Baby, it's cold outside von FreeWolf (Ein Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Dezember - Kälte ------------------------------ 1. Dezember | Kälte Charaktere: Mao Chou (Mariah), Mathilda (Ich will euch die erste Geschichte nicht länger vorenthalten. Enjoy it! :) ) Mao verzog leicht das Gesicht, während sie hinter Mathilda das Bürogebäude verließ und ihr ungebremst die Kälte ins Gesicht schlug. Die Rosahaarige hatte sich bereits die gewünschte Zigarette angezündet, und der Rauch verwehte in winzigen Schwaden über ihren Köpfen, vermischt mit weißer Atemluft. „Hast du die Wolken gesehen? Sieht stark nach Regen aus“, fröstelnd zog die junge Frau mit dem Pink gefärbten Haar ihren Schal noch etwas enger um sich, vergrub ihre Nase darin. Ihr Atem hing minutenlang vor ihr in der Luft, und sie betrachtete fasziniert die feinen Schnörkel, die er in der Luft neben Mathildas Rauchschwaden formte. Die Rosahaarige antwortete nicht, sondern nahm bloß einen weiteren Zug von ihrer Zigarette, deren glimmende Spitze im schummrigen Halblicht des Tages aufleuchtete wie das Licht einer kleinen Kerze. Mao zuckte mit den Schultern, machte einen Schritt in den Lichtkreis der Straßenlaterne, welche eben flackernd ihren Dienst angetreten hatte, als könne ihr das künstliche Licht gleichzeitig etwas Wärme geben. „Warum stehe ich hier überhaupt herum und friere mir den Hintern ab, nur, damit du in aller Ruhe deine Fluppe rauchen kannst?“, stellte sie die nächste Frage, die wahrscheinlich ebenso unbeantwortet bleiben würde wie die vorherige. Es war schwer, mit der Rosahaarigen ein Gespräch zu führen. Sie sagte kaum einmal etwas, besonders nicht, wenn es um Maos Lieblingsthemen ging, belanglosen Klatsch und, noch interessanter, den Wetterbericht. In dem Bezug schien die Französin einfach in einer eigenen Welt zu leben. Außerdem äußerte sie kaum einmal eine Meinung – und wenn das Wunder doch geschah, stritten sie beiden sich anschließend, dass die Fetzen flogen. Mao zog den Schal wieder von ihrer Nase. Ihr Atem hatte die feine Wolle rund um Nase und Mund unangenehm angefeuchtet. Verdammtes Wetter, schimpfte sie in Gedanken, und gleich weiter: verdammter Winter, verdammte Kälte. Vor allem letzteres hasste sie. Sie war in einem Bergdorf aufgewachsen, welches lange Zeit in der Entwicklung hinterhergehinkt hatte – sie wusste, was >frieren< bedeuten konnte. Doch wo auch immer sie sich aufhielt, es gab kein Entkommen. Dabei war sie nach Südfrankreich gekommen, um endlich einen milden Winter zu erleben, möglichst ohne Schnee, Eis und Kälte. Die goldgelben Augen Maos funkelten im Licht der Straßenlaterne, während Mathilda nur entspannt einen weiteren Zug ihrer Zigarette nahm und sie scheinbar ignorierte. Die Kälte kroch unterdessen unter die Kleider der beiden Frauen, fraß sich langsam durch die Schichten und Hautschichten hindurch bis auf die Knochen und ließ zumindest Mao langsam, aber sicher einfrieren. Die Pinkhaarige schlang unwillkürlich die Arme um sich und seufzte ungehört, stellte sich bereits die Nacht vor, die sie erwartete, in wenigen Stunden. Sie würde sich frierend in ihre Heizdecke kuscheln, den Tee würde sie auf der Anrichte vergessen, wie immer, und schließlich, nach wie vor bibbernd, einschlafen. „Frierst du denn nicht, 'tilda?“, Mao trippelte leicht auf der Stelle, trat von einem Bein aufs andere, als wolle sie verhindern, dass ihre Sohlen festfroren. Die Rosahaarige wandte ihr nun doch den Kopf zu, und leise lächelnd zuckte sie mit den Schultern. Maos Herz machte einen Hüpfer, und sie fühlte sich beschwingt. Auch wenn die Kälte noch nicht vertrieben war, Mathildas Lächeln schaffte es, sie zurückzudrängen. Unwillkürlich blieb sie stehen, erwiderte die Geste mit klopfendem Herzen. Mathilda streckte ihre Hand in den Fingerhandschuhen aus, um Mao am Kragen ihres Mantels zu sich zu ziehen. Ein letzter Rauch – oder war es der gefrierende Atem? - wich aus ihrem Mund, während sie ihr vor Kälte gerötetes Gesicht dem der Pinkhaarigen annäherte. „Natürlich friere ich“, hauchte sie, und die hellen Augen funkelten, „Aber du vertreibst die Kälte.“ Mao konnte ein Kichern nicht verkneifen, und schlang ihre Arme um den Hals der anderen. Ihre goldgelben Augen trafen Mathildas, und sie lächelte abermals, und winzige Lachfältchen bildeten sich um ihre Augen, wie sie es immer taten. Normalerweise brachten solche Sätze Mao aus dem Takt. Aber gerade.. genoss sie einfach den Moment, den Nachgeschmack des Tabaks, den sie eigentlich nicht ausstehen konnte und das strahlende Lächeln der Rosahaarigen. „Zu dir?“, die goldenen Augen hatten noch immer den ruhigen Glanz in sich, den sie immer trugen, wenn sie sich küssten. (Und wenn sie noch anderes taten, doch dies war eine Sache zwischen ihnen, nicht für die Welt.) Mathilda lächelte, zuckte mit den Schultern und verhakte ihre Finger mit Mariahs. „Wenn du magst.“ Kapitel 2: 2. Dezember - Glühwein --------------------------------- 2. Dezember – Glühwein Tannenzweige säumten die Lichterketten, kleine Bäumchen standen rings um den Streichelzoo hab-acht, wie um die Tiere vor den vielen kleinen Kindern dort zu beschützen. Dampf stieg über dem kleinen Marktplatz auf und hinauf in die Kälte der Nacht. Robert hob kurz den Kopf, versuchte, die Sterne dort irgendwo auszumachen, doch das künstliche Licht der Lichterketten in Sternform waren das einzige, auch nur Annähernde was er zu Gesicht bekam. Er brummte leise und hielt die Hände an den kleinen Holzofen, der in jeder Vorweihnachtszeit seinen Stammplatz neben dem Glühweinstand – dem mit dem besten Heißgetränk – bezog. Weihnachtsevergreens dröhnten in voller Lautstärke an seinem Ohr vorbei, und der Lilahaarige beobachtete ein paar Kinder an einem Süßigkeitenstand amüsiert, wie sie die Bratäpfel und Zuckerstangen mit großen Augen anhimmelten. Was gab es Schöneres in der Vorweihnachtzeit, als einen kleinen Spaziergang über den Weihnachtsmarkt zu machen? Zwischen bunten, blinkenden Lichtern hindurch, die alljährlichen Weihnachts-Evergreens in den Ohren, und einem Haufen Touristen, die einem auf die Füße traten und sich von Möchtegern-Taschendieben ausnehmen ließen.. Er landete jedes Jahr an einem der gefühlten tausend Glühweinständen, wo er sich ebenso alljährlich ein Körperteil abfror, um einen überteuerten Plastikbecher des übersüßten Fusels zu genießen. Robert blies einmal kurz in die hohlen Hände und schlug sie mehrmals aneinander, um nicht jetzt schon ein Körperteil einzubüßen – die Vorweihnachtszeit hatte immerhin gerade erst begonnen. Und er mochte es einfach doch irgendwie, in diesem seltsamen, urigen Dorf irgendwo in Österreich den Abend bei einem Glühwein zu verbringen. Apropos Glühwein.. Robert blickte sich, die kitschigen Auslagen der Holzhüttchen ignorierend, um, suchte nach seinem Begleiter. Eigentlich sollte er den Glühwein doch bald gekauft haben.. Besagter Begleiter schwenkte gerade eben fröhlich zwei der berühmt-berüchtigten Plastikbecher ominösen Inhalts. „Roberto!“, Enricos fröhliches Antlitz, von der Kälte gerötet, verschwand beinahe in dem Arrangement aus grüner Wollmütze und Schal. Der Habsburger schüttelte bloß den Kopf. „Du hast die gute Laune heute auch mal wieder gepachtet, mein Lieber“, grinste Robert und nahm dem Blondschopf einen der Becher aus der Hand. Dieser ging nicht auf die Bemerkung ein, sondern winkte bloß zwei jungen Frauen in ihrer Nähe zu. „Entschuldige, ich wollte dich nicht warten lassen“, der Italiener strahlte, „Ich musste einfach die jungen signorine dort drüben etwas mit meiner Anwesenheit beglücken!“ Robert lachte auf. „War ja klar, dass du den bunten Lichtern und den Frauen nicht widerstehen kannst“, er prostete den beiden Frauen zu, deutete hinter Enricos Rücken einen Vogel, ehe er auf ihn zeigte und mit den Schultern zuckte. Selbst den blasiertesten Adligen packte hin und wieder die Albernheit. Und es gab tatsächlich schlimmeres, als den Tag zwischen den kitschigen Weihnachtsmarkt-Ständen und den versoffenen Santa Clauses auf der Lauer nach kleinen Kindern zu verbringen. Zumindest, wenn man einen Italiener dabei hatte, der sich für jede noch so kleine blinkende, düdelnde Kleinigkeit begeisterte wie kein zweiter. Robert grinste schief in sich hinein - allein schon wegen diesem Highlight war es die Strapaze jedes Jahr aufs Neue wert. Und Enrico bezahlte den Glühwein am Ende des Tages. Kapitel 3: 3. Dezember - All I want for Christmas ------------------------------------------------- (Song by Mariah Carey: All I want for Christmas, gewidmet der Lieben :3) „I just want you for my own more than you could ever know make my wish come true! All I want for Christmas is you!“ Mystel zog sich die Decke über den Kopf, murrte leise, während er sich zu erinnern versuchte, warum er dieses Lied noch gleich auswendig mitsummen konnte. Er fand keine Antowrt auf die Frage, auch kein besseres Mittel gegen den Lärm, der ihn geweckt hatte. Das Radio in der Küche – die zufällig direkt neben seinem Zimmer lag – war bis zum Anschlag aufgedreht. „Memo an mich“, murrte der Blondschopf, wie immer, wenn er etwas nicht vergessen wollte, „Ming den Hausschlüssel abnehmen“ Er drehte sich zur Seite, schielte aus verklebten Augen zu dem kleinen Wecker neben seinem Bett. Es war – und dies ließ Mystel nun überlegen, wen er eher bestrafen sollte: sich selbst, oder den Verantwortlichen für die Laute Musik – halb sechs Uhr früh. Nach einer durchzechten Nacht mit Crusher und Garland – da fiel ihm ein: hatte Crusher wieder auf der Couch geschlafen, statt nach Hause zu Monica zu gehen und war an die Fernbedienung zur Stereo gekommen? Mystel seufzte und fuhr sich übers Gesicht. Nein, das konnte es auch nicht sein. Das Subwoofer-System der Stereo bekam die ganze WG wach. Außerdem stand die Anlage im Wohnzimmer. Der Blondschopf rollte noch etwas weiter zur Seite, und bemerkte nicht, dass er die Breite seines Betts bereits voll ausgeschöpft hatte. Mit einem lauten Krach fiel er aus seinem Bett zu Boden – vollkommen in seiner Decke verheddert schloss er die Augen und lachte leise in sich hinein. „Zumindest kann ich nicht mehr mit dem falschen Fuß aufstehen“, führte er sein Selbstgespräch von vorhin wieder fort und blinzelte müde, ehe er sich erhob. „I don't want a lot for Christmas there's just one thing I need I don't care about the presents underneath the Christmas tree!“ Der Blondschopf gähnte, ohne sich die Mühe zu machen, die Hand vorzuhalten, und schlurfte aus seinem Zimmer, einen Raum weiter. Wow, das Radio war wirklich zum Äußersten aufgedreht, wenn der Lärm selbst durch die geschlossene Küchentür durch drang. Beinahe rhythmisch dazu kam aus Richtung der Couch im Wohnzimmer Crushers Schnarchen, und Mystel schmunzelte leise. Er holte Schwung und stieß die Küchentür mit dem Fuß auf, ganz in Manier eines Polizei-Sondereinsatzes. Zeit, für ein Ende der Lärmbelästigung zu sorgen. „Keine Bewegung! Sie haben das Recht zu Schweigen!“, brüllte er, ehe ihm die Spucke weg blieb. „Oh I don't want a lot for Christmas this is all I'm asking for I just wanna see my baby standing right outside my door“ „Was..“, Mystel wusste nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Auf den ersten Blick wirkte alles normal: Brooklyn war in der Küche, gekleidet in Mings türkisfarbene Schürze mit den vielen kleinen, gelben Sternen. Die hatte sie bei ihrem Auszug aus dem „Schweinestall“ - ihre Worte, nicht Mystels – zurückgelassen. Als Abschiedsgeschenk sozusagen. Der zweite Blick brachte schon mehr Aufschluss darüber, warum Mystel sich fühlte, als tanzte eine betrunkene Kuh vor ihm herum, die einen weißen Rauschebart angeklebt trug und sich „Santa Nick“ nannte. Brooklyn trug nämlich nicht gerade viel unter seiner Schürze. Nur Shorts. Mit hübsch roten Herzchen. Auf den dritten Blick erkannte Mystel, dass die seltsam zuckenden Bewegungen, die der Orangehaarige gerade ausführte, nicht heißen sollten, dass er an unkontrollierbaren Zuckungen litt, sondern, dass er tanzte. Zur Weihnachtsmusik aus dem Radio. „Was.. machst du da?“, fragte der Blondschopf, leicht überrumpelt von dem tanzenden Brooklyn, welcher nun in seinen Bewegungen innehielt und ihn anstrahlte. „Oh I just want you for my own more than you could ever know make my wish come true baby all I want for Christmas is you“ Manchmal wusste Mystel, warum Serienkiller nicht als solche zu erkennen waren: der unschuldig-naive Ausdruck in Brooklyns Miene ließ ihn aussehen wie den etwas exhibitionistischen, zu Weihnachtsmusik wie ein Gogo-Girl tanzenden Nachbarn, der am Weihnachtsabend zum Punsch kam. „Ich backe Kekse!“, verkündete Brooklyn stolz und Mystel blinzelte skeptisch zu den Teigklumpen, welche sich rund um Brooklyn auftürmten. Memo an mich, dachte er, während er sich langsam rückwärts aus der Gefahrenzone brachte. Kein Kochbuch für Brooklyn zu Weihnachten. Kapitel 4: 4. Dezember - Nachtwache ----------------------------------- 4. Dezember - Nachtwache „Es gab diese alte Geschichte, von einer eisigen Königin, die alles und jeden in ihren Bann zog....“, die Stimme des ältesten im Schlafsaals hallt durch den Raum, der Atem der versammelten Jungen verhallt in der angespannten Stille. Der junge Rotschopf legt den Kopf auf seine Arme, die auf dem hölzernen Fensterbrett ruhen, und blickt hinaus in die weite Dunkelheit der Nacht. Die Geschichte zieht beinahe sang- und klanglos an ihm vorüber. Er kennt sie bereits, wie er alle Geschichten kennt. Er lebt bereits zu lange hier. Eine Kerze ist neben ihm entzündet und lässt das feuerrote Haar kupfern glänzen, während der goldene Schein der Kerze die vielen Silbersprenkel in seinen Augen zum Leuchten bringt. Er ist müde. Vom anstrengenden Training, von der dicken Suppe, die die Köchin ihnen immer zum Abendessen vorsetzt. Sie ist sehr fürsorglich, achtet immer darauf, dass jeder Teller mindestens zweimal gefüllt wird. Seine Lider fühlen sich an, als zögen kleine Gewichte sie nach unten, und immer, wenn sie ihm zufallen, folgt auch sein Kopf dem Beispiel. Bis er wieder nach oben schreckt, weil es im Winter immer unerträglich kalt ist im Schlafsaal. Auch wenn die dicken Betten schön warm halten, am Fenster lässt es sich nicht aushalten. Die Nacht draußen vor dem Fenster macht es nicht besser, scheint das Licht heraus in das Nichts der Dunkelheit ziehen zu wollen. Darum sitzt er auch hier, und hält die Kerze fest. Das Licht darf nicht von ihnen allen weggebracht werden. Besonders nicht im Winter, wenn der winzige Schein den Morgen und den Abend beleuchtet und die Eisblumen, die am Fenster blühen, zum Glitzern bringt. Die Lichtfläche, durchbrochen von den Schatten-Pendanten der Querstreben im Fenster, scheint einen eigenen, vorgezeichneten Weg zu bilden. Sie zieht scheinbar unendlich weit ins Dunkel hinein – manchmal sieht er, wie die Wölfe den Weg kreuzen und kurz anhalten, als könnten sie sich allein an der Anwesenheit des Lichts aufwärmen. Das Licht der Kerze flackert in unsichtbarer Zugluft, und er hält schützend die Hände davor. Lange Schatten fließen greifend über sein Gesicht, ohne etwas zu fassen zu bekommen, auch nicht die beiden langen Haarsträhnen, welche immer aufmüpfig in sein Gesichtsfeld fallen. Der kleine Rotschopf hat den Blick auf die Kerze gerichtet, völlig versunken in seiner einsamen Nachtwache. Die Geschichte ist inzwischen vorbei, der Großteil der Jungen schläft oder tuschelt noch ein wenig unter den Laken. Das eine oder andere Kind schluchzt leise. Das sind die Neuankömmlinge. „Was machst du da?“, hört er plötzlich eine Stimme seitlich hinter ihm sagen, und er kommt nicht mehr dazu, den Kopf zu drehen. Der kleine Neuankömmling von vorgestern hat sich bereits an ihn gekuschelt, das Kissen an sich gedrückt, als wäre es ein viel geliebtes Kuscheltier. Wobei.. wahrscheinlich sind die verschlissenen Kissen hier so etwas Ähnliches, denn niemand hat Stofftiere. Hier gibt es nur Hanteln, Gewichte.. und natürlich Beyblades, für die besonders begabten. Er darf auch schon damit spielen. „Ich passe auf das Licht auf“, erwidert der kleine Rotschopf mit dem bedächtigen Ernst eines Kindes, welches sich große Aufgaben erledigen sieht. „Warum machst du das?“, die Stimme des Kleinen – er muss kleinwüchsig sein, er muss Yuriy noch nicht einmal zur Hüfte reichen – klingt schon beinahe schläfrig. Manchmal brauchen die Jüngsten einfach eine Umarmung in der ersten Zeit. Später härten sie alle ab. Der kleine Rotschopf blickt kurz hinüber zu Boris, der sich unter seinen Decken vergraben hat und zufrieden schnarcht. Seine Füße sind am Bettende sichtbar; so schläft er immer. Yuriy weist nach vorne, hin zum Lichtweg: „Ich glaube, da könnte es hinaus gehen“ Er hat diesen Gedanken noch nie preisgegeben. Der Kleine richtet sich etwas auf, um überhaupt über das Fensterbrett hinwegsehen zu können. „Dann wache ich jetzt mit dir!“, meint er entschlossen. Kapitel 5: 5. Dezember - Nordpol -------------------------------- Die Reise brachte ihn auf wenige, allerdings entscheidende Erkenntnisse. Grönland war nicht grün. Zumindest nicht so grün, wie er es sich erhofft hatte – vielleicht war er auch einfach in der falschen Jahreszeit unterwegs. Der Blondschopf fröstelte und beugte sich gegen den eiskalten Wind, welcher ihm entgegenschlug. Zuhause war es so anders: Schnee war matschig-grau und blendete nicht, er machte nicht blind. Schnee war in einer Großstadt wie New York sowieso eine Seltenheit: Wenn die Wolken sich schon soweit durch die Smog-Glocke des Winters durchgekämpft hatte, fielen meist eher schmutzige Partikel vom Himmel als richtiger Schnee. Und war es richtiger Schnee, war er grau, kaum, dass er auf dem Boden aufgetroffen war. Grönland war wirklich anders: es hatte noch nicht geschneit, doch Max freute sich bereits auf den Moment, an welchem die ersten Flocken fallen würden. Die zweite Erkenntnis war, dass Grönland vielleicht nicht das Land des ewigen Eises war – irgendwoher musste der Name doch kommen, oder? - doch bestimmt sehr nahe daran. Die Grenze zum Nordpol. Besagter Pol war auch sein Ziel. Er hatte eine besondere Mission zu erfüllen: Santa Claus finden. Und die sagenumwobene Werkstatt. Fröstelnd und bibbernd vergrub der Blondschopf sich weiter in seiner Jacke, wartete auf ein Winken seiner Begleiter – einheimische Führer, die wussten, wo es in diesem ewigen Weiß lang ging, ohne auch nur einmal zu zweifeln – um die Reise fortzuführen. Die Schlittenhunde waren bereits wieder aufgestanden und warteten hechelnd darauf, den Lauf wiederaufzunehmen. Max lächelte leicht und streichelte den Kopf des Alphatieres. Die Huskys hatten so wunderbar kluge Augen – und sie waren auch äußerst klug, wie er hatte feststellen dürfen. Die Expedition verlief bis jetzt reibungslos, ein Wunder. Keine Eisschollen oder Eisspalten oder Ähnliches hatten ihnen bislang den Weg versperrt. Einer der Hunde bellte, und sie alle – Menschen, Huskys – dampften in der Kälte. Max blinzelte angestrengt gen Horizont. Die Sonnenstunden waren abgezählt, und bestimmt würde es noch weniger werden im Laufe der nächsten Tage. Max lächelte leicht, während er den Himmel bereits nach ersten Polarlichtern absuchte. Die vielen Farben hatten seine letzten Nächte erhellt, und er hatte sich irgendwie in die Sage der Eskimos verliebt, dass dort drinnen die Geister wohnten, und den Menschen durch den bunten Tanz der Farben mitteilten, was sie zu sagen hatten. Der Ruf zum Aufbruch überraschte ihn, obgleich er aufgepasst hatte wie ein Luchs. Die Hunde bellten aufgeregt, ließen sich widerstandslos in ihre Geschirre schnallen. Max setzte sich vorne auf einen der Schlitten, lächelte dem Führer einmal zu. Dann schnalzte Anouk mit der Zunge, und ein Zittern ging durch die Tiere, welche langsam zu ziehen begannen. Zunächst langsam, dann immer schneller glitt das schwer beladene Gefährt über den dicken Schnee. Und schon bald flogen sie dahin Max fühlte den Fahrtwind in seinem Gesicht beißen und fröstelte, vergrub sein Gesicht im hohen Kragen seiner Jacke. Er konnte es fühlen – der Weihnachtsmann war nah. „Max?“, die Stimme Judies ertönte auf der anderen Seite der Zimmertür, und der Blondschopf schreckte hoch. Hatte er geschlafen? Oder hatte er den Weihnachtsmann nun tatsächlich gefunden? Kapitel 6: 6. Dezember - Pünktchen ---------------------------------- „Ah, da bist du ja!“, Bryan ließ sich strahlend auf die Couch fallen, direkt neben Spencer. Der Blondschopf schluckte. Das leicht grenzdebile Grinsen des andern weckte leise, üble Vorahnungen ihn ihm, und er war sich sicher, ohne Blessuren würde er hier nicht wegkommen. „Weißt du was?“, der Silberblonde mit dem verrückten Lächeln im Gesicht schwenkte eine Tageszeitung und legte die Füße gerade in dem Moment auf den Couchtisch vor ihnen, als wolle er dem blonden Hünen selbst den letzten Fluchtweg abzuschneiden. Spencer sah sich wahrlich eingekesselt: links versperrte Tala mit seinen ewigen Wälzern den Ausweg – der Rotschopf pflegte, beim Lesen immer auf dem Boden zu sitzen. Rechts war Bryan, das schlimmste aller Übel, und sein enormer Mitteilungsdrang. Vor ihm lag der Couchtisch – unüberwindbar, weil er, um das Möbel zu überwinden, einen filmreifen Hechtsprung hätte hinlegen müssen, um dann direkt im Fernseher zu landen. „…“, Pünktchen. Spencer seufzte ungehört. Man musste Bryan noch nicht einmal antworten – wer sich nicht schnell genug aus dem Staub machen konnte, war verloren. Und scheinbar war er in dieser Woche der Gelackmeierte, wenn es darum ging, die pseudophilosophischen, gelegentlich amüsanten, meistens aber äußerst sinnlosen Exkurse des Silberblonden anzuhören. Vielleicht glaubte Bryan, ihn interessiere es, was er zu sagen hatte..? Verdammt, wenn ihm nur endlich einmal eine anständige Ausrede einfiele, so wie Ivan.. Aber nein, der fiese, kleinwüchsige Wicht hatte natürlich die Gabe, glaubhaft zu wirken, selbst wenn er den größten Mist aller Zeiten fabulierte – das letzte Mal war es etwas von einer Großmutter, einem großen Kuchen, vielen kleinen Krümeln und einem weißen Wolf gewesen.. „..“, noch immer nur Pünktchen, nichts weiter. Spencer überlegte, ob er nicht einfach aufstehen sollte, wie Tala es normalerweise machte – dessen fieses, schadenfrohes Grinsen bekam er übrigens aus den Augenwinkeln mit, und er war darüber alles andere als erfreut! – doch die antrainierten guten Manieren vom Resozialisationsprogramm hielten ihn dann doch davon ab. Auch wenn er scheinbar der einzige war, der das Prinzip der Umgangsformen verstanden zu haben schien. „..“, Pünktchen. Er konnte auch versuchen, Bryan und seinen Redefluss zu ignorieren, überlegte Spencer still, so wie Kai. Auch wenn der Halbjapaner eigentlich nur alle heiligen Zeiten vorbeischaute und das gestörte Verhältnis der beiden eigentlich bloß als seltsam einzuordnen war. Bryan belästigte den wandelnden Zebrastreifen meistens noch nicht einmal eine Minute. Und suchte sich das letzte, übrige Opfer – ihn, Spencer. „…“, Pünktchen. Die Zeit würde bald um sein – oder sie war schon um, und Bryan wartete bloß noch immer auf eine verzögerte Reaktion, weil er sich immer Zeit ließ, anderen zu antworten. Stichwort Umgangsformen – er überlegte sich genau, was er sagte. Ganz im Gegensatz zu seinem Gesprächspartner. Falls man die Monologe, die Bryan zu halten pflegte, denn als Gespräche bezeichnen konnte. „Ich sollte in die Politik gehen!“, so, damit war die Zeit abgelaufen und sein Nachmittag wohl ebenso gelaufen wie die der vergangenen zwei Wochen. Bryan hatte nämlich wieder eines seiner Lieblingsthemen aufgegriffen: Russische Politik. Nicht, dass es so viel dazu zu sagen gab, mit den vielen, offiziell bekannten Wahlbetrugen und den beiden Herren an der Spitze, doch wenn man so unterbeschäftigt war wie die chronisch arbeitslose Quasselstrippe der Wohnung fand man bestimmt immer wieder neue Spitzfindigkeiten, über die man sich auslassen konnte. Spencer blickte ihn bemüht gelangweilt an – hoffentlich zuckte der Muskel unter seinem Auge jetzt nicht verräterisch. „..“, er hatte noch immer nichts zum Erwidern gefunden – wobei, das brauchte es jetzt auch nicht mehr. Vielleicht fiel ihm während des endlosen Diskurses ja endlich eine Ausrede ein, die er beim nächsten Mal hervorbringen konnte. Oder aber, er blieb weiterhin bei seinen Pünktchen. Kapitel 7: 7. Dezember - Einkaufsbummel --------------------------------------- Ein entspannender Spaziergang durch die vollgestopften Straßen der Stadt, ein Halt am Trevi-Brunnen, um den vielen jungen Damen zuzulächeln.. Enrico konnte sich nichts Schöneres vorstellen, vor allem nicht, wenn er sonst eine Lateinarbeit zu schreiben hatte. Wie weit Franco, der neue Bedienstete seiner Eltern, wohl inzwischen gekommen war bei der Hausdurchsuchung? Enrico hatte extra das Auto stehen lassen und war mit dem Bus aus der Pampa mitgefahren, um möglichst viel Zeit zu schinden. Eine Gruppe japanischer Touristen strömte an ihm vorbei, quetschte sich um den Brunnen und machte ein Foto ums andere, alle mit dem sagenumwobenen Victory-Zeichen auf den Fingern. Ob das wohl eine geheime Sekte war? Bestimmt liefen die Japaner noch weiter in Richtung Vatikan – immerhin war Rom das Zentrum der Welt. Die Stadt der Städte, die laut und geschäftig dem täglichen Trott folgte und Ströme von Touristen durch ihre Straßen fließen ließ. Rom zog Jahr um Jahr Besucher aus aller Welt an und präsentierte sich immer von ihrer besten Seite - auch wenn manchmal herbstlicher Smog über den Dächern hing oder Frühlingsregenfälle das Vorankommen nur in Gummistiefeln möglich machten. Er spazierte weiter vor sich hin, sandte beiläufig den anwesenden Damen der Schöpfung eindeutig-zweideutige Blicke zu, während die allgegenwärtigen Tauben gurrend nach Krümeln der Briochés pickten. Rom war nicht nur eine Stadt – es war die Stadt der Städte, manchmal launisch wie die dunkle, mysteriöse Liebhaberin mit den verführerisch roten Lippen, welche nur ans Küssen denken ließen. Rom war nicht nur irgendeine Stadt – Rom war die ewige Stadt. Er lebte darin, schon solange er denken konnte, und kannte einen jeden Schlupfwinkel. Wenn er daran dachte – Enrico Giancarlo hatte sich schon so oft vor den Bediensteten seiner Eltern in den schmalen Seitengassen versteckt, dass er sich bei allen Wetterlagen die entlegensten Verstecke suchen konnte. „Signor Tornatore!“, der Ruf hallte über den halben Platz. Der blonde Italiener konnte ein Zusammenzucken nur mühsam unterdrücken. Man musste es Franco schon lassen, dachte Enrico, während er möglichst unauffällig sein Barrett zurechtrückte, um das Zucken zu überspielen – ein Geschenk von Oliver, letztes Weihnachten – und eine andere Richtung einschlug. Wenn er sich recht entsann, war in der zweiten Seitengasse ein Hauseingang, von dem aus er über einen Hinterhof auf einen Balkon gelangen konnte.. Der Blondschopf schüttelte den Kopf. Was man denn nicht alles unternahm, um nicht entdeckt zu werden.. Unauffällig wandte Enrico sich um, blickte nach hinten, um festzustellen, wo sein Verfolger geblieben war, und fröstelte leicht. Der Tiber hatte heute Morgen Nebel über die Stadt gesandt, welcher sich noch immer nicht richtig verzogen hatte. Und dabei war nun später Nachmittag. Eigentlich wollte er doch eigentlich nur seine Ruhe haben, während er nach geeigneten Geschenken Ausschau hielt. Immerhin war dies unter Freunden, die eigentlich bereits alles besaßen, immer eine besondere Aufgabe. Oder aber, Enrico hatte einfach keine besondere Ader für das Schenken. Eigentlich suchte er ja lieber die versteckten Geschenke in der Villa, statt sich in einer feuchten, ungemütlich winterlichen Stadt Italiens die Füße abzufrieren. Immerhin hatte es heute kühle fünf Grad! Enrico schlenderte nun an den vielen Auslagen der kleinen Seitengassen vorüber, welcher Kitsch und Kostbarkeiten gleichermaßen beherbergte. Je nachdem, was man gerade suchte. Enrico wusste noch nicht so recht, was er für Oliver suchen sollte. Der Franzose hatte selbst genug guten Wein, von Parmesan hielt er nicht besonders viel, genauso wenig von Schokolade. Enricos blaue Augen funkelten amüsiert, während er an seinen letzten Geschenk-Reinfall dachte. Der Gutschein für eine Ganzkörpermassage war eindeutig falsch verstanden worden. Oliver lud einfach manchmal zu diesen kleinen.. Tunten-Geschenken ein. Immerhin kleidete er sich wie eine: viel zu modebewusst. Und seine Fingernägel waren immer gemacht. Der blonde Italiener betrachtete kurz seine eigenen. Nun gut, er war auch etwas übertrieben tuntig – doch er durfte das! Er war Italiener! Urplötzlich schlich sich ihm in einer der Auslagen das perfekte Geschenk entgegen: ein kleines Plüsch-Einhorn verlangte mit traurigem Blick danach, endlich in ein Zuhause gebracht zu werden.. Ein schelmisch-neckisches Grinsen zog sich über Enricos Gesicht, während er schon die schmalen Treppen zum eigentlichen Laden hinunterstieg. Oliver hasste Einhörner – er konnte also nicht viel falsch machen. Enrico lachte und pfiff leise ein „O sole mio“ vor sich hin, während er durch die kleine, enge Backsteingasse hindurch in Richtung Tiber wanderte. Die kleine Plastiktüte baumelte an seinem Arm und knisterte dabei leise vor sich hin. Der Ruf hinter ihm ließ ihn zusammenzucken und alle Vorsicht vergessen. „Signor Tornatore!!“ „Der bin ich nicht!“, brüllte der Blondschopf, während er schon die Beine in die Hand genommen hatte und so schnell als irgend möglich das Weite suchte. Ihm blieb heute aber auch nichts erspart.. Kapitel 8: 8. Dezember - Tee ---------------------------- (Es tut mir Leid, dass es heute so spät geworden ist. So viel Stress.. huff. *sfz*) Wasser in den Wasserkocher. Stecker in die Steckdose. Anschließend: abwarten. Ein einfaches Rezept. So einfach, dass noch nicht einmal ein unfähiger Koch wie Kai Hiwatari, auch bekannt als Küchenkatastrophe, etwas falsch machen konnte. Das einzige, winzig kleine Problem stellte das Warten dar. Kai war nicht besonders geübt darin. Geduldig war er schon gar nicht – wie denn auch, wenn Daichi und Takao seine Nerven täglich zum Tangotanzen benutzten? Mit Spikes an den Tanzschuhen, wohl bemerkt. Besonders in letzter Zeit ließ seine Geduld gerne zu wünschen übrig; die Ausraster in der Öffentlichkeit, vor laufenden Kameras, taten seinem Image alles andere als wohl. Kai seufzte, lehnte sich an die Anrichte und stützte die Ellbogen auf. Er lehnte den Kopf kurz in den Nacken, um die hartnäckige Verspannung seiner Schultern wieder einmal zu spüren. Sie hielt sich schon verdammt lange. Sein Blick fiel auf die wie zufällig aufgeschlagene Tageszeitung, doch dem Silberhaarigen war klar: Hiromi hatte sie bestimmt wieder so platziert, dass er sie sehen musste. Und sie wusste auch, dass er sich schämte – immerhin waren diese Ausraster nicht mit seinem Stolz vereinbar. Der Silberhaarige stützte die Ellbogen auf die Anrichte neben der Spüle, seufzte auf. Sein Nacken fühlte sich so verspannt an wie immer. Hm, ganz toll, die Dusche hatte vorhin auch nichts geholfen. Sein Blick wanderte zur geschlossenen Küchentür – bei ihm waren immer alle Türen geschlossen. Rei, der selbst ernannte Psychologe der WG, hatte ihm seine Aversion gegen die geöffneten Türen bereits als Angst davor, Neues auszuprobieren, diagnostiziert. Kai verdrehte schmunzelnd die Augen. Er brauchte eigentlich keine Anti-Aggressions-Therapie, wie der alte Dickenson sie ihm angedroht hatte. Er brauchte eigentlich bloß ein wenig Ruhe und – ein Blick auf den Wasserkocher, welcher noch nicht vor sich hin blubberte – Tee. Möglichst viel Tee. Am besten eine Wagenladung davon, damit er seine Ruhe bewahren konnte. Immerhin wollte der Silberhaarige nicht in einer Besserungsanstalt oder Ähnlichem landen, nur, weil er einem nervtötenden, penetranten Reporter ein wortwörtlich durchschlagendes Statement gegeben hatte. Mit den Fäusten. Der Silberhaarige wischte sich einmal übers Gesicht und blinzelte durch seine Finger hindurch in Richtung der Küchentür. Es war leise. So herrlich still! Kai atmete erleichtert auf und entspannte sich gleich ein wenig. Der Rest der kleinen Wohngemeinschaft – ja, das hieß, er war masochistisch genug, mit Daichi, Takao und Rei zusammengezogen zu sein – war auf der Einstandsparty für Rei und dessen Flamme Mao. Kai konnte gut nachvollziehen, warum Rei die Chaoten-WG verlassen wollte. Aber er hatte nicht den blassesten Schimmer, was den Schwarzhaarigen dazu getrieben hatte, dem jahrelangen Drängen der pinkhaarigen Zicke nachzugeben. Darum brauchte Kai nun wirklich dringend einen Beruhigungstee, extra stark mit einem Schuss Russisch-Wasser darin, um über den Verlust der letzten vernünftigen Person im Haushalt hinwegzukommen. ..und dem einzigen, der in der Küche keine vollkommene Katastrophe war. Also, wie war das noch gleich? Wasser in den Wasserkocher, ans Stromnetz anschließen... warum dauerte es denn nur so verdammt lange, Wasser heiß zu machen? Kapitel 9: 9. Dezember - Schutzengel ------------------------------------ „Ihr habt alle einen Engelskörper?“, Salima sah in die Runde, und viele kleine Kindergesichter strahlten ihr entgegen, während der Übersetzer sich an die Arbeit machte. Er sprach nur leidlich Englisch, doch scheinbar verstand er alles. Wenn sie langsam sprach. Die Kinder antworteten mit einem lauten Ruf durcheinander, dass ihr beinahe die Ohren abfielen. Salima lachte angesichts des Ungestüms der Kinder und hob die Kleine Figur aus einem Blumentopf im Miniformat mit dem angeklebten Styroporkopf sowie die bunten Federn in die Höhe. Die Kinder sollten immerhin sehen, was vor sich ging. „Jetzt kommen die Flügelchen!“, sie schwang die Heißklebepistole wie ein Wild-West-Held aus einem alten Western, „Dazu müsst ihr bitte zu mir kommen, ja?“ Die Kinder des kleinen, verschlafenen Dorfes sprangen auf, schienen alle auf einmal drankommen zu wollen. Salima sah sich so viel kindlichem Eifer gegenüber, dass ihr Dolmetscher ein Machtwort sprechen musste. Immerhin sollte sie nicht überrannt werden. Die junge Frau mit den fuchsroten Haaren konnte gut mit Kindern umgehen, und hatte immer unglaublichen Spaß daran, mit ihnen zu spielen und zu basteln. Vielleicht würde sie, wenn sie einmal sesshaft war, Kindergärtnerin oder etwas ähnliches. Die junge Frau zeigte jedem der Kinder in aller Ruhe die Federn in allen Farben des Regenbogens und klebte in der folgenden Stunde Flügel um Flügel an die kleinen Engelskörper. Den Eltern der vielen Kindern war die Beschäftigung für die Kleinen wohl mehr als nur Recht. Wanja, der Dolmetscher, hatte ihr in seinem brüchigen Englisch von den Problemen in dem kleinen, weißrussischen Dorf mitten im Nirgendwo erzählt, wo es selbst an den einfachsten Versorgungsmöglichkeiten fehlte. Zumindest im Winter, wie jetzt – Salima fröstelte leicht allein beim Gedanken an die bevorstehende Nacht in dem zugigen, verlassenen Haus neben der Dorfkirche. Doch es war besser als nichts – und sie hatte schon in weitaus kälteren Behausungen geschlafen. Außerdem waren ja noch Goki, Jim und Kane mit von der Partie. Notfalls konnte man noch immer dicht aneinander kuscheln, um bis zum Morgen durchzuhalten, und sich im Heu vergraben. Salima lächelte schief und blickte auf zu Wanja. „Und wann meinten Sie, kommen die anderen zurück?“, erkundigte sie sich. „Ich glaube-“, Wanja setzte gerade zur Antwort an, da hörte man schon ein hohles Kratzen von draußen, als würde etwas äußerst Schweres vorübergezogen. Salima legte den letzten der Engelchen beiseite und näherte sich vorsichtig dem Eingang. Nachdem sie sich einmal einem Bären gegenüber gefunden hatte, der später allerdings als dick eingepackte, weißrussische Großmutter herausgestellt hatte, war sie etwas vorsichtig geworden. Immerhin.. die Großmutter hätte ein Bär sein können! Und auch nun wieder tauchte zuerst ein wuscheliger Schopf in der Tür auf, von dem man nicht wissen konnte, ob es nun ein verirrter Hirsch war oder ein Bär..! Die Tür ging in einem Schwung auf und Kane trat, mit einem feinen Grinsen auf den Lippen und einem Arm voll Holz, ein. Salima konnte ein Aufatmen nicht unterdrücken und schüttelte über sich selbst den Kopf. Und schon beanspruchte eines der Kinder ihre Aufmerksamkeit, welches dem Engelchen nun Augen aufgemalt hatte und zu ihr reichte. Kane stellte seine Last neben dem Ofen ab und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Das hast du also den ganzen Tag über gemacht?“ Die Rothaarige zuckte mit den Schultern, noch immer lächelnd. „Die Kinder haben Wanja darum gebeten, dass ich mit ihnen ein bisschen spiele“, erklärte sie. „Was? Du hast den Tag über gespielt, während wir Holz hacken waren, wie wahre Kerle?“, Jim und Goki tappten nun auch in den Raum hinein, brachten einen Windstoß von kalter Luft und Schnee auf ihren Häuptern mit in die Stube. Die kleinen Kinder scherten sich sogleich um sie, während Salima Kane einen Teil des Feuerholzes abnahm. „Dann fackeln wir mal die Bude ab“, meinte sie scherzhaft, und auch Kane lachte. „Wenn du die Verantwortung für die Kinder übernimmst, Tante 'Lima“, erwiderte er schelmisch grinsend. Salima zwinkerte ihm zu. „Uns kann nichts passieren!“, sie tauschte einen verschwörerischen Blick mit den Kindern, welche instinktiv zu spüren schienen, dass es um sie ging, „Immerhin haben wir den ganzen Tag über Schutzengel gebastelt!“ Kapitel 10: 10. Dezember - Wie Aschenputtel ------------------------------------------- (Warum diesen Text? Weil ich heut auch mal wieder auf einen Ball gehe ♥) „Ich“, ein Blick zur Standuhr in der Ecke, „Ich sollte langsam gehen“ Hiromi warf einen Blick in Richtung Tür, und Garland hob eine Augenbraue in die Höhe, während er, galant wie eh und je, zwei Gläser Sekt von einem der Kellner annahm. „Warum denn?“, seine blauen Augen funkelten warmherzig, „Es ist doch noch nicht einmal Mitternacht“ Er drückte der jungen Japanerin ungefragt eines der beiden Gläser in die Hand. Sie zupfte kurz an ihrer roten Stola, ehe sie sich nochmals, leicht nervös, in Richtung der Uhr umsah. „Das nicht.. aber es wird später so kalt. Und ich muss doch eine ziemliche Strecke zurücklegen“ Garland lächelte nur schief, wie ein Fleisch gewordener Märchenprinz – wäre da nicht das lange Haar gewesen, welches ihm einen weibischen Touch verlieh. Hiromi hob nur eine Augenbraue und nippte von ihrem Sekt. „Ich kann dich ein Stück mitnehmen. Du liegst bestimmt auf dem Weg“, erklärte der Inder freundlich. Hiromi hätte sich beinahe an ihrem Sekt verschluckt. „Du hast doch gar keine Ahnung, wo ich wohne“, erwiderte sie, das Husten unterdrückend. Immerhin wollte sie sich hier nicht vor der feinen Festgesellschaft des Balls blamieren. Es reichte schon, dass Takao vorhin versucht hatte, in Jeans eingelassen zu werden. Hiromi verdrehte in Gedanken die Augen. Das war so etwas von typisch für den Cappy-Träger.. „Du wirst auf meinem Weg liegen“, erwiderte Garland schmeichlerisch, „Immerhin kann ich meine Route selbst bestimmen“ Sein Grinsen sagte gerade äußerst.. viel aus. Wobei Hiromi von solchem Gehabe eher schnell die Nase voll hatte – immerhin erlebte sie davon genug, wenn sie zwei Minuten mit Kai am Tisch saß. Die Brünette lächelte schief, blickte abermals in Richtung der Standuhr. „Dann kannst du ja auch bestimmen, dass du erst viel später abfährst“, winkte sie beiläufig ab, doch anscheinend waren ihre Worte von der träge dahinfließenden Pianomusik verschluckt worden. Der Pianist schien sich äußerst zu langweilen. Und nicht nur er. Hiromi bemühte sich, die Klette an ihrer Seite zu ignorieren, und beschloss, eine Runde durch den Raum zu lustwandeln. Auch wenn Lustwandeln in solch höllischen High heels wohl alles andere als lustig war. Immerhin konnte sie sich so durch die Schmerzen von ihrem hartnäckigen Verehrer etwas ablenken. Und vielleicht fand sich sogar der eine oder andere, der Lust hatte, sie zu erlösen.. Immerhin machte Garland keine Anstalten, ihr von der Seite zu weichen. Hiromi hob ihren Rocksaum leicht an, um nicht darüber zu stolpern, und trippelte voran, ihr Sektglas umklammernd wie eine Keule, mit der sie sich im Notfall verteidigen konnte. Wahrscheinlich sah sie dabei weitaus weniger elegant aus als sie es beim Proben vor dem Spiegel ausgesehen hatte. Eine ihrer dunklen Locken löste sich widerspenstig und fiel ihr ins Gesicht, und die Brünette hielt an, um sie sich hinters Ohr zu streichen. Doch Garland kam ihr zuvor, und er strich ihr die Strähne zurück. Dabei warf er ihr auch gleich einen intensiven Blick zu, der Hiromi beinahe zum Schmunzeln gebracht hätte. Das Aufblitzen eines Funken Spotts in ihren Augen konnte sie sich bei aller Noblesse und Ernsthaftigkeit allerdings doch nicht verkneifen. Doch Garland war gerade so in der Rolle des feinen Kavaliers – bestimmt hatte er das verräterische Blitzen falsch aufgefasst. Er konnte ja nicht wissen, dass sie schwer zu beeindrucken war. Immerhin saß sie Kai Hiwatari in normalen Klamotten oft länger als zwei Minuten gegenüber am Küchentisch. Hiromi wich einen halben Schritt aus, während sie sich nach einem ihrer näheren Bekannten umsah, um sie zu retten. Bald kam sie sich vor wie Aschenputtel – nur, dass sie nach Mitternacht nicht in Lumpen oder gar nackt dastehen würde. Hiromi schüttelte von ihrem Verehrer unbemerkt den Kopf. „Ich muss wirklich langsam gehen. Meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen“, ihre Mutter hatte keinen Schimmer von dem Benefitsball der BBA. Schon allein, weil sie seit einem halben Jahr alleine wohnte. Aber das musste der Kampfsportler nun wirklich nicht wissen. Da nahte auch endlich ihre Rettung: „Darf ich bitten?“, formvollendet, wie sie es für Notfälle geprobt hatten, verneigte sich Max vor ihr, und Hiromi nickte. Dankbarer als in diesem Moment hätte sie dem blonden Amerikaner nicht sein können. „Aber sicher doch“, die Brünette lächelte ein gönnerhaftes Lächeln in Richtung Garland, während Max sie zur Tanzfläche entführte. Er war auch der einzige, mit dem sie beim Gesellschaftstanz nicht wie ein Trampeltier aussah. Vielleicht war sie darum ja auch an Garland geraten – der junge Profisportler machte nicht den Eindruck, als sei er Tanzbegeistert. Zumindest nicht von Gesellschaftstanz. Kapitel 11: 11. Dezember - Weihnachtssterne ------------------------------------------- Der Kakao vor seiner Nase dampfte, und Steve umklammerte die Tasse, als wäre sie sein einziger Rettungsanker. Drei Zuckerpäckchen lagen aufgerissen in der Mitte des Tisches, gleich neben dem Aschenbecher – warum auch immer der hier stand; das kleine Café war ein Nichtraucher-Lokal. Direkt daneben hatte er das Erkennungszeichen positioniert: eine quietschblaue, seltsam aussehende Plastik-Gerbera. Es war die einzige, die nichts Weihnachtssterniges an sich hatte. Steve hasste Weihnachtssterne – seine Mutter hatte früher das ganze Haus damit zugepflastert. Der breitschultrige Amerikaner seufzte und griff nun nach der Blume, drehte sie gedankenverloren zwischen seinen kräftigen Fingern. Na, wenigstens konnte er dieses hässliche Plastikding nicht kaputtmachen wie den Blumenstrauß letztens für Judy. Wusste der Teufel, wie er das angestellt hatte. Die Zeiger der Uhr rückten langsam nach vorne, und Steve begann zu zweifeln, ob er überhaupt im richtigen Café saß. Immerhin gab es in dieser Straße davon geschätzte hundert je Straßenseite. Und dann noch eine gefühlte Million andere in ganz New York. Der dunkelhaarige Amerikaner blickte sich kurz unauffällig um, wog ab, ob sein Blind-Date vielleicht schon da war, ihn aber noch nicht gesehen hatte. Auch wenn er direkt am Fenster saß – schön sichtbar, und das von weitem – und der jungen Frau, die ihm unter dem Nick „Lady_Chocolate“ bekannt war, genauestens beschrieben hatte, was er denn anhatte. Steve zog sein Handy heraus. Keine neue SMS. Nicht zum ersten Mal beneidete er Michael im Stillen um sein tolles Android-Handy mit Touchscreen und allen möglichen Rafinessen, mit dem man unter anderem auch ins Internet einsteigen konnte. So hätte er sich wenigstens ein wenig ablenken können – oder mal wieder das Profilbild Lady_Chocolate's anstarren können und sich vorstellen, wie sie wohl im richtigen Leben war. Es war peinlich, dass er auf eine Online-Dating-Seite zurückgreifen musste. Doch Steve gehörte einfach zu jenen, die zu schüchtern waren, um auf Parties Leute anzusprechen. Auch wenn er eigentlich nicht so wirkte. Der Vorschlag Michaels, als er ihm einmal seine lange Durststrecke geklagt hatte, sich online umzusehen, war eigentlich mehr ein Scherz gewesen. Aber immerhin – Steve blickte sich abermals unauffällig um und verfluchte seinen Hang zur Überpünktlichkeit. Es blieben noch immer fünf Minuten, bis sein Date eigentlich kommen sollte, und wahrscheinlich ließ sie sich nochmals fünf Minuten mehr Zeit... Warum hatte er sich nur auf das Treffen eingelassen? Natürlich, sie war ihm vom Schreiben her sympathisch gewesen, und ihr Profilbild war.. heiß. Sie sah unglaublich aus darauf. Warum sollte sich eine so schöne Frau ausgerechnet für ihn interessieren?, meldeten sich die Zweifel wieder zu Wort, die er die ganze Woche über, seit das Date stand, erfolglos verdrängt hatte. Der Kakao war nun halb abgekühlt, und Steve schauderte, als ihm auffiel, dass er nicht genau sagen konnte, wie viel Zucker er hineingestreut hatte. Oh Gott, er war echt neben der Spur. Was, wenn sich nun herausstellte, dass sein Online-Date eine verzweifelte Fast-Hundertjährige war, die an ihrem Alter einfach die Zehnerstelle ersetzt hatte? Oder wenn sie überhaupt nicht auftauchte? Steve seufzte und starrte die blaue Blume beinahe feindselig an. „Du bist mir auch keine Hilfe“, murmelte er ihr zu. Das hässliche Ding war eigentlich als Erkennungszeichen gedacht. Aber wenn er sich die Gerbera so ansah, schien ihm alles nur Farce. „Wer ist hier keine Hilfe?“, da war sie nun tatsächlich – und auch etwas zu früh. Und sie war noch schöner als auf ihrem Foto. Das dunkelblau schimmernde Haar war kürzer, aber ansonsten.. Steve blieb der Mund offen stehen vor Staunen, doch Lady_Chocolate schmunzelte bloß und beugte sich vor, um ihn mit einem Wangenkuss zu begrüßen. „Hallo, ich bin Lady, aber das hast du bestimmt erraten“, sie zwinkerte, und ihre grünen Augen funkelten schelmisch, „Eigentlich heiße ich Mariam“ „Steve“, brachte der bullige Amerikaner stotternd hervor. Verdammt, warum musste er nur so schüchtern sein? Die Blauhaarige lächelte breit, als ihr Blick auf die Plastik-Gerbera fiel. „Ist die für mich?“, erkundigte sie sich, und der Footballspieler nahm all seinen Mut zusammen, um ihr das hässliche, kitschige Ding zu überreichen. „Leider gab's im Laden nichts Anderes als Weihnachtssterne, und von denen bist du ja genauso begeistert wie ich.. da dachte ich, das wäre besser...“ Kapitel 12: 12. Dezember - Nana Parker's Geschenk ------------------------------------------------- „Wo ist den...?“, Michael kniete an seinem Bett und sein empor gereckter Hintern hatte Ähnlichkeit mit dem eines Enterichs, welcher sich gerade tunkte. Sein Kopf lag genau am Boden, das kurze, blond gefärbte Haar, das Emily nicht nur einmal als 'grausam' bezeichnet hatte, kitzelte seine Nase, während er angestrengt versuchte, seinen persönlichen Todfeind und erklärten Albtraum zu ignorieren. Die Staubmäuse sahen ziemlich gefährlich aus. Und wie auf Kommando meldete sich auch seine verräterische Hausstauballergie. Ob Eddy die imaginären Haustiere darauf abgerichtet hatte, ihn umzulegen? Ihn anzufallen und zu fressen, oder einfach nur auf sein Gesicht zu setzen und zu warten, bis seine Augen tränten und ihm das Atmen immer schwerer und schwerer fiel.. Der junge Amerikaner spürte bereits seine Augen brennen und tastete einmal blind unter dem Bett herum – selbst auf die Gefahr hin, dass die Mäuse ihn in dieser Zwangslage angreifen konnten. Er schniefte, wohl wegen der Allergie – ansonsten wäre es unmännlich gewesen. Und er legte viel, viel Wert auf Männlichkeit. Hm.. hier war nichts. Michael richtete sich auf und putzte sich geräuschvoll die Nase. Gerade musste er wohl aussehen wie eine halb verrückte Selbstmörder-Ente, die es sich im letzten Moment noch anders überlegt hatte und einen Rückzug vor dem verfrühten Tod vorzog. Und wofür dies alles? Nur für ein kleines, lächerliches Buch, welches er einmal in Eddys – seinem, Michaels, ehemaligen – Zimmer versteckt hatte. Immerhin musste ja nicht jeder wissen, was er seiner Großmutter, Nana Parker, zu Weihnachten schenkte. Und noch weniger mussten wissen, dass er zu stricken versucht hatte. Verdammt, wo war denn nun dieser Strickkorb, den Emily ihm damals aufgeschwatzt hatte? Und wo zum Kuckuck war dieses Strickbuch..? Das schmale, kleine, leicht versteckbare Heft blieb versteckt – wahrscheinlich hatte es sich selbst inzwischen in Sicherheit gebracht, nach dem ersten und bisher einzigen disaströsen Versuch im letzten Jahr. Doch wenigstens eines hatte er wiedergefunden: die Stricknadeln. Dieselben starrte der Blondschopf nun etwas ratlos an, genauso wie das monströse Wollknäuel, aus dem der Schal für seine Nana entstehen sollte. Das Internet war ihm leider auch keine so rechte Hilfe. Und für die Videos hatte er keine Zeit und keine Lust. >Die Maschen werden von der 1. Nadel auf die 2. Nadel geholt, indem man von vorne nach hinten mit der Nadel in die Masche sticht.  Bei der rechten Masche liegt der Faden hinter der Arbeit. Der Faden wird mit der 2. Nadel geholt, durch die bestehende Masche gezogen. Nun kann man die so bestrickte Masche von der 1. Nadel gleiten lassen. Wird nun auf der Rückreihe ebenso verfahren, so entsteht ein „Graupenmuster“, das typisch für eine Strickarbeit ist, die kraus rechts gestrickt wurde.< Michael kratzte sich am Kopf – einfacher konnte die Erklärung nicht sein. Warum verstand er sie dann nicht? Der junge Sportler seufzte frustriert und blickte auf die Uhr. Eigentlich sollte Emily bald im Haus eintrudeln. Vielleicht konnte sie ihm ja weiterhelfen. Wie auf's Stichwort knackte da schon der Schlüssel im Schloss, und die Medizinstudentin stapfte – in ihrer Eleganz wie immer einem Pferd in nichts voraus – herein. Die Tür knallte hinter ihr ins Schloss, als wäre sie alleine auf der Welt, und als würde Rick gerade nicht schlafen. „Hey!“, machte der Blondschopf auf sich aufmerksam und Emily blieb stehen, hob eine Augenbraue an. „Hey“, erwiderte sie langsam, den Blick nicht von den Strickutensilien lösend, „Was machst du denn mit den Nadeln? Planst du, einen Pneumothorax zu behandeln?“ Michael versuchte, ein Seufzen zu unterdrücken. Warum hatte er noch gleich gedacht, die Medizinstudentin könnte ihm in seinem momentan größten Problem weiterhelfen..? Kapitel 13: 13. Dezember - Schneeflocken ---------------------------------------- Es begann mit einem Klingen, ganz leise, welches einem Windhauch ähnelte, der durch ein Glockenspiel strich. Ein Flirren, das vielleicht in der Luft lag, vielleicht auch nur in den Köpfen der Menschen. Vielleicht begann es auch irgendwo im tiefsten Inneren des Menschen und strebte immer weiter und weiter nach draußen, die Knochen als Resonanzkörper nutzend zum Schwingen brachte. Es drang durch und durch, brachte die Muskeln zum Zittern und kitzelte sie, schlich sich weiter, unaufhaltsam. Vorsichtig tapste der kleine junge mit den großen, dunkelbraunen Augen an den Rand der überdachten Veranda. „Opa!“, sein leiser Ruf verhallte in den weiten Gängen des Dojos. Sein Großvater musste irgendwo in den Trainingshallen sein und trainieren. Man hörte das leise Ächzen und die gedämpften Rufe des alten Mannes. Der kleine Takao strahlte und streckte seine Hand nach vorne, während er sich mit der anderen Er strahlte, während er sich mit der anderen an einem der Stützbalken für das Dach festhielt, um nicht vornüber in den Garten zu fallen, dessen vereister Boden sehr hart sein konnte. Das hatte er gerade erst geschafft, und die Schramme auf seinem Knie zierte immer noch das Pflaster mit dem Dinosaurier-Muster, das ihm sein Bruder aufgeklebt hatte. Wie in Zeitlupe beugte sich der kleine Takao vor, um das Wunder, das gerade geschah, nicht zu erschrecken oder gar zu vertreiben. Es sollte nicht aufhören. „Opa! Schau mal!“, wieder verhallte sein Ruf ungehört, doch er machte sich nichts daraus. Sobald sein Großvater einmal mit den Übungen angefangen hatte, ging es immer und immer weiter. Das nannte Opa immer 'Konzentration'. Er sah dabei ungeheuer stark aus – so wollte Takao auch sein! Er lächelte breit, und seine Augen leuchteten, während er die riesigen, weißen Flocken beobachtete, die erst vereinzelt, dann immer dichter zur Erde niedersegelten. Sie tanzten, diese weichen, federleichten Tänzer funkelten silbergolden im Schein der Lampe über der Tür. Ein leichter Windhauch verwirbelte sie, ließ sie aberwitzige Überschläge und Sprünge schlagen, ehe sie sich endlich auf dem gefrorenen Boden hinsetzen konnten, ganz leicht, ganz langsam. Nicht so, wie Takao es letztens getan hatte, als seine Knie anschließend vollgeklebt waren mit Pflastern. Die Schneeschicht wurde dichter, und Takaos schokoladenbraune Augen funkelten begeistert, als eine der Flocken direkt auf seinem ausgestreckten Handteller landete. Er nahm seine kurzen Beine schnell in die Hand und Hastete in Richtung der großen Halle, wo sein Großvater trainierte. „Opa! Opa!“, rief er, „Opaopaopa!“ Der alte Herr strich sich einmal über die Stirn und legte das Übungs-HOlzschwert zur Seite, ehe er sich zu seinem Enkel beugte. „Was ist denn, Grünschnabel?“, fragte er und betrachtete die ihm dargebotene feuchte Hand. Takao blickte kurz auf seine Hände. Wo war denn die Schneeflocke hin? Sie war doch gerade eben noch dagewesen..! Er schniefte kurz. War die Flocke denn jetzt weggelaufen? „Nana“, Großvater Kinomiya legte seinem Enkel die schwere Pranke auf den Kopf und brachte ihn so dazu, aufzusehen, „Was ist denn los, kleiner Mann?“ Takao zeigte seine Handflächen vor. „Da war eine Flocke“, klagte er, „Und die hat Angst gekriegt und ist jetzt weg!“ Großvater Granger ließ ein lautes Lachen hören. „Die ist doch nicht weg!“, erklärte er und wischte sich eine Lachträne aus den Augenwinkeln, „Sie ist geschmolzen. Weil es so warm hier drinnen ist. Da musste sie sich einfach ausziehen!“ Takao blickte seinen Großvater mit großen Augen an. „Echt?“, schon war er wieder fröhlich. „Ja“, bestätigte der Großvater in der Manier eines weisen Mannes, und nahm Takao an der Hand, „Aber lass mich mal sehen, wo du die Flocke her hast. Da sind bestimmt noch mehr..“ Kapitel 14: 14. Dezember - Eisig-kalt ------------------------------------- (Inspieriert durch die zugedachte musikalische Untermalung: Avro Pärt - Spiegel im Spiegel, zu finden hier. Die Begegnung der beiden Cyborgs. Ohne viele Worte. Aber mit viel Musik.) Der Flügel stand mitten im Raum, vollkommen statisch und so schwarz und leblos und kalt, als hätte der Tod höchstselbst es an Ort und Stelle gebracht und darauf gespielt. Oder eine Maschine. Der schwarze Lack glänzte im Licht, warf einzelne Strahlen zurück, doch mehr auch nicht. Zeo sah sich suchen um, das schwarze Instrument völlig außer Acht lassend. Sein Geigenlehrer hatte ihn in die Musikschule zitiert, etwas von einem besonderen Musikinstrument gesagt – und natürlich war der Türkishaarige davon ausgegangen, dass es eine Geige gewesen sein sollte. Dieser eisig kalte Flügel hier mitten im Raum war so riesenhaft und vereinnahmend – und gleichzeitig verschwand er. Es war, als wäre der schwarze Flügel bloß eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana mitten in diesem grünen Land. Zeo machte einen Schritt auf ihn zu, legte eine Hand an die kühle Oberfläche des Instruments, welches wirkte wie der klare Wasserspiegel, der Narziss verführt hatte, sich zu betrachten, bis er starb. Der junge Mann schloss kurz die dunklen Augen. Nein, nichts. Er fühlte nichts. Wie konnte das sein, wo doch in jedem Instrument doch etwas Leben war? Das Klavier schien vollkommen erstarrt, wie in einem Eisblock, irgendwo tief unter dem Meer zu sein – unerreichbar. Doch es war hier, in dem richtig geheizten Raum des Instituts. Vielleicht war er auch nicht spielbar. Vielleicht fehlte etwas, irgendein wichtiges Teil, um zu spielen, und der schwarze Flügel stand darum so verlassen dar. Die Tür klickte, und mit einem Ruck wandte Zeo sich um. Er musste aussehen wie ein verschrecktes Reh, welches vor ein Auto gelaufen war und sich gerade im Moment des Zusammenpralls befand. Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, hatte er sich auch im Raum geirrt, und nun war er an einem Ort, an dem er nicht sein sollte. „Wer bist du?“, der junge Mann mit den auffallend flammend roten Haargen und den ebenso auffallend hellen, traurig-kalten Augen musterte ihn schroff. Zeo bekam eine leichte Gänsehaut. „Ent-entschuldigung“, er geriet ins Stottern, wie immer, wenn er nervös war, „I-ich wurde hier he-herbestellt“ Der andere hob eine Augenbraue in die Höhe, hob einen Geigenkoffer in die Höhe. „Und mir wurde gesagt, ich sollte die Violine an einen gewissen Zeo weiterreichen.“, erwiderte er. Erst nun fiel dem jungen Türkishaarigen das sanfte Lispeln in der Stimme des anderen auf. Oder war es gar ein Akzent? Er zuckte unter dem Blick des anderen und fühlte sein Herz nervös schlagen. Der Rothaarige machte Eindruck auf ihn – er war hoch gewachsen, wie viele der Ausländer im Orchester, und seine Haut über den harten, kantigen Zügen war so weiß wie Schnee. Zeo senkte den Blick. Es war unhöflich, andere Leute so anzustarren. Doch er fasste allen Mut zusammen, und ging dem anderen einen Schritt entgegen, um die Violine in Empfang zu nehmen, und sie sogleich auszupacken. Kaum, dass das Instrument in seinen Händen lag und sich in seine Halsbeuge schmiegte, als wäre sie immer dagewesen, vergaß Zeo alles rundum. Das hier musste das Weihnachtsgeschenk seines Vaters aus der fernen Heimat sein. Zeo lächelte leicht, und er hob den Bogen an die Saiten, strich einmal darüber. Der volle Klang erfüllte seine gesamte nähere Umgebung, zitterte in den feinen Rosshaaren seines Bogens und ließ den gesamten Klangkörper der Geige erzittern. Da, plötzlich, ertönte der schwarze Flügel, und Zeo warf einen überraschten Blick auf den jungen Pianisten. Tatsächlich – der Rotschopf spielte. Und das Instrument, welches er vorhin noch für tot erklärt hatte, weil es kalt gewesen war, begann urplötzlich, zu atmen und sich zu regen. Es erwachte zum Leben, allein durch die einzelnen, einfachen Töne des anderen. Die Töne hatten etwas Unwirkliches – doch vielleicht sollte es auch so sein, genauso wie der Flügel, trotz seines imposanten Wesens, quasi im Raum verschwand. Zeo schloss die Augen, tastete die Umgebung ab und fühlte die feinen Schwingungen, die andere vielleicht als Farben sehen konnten.. oder auch nicht. Für ihn waren diese Schwingungen Melodien, die nur er alleine einfangen konnte. Er war das Medium. Und wahrscheinlich ging es diesem Rothaarigen mit den kalten, nun geschlossenen hellen Augen genauso. Seine Wimpern glitzerten rostrot im Schein der Lampe, und nun schloss auch Zeo seine Augen und begann, wieder nach dem besonderen, bestimmten Klang der Musik zu suchen, der die Violine zum Schwingen brachte und ihn gleich mit. Es war, als rauschte eine Welle über sie hinweg, und riss sie mit, ohne Entkommen. Doch die beiden jungen Musiker wollten dies auch nicht. Sie waren sich ähnlich – doch sie wussten nichts davon. Weder der Rothaarige mit den traurig-kalten Augen, welcher dem toten Instrument das Leben einhauchen konnte, das in seinem Verhalten fehlte, noch Zeo, der sein Leben dem Atmen durch die Musik gewidmet hatte. Kapitel 15: 15. Dezember - Die besten Plätze -------------------------------------------- Die Katze räkelte sich träge, ehe sie sich mitten auf der Schwelle zur Küche zusammenrollte. Ihr rot getigertes Fell glänzte wunderbar, und Ray hob seinen Fuß hoch in die Luft, um bloß nicht auf irgendein Körperteil zu steigen. „Warum liegt Misa denn schon wieder mitten in der Tür?“, wunderte er sich laut und musterte das sonst eigentlich kluge Tier, „Sie hätte es nicht dümmer erwischen können“ - „Doch, hätte sie“, meldete sich Kai zu Wort, während er die Zutaten vor sich aufschichtete. Der langhaarige Chinese erkannte Mehl, Zucker, Butter, Päckchen mit Vanillezucker und Backpulver, verschiedene Gewürze, Zimtstangen, bestimmt auch irgendwo Nelkenpulver oder Lebkuchengewürz. Kurzum, alles Utensilien, die zum Backen verwendet wurden, und die eigentlich nicht in ihrem Haushalt vorkamen. Außer, Hiromi beschloss, ihre westlich ausgerichtete Küche zu beschlagnahmen, um seltsame Kuchengebilde zu backen. Die landeten meistens bei Takao im Dojo, der dafür schwärmte – das wunderte Ray bis heute: der Magen des Blauhaarigen war tatsächlich resistent genug, um Hiromis Kuchenmonster zu verdauen. Ray schüttelte den Kopf. Zurück zur Realität, die anderen würde er noch früh genug sehen. Kai unterdessen kramte in der untersten Küchenschublade, in dem der Chinese normalerweise seine Küchenschürzen-Sammlung aufbewahrte. Er bekam dauernd diese aberwitzigen Dinger geschenkt. Wer wusste, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, er sei ein Küchenass. Immerhin hatte er in seinem Leben bloß gekellnert. Kai schien gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte, und band sich eine tannenbaumgrüne Schürze mit South-Park-Motiv um. Anschließend holte er eine große Schüssel aus den Untiefen ihres Küchenschranks hervor. Woher kam denn die? Ray stützte seine Ellbögen auf die schmale Anrichte, schielte zur Anhäufung an Lebensmitteln auf der Arbeitsplatte und wischte sich übers Gesicht. Was auch immer Kai vorhatte, es konnte nur schief gehen. Es gab schließlich einen guten Grund, dass sie beide die Nummern sämtlicher Lieferservices der Umgebung auswendig herunterrattern konnten. „..Was machst du mit dem ganzen.. Backzeug?“, erkundigte sich Ray nun vorsichtig, als Kai begann, Mehl abzuwiegen. „Ich backe“, erwiderte der andere hochkonzentriert, „Sieht man doch“ „Du“, stellte Ray trocken fest, „Du ganz allein, ohne Hilfe oder Kochbuch. Du, der Albtraum einer jeden Waage..“ Und damit meinte der Chinese nicht das Sternzeichen, auch wenn Kai bereits die eine oder andere Frau verschreckt haben musste, wenn sie nicht gerade auf One Night Stands aus war oder ähnliches. Kai antwortete nichts weiter, sondern maß nun nach dem Mehl auch den Zucker und die Butter, ehe er alles zusammen in die riesige Schüssel beförderte. Das konnte doch nicht gut gehen, das sah selbst Rays ungeübtes Auge. Der Silberhaarige ließ nichts mehr verlauten, doch es blieb noch eine Frage für Ray zu klären. „Warum machst du das überhaupt?“ - „Warum sollte ich das nicht tun?“, erklang sogleich die Gegenfrage, während Kai die Eier aufschlug und ebenfalls in die Schüssel fließen ließ. Der Schwarzhaarige beobachtete die seltsame Mischung und das glänzende Eiweiß darauf. Er lehnte sich zurück, musterte seinen Mitbewohner träge. „Dir ist schon klar, dass du – gerade du, Kai – niemals etwas tust, ohne nicht mindestens einen Grund dazu zu haben?“ Kai hob eine Augenbraue und zuckte bloß mit den Schultern. „Und das geht dich was an, glaubst du? Oder bist du seit neuestem meine Betschwester?“, murrte der Rothaarige mürrisch und fuhr sich einmal mit seinen bemehlten Händen übers Gesicht, „Ich hab' eben Lust auf Kekse.“ Ray konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Er triumphierte innerlich. Das klang nach mieser Ausrede; sein Mitbewohner hatte also etwas vor ihm zu verbergen. Und er hatte es auch noch herausbekommen – das hieß wohl, er kannte ihn langsam, aber sicher, wirklich! ..Okay, das war kindisch. „Ich bin dein Mitbewohner, das ist besser als eine Betschwester!“, erwiderte er und betrachtete Kais Bemühungen, die Zutaten zu einem Teig zu verkneten. Was auch immer das werden sollte.. langsam begriff Ray, warum Misa sich auf die Schwelle zur Küchentür gelegt hatte und immer wieder eines ihrer goldgelben Augen öffnete. Der Langhaarige ließ sich neben der Katze auf den Boden sinken, und Kai, mit den Armen bis zu den Ellenbögen in einer klebrigen Mischung aus Butter, Mehl und Wasser, hob eine Augenbraue. „Was wird das?“ „Nichts“, Ray kraulte die rot getigerte Katze hinterm Ohr, und sie ließ einen schnurrenden Laut hören, „Ich sichere mir nur die besten Plätze!“ Der Mehl-Butter-Klumpen, welcher haarscharf an seinem Kopf vorbeiflog, war wohl ein Warnschuss. „Normalerweise ziele ich!“, donnerte Kai. Kapitel 16: 16. Dezember - Agatha --------------------------------- Raoul hasste es, fremde Zimmer zu betreten. Doch gerade hatte er einen triftigen Grund dafür – es ging um Leben und Tod. Da konnte er nicht zögern. Auch wenn er Julias Zimmer seit Jahren nicht mehr betreten hatte. Und kaum lag die schmale Tür hinter ihm, war ihm auch klar, warum. Julia war nie die Königin der Ordnungsliebenden gewesen – doch der Anblick, der sich ihm bot, ließ den Braunhaarigen mit den roten Strähnen doch todesmutig schlucken. Warum hatte er seinen Hut und seine Peitsche vergessen? Hier wäre ein Indiana-Jones-mäßiger Auftritt angebracht. Immerhin wucherten beinahe schon Lianen in dem Zimmer, und wer wusste, was sich so alles unter der zentimeterdicken Schmutz... Raoul verbesserte sich in Gedanken: Schutzschicht aus Staub, Katzen- und Hundehaaren und diversem anderem, dessen Herkunft er niemals würde wissen wollen. Raul schluckte und machte einen Schritt nach vorne. Irgendwo hier war das arme Opfer, das er würde retten müssen. Warum hatte ihre Tante die arme Agatha auch hier einbürgern müssen? Man roch doch schon von Weitem, wie katastrophal das nur enden konnte.. Der junge Spanier seufzte auf und setzte seine Füße nun tatsächlich über die Schwelle, und sogleich schloss sich die Tür zu Julias Zimmer mit einem leisen Knallen. “So, jetzt bin ich also drin”, murmelte der Grünäugige vor sich hin, und stieg sogleich auf eine undefinierbare, wulstig-runde Unterlage, die sich zu bewegenschien. Oh nein, schoss ihm durch den Kopf, Julia würde wohl keine Schlange in ihrem Zimmer halten..! Er hasste Schlangen. Oh dios mio, betete er in Gedanken – nicht zum ersten Mal, seit er erfahren hatte, dass er Agatha retten sollte. Der Grünäugige wich in einem Sprung von einem halben Meter Höhe zurück zur Tür, und seine Schulter machte unbequeme Bekanntschaft mit dem Garderobenhaken, der amüsanterweise die Form eines Kaktus hatte. Und sich auch so anfühlte. In einem Anflug von panischer Überreaktion peitschte er mit einem Gürtel, der gerade vor seiner Nase baumelte, heftig auf den.. 'Angreifer'. Die grünen Augen geschlossen, traute er sich erst, nachdem er einige Momente bang auf ein Geräusch von Seiten des Monsters gelauscht hatte, die Augen zu öffnen. Vorsichtig schielte er auf das Wesen, welches ihm zum Opfer gefallen war: eine pinke Socke lag schlapp auf dem Boden. Arme Socke, sie war elendiglich zugrunde gegangen. Raoul feilte noch an einer geeigneten Grabrede, während er voranschritt, nun furchtloser. Immerhin hatte er sich bewaffnet, wie ein wahrer Kerl dies machen würde. Eine Gürtel-Peitsche – darum hätte ihn selbst Indiana Jones beneidet! Das Zimmer allerdings glich tatsächlich eher einer Mischung aus Dschungel, Schlachtfeld und Blutbad als einem Zimmer. Von der Lampe hing eine Sammlung von Damenunterwäsche, die der junge Spanier nicht genauer betrachten wollte, der Schrank sah aus wie der Eingang zu einer Höhle, wenn er es sich genau überlegte. Die Türen standen sperrangelweit offen, und von ihnen herab ergossen sich Kaskaden von bunter Kleidung, schillernden Kostümen für ihre Shows und so manchem Requisit, das Julia sich einfach angeeignet hatte und nur alle heiligen Zeiten mal hervorkramte. Irgendwie kam sich Raoul vor wie in einer Schatzhöhle – es fehlte nur noch die magische Lampe, die ihm die Suche nach Agatha erleichterte, und ein Djinn, der ihm noch zwei andere Wünsche erfüllte.. Raoul lachte in sich hinein, während er sich den Weg an einem Kleiderhaufen vorbei bahnte und die Packung Tampons auf dem Nachttisch ignorierte. Laut Standortbeschreibung Tante Jositas sollte die Pflanze drei Schritte von dem Schreibtisch entfernt stehen.. Zumindest, wenn es dieses seltsame Etwas sein sollte, das sich dort, grau grün vertrocknet, unter einem Berg aus orangefarbener Hosen, Röcke, Kleider und T-Shirts versteckt hatte. Vorsichtig schwang Raoul den Gürtel, um seiner Gesuchten endlich das Leben zu retten, doch er musste gleich einsehen, dass dies wohl keine so gute Idee war. Also musste er wohl tatsächlich durch. Raoul schloss die Augen, warf den Gürtel zur Seite und fasste beherzt nach den Kleidern. Hoffentlich, hoffentlich hatte Julia keine unangenehmen Überraschungen darin versteckt. Immerhin wollte er jetzt nicht gerade Push-Up-BHs in seinen Händen halten. Immerhin konnte Julia auch jeden Moment nach Hause kommen. “Also dann, Agatha”, teilte er der Pflanze mit, “Lass uns hier raus!” Seine Tante würde sich bestimmt über ihre geliebte Agave freuen.. und damit würde er wenigstens einer kein Weihnachtsgeschenk mehr schuldig sein..! Kapitel 17: 17. Dezember - Telefon ---------------------------------- Etwas klingelte, irgendwo unter dem vielen Geschenkpapier auf dem Sekretär, unter welchem bereits sämtliche Geschenke vergraben waren. Irgendwie hatte Robert es geschafft, die lange, fein säuberlich aufgereihte Reihe aus Zellophanverpackten Geschenkpapierrollen in ein Meer aus bunten Schnipseln zu verwandeln. Und jetzt musste er das Telefon finden – er erkannte bereits am Klingeln, dass es sein Privathandy war. Da musste er rangehen. Es konnte nur etwas Wichtiges sein. Robert seufzte und wühlte sich in Windeseile durch die vielen verschiedenen Muster, Farben, Größen des Verpackungsmaterials. Wo war das vermaledeite Handy nur abgeblieben? Vorhin hatte er doch noch Enrico eine SMS geschrieben... Ah, da war es ja! „Ja?“, antwortete er mit leicht genervtem Unterton. „Da hat ja mal wieder jemand wunderbare Laune“, meldete sich eine lakonische Stimme zu Wort, die Robert selbst in einer Menschenmasse erkannt hätte. Das war wohl ein Indiz dafür, dass er den anderen schon zu gut kannte. Oder aber, zu lange. Oder aber, dass sie viel zu oft an der Strippe hingen. Immerhin, es funktionierte ganz gut. Anders ließ sich die Distanz Glasgow – Wien kaum überwinden – genausowenig wie die Wien – Paris oder Wien – Rom. „Wie immer an Weihnachten“, gab der Lilahaarige nun zurück und verdrehte leicht die Augen, ehe er sich dem nächsten Geschenk zuwandte. Einhändig, verstand sich, da er eine Hand brauchte, um das antiquierte Handy festzuhalten. Leider war er nicht so gelenkig wie Enrico, der sein Mobiltelefon prinzipiell zwischen Ohr und Schulter einklemmte, um besser gestikulieren zu können. „Ich bitte dich“, Johnny ließ ein kehliges Lachen hören, „Weihnachten mit deinen Alten ist doch weitaus erträglicher als mit dem McGregor-Clan!“ „Bist du dir sicher?“, Robert werkelte an dem Reiseschachspiel herum, legte es irgendwie aufs Geschenkpapier und bog die ersten Ecken um, ehe ihm einfiel, dass er vielleicht Klebestreifen brauchen würde. Er ließ von dem Papier ab und tastete nach dem Klebestreifen und der Schere. Die mussten irgendwo unter dem Pinguin-Geschenkpapier versteckt sein. „Natürlich“, Johnny verschränkte bestimmt gerade die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die nächstbeste Wand, „Oder hast du je eine Ansammlung besoffener Schotten gesehen?“ „Das eigentlich nicht“, musste Robert einlenken, „Aber die kleine, perfekte Welt meiner Habsburger-Verwandtschaft ist auch nicht zu verachten. Du hast noch nie einen von ihnen in der Disco gesehen“ Ah, da war die Schere. Und der Klebestreifen.. Vielleicht schaffte er es jetzt sogar, einen Zipfel vom Tesafilm loszulösen.. Na gut, das war dann wohl vergeblich. Der Lilahaarige seufzte lautlos und blickte zum Fenster. Eigentlich.. nein, die Idee war selten dumm. „Dich sieht man da auch nicht“, gab Johnny sogleich zurück, und er konnte es sich wohl wieder einmal nicht nehmen lassen, zu provozieren, „Du bist einfach zu sehr Mamas kleiner, braver Liebling!“ Robert hob eine Augenbraue in die Höhe, und ein schiefes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Nur, weil ich nicht jede Woche in einem Klatschblatt zu sehen bin wie gewisse andere aus dem europäischen Jungadel, mein bester Johnathan.“, er schlug einen betont hoheitsvollen Ton an. Der rotschöpfige Schotte konnte gerne sehen, dass er über den Dingen stand. Außerdem war Disco doch so.. pöbelhaft. Da verkehrte er noch lieber auf den allgegenwärtigen Wohltätigkeitsveranstaltungen. Er nahm sich einen der Geschenkpapierbögen und begann, ihn mehr oder weniger gerade zu falten. Die Versuchung war einfach zu groß – und er hatte, dank Gustovs übermäßiger Fürsorge, mehr als genug Papier zur Verwendung. „Hey, da meinst du jetzt andere Engländer!“, Johnny lachte, ehe er zum eigentlichen Grund seines Anrufs kam: „Aber sag mal, wie sieht's aus dieses Jahr an New Year's Eve?“ „Willst du mich mit dieser Frage etwa gerade für Neujahr in dein zugiges Schloss im Nirgendwo in Schottland einladen?“, erkundigte sich der Lilahaarige schmunzelnd. „Nein, ich frage nur, was du vor hast“, erwiderte Johnny sogleich. Nicht, dass sie dieses Gespräch jedes Jahr führten... Niemals, nie und nimmer. Robert lächelte schief, blickte aus dem Fenster und versuchte weiter, das Geschenkpapier möglichst ohne Knittern zusammenzukleben. Dass er dabei mit Ellenbogen und in abstrusen Verrenkungen arbeitete hätte Gustov aufs Äußerste geschockt, dessen war er sich sicher. „Ich habe vor, mir betrunkene Schotten anzusehen, und dich im Schach zu besiegen. Eigentlich wie jedes Jahr“, erwiderte er, während er versuchte, das Fenster möglichst geräuschlos zu öffnen. Sein Papierflieger lag allerdings, egal, wie schief er gerade war, noch auf dem Schreibtisch. Ohne nachzudenken nahm Robert nun doch die zu Hilfe – Johnny war allerdings noch immer am anderen Ende der Leitung. Ihm musste wohl ein Ohr abfallen, während das Handy mit lautem Knall erst auf der Kante des Sekretärs, anschließend auf dem Parkettboden landete. Robert fluchte, während er das Geschenk nun doch links liegen ließ. „Bist du noch da?“, fragte er, nachdem er sein Mobiltelefon unter dem Sekretär geborgen hatte. „Anscheinend ja“, ertönte nach langer Stille in der Hörmuschel, „Aber was zum Teufel treibst du da? Holst du dir einen runter oder was?“ Robert musterte seinen chaotischen Sekretär und die Geschenke, die er bislang eingepackt hatte – warum war es eigentlich gerade Johnnys, welches ihm das Leben gerade schwermachte? Das war irgendwie.. sehr treffend. „..Nenn' es.. Papierkrieg“, erwiderte der Lilahaarige, während er ans Aufräumen dachte, welches ihm nicht würde erspart werden. Gustov war einfach zu pingelig in dem Bezug. „Das kannst du deiner Mutter erzählen. Ich wette, du wirfst wieder Papierflieger aus dem Fenster!“ Kapitel 18: 18. Dezember - Der Sessel der Macht ----------------------------------------------- „Hey an alle da draußen in der großen, weiten Welt! Hier sprechen AJ Topper und Brad Best, und wisst ihr was?“ - „Dass du pinke Socken mit blauen Babydelfinen darauf trägst?“ - „Sie sind heute grün mit kleinen Pinguinen drauf, AJ. Aber gut geraten! Auch wenn ich das gerade nicht meinte“ - „Spann' mich doch nicht auf die Folter, Brad! Du musst nicht beleidigt sein, weil ich dir den Sessel heute weggeschnappt habe“ - „Wenn du den Zettel von der Anmoderation mal durchlesen würdest, wüsstest du das!“ - „Ich hab' doch dich dafür, wozu sollte ich dann?“ - „Stimmt auch wieder. Du bist auch nur dazu da, mir Cola zu bringen.“ „Was Brad damit sagen will, wir befinden uns hier im Battle Tower in Moskau, und nicht mehr lange, und die Finalrunde der Beyblade-Weltmeisterschaft ist da!“ - „Schau mal, AJ, da unten kommen schon die ersten Zuschauer! Die Spiele werden alles andere als kalt!“ Das rote >ON AIR<-Schild erlischt, als AJ den entsprechenden Knopf auf ihrem Kontrollpult betätigt, und zufrieden lehnt sich AJ in seinem Bürostuhl zurück. Er verschränkt die Hände vor seinem Bauch und lächelt einen Moment lang ein Lächeln, das einen jeden Buddha neidisch gemacht hätte. Brad neben ihm kippelt leicht grummeltig auf dem Holzstuhl nach hinten. Heute hat er den ewigen Kampf um den Moderatorensessel der Macht verloren – AJ grinst schadenfroh. Ha! Der Sieg ist sein! Auch wenn er das niemals aussprechen würde – immerhin hat er noch so etwas wie Anstand übrig. Außerdem kann Brad kippeln, wenn er will. Das ist auf dem Sessel der Macht nicht möglich.. auch wenn er sonst echt bequem ist. Der kupferblonde AJ grinst, streckt sich und steht auf, um sich eine Cola zu holen, die sie vorhin auf dem kleinen Regal bereitgestellt haben. Er prüft bei der Gelegenheit auch gleich den Sitz seines grünen Bandanas, das wieder einmal perfekt zur grünen Fliege, den grünen Hosenträgern und den grünen Chucks passt. „Du siehst aus wie ein irischer Kobold, mein Freund“, kommentiert Brad da auch schon hinter ihm, „Dabei dachte ich immer, du wolltest deine wahre Identität verstecken!“ AJ stimmt frohgemut ins Lachen mit ein, und seine schelmisch funkelnden grünen Augen begegnen den blauen des Blondschopfs. „Heut' hab' ich meinen Goldtopf nicht dabei, da kann mir nichts passieren!“, erwidert er, die Augen geschlossen. Er beweist sich gern, dass er sich blind zurechtfinden kann – während er wie ein Königstiger zu seinem Sessel schreitet, übersieht er ein winziges Detail: der Sessel der Macht ist schon besetzt. Brad lümmelt obszön darin, als hätte er niemals etwas anderes getan, und AJ bleibt angesichts so viel Dreistigkeit doch der Mund offen stehen. „Hey! Das ist MEIN Sessel!“, quengelt er. Sein Kollege zuckt bloß grinsend mit den Schultern. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“, strahlt er den Grünäugigen an, der sich nur mit einem leisen „hmpf!“ auf den klapprigen Holzstuhl fallen lässt. Allerdings hält sein Groll nicht lange genug an – immerhin moderieren die beiden schon seit einer gefühlten Ewigkeit die Kreiselspiele in den Arenen der Welt. Außerdem hat er zwei Dosen Cola, nur für sich: frei nach dem Motto >Wer zuerst kommt, mahlt zuerst< Außerdem hat er hier bessere Aussicht auf die Zuschauertribünen unter ihnen. „Da kommen tatsächlich schon welche!“, stellt er fest und blickt kurz zu Brad, ehe er seine grünen Augen wieder auf die Ränge unter ihnen heftet. Sie haben die Tore also tatsächlich schon geöffnet.. AJ spürt sein Herz vor Aufregung pumpen, erwartet beinahe sehnsüchtig den üblichen Adrenalin-Kick, der ihn vor einer Moderation immer aufputscht. In noch nicht einmal einer Stunde würden die Ränge unter ihnen gedrängt voll sein. Ein Meer aus Menschen, alleine da, um ihnen zuzuhören – und um den Beyblade-Kämpfen zuzusehen. Wohl eher das, doch AJ bildet sich gerne ein, dass sie alleine um der Moderation willen kommen oder den Fernseher einschalteten. Brad ist gut drauf, das merkt der Kupferblonde, weil der andere dümmlich vor sich hin grinst und einen der ewigen Weihnachts-Evergreens mitsummt, die das Radio selbst hier im verschneiten, eisig kalten Russland ausspuckt. Nonstop. Brad scheint mal wieder alles um sich herum vergessen zu haben und krakehlt „All I want for Christmas“ fröhlich mit, um keinen schiefen Ton verlegen. Seine kehlige Stimme wird nicht rauchig und weich, wie AJ es sich in manchen Stunden schon gewünscht hätte. Aber immerhin.. Wie zufällig drückt er einen Knopf auf dem Kontrollpult und öffnet seine erste Coladose. Irgendwie muss er sein schelmisches Grinsen doch verstecken. „Leute, es wird Zeit, die Zuschauerfrage des Tages zu stellen!“ - „Wir haben eine Zuschauerfrage, AJ?“ - „Such nur deinen Zettel für die Moderation, Brad.. ich wärme dir inzwischen den Sessel der Macht an..“ Kapitel 19: 19. Dezember - Tony ------------------------------- Sie stützte den Kopf auf die freie Hand, und fuhr sich mit der anderen müde übers Gesicht. Der Bildschirm vor ihr auf dem Schreibtisch flackerte. Der Bildschirmschoner schaltete sich ein, beleuchtete den Raum nur spärlich. Es war dunkel rundum – die Jalousien für die Nacht hatten sich bereits vor Stunden mit automatischem Knirschen geschlossen, und sie war zu sehr in ihre Arbeit vertieft gewesen, um es zu bemerken. Nun, natürlich, fiel es ihr umso mehr auf. Der Kugelschreiber lag auf den Arbeitsmaterialien vor ihr, und Judy musste sich nicht zum ersten Mal erinnern, dass sie in diesem Monat jemanden Zuhause sitzen hatte, der auf sie wartete. Max hatte ihr den Kugelschreiber irgendwann, vor der Trennung noch, geschenkt. Strahlend wie sein Vater an ihrem Hochzeitstag. Judy lächelte versonnen, griff nach dem Schreibutensil, das eigentlich schon lange keine Tinte mehr hatte, und versuchte, den kleinen Maxie von damals mit dem heutigen in Verbindung zu bringen. Sicher, Grundzüge waren noch da; aber er war nicht mehr nur allein ihr Maxie. Er war ihr Feiertags-Max, und wahrscheinlich war sie auch nur seine Feiertags-Mom. Aufseufzend lehnte Judy sich zurück, steckte den Kugelschreiber mit einer resoluten Bewegung in ihre Kitteltasche. Ein „Humbug!“ konnte sie sich dabei nicht verkneifen – Abeniezer Scrooge würde stolz auf sie herablächeln, hätte es ihn denn gegeben. „Mrs. Tate?“, ein Lichtstrahl fiel aus dem Korridor herein, durch die geöffnete Tür. Der Schatten eines Mannes, dem, zu dem die Stimme gehörte, zeichnete sich im Gegenlicht ab. Die blonde Technikerin und Forscherin kniff ihre tiefblauen Augen zusammen. Der Bildschirm schräg neben ihr flackerte. „Tony?“, sprach sie den Nachtwächter direkt beim Vornamen an, und sogleich ging auch das Licht an. Tony Riveras hatte den Lichtschalter betätigt, und sogleich musste Judy feststellen, wie überreizt ihre Augen waren. Sie begannen, kaum blendete sie das helle Licht, zu tränen. „Der bin ich, Mrs“, der Nachtwächter verzog seine wulstigen Lippen – ein Teil seines schwarzen Erbes – zu einem breiten, typisch-strahlenden Grinsen, „Was denn, machen Sie schon wieder Überstunden?“ Judy stand auf, streckte sich und fühlte die üblichen Verspannungen in ihrem Rücken. Sie zuckte mit den Schultern, lächelte seicht, und steckte eine ihrer Hände in die Kitteltaschen. Die blonde Amerikanerin spürte den Kugelschreiber an ihrer Hand. Maxie wartete auf sie, Zuhause. „Ich muss“, übernahm sie den kollegialen Ton ihres Gesprächspartners, welcher daraufhin nur den Kopf schüttelte. „Nana, Mrs. Tate“, tadelte er freundlich, „Immerhin haben alle anderen dieselbe Verantwortung zu tragen wie Sie! Kommen Sie wenigstens auf einen Tee hinüber in die Küche!“ Judy mochte Tee eigentlich nicht. Doch während sie auf einem der sperrigen Küchenstühle hockte, und darauf wartete, dass der Teebeutel-Tee in ihrer Tasse mit heißem Wasser seine Aromen entfaltete, kam es ihr seltsam richtig vor. Der Kugelschreiber lag vor ihr auf der Tischfläche. „Ach Mist, schon wieder keine Milch mehr..“, Tony hatte die Angewohnheit, Tee mit Milch zu trinken, erinnerte sich Judy dunkel, und beobachtete ihn, wie er nach einem Kugelschreiber tastete. Ausgerechnet ihren erwischte er. Kaum hatte er festgestellt, dass er nicht funktionierte, öffnete er die Mülltonne, um ihn zu entsorgen. „Nein!“, protestierte da die blondschöpfige Forscherin und streckte die Hand aus, „Den dürfen Sie nicht wegwerfen!“ Tony hielt inne. Er drehte sich zu ihr um und hob seine dichten, schwarzen Augenbrauen fragend in die Höhe. „Warum denn? Er ist doch kaputt! Sie sollten sich einen Neuen zulegen!“ „Den hat mir mein Sohn geschenkt“, erklärte Judy, verlegen lächelnd, „Vor einer halben Ewigkeit. Ich weiß, er ist schon lange aufgebraucht, aber.. ich trage ihn immer noch bei mir.“ - „Wie einen Glücksbringer!“, Tony strahlte, und drehte den Kugelschreiber in seiner Hand, schien ihn nun, mit besonderer Sorgfalt zu betrachten, ehe er ihn wieder zurückreichte. Judy lächelte, legte eine Hand kuppelförmig über den Rand ihrer Teetasse. Der heiße Wasserdampf kondensierte sogleich, und sie fühlte die Feuchtigkeit, wie sie sich langsam an ihrer Handfläche sammelte. Mit der anderen umklammerte sie den Kugelschreiber beinahe, und versonnen blickte sie auf den Zipfel des Teebeutels, der aus der Tasse mit dem Graf-Dracula-Motiv heraushing. „Maxie ist diese und die nächste Woche bei mir, bis Neujahr“, erzählte sie urplötzlich, ganz die stolze Mutter, die sie war, „Aber wir sehen uns nicht viel. Ich arbeite viel, und er unternimmt oft etwas mit seinen Freunden“ Tony musterte sie. Eine Minute, vielleicht zwei, herrschte vollkommenes Schweigen zwischen ihnen, ehe er seinen Mund zu einem breiten Lächeln verzog. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend. „Gehen Sie nach Hause, Mrs. Tate. Ihr Maxie will doch sicher seine Weihnachtsferien mit Ihnen verbringen“, riet er ruhig, und Judy blickte den Kugelschreiber an, den sie wieder unbewusst hervorgeholt hatte. Kapitel 20: 20. Dezember - Ballett ---------------------------------- „Hey, Trottel.. Was machst du da?“, Queen hob missgelaunt eine Augenbraue in die Höhe und spazierte die schmale Treppe hinunter in den Flur. Ihr Zwillingsbruder drehte sich nicht um, um ihr Paroli zu bieten. „Na, Zicke? Schon wieder kein Opfer gefunden um deine Liebenswürdigkeit daran abzuladen?“, er blieb locker. Queen lachte leise. „Noch nicht, aber bald!“; jubilierte sie beinahe, und kehrte zurück zu einem.. menschlicheren Umgangston. Der normale Ton, der zwischen den Geschwistern herrschte, wirkte auf Außenstehende leicht erschreckend – aber die brutale und manchmal beleidigende Ehrlichkeit war das Geheimnis ihres guten Verhältnisses zueinander. King stand einbeinig auf dem schmalen, dreibeinigen Schemel aus der Küche, den Queen normalerweise benutzte, um ans oberste Regal ranzukommen, und versuchte scheinbar verzweifelt, das Gleichgewicht zu halben. „Ach, erst bald?“, er wedelte angestrengt mit dem angehobenen Bein, um nicht von dem Dreifuß zu fallen, „Das heißt, ich bin dich nachher los und kann Party machen?“ „Untersteh' dich, eine Party zu feiern, ohne dich dabei mit mir zu betrinken! Das kommt noch früh genug!“, drohte die Schwarzhaarige, und King drehte ihr sein Profil zu, um sie aus den Augenwinkeln heraus anzuschielen. Er grinste schief. „Auch wieder wahr“, fand er. Queen gab die Feldstudie am Objekt Mann, falls ihr Bruder als solche gelten konnte, auf, und zollte nun dem vollste Aufmerksamkeit, das es am meisten verdient hatte: ihrem Spiegelbild. Sie beleckte ihren Zeigefinger, brachte die fein säuberlich gezupften Augenbrauen in Form. Im Spiegel konnte sie unfreiwillig Zeugin der Verrenkungen ihres Bruders werden. „Was meinst du“, meldete sie sich irgendwann zu Wort, während sie eine unbändige Strähne hinter ihr Ohr strich, „ob Großmutter uns wieder die pinken Pullis schenken wird?“ - „Ich hoffe ja auf Socken“, wie zur Bestätigung hob King seinen Fuß in Richtung seiner Schwester und entblößte ihr so ein großes Loch, „Ich hab' nämlich keine mehr!“ Die Schwarzhaarige richtete ihren Haarreifen gerade, streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. „Eigentlich könnte man deine Verrenkungen gerade fast als Ballett-Bewerbung verstehen“, fand sie und ahmte Kings Verrenkungen überspitzt nach. Ihr schiefes Grinsen war bitterböse, doch King blieb gelassen. „Eigentlich? Du hast mein pat-de-deux noch nicht gesehen!“, erwiderte er. Queen wandte sich dem Garderobenschrank zu. Endlich fand sie einmal ihre Handschuhe und den passenden Schal gleich – King musste Ordnung gemacht haben. Warum auch immer, aber sie konnte den Nutzen eines kleinen Zwillingsbruder (sie war eine Minute älter) in manchen Situationen gut nachvollziehen. Immerhin konnte er hinter ihr her räumen, wenn sie wieder alles über den Haufen warf.. Queen lächelte zufrieden und betrachtete sich selbstgefällig im Spiegel. King seufzte auf und stellte sich nun mit beiden Füßen auf den Dreifuß, blickte nach oben. „Verdammte Mistelzweige“, fluchend schoss er einen imaginierten Feuerpfeil auf die grüne Pflanze mit den weißen Beeren. Endlich begriff auch Queen, was er hier vorhatte. „Gib mal her, du ungeschickter Kerl!“, resolut nahm sie ihm den Zweit mit dem roten Band daran aus der Hand. King landete, weil sie ihn vom Dreifuß herunterschubste, auf dem Hosenboden, blickte zu ihr auf. Das Grinsen auf seinem Gesicht sprach Bände. „Und wehe, du schaust unter meinen Rock!“, mahnte die Schwarzhaarige noch drohend. Der Silberhaarige lachte auf. „Und wovon träumst du nachts?“, erwiderte er und schauderte demonstrativ, „Igitt! Ich brauche nicht zu wissen, wie deine Unterwäsche aussieht!“ Queen wollte gerade etwas erwidern, doch die Türklingel unterband es – King hatte also tatsächlich den Weihnachts-Evergreen einprogrammiert. Sie verzog das Gesicht und sagte nichts mehr. „Wer bist du denn?“, King hob eine Augenbraue in die Höhe und musterte den hoch gewachsenen Amerikaner vor sich. „Eddy“, erwiderte dieser, „Und du?“ - „King“, das sah man aber auch, wenn man aufs Klingelschild blickte. King hob eine Augenbraue. „Ähm..“, der Besucher stand etwas verloren in der Gegend herum, „Ist Queen da?“ King hob eine Augenbraue in die Höhe, seine dunklen Augen funkelten schelmisch. „Mal sehen..“ Kapitel 21: 21. Dezember - Die drei magischen Zutaten ----------------------------------------------------- Voltaire betrachtete die Utensilien vor sich auf dem Tisch, die er brauchte, um zu entspannen. Eine Tasse. Es war die seltsame, rote, mit dem Gesicht darauf, welches, zumindest laut seinem Enkel Kai, ihm auffallend ähnelte. Nicht, dass Voltaire besondere Ähnlichkeit bemerkt hätte – aber immerhin hatte sein Enkel an ihn gedacht, statt ihn, wie jedes andere Weihnachten, anzuschweigen. Das hieß, ihr Verhältnis zueinander war auf dem Weg zur Besserung, hatte seine Psychotherapeutin behauptet. Voltaire ging eher davon aus, dass Kai eingesehen hatte, dass er ihn enterben konnte. Er war realistisch in diesen Dingen. Eine Kanne heißer Milch, in dem schmucken Silberkännchen, das er sich selbst vor einer gefühlten Ewigkeit zugelegt hatte. Das GUM in der Moskauer Innenstadt hatte ihn verleitet. Eine kleine Sünde, wenn man die Einkaufsorgien seiner Tochter, Kais Tante, bedachte; Voltaire schmunzelte schief. Die Frau musste noch größere Probleme haben als er selbst. Bereits der Umstand, dass sein Enkel die Ferien lieber bei ihm in der Villa verbrachte, abgeschnitten von aller Außenwelt, sprach Bände. Aber immerhin: wenn Kai ihn anzickte, wurde es wenigstens niemals langweilig. Und er konnte zurück-zicken. Das hatte Voltaire Hiwatari inzwischen gelernt Kakaopulver, das gute, aus dem Fair-Trade-Laden um die Ecke. Er war teuer, aber suchtfördernd. So konnte Voltaire seinen Enkel immer wieder dazu bringen, ihn besuchen zu kommen – eigentlich ein kleines Wunder, dass Kai noch nicht selbst auf die Idee gekommen war, sich welches mitzunehmen. Voltaire Hiwataris Geheimrezept war denkbar einfach, und doch klappte es gegen alles: schlechte Laune, faule Bedienstete, Bauchschmerzen bei kleinen Enkeln, Arthritis, Thrombosen und natürlich – und vor allem – gegen sturköpfige, eigensinnige Enkel wie Kai es war. Der alte Herr setzte sich gemütlich in seinen Ohrensessel, in dem er klein-Kai früher immer Geschichten vorgelesen hatte, und blickte zum Fenster. Seine Frau, Anna, hatte zu Lebzeiten immer auf dem Kanapee platzgenommen, die am Fenster stand. Wahrscheinlich hatte sein Blick sich in den langen Jahren ihrer Ehe so daran gewöhnt, zum Kanapee zu wandern, dass es automatisch passierte. Voltaire schüttelte den Kopf, trank einen Schluck heiße Schokolade, während er Flocken vor dem Fenster hereinschneien sah. Es wurde Zeit, dass der Garten seinen weißen Puderzucker bekam, dachte er schief grinsend. Das Grünzeug dort draußen würde genauso aussehen wie der steinharte Panetone, der in Puderzucker ertrank, den ihm die italienischen Geschäftspartner immer Anfang Januar hatten zukommen lassen. „Guten Abend, Großvater“, monotone Stimmlage und ein abfälliger Tonfall? Das konnte nur sein Enkel Kai sein! Voltaire konnte nicht sagen, dass er sich freute – er freute sich niemals über die Anwesenheit anderer. Zumindest meistens nicht. Sein silberhaariger Enkel unterdessen tappte ins Wohnzimmer, ließ sich auf das Kanapee plumpsen und verschränkte die Arme vor der Brust. Voltaire trank einen weiteren Schluck heißer Schokolade, genoss das milchig verdünnte Aroma, das einfach dazugehörte, und lächelte schief in sich hinein. Natürlich darauf achtend, dass niemand etwas von dem kleinen Anflug von Freude mitbekam. Sein Enkel sah wie immer katastrophal aus: zerrissene Jeans, die unter dem Hintern aussahen, als trüge Kai eine Windel, ein Pullover, so hässlich, wie ihn nur eine erstklassige Privatschule ausgeben konnte.. und die allgegenwärtigen Dreiecke auf den Wangen. Voltaire war schon seit Jahren der Meinung, Kai sollte seine Psychotherapeutin aufsuchen – aber der Achtzehnjährige hatte schon immer etwas empfindlich auf dieses Thema reagiert, darum ließ er es lieber sein. „Wie du siehst, bin ich da“, meinte Kai irgendwann mürrisch, als wäre er dazu gezwungen worden, herzukommen. Dabei wusste Voltaire sehr genau, worum es seinem Enkel ging: den magischen Zutaten. Er machte sich nicht die Mühe, sein Schmunzeln zu verstecken. „Das heißt, du wirst mir dieses Weihnachten wieder Gesellschaft leisten, Enkel?“, erkundigte er sich, während er sich schwerfällig erhob und nach seinem Stock greifen wollte. Kai war schneller, und reichte ihn ihm. Eine neue Geste der Höflichkeit. Des Respekts. Ein Fortschritt, wie die Psychotherapeutin sagen würde. Voltaire nickte und nahm seinen Stock. „Vielleicht“, erwiderte Kai, während er ihm, seinem Großvater, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, in die Küche folgte, um sich auch mit Tasse, heißer Milch und Kakaopulver einzudecken. Kapitel 22: 22. Dezember - Das richtige Geschenk ------------------------------------------------ „Ach du heilige Scheiße!“, Kenny war aufgesprungen, so heftig, dass seine Brille ihm von der Nase gefallen war, geradewegs auf die Tastatur des Laptops, die leise klapperte. Ein protestierendes „Hey!“ von Seiten Dizzys ignorierte er, genauso wie sein Team, welches sich in der Küche versammelte – und er fluchte, die aberwitzigsten Begriffe verwendend, die ihm einfielen. „Chef?“, Tyson näherte sich ihm vorsichtig, als könne er beißen, „Alles okay?“ Doch er antwortete nicht darauf. Die Flüche nahmen ihn zu sehr in Anspruch, und Tyson warf einen Hilfe suchenden Blick in Richtung von Ray und Kai, die noch am Türrahmen festhingen. Kai schien beschlossen zu haben, die ganze Angelegenheit mit verschränkten Armen zu beobachten. Vielleicht wollte er Kennys Blog mal wieder ergänzen. Dizzy hatte dem Brillenträger das letztens gebeichtet. Doch das war nicht der Grund für Kennys Ausbruch. Der braunhaarige Japaner hielt inne, als ihm kurzzeitig keine neue Variation der Flüche mehr einfiel – er hatte inzwischen sogar andere Sprachen, wie etwa Russisch und Chinesisch, durch – und atmete einmal tief durch. „Was ist denn los, Chef?“, erkundigte sich Tyson abermals – augenscheinlich war er heute mutig. Kenny murmelte bloß Unverstänliches in seinen nicht vorhandenen Bart hinein. „Er hat den Albtraum schlechthin erlebt!“, verkündete Dizzy vergleichsweise fröhlich, was dem Brillenträger nur wieder ein Beweis mehr dafür war, dass sein Bitbeast eigentlich wunderbar zum Teamkapitän passte. Der Sklaventreiber – mit dieser Bezeichnung hatte Kenny begonnen, seit er am Training teilnehmen musste – und das Biest.. Kenny schmunzelte schief, wofür ihn nun sein ganzes Team für vollkommen durchgeknallt halten musste, und seufzte abgrundtief. „Ich hab' ein Problem!“, verriet er, während er Dizzy vorsorglich zuklappte. Sie sollte nicht schon wieder alles ausplaudern; die kleine Blog-Verschwörung mit Kai reichte für Kennys Geschmack bereits vollkommen aus. Während Kai nur unbeteiligt tat und wahrscheinlich im Kopf schon wieder neue Gräueltaten fürs Training ausheckte, blickten Ray, Max und Tyson ihn nun interessiert an. Hillary hatte sich – Gottlob! - irgendwo mit irdenwem verabredet. Ansonsten wäre die Konversation wohl etwas.. peinlich geworden, wie der Brillenträger fürchtete. „Könntet ihr mir helfen?“; beinahe flehend sah er dabei zu Ray; Max und Tyson in allen Ehren, doch die beiden waren mindestens genauso jungfräulich wie er – wenn er etwas brauchte, dann professionelle Hilfe! Ray hob verwirrt eine Augenbraue in die Höhe. „Was hast du denn für ein Problem?“, erkundigte er sich vorsichtig. Wahrscheinlich ahnte er, worauf es hinauslief. Kai an seinem Türrahmen grinste schief. Oh je, das konnte ja was werden.. „Was schenke ich einer Frau am besten zu Weihnachten?“, Kenny tippte verlegen die Finger aneinander, während Ray, Tyson und Max nur erleichtert auflachten. Insgeheim fragte Kenny sich, ob er tatsächlich wissen wollte, was sie gerade gedacht hatten. „Wie wär's denn mit Blumen?“, Tyson strahlte ihn an wie ein Honigkuchenpferd, „Darüber freut sich doch jede Frau!“ - „Dumme Idee“, wandte Max ein, „Du musst ungeheuer aufpassen, was die Blumensprache sagt. Meine Ex war nicht gerade begeistert über die gelben Rosen, weiß der Teufel warum.“ Blumensprache..? Was sollte denn das sein? Kenny hatte – so gebildet er auch sonst war – leider überhaupt keine Ahnung, was er mit dem gerade errungenen Wissen anfangen sollte. Verdammt. Seine Hoffnungen setzten sich nun auf Ray, welcher die Hand ans Kinn gelegt hatte und offensichtlich überlegte. „Schokolade..?“, schlug er schließlich vor, „Oder Reizwäsche? Hängt aber immer davon ab, was für ein Mädchen das ist. Für deine Freundin wäre das bestimmt eine gute Idee..“ Kenny wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Die anderen gingen selbstverständlich davon aus, dass er eine junge Dame meinte.. „Leute“, meinte er duster, „Euch ist schon klar, dass ich vorhin meine Oma meinte? Sie kommt übers Wochenende, und meine Mutter meinte, ich soll ihr was Schönes schenken..“ Kapitel 23: 23. Dezember - Lichterkette --------------------------------------- (Ein altes Thema.. aber immer wieder neu, huh? ;) ) Der erste Ferientag. Takao streckte sich, und prompt musste er niesen. Leider war er nicht freiwillig einen Tag früher Zuhause – die allwinterliche Grippe hatte ihn gepackt, und das gerade vor Weihnachten. Der Blauhaarige drehte sich zur Seite, schielte auf seinen momentan ausgeschalteten Wecker. Kurz nach zehn – normalerweise feierte er um diese Zeit mit Hiromi die letzte bestandene Arbeit mit einem Instant-Kaffee aus dem schuleigenen Automaten. Seit sie ihm Nachhilfe gab, konnte er das meiste – und Mathematik ließ er sich vom Chef erklären. Manchmal mochte der kleine Streber doch etwas nerven mit seiner übertriebenen Liebe zum Laptop, aber Takao war ihm zutiefst dankbar, dass er ihn noch nicht in den Wind geschossen hatte wie sämtliche anderen Nachhilfelehrer, die sein Bruder organisiert hatte. Apropos Bruder.. wie auf's Stichwort tapste Hitoshi an seiner aufgeschobenen Zimmertür vorbei, und der Dunkelhaarige blinzelte. „Was soll den der Riesenkarton?“, fragte er laut, wobei seine Stimme eher wie das Krächzen eines Verdurstenden nach Wasser anhörte. „Wie- Oh, hey, Bruderherz“, tatsächlich allerdings schien Hitoshi seinen gescheiterten Ruf wahrgenommen zu haben und grinste ihn nun schief von der Zimmertür aus an, „Geht's dir besser?“ Takao wollte nicht nochmal riskieren, zu klingen, wie ein männlicher Kröterich auf Brunft, und nickte bloß. Der Ältere nickte bloß, wirkte dabei ein wenig abwesend und wollte schon weiterhasten, da machte Takao mit einem lauten Husten auf sich aufmerksam. Oh Mann, er klang ja noch immer nach einem Todkranken. Dabei war es wirklich nicht mehr so schlimm – zumindest das Fieber musste weg sein! „Was ist denn noch?“, Hitoshi bemühte sich, rücksichtsvoll zu sein. Aber das war einfach nicht seine Stärke, war es nie gewesen. Takao krächzte kurz, wie einer der Raben, die sich auf den Strommasten tummelten, ehe er den Sprechversuch aufgab und auf den Karton deutete. Dabei machte er ein fragendes Gesicht. Hitoshi hob seine Last etwas in die Höhe, zuckte mit den Schultern. „Da ist die Beleuchtung für den Garten drinnen“, erklärte er, „Großvater meinte, es Mr. Tate nachmachen zu müssen“ Takao grinste schief. Oh, stimmte ja: Max's Vater hatte, neben einem Großteil seines Arsenals, die Weihnachtsbeleuchtung aus Amerika mit nach Japan gebracht, und sein Garten leuchtete nun wie tausend strahlende Sonnen. Der Blauhaarige schüttelte den Kopf. Okay, er hatte wohl echt eine Überdosis japanischer Literatur bekommen. Aber wenigstens hatte er die Japanisch-Arbeit nicht versemmelt. Hitoshi unterdessen entfernte sich weiter in Richtung Dojo – hatte Großvater seine Drohung vom letzten Jahr tatsächlich wahr gemacht und sich einen Weihnachtsbaum zugelegt? Oh Gott, das konnte ja nur schief gehen.. Da musste er dabei sein! Mühsam rappelte Takao sich auf und tapste auf den Flur. Letzte Nacht hatte es geschneit, und noch immer lag eine dünne, beinah transparente, glitzernde Schneedecke auf dem Rasen. Selbst der Teich hatte etwas Eis angesetzt, wenn auch nicht viel. So kalt wurde es hier nicht. Nicht so wie in Russland, auch wenn Kai sich immer einen Riesenhaufen Schnee zu Weihnachten wünschte. Das wusste Takao, weil sie einmal eine dieser seltsamen, mit Alkohol angereicherten Nächten darüber diskutiert hatten, als der Halbrusse betrunken genug gewesen war, um redefreudig zu werden. Leider erinnerte der junge Japaner sich kaum mehr an die Hälfte des gesagten. Verdammter Alkohol. Takaos Großvater hatte keinen Baum aufgetrieben – dafür hätte er wahrscheinlich den riesigen Garten Voltaire Hiwataris entern müssen. Der Dunkelhaarige traute seinem Großvater zwar vieles zu, jedoch nicht das. Wenigstens nicht das. Der alte Herr stand, auf sein Schwert gestützt, am Absatz des überdachten Ganges zum Garten und blickte zufrieden auf seinen anderen Enkelsohn. „Sieh dir das an, Grünschnabel!“, forderte er Takao auf, und der junge Japaner verschluckte sich beinahe an seinem eigenen Husten. „Ist das tatsächlich eine so gute Idee?“, krächzte er fragend. Mist! Seine Stimme war noch immer nicht richtig da. „Warum sollte es keine so gute Idee sein?“, erwiderte sein Großvater jedoch, als hätte er ihn verstanden, und Takao atmete erleichtert auf. Sein Hals allerdings schmerzte wieder mehr – allerdings konnte das auch daran liegen, dass er gerade barfuß und nur im Schlafanzug an der offenen Wintergarten-Tür zum Garten stand. „Du weißt nicht, was für eine Katastrophe er ist!“, wollte er erwidern, doch die Stimme blieb ihm im Halse stecken. So blieb ihm nichts Anderes übrig als seinem großen Bruder bei seinen seltsamen Verrenkungen zuzusehen, die er machte, um den kleinen Ginkobaum mit einer Lichterkette zu umwickeln. Sollte er seinem Großvater vielleicht doch erzählen, dass der Kurzschluss, den Hitoshi im letzten Jahr verursacht hatte, das ganze Viertel lahmgelegt hatte..? Oh, zu spät. Hitoshi hatte bereits nach dem Verlängerungskabel gegriffen. Takao lächelte breit und wartete auf den zu erwartenden Knall. Blieb nur zu hoffen, dass der Baum nicht abfackelte.. Kapitel 24: 24. Dezember - Jolotschka ------------------------------------- Yuriy sitzt auf dem Boden, ein dickes Buch auf dem Schoß. Seine hellen Augen sind auf die eng beschriebenen Seiten gerichtet, die von vielem sprechen können - mal von Krieg und von Frieden, mal von Liebe, von Hass, von dramatischem Tod. Er ließt alles, was ihm unter die Augen kommt und nur ansatzweise mit Weltliteratur zu tun hat. Von Philosophie über Medizin über Fantasy bis hin zu den kleinsten Kinderbüchern. Boris kneift seine Augen leicht zusammen, versucht, sich zu erinnern, was der Wälzer des Rotschopfs aktuell beinhaltet. Er muss immer bestimmte Kritikpunkte erfüllen, ob nun bloß einen davon oder mehrere sei nun dahingestellt. Irgendetwas Ausländisches, meistens Deutsches. Irgendetwas, das schon länger existiert, und dessen Sprache eher einem Sonett gleichen als normaler Sprache, und bei dem man jedes Wort einzeln erklären muss. Der Autor eigentlich ein Dichter. Ziemlich berühmt. Bestimmt erfüllt das Buch gerade jeden einzelnen Punkt, so vertieft, wie Yuriy ist, doch Boris fällt der Name gerade trotzdem nicht ein. Der Rotschopf versinkt zu sehr in dieser anderen Welt, die ihm die Bücher auftun, um viel mitzubekommen. Eigentlich hat Boris keine Lust, sich Sorgen zu machen oder nachzudenken. Heute nicht mehr - er hat genug. Der Tag war anstrengend; die Psychologin wollte ihn einfach nicht gehenlassen. Und dann noch die blinkenden Lichter der Weihnachtsbeleuchtung, die von den Läden heraus auf die Straßen scheint. Boris spürt den dumpfen Schmerz der sich ankündigenden Migräne bereits hinter den Schläfen, außerdem sind die seltsamen, hellen Lichtflecken wieder in seinem Gesichtsfeld aufgetaucht. Weihnachten, denkt der Silberblonde und reibt sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel, als könne er damit die Kopfschmerzen beseitigen, Weihnachten, WeihnachtenWeihnachten. Weihnachten. Das Zauberwort gegen Kopfschmerz hat er so noch nicht gefunden. "Oh, du bist ja schon da!", Ljudmilla hat sein grußloses in-die-Wohnung-Schleichen wohl doch bemerkt und strahlt ihn vom Türrahmen der Küche her an, "Das trifft sich gut, du kannst Sergej gleich helfen, die Jolotschka ins Wohnzimmer zu bringen!" Eine Schürze umspannt ihren rundlichen Leib, und Boris kommt nicht umhin, sich zu fragen, was sie denn fabrizieren mag. Irgendeine Süßigkeit, weil sie glaubt, sie seien allesamt von hinterm Mond? Doch er weiß, sich zu widersetzen wird fruchtlos sein; die Sozialarbeiterin, die für sie zuständig ist, ist unerbittlich - sowohl in ihrem Frohsinn als auch darin, ihren Willen durchzusetzen. Und sie hat es sich in den Kopf gesetzt, sie alle zu guten, braven Bürgern zu machen. Normal. Boris schmunzelt schief, und stumm steigt er in seine Stiefel vor der Haustür. Er trampelt die vielen Stufen hinunter zum Hauseingang. Tatsächlich steht dort Sergej, mit einer kleinen Tanne auf dem Schlitten - eine Leihgabe eines der vielen nörgelnden Nachbarn, die er um den Finger gewickelt hat. Sergej kann das gut, er hat es sogar schon mit Ljudmilla geschafft. Sie ist begeistert von dem blonden Hünen, das sieht man. Sergej grinst bloß. "Befehl von oben?", erkundigt er sich, doch die Frage ist rhetorisch gemeint. Es ist klar, dass Ljudmilla gerade oben am Küchenfenster steht - ein Blick hinauf zum vierten Stock, in dem ihre Wohnung liegt, reicht, um dies zu bestätigen. Wortlos packt der Silberblonde sich ein Ende des fest geschnürten Nadelbaums. Sergej hätte den locker auch ohne Hilfe hinaufschaffen können. Aber Ljudmilla besteht ständig darauf, dass sie einander unter die Arme greifen. Warum auch immer. Kaum ist die Tür zum Treppenhaus hinter ihnen zugefallen, überlässt Boris seinem ehemaligen Teamkollegen den Baum. "Ljudmilla wird das aber nicht freuen", bemerkt Sergej lakonisch, und Boris grinst bloß schief, zuckt mit den Schultern. Die Sozialarbeiterin kann ihn so oder so nciht ausstehen. Und Yuriy verrammelt sich hinter seinen Büchern - vielleicht vergammelt er dort auch irgendwann unbemerkt.. ein schiefes Schmunzeln blitzt über sein Gesicht, aber nur kurz. Das ist nicht witzig; Yuriy verkriecht sich zu sehr. Aber er, Boris, muss zur Psychologin. Als sie den Baum im Wohnzimmer aufstellen, nimmt er doch beinahe die Hälfte des Raumes für sich ein. Woher auch immer das plötzliche Volumen kommt. Und Yuriy sieht noch nicht einmal auf, seine halb geschlossenen Augen bleiben auf die Seiten gerichtet. Er hat schon immer viel gelesen, doch seit einiger Zeit lässt er überhaupt nicht mehr von den BÜchern. Er verschlingt sie, das Wissen und Nicht-Wissen darin, saugt sie auf wie ein schwarzes Loch im All. "Komm, Borja, setz' dich zu uns! Ich habe Tee gemacht und die Piroggen musst du kosten!", strahlend unterbricht Ljudmilla seinen Gedankengang, mit einem Blick auf Yuriy schiebt sie ihn resolut am Ellbogen in die Küche. Yuriy lässt sie zufrieden; Sie hat für einen jeden von ihnen eine besondere Therapie erdacht. Sergej nickt ihm grinsend zu, plaudert mit Ljudmilla über die verschiedenen Rezepte. Er lernt Koch, seit etwa einem Monat. Boris hat noch keine Entscheidung getroffen, wie sein Leben weitergehen soll - er hat keine Lust darauf. Er angelt sich stumm eine Pirogge, während die Worte an ihm vorüberziehen, und blickt hinüber zu Yuriy, der sich nicht gerührt hat. Sie wohnen irgendwo am Rande Moskaus, weit weg von der aufgelösten Balkov-Abtei. Ivan ist in St. Petersburg, bei irgendeiner Großtante, die das Sorgerecht für ihn eingeklagt hat. Er hat die kleinwüchsige Pest seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Es ist weniger lustig ohne das kleine Großmaul, das sich immer hinter Yuriys Kraft versteckt hat. Wobei.. die beiden haben sich ziemlich oft gestritten. Zu unterschiedliche Charaktere. Und Ivan kennt einfach keinen Respekt. "Borja, mein Goldjunge", spricht ihn Ljudmilla wieder an, reißt ihn aus den Gedanken. Was für ein Spitzname, denkt er abfällig, und dieser Gedanke spiegelt sich deutlich auf seinem Gesicht wieder. Sie lässt sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen und fährt ungerührt mit ihrer Bitte fort: "Du könntest doch gemeinsam mit Serja die Jolotschka schmücken." "Wir haben keinen Schmuck", Yuriy taucht so plötzlich in der Küche auf, dass Boris zusammenzuckt. Sergej blickt ihn nur überrascht an. Wie hat der Rotschopf es geschafft, zu erscheinen, ohne, dass jemand ihn gehört hat? Mit einem Teleporter? Oder ist er geschwebt? "Dafür habe ich schon gesorgt, Yura, mein Junge", erwidert Ljudmilla mütterlich lächelntund hält ihm eine Pirogge entgegen. Der Rotschopf blickt aus dem Fenster, statt ihren Blick zu erwidern. Schwere Schneeflocken fallen vom Himmel, und Boris jubiliert innerlich. Schnee bedeutet, die nervtötende Sozialarbeiterin sitzt nicht mehr so lange wie sonst bei ihnen - immerhin hat sie auch ein Kind Zuhause, und eine Mutter. Zumindest so viel hat er aus den kleinen Pläuschen mit Sergej, denen er beiwohnen muss, entnommen. Yuriy zuckt bloß mit den Schultern, wie um das Problem von ihnen zu schütteln. Es geht ihn nichts an. Nichts scheint ihn mehr anzugehen. Der Rotschopf fasst nach der angebotenen Pirogge und schreitet geschmeidig zurück zu seinem Buch. Wahrscheinlich ist es nur die Eingewöhnungsphase, denkt Boris. Die Psychologin meinte neulich auch zu ihm, dass er Geduld haben soll mit sich. Die Welt ist groß und bunt, und er ist eine solche Reizüberflutung nicht gewohnt. Oder so ähnlich. Später ist der Baum noch immer nicht geschmückt, Ljudmilla ist weg, bei ihrem Kind und ihrer Mutter, und der kleine Zeiger der tickenden Uhr nähert sich langsam immer weiter an zehn Uhr an.. Yuriy sitzt wieder in seiner Ecke, den Wälzer auf dem Schoß. Das Licht des Fernsehers erhellt als einziges das Wohnzimmer. Sergej ist irgendwohin verschwunden - vielleicht schläft er schon. Morgen muss er wieder zur Ausbildungsstelle antreten, soweit Boris informiert ist. Boris blickt zu Yuriy. Der kalte Schein des künstlichen Lichtes lässt sie beide bleich wirken, wie kraftlose, zombie-ähnliche Abklatsche ihrer selbst. Vollkommen kaputt. Die rostroten Wimpern des anderen werfen lange Schatten auf sein Gesicht, und bestimmt sieht er keinen Buchstaben mehr. Die Seiten des Wälzers liegen im Schatten. Wahrscheinlich spinnt er die Geschichte in seinem Kopf weiter, so weit, dass er das Buch noch nicht einmal mehr braucht. "Weißt du noch", seine Stimme klingt kratzig, weil er sie so lange nicht mehr benutzt hat, "Du hast in den großen Schlafsälen immer die Kerzen beschützt" Yuriy blickt auf, endlich fixieren seine hellen Augen den Silberblonden tatsächlich. Boris betätigt den Ausschalt-Knopf der Fernbedienung, und alles Licht erlischt. Nur der eine oder andere, vereinzelte Schein dringt durch die Fenster in den Raum. Yuriys Augen verschwinden in der Dunkelheit, doch Boris hat das Gefühl, er könnte sie noch immer sehen. "Ivan hat mir dabei geholfen", erklingt die raue, dunkle Stimme der Rotschopfs, und Boris hört das traurige Lächeln, das sich dabei über sein Gesicht ziehen muss, förmlich heraus. Sie kennen sich einfach zu gut. Kein Wunder, nach all der langen Zeit. "Ihm geht's bestimmt gut", erwidert Boris, streicht über seine rechte Hand, die voller kleiner, oberflächlicher Narben ist. Nicht wenige von ihnen hat er dem Kleinwüchsigen zu verdanken, wenn sie wieder gerauft hatten. "Sicher", Yuriys Stimme verhallt seltsam im Raum, und Boris beschleicht das klamme Gefühl der Angst, dass der Rotschopf einfach verschwinden könnte, hineingelesen in eines seiner Bücher. Weg, wie von einem schwarzen Loch verschluckt. Und er tastet sich nach vorne, weil er sich einfach überzeugen muss, dass sein Freund noch da ist in der Dunkelheit ringsum. Er findet ihn, und grob, kantig stoßen ihre Leiber aufeinander, weil sie verlernt haben, anderen Trost zu spenden. Yuriy hat noch immer das Buch auf dem Schoß, und Boris fühlt eine der spitzen, harten Ecken an seiner Leber. Das wird morgen ein blauer Fleck, schießt ihm durch den Kopf. Die Arme des anderen schlingen sich um ihn, irgendwie, und verkrampfen sich kurz um ihn herum. "Was denn, Gruppensex und ich bin nicht dazu eingeladen?", eine schelmische Stimme erklingt, und das Licht um die beiden herum wird so schnell eingeschaltet, dass sie nicht mehr reagieren können. Boris liegt halb auf Yuriy, und - Verdammt, ihre seltsame Version einer Umarmung sieht tatsächlich stark nach etwas Anderem aus. Der Silberblonde schießt zurück, flüchtet sich förmlich auf die Couch, ehe ihm bewusst wird, dass er den Sprecher länger nicht mehr gesehen hat. Yuriy wischt sich unterdessen einmal übers Gesicht, legt das Buch zur Seite und erhebt sich. "Was denn, du wartest auf eine Einladung, Krümel?", erwidert er leise. Anscheinend ist er gefasster als Boris. Und doch bietet sich Boris ein seltener Anblick: Yuriy, der um die Fassung ringt. Seine hellen Augen sprühen Funken wie schon lange nicht mehr. Er scheint völlig überfordert mit der Situation zu sein, und lächelt einfach nur. "Mir ist zu Ohren gekommen, eure Jolotschka könnte noch ein bisschen Schmuck gebrauchen", erklärt Ivan breit grinsend und hebt wie zur Bekräftigung einen Karton in die Höhe, hinter dem er beinahe verschwindet, "Also habe ich Jelena und Igor einfach ein wenig von ihrem Schmuck abgeschwatzt. Die haben sowieso so viel, dass sie es leicht entbehren können!" Yuriy blickt ihn einen Moment nur an, und wahrscheinlich liegt es an den vielen Büchern, die er seit Ivans Abreise verschlungen hat, dass er nun einfach auf den Kleinen zugeht und ihn umarmt, wie sie es früher manchmal getan haben, wenn ihnen kalt und kein Aufseher zu sehen war. "Yay", erklingt es vom Jüngsten des ehemaligen Teams, "Eine Runde Gruppensex für alle!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)