Swan von CassyK ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Ihre Schritte waren nicht so gedämpft, wie sie gehofft hatte. Wie keine Andere kannte sie sich in diesem Wald aus, doch heute, wo sie unentdeckt bleiben musste, schienen die Laubblätter geräuschvoller als sonst unter ihren zierlichen Füßen zu knistern. Bis jetzt boten die dichten Bäume ihr Schutz in der Dunkelheit. Trotz all dem kam sie der Lichtung, in der sie leichte Beute für die Sucher sein würde, immer näher. Ein lautes Knacken direkt über ihren Kopf ließ sie aufhorchen, doch war es lediglich ein Vogel, der seine Flügel ausbreitete und in der Nacht verschwand. Verängstigt verharrte sie einen Moment lang in ihrer Position und schaute in den Himmel. Schließlich ging sie vorsichtig in die Hocke, um sich so klein wie möglich zu machen. „Kommen Sie! Wir müssen die Lichtung erreichen! Sie dürfen jetzt nicht aufgeben!“, flehte eine zittrige Stimme aus dem Halbdunkel. An ihrer Seite erschien ein Geschöpf, das einem Hasen beträchtlich ähnelte, jedoch war es so groß wie ein Kind und lief auf seinen Hinterläufen. Obwohl seine Worte nur geflüstert waren, schwebte in ihnen eine Spur von unbeschreiblicher Dringlichkeit. Zum Schutz vor dem eisigen Regen und um sein weißes Fell zu verbergen trug der Hase, genau wie sie, einen dunklen, abgenutzten Mantel. Seine großen, weißen, vom Niederschlag durchnässten Ohren, lugten viel zu auffällig unter der dunklen Kapuze hervor. „Ich kann nicht mehr.", keuchte die junge Frau und drückte das Bündel, welches sie unter ihrem Mantel versteckt hielt, ganz fest an ihre schützende Brust. Das Tier verlagerte sein Gewicht von einer Pfote auf die andere, duckte sich und legte verängstigt die Ohren an. Als die Bäume über ihnen zu rascheln begannen, schnellte sein Blick in die Höhe, aber es war zu dunkel, um etwas Genaues zwischen den dicht bewachsenen Ästen zu erkennen, die gespenstisch im Takt des kalten Windes tanzten. Die Frau zog ihre zitternden Arme unter dem Mantel hervor. Ihr Blick ruhte einige Sekunden auf dem winzigen Kind, das schlafend in ein blutverschmiertes Tuch eingewickelt lag. Die Regentropfen, weckten es unsanft auf und zum ersten Mal erblickten seine großen, grauen Augen das Licht der Welt. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, doch die kleine Freude war nicht von Dauer. Tief in ihrem Inneren wussten sowohl der Hase als auch sie, dass es kein Entkommen gab. Die Sucher hatten schon ein Dutzend Verbrecher ausfindig gemacht. Geschöpfe, die im Fliehen viel mehr Erfahrung besaßen als sie. Ihr Gesicht verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse, als der Regen das dreckige Blut von ihrem verwundeten Arm wusch und somit gab es die klaffende Wunde frei, die sich fast über ihren ganzen Unterarm erstreckte. „Das sieht nicht gut aus“ „Ich weiß“, flüsterte sie und schaute nach oben. Ihr heißer Atem bildete Wolken an der kalten Luft. Die Umrisse der Bäume wurden immer unklarer, bis sie endgültig vor ihren Augen verschwammen. Kalte Regentropfen kühlten ihre fiebrige Haut, die wie frisch gefallener Schnee unter dem Mantel schimmerte. „Hör mir zu.“ Sie legte das Kind vorsichtig vor ihren Füßen auf den Boden. Entschlossen nahm sie die Schnauze des Tieres zwischen ihre Hände und schaute ihm direkt in die Augen, die wie zwei schwarze Perlen glänzten. „Ich bin zu langsam, du musst allein zu der grauen Weide gelangen“, sagte sie behutsam und für einen Moment lang flimmerten ihre verängstigten Augen hoffnungsvoll auf. Eine ihrer feuchten Hände glitt schnell in die trockene Manteltasche und zog eine goldene Taschenuhr hervor, die sie dem Kind in das Bündel steckte. „Nein, meine Lady! Das dürfen Sie nicht tun! Es ist meine Pflicht bei Ihnen zu bleiben. Ich habe es bei meinem Leben geschworen!“, sagte er panisch und sein Fuß begann nervös auf den Boden zu klopfen, als er begriff, was die junge Frau vorhatte. Sie packte ihn fester, dabei vergrub sie ihre Nägel tief in den Stoff seines Mantels, um ihn bei klarem Verstand zu halten. „Du musste sie zu ihm bringen! Bitte Cornelius!“, flehte sie und nahm das Kind wieder in ihre schützenden Arme. Sie schmiegte es kurz an sich, bevor sie es dem Hasen entgegenstreckte. „Seid vorsichtig.“, erwiderte er ohne weiteres Zögern und nahm die Größte aller Verantwortungen an sich, die ihm je zuteil wurde. Die Bäume rauschten an ihr vorbei, während sie immer weiter auf die Lichtung zu sprintete. Die schrecklichen Laute und die hektischen Flügelschläge über ihr kündigten die Sucher an, die wie Aasgeier über ihren Kopf hinweg flogen und nur darauf warteten, dass sie einen Fehler beging. Ein falscher Schritt und sie würde in ihre Falle tappen, hinfallen, aufgeben und schließlich sterben. Es war sinnlos weiter zu fliehen, doch sie musste den Beiden einen Vorsprung verschaffen. Nur so hatten sie eine reelle Chance zu entkommen. Die blinde Angst und die Hoffnung, dass ihr waghalsiger Plan aufging, trieben sie voran und ließen sie wie unter Strom weiter rennen. Plötzlich hellte sich die schwarze Walddecke über ihrem Kopf auf. Sie hatte die Lichtung erreicht. Der Mondschein brach wie ein Fächer durch die dichte Wolkendecke und brachte Licht über das grauenhafte Szenario. Wie auf Kommando katapultierten die Sucher im Sturzflug auf den Boden zu. Es waren monströse, adlerähnliche Vögel, die mit ohrenbetäubendem Kreischen und mit Reiszähnen bestückten Schnäbeln nach ihrer Beute schnappten und immer, wenn sie daneben trafen, ein Stück matschiger Erde mit sich rissen. Blindlings stolperte sie über den dicht bewachsenen, nassen Boden. Nicht in Richtung Weide, sondern direkt auf den schwarzen Wald zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)