, mit der er über mich sprach und mit der er mich ansah. All den privaten Kram, den er über mich wusste. Das war alles so schräg, so unmöglich. Und er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Das…fand ich unheimlich und beängstigend. Und trotzdem. Nach all den Heimlichkeiten, all den Lügen, erfrischte mich seine Ehrlichkeit wie ein Sommersturm. Ich blickte ihn an, meinen Stalker. Er beobachtete mich und wirkte atemlos, aber glücklich. Atemlos glücklich. Nicht zu fassen. Ich brauchte mehr Kaffee. „Erzähl es mir.“ „Was?“ „Alles. Wann, wo, wie und wieso. Erzähl mir von heute. Und von unserer 1. Begegnung. Und von allem, was dazwischen kam.“ Er lächelte und nickte, holte tief Luft und begann. „Also…,“ Unsere 1. Begegnung war am 8. Oktober, vor nun mehr 2 ½ Jahren. Ich trug einen blauen Pullover und lächelte breit, als ich bestellte. Ich gab ihm 90 Cent Trinkgeld. Er erzählte mir von zahllosen Tagen, die vorbei zogen. Von Herzrasen und weichen Knien, von zitternden Händen, alberner Aufregung, versauten Bagels. Von den verzweifelten Versuchen, etwas Kluges und Witziges zu sagen. Von dem fehlenden Mut, mich anzusprechen. Auftritt Florian. Entsetzen, zerstörte Träume, Eifersucht und Wut. Der 17. März. Die Navigation-Party im GoGo. Florian knutscht auf der Tanzfläche mit einem anderen Kerl. Sind sie wieder auseinander? Oh, bittebitte, mach, dass sie wieder auseinander sind. Die Toilette, Gewissheit muss her: Sag mal, seid du und Jonas wieder auseinander? Nö, wieso? Weil du da mit nem anderen rummachst. Florian erkennt sofort, was Sache ist. Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Scheiß. Und wage es ja nicht, mich bei ihm anzuschwärzen. Sonst reiß ich dir den Arsch auf, hast du kapiert?! Halte dich von Jonas fern! Mein Stalker machte eine kurze Erzählpause und ich schluckte trocken. Ich konnte es richtig vor mir sehen. Wie Florian in der versifften Toilette vom GoGo auf ihn zuging, mit funkensprühendem Blick. Wie er sich vor ihm aufbaute und ihm drohte. Mein…Ex-Freund konnte sehr bissig werden, wenn er wollte. Und, Scheiße, der andere Kerl. Nicht der einzige, nicht der 1. und nicht der letzte. Mein Gott, was war ich nur für ein Trottel gewesen. Er fuhr fort. Und ließ die vergangenen Monate aus einem anderen Blickwinkel vor meinem inneren Auge wieder auferstehen. Böse und traurig. Kein Mut für reinen Wein. Kein Rückgrat. Immer wieder andere Männer an Florians Seite. Komm schon, es ist doch so offensichtlich! Bemerk es endlich, bitte, bemerk es endlich! Doch Jonas, der dumme, blinde, naive Hornochse, schwebt auf Wolke 7 und schöpft nicht den geringsten Verdacht. Ich werde ihn vergessen, ich werde ihn vergessen, ich werde ihn vergessen! Ablenkung muss her. Es gibt doch so viele andere Männer, such dir einfach einen aus. Aber dann… Dein Gesicht, mein Gesicht. Immer wieder, unauslöschbar. Keine Chance. Freunde schütteln den Kopf, tun ihr Bestes, doch nichts funktioniert. Fast 3 Jahre lang. 2 Jahre, 9 Monate, 1 Woche und 5 Tage, um genau zu sein. Mein Stalker fauchte und es klang wie ein trauriges, in die Enge getriebenes Kätzchen. „Ich war am Ende. Ich war sooo wütend. Auf mich und dich und – oh Gott! – auf ihn. Da hatte er den besten Mann der Welt und betrog ihn mit irgendwelchen Typen, die selbst für ihn bedeutungslos waren. 1 Jahr, 4 Monate und 3 Tage hab ich nichts unternommen. Aber heute…hatte ich genug. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten. Wie er sich an dich gedrückt und dich vollgesülzt hat. Wie er mich angesehen hat, nachdem er erfahren hatte, dass ich dir den Cappuccino ausgegeben habe. Wie er dich abgeknutscht und mir dabei diese Blicke zugeworfen hat. Diese Blicke, die sagten: Schau her, Kellner. Er gehört mir und du hast keine Chance. Obwohl er doch derjenige war, der dich die ganze Zeit verarscht hat. Da hab ich es nicht mehr ausgehalten.“ Er seufzte schwer. „Also bin ich euch nachgefahren, nachdem ihr gegangen seid. Als du und deine Freundin Imke kurz weg wart, bin ich zu deiner Tasche hin. Yves und Lauritz standen mit dem Rücken zu mir und waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich absolut nicht bemerkt haben. Ich hab dein Federmäppchen raus geholt und den Zettel hinein getan. Dann bin ich wieder her gefahren.“ Er verfiel in Schweigen. Wir schauten einander an. In meinem leeren, stillen Kopf rollten ein paar Steppenhexen vorbei. Sogar die Namen meiner 3 engsten Freunde kannte er. Meinen Cappuccino hatte ich inzwischen ausgetrunken. Nur am Boden der Tasse leckte noch eine kleine, braune Pfütze. Und an den Rändern klebte getrockneter Milchschaum. „Boah…,“ machte ich irgendwann tonlos. Mein Kellner lächelte. „Tja. Jetzt weißt du alles.“ „Eher nicht. Ich weiß noch nicht mal deinen Namen.“ „Oh…,“ er errötete tatsächlich etwas, „Ich heiße Emilio.“ Entzückt über den sanften Rotschimmer auf seinen Wangen lächelte ich zurück. „Was für ein schöner Name.“ „Danke…,“ „Jonas?“ „Emilio?“ „Es gibt da noch was, was ich dir sagen muss.“ „Noch was? Ich glaub, mir platzt gleich der Schädel.“ „Ich bin verliebt in dich.“ Ich spürte, wie es mir Hitze ins Gesicht pustete. „N… Nein, so geht das nicht!“, protestierte ich verlegen, „Du kannst mir das nicht so einfach sagen. Du musst mich fragen, ob wir mal zusammen was machen wollen oder so.“ Er lachte belustigt. „Okay. Wollen wir mal was machen?“ „Nein! Ich… Ich bin doch noch keine 2 Stunden solo. Und ich…ich kenne dich noch längst nicht genug.“ „Das können wir doch ändern! Ich beantworte dir jede Frage, die du über mich hast. Auch die peinlichen. Du… Du könntest mir über Facebook schreiben und dann…können…wir uns einfach mal treffen und…dann lernst du mich kennen. Und wenn du dann feststellst, dass du mich doof findest, dann ist das okay. Denn dann liegt es an mir und nicht an jemandem, der…zwischen uns…steht…,“ Er verstummte und lief noch rosaroter an. Da fiel mir plötzlich auf, wie hübsch er eigentlich war. Dabei war ich noch keine 2 Stunden solo. Jonas, du ungezogener Bengel. „In Ordnung,“ antwortete ich und nickte, „In Ordnung.“ Der Rest ist Geschichte. Die Kurzform lautet so: Ich fuhr nach Hause und stellte fest, dass Yves, Imke und Lauritz mein lautloses Handy und meine verdatterte WG terrorisiert hatten. Jonas, wo bist du? Jetzt geh endlich ran! Oder schreib! Gehts dir gut? Ricky und Amelie sagen, dass du mit Florian Schluss gemacht hast und der jetzt Rotz und Wasser heult! Ist das wahr?! RUF AN! Ich rief sie an, sie fielen in mein Zimmer ein und wollten alles wissen. Alles, alles, alles. Ich erzählte es ihnen. Der Kellner? Nicht dein Ernst! Imke stalkte Emilio bei Facebook. Uhuhu, der ist aber süß! Wirst du ihm schreiben? Ich schrieb ihm. Und wenn ich jetzt, in diesem Moment, den Kopf drehe, kann ich ihn sehen. 7 Monate sind vergangen. Draußen ist kalter Winter. Hier drin nicht. Emilio sitzt ganz nah neben mir, auf seinem Bett, und zeichnet mich. Das macht er ständig. Meistens bin ich nackt auf seinen Bildern. Auch wenn ich eigentlich angezogen bin. Mein Laptop liegt auf meinen Knien. Im Hintergrund singt Cat Stevens. Und meine Tastatur klappert leise, während ich tippe. „Na? Bist du jetzt bald fertig?“ „So gut wie. Ich brauche nur noch einen zündenden Titel.“ „Nenn es Teilchenbeschleuniger.“ „Wieso ausgerechnet so?“ „Na, weil dort alles angefangen hat. Und weil ich die Teilchen mit meinem Zettel beschleunigt habe.“ „Aha. Du hältst dich wohl für den Protagonisten der Geschichte?“ „Klar. Ich bin der Held.“ Was soll ich dazu noch sagen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)