Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 17: Anders als erwartet... ---------------------------------- Kapitel 17: Anders als erwartet "Das ist Sklavenarbeit." "Na und?" "Es gibt Bedienstete für so etwas. Es gibt sicher Gesetze gegen das, was ich hier tue." „Stell dich nicht so an!" "Es ist total dreckig hier." „Nochmal, na und?" „Mist!" Der prall gefüllte Eimer, den Draco mit spitzen Fingern gehalten hatte, rutschte ihm aus den Fingern und fiel polternd zu Boden. „Igitt! Ieh! So ein hässliches Viech wollte mir gerade das Bein hochkrabbeln." Hermine lachte und rutschte fast von dem Verschlag, auf dem sie saß. Sie schaffte es gerade noch, sich an den Holzbalken festzuhalten, sonst wäre sie heruntergefallen. Draco beachtete sie nicht, da er seine ganze Aufmerksamkeit einigen Riesenkakerlaken schenkte, die aus dem Eimer heraus, in alle Ecken des Stalles hinein wuselten und wie er gerade festgestellt hatte, zum Teil auch sein Bein hochkrabbelten. Draco selbst hüpfte voll Ekel wie ein irischer Folktänzer zwischen den Rieseninsekten herum. Er versuchte einerseits, den um ihn herum huschenden Kakerlaken auszuweichen, andererseits, die, die unter seiner Hose sein Bein empor krabbelten, panisch abzuschütteln. Hermine hatte ihr Gleichgewicht wiedergefunden und konnte die Balken nun wieder loslassen, so dass sie die Hände freihatte, um Draco mit Hilfe ihres Zauberstabes von seinen Belagerern zu befreien. Er selbst konnte das nicht, da er, zauberstablos wie er offiziell war, die Drafekone, Feuer speiende Riesenfrettchen mit Skorpionstachel, ohne Magie versorgen musste. Ein ungeschickter Schritt und Draco fiel hintenüber, mitten in den größten Pulk Schaben. Ein hässliches Knackgeräusch sowie Malfoys stocksteife Haltung, wie er da auf dem Boden lag, sagten ihr, dass er einige Tiere mit seinem Körper zerquetscht haben musste. Einen Moment lang blieb er einfach nur liegen und ruderte mit Armen und Beinen, voll Ekel und Abscheu, unfähig, seine Bewegungen zu koordinieren. Dann jedoch sprang er in einem Satz hoch und schlug sich voller Abscheu die platt gedrückten Tiere vom Arm. Eigentlich tat er ihr wirklich leid. Die Arbeit an sich, Käfige ausmisten und Insekten verfüttern, war eigentlich schon ekelhaft genug. So etwas von jemandem wie Malfoy zu verlangen, noch dazu ihm zu verbieten, Magie zu benutzen, war ausgemachter Sadismus. Hatte sie deswegen sofort eingewilligt, als er ihr während des Mittagessens einen Zettel zugesteckt hatte? Möglich, vielleicht aber auch aus einem anderen Grund. Hermine zückte ihren Zauberstab und stöhnte selbstgefällig. „Also wirklich, Draco, ich bin das Mädchen und du der Mann. Solltest nicht du mich vor ekligen Krabbeltieren retten?" Dracos Kopf wirbelte herum, doch statt einer schnippischen Antwort brach nur ein lautes „Wah" aus ihm hervor, als eines der Tiere quer über sein Gesicht krabbelte. Hermine grinste überlegen, schenkte ihm ihr schönstes „Gryffindor rettet die Welt"- Lächeln und vollführte einen wohlgeübten Immobiluszauber. Wie einst die Wichtel in Lockharts Unterricht, erstarrten auch die Kakerlaken auf der Stelle. Die, die an Wänden oder Beinen hochgekrabbelt waren, fielen mit leisem „Klack" zu Boden. Draco stand schwer atmend inmitten des gelähmten Futters und lächelte sie an, als hätte sie ihn gerade vor einem Feuer speienden Drachen gerettet. Er legte den Kopf schief, grinste breit und atmete tief durch. „Danke, ich finde diese Dinger ja so eklig. Die wissen genau, wie sehr sie mir damit zusetzen." „Hast du denn noch viel Arbeit?", fragte Hermine und spähte auf ihre Uhr, denn sie war noch in die Bibliothek gegangen, bevor sie Malfoys Einladung gefolgt war, und wusste deswegen nicht genau, was und wie viel bereits erledigt war. „Geht so." Draco schniefte und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Ausmisten muss ich nicht mehr. Die gefährlichen Tiere muss ich nur dann rauslassen, wenn er dabei ist. Ich muss aber noch in die Heulende Hütte und Ratten fangen." „Wie bitte?" Er verzog das Gesicht und hob eine Augenbraue. „Hippogreifenfutter. Dort nistet wohl eine ganze Armee zwischen den alten Holzbalken. Kommst du mit?" „Ähm…" Eigentlich wollte sie ablehnen. Eigentlich, bis Dracos flehende Augen so kreisrund und groß wie Servierteller wurden und seine Mundwinkel sich vor Enttäuschung nach unten verzogen. „Na gut, ich kann ja nachher noch in die Bibliothek gehen." Die Art, wie er sie daraufhin ansah, zog Hermines Innerstes in der Magengegend zu einem dicken, gewundenen Knoten zusammen. Das Gefühl war nicht unangenehm, nur… so sollte er sie nicht ansehen. Gerade Draco nicht. Nervös strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und holte tief Luft. „Du hast noch eine in den Haaren. Komm her, ich wisch sie weg." Zuerst zögerte er, biss sich auf die Lippen und steckte die Hände in die Hosentasche. Er wirkte, als müsste er zuerst abwägen, ob es gefährlich sein könnte, Hermine diese Berührung zu erlauben. Nein, er sah nicht ängstlich aus, eher nachdenklich. Seine tiefen Atemzüge, der nachdenkliche Ausdruck in seinen Augen und die etwas angespannte Haltung… Ihn hielt ein anderes Problem zurück. Vielleicht die Frage, ob diese Art des Zusammenseins mit Hermine nicht langsam zu deutlich in eine Richtung rutschte, von der er nicht wusste, ob sie ihm Angst machen oder Freude bereiten sollte. Er schien in Zeitlupe zu gehen und als er vor ihr stand, wirkte es immer noch, als hätte er einen Teil von sich hinten am Gatter zurückgelassen. Hermine wischte Draco das gelähmte Tier mit einer einzigen Bewegung aus dem Haar und verharrte in dieser Bewegung. Ihr Herz pochte so heftig, als wolle es durch den Brustkorb hindurch nach draußen brechen. Draco selbst bewegte sich gar nicht. Er sah nicht nach, ob und wo das Tier zu Boden gefallen war. Wagte keinen Griff in sein Haar oder bedankte sich gar. Er tat nichts anderes als direkt vor ihren Knien stehen zu bleiben und sie mit unbewegter Miene anzusehen, während Hermines Hände noch einmal und noch einmal durch sein blondes Haar strichen. Hermine spreizte ihre Finger, um sie noch tiefer in das weiche Haar vergraben zu können. Einmal, noch einmal, bis ihre Hand knapp über seinem Ohr verharrte. Graue Augen sahen ungerührt zu ihr hoch. Nichts, keine Regung. Er hielt ihrem Blick stand und sah nicht weg. Weder machte er einen Versuch, ihre Hand zu entfernen, noch sie selbst mit seinen eigenen Händen zu berühren. Der Hauch eines Lächelns formte sich auf seinen Lippen, als ihre Hand nicht mehr zurück zu seinem Scheitel, sondern an den Schläfen entlang nach unten glitt, sanft über die Wangenknochen streichelte und schließlich seine Wange umschloss. Sie schluckte und stellte beschämt fest, dass ihre eigenen Wangen allmählich wärmer wurden. Ihre Hände lagen flach auf seiner Haut, als ihr Daumen kleine Kreise auf seiner Wange beschrieb. Hermine legte den Kopf schief und erlaubte sich, ihn näher anzusehen. Nicht so, wie sie es sonst getan hatte. Es war ja nicht so, dass sie Draco noch nie zuvor gesehen hätte, doch jetzt, als er so ruhig vor ihr stand und sie sehen und spüren konnte, wie er mit leicht geöffneten Lippen tief ein und ausatmete, betrachtete sie ihn genauer. Eingehend, wie ein Künstler sein Werk studiert. Die sanft geschwungenen Lippen, das blonde, seidige Haare, die glatte Haut. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie sich eingestand, wie gut sich das, was sie gerade tat, anfühlte. Lautes Brüllen riss sie aus ihren Träumen. Verwirrt drehten sich beide zur Seite. Die Tore des Käfigs wankten gefährlich unter der Wucht der Tiere, die sich wütend dagegen warfen. Sie hatten Draco gesehen und wussten, dass er ihnen zu essen geben sollte. Sie würden sich nicht beruhigen, bis er sie endlich füttern würde. Draco stöhnte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß, warum ich nie ein Haustier wollte. Das ist hier alles wirklich mehr als lästig." Er rümpfte die Nase und streifte sich den Ärmel seines Hemdes bis über die Handflächen, so, dass er die gelähmten Riesenkakerlaken nicht direkt mit der Hand anfassen musste. Hermine spürte die Gänsehaut, die sie bei diesem Anblick überkam. Eiskalte Schauer flossen ihre Wirbelsäule hinab, als Draco sich mit überdeutlichem Ekel in der Miene bückte und die hier und da verstreuten Tiere aufzusammeln begann. Widerlich musste es sich anfühlen, ihre kleinen, harten Körper durch den dünnen Stoff wahrzunehmen. Die Beinchen, die sich zwar nicht aus eigener Kraft bewegten, doch sicherlich durch den Stoff hindurch über seine Handflächen schabten, wenn er sie drehte, um sie zurück in den Eimer zu werfen. „Nicht jeder hat denselben Geschmack wie Hagrid, was Haustiere betrifft", kommentierte Hermine und hoffte, als sie sich eine Haarsträhne hinter ihre Ohren klemmte, dass diese nicht mehr allzu rot leuchteten. „Hast du nie darüber nachgedacht, dir ein normales Haustier anzuschaffen? Außerdem … du hast doch diesen Uhu, oder?" „Pure!" Draco nickte und winkte gelangweilt ab. „Ich habe nicht viel Arbeit mit ihm. Das ist ein Nutzgegenstand, so etwa wie Elfen … Nur ohne die nervige Stimme." Hermine schnaubte und verschränkte die Arme. Bitterböse Blicke durchbohrten Draco, der diese jedoch nicht auffing, da er, statt sich zu Hermine umzudrehen, am Gitter des Drafekonenverschlags herum nestelte und in nahezu gelangweiltem Ton fortfuhr. „Meine Eltern halten Tiere auf dem Manor, ich muss mich aber nicht mit denen befassen. Ich hatte mal einen Phönix. Mutter hat ihn mir zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt …" „Aber das … aber die… die sind wahnsinnig selten, wertvoll und… ich meine ihr seid", Hermine rieb sich die Kehle, als würden die Worte „dunkle Zauberer" sich dort verstecken und nicht herauskommen können, doch Draco grunzte nur abfällig und erklärte mit einer trägen Stimme, die der seines Vaters erstaunlich ähnlich war. „Ja, ja… Na und? Er war teuer, selten und ich wollte ihn haben." Er zuckte die Achseln, dann beugte er sich etwas weiter nach vorne, um das Gitter, das er endlich gelöst hatte, besser packen zu können und anzuheben. „Er ist eh gestorben. Er war in meinem Zimmer, aber ich habe vergessen, ihn zu füttern. Irgendwann ist er nur noch im Kreis gerannt und ein paar Tage später ist er dann gestorben und nicht wiedererstanden. Was soll's… Vater hat dann die Hauselfen gefoltert, weil sie den Vogel nicht für mich gefüttert haben." Hermine keuchte entsetzt auf: „Das ist ja unglaublich." „Ja, nicht?" Draco richtete sich auf, das Gitter in den Händen, und drehte sich mit einem dümmlichen Grinsen zu ihr um. „Vater ist toll …" Hermine konnte nichts anderes tun, als ihn auf diese unglaublich dumme Aussage hin entgeistert anzustarren. Das Lächeln in seinem Gesicht verblasste und machte einer beschämten Rosafärbung Platz. Er hob das Gitter über den Verschlag und stellte es daneben ab. „Ich bin nicht so gut darin, mich um andere zu kümmern. Vater weiß das …" Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, da entlang, wo zuvor ihre Hand gewesen war. Sein Mund wurde schmal und er legte die Stirn in Falten, als würde er gerade angestrengt über etwas nachdenken. Ein kurzer, scheuer Blick zu ihr, dann griff er nach dem Kakerlakeneimer und beugte sich damit weit über den Verschlag, um die Insekten in den Futtertrog zu schütten. „Ich bin froh, dass ich heute nicht hineingehen muss, um im Verschlag sauber zu machen. Die Viecher sind echt gefährlich, wegen dem Stachel… weißt du?" Ein weiterer Blick über seine Schulter, dann sah er schnell wieder zu den Drafekonen hinunter. Das Gatter polterte und schepperte. Die ganze Hütte schien unter den hastig nach Futter schnappenden Tieren, die in ihrer Gier wie wahnsinnig durch ihren Verschlag rannten, zu erbeben. „Tja…", begann er langsam, allzu deutlich darum bemüht, Hermines Abwehrhaltung ihm gegenüber mit einem erfreulicheren Themenwechsel zu durchbrechen. „Ich… bin in anderen Dingen gut." „Fliegen!", kommentierte Hermine gelangweilt und fingierte ein Gähnen. Fliegen konnte er… wie dieses wundervolle Geschenk, dass er einfach hatte sterben lassen, weil er nichts dabei fand, dass ein anderes unglückliches Geschöpf für seine Fehler bezahlen musste. „Äh… ja. Aber ich kann auch Instrumente spielen." Hermine drehte ihm überrascht den Kopf zu. Draco stand nun mit dem Rücken zum Verschlag, die Ellenbogen hinter sich auf die Holzbalken gelegt und grinste sie mit unverhohlenem Stolz an. „Ich musste Stunden nehmen, seit ich fünf war. Ich spiele Klavier, Geige und Fagott." Sein Gesicht färbte sich noch etwas dunkler, als Hermine daraufhin ehrlich überrascht die Augenbrauen hob. „Wirklich? Und… bist du gut?" „Naja … Das war einfach in unseren Kreisen so, dass man solche Dinge lernen musste." Er schloss die Augen und grinste, als ihm wohl ein Erlebnis aus dieser Zeit eingefallen war. „Ich erinnere mich gerade… Vater ist Diplomat und wir hatten immer viele wichtige Leute bei uns zu Besuch. Irgendwann dachten meine Eltern wohl, dass sie mit mir angeben müssten und forderten mich dazu auf, irgendeinem Präsidenten aus einem anderen Land etwas auf der Geige vorzuspielen." „Und?" Hermines entknotete ihre verschränkten Arme und legte sie auf ihre Oberschenkel. „Nichts und… Am nächsten Tag hat mir Vater meinen ersten Besen gekauft und gemeint, dass zu viel Musikunterricht mich von wichtigen Dingen ablenken würde und dass ich jetzt mal besser auf Hogwarts vorbereitet werden sollte." Hermine verengte die Augen und es dauerte einige Sekunden, bis ihr klar wurde, was genau Lucius Malfoy zu dieser Aussage bewogen haben musste, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. „Warst du… warst du… warst du echt so schlecht?", brachte sie unter Prusten und Giggeln schließlich hervor. Draco grinste immer breiter, biss sich auf die Lippe und fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. „Ist anzunehmen. Ich musste danach jedenfalls nie mehr Geige spielen." Er legte den Kopf zur Seite und schenkte ihr ein Lächeln, das Hermine fast vergessen ließ, dass es gerade einmal Februar war, dass es draußen kalt war und Schnee vor der Hütte lag, dass sie hier drinnen ihren eigenen Atem sehen konnte und sie drei Pullover und eine dicke Jacke trug, und dennoch gefroren hatte, bis gerade eben, als er sie anlächelte. „Aber ich spiele immer noch Klavier. Das kann ich ganz gut." Halb erleichtert, halb triumphierend nickte er ihr zu, dann drehte er sich wieder um und hob das Gitter auf, um es gleich darauf zurück auf den Verschlag zu legen. „Ich spiele manchmal mit Mutter zusammen. Sie hatte diesen wundervollen Flügel in unserem alten Zuhause. Tja… der ist ja nun verbrannt. Aber sie hat sich einen neuen gekauft, der ist nicht ganz so wundervoll, aber auch sehr edel. Wirklich… vielleicht spiele ich dir ja mal eines Tages etwas vor." Er drehte sich kurz um, grinste, dann beugte er sich wieder über die Gitter und machte sich daran, die Sicherheitsschlösser zu verriegeln. „Eher unwahrscheinlich, nicht?" Hermine seufzte und rieb ihre kalten Finger. In der Hütte war es nicht ganz so kalt wie draußen, dennoch verfärbten sich ihre Finger langsam gelb. Es wurde zunehmend schwerer, sie zu koordiniert zu bewegen, zu steif waren sie. Sie fröstelte am ganzen Leib, doch die wirklichen Schauer überkamen sie erst, als sich zwei überraschend warme Hände um ihre zitternden Finger legten und eine Wolke warmen, kondensierten Atems über ihre Haut strich. Ein schräges Lächeln zu ihr hinauf, und die Frage, wie unwahrscheinlich es war, dass er ihr jemals bei sich zuhause etwas auf dem Flügel vorspielen würde, war nicht mehr wichtig. Statt einer Antwort packte er seine Sachen zusammen, bewaffnete sich mit mehreren ineinander gesteckten Eimern und einem Spaten und bedeutete Hermine, ihm zu folgen. Seite an Seite stapften sie durch den tiefen Pulverschnee, der Heulenden Hütte entgegen. Die Vorstellung, dass in diesem Haus außer dem kürzlich verstorbenen Wurmschwanz noch Hunderte von anderen Ratten Unterschlupf gefunden hatten, noch dazu, nachdem sie dort einmal eine Nacht verbracht hatte, ließ jede Zelle ihres Körpers einzeln erschaudern. Voller Widerwillen betrachtete sie die ruinenhafte Holzhütte, die mit jeder Minute abstoßender wirkte. Fast meinte sie schon, den Geruch von Unrat, Schädlingen, morschem Holz und Schimmel wahrnehmen zu können, den sie doch bisher nie gerochen hatte, wenn sie dort drinnen war. Dennoch… irrte sie sich oder bewegte sich die Hütte? Wie ein lebendiges Tier schien das Gebäude zu atmen, zu wanken und unter den Bewegungen unzähliger Ratten zu erzittern. Hermine kräuselte ihre Lippen und schielte misstrauisch über ihre Schulter hinweg zu Malfoy, der mit dem Spaten in der Hand und der grimmigen Entschlossenheit im Gesicht aussah, als würde er ausziehen, um sein eigenes Grab zu schaufeln. „Wie willst du diese Ratten eigentlich fangen?", forschte Hermine nach und bedachte den Spaten mit einem vorwurfsvollen Blick. Draco zuckte zusammen und fuhr herum. Er blieb stehen und atmete tief durch, schloss kurz die Augen und schien, als wäre ihm eben erst eingefallen, dass er nicht alleine war. Er sah ihr in die Augen, folgte dann deren Blick zum Spaten und biss sich auf die Lippen. Er nickte kurz und abgehackt, schulterte den Spaten erneut und ging mit klappernden Eimern an ihr vorbei. „Du willst sie totschlagen?" „Ich kann ihnen auch traurige Balladen vorspielen und versuchen, sie mit meiner deprimierenden Lebensgeschichte in den Selbstmord zu treiben, aber ich glaube nicht, dass ich dann bis zum Abendessen fertig wäre. Vorher muss ich auch irgendwann noch mal Hausaufgaben machen. Also … En garde!" Er drehte sich zu ihr um, streckte den Spaten und stieß ihr damit vor die Brust. Hermine packte den Spaten und riss ihn Draco mit einem Ruck aus der Hand. „Denkst du, ich will das tun, Hermine?" Der Eimer fiel dumpf polternd in den Schnee. Er vergrub seine Hände in seinen Umhangtaschen und bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. „Das ist der Humor deiner Leute. Sie finden es witzig, mir so was aufzuladen. Du hättest sie mal sehen sollen. Schadenfrohes Pack." Hermine kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe und sah abwechselnd den Spaten in ihrer Hand und dann Draco an. Natürlich war es Absicht, gerade Draco die allerletzten Jobs ohne Magie aufzubrummen, die die meisten noch nicht einmal mit Zauberstab machen würden. Ob er es verdient hatte? In gewisser Weise wohl schon. Es sei denn, dieser neue Gryffindortreiber hätte sich gestern freiwillig seinen Besen ins Bein gestoßen, nachdem er Draco angesprochen hatte. Andererseits … „Komm!" Hermine packte den Ärmel seines Winterumhangs und zog ihn, mitsamt seinen klappernden Eimern, energisch weiter. Es war kalt und sie hatte es eilig. Deswegen war es vernünftig, ihre Hand von seinem Ärmel abrutschen und sich um seine Finger schließen zu lassen. So hatte sie ihn besser im Griff. In der Hütte selbst war es so zugig, staubig und verkommen wie immer. Sie atmete trotz des Staubes, des muffigen Geruchs und trotz der Tatsache, dass sie hier umgeben von Ungeziefer waren, tief durch und schloss ihre Augen. Nicht schön, ihr Plan war alles andere als das. Erst jetzt, als sie seine kalten Finger auf ihrem Handgelenk fühlte, wurde ihr bewusst, wie nah er ihr immer noch stand. In der Hoffnung, dass Draco die Geste nicht falsch verstehen würde, schüttelte sie seine Hand ab und schob ihn mit sanftem Druck zur Seite. Den anhebenden Protest stoppte sie mit ihrem Zeigefinger auf seinen Lippen. "Scht…Pass auf. Ich werde dir jetzt etwas zeigen." Sie lächelte, schloss erneut die Augen und führte ihren Zauberstab vor Lippen, als wolle sie dessen Spitze küssen. Doch statt eines Kusses, öffnete sie leicht ihre Lippen, hauchte den Stab an und konnte Sekunden später spüren, wie das Holz in ihren Händen anschwoll und aushöhlte. Sie hauchte erneut und als sie den ersten dumpfen Ton hörte, blies sie fester. Keine wirkliche Melodie, die aus der Zauberpanflöte drang, doch bittersüß und tragisch-schön. Die Wände erwachten zum Leben. Sie spürte den Fußboden unter ihren Füßen erbeben und als sie hörte, wie Draco vor Schreck seine Eimer fallen ließ, wusste sie, dass ihr Zauber funktioniert hatte. Aus den Löchern in den zugestaubten Möbeln, aus den Ritzen im Boden, zwischen den Holzbalken der Wände und durch die morschen Überreste der Tür hörte sie das Getrippel hunderter, winziger Füße näher kommen. Sie quietschten gleichtönig und ihre roten Augen waren leer. Hunderte sammelten sie sich und formierten sich zu Straßen seelenlos wirkender Nager, die sich zu einer Schlange zusammenfanden und warteten, bis sie damit an der Reihe, waren, in die Eimer zu springen. „Wie… Wie… Was ist das?" Draco stiefelte mit hoch erhobenen Knien von ihr weg zu der einzigen Ecke des Raumes, die anscheinend rattenfrei war. „Meine Art von dunkler Magie." Sie seufzte und setzte die Flöte ab. In dem Moment, als die Musik stoppte, schienen die Ratten zu erwachen. Alle, die nicht in den Eimern waren, quiekten entsetzt und wuselten so schnell sie ihre Beinchen trugen zurück in ihre Löcher. Draco war umgeben von einem Meer langer, rosa Schwänze, die grauen Leibern folgten. Nicht nur die Ratten, auch er quiekte entsetzt, als er sich mit einem überraschend hohen Sprung auf einen abgewetzten Sessel rettete. Sie lächelte schief, weil er genauso schnell heruntersprang, wie er hinaufgekommen war, als sich die letzte Ratte im Zimmer in eben diesem Sessel verkroch. Sie blies leicht auf das Holz in ihren Händen, das sich in Sekunden wieder zu ihrem Zauberstab transformierte. Ein nachdenklicher Blick auf den Stab in ihren Händen, mit dem sie innerhalb von Sekunden Tausende zum Tode verurteilen konnte. „Habe ich in einem Buch über Hausreinigungen gelesen, als wir die Blacksche Villa gesäubert haben. Es ist eine Art Hypnosemelodie. Sie schlafen, bis sie geweckt werden oder verhungern und verdursten." Hermine biss sich auf die Lippen und betrachtete kritisch ihr Werk. „Ich helfe dir nachher, sie zurückzutragen. Du wirst sie so wie sie sind bei Hagrid abliefern können. Sie wachen nicht mehr auf, bis … naja." Ihr Magen schmerzte, ihr ganzer Bauch eigentlich. Aber darüber sollte sie jetzt nicht nachdenken. Stattdessen schenkte sie ihrem nicht ganz so mutigen Begleiter ein aufmunterndes Lächeln. „Wie der Rattenfänger, nicht?" „Wer?" „Nicht wichtig. Ein Muggelmärchen. Wobei, vielleicht auch nicht." Sie streckte den Zauberstab zurück in ihre Tasche und dachte voll Grauen darüber nach, wie viele Märchen einer entsetzlichen Wahrheit zugrunde liegen könnten, wenn man erwog, sie Wort für Wort zu glauben. „Ich erklär's dir ein anderes Mal." Sie hätten nun gehen können, aber Draco machte unter sehr viel Herumdrucksen und Halbsätzen klar, dass er gerne noch ein wenig mit ihr hier bleiben würde. Immerhin war er am vorgeschriebenen Ort und niemand erwartete ihn so schnell zurück. Hermine fügte sich und ließ sich in einen der wenigen, ihrer Prüfung nach rattenfreien Sessel sinken und grübelte über mögliche Gesprächsthemen. Er wollte reden? Gut, sie hatte einige Fragen. Nichts wirklich Weltbewegendes. Für sie. Dennoch interessierte es sie. „Trinkt dein Vater wirklich so viel?" Graue Augen, abweisend und kalt, bohrten sich in ihre braune Augen. Eine Sekunde oder zwei hielt er den finsteren Blick, dann packte er eine der schlafenden Ratten, die aus dem Eimer gefallen war, im Würgegriff und warf sie zu ihren Artgenossen zurück. „Das war eindeutig unter die Gürtellinie." Ohne sie eines Blickes zu würdigen, wandte er sich von ihr ab und ging hinüber zum Fenster. Den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, die Arme verschränkt und die Atmung tief… „Tut mir leid, ich weiß. Ich dachte nur … vielleicht willst du mal drüber reden?", erklärte sie stattdessen beruhigend. Draco atmete heftig aus und ein. Er legte eine Hand an die Fensterscheibe und bewegte die Finger dagegen, als würde er versuchen die Schneeflocken zu zählen, die er dort draußen, weiß, wunderschön, doch eiskalt, herunter rieseln sah. Eine ganze Weile stand er so da. Hermine setzte sich hoch in den Schneidersitz und ließ ihre Arme auf den Oberschenkeln ruhen. Still, kein Wort mehr. Sie wollte warten, wollte ihm Zeit lassen, darüber nachzudenken. Der blonde Schopf ruckte kurz nach unten, nickte abgehackt. „Ja. Das tut er. Und es macht mich krank." Seine Fingernägel kratzten auf der trüben Scheibe und sie hörte ihn hart schlucken. Sein ganzer Körper schien zu verkrampfen und er war so leise, dass sie sich Mühe geben musste, ihn zu verstehen, als er mit belegter Stimme weitersprach. „Seit er aus Askaban draußen ist. Vorher war er so nicht. An Weihnachten war ich ja zuhause und, also, ich war die meiste Zeit in meinem Zimmer und er hatte viel zu tun. Naja", er zuckte mit den Achseln und fuhr in betont beiläufigem Ton fort: „Sie haben versucht, es vor mir zu verbergen. Aber ich konnte es doch riechen… Einmal war er sehr lange weg. Wichtige Dinge für … du weißt schon, wen …" Er drehte, sich zu Hermine um, kräuselte den Mund und nickte ihr vielsagend zu. „Snape hat ihn dann während des Abendessens heimgebracht. Er konnte nicht mehr laufen, hat sich vollgekotzt und nur noch dummes Zeug geredet. Das war so widerlich." Er holte tief Luft, drehte sich mit einem Ruck um und schlang seine Arme um sich. „Irgendetwas ist an dem Tag passiert. Ich spüre es… Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass irgendetwas passiert ist, aber ich erinnere mich nicht mehr dran." Er verengte die Augen, zog die Stirn in Falten, doch schüttelte er Sekunden später frustriert den Kopf. „Nein, es geht nicht. Ich komm nicht drauf." Doch auch wenn er bereit war, weiter mit ihr zu reden, sie anzusehen brachte er offenbar nicht über sich. Stattdessen richtete er sein leblos wirkendes Gesicht auf einen kaputten Stuhl, der auf der gegenüberliegenden Seite der Wand stand. „Ich denke mir, er ist krank. Askaban muss schrecklich sein und ihm als Todesser ging es wohl besonders schlecht. Das hat Spuren hinterlassen. Alle, die dort sind, drehen durch. Es war doch zu erwarten, dass es auch bei ihm Folgen haben würde." Einen Herzschlag lang begegneten sich ihre Augen und einmal mehr erinnerte sich Hermine an den Tag, als sie den berühmten Gefangenen aus Askaban hier getroffen hatten. Sirius Black, Harrys geliebter Pate, durfte sie sich eingestehen, dass auch er psychisch labil, oder wie Malfoy es ausdrückte, „krank" geworden war? „Wenn meine Tante da ist, sind immer alle Türen offen, weil sie keine geschlossenen Räume mehr ertragen kann. Weißt du? Und mein Vater lässt die Räume sogar im Hochsommer heizen, weil er ständig glaubt, es wäre kalt." Er zog die Augenbrauen hoch und rollte mit den Augen. Wahrscheinlich hatte er gerade diesen und andere Spleens seiner Familie vor Augen, die sie von Askaban mit nach Hause gebracht hatten. Sein schmaler Körper kippte zur Seite und seine Stirn berührte die verblasste, von Schimmelflecken übersäte, graue Tapete hinter ihm. „Ich hasse ihn, wenn er so ist. Er ist so peinlich." Draco kniff die Augen zusammen und schüttelte kaum merklich seinen Kopf. „Er hat so gar nichts mehr von dem, wie er früher war. Mutter kommt nicht damit zurecht. Sie schweigt alles tot und ignoriert so viel, dass es schon lächerlich ist." Er glitt an der Wand hinab und blieb auf seinen eigenen Unterschenkeln hocken. Seine ausgebreitete Hand glitt, während er hinab rutschte an der Tapete entlang, als wolle er sie streicheln. Oder, so dachte Hermine, als würde er an jemanden denken, den er mit dieser Bewegung streicheln, trösten wollte. „Und ich hasse auch sie, wenn sie mich mit ihm alleine lässt." Bitter und wütend klang seine Stimme. Seine Finger krallten sich in ein Stück von der Wand hängende, abgelöste Tapete und rissen es mit einem Gänsehaut erzeugenden Geräusch ab. „Manchmal geht sie einfach, wenn er besoffen ist und sie nicht mehr zusehen kann." Er räusperte sich und seiner gepresst klingenden Stimme nach war er voller Ekel bei dieser Erinnerung, doch auch voller Trauer. „Ich muss mir dann seine dummen Sprüche anhören. Er wird dann sehr laut. Vielleicht hat sie auch Angst, er würde sie schlagen." Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Mich schlägt er jedenfalls nicht. Er schreit nur oder jammert. Einmal hat er sich vollgekotzt und ich musste ihn dann sauber machen und ins Bett bringen." Ein weiterer Tapetenstreifen fiel Dracos Hass auf den betrunkenen Lucius zum Opfer. „Ich hab mich geschämt, die Hauselfen zu rufen … oder meine Mutter. Sie hat genug Probleme. Aber trotzdem …" Draco warf den nächsten, abgerissenen Tapetenstreifen über seine Schulter. „Ich hasse sie dafür, dass sie von mir verlangt hat, das zu tun. Ich will das nicht. Ich hatte gehofft das Du-weißt-schon-wer meinen Vater befreien lässt, wenn ich gehorche. Aber ich habe nicht geglaubt, dass es so sein würde." Eine kurze Pause und sie meinte ein mühsam unterdrücktes Schniefen zu hören. „So wollte ich ihn nicht. Ich wollte, dass alles wieder ist wie früher. Aber so", er boxte mit der Faust auf den Boden, „so wollte ich ihn nicht." Staubwolken erhoben sich, wo er hingeschlagen hatte. „An manchen Tagen wünschte ich, er wäre dort geblieben." Er verlagerte sein Gewicht und drückte den Rücken gegen die Wand, zog die Knie vor die Brust und umklammerte seine Unterschenkel mit seinen Armen. Immer noch sah er weg. Er tat ihr leid. In diesem Moment tat er ihr wirklich aufrichtig leid. Es musste schrecklich für ihn sein Lucius, der immer sein Vorbild gewesen war, den er über alle Maßen bewunderte, so zu erleben. Sie wagte es nicht einmal sich zu fragen, so wie es Draco sicher tat, auch wenn er nicht aussprach, was um alles in der Welt in Askaban mit Lucius Malfoy passiert war, dass er sich so verändert hatte. Dass er sich so gehen ließ. „Alles umsonst." Draco schluckte und biss sich auf die Unterlippe. „Alles umsonst. Ich hab so viel riskiert, aber am Ende hat es nichts gebracht." „Argh!" Draco stieß einen wütenden, unartikulierten Schrei aus und boxte mit beiden Händen, links und rechts neben sich, auf den zersprungenen Dielenbogen. „Ich habe meinen Vater immer bewundert. Ich meine, ich wusste ja, was er war und irgendwo war mir auch immer klar, was er getan hat, aber jetzt… ich meine. Er hat doch … er hat Leute umgebracht und trotzdem war er die ganze Zeit so normal." Draco biss sich auf die Lippen und sah wieder zum Fenster hinaus statt in ihre Augen. Sie ahnte, wie es ihn quälte mit ihr über diese Dinge zu sprechen. „Ich meine, jetzt … wo ich selbst weiß, wie das ist..." Er stöhnte und schüttelte den Kopf. „Wie konnte er das tun? Es war nicht so wie bei mir. Er hatte die Wahl, aber er hat bei allem freiwillig mitgemacht und war stolz darauf. Aber es … es ist so furchtbar. Gar nichts daran ist cool, mutig oder edel. Das ist kein bißchen so, wie ich es mir früher immer vorgestellt habe. Es ist einfach nur schrecklich. Ich komme einfach nicht damit klar, dass er all diese Dinge tun konnte und danach einfach so weiterleben konnte." Hermine erhob sich aus dem Sessel und ging zu dem an der Wand kauernden Draco hinüber. Sie zögerte zuerst, doch dann ging sie in die Knie, krabbelte zu ihm und setzte sich neben ihn an die Wand. „Ich weiß nicht genau, was er in der Zeit alles gemacht hat, als der Dunkle Lord weg war. Aber es kamen immer wieder Dinge vor. Er hat seine Karriere nicht umsonst so schnell gemacht." Er stöhnte, legte den Kopf auf seine Knie und neigte sich leicht zur Seite, als er Hermines Hand auf seinem Rücken spürte. „Ich erinnere mich, dass er manchmal abends wegging, um zu arbeiten. Er hat sich dann zu mir auf die Bettkante gesetzt und mir eine Geschichte erzählt. Das hat er selten getan. Immer dann, wenn er danach weg musste. Mutter war an diesen Tagen immer so komisch. Ich denke, also vielleicht ging er danach ja los, um Rivalen zu beseitigen und er hat mir diese Geschichten erzählt, um sich zu verabschieden. Falls er danach … naja, im Gefängnis oder tot sein sollte. Aber dann.." Er hob den Kopf, zuckte ratlos mit den Achseln und seufzte. „Am nächsten Tag war er immer wieder da. Immer, und alles war wieder normal. Nicht ein einziges Mal hat er auch nur nachdenklich oder nervös gewirkt. Im Gegenteil … er hat eher gestrahlt vor Stolz. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, was er in der Zeit getan hat, was er mir immer von den Todessern erzählt hat und wie es wirklich ist, dann wird mir schlecht. Dann verachte ich ihn für alles, was er ist." Das kam so kalt und bitter aus seinem Mund. Draco, für den sein Vater immer ein Gott gewesen war … und nun so etwas. Ihre Hand beschrieb kleine Kreise auf seiner Schulter. Eine Weile lang saß sie so da und beobachtete einfach nur die Linien, die ihre Finger auf dem Stoff seines Umhangs hinterließ, dann räusperte sie sich, holte tief Luft, wog im Kopf die Überlegungen ab, die ihr während seiner Geständnisse in den Sinn gekommen waren und wagte, leise, doch immerhin, sie zu äußern. „Ich weiß nicht. Du siehst deinen Vater jetzt mit Mitte vierzig. Vielleicht war er vor zwanzig Jahren anders. Sag mal Draco, ist es nicht möglich, dass er nun so ist, nicht, weil Harry ihn ruiniert hat, sondern weil ihn die Dementoren Dinge erinnern ließen, die er verdrängen wollte?" „Wie meinst du das?" „Naja. Sirius hat mal gesagt, dass Askaban dich deine schlimmsten Erinnerungen immer und immer wieder durchleben lässt. Und ich denke, nun, über zwanzig Jahre Todesserdasein dürfte reichlich Stoff für schlimme Bilder geliefert haben. Vielleicht, nur vielleicht, hat dein Vater in Askaban ja festgestellt, dass er gar nicht so skrupellos ist, wie er immer dachte." Draco zuckte die Achseln und atmete tief durch. „Kann sein. Fällt ihm aber früh ein, nicht? Nach Jahren, in denen er… und ausgerechnet jetzt." Er verbiss sich einen Gedanken, den Hermine erraten konnte. Kurze Zeit später gingen sie zurück. Er zu seinem Berg unerledigter Hausaufgaben, Hermine in die Bibliothek. Xxx Hermine hob die Arme hinter ihren Kopf und rollte ihre Haare zu einem festen Knoten zusammen, den sie mit einem Haarband sicher und fest verschnürte. Sie war hier zum Arbeiten, Schreiben und Debattieren, Haare nervten dabei nur und lenkten sie vom ernsten Anlass ab. Es gab Neuigkeiten und Neuigkeiten waren heutzutage selten gut. Die Stimmung war am Morgen noch relativ gut gewesen, doch schien sie von Meter zu Meter, den sie sich dem Schulleiterbüro genähert hatten, düsterer geworden zu sein. Wie von Dementoren umstellt fühlte sie sich. Alle schauderten, waren blass, blickten finster in die Runde. In dem Moment, als man den Fuß auf die Schwelle setzte, war das Lächeln auf ihren Gesichtern verblasst. Die Szenerie war mit einem Wort: bizarr. Das lag nicht nur daran, dass man das Porträt von Albus Dumbledore von der Wand genommen hatte und es stattdessen am Kopfende des Tisches auf einem Stuhl drapiert hatte, sondern auch an der Art, wie all diejenigen, die hier saßen, unsicher, bewundernd und doch immer nur sekundenlang zu dem Porträt hinüber schielten. Dumbledore musste mehr von sich als nur Farbe auf rauher Leinwand hinterlassen haben. Ein Hauch seines Geistes? Eine Spur seiner Seele? McGonagall zufolge war das Porträt um ein Vielfaches lebhafter und einfach mehr, als alle anderen Porträts Verstorbener, denen sie je begegnet wäre. Jedenfalls musste das Porträt bei jeder Besprechung dabei sein, da der Lebendige wohl einige, wenn nicht nahezu alle, seiner im Denkarium aufbewahrten Erinnerungen in seinem zukünftigen Abbild versteckt hatte. Nach dem Tode des Schulleiters fand man das Denkarium leer, das Porträt hingegen sanft lächelnd. Dennoch, es war mehr als ungewöhnlich, sich mit einem Abbild zu unterhalten. Wie groß musste die Verehrung für den ehemaligen Direktor gewesen sein, wenn man noch nicht einmal jetzt, nach seinem Tod, wagte, eigene Gedanken und Ideen ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis überhaupt nur zu denken? Kingsley, der auf der anderen Seite des Tisches, Dumbledore gegenüber, am Kopfende, saß, räusperte sich, raschelte ein wenig mit den Pergamentblättern in seinen Händen, setzte sie zu einem korrekten Stapel zusammen und seufzte. Die Hände auf dem linealgeraden Stapel gefaltet, sah er nachdenklich in die Runde. Ab und zu hob er die Augen, sah zu Dumbledore hinüber und schien darauf zu warten, dass ihm dieser das Wort erteile. Doch der ehemalige Schulleiter ließ sich Zeit und plauderte stattdessen mit Hagrid, der wie ein gewaltiger Hund auf einem eigens für ihn angefertigten Stuhl saß und mit großen Augen zu ihm aufsah. Neben Hagrid saß Morpheus Brown. Einer der beiden Auroren, die von Kingsley neu in den Orden eingeschleust worden waren. Er war ein großer, blonder Mann. Vielleicht Anfang Vierzig. Mehr wusste Hermine noch nicht über ihn, zu oft hatte sie sich aus allem, was den Orden betraf, in den letzten Monaten ausgeklinkt. Doch wie auch immer, ihre Augen schweiften weiter an der anderen Tischseite entlang. Elphias Dodge, Dumbledores alter, sehr alter, Freund hob ein Hörrohr in Richtung Porträt und kommentierte Dumbledores fröhliches Geplapper, wenn er es verstand. Neben ihm saß Hestia Jones und übersetzte brav alles, was Elphias tapfer falsch verstand. Arthur und Molly neben ihr redeten kaum. Finster blickten sie zu ihren Kindern hinüber. Eine Mischung aus Sorge und Missbilligung in ihren Augen. Ihre Kehle zog sich bei dem plötzlich in ihr aufflammenden Bild von Ron zusammen. Seine Eltern zu sehen war etwas anderes als Ginny täglich hier zu erleben. Molly und Arthur sahen nicht gut aus. Sie wirkten müde und ausgezehrt. Beschämt überlegte Hermine, wann sie das letzte Mal mehr als nur Höflichkeitsfloskeln mit den beiden gewechselt hatte. Sie bewunderte Harry dafür, dass er das konnte. Dass er es aushielt, sie mit Ginny gemeinsam zu besuchen. Andererseits musste er sich auch nicht vorwerfen, dass er für den Tod ihres Sohnes oder ihrer desolaten finanziellen Situation, jetzt da Arthur arbeitslos war, verantwortlich war. Im Gegenteil, er half ihnen, wo er nur konnte. Aber Hermine war doch auch nicht schuld. Wieso fühlte es sich dann jetzt, in diesen Momenten, wie ein schlimmes Verbrechen an, mit jemandem wie Draco befreundet zu sein? Hermines Anspannung wuchs. Zog sich kribbelnd von den Kniekehlen bis zu ihren Handflächen empor und veranlasste sie dazu, sich ständig zu kratzen, zu strecken oder nervös irgendwelches unsinniges Zeug auf ihr Pergament vor sich zu kritzeln. Neben den Weasley-Eltern saß Professor McGonagall. Sie wirkte nervös und ängstlich, wie sie immer wieder durch den Raum spähte, als fürchte sie, jeden Moment könnten Auroren unter dem Tisch, hinter den Vorhängen oder aus den Schränken herausspringen, um sie zu verhaften. Kein Wunder, seit dem ihr angelasteten Drama in der Schule war es zu ahnen gewesen. Nun war ein Haftbefehl gegen sie erlassen worden, dem sie sich widersetzt hatte. Dawlish war ihr nicht gewachsen, natürlich. Wo sie jetzt wohl wohnte? Vielleicht bei Bill und Fleur? Die beiden waren in ein entlegenes Haus an der Ostküste gezogen. Vielleicht … vielleicht saß Bill auch deswegen neben ihr. Kingsley, am Kopfende, murmelte ihr beruhigende Worte zu und beantwortete nebenbei Lupins Frage, warum Moody nicht ebenfalls hier war. Es hatte irgendetwas mit Mundungus Fletcher zu tun. Etwas, das, wie Hermine klar war, nicht von der Sorte sein konnte, die man Albus Dumbledore mitteilen wollte. Neben ihm saß Harry, der auffallend betrübt wirkte. Er erwiderte ihren Blick nicht, sah überhaupt niemanden in dieser Runde direkt an, sondern ließ seine sorgenvollen Augen auf seinem Zauberstab ruhen, den er mal abwechselnd in der einen, dann in der anderen Hand hin und her rollte. Lupin richtete hin und wieder das Wort an ihn, was Harry jedoch immer nur mit einem knappen Kopfschütteln und unbestimmtem Gemurmel abwehrte. Auch Ginny beachtete er nicht. Wich sogar ihrer Hand aus, wenn sie ihm über die Wange streicheln wollte oder beruhigend ihre Hand auf seine Schulter legte. Also sprach sie stattdessen mit Hermine, die auf ihrer anderen Seite saß. Neben Hermine saßen die restlichen Weasleys. Fred, George und Charly, dessen Prothesen zwar auf den ersten Blick aussahen wie echte Füße, die ihn jedoch etwas ungelenk wirken ließen und bei jedem Schritt hölzern, nicht wie Füße aus Fleisch und Blut, klangen. All dem Elend zum Trotz unterhielt er sich jedoch angeregt mit Lyra Knifeworth, der anderen neu angeheuerten Aurorin. Ob sie Charly wirklich so interessant fand, wie es den Anschein hatte oder ob es nur ihre offensichtliche Unsicherheit ob Dumbledores Porträt neben ihr war? Fred, oder George, stieß Hermine in die Seite und flüsterte mit einem gedämpften Kichern: „Ich wette er bietet ihr nachher an, ihr seine Drachensammlung zu zeigen. Sie kam heute Morgen ins Cottage und seitdem zeigt er ihr in Minutenabständen all seine Narben und erfindet die schlimmsten Schauergeschichten dazu." George, sie erkannte ihn nun doch, sein Gesicht war etwas spitzer als Freds, beugte sich zu ihr über den Rücken seines Bruders hinüber, und hielt sich eine Hand als Flüstertüte vor den Mund. „Wir mussten ihn praktisch festhalten, als er ihr von der Narbe auf seinem Arsch erzählt hat. Er war knapp davor, sich die Hose runterzuziehen." Hermine grinste und beugte sich an den Zwillingen vorbei nach vorne, um einen Blick auf Charly werfen zu können, der leicht rosa angelaufen war, im Moment gar nichts sagte, sondern stattdessen mit großen Augen Lyras Erklärungen zu den sicherlich unromantischen Aufzeichnungen in ihren Händen lauschte. „Wir fangen an!" Hermines Kopf fuhr zu Kingsley herum, als er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und seine dunkle Stimme erhob. Alle sahen nun zu ihm, nur Harrys Augen ruhten noch einen Moment auf Fred und George, einen Ausdruck in seinen Augen, der für Hermine unverständlich feindselig schien. Dann drehte auch er sich zu dem Sprecher um. „Wer will zuerst reden? Ich denke, wir sollten versuchen, alles was wir sagen so komprimiert wie möglich darzustellen. Es wird eine ganze Menge sein und wir können hier nicht den ganzen Nachmittag über sitzen. Lupin, ich, Harry, Ginny und Hermine sollten zum Abendessen in der großen Halle sein. So wenig Aufmerksamkeit wie möglich." Er räusperte sich, ordnete seine Aufzeichnungen und schlug sie ein paar Mal mit der Unterseite auf den Tisch, um sie gerade zu rücken. Die Augen der Anwesenden wanderten von Kingsley weg hinüber zu Dumbledores Bild, das sie jedoch nur neugierig anlächelte und eine Hand hob, um anzudeuten, dass auch er auf ihre Berichte wartete. „Nun", begann Bill und räusperte sich. „Ich fange an." Ein fragender Blick in die Runde, da es aber niemand eilig zu haben schien, vor ihm an die Reihe zu kommen, sprach er weiter. „Wir haben den Grimmauldeplatz geräumt." Aufgeregtes Gemurmel erhob sich, doch Kingsley stoppte sofort jegliches Geräusch, nachdem er erneut mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen hatte. Nichts war zu hören außer Harrys Feder, die schnell, beinahe hektisch, über das Pergament vor ihm kratzte. „Es ist nichts vorgefallen." Kingsley hob beschwichtigend die Hände. „Nichts, wirklich. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Wir wissen, dass auch die besten Fideliuszauber nicht hundertprozentig sicher sind. Wir haben es selbst bewiesen, als wir Malfoy Manor angriffen. Zudem… Severus Snape… es wäre zu gefährlich, zu lange am selben Ort zu bleiben." Harry hustete laut und konnte sich auch dann nur langsam beruhigen, als Ginny ihm mehrmals kräftig auf den Rücken klopfte. „… zudem müssen wir davon ausgehen, dass sowohl Bellatrix Black wie auch Narcissa Malfoy in ihrer Jugend mehrmals in diesem Haus waren. Sie wissen, wie und wo es zu finden ist. Das Haus steht nun leer bis … nun ja, für unbestimmte Zeit." Kingsley wischte sich mit der Hand über das Gesicht und nickte Bill zu, der das Nicken erwiderte, seine Lippen schürzte und noch einen Moment auf seine vor ihm gefalteten Hände sah, bevor er weitersprach. „Das Haus wird nur vorübergehend als Hauptquartier dienen. Wir wissen noch nicht, welches Haus unser nächstes Hauptquartier werden soll. Eventuell werden wir einfach ein leer stehendes Haus besetzen und die nötigen Schutzbanne darüber legen. Das ist vermutlich am besten. Je weniger vorhersehbar unser Aufenthaltsort ist, desto besser." Kingsley nickte nachdenklich, dann räusperte er sich, warf einen vorsichtigen Blick in Richtung Porträt und ging zum nächsten Programmpunkt über. „Gut, danke, Bill. Wir werden euch nicht sagen, wann und wohin wir umziehen. Diejenigen, die es jetzt nicht wissen, werden von denen, die dort wohnen, hingebracht werden. Wir wollten nur klarstellen, dass es sinnlos ist, zum Grimmauldplatz zu eulen. Nun …" „Was ist mit…", Harry hustete verlegen und runzelte nachdenklich die Stirn, „Kreacher?" „Der kam mit", antwortete Bill augenblicklich, mit erkennbarer Bitterkeit in der Stimme. „Er hat in der Vergangenheit bewiesen, dass ihm nicht zu trauen ist. Hier an der Schule sollte er auch nicht bleiben. Wer weiß, was für Pläne der Malfoy-Junge mit ihm haben könnte… Du hast Kreacher zwar befohlen zu gehorchen, aber dieser schleimige, alte …" „Bill!" Hermine schnappte empört nach Luft, richtete sich kerzengerade auf ihrem Stuhl auf und presste nur mühsam beherrscht hervor: „Kreacher hat ein sehr schweres, unerfülltes, kaltes Leben hinter sich. Es ist kein Wunder, dass er sich Leuten nicht verpflichtetet fühlt, die …" „Ja, ja." Bill winkte mit einer Geste ab, die so gelangweilt wirkte, dass Hermines Füße unter dem Tisch nach Bills Beinen zu suchen begannen, um ihn zu treten. Ärgerlicherweise, vielleicht auch glücklicherweise, war Hermine zu klein und so traf sie noch nicht einmal Arthur, der ihr direkt gegenübersaß. „Der arme Elf. Benachteiligt wie so viele im Moment." „Ja, ja. Wir sorgen schon dafür, dass es ihm gut geht", tröstete Kingsley wohlwollend und Hermine entging nicht, wie alle anderem am Tisch die Augen verdrehten, stöhnten und sich gegenseitig Hilfe suchende Blicke zuwarfen. Trotzig drehte sie sich um zu Harry, weil sie sicher war, von ihm den genervtesten Blick von allen erhaschen zu können. Immerhin war Kreacher sein Hauself und er konnte ihn nicht leiden. Umso mehr Grund, ihm gerade das zum Vorwurf zu machen. Stattdessen grinste er sie hinter Ginnys Rücken hinweg zwar belustigt, doch auch irgendwie … eine Spur zu freundlich an, um unverfänglich zu wirken. Hermine schnaubte verstimmt, tauchte ihre Feder in ihr Tintenfass und schrieb noch mehr aufrüttelnde Fakten auf ihr Pergament, die sie nachher vortragen wollte. Sie wusste, dass den anderen vor ihrem Vortrag graute. Diese Ignoranten, als ob ihr Bericht über Benachteiligungen im Moment nur Elfenrechte betreffen würde. Stattdessen hatte sie seitenweise Material über Muggel-, Squib- und gesammelt. So eifrig flitzte die Feder über das Pergament, dass sie zunächst gar nicht mitbekam, dass Lupin bereits mit seinem Bericht begonnen hatte. Erst Ginny, die sie etwas unsanft mit dem Ellenbogen in die Seite stach, ließ sie aufblicken. „… Voldemorts Propagandafeldzug gestaltet sich bedauerlicherweise äußerst geschickt. Immer wieder verüben sie kleine Anschläge. Teilweise am hellichten Tag, teilweise in der Nacht und immer schaffen sie es alles so hinzubiegen, dass es wie Muggelverbrechen aussieht." „Ähm … wenn ich stören dürfte", Lyra hob die Hand und beugte sich nach vorne, um Lupin direkt ansprechen zu können. „Woher wissen wir, dass all diese Verbrechen tatsächlich von Todessern begangen wurden. Woher wissen wir, dass es nicht doch …" „Glaubst du etwa, was in den Medien steht? Hast nicht du mich darauf aufmerksam gemacht …" Doch, bevor Hestia zu Ende protestieren konnte, hob Lyra auch schon beschwichtigend die Hände und schüttelte den Kopf. „Nein, es tut mir leid. So meinte ich das nicht. Es ist doch nur … es gibt Verbrechen doch nicht erst, seit es Todesser gibt. Es wäre doch immerhin möglich, dass diese Verbrechen tatsächlich von Muggeln verübt wurden… aber aus ganz anderen Gründen. Vielleicht Bandenstreits, Drogensüchtige, Raubüberfälle … oder auch nur Unfälle. Ich meine", sie hob die Schultern und verzog vielsagend den Mund. „Wir kennen doch alle Moody und wie voreilig er manchmal ist. Nicht? Wäre es nicht möglich, dass der eine oder andere Zauberer aus Versehen oder … warum auch immer … in Gegenwart von Muggeln gezaubert hat und die meinten dann, sich verteidigen zu müssen? Nicht alle Kriminelle sind Todesser und nicht jede Straftat wurde absichtlich verübt." „Ein guter Punkt, in der Tat." Dumbledores Porträt lächelte freundlich zu der errötenden Aurorin hinüber, er streckte sich gemütlich und sowohl Lyra wie auch Hagrid wichen leicht zur Seite, als hätten sie den Eindruck, die Hände, die hinter dem Rand des Bilderrahmens verschwanden, gleich herausgreifen würden. Stattdessen drückte sich der ehemalige Schulleiter gemütlich auf seinem gemalten Stuhl nach hinten, setzte sich in eine bequemere Lage und legte die Fingerkuppen aneinander. Er begutachtete die junge Frau kurz über den Rand der Halbmondbrille, als würde er in ihrem Gesicht nach irgendetwas suchen, dann erklärte er aber im gewohnt freundlichen Ton: „Wir wissen, dass es die Todesser waren. Nicht nur, da unsere Forschungen alle darauf hinweisen, sondern auch, weil es uns gelungen ist, einige von ihnen zu verhaften und anschließend zu verhören. Sie haben gestanden. Aber", er drehte sich um und lächelte nun direkt zu Lupin, nickte ihm zu und gestattete ihm somit, weiterzusprechen, „erklärt du bitte weiter, Remus. Immerhin war ich bei den Verhören nicht zugegen." Hermine drehte sich, wie alle anderen auch, zu Remus um, der Kopf und Schultern schlaff nach vorne hängend, über einem Stapel Akten brütete, die er mit raschen Augenbewegungen überflog. „Tja… gut. Die letzte Person, die wir gefangen nehmen konnten, war Wurmschwanz. Wurmschwanz an sich ist kein wirklich hochrangiger Todesser, eher so ein … Mädchen für alles. Dumm, wie er ist, konnte er sein Wissen nie wirklich für seine eigenen Zwecke nutzen. Vielleicht war er auch einfach nur zu feige, wer weiß. Uns hat er jedenfalls sehr tiefe Einblicke in das Innenleben der Todesserorganisation gewährt. Er sagte …" Harry grunzte und schlug sich die Hände vors Gesicht. Hermine war nicht sicher, ob das Geräusch eben von einem Niesen, Husten, Rülpsen oder Wimmern stammte. Ein erstickter, dennoch deutlich hörbarer, doch viel zu schnell vergangener Laut, um ihm eine Emotion zuordnen zu können. Lupin errötete leicht und machte ein Gesicht, als ob ihm eben klar geworden sei, dass er eine für Harry sehr wichtige Grenze überschritten hatte. Er legte Harry tröstend die Hand auf die Schulter, murmelte etwas und tätschelte ihn. So angestrengt, wie alle anderen versuchten, diese kurze, fürsorgliche Geste zu ignorieren, fragte sich Hermine, was genau Harry so aufgeregt hatte. Dass von Wurmschwanz, dem Verräter, die Rede war? Das, was sie von Wurmschwanz erfahren hatten? Dass vermutlich einer der Anwesenden hier im Raum ein Streichholz gezogen hatte, welches ihn zu Wurmschwanz' Mörder gemacht hatte. Aber Lupin, er war es doch gewesen. Lupin, dessen freundliches Gesicht nur Sorge für Harry offenbarte, jedoch keinerlei Zweifel bezüglich Wurmschwanz' Ende zeigte. Das Quietschen der Tür durchbrach Hermines Überlegungen. Alle Köpfe wandten sich zu Kingsley, an diesem vorbei und dann zu der offenen Tür hinter ihm, wo Neville Longbottom mit hochrotem Kopf erschienen war. „'Tschuldigung. Ich wollte eher kommen, aber ich musste noch was in den Gewächshäusern erledigen. Professor Sprout brauchte Hilfe mit den Alraunen." Kingsley nickte, drehte sich um und winkte Neville, schon wieder über seine Unterlagen gebeugt, näherzukommen. Neville schlurfte mit verlegener Miene zu der Tischgruppe, zog dabei einen neben der Tür stehenden Stuhl mit sich und ließ sich neben Lupin nieder. Remus selbst stieß hart die Luft in seinen Lungen aus und trommelte ungeduldig mit sich selbst mit den Fingern auf den Tisch vor ihm, da er den Faden verloren hatte, und warf fragende Blicke in die Runde. „Wurmschwanz …", warf die ehemalige Professorin McGonagall in den Raum und warf dem immer noch ratlos dreinblickenden Remus einen so tadelnden Blick zu, als sei er ein Schüler, der nicht gelernt hatte und nun in einer Prüfung versagte. „Ach ja!" Lupins Hand sauste auf den Tisch und schlug mit der Handfläche laut auf das massive Ebenholz, als er den eben verlorenen Faden wieder fand. „Wurmschwanz, ja. Nun… Geht es dir gut, Harry?" Hermine beugte sich verwirrt zur Seite und sah Harry hart schlucken. Er sah aus, als ob er sich jeden Moment übergeben müsste. Neville zog ein Taschentuch aus der Tasche, das Harry ihm fast aus der Hand riss und es sich vor den Mund presste. Ein Moment Stille, einen Moment sah jeder zu Harry. Hermines Blicke schweiften über die Gesichter, die, wie sie feststellen musste, zwar besorgt, doch keineswegs verwirrt aussahen. Immer noch, immer noch sagte man ihr nicht alles. Wem hatte sie dieses Misstrauen zu verdanken? Vielleicht allen gemeinsam. Vielleicht wusste ja niemand alles und doch wussten die anderen wohl genug, um sich das Nötige zusammenreimen zu können. Wie sie auch, wenn sie ehrlich war. Doch sie wollte nicht. Stattdessen wagte sie einen vorsichtigen Blick in die andere Richtung, wo Dumbledores Bildnis gütig über seine aneinandergelegten Fingerspitzen hinweg zu Kingsley lächelte. Vielleicht konnte er gar nicht anders. Vielleicht war er nur eine unvollständige Kopie des wirklichen Dumbledores, der nur diesen einen Gemütszustand kannte. Entweder das, oder Harrys Übelkeit beunruhigte ihn wirklich nicht. „Geht schon wieder", murmelte der schwach, tupfte sich die Stirn und stopfte das zerknüllte Taschentuch in seinen Umhang. „Bin vielleicht krank." „Du siehst nicht gut aus, mein Lieber." Mrs. Weasley lächelte schmal. Sie beugte sich nach vorne über den Tisch und streckte ihren Arm so weit wie möglich aus, um Harrys Hand zu streicheln. Harry nickte knapp und zog seine Hand weg. „Du solltest zu Madam Pomfrey gehen, Harry", tadelte Mrs. Weasley liebevoll, obwohl sie doch eigentlich selbst genauso schlecht aussah wie er. Hermine meinte beobachten zu können, wie ein sich ein Schatten über Harrys Gesicht legte. Konnte sie wirklich Abscheu in seinen Augen sehen, diesen kurzen Moment, als er seine Finger betrachtete, wo Mrs. Weasley ihn gestreichelt hatte? „Ich gehe nachher, ich will hier aber noch zuhören. Mir geht's gut, wirklich. Ich hab irgendeine Grippe, wird schon wieder." Er lächelte zuversichtlich und eine Spur zu heldenhaft und tapfer, als dass sich das eben Gesagte nur auf eine mögliche Grippe beziehen konnte. Doch um alle Überlegungen abzubrechen, klopfte Lupin nun erneut auf den Tisch und sprach mit fester Stimme weiter. Sorgsam darauf bedacht, Harry nicht anzusehen. „Wurmschwanz sagte, dass Voldemort von unserer Liste weiß." „Malfoy?" Harry räusperte sich und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Obwohl Ginny unter dem Tisch seine Hand ergriffen hatte, beachtete er sie nicht, sondern lehnte sich noch ein Stückchen weiter auf seinem Stuhl nach hinten. Aus den Augenwinkeln erkannte Hermine, dass er sie ansah. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er sie die ganze Zeit schon ansah. Merkwürdig. „Möglich." Kingsley schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein nachdenklicher Blick fiel auf Dumbledores Bild, dann spekulierte er weiter. „Er verlässt das Schloss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er bei dem Überfall in Hogsmeade dabei war, doch niemand hat ihn das Schloss verlassen sehen und er ist zum Nachsitzen erschienen. Wir haben ihm den Zauberstab abverlangt, aber wie es aussieht, hat er Ersatz. Wir konnten diesen Ersatzstab aber noch nicht finden. Wir wissen hundertprozentig, dass er dabei war, als das Manor zerstört würde. Er hat seine Leute gewarnt, sonst wäre die Aktion gelungen. Irgendwoher schnappt er eine Menge Informationen auf. Harry!" Er drehte sich zu dem Jungen um, der bei der Nennung seines Namens zusammenzuckte und sich erst jetzt, als er Kingsleys stechenden Blick auf sich spürte, von Hermine losreißen konnte, um sein Gegenüber wieder anzusehen. „Hast du herausgefunden, wie er das Schloss verlässt?" „Nein." Er hustete und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Kehlkopf. Eigentlich schien er doch krank zu sein, denn es war doch wohl unmöglich, dass es die Worte selbst waren, die seine Stimme kratzen und seinen Hals so offensichtlich schmerzen ließen. „Die Karte ist ja leider weg, aber ich habe andere Wege, um ihn zu beschatten. Aber bis jetzt… also, ich habe noch nicht herausgefunden, wie er es macht." „Sollte uns das nicht langsam egal sein?", schaltete sich Ginny ein. „Es ist doch unwichtig, wie er es tut. Warum lösen wir das Problem nicht endlich?" „Es geht nicht, solange er in der Schule ist. Wir können nicht einfach Schüler töten, Ginny." Bill lächelte seine Schwester fast entschuldigend an und fügte dann, als sie zu einer erbosten Antwort ansetzte, hinzu: „Irgendwann hat er ja Ferien. Nun, Remus, komm doch endlich zur Sache." „Ja, ja … Ihr unterbrecht mich ja auch ständig. Nun kurz und knapp. Voldemort heuert Leute an, denn er braucht Nachschub. Bedauerlicherweise rennen ihm die Sympathisanten praktisch die Tür ein, von der wir immer noch nicht wissen, wo sie sich befindet. Doch wie auch immer. Diese Neutodesser müssen informiert und ausgebildet werden. Bald ist ein Treffen. Wurmschwanz wusste, dass diese Veranstaltung offiziell im Ministerium als Wohltätigkeitsveranstaltung angemeldet ist." Er hob die Augenbrauen, verzog das Gesicht zu einer ironischen Grimasse und sprach weiter. „Da die überaus mildtätige Bellatrix Lestrange, sowie ihr ebenso guter Ehemann Rodolphus den Wiederaufbau des St. Mungo Hospitals finanziert haben, als ersten Versuch einer Buße sozusagen, wurde wohl nun beschlossen, dass sie sich noch viel mehr in der magischen Gemeinschaft einschleimen könnten, wenn sie einen Spendenfond einrichten würden. Sie haben extra ein weiteres Anwesen gekauft, um dort ihre Wohltätigkeit walten lassen zu können. Ist sogar im Ministerium als soziale Einrichtung eingetragen." „So wie die Malfoys Sozialarbeit leisten und leidenden Menschen in ihrem Haus Trost spenden", höhnte Mr. Weasley bitter. Elphias und Hestia tauschten vielsagende Blicke. Harry, den sie immer noch beobachtete, sah mehr und mehr aus, als ob er jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. „So in etwa." Lupin kratzte sich nachdenklich an der Nase, hustete und klopfte sich auf die Brust. Er nahm einen tiefen Schluck Wasser, benetzte seine Lippen mit der Zunge und ließ Hermine damit Zeit, darüber nachzudenken, ob Lupin mittlerweile selbst gelernt hatte, den Wolfsbanntrank zu brauen. „Nun ja. In Wirklichkeit ist es eine Art Einführungsveranstaltung für neue Todesser-Interessenten. Diese Leute haben bereits Kontakt mit Todessern aufgenommen und sind willens, für Voldemort zu arbeiten. Man wird ihnen nun wohl ihre ersten Aufträge erteilen. Einige hochrangige Todesser werden ebenfalls anwesend sein. Es ist keine leichte Entscheidung gewesen, da wir mit einer relativ großen Menschenmenge rechnen müssen, doch wir werden diese Versammlung besuchen. Mehr werde ich dazu nicht sagen." Hermine sank tiefer und tiefer an ihrer Stuhllehne hinab und hörte den übrigen Berichten zu. Zumindest tat sie so, denn Lupins knappe Andeutungen ließen allzu viel Raum für Vorahnungen. Sie hörte kaum, wie Harry den anderen von Riddles Tagebuch berichtete, wie Dumbledores Porträt über die Horkrux-Erinnerungen sprach und auch kaum die Weasleys, die alle miteinander eine Menge Fragen und Vermutungen zu weiteren Horkruxen und deren Verbleib hatten. Wirklich aufmerksam wurde sie erst, als Hagrid im Aufstehen Dumbledores Porträt umkippte und es beim Auffangen in zwei Hälften zerbrach. Der Dumbledore im Bild kauerte sich nun im unteren Bildrand zusammen, während seine im Fall verlorene Halbmondbrille lustig im oberen Bildrand herumwirbelte. Um Schlimmeres zu vermeiden, wurde Hagrid hinausgeschickt, um irgendetwas zu holen, während Charly und Morpheus das Bild erneut zusammensetzten und auf dem Stuhl platzierten. Hagrid grunzte. Nein, bestimmt war das ein Irrtum. Doch da! Schon wieder! Doch jetzt … durch das dumpfe Dröhnen von Hagrids schweren Schritten hindurch konnte man das Getrippel kleiner, flinker Füße hören. Hermine beugte sich nach hinten und sah, dass der Halbriese eine Hundeleine in der Hand hatte. Übles ahnend schloss Hermine die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Unheilschwangeres Raunen erfüllte den Raum. Dumbledores Bildnis rutschte seitlich zum Bilderrahmen, klammere sich von innen daran und versuchte, seine spitze Hakennase über den Rahmen rüberzuschieben. Neville und Harry tauschten amüsierte, doch wissende Blicke, als sich Hermine ratlos zu ihnen umdrehte. Harry winkte ab und deutete mit dem Finger nach vorne. Sie sollte selbst sehen. Lyra quietschte entsetzt und warf ihren Stuhl um, nachdem sie sich zu Hagrid umgedreht hatte. Hestia und Elphias hingegen erhoben sich und beugten sich vor, um besser über den Tischrand spähen zu können. Hermine sah Hagrids buschigen Kopf unter dem Tischrand verschwinden und stattdessen sein massiges Hinterteil aufragen. Sein tiefer, sonorer Bass erfüllte den Raum und sendete dunkle Schallwellen durch den Raum, die sie fast auf der Haut zu spüren glaubte. Aber vermutlich war das ein Irrtum. Er murmelte einige zärtliche Worte, dann schnellte er mit einem Ruck nach oben, ein rosa Wollknäuel im Arm. Wollknäuel? Nicht ganz … Das, was Hagrid wie ein Baby auf seinem Arm wiegte, war … nun, wenn Hermine diesem Wesen einen Namen hätte geben sollen, so hätte sie es vermutlich „Schwein" genannt. Doch es statt rosiger Haut und fetter Schenkel sah sie einen Mop aus seidig schimmernden, langen, rosa Locken. Dennoch war der haarige Schwanz, der sich zwischen Hagrids Prankenfingern herauslugte, eindeutig geringelt. Die Schnauze und auch der Rest des Gesichts eindeutig schweinisch und das Grunzen, nun, das Grunzen rundete das Bild ab. „Hagrid, was um alles in der Welt ist das?", fragte Hermine beklommen bei dem Gedanken an Hagrids bizarren Haustiergeschmack. Hagrid grunzte glücklich und drückte das Tier an sich, als sei es sein Erstgeborenes. „Das ist Herbert, das Horkruxschwein." Das Lockenschwein wurde auf dem Tisch abgeladen, wo es von einem vor Stolz überquellenden Hagrid der Menge präsentierte wurde. „Meine eigene Züchtung. Herbert findet alles, was er riechen kann. Ich habe ihm Riddles Tagebuch zu schnuppern gegeben. Hat er dabei halb aufgefressen, der Gute." Herbert grinste, sofern ein Schwein überhaupt grinsen konnte und entblößte dabei zwei Reihen rasiermesserscharfer Fangzähne. Hagrids Pranke vergrub sich in dem rosaglänzenden Lockenfell. „Er wittert Horkruxe auf eine Entfernung von mehreren Meilen und er kann apparieren. Wir müssen ihn nur an der Leine lassen, uns alle anfassen und wenn Herbert irgendwo im Umkreis von zwanzig Meilen einen Horkrux wittert, appariert er uns dorthin. Gut, nicht? Wir werden das ganze Land, Stadt für Stadt mit Herbert zusammen durchkämmen. Spätestens in den Osterferien…" „Habt ihr das denn schon mal probiert, Hagrid?" Hagrids Mundwinkel zogen sich angesichts Freds schlichter Frage unheilvoll nach unten. Er machte ein Gesicht wie ein kleines Kind, dem gerade gesagt worden war, dass sein neustes Kunstwerk nur Krickelkrakel sei. „Nee. Klappt aber. Immerhin hat er ja auch das Steak gefunden, dass ich ihn gestern hab suchen lassen. Und meine Socken." Hagrid grinste so glücklich, als wäre damit alles geregelt und alles erklärt. Bevor Hermine zu einem vernünftigen Protest anheben konnte, wurde sie durch ein leises Pochen an der Fensterscheibe gestoppt. Ginny stand auf, um die Eule, die dort saß und mit ihrem Schnabel aufgeregt gegen das Glas pochte, einzulassen. Ein kleiner Steinkauz flatterte herein, setzte sich direkt vor Kingsley und sah ihn mit seinen klugen Augen so durchdringend an, als versuche er die übermittelte Botschaft selbst zu erklären. Kingsley befreite das kleine Beinchen behutsam von dem aufgerollten Pergament und las. Alle Augen auf ihn gerichtet. Alles war still, jeder schien gespannt auf den Inhalt dieser Botschaft zu warten, die Kingsley zwar nicht erschreckte, doch traurige Sorgenfalten auf seiner Stirn wuchern ließ. „Karkaroff", murmelte er schließlich leise und faltete das Pergament wieder zusammen. „Er ist doch vor Voldemort geflüchtet. Offenbar haben sie ihn nun gefunden. In einem verlassenen Haus in Norwegen wurde die Leiche gefunden." Er schluckte schwer und wischte sich mit dem Handrücken kleine Schweißtropfen von der Stirn. „Gehäutet. Seine Haut haben sie erstarren lassen und wie einen geleerten Zwilling neben ihm platziert." „Oh, nein." Molly schlug sich die Hände vors Gesicht und quiekte entsetzt. Keiner am Tisch schien weniger bestürzt. Wenn Karkaroff auch nicht beliebt gewesen war, so war dieses von Kingsley übermittelte Bild doch nichts, was sie einem Abtrünnigen Voldemorts wünschten. „Daran ist er aber nicht gestorben", fuhr Kingsley mit tonloser Stimme erbarmungslos fort. „Irgendjemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten." Er hob sich die Hand vor den Mund und warf einen vorsichtigen Blick auf das Pergament in seiner Hand. Gerade so, als würde er sich selbst vor den Zeilen, die das Grauen beschrieben, fürchten. „Entweder davor oder danach wurde er angepinkelt. Er …" Harry beugte sich nach vorne und erbrach sich platschend auf Lupins Unterlagen und dessen Hosen. Fahrige Hände fassten direkt in den Matsch, als sich Harry sich schwitzend und zitternd hochstemmte, und mit einer gemurmelten Entschuldigung zur Tür hinaus wankte. Hermine folgte wenige Minuten später. Sie musste so lange warten. Es wäre zu offensichtlich gewesen, wenn sie ihn sofort angeschrien hätte. Xxx Hermine stürmte geradewegs, ohne einen Moment des Zögerns in die Jungentoilette. Sie wusste nicht was sie erwartet hatte, doch aus irgendeinem Grund raubte ihr der Anblick von Harry den Atem, der kreidebleich und zitternd an der Wand gegenüber lehnte, seine Arme um sich schlang und entsetzt zu der geöffneten Tür starrte. „Was treibst du hier? Warum rennst du mir auf die Toilette nach?" Er stieß sich von der Wand ab und wedelte abwehrend mit den Händen. „Hau ab!" Statt zu gehorchen, trat sie ein und schloss die Tür hinter sich. Hermine keuchte. Vor Wut, vor Angst, vor Entsetzen, denn eben hatte sich ihre Ahnung zur Gewissheit gewandelt. Ihre Hände schnellten zu Harrys Kehle, als wolle sie ihn in einem Anfall von Wahnsinn erwürgen. Statt zurückzuweichen, klammerte sie sich an Hemdkragen und Schultern und stieß ihn mit der ganzen Wucht ihres Entsetzens gegen die Wand. „Bist du wahnsinnig geworden?" Er wand sich unter ihrem Griff, zappelte und versuchte, sie von sich zu schieben, doch Hermine ließ nicht von ihm ab, schlug ihn noch einmal und noch einmal mit dem Rücken gegen die Wand und schrie völlig außer sich: „Du Vollidiot! Du Irrer! Was denkst du denn, wer du bist? Was glaubst du, was du hier tust?" Sie musste von ihm ablassen, weil Schütteln nicht mehr reichte, weil er nicht weinte oder wimmerte, sie hatte ihm noch nicht genug wehgetan. Hermine ließ von ihm ab um auszuholen, doch bevor ihre Hand sein Gesicht traf, packte er ihr Handgelenk und verdrehte ihr mit einem schnellen Griff den Arm auf den Rücken, drehte sie dabei um und presste sie mit dem Körper gegen die Wand. Dann, als Hermine vor Schmerz aufschrie, ließ er im Bruchteil einer Sekunde von ihr ab, sprang drei Schritte nach hinten und drückte sich, mit verschränkten Armen und Angst in den Augen, in die Zimmerecke. „'Tschuldigung", murmelte er leise und legte den Kopf schief. Mit besorgtem Blick studierte er ihre Miene, wohl um herauszufinden, wie wütend sie war und wie falsch er sich wieder benommen hatte. Hermine stöhnte und rieb sich ihr schmerzendes Handgelenk. „Du bist ein … ein … Vollidiot, Draco." Er keuchte und riss die Augen vor Entsetzen auf. Hermine verdrehte die Augen. „Dachtest du, ich merke das nicht?" Sie schüttelte fassungslos ihren Kopf und hielt ihm anklagend die Hände entgegen, doch ihre Stimme klagte nicht an, sondern klang schüchtern, fast ängstlich. „Ich war mir nicht sicher, aber du… du bist einfach anders als Harry und", sie hustete verlegen, „du siehst mich anders an." Ein sanftes Rosa überzog Harrys Gesicht und erneut lag ein Ausdruck in seinen Augen, mit dem Harry sie noch nie, Ginny dafür umso öfter bedacht hatte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, das jedoch sofort verblasste. „Aber es war eigentlich etwas anderes." Sie machte eine Pause, sah ihn prüfend an und zwang sich letztendlich doch, den schlimmen Verdacht auszusprechen. „Karkaroff?" Draco-Harry schnappte nach Luft, wurde leichenblass und sackte langsam nach hinten gegen die Wand. Schweißperlen bildeten sich auf dem wachsweißen Gesicht, zitternde Hände wischten über Harrys Wangen und seine Atmung wurde flacher. Hermine hatte das unangenehme Gefühl, allein durch diesen Namen eine erneute Panikattacke ausgelöst zu haben. Sie fühlte, dass sie irgendetwas tun sollte und doch konnte sie sich nicht bewegen, da der Anblick des Harry und Doch-nicht-Harry so befremdlich war, da ihr so viele Gedanken und Ängste in diesem Moment durch den Kopf schossen, dass all die Dinge, die im Moment fürchterlich waren, sie komplett lähmten. „Ich … ich weiß nicht." Er schwankte leicht, knickte ein und sank langsam die Wand hinunter. „Ich … mir wurde einfach schlecht, als ich seinen Namen hörte. Ich konnte nichts dagegen machen. Ich höre das zum ersten Mal, aber ich weiß", er brach kurz ab und presste sich die Hände an die Schläfe. Sein Gesicht verzog sich qualvoll. Als ob er die Erinnerungen aus sich selbst herauspressen wollte, so sah er aus. Als ob er sich selbst dazu zwingen wollte, etwas zu wissen, das ihm doch so offensichtlich Todesangst machte. „Ich sehe manchmal Bilder. Immer nur kurz … ich sehe einen blutenden Mann am Boden. Manchmal liegt er in der großen Halle, manchmal im Klassenzimmer. Immer nur sekundenlang, dann ist er wieder weg. Und ich höre etwas, das… es… es klingt so, als würde man ein Steak kleinschneiden… Auch, wenn gar nichts zu essen in der Nähe ist." Er hustete und legte den Kopf nach hinten. Kraftlos wirkte er und krank. Er schluckte und Hermine sah, wie sich sein Körper kurz aufbäumte. Der Mund verzog sich und eine zitternde Hand legte sich auf seine Lippen, doch er konnte die aufwallende Übelkeit wohl noch eine Weile bekämpfen. Die Augen geschlossen, das Gesicht nach hinten. Sie wollte eigentlich zu ihm gehen und irgendetwas machen. Sie spürte, dass er das von ihr erwartete, sich vielleicht sogar wünschte. Doch so, wie er aussah - es ging einfach nicht. Sie hätte Harry trösten können und Draco, nun, Draco hätte sie vielleicht auch umarmen und an sich drücken können. Aber dieses Mischwesen, nein, sie vermochte es noch nicht einmal anzufassen. „Hast du ein Denkarium? Du könntest versuchen … also, wenn deine Erinnerungen so unklar sind …" „Hmm. Mutter hat mir letztes Jahr eins geschenkt. Ich schätze mal aus Angst vor Bellas Okklumentikstunden." Er grunzte unbestimmt und flüsterte mit tonloser Stimme. „Natürlich hab ich das versucht. Aber diese Erinnerungen sind wie Nebel. Sie sind grau, wenn ich sie aus meinem Kopf herausziehe. Nichts zu machen. Es ist, als ob mein Gehirn diese Erinnerungen selbst manipuliert hätte. Ich kann sie nicht klar sehen." Er seufzte und beugte sich etwas nach vorne. Seine Hände glitten über den Boden, bis er Halt fand und sich auf die Hände gestützt wieder aufraffen konnte. „Ich… ich weiß nicht, vielleicht war ich dabei. Kann sein." Hermine betrachtete Harry-Draco, der zuerst auf die Knie ging und sich dann, wie ein alter Mann, langsam aufrappelte, nachdenklich. Manchmal sind die Dinge schon seltsam, dachte sie. Hier stand sie nun und wusste nur von seiner Reaktion her viel besser als er, dass er nicht nur Zuschauer gewesen war. Wusste, wer es gewesen war, der Karkaroff die Haut abgezogen hatte. Sie erwog, diese Vermutung auszusprechen. Aber wenn ihn nur die Erwähnung von Karkaroffs Namen schon an den Rande des Nervenzusammenbruchs brachte, wie würde er reagieren, wenn sie ihn mit seinem Anteil an dessen Tod konfrontieren würde? Vielleicht, so grübelte sie weiter, ist es manchmal ja gut, wenn man sich an nichts erinnern kann. Vielleicht ist es einfach so. Ein neuer Gedanke schoss ihr plötzlich, doch eigentlich geradezu schmerzhaft einleuchtend, in den Sinn. „Wo ist Harry?", fragte sie und ging in die Knie, als würde sie ernsthaft erwarten, seine Schuhe unter irgendeiner der Toilettenkabinentüren erkennen zu können. „Nicht hier!" Draco–Harry ging ebenfalls in die Knie, um ihr in die Augen sehen zu können. Er grinste schief und mit so viel Häme im Blick, wie es dem echten Harry nicht möglich gewesen wäre. Hermine schüttelte verwirrt den Kopf und hob die Hände vor die Augen. Sie blinzelte und ihre Augenlieder pressten sich zusammen, als würde sie von grellem Licht geblendet. Zu unwirklich und verwirrend war dieser Anblick vor ihr. „Wo ist er aber dann? Was hast du mit ihm gemacht?", drängte sie ungeduldig und stieß sich vom Boden ab. „Es geht ihm gut", erwiderte Draco mit Harrys Stimme lapidar, wiegte den Kopf nachdenklich hin und her und vollendete: „Glaube ich zumindest. Bisher hat ihm das noch nie geschadet." „Bisher?" Hermine war mit einem Satz bei Harry, nein, Draco, bei dem Jungen am Boden eben. Packte ihn am Kragen und schüttelte ihn. „Was hast du mit ihm gemacht?" „Reg dich ab. Er ist in der Besenkammer bei der Bibliothek. Da wartet er, bis ich zurückkomme." Harry-Draco wurde rot und wischte sich mit den Händen ungeschickt übers Gesicht. Die Brille, ungewohnt und falsch, wurde unter seinen fahrigen Händen heruntergewischt und fiel klappernd zu Boden. „Was soll das heißen, er wartet, bis du wiederkommst? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!" Der Junge, der ihren Blick gemieden hatte und stattdessen nervtötend am Boden herumgekrabbelt war, hob seinen Kopf und grüne Augen sahen sie mit einer Mischung aus schlechtem Gewisse und Stolz an. „Uah… sieh sofort wieder weg. Das ist...", Hermine grunzte und drehte sich weg, ballte die Hände zu Fäusten und presste sie vor ihre Augen. „Ich kann so mit dir nicht reden. Also … jetzt sag endlich, was du gemacht hast." Harry-Draco seufzte und Sekunden später hörte sie wieder seine Hände auf dem Boden patschen. Erneut auf der Suche nach der Brille, ohne die er nichts sehen konnte, doch die er noch nie zuvor getragen hatte. „Er schläft. Ich habe ihn in der Nähe der Krankenstation gefunden. Er ist mit einem Buch in der Hand in einem Korridor eingeschlafen. Ich habe ihn in die Besenkammer geschafft und…naja, siehst du ja." Sie schüttelte sich angewidert. „Lieber nicht aber … Moment. Er hatte geschlafen? Mein Gott, war er krank? War er … uahh" Hermine hatte sich voll Sorge zu Draco umgedreht, da es eindringlicher schien, ihn bei ihren bohrenden Fragen anzusehen, doch Harrys schamrotes Gesicht, das mit einem schiefen Grinsen und ohne Brille zu ihr hinübersah, machten klare Gedanken fast unmöglich. „Nein, er … ah. Da ist sie ja …" „Lenk nicht vom Thema ab. Was ist mit ihm?" Draco-Harry krabbelte emsig auf allen Vieren zu einem Waschtisch, unter den die Brille gefallen war, und tastete sich ungeschickt über den Steinfliesen entlang, bis er sich, heftig den Kopf am Waschbecken über ihm anschlug und sich mit gekünstelt schmerzverzerrtem Gesicht die Stirn rieb. Draco, so viel stand fest, hatte kein Talent zur Kurzsichtigkeit. „Also möglicherweise hat er ja etwas getrunken, was ihn einschlafen ließ. Eine Weile …" „Har … nein … Draco!" „Okay!" Er stöhnte genervt, angelte nun gezielt nach der Brille und rammte sie sich zurück auf Harrys Nase. „Er hat ein Schlafmittel bekommen. Dann hab ich ihn in die Besenkammer gezogen und … naja … Ich bin ziemlich gut in Legilimentik. Ich habe dann gesehen, wann ihr euch trefft und worum es geht." Hermine schüttelte energisch den Kopf. „Aber du, du", stammelte sie, zwischendrin immer wieder eine Pause einlegend, um nach Atem zu ringen. „Ich kann dich noch nicht einfach unsere Geheimnisse verraten lassen. Ich kann dich doch nicht gehen lassen." Draco wischte sich mit den Händen übers Gesicht, fuhr sich durch das dunkle Haar und verharrte so in dieser Position. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, das Gesicht ausdruckslos mit über dem Kopf verschränkten Händen. Er sah ein wenig aus wie ein ertappter Straftäter, der sich ergeben will. Nur… in seinem Gesicht war in diesem Moment weder Scham noch Ärger noch Reue. Keiner der Gedanken, die sich hinter seinen grauen Augen formten, war für Hermine von außen erkennbar. „Wenn du meine Erinnerungen löschst, bist du daran schuld, dass diese Menschen sterben werden. Du hast es gehört, sie wollen uns wieder überfallen." „Unsinn", schnappte Hermine erregt zurück. Ihre Nüstern blähten sich, während sie aufgeregt ein- und ausatmete. Protest, purer Protest, obwohl sie die Gefahr der Wahrheit seiner Worte erkannte. „Das ist absoluter Quatsch", schrie Hermine wütend. Er verärgerte sie. So konnte sie nicht mit ihm reden, nicht, wenn er wie Harry aussah. Statt ihm in das vertraut-falsche Gesicht zu sehen, verschränkte sie die Arme und drehte sich wütend um. Ihr eigenes Gesicht, das ihr aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegenblickte, war rot vor Zorn und trug einen Ausdruck, der mehr zu einem trotzigen Kleinkind als zu der reifen Hermine gepasst hätte. „Du lügst! Du lügst andauernd. Du… du willst nur…" „Glaubst du wirklich, dass man Wurmschwanz foltern musste, um diese Informationen von ihm zu bekommen? Glaubst du wirklich, dass mehr als ein Blick nötig gewesen wäre, um ihn zum Reden zu bringen? Trotzdem … hat er sich die Zunge selbst herausgerissen? Was meinst du?" Seine Stimme war ruhig, vertraut und doch klang es nicht wie Harry. Zu bitter, zu nüchtern, zu wahr. Sie hörte ihn näherkommen und schloss ihre Augen, als ein dunkler Haarschopf am Rand der Spiegelfläche sichtbar wurde. „Wer belügt hier wen?", fragte er leise. Das wollte sie nicht hören. Schon gar nicht von ihm. Sie schlang die Arme um sich, weil sie fröstelte. Es war kalt hier drinnen. Nicht wegen dem, was er gesagt hatte. Schließlich glaubte sie ihm ja nicht. „Sie würden es nicht tun." „Natürlich nicht. Sie würden auch kein Gas im Manor einsetzen und den Tod all unserer Gefangenen und Hauselfen riskieren." „Davon wussten sie nichts", wimmerte Hermine in schwachem Protest. Dracos bitteres Grinsen wurde immer breiter. „Natürlich, wer hätte das auch ahnen können? Deine Freunde sind perfekt. Sie werden zu meiner Tante gehen und eine Halle voller Todesser zum Tee einladen, wo sie das alles in Ruhe besprechen können. Nicht? Ach komm schon Hermine. Her-mi-ne. Was glaubst du, warum die da überhaupt hinwollen? Glaubst du wirklich, dass sie nur die zwei oder drei ranghöheren Todesser mitnehmen wollen, die auf der Liste stehen? Wie wollen sie denn das machen? Sie kommen doch an all den anderen gar nicht vorbei, ohne zu kämpfen." Ein dumpfer Schmerz breitete sich in ihr aus. Weniger körperlich als seelisch. Als würde in ihr etwas schlafen, das langsam zu erwachen begann und nun, in dem Moment, als es die Augen öffnete, seine spitzen Krallen ausstrecke und sie von innen heraus zum Bluten brachte. „Aber das sind doch Todesser. Sie müssen doch etwas tun. Sie müssen etwas unternehmen, bevor sie all die schlimmen Dinge tun werden. Sie werden losgeschickt, um zu vergewaltigen und zu töten." „Das mag sein." Seine Stimme war kalt, klar und fest. Er wusste davon, er stritt ihre Bedenken nicht ab, dennoch beharrte er auf seinem Standpunkt. „Vergiss nicht, dass alles, was passiert, ein Exempel sein wird. Askaban ist so gut wie geschlossen und Todesser haben die Angewohnheit, nicht lange in Gefängnissen zu bleiben … geschweige denn zu überleben, wenn sie Voldemorts Befehle nicht befolgen. Freiwillig oder nicht. Deine Leute haben keine Wahl und sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass ihnen das klar ist." Die Wahrheit in seinen Worten war zu klar, als das sie einer weiteren Diskussion standhalten würde. Es war einfacher, diese Menschen zu vergessen, und sich stattdessen wieder um Harry Sorgen zu machen. „Wie bist du überhaupt an Harry herangekommen? Was hast du ihm angetan?" „Nichts!" Ihr Zauberstab bohrte sich in seinen Kehlkopf. „Draco… lüg – mich – nicht – an." „Also schön." Draco-Harry atmete tief durch und straffte sich, wohl in Erwartung einer gehörigen Standpauke. „Ich habe… Madam Pomfrey steht unter dem Imperiusfluch. Ich, naja...", er seufzte und seine Wangen überzogen sich mit einem kräftigen Rot. „Ich bin doch dauernd bei ihr… Es gab so viele Möglichkeiten, Legilimentik gegen sie einzusetzen. Ich habe gesehen, dass Potter jeden Tag zu ihr kommt, um irgendwelche Tränke gegen seine Vergesslichkeit zu nehmen." Sein Mund kräuselte sich einen Sekundenbruchteil zu so etwas wie einem gehässigen Grinsen. Bevor Hermine sich vollends darüber klar werden konnte, ob dies kein Trugschluss war, erklärte er auch schon weiter. „Ich war heute Morgen bei ihr weil ich… äh… egal, warum ich bei ihr war… Jedenfalls hat sie Harry heute nicht den Trank gegen Vergesslichkeit geben, sondern etwas, das Snape mir für ihn mitgegeben hat. Es ist eine Art Veritaserum, aber du vergisst innerhalb weniger Minuten alles was du gesagt hast. Daher wusste ich wann und wo ihr euch trefft und auch in etwa, was er sagen wollte. Bei allen anderen Fragen, die mir deine Leute gestellt haben, hab ich einfach behauptet, dass Dumbledore mir verboten, hat darüber zu spreche." Er zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. „Das haben immer alle akzeptiert. Wirklich… und dann denken die Leute, wir wären Voldemort hörig. Echt…" „Aber, aber…" Hermine hob anklagend die Hände und starrte ihn fassungslos an. „… Aber er wird doch wissen, dass er nicht bei unserem Treffen war." Sie krallte die Hände in ihre Locken und schüttelte voll ungläubigem Entsetzen den Kopf. „Wie… Wie… Wie kannst du nur so blöd sein?" So viel Dummheit und Unvorsichtigkeit. Plötzlich war es egal, dass er wie Harry aussah, solch haarsträubende Pläne konnten nur von Draco kommen. Zwei schnelle Schritte nach vorne, dann konnte sie ihre Finger im seine Oberarme klammern und ihn schütteln. „Moody? Weißt du nicht, dass sein magisches Auge dich trotz Vielsafttrank erkennt?" Aus Harry-Dracos Gesicht wich alle Farbe. Offene Bestürzung sprach aus seinen Augen. „Wirklich?" Sie ließ von ihm ab, schlug die Hände vor ihr Gesicht und stöhnte. Unfassbar… dieser Junge war so unfassbar dämlich. „Was glaubst du denn, woher er sonst wusste, wer in Gringotts euer Geld abheben wollte? Glaubst du echt, Lupin wäre mitgekommen und hätte sie am Geruch erkannt?" Hermine spreizte ihre Finger und schielte vorsichtig zwischen Zeigefinger und Ringfinger. Sie sah einen Harry, dessen Gesicht sich immer mehr Richtung rot verfärbte und verlegen nach unten auf seine Schuhe sah. Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen, vergrub seine Hände in seinem Umhang und vermied es hartnäckig sie anzusehen. Unfassbar, er konnte doch nicht… doch… er hatte wirklich so wenig nachgedacht. „Und außerdem…", sie schnappte nach Luft als wäre sie am Ertrinken, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und wandte es ihr zu, damit er ihr in die Augen sehen musste. „Lupin saß doch direkt neben dir. Wenn du das geglaubt hast, warum setzt du dich dann auch noch neben ihn? Er und Neville saßen doch genau neben dir. Denkst du denn gar nicht nach, Draco?" Hermines Tonfall war mittlerweile nicht mehr tadelnd, sondern nur noch flehend. Harry-Draco zuckte mit den Achseln und stieß sie von sich weg. Ein paar Schritte wich er nach hinten weg und verschränkte die Arme. Wie ein trotziger Fünfjähriger sah er aus. „Moody war aber nicht da, oder? Ich wusste, dass er später kommen würde und Lupin hat… er hat nichts gemerkt, oder?" Kopfschütteln. Sie rieb sich mit beiden Händen die Schläfen und stöhnte qualvoll. „Aber Draco, Moody kommt doch noch. Er bleibt doch nicht für ewig weg. Und dann?" Achselzucken. Hermine spiegelte die Geste und verzog genervt das Gesicht. Unglaublich! Draco war einfach unglaublich. „Und was machst du mit Harry?", griff sie den ersten Einwand wieder auf. „Die anderen werden ihn doch auf das Treffen heute ansprechen, er wird sich doch an nichts erinnern können." Ein Lächeln huschte über das Gesicht und weitete sich zu einem Grinsen. Er legte den Kopf schief und hob einen Finger. Eine Geste, als würde jetzt gleich die Enthüllung eines unglaublichen Geheimnisses folgen. Die eine Hand erhoben, die andere Hand glitt in seinen Umhang, fischte eine Weile darin herum und förderte, als sie schließlich fündig wurde, eine kleine, blau-fluoreszierende Phiole heraus, die mit etwas gefüllt war, das weder Gas noch Flüssigkeit war. Hermine verengte die Augen und legte den Kopf misstrauisch etwas zur Seite. „Was ist das?" „Weißt du das nicht?" Sein Tonfall wirkte fast fröhlich. Stolz, dachte Hermine und lächelte innerlich, er klang wie immer, wenn er dachte, dass er etwas besser wusste als sie. „Eine Erinnerung", antwortete sie und nun lächelte sie wirklich, als sie Dracos stolzes Lächeln verblassen sah. „Hmm", grunzte er enttäuscht und hob die Ampulle vor seine Augen, dann, als der Arm mit der Ampulle nach unten sank, kehrte das stolze Strahlen zurück in sein Gesicht. „Hab ich selbst gemacht." Wie ein kleiner Junge, wirklich. So stolz sah er aus, als Hermine nun wirklich vollkommen ahnungslos die Augenbrauen hob. „Wie? Du selbst?" „Jaha… das weißt du wohl nicht, was?" Ein langer, finsterer Blick und er versuchte wenigstens, nicht ganz so breit zu grinsen. Er hob die Hand vor den Mund, räusperte sich und sprach mit etwas dunklerer, mühsam um Haltung ringender Stimme weiter. „Snape hat es mir im Sommer gezeigt. Du kannst Erinnerungen selbst herstellen, indem du dir eine Szene vorstellst und die Vorstellung dann aus deinem Kopf ziehst." Er nickte gewichtig und schüttelte die Ampulle vor Hermines Gesicht hin und her. „Man kann mit Vorstellungen ähnlich wie mit Erinnerungen arbeiten. Es ist allerdings viel schwieriger, die aus dem Kopf zu extrahieren. Man kann sie aber in einem Denkarium ansehen und mit dem Zauberstab manipulieren. Ein bisschen wie wenn du ein Bild malst. Ich wusste, wer alles da sein würde und in etwa, worum es geht. Und, nun ja, ich weiß natürlich auch einiges, was ihr so stolz herausgefunden zu haben glaubt." Er lächelte arrogant, hob die Ampulle wieder vor sein Gesicht und betrachtete selbstverliebt sein Werk. „Es ist wirklich eine Kunst, musst du wissen. Man kann ganze Landschaften und Leben erschaffen, wie ein Schriftsteller. Ich werde nachher in den Keller gehen und die Vorstellung mit meiner Erinnerung vereinen und sie formen, dass Potter alles weiß, was er gehört haben sollte. Ja, und ich weiß alles." „Hmm." Hermine seufzte tief und gab kratzte sich in gekünstelter Nachdenklichkeit ihr Kinn. „Das ist ja alles ganz beeindruckend und kompliziert, aber wäre es nicht einfacher und vor allem viel ungefährlicher für dich gewesen, wenn du ihn nach dem Treffen geschockt hättest, um an seine Erinnerungen heranzukommen… Oder mich einfach gefragt hättest?" Harrys, nein Dracos, Gesicht schien komplett nach unten zu fallen. Nein, der Gedanke war ihm nicht gekommen. Slytherins schmiedeten gerne Pläne, je komplizierter desto besser. Einfach die Initiative zu ergreifen, um zu handeln, so wie Gryffindors es taten, das konnten diese Leute gar nicht. Hermine verdrehte die Augen und schüttelte missbilligend den Kopf. „Du bist ja nur neidisch, dass Snape mir etwas gezeigt hast, was du nicht kannst", schnappte er beleidigt zurück. Er wirkte zutiefst gekränkt, als er die kostbare Phiole ein letztes Mal ansah und sie dann zurück in seinen Umhang gleiten ließ. „Als ob ich die dunklen Künste anwenden würde", erwiderte Hermine voller Verachtung und gab sich die größte Mühe, zu einem extrem missbilligenden Gesichtsausdruck auch noch eine ablehnende Körperhaltung einzunehmen, indem sie den Kopf in den Nacken warf, ihre Arme verschränkte und sich von ihm wegdrehte. „Als ob ich auch nur etwas über solche Dinge hören wollte. Als ob ich auch nur von Leuten hören wollte, die so was machen." Hermine erwartete, dass er seinen kindischen Protest fortsetzte. Sie erwartete, dass er sich vor ihr aufbauen würde und in seinem wohlgeübten spöttischem Ton erklären würde, dass sie als Schlammblut von reinblütiger, dunkler Magie einfach nichts wissen wollte, weil sie unfähig war. Weil sie die falschen Bücher gelesen hatte oder irgendwelche anderen faulen, grundlosen Anschuldigungen. Aber nichts. Sie hörte ihn seufzen. Hermine drehte sich noch etwas mehr zur Seite und konnte ihn nun aus den Augenwinkeln im Spiegel erkennen. Draco, der zwar wie Harry aussah, doch mit keiner Faser wie dieser wirkte, stand mit gesenktem Kopf und in den Taschen vergrabenen Händen hinter ihr und starrte auf seine Füße. Er atmete schwer und wirkte so schlaff, müde und kraftlos, dass sie beinahe ohne zu überlegen zu ihm gegangen wäre, um ihn aufzurichten. Er hob den Kopf und selbst im Spiegel konnte sie die traurigen Augen sehen, die nun auf ihr ruhten. Nur einige Sekunden lang, dann schüttelte er den Kopf und murmelte resigniert: „Du magst diese Leute hassen, aber es sind meine Leute. Ein paar meiner ehemaligen Hauskameraden werden auch dort sein. Meine Freunde. Wenn du nicht willst, dass meine Freunde sterben, dann sag jetzt nichts zu deinen Leuten." „Ich will nicht, dass meine Freunde sterben!" Hermine sah ihn nicht an, sprach nur zu dem Spiegel, der vor ihren Augen verschwamm. Sie fokussierte nicht mehr ihn sondern starrte auf einen einzigen, winzigen Wasserhahn, der sich im Spiegel vom gegenüberliegenden Waschbecken spiegelte. „Das will ich auch nicht. Ich bin auf unserer Seite, nicht auf deiner. Vergiss das nicht." Kalt wie Eis und schmerzhaft wie warme Haut in eisigem Wasser war seine Stimme. Ihr Blick wurde deutlicher, die Schemen wurden schärfer und das Bild war wieder klar erkennbar. Draco-Harry beugte sich hinab, packte seine Tasche und ging mit eiligen Schritten zur Tür. „Sag ihnen, dass ich zu Madam Pomfrey gegangen bin. Ich werde nicht mehr hochgehen." Hermine nickte. „Das ist alles sehr schwer für mich, weißt du?" Draco-Harry zuckte die Achseln. „Für mich nicht. Für mich ist es ganz einfach zu wissen, was ich tun werde. Ist ja nicht so, dass ich eine Wahl hätte. Nicht?" Er seufzte, ließ von der Türklinke ab und kam zu ihr zurück. Er atmete tief und schwer, kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe und runzelte die Stirn. Hermine zog die Schultern hoch, presste die Lippen zusammen und versuchte so entschlossen und hart wie möglich auszusehen. Jetzt würde ganz sicher etwas Furchtbares kommen. Entweder würde er sie angreifen oder etwas so Grausames sagen, dass es ihr den Schlaf raubte. Sie stählte sich auf alles was da kommen könnte, schloss die Augen und… riss sie überrascht wieder auf, als sie seine Finge an ihrer Wange spürte. Schwitzige Fingerkuppen strichen ihr nervös über die Schläfen, strichen ihr eine Locke über die Ohrmuschel und fuhren spielerisch hinter ihrem Ohr, den Hals entlang nach unten. Sein Lächeln wirkte bemüht und dennoch war es echt. Sie spürte es. Hermine versteifte sich, als seine Hand diese Bewegung wiederholte. Nur mit dem Unterschied, dass die Hand dieses Mal nicht den Hals hinunter glitt, sondern auf dem Ohr verharrte. Ihre Hand fand seine. Sie umschloss seine Finger um seine Hand wegzuziehen. Nur deswegen, damit er aufhörte. Es war eigenartig. Sie spürte ihn immer noch an ihrem Ohr, obwohl seine Finger nicht mehr dort waren, sondern sich mit ihren verschlungen hatten. Immer noch hielt sie seine Hand und er ihre. Sie standen eine gefühlte Ewigkeit so voreinander. Wortlos einander an der Hand haltend. Hermine ertappte sich dabei, wie sie die Augen schloss, um sich besser Dracos Gesicht vergegenwärtigen zu können und schämte sich für die Erkenntnis, dass es auf diese Weise schöner war und sich so viel besser anfühlte, als wenn sie dabei Harry ansah. Dann drückte er ihre Hand noch einmal fester, nickte ihr zu, drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Ließ Hermine zurück mit ihren Zweifeln, Ängsten und allem, was ihr eben, als er ihre Hand gehalten hatte, noch so durch den Kopf geschwirrt war. Eine Weile lang blieb sie so stehen, überlegte was sie tun sollte und versuchte sich nicht ganz so schlecht dafür zu fühlen, dass sie im Begriff war, abermals Verrat an ihren Freunden zu begehen. Dann ging sie. Zum echten Harry, der Hermine eine halbe Stunde später beim Abendessen sagte, dass er manchmal komische Kopfschmerzen habe und irgendwie den Geruch von Putzlumpen nicht loswerden konnte, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wieso. Hermine informierte ihre Freunde nicht, dass die Todesser wussten, wer kommen würde. Vielleicht würde es ja wirklich so sein, dass die Todesser ihr Treffen einfach verlegten und der Orden vor einem leeren Haus auftreten musste? Es wäre doch schön, wenn die Lösung so einfach sein könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)