Typografia von Chariot (lebendige Schrift) ================================================================================ Prolog: -------- „Sagen Sie, machen Sie sich über mich lustig, Simon?“, tobte der Mann, der bereits begann zu ergrauen. Es war der 14 September des Jahres 1457 und Johannes Gensfleisch – oftmals auch Gutenberg genannt – hatte erst vor kurzem die Arbeit am astronomischen Kalender fertig gestellt. Nun verdingte sich, indem er Berichte und Geschichten für Andere vervielfältigte. „Verlassen Sie auf der Stelle meine Werkstatt!“ Sofort wandte sich der junge Mann ab und stürmte zur Türe heraus. Er war wahrlich nicht zu beneiden, denn derart harsch hatte Gensfleisch lange nicht mit einem potenziellen Kunden seiner Kunst gesprochen. Doch was er geleistet hatte, seine Erfindung, war wahrlich zu groß, als dass er eine derart lächerliche Kurzgeschichte damit zu drucken gedachte. Wo käme er da hin, wenn jeder selbsternannte Autor kam, um seinen geistigen Unrat duplizieren zu lassen, damit er die Bevölkerung damit überschwemmen und verdummen konnte. Noch einmal nahm er die von Hand beschriebenen Papierseiten zur Hand. „Typografia“, las er den Titel in abfälligem Ton. „Ein unsinniger Name für eine unsinnige Geschichte, voller unsinniger Leute und Geschehnisse.“ Die letzten Worte aus dem Munde des Mannes waren nichts weiter als ein dumpfes Brummen und mit einem Schnauben riss er das ganze Manuskript, das der junge Mann ihm vorgelegt hatte, entzwei. Die beiden Stapel Papierhälften legte er zu einem einzigen zusammen und legte sie grob auf seinen Arbeitstisch, bevor er die Tür der Werkstatt verschloss und hinauf in seine Wohnung ging. Sein Abendmahl hatte er bereits eingenommen und eigentlich hatte er sich schon auf dem Weg ins Bett befunden, als Simon, der Sohn eines langjährigen Freundes, an die Tür gehämmert hatte und ihn um mehrere Kopien seines „Werkes“ bat. Noch immer schüttelte er den Kopf über den Burschen. Er sollte besser etwas Anständiges lernen, statt von einer Karriere als Geschichtenschreiber zu träumen. Mit diesen Gedanken ging Johannes zu Bett, löschte die Kerze auf seinem Nachttisch und zog die Decke bis unter sein Kinn. Kaum schloss er die Augen, fühlte er sich leicht und schwerelos, ganz so wie ein Vogel, der über den Wolken glitt und der Schwerkraft trotzte. Doch genauso schnell wie dieser Zustand begann, so schnell endete er auch wieder. Dumpf kam Johannes auf dem Boden auf und raffte sich murrend in die Höhe. Warum war es so hell? Es musste doch spät in der Nacht sein, warum also stand die Sonne hoch am Himmel? Mühselig erhob er sich von dem steinernen Boden, durch dessen Ritzen bereits vereinzelt Gräser wuchsen. Doch so mühselig war das Hochkommen gar nicht gewesen. Nachdenklich strich sich der Mann durch den langen, grauen Bart. Wenn er sich nicht irrte, dann war dies ein Traum. Wie sonst sollte er es sich erklären, dass es mit einem Mal helllichter Tag war, obwohl er doch scheinbar gar nicht geschlafen hatte und dass er an einem völlig fremden Ort war, obwohl er sich eben noch in seinem Bett befunden hatte? Es war die einzig logische Erklärung. Doch fühlte man in einem Traum wirklich solche Müdigkeit, wie er sie noch immer verspürte? Und wo war dieser Ort, von dem träumte? Hier war er nie zuvor gewesen. Er kannte keine weite Wiese, auf der sich scheinbar nichts weiter befand als die verlassenen Überreste eines grob erbauten Steinhauses. „Heyda!“, ließ ihn ein Ruf herum fahren. Ein junger Bursche, sicherlich sogar noch jünger als Simon, welcher gerade erst dem Kindesalter endgültig entsprungen war, kam auf ihm zu, einen Arm in winkender Bewegung umher schwingend. „Heyda!“, wiederholte der Bursche. „Was machen Sie denn hier?“ „Ich stehe hier“, brummte Johannes mit zusammen gezogenen Augenbrauen. „Wo bin ich hier?“ „Ihnen auch einen schönen Tag, der Herr“, ließ sich der Unbekannte in keiner Weise aus der Ruhe bringen. „Sie sind hier in einer Ruine.“ Der Blick des Buchdruckers schien auch den letzten Rest an Geduld zu verlieren. Was nahm sich dieser Bengel eigentlich heraus? „Das weiß ich sehr wohl“, antwortete er flapsig. „Doch wo steht diese Ruine?“ „Auf einer Wiese“, kam die Antwort, wie aus einer Pistole geschossen und begleitet von einem schelmischen Grinsen. „Und falls Ihr fragen wollt, wo sich diese Wiese befindet: Sie liegt vor der Stadt Flattersatz. Dorthin bin ich gerade auf den Weg. Darf ich Sie begleiten, mein Herr? Oder wünschen Sie noch länger hier zu bleiben und sich zu verirren?“ „Ich komme ja schon mit, du ungezogener Lausebengel“, empörte sich der Alte. „Wissen deine Eltern, was für ein fürchterlich frecher Bursche du bist?“ Der Junge senkte den Blick und schaute zu Boden. “Meine Eltern sind tot“, flüsterte er und schien den Tränen nahe. Mit einem Mal schämte Johannes sich für seine Worte und wollte sich bereits entschuldigen, als er die Stadt sehen konnte. So wie es schien, war diese Stadt wirklich riesig, denn wohin er auch sah, konnte Johannes nichts anderes erkennen, als Häuser und Straßen. Ohne Schutzwall oder Mauer stand diese Stadt völlig Übergangslos von dem Gras umgeben dar, erstreckte sich ungleichmäßig in alle Richtungen zugleich und war einfach nur unglaublich groß. “Willkommen in Flattersatz“, verkündete der Bursche, den Johannes zugegebener Maßen bereits vergessen hatte, voller Patriotismus und verneigte sich mit einem spitzbübischen Ausdruck auf dem Gesicht. „Nun denn, alter Mann, hier verabschiede ich mich. Meine liebe Frau Mutter wartet sicherlich auf mich“, mit diesen Worten wandte er sich ab und lief in hinein in eine der Gassen, die Flattersatz ihnen wie eine vorwitzige Zunge entgegenreckte, noch bevor der Alte sich gewahr wurde, dass der Bursche noch vor wenigen Minuten behauptet hatte, ein Waisenkind zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)