Stray von Ouroboros ================================================================================ Kapitel 11: Wenn der Morgen uns findet -------------------------------------- Vorwort: Ooooh was freu ich mich auf vol. 11....es kommen so viele Szenen vor, die in vol.10 nicht mehr gepasst haben, weil Jamie und Junya ja unbedingt ausgedehnt spazieren gehen mussten...aber jetzt endlich! Ich kann mich wieder austoben. Wir steigen mit einem Zwischenspiel ein; klingt komisch, muss aber so sein, denn ich wollte es nicht „Vorspiel“ nennen ;) Musikempfehlung für die Abschnitte 'Soulmates never die': Placebo – Sleeping with ghosts Und YAY! Antti darf erzählen! Ich freu mich! Als kleines Bonbon zum Fest gibt es eine kleine Weihnachtsgeschichte am Ende; das Weihnachten, nachdem Sakuya Antti kennengelernt hatte. Ich wünsche allen eine schöne Weihnachtszeit! Und den Weihnachtshassern: einen wunderschönen Dezember! P.S. Falls sich dabei jemand wundert, warum ich so einen langen Ausschnitt aus einem Song im letzten Abschnitt einfügen musste – ich finde es herrlich, wie sich in diesem Lied Fuchs und Antti fast die Hand geben können.... ;) Stray vol. 11: Wenn der Morgen uns findet Zwischenspiel: Karasu: Rauch und Asche Fragst du mich, wie er heißt, Jener finstere Geist, Der meine Brust hat zum Reich, Davon ich so düster und bleich? Unfried' ist er genennt, Weil er den Frieden nicht kennt, Weil er den Frieden nicht gönnt, Jemals der Brust, wo er brennt. (…) Und schaudernd seh' ich's, entsetzenbethört, Wie mein eigenes Selbst gen mich sich empört, Verwünsche mein Werk und mich selber ins Grab- Dann folgt er auch dahin wohl quälend hinab!?- aus: Franz Grillparzer: Inkubus Dieser Idiot. Karasu schlang seinen kurzen Mantel enger um sich; es war zwar bereits Frühling, doch dieses Jahr war bisher insgesamt nicht allzu warm gewesen, und nachts wurde es noch immer empfindlich kühl; er stand im Schatten einer kleinen Wand, so, dass ihn selbst das fahle Mondlicht nicht erreichen konnte, und spürte die Kälte des Steinbodens durch seine Sohlen steigen, während er sich mit funkendem Feuerzeug eine Zigarette anzündete; der kurze Lichtschein ließ seine Augen für einen Moment glitzern, ehe sie wieder in Ausdruckslosigkeit versanken. Wirklich, wie konnte man so bescheuert sein; auf der anderen Seite, war nicht er selber der Bescheuerte hier? Schimpfte Mika einen Trottel, weil der seinem Sandkastenfreund hinterherrannte; und er, der sich selber der Distanz von solchen Dummköpfen pries, hatte definitiv zu oft Sex mit besagtem Trottel gehabt, um noch von Distanz zu sprechen; und war zudem unverständlicherweise einer der engsten Freunde eines weiteren Trottels, der jetzt seit über einem halben Jahr schon das immer wehleidiger werdende Drama 'Gebrochenes Herz' wegen des gleichen Sandkastenfreundes von Trottel Nummer eins aufführte. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, hiermit war Karasu nun offiziell am untersten Ende der Nahrungskette angekommen. Er stieß den Rauch durch die Zähne aus und lehnte sich an die kalte Wand, stumm an der Zigarette ziehend, den Blick abwesend nach vorn gerichtet. Er verstand nach wie vor nicht, was alle Männer um ihn herum denn an diesem Sakuya sahen; er hatte schon von ihm gehört, ehe jener mit Antti zusammengekommen war; das war eine kleine Stadt, und der Schwarzhaarige hatte einen gewissen Ruf. Karasu konnte das auf den Tod nicht leiden; wie Sakuya sich aufspielte, obwohl er überhaupt nichts wirklich leistete! Weder war er ein besonderer Künstler noch hatte er sonst etwas Außergewöhnliches vollbracht; und seine Meute scharte sich dennoch um ihn als wäre er der Messias, und auch Antti war dem hochgewachsenen Schwarzkittel erlegen, der seine Gedichte nichtmal selber verfasste. Antti hingegen hatte darauf bestimmt dutzende Liebeslieber verfasst; schön, war für die Band sicher eine gute Zeit gewesen, auch wenn sie zu Karasus immenser Erleichterung so gut wie keines der Lieder letztendlich verwendet hatten; und auch nett, dass der Kleine jemanden gefunden hatte, bei dem er offensichtlich sämtliche körperlichen und geistigen Triebe befriedigen konnte, aber Karasu war heilfroh gewesen, als Saku nicht mehr bei ihnen ein- und ausging. Mehr als einmal wären sie einander am liebsten an die Kehle gegangen; es war nie eine Drohung laut ausgesprochen worden, aber das zumindest konnte Karasu in den arroganten Augen des Anderen erkennen. Nur um Anttis Willen hatten sie sich zusammengerissen und waren einander so gut es ging aus dem Weg gegangen. Dieses geheuchelte Gutmenschentum konnte er einfach nicht ausstehen; Antti hätte sowieso jemand Besseren verdient. Und jetzt Mika. Karasu musste sich eingestehen, als er dem Rothaarigen zum ersten Mal direkt gegenübergesessen hatte, damals nach der Probe, als er eher aus Zufall in die Küche gegangen war, hatte er sich schwer getan, ihn nicht bereits mit den Augen auszuziehen; den schlanken athletischen Körper mit der noch vom Sommer leicht goldenen Haut, die Muskeln darunter geschmeidig wie die eines wilden Tieres, schmalen Lippen, die beständig zu einem minimalen Lächeln verzogen schienen - etwas verrucht, oft, wenn sich die Lider über den fahlgrünen Augen senkten - und einem perfekten Arsch, das musste mal gesagt werden, und Karasu wusste, wovon er sprach, immerhin lebte er seit Jahren mit Antti zusammen. Wie göttlich müsste es sein, zu sehen, wie die goldene Haut schimmerte unter einer dünnen Schweißschicht, wie die schlanken Schenkel zuckten; das Stöhnen der etwas heiseren Stimme zu hören! Aber Karasu war von jeher zu sehr Menschenfeind, um zu verführen. Dann hatte sich herausgestellt, dass hinter diesen kindischen und realitätsfremden Weltsichten – so seltsam es schien, dass gerade jemand wie Mika so denken sollte; aber er tat es – doch jemand steckte, der seinen Kopf nicht nur benutzte, um damit durch die nächstbeste Wand zu rennen; und jemand, der tatsächlich fähig war, seine Gedanken von seinen Gefühlen zu trennen, zumindest vorerst. Intelligenz macht sexy, das ist ein Fakt, und es hatte nicht lange gedauert, gewisse ungestillte Bedürfnisse zu entdecken, der Rest war Geschichte. Dann war das ganze schöne Arrangement völlig in sich zusammengebrochen, als Sakuya die überaus dämliche Idee gehabt hatte, wieder zurückzukommen, und man hatte förmlich zusehen können, wie Mika auf einmal doch nicht mehr ganz so sehr Kopfmensch geworden war. Und Karasu war tatsächlich zum ersten Mal selber etwas verunsichert gewesen, was nun noch Spiel war, und was Ernst, denn etwas war definitiv anders gewesen. Er war sich nur immer noch nicht sicher, was. Karasu starrte in die Nacht. Dann hatte Mika diese völlig beschissene Aktion gebracht – für die Karasu ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte, wenn er nicht verdammt genau wüsste, dass er dann schnell der Heuchler wäre – und wer war er denn, ihm sagen zu wollen, was er mit seinem Leben anstellen sollte? Ein williges Sexspielzeug, nichts weiter – und Karasu hatte merken müssen, dass er Mika nicht fallen ließ wie eine heiße Kartoffel, sondern dass er im Gegenteil betroffen war. Er war ernsthaft froh gewesen, den anderen Mann am Leben zu sehen; mit den Verletzungen, die er sich zugefügt hatte, hätte er eventuell sowieso überlebt, hatte nur blind drauflosgehackt. Dennoch, Karasu hatte die Blutung gestillt, hatte den Verband immer wieder neu umwickelt, Lebenszeichen kontrolliert, und vor allem stundenlang darauf gewartet, dass der Rothaarige aufwachte. Die Küsse waren nicht geplant gewesen, nichts von alldem war geplant gewesen, wahrscheinlich war diese ganze Gefühlsduselei ansteckend. Jetzt hatte Mika den ganzen Tag über, seit der Zwerg und sein treuer Freund da gewesen waren, auf dem Bett gelegen und Löcher in die Luft gestarrt, gebrütet und gegrübelt. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie Karasu ihn dabei beobachtet hatte, oder es war ihm schlichtweg egal gewesen. Immer Sakuya, immer ging es um Sakuya. Ob Mika ihn jetzt liebte, oder nicht, war Karasu eigentlich auch scheißegal; eigentlich reichte ihm einer von Sakuyas Fanboys im Haus auch völlig aus. Aber immer hieß es, ich wünschte es wäre wie früher, ich wünschte wir könnten wieder Freunde sein, ich wünschte, ich wünschte. Warum gehst du nicht einfach, und holst dir, was du willst, hatte Karasu beim Stimmen des Basses geschnappt. Es war nicht einmal eine bissige Erwiderung gekommen, wie erhofft; stattdessen hieß es nur: es ist vorbei, es ist alles anders. So ein Idiot. Person eins war noch am Leben, Person zwei war noch am Leben, beide waren am selben Ort wie vorher, und keiner hatte signifikante psychische Schäden davongetragen; na, zumindest nicht mehr, als vorher bereits vorhanden gewesen waren. Wo also genau sollte das Problem liegen? Nimm dir einfach, was du willst; ja, genau. Karasu schnaubte und spuckte aus. Und jetzt war er natürlich der allergröße Idiot in der ganzen Geschichte, er, der eigentlich nur ein bisschen heißen Sex gewollt hatte, und jetzt sollte ihn nur mal jemand sehen, wie er sich lächerlich machte und sich selbst nicht mehr wiedererkannte. Und wofür das alles? Um ein paar Volltrotteln ihr dümmliches Grinsen zurück auf die Visage zu zaubern? Karasu warf die Kippe auf den Boden und trat sie mit der Ferse aus, spähte um die Ecke, als er Schritte vernahm, die hohl zwischen den Wänden der fast stockfinsteren Unterführung widerklangen. Eine große Gestalt war in den Schatten zu vernehmen, hob sich kaum von diesen ab; bewegte sich erstaunlich lautlos für ihren Wuchs; Karasu erahnte einen Mantel, der die Gestalt wie flüssige Dunkelheit umhüllte, und spürte förmlich den Blick aus kühlen Augen auf sich, trat hinter seiner Ecke vor und stellte sich lässig in die Unterführung; der Andere blieb einige Meter entfernt stehen und musterte ihn wortlos, das schwache Mondlicht schien fast unmerklich auf helle Haut. Hah. Fehlte nur noch, dass er ihn anknurrte. „Ich sehe, du hast meine Nachricht bekommen.“ „Was willst du?“ Die Stimme war unfreundlich, kühl, wie immer. Machte einen auf dicke Hose, weil er Feuerwaffen dabei hatte. Karasu holte Paper und Tabak aus der Jackentasche und drehte sich in aller Ruhe eine Zigarette, sah aus den Augenwinkeln, wie der andere eine Hand zur Faust ballte. „Was du willst, habe ich gefragt! Rede; ich bin nicht umsonst hergekommen.“ „Ich hab vielleicht Informationen für dich.“ Karasu leckte gemächlich über das Papier. „Über deinen Freund.“ „Wo ist er?“ Die Stimme zitterte, mühsam beherrscht. „Reg dich ab, ihm geht’s gut.“ „Wirst du es mir nun sagen? Ich habe keine Lust auf deine kranken Spielchen.“ Karasu grinste humorlos, steckte sich die Kippe zwischen die Lippen und zündete sie an, nahm einen Zug. „Ich hab dich hergerufen, weil ich dir einen Gefallen tun will.“ „Und was wäre das?“ Sakuya war keinen Schritt näher gekommen; Karasu ließ sich wieder gegen die Wand fallen, wandte den Kopf und sah zu dem Schwarzhaarigen. „Wenn ich deinem Freund noch eine Sache von dir ausrichten sollte – nur eine – ehe er für immer fortginge – was wäre das?“ Jamie: So nah Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas zu sein als ein rundes Nichts. Friedrich Hebbel Ich stand in der Küche und half einem äußerst gut gelaunten Rose, alle Vorräte für den geplanten Filmabend zusammenzustellen; die Zwillinge hatten sich ebenfalls noch angemeldet, was eine positive Überraschung war; wie der Pinkhaarige mir erklärte, während er Tee aufgoss, waren sie bisher definitiv nicht so häufig in Gesellschaft der anderen gewesen wie in den letzten Wochen, meist waren sie zu zweit in ihrem Zimmer oder draußen in der näheren Umgebung, was sie da genau unternahmen, wusste niemand, nichtmal Ilja, der von allen noch am meisten Einblick in das Privatleben der jungen Chinesen hatte. „Es ist ja nicht so, dass sie uns nicht leiden könnten.“ Rose fischte mit einem Löffel einige getrocknete Teeblätter aus einer Tasse, die aus dem Filterbeutel gefallen waren, warf sie in den Mülleimer und leckte den Löffel ab. „Im Gegenteil, ich denke schon, dass sie sich hier sehr wohl fühlen, dafür spricht ja, dass sie schon eine ganze Weile hier leben und den halben Haushalt allein führen, wenn man sie lässt. Sie sind auch wirklich lieb, ein bisschen ernst für ihr Alter, aber wer will ihnen das vorwerfen. Daher, auch wenn es schade ist, bin ich eigentlich gewohnt, dass sie für sich bleiben und selten mal etwas mit uns anderen unternehmen; selbst wenn sie fernsehen sind sie meist nur zu zweit. Ich weiß nicht warum, ob sie generell keine Gesellschaft mögen... Yuen ist da immer noch etwas anders, wenn es ihm gut geht; er kommt auch mal von sich aus dazu und redet und lacht mit uns; Minh ist eigentlich solange stumm bis Yuen durch seine Krankheit ausfällt, dann übernimmt er stehenden Fußes sämtliche Verantwortung. Aber in den letzten Wochen sind sie richtig aufgetaut, dass sie wirklich jeden Tag hier bei uns unten waren, mal länger, mal kürzer, kenne ich so noch gar nicht. Und Yuen scheint das gut zu tun; sein letzter Anfall ist, ich weiß nicht....bestimmt einen Monat her.“ Rose schnappte sich mit einer Hand seine Tasse und mit der anderen eine Dose mit Keksen. „Dass sie jetzt von sich aus gefragt haben, ob sie mitschauen können, entspricht wahrscheinlich einem halben Heiratsantrag anderer Personen.“ Ich griff den Teller auf dem gestapelt sämtliche beim Abendessen übrig gebliebene Pizza lag und hielt ihm die Tür auf. „Ist der Film nicht ab achtzehn?“ Rose schmunzelte mich an. „Na und? Bist du achtzehn? … Glaub mir, in diesem Haus ist es, solange du, oder in dem Fall deiner Frage die Zwillinge, dich erwachsen genug verhältst um für dich alleine zu entscheiden, jedem völlig egal, wie alt du bist, wie groß du bist, worauf du stehst, was du anz- ...na gut, das vielleicht nicht. Wahrscheinlich wirst du in diesem Haus von Yuki oder Sakuya im Bad eingesperrt mit nichts als einer Dose Haarspray und einer Auswahl nahezu unerträglich erotischer Kleidung, und erst wieder freigelassen, wenn du dich umgezogen hast, solltest du es wagen, einmal eine Modesünde zu begehen. Ich schwöre, ich style mich morgens nur, um Leib und Leben zu retten!“ Er lachte. „Wieso Sakuya?“ „Oh, Saku kann sowas von oberflächlich sein, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, sich und die Welt im Allgemeinen zu bedauern. Sei froh, dass du sein Bruder bist. Sowas von eitel! Lass dich von dem alten Mantel nicht täuschen. Ich habe mal erlebt, wie Saku fast die Wände hochgegangen ist, als ihm vor einem Konzert der Kajal unter den Fingern zerbröselt war. Ich dachte schon, er würde hysterisch.“ Ich kicherte, denn ich hatte schon erlebt, wie Sakuya aggressiv geworden war, in unserer alten Wohnung, als seine Haare nicht so gewollt hatten wie er. „Vorstellen kann ich es mir schon, aber so schlimm ist er ehrlich nicht, wenn man mal vergleicht, wie sich andere Leute anstellen....“ Rose grinste, ich auch, bei der Erinnerung an Mari, der am frühen Abend aufgekreuzt war. Der Schneider hatte Rose ein Jobangebot eines Politikers aus der Hauptstadt überbracht, welcher für zwei Monate in der Residenz der Stadtregierung bleiben würde, vielleicht eine Chance für diese Stadt, sich in einer aufstrebenden landesweiten Regierung soweit zu etablieren, dass wir keine erneuten Gewaltausbrüche befürchten müssten – so hoffte ich – ; sei es wie es sei, besagter Politiker hatte internationales Gefolge dabei und benötigte einen diskreten, englischsprachigen Sekretär. Daher Roses ausgezeichnete Laune. Ich war nicht ganz sicher, ob Marius nur deswegen gekommen war, oder ob er andere Hintergedanken bei seinem Besuch gehegt hatte; allerdings hatte Yuki sich nur kurz blicken lassen und war dann relativ schnell wieder im Badezimmer verschwunden, Maris Vorschlag, am Sonntagabend ins Eden zu gehen, nur mit einem 'Vielleicht' beantwortend, was jenen aber auch nicht groß zu stören schien, da er nur die Schultern zuckte und sich dann wieder seinem alten Kumpel Valentin zuwandte. Jener war noch immer erkältet, auch wenn ich ihn nach unserer Rückkehr fast gewaltsam zum Inhalieren mit Kamille gezwungen hatte; fast hätte ich ihn mit dem Kopf an die Schüssel fesseln müssen, wie ich befürchtete, aber am Ende gab er klein bei. Jedenfalls sah der Blonde noch immer blass und zerzaust aus, wenn er sich auch etwas gefangen hatte, und trug ein altes Bandshirt, wie gewöhnlich, mit Jogginghose und einem Schal um den Hals; wie ich zugeben musste wirklich etwas schäbig im Vergleich zu Marius, der sich in volle Montur geschmissen hatte, als wolle er noch ausgehen; Haare frisch getönt und geglättet, so dass sie ihm fransig in die Stirn fielen; er trug violette Kontaktlinsen, wie ich zu erkennen meinte, fast exakt derselbe Farbton wie der seines Tattoos am Hals. Ein Halstuch hatte er so locker darumgeschlungen, dass es die helle Haut komplett freiließ und ihm eher auf die Brust fiel, darunter trug er ein an den Seiten geschnürtes T-Shirt in schwarz und fliederfarben, Armstulpen im ähnlichen Stil, schwarze Hosen, die jeweils einen Teil der Oberschenkel aussparten, allerdings eine dicke schwarze Strumpfhose darunter, und knallpinke Springerstiefel - ebenso pink wie die dünne Jacke, die er sich um die Hüfte geschlungen hatte, und seine Nägel. In diesem Outfit traf Marius auf Val, sah ihn groß an und stellte dann knapp fest: „Schatzi, du siehst aus als hättest du eine Phobie vor Spiegeln.“ „Ich bin krank!“, raunzte Val und schob seinen Kumpel von sich weg, der anfangen wollte, ihm die Haare glattzustreichen. „Ich rede nicht von deinem Gesicht, sondern von deiner Kleidung! Wie alt ist das Shirt, fünfzig Jahre? War das mal schwarz oder immer schon hellgrau?“ „Mari, ich bin krank, und ich bin zuhause, und – lass doch mal meine Haare in Ruhe...!“ „Das zählt nicht als Grund!“ „Nicht jeder verbringt morgens drei Stunden im Bad wie du! Lass mich doch! Ich find mich okay so!“ „Du kannst viel besser aussehen, wenn du willst....“ „Das kann dir doch egal sein... Geh! Reiß dir irgendwo jemanden auf, der dich ein bisschen auslastet!“ „Ich komm auf dem Rückweg vom Einkaufen wieder. Wenn du dich bis dahin nicht selber umgezogen hast, zieh ich dich um!“ Die Drohung hatte gewirkt, und Valentin sah wieder aus wie ein lebendiger Mensch. So trug er auch jetzt Kleidung, die weniger danach aussah, als hätte er vor, die Woche im Bett zu verbringen; er hatte sich eine anständige Jeans angezogen und eine kurzärmlige Sweatjacke; mir fiel auf wie dünn er eigentlich war, selbst die enge Jeans bot hier und da noch Luft und hing mehr durch den Gürtel gehalten an den zierlichen Hüftknochen. Valentin lag auf der Seite auf Roses großer Matratze, Junya auf dem Bauch neben ihm, und die Zwillinge hockten ihnen gegenüber, Minh hatte Yuen auf dem Schoß sitzen und die schmalen Arme um ihn geschlungen. Alle vier sahen bei unserem Eintreten auf, Yuen jubelte beim Anblick der Keksdose, fast zeitgleich mit Roses Empörungsschrei beim Anblick des Zeitvertreibes der Jungs. „Ich fass es nicht, was macht ihr da?“ Valentin sprang auf und drückte seine Beute an die Brust, ehe ich sie genauer sehen konnte, etwas unsicher auf den Beinen, aber breit grinsend. „Du warst ja so süß früher!“ Rose schlug die Hände seufzend vors Gesicht. „Komm, Val, gib mir meine Fotos wieder...“ Er streckte bittend die Hand aus. „Wir haben aber noch nicht entschieden, welches das Beste ist....“ „Ich stimme für Sakuya unterm Baum!“ Yuen reckte sofort die Hand in die Luft; Minhs folgte nur Sekundenbruchteile darauf, Junyas bald ebenso. „Dafür!“ Rose schüttelte ein wenig belustigt den Kopf, immer noch vor Valentin stehend, den Teller und Tee hatte er beim Eintreten abgestellt. „Ich hab noch mehr, irgendwo; auch von euch zweien, ihr würdet euch wundern.“ Er nickte den Zwillingen zu, die einen perplexen Blick wechselten. „Ich sage nur, Silvester. - Woher weißt du eigentlich, wo ich meine Fotos aufhebe, du? Ich bin ja froh, wenn ich sie selber wiederfinde!“ Valentin grinste, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand in seinem Rücken. „Tja. Das sollte dich lehren, nachts keine bösen Männer in dein Zimmer zu lassen, die solche Sachen finden könnten, wenn sie nach einem Feuerzeug suchen, lieber Rose. Jetzt zahlt sich meine Suche aus.“ „Männer? Ich seh nur Kinder hier.“ Rose grinste breit zurück und ließ sich von einem beleidigt schnaubenden Valentin die Bilder aushändigen, reichte sie dann zu meinem Erstaunen gleich an mich weiter. „Hier, Jem, damit du nicht völlig außen vor bist. - Setz dich doch erstmal.“ „Ich wusste nicht, dass du eine Kamera hast.“ Ich ließ mich mit den Bildern neben Junya nieder, der sofort einen Arm um meine Mitte legte. Rose schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, ist kaputt, war ein altes Ding. Aber ich hab eine Zeitlang mal Bilder gemacht; zumindest dann, wenn Fuchs sie mir nicht gestohlen und selber fotografiert hat. - Da müssten ältere Bilder von deinem Bruder dabei sein, wenn es dich interessiert; kannst ja mal durchschauen.“ Yuen schwang sich von Minhs Schoß und hockte sich vor mich, griff in das Dutzend Fotos in meiner Hand und zog zielsicher eines heraus. „Da, das hier!“ Ich musste ein wenig kichern beim Anblick des Bildes, der sich mir bot; ich sah Sakuya, nicht bedeutend jünger als heute, vielleicht ein oder zwei Jahre; er trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Armeehose, ein silbernes Amulett funkelte auf seiner Brust, seine ordentlich nach hinten gebundenen Haare schimmerten im Licht mehrere Kerzen; er saß offensichtlich im Wohnzimmer vor einem ziemlich buschig wirkenden Weihnachtsbaum, im Schneidersitz, die Hände hinter sich abgestützt, seitlich zur Kamera und mit einem so unglaublich abwesenden Ausdruck im Gesicht, als wäre er eingeschlafen und hätte nur vergessen die Augen zu schließen; was mich auf den esten Blick zum Grinsen brachte, war die reine Tatsache, dass ich verdammt genau wusste, dass ich exakt genauso schauen konnte, und Junyas leisem Lachen nach lag ich damit richtig. Das Highlight des Bildes war allerdings Fuchs, der halb im Bild hinter Sakuya saß, in die Kamera grimassierte und seinem Feixen nach zu urteilen der Verursacher der Stilbruchs auf Sakuyas Kopf war, namentlich ein gekräuseltes Geschenkband, das ihm locker um den Zopf geschlungen worden war; Sakuya schien davon nicht das Geringste gemerkt zu haben, während Fuchs' Grinsen ihm fast einmal um den Kopf ging, er war sichtlich stolz auf sein Werk. Es zauberte mir selber unwillkürlich ein Grinsen ins Gesicht, mein Bruder sah so unbeschreiblich dämlich aus, fast tat er mir leid. „Und pass auf, das Beste kommt noch....jetzt das!“ Yuen drückte mir ein zweites Bild in die Hand, und ich musste schallend lachen; Rose stimmte ein, als er mir über die Schulter sah. Auf dem zweiten Bild hatte Sakuya offensichtlich bemerkt, dass er fotografiert worden war, und sah mit einem Ausdruck reinster Empörung in die Kamera, halb aufgestanden und im auf die Kamera Zugehen begriffen, wobei Fuchs, noch immer im Hintergrund sichtbar, offensichtlich gerade fast kollabierte vor Lachen, während das Band hinter Saku herwehte. „Die zwei“, grinste Rose. „Gibt glaub ich kein Foto von einem allein....damals...“ „Hat er dir was getan wegen des Fotos?“, wechselte ich schnell das Thema; ich hatte einige Stunden gebraucht, die Erinnerung an Fuchs aus meinem unmittelbaren Gedächtnis zu verdrängen, würde ich jetzt wieder an ihn denken müssen, wäre es wahrscheinlich, dass ich einfach alles verriet, und das wollte ich nicht, wenn Fuchs mir vertraute. „Naja, er hat mir die Kamera weggenommen. Hab sie aber zurückbekommen, nachdem Fuchs mal aufgehört hatte, zu johlen und Sakuya zu imitieren.“ Er besah sich das erste Foto und schüttelte leicht lächelnd den Kopf. „...Meine Güte, schau dir deinen Bruder an, sitzt da wie ein Hund der aufs Herrchen wartet.“ „Er sieht ein bisschen müde aus“, meinte ich und besah mir das Foto selber. Valentin und Rose grinsten beide. „Ha!“, meinte Val nur; Rose ergänzte: „Müde war er an dem Abend ganz sicher nicht; auf dem Foto wartet er auf Antti, der war ein bisschen spät dran. Hat ja nicht mit uns gefeiert, sondern zuhause mit seiner Mitbewohnerin und ihrem Ältesten, er kam dann später rüber, als der Kleine im Bett war. Einen Vorteil hatte es, Sakuya hatte vor Ungeduld das komplette Wohnzimmer aufgeräumt, und du solltest dieses Zimmer mal zu Weihnachten sehen, meins ist nichts dagegen.“ „Der war sowas von verliebt“, fügte Valentin an, Rose nickte. „Ja, total. War aber auch süß mit den beiden, ich habs ihnen von Herzen gegönnt. Ist doch schön, wenn man Weihnachten mit jemandem verbringen kann, den man liebt...es macht mich so traurig, dass sie sich getrennt haben; sie waren so unglaublich glücklich zusammen.“ Er seufzte. „So glücklich, dass Fuchs die ganzen Feiertage über auf dem Sofa geschlafen hat“, grinste Yuen und Minh lachte so dreckig, wie ich es ihm gar nicht zugetraut hätte. Valentin fing an zu kichern. „Ihr seid unmöglich, ihr verderbt die ganze Stimmung!“ „Na, aber ist doch wahr!“ Was die Stimmung anging, die hob sich ungeachtet der Worte Vals deutlich, als wir endlich fähig gewesen waren, uns auf einem Film zu einigen, und letztendlich, nach einer halben Stunde Diskutierens saßen wir nun gemütlich mehr oder weniger beisammen auf Roses Matratze, die wir einmal längs an die Wand geschoben hatten, und schauten einen norwegischen Zombiefilm, dabei die restliche Pizza vernichtend. Ich saß zwischen Junyas Beinen, seine Arme um meinen Körper, neben uns hatte es sich Rose im Schneidersitz bequem gemacht, und neben ihm lag Valentin, auf einige Kissen in seinem Rücken gestützt, und alle paar Minuten laut schniefend, bis Rose aufstand und ihm genervt ein Taschentuch in die Hand drückte. Die Zwillinge hockten wiederum neben ihm, und wir hatten es auch irgendwann geschafft, Yuen davon abzuhalten, nach jedem Satz eines Charakters ein überzeugtes „Der stirbt auf jeden Fall!“ einzuwerfen. Ich war in den ersten Minuten vielleicht auch wegen des lautstarken Schniefens und Rufens und Protestierens seitens Rose nicht fähig gewesen, dem Film wirklich zu folgen, da ich in Gedanken immer wieder zu Fuchs schweifte. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, machten mich die Fotos, die Rose hatte, wahnsinnig traurig. Warum musste es sein, dass so glückliche Zeiten vorbeigingen, und nur noch Fotos daran erinnerten? Warum konnten Freunde nicht einfach Freunde bleiben? Jetzt standen wir alle an diesem Punkt, mit nichts als Bildern in der Hand, um uns daran zu erinnern, wer wir einmal gewesen waren, wer wir einmal hatten werden wollen – und manchem von uns tat die Erinnerung an das, was er hatte sein wollen, vielleicht mehr weh, als die Gegenwart, die uns so vieles genommen hatte, aber uns alle letztendlich hierher geführt hatte. Und mit einem Mal hatte ich ein wenig Angst – wenn jene Tage auf den Fotos vorbeigehen konnten, dann konnten es auch diese hier. Wer sagte denn, dass ich immer glücklich sein würde? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass ein grausamer Winter in seiner Kälte über uns alle hereinbrach und uns ein weiteres Mal aus dem Leben riss, das wir führten? - Hatte denn irgendjemand von uns jemals damit gerechnet, nun hier zu sein? Wer wusste schon, wohin wir noch gelangen würden, in unseren jungen, getriebenen Leben? Vielleicht würde er Krieg kommen, vielleicht würde von uns heute nichts bleiben, als Erinnerungen. Ich sah ein wenig zur Seite, sah die Gesichter der Zwillinge gebannt am Bildschirm hängen – wo und wer würden sie sein, wenn sie erwachsen waren? Rose und Valentin, und Junya hinter mir – wenn ich mich eines Tages an ihre entspannten Gesichter heute erinnerte, was würde ich dabei denken? Und ich schmiegte mich enger an Junya, als mir klar wurde, dass der lachend auf dem Boden knieende Fuchs auf dem Foto, der sich einen Spaß mit seinem besten Freund machte, jetzt um ein Haar auch nicht mehr sein würde als eine Erinnerung an eine Person, die einmal unter uns gelebt hatte, und ich dachte an seine traurigen Augen heute, und er tat mir so unendlich leid. Wie viel schöner wäre es, ihn jetzt fröhlich in unserer Mitte zu wissen; fast konnte ich ihn vor mir sehen, in einem seiner grauen T-Shirts und Jeans, wie er an die Wand gelehnt neben uns saß, ein Bein übergeschlagen, und bei jedem von Roses gezischten „Hush“s breit schmunzelte. Doch ich konnte seinen unglücklichen Blick nicht vergessen, seine Stimme, die so ruhig von so entsetzlich Traurigem sprach, den leichten, kaum spürbaren Schmerz, der sich wie schwacher grauer Regen in jedes seiner Worte legte, als hätte ihm etwas zu viel Angst eingejagt, als dass er noch aufbegehren könnte. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Rose vor meinem Gesicht mit den Fingern schnipsste, und ich zuckte zusammen, lächelte verlegen, als ich merkte, dass er mich angesprochen hatte; er aber lächelte nur amüsiert, ich konnte spüren wie sich Junyas Arme etwas fester um mich schlangen. „Du träumst ja schon wieder“, murmelte er in meinen Haarschopf, und ich wurde etwas rot. „Ich hab nur...äh...“ „Nicht so schlimm“, meinte Rose fröhlich. „Noch ist keiner gestorben, der beste Teil kommt erst noch. Willst du auch was trinken?“ Er hielt mir eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit hin. „Äh...“ Ich hob fast erschrocken die Hände. „Nein....Rose, ich bin erst sechzehn...!“ Aus irgendeinem Grund animierte das Yuen zu einem blökenden Lachen, während sich sein Zwilling von Rose die Flasche zurückangelte, der ein wenig missbilligend die Stirn runzelte und den Blick von mir abwandte. „Jungs, Jamie und Jun sind wenigstens vernünftig, aber im Ernst, ihr seid vierzehn, meint ihr nicht, ihr solltet es ein bisschen langsam angehen lassen?“ „Wir werden fünfzehn nächste Woche“, meinte Yuen achselzuckend und nahm sich die Flasche von Minh, der einen Schluck genommen hatte und seinerseits sich die Haare aus der Stirn strich und die Schultern zuckte, in einer Bewegung die bis ins Detail seinen Bruder imitierte. „Mach dir keine Sorgen, wir haben schon ganz andere Sachen getrunken.“ „Und offensichtlich nichts daraus gelernt.“ „Du bist ja auch kein gutes Vorbild“, grinste Valentin und nahm Yuen die Flasche weg, ehe der einen weiteren Schluck nehmen konnte. „Prost.“ „Wenn Ilja hört, dass ihr bei mir Alkohol trinkt, schlägt er mir den Schädel ein.“ „Ach, nein.“ Yuen versuchte vergeblich, die Flasche von Valentin wiederzubekommen. „Aber wenn er hört, dass du außerdem Jamie was angeboten hast, bricht er dir vielleicht ein, zwei Beine.“ „Ilja ist ein Lamm“, warf Valentin ein. „Such dir jemand anders, mit dem du drohen kannst, Kleiner.“ „Ist er nicht!“ „Ist er ja wohl!“ Ehe die Diskussion über Iljas Vorzüge als Druckmittel ausufern konnte, flog die Tür auf, und Yuki platzte herein, schmiss sich ungefragt zwischen Rose und uns auf die Matratze. „Hey.“ „Uhh...ich dachte, du würdest dir den Film nichtmal ansehen, wenn wir dich auf einen Stuhl fesseln?“ Valentin drückte Yuki die Flasche in die Hand. „Hier, halt mal, sonst müssen wir noch wen anders an einen Stuhl fesseln, und ich glaube dann wird Ilja doch ungemütlich.“ Yuen kicherte. „Es gibt nur eine Person in diesem Raum, die mich fesseln kann, und das bist sicher nicht du.“ Valentin schubste Yuen, der ihn zurückschubste, und Rose drückte kopfschüttelnd die Pause-Taste am Laptop. „Alles okay?“ Das ging an Yuki. Der zierliche Blonde nickte, nahm sich einen Keks. „Ich kann nur grad nicht gut allein sein, das ist alles. Kann ich bei euch bleiben?“ Rose sah ihn eine Weile an, schmunzelte dann, gab ihm einen kleinen Kuss auf die Schläfe. „Klar kannst du. ...Ist es wegen...?“ „Nein“, unterbrach Yuki. „Nicht seinetwegen. Ich will nicht drüber reden.“ „Wieso denn allein? Sind die anderen weg?“, warf Junya erstaunt ein. Yukio zuckte die Schultern, strich sich mit einer leichten Geste die feinen Strähnen aus der Stirn, die goldenen Mandelaugen leicht verwirrt auf Junya gerichtet. „Naja, jein. Saku ist weggegangen, ich weiß nicht warum oder wohin; Ilja hat sich schlafen gelegt, Diego ist in der Garage und bastelt an irgendwas, ich war ja dabei und hab eine Weile zugesehen, aber ehrlich gesagt ist das ziemlich langweilig, und überhaupt kann man sich mit dem Mann nicht anständig unterhalten.“ „Er hat dich rausgeworfen“, stellte Valentin grinsend fest, biss sich schadenfroh auf ein Piercing. „Ja“, meinte Yuki etwas säuerlich. „Das auch. - Du kannst den Film weiterlaufen lassen, Schatz, ich wollte nicht stören.“ „Na gut“, meinte Rose. „Wenn dann die geneigten Herren bereit wären, die Aufmerksamkeit auch auf den Bildschirm zu richten anstatt auf andere anwesende Herren...“ Er grinste Junya an, und ich wurde knallrot, obwohl ich nichts gemerkt hatte, der Blauhaarige hinter mir räusperte sich leicht. „...oder wenigstens, bitte, ein wenig zur Ruhe kommen könnten, ehe ich mich gezwungen sehe, sämtlichen Zuckernachschub in Keksform zu konfiszieren – das gilt übrigens auch für dich, Yuki – dann können wir endlich den Teil des Films sehen, in dem ein paar Gedärme fliegen. Ja?“ Zustimmung von allein Seiten. „Yu, sicher, dass du mitgucken willst?“ Valentin. „Ja doch.“ „Da sterben Leute.“ Yukio streckte Valentin die Zunge heraus. „Ich bin nicht aus Zucker!“ Entweder war er doch aus Zucker, oder er tat nur so, denn es endete damit, dass Yuki erst fast die verbliebene halbe Flasche allein leerte, nur um sich ab der zweiten Hälfte des Filmes bei jedem neu auftauchenden Zombie panisch wahlweise in Roses oder meinen Arm zu krallen; gegen Ende des Films hielt er es nicht einmal mehr aus, wie bisher durch die Finger hindurch zuzusehen, von Rose beruhigend im Nacken gekrault, sondern schmiss sich, als Rose sich gerade von ihm abgewandt hatte, in meine Arme, als auch der vorletzte Charakter das Unzeitliche segnete. Junya grummelte etwas, und ich tätschelte dem wimmenden Japaner beruhigend den Kopf. „Na, hey, Yuki, ist ja gut, der Film ist fast zuende.... Du hättest ja nicht mitschauen müssen, wenn du sowas nicht gut sehen kannst....“ „Ich wollte aber“, kam es erstickt von irgendwo an meiner Brust her. „Yu, wenn du kein Blut sehen kannst, ist doch okay, das geht vielen Leuten so“, meinte Valentin und beugt sich über Rose, um Yuki lachend durch die Haare zu fahren. „Kann ich aber wohl!“ „Rose, hast du Musik?“ Yuen wälzte sich von seinem Rücken auf seinen Bauch, Minh schrak hoch, seinem Blinzeln entnahm ich, dass er eingeschlafen war. Rose nickte. „Klar, hab ich da; guck da vorn in der Ecke hinter den Dvds, was du hören willst.“ Yuen verkroch sich in besagter Ecke und stöberte durch Roses Cd-Sammlung, während Rose und Valentin versuchten, Yuki etwas aufzumuntern, Letzterer als bekennender Fan von Splatterfilmen mit bescheidenem Erfolg, da er sich beständig das Lachen verkneifen musste. „Na komm, stell dich nicht so an; ist doch mal eine neue Erfahrung für dich“, meinte Rose besänftigend und strich dem jungen Mann, der sich inzwischen wieder von meinem Schoß entfernt hatte, über die Schultern. Yuki schmollte und biss sich auf die Lippe, die Beine in der dunklen Jeans angezogen, sein Knie ragte fast vollständig durch ein Loch, und er strich abwesend mit dem Finger darüber. „Ja, toll. Jetzt weiß ich, welchen Film ich mir nie wieder ansehe.“ „Der war doch gar nicht so schlimm, eigentlich war der eher lustig...“ „Spinnst du? Das war alles andere als -“ Yukio zuckte zusammen, als auf einmal Musik ertönte, die ich nicht kannte; irgendeine Rockballade. „Mann, Yuen! Mach das mal leiser, hier unterhalten sich Erwachsene!“ „Echt? Hab keine gesehen“, meinte der kleine Chinese, stellte aber dennoch den Ton etwas leiser. „Yuki?“ „Was?“ Rose beugte sich etwas zu ihm und hob sein Kinn an, ich sah wie Yukio etwas schluckte. „Rose, guck mich nicht so an, ich hab immer Angst davor, was du alles aus mir rausliest.“ „Aber ich hab recht, oder? Du bist so unruhig heute.“ „Wenn ihr mir auch bösartige Filme zeigt, nach denen ich nächtelang kein Auge zutun werde...“ „Lenk doch bitte nicht ab. Du weißt schon, dass du immer mit uns reden kannst, wenn etwas ist, oder?“ Yuki sah von Rose zu Valentin und zurück, wandte dann die klaren Augen ab, der Lichtschein des Laptops schien hellbläulich von seiner Haut wider. „Ja, ich weiß, aber es ist wirklich alles okay. Ich schlafe nicht genug in letzter Zeit; es ist mir alles schon wieder zuviel, die ganze Sache, mit Fuchs, und Sakuya ja auch, das ist viel zuviel in meinem Kopf, ich komm damit nicht klar. Ich weiß auch nicht, das stresst mich alles ein bisschen.“ „Frag doch Mari, wegen Stress, der wollte dich doch übermorgen mitnehmen.“ Yukios Kopf ruckte hoch. „Wieso Mari, was hat Mari jetzt damit zu tun?“ „Hey, ich mein ja nur. Sex entspannt, und Mari ist ja ein Lieber, wenn er mal die Klappe hält.“ Valentin zuckte verteidigend die Schultern. „Nein, nicht Mari. Ich meine, ja, nein, ich weiß nicht. Nein, erstmal nicht wieder.“ „Nervt er dich? Hat ja lange genug gedauert.“ „Hör mal auf mit Mari, bitte! Ich hab schon genug Spinner in meinem Kopf, da muss ich mir nicht noch einen externen dazuholen, um den ich mich kümmern muss, okay?“ „Okay, okay!“ Valentin hob die Hände. „Aber dass du's weißt, ich bin krank, ich stelle mich also nicht freiwillig zur Verfügung. Dann schlaf mit Rose.“ Rose hob eine Braue. „Bitte wie?“ „Ach komm, die eine Nacht.“ „Schön und gut, aber werde ich auchmal vorher gefragt?“ „Nein. Es ist ja für einen guten Zweck; so wird der arme Yuki ein bisschen abgelenkt und springt nicht jedes Mal schreiend an die Decke wenn ihn in den nächsten Wochen jemand von hinten anredet.“ Roses Mundwinkel zuckte amüsiert. „Oh, glaub mir, der ist schon genug abgelenkt von seinem persönlichen Kopfkino, wenn mich nicht alles täuscht.“ Er wies auf Yukio, der beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte und sich neben Junya und mir an die Wand lehnte. „Hey.“ Er pustete sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. „Ihr seid gemein. Ihr tut so, als wäre ich völlig triebgesteuert. Um mich abzulenken, braucht es ja wohl ein kleines bisschen mehr als nur euch beide...!“ Valentin runzelte halb amüsiert, halb entrüstet die Stirn. „'Als nur euch beide'? Yu, wie hab ich das denn zu verstehen....“ „Hmm.“ Rose beugte sich zu Valentin und flüsterte ihm etwas ins Ohr, strich sich mit einer Hand die pinken Strähnen hinters Ohr, während der Blonde erst die Stirn runzelte, dann leicht anfing zu lachen, dabei auf Yuki sah, der den Erkälteten etwas beleidigt musterte. „Schön, habt ihr jetzt auch noch Geheimnisse vor mir? Da spiel ich aber nicht mit...“ „So, du spielst nicht mit?“, grinste Valentin, mit einem so dreckigen Funkeln in den Augen, dass Yu konsterniert den Kopf schräglegte. „Dann spielen wir eben alleine“, schnurrte Rose halblaut an Vals Ohr, fuhr ihm mit den Fingern über den Nacken und in die Haare, in die er sich leicht krallte, Valentins Kopf leicht zu sich zog und mit den Lippen nur Millimeter vor Vals Lippen verharrte, welcher die Augen geschlossen hatte und den Mund leicht öffnete; Rose hob die freie Hand und strich ihm mit dem Daumen sacht über die Unterlippe, senkte den Kopf an Vals Hals und nippte an der weißen Haut. Valentin öffnete die blauen Augen nur einen Spaltbreit, schloss sie wieder bei der Berührung, ich sah wie seine Zungenspitze leicht zwischen den schmalen Lippen hervorglitt und samtig um Roses Fingerkuppe schmeichelte. Ich merkte, wie ich knallrot wurde bei dem Anblick, und wagte es nicht, mich zu rühren, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht einmal daran dachte, woanders hinzusehen; fast war es, als könnte ich die Wärme der beiden Körper spüren, ihren Duft riechen, als läge ein beständiges Vibrieren in der Luft, wie ein warmer Puls, der meine Augen unentrinnbar zu Vals rosafarbener Zunge und Roses anschmiegsamen Lippen lenkte; selbst die Musik, jetzt Polarkreis 18, schien für einen Moment leiser geworden zu sein. Yuki neben uns war mitten im Protest verstummt und starrte seine beiden Freunde an, als wollte er sie jeden Moment wie ein Löwe reißen und auffressen. Ich sah, wie Valentin den Kopf in den Nacken fallen ließ, Wachs unter Roses Händen, die ihn hielten, als der Pinkhaarige die Zunge Vals Hals empor gleiten ließ, dann nach dessen Lippen haschte, ohne sie wirklich zu berühren; Valentin schnurrte tief in der Kehle und hatte beide Hände auf Roses Schultern gelegt; seine Zunge glitt hervor und traf für eine Sekunde auf Roses, ehe sich beide wieder zurückzogen. Erst als Valentin die Finger in Roses Haare krallte und ihn zu sich zog, hatte jener ein Einsehen; der Blonde seufzte leise, als ihre Lippen sich berührten, erst sanft, kaum merklich, dann, als Rose mit der Zunge Valentins Lippen teilte, fester; beide hatten die Augen geschlossen, und ich beobachtete gebannt, wie sich ihre Lippen leicht bewegten, als der schöne Pinkhaarige mit der Zunge in Valentins Mund drang; jener streichelte mit den schlanken rauen Fingern über Roses Nacken, während er ihn küsste. Rose leckte ihm über die Lippen und haschte mit den Zähnen nach seinem Piercing, als er sich zurückzog. „Ey!“ Yuki neben mir zitterte fast. „Ich bin auch noch da...!“ Beide wandten den Kopf und sahen ihn an; Valentin ein wenig verhangen, Rose unübersehbar schadenfroh. Yukio grollte ungehalten und zog kurzerhand Val zu sich, um ihn erst stürmisch, dann sehr sanft zu küssen; der Größere ächzte erst überrascht, legte dann aber die Arme um den blonden Japaner und erwiderte den Kuss, ihn ein wenig zurückdrängend, so dass Yuki leicht zufrieden in den Kuss lächelte, Vals Zunge einfing und mit seiner umspielte, sich dann nach einem letzten Naschen an Vals Piercing löste und schnurrend den Kopf an dessen Brust legte. „Siehst du“, sagte Rose triumphierend. „Es braucht definitiv nicht mehr als uns beide, um dich abzulenken.“ „Jamie auch“, bemerkte Yuen, der bisher relativ ungerührt vor dem Laptop gesessen hatte, und sah über das Grüppchen hinweg zu mir; und ich schnappte mir in Ermangelung einer Pistole, mit der ich mich hätte erschießen können, das nächstbeste Kissen und drückte es mir aufs Gesicht, mit dem stillen Stoßgebet, der Boden möge sich unter mir auftun, ehe sich mein glühendheißes Gesicht durchs Kissen gebrannt hätte. Ich war fast froh, als Junya ziemlich bald darauf verkündete, er wollte schlafen gehen, denn das gab mir Gelegenheit, mich anzuschließen, ohne völlig das Gesicht zu verlieren. Nicht, dass ich nicht meinte, das sowieso schon getan zu haben durch mein schamloses Glotzen. Jetzt war ich wahrscheinlich als notgeil verschrien. Ich schämte mich unendlich. Yuen protestierte lautstark, als ich ebenfalls gehen wollte, Minh war inzwischen wiederum eingeschlafen; Yuki lag nur kichernd auf der Matratze, ein wenig glasig im Blick, so langsam schienen Alkohol und schlaflose Nächte doch ihre Wirkung zu zeigen; Valentin stand am Fenster und rauchte, wünschte uns fröhlich eine gute Nacht. Einzig Rose kam zu uns um uns persönlich eine gute Nacht zu wünschen, ich wurde ziemlich rot als er mich in den Arm nahm, hörte ihn dann murmeln: „Jamie, das war alles nur Spaß; mach dir keinen Kopf, du musst dich für nichts schämen.“ Aber aus irgendeinem verrückten Grund schämte ich mich mit einem Mal noch viel mehr. Junya nahm mich an der Hand und führte mich mit sich hoch; ich war ganz dankbar dafür, denn so wie ich Löcher in den Boden starrte, wäre ich wahrscheinlich mit dem Gesicht hart auf den Treppenstufen aufgeschlagen, ehe ich zwei Schritte getan hätte. Es war fast wie an jenem Morgen, an dem ich nichtsahnend in einen halbnackten Ilja gerannt war, der nur mit einem Handtuch bekleidet und einem nahezu unverschämt fröhlichen „Guten Morgen“ auf den Lippen aus dem Bad gekommen war, und verblüfft auf mich gesehen hatte, der ich erst in vollem Lauf gegen seine muskulöse Brust geklatscht war, und dann quietschend mit einem Satz nach hinten die Gesichtsfarbe eines gekochten Hummers angenommen hatte. Nur dreimal schlimmer. Ich spürte Junyas Finger, die sich mit meinen verschränkten, als er sich oben im Flur zu mir beugte, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Er schmeckte ein wenig nach Puderzucker. „Gute Nacht“, flüsterte er, ich spürte wie seine Hand meine drückte, sah wie im Dunkeln seine Augen glitzerten. „Gute Nacht“, murmelte ich, sah ihm nach, als er in seinem Zimmer verschwand. Als ich in meinem Bett lag und aus dem Dachfenster in den sternenklaren Himmel sah, fragte ich mich, was Junya empfunden hatte, als er die anderen gesehen hatte. Ich hatte keinerlei Reaktion von ihm bemerkt. Meine wollene Decke war weich auf meiner Haut, und ich rollte mich auf die Seite darin ein. Es war so still und kühl im Zimmer. Es war eigentlich erstaunlich; Rose hatte es mir bereits einmal gesagt, Valentin auch; Yuki ohne es zu wissen, und mein Bruder hatte es mir auch deutlich gezeigt: dieses Haus existierte, weil niemand, der darin lebte, alleine sein wollte. Man könnte meinen, so unterschiedlich, wie die meisten von uns waren, hätten wir alle grundverschiedene Wünsche, Träume, Sachen die uns antrieben, Ziele im Leben: aber eigentlich war es bei uns allen dasselbe. Wir alle wollten jemanden, der uns sagte, dass wir nicht allein waren; der uns ohne Worte liebte; der unsere Tränen und unser Lachen sah und dem wir beides gleichermaßen anvertrauen konnten; und jemanden, bei dem wir keine Angst haben mussten, wir selbst zu sein. Ob jeder von uns das auch hier gefunden hatte? Ich glaubte, Sakuya und Fuchs hatten es gehabt, und die anderen hatten versucht, ihrem Beispiel zu folgen. Und jetzt? Mein Atem strich über meinen Arm, als ich mich einrollte wie ein kleines warmes Pelztier, und die Augen schloss. Ich hoffte so sehr, dass wir alle nie mehr allein sein mussten, dass wir keine Angst mehr haben mussten im Leben, so unwahrscheinlich das war, und dass Fuchs wieder zurückkam. Ohne ihn brach diese Illusion, die sich einzig auf ihn und meinen Bruder stützte, früher oder später in sich zusammen, wie der Wunschtraum, der sie in den Augen anderer Leute sein mochte. Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen. Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam. Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen, Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen. Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen Und färben sich mit deiner Augen Immortellen... Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen Und Liebe eingehüllt Spät in mein Zelt. Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen. Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen Im hohen Rohre hinter dieser Welt. Else Lasker-Schüler Es klickte leise, als die Klinke meiner Tür heruntergedrückt wurde, und ich blinzelte, sah schemenhaft im Dunkel meines Zimmers meinen Rucksack neben der Tür und den Spalt, der sich auftat. „Schläfst du?“ Die Stimme war fast verschwindend leise, und ich schüttelte den Kopf, bis mir einfiel, dass Junya das nicht sehen konnte. „Nein, noch nicht.“ „Kann ich reinkommen?“ Ich nickte, wieder genauso unbedacht, er schien es aber zu sehen, denn er trat ein, die Tür leise hinter sich ins Schloss ziehend, und schlich fast lautlos auf baren Füßen zu meiner Matratze, hockte sich neben mir hin. Seine Stimme war leise, etwas unsicher, als er sprach; er hätte nicht mehr flüstern müssen, tat es aber dennoch. Er saß gerade so in den Schatten, dass ihn das geringe Mondlicht aus dem Dachfenster nicht erreichen konnte. „Ich...ich hatte mir nur gedacht...“ Ich sah sein Gesicht nicht gut, sah aber wie er etwas den Kopf senkte, hörte seinen Atem in der Dunkelheit des Zimmers. Ich hörte mein eigenes Herz so laut schlagen, dass er es eigentlich bemerken müsste, als ich ein Stück nach hinten robbte, ans hintere Ende meiner Matratze; Junya atmete leicht aus, und ich sah wie er den Kopf wieder hob, zu mir sah. Ich nickte. Ich hörte mein Blut in meinen Ohren rauschen, als er sich neben mich legte und unter die Decke rutschte; zwischen uns war ein feiner Streifen Mondlicht auf der Matratze, zwei, vielleicht drei Zentimeter, und eine Weile, vielleicht sogar einige Minuten, sah ich ihn nur stumm an, was er ebenso wortlos erwiderte; seine Augen waren schwarz in der Dunkelheit, wie tiefe Seen, wie die Leere zwischen den Sternen. Ich glaube, ich zitterte ein wenig, als er die Hand hob und mir sacht wie ein leichter Windhauch eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. „Habe ich dir schonmal gesagt, wie schön du bist?“ Seine Stimme war fast unhörbar in der Nacht, doch mich ließ jedes Wort erschauern. Ich dachte mir, ich sollte etwas sagen, aber ich konnte nichts tun, als ihn ansehen, aus großen Augen, und ich kam mir so dumm vor. Junya strich mit den Fingern sacht über meine Wange, auf meine Schulter, wo er die Hand ruhen ließ, und ich rutschte millimeterweise an ihn, spürte die Wärme, die von ihm ausging. Ich hörte ihn leise ausatmen, fast wie ein kleines Seufzen klang es, als er den Arm um mich legte, die Fingerspitzen federleicht auf meinem Rücken ruhen ließ; ich spürte seinen Atem in meinem Haar. „Darf ich dich küssen?“, fragte er dann sehr leise, und diese ganze Zuversicht, die ich an ihm bemerkt hatte, seit wir zusammen waren, schien ihn dennoch nicht so sicher gemacht zu haben, wie es schien. Ich nickte wieder nur stumm, und spürte nur Sekunden darauf weiche warme Lippen auf meinem Mund, die mich sanft küssten, nicht lange, sich dann wieder von mir lösten, um sich auf meine Wange zu legen, dann in meinen Haarschopf zu drücken, als er mich vorsichtig in seine Arme zog. Ich kuschelte mich an ihn; er war so mager, aber so warm und weich. „Ich liebe dich so sehr“, hörte ich ihn flüstern, spürte wie sein Hände mich sanft streichelten, als er mich hielt. Ich schloss die Augen, spürte mein Herz an seinem schlagen; die Luft meines Atems hing zitternd zwischen uns wie ein Geist, der uns verband; und ich war absolut überzeugt, kein Auge zutun zu können, solange seine Arme mich weiterhin hielten. Keine zehn Minuten später war ich eingeschlafen. Sakuya: Soulmates never die Es geht bei gedämpfter Trommeln Klang; Wie weit noch die Stätte! der Weg wie lang! O wär' er zur Ruh' und alles vorbei! Ich glaub', es bricht mir das Herz entzwei! Ich hab' in der Welt nur ihn geliebt, Nur ihn, dem jetzt man den Tod doch gibt! Bei klingendem Spiele wird paradiert, Dazu, dazu bin auch ich kommandiert. Nun schaut er auf zum letzten Mal In Gottes Sonne freudigen Strahl; Nun binden sie ihm die Augen zu - Dir schenke Gott die ewige Ruh'! Es haben dann neun wohl angelegt; Acht Kugeln haben vorbeigefegt. Sie zitterten alle vor Jammer und Schmerz - Ich aber, ich traf ihn mitten in das Herz. Hans Christian Andersen Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge; hilfloser vielleicht noch, denn als Junge hatte ich nie diese Ohnmacht verspürt, dieses Empfinden von Verletzlichkeit, und Furcht. Damals war jede Gefahr sichtbar gewesen, jede Angst greifbar, jeder Morgen brachte einen neuen Tag und einen neuen Anfang. Jetzt aber, jetzt suchte ich vergebens, ein Ende zu finden in diesem Alptraum, der Einsamkeit heißt, und den ich nie gekannt hatte, nicht als Kind, nicht als Heranwachsender, nicht als Erwachsener, bis jetzt. Wie naiv war ich gewesen, nicht zu merken, was die größten Wunden schlagen konnte auf der Welt; es war keine Waffe, keine fremde Hand, es war alles, was in mir selbst lebte und loderte. Lieber wollte ich mich von Kugeln zerrissen wissen, als einen weiteren Tag lang diese Hölle namens Isolation zu ertragen. Meine Hand legte sich an das Holz der Tür vor mir, als müsste ich mich stützen; vielleicht musste ich es. Es erschien mir seltsam unwirklich, meine Finger zu sehen auf der gedunkelten Eiche; so rau geworden in all den Jahren, die Nägel weiß und rissig, Narben auf den Knöcheln, zusammengetragen in all der Zeit, in der ich gedacht hatte, mich gegen die Welt verteidigen zu können, ohne zu merken, dass es nichts brauchte als mich selbst, um mich in die Knie zu zwingen, mich zu beugen und zu brechen wie Schillers Pegasus im Joche. Ich hörte Musik von drinnen, und musste mich sammeln, den Blick gesenkt, die Lider zusammengepresst; die Haare, die sich aus meinem Zopf gelöst hatten, fielen mir ins Gesicht und bedeckten meine Angst wie die Schatten von Weidenzweigen auf winterlichem Fluss. Was ich gehört hatte, hatte mir ein Messer ins Herz gestoßen; auch jetzt konnte ich noch spüren, wie es sich leise, leise drehte, mit jedem Mal, in dem meine Gedanken kreisten, ich spürte mein heißes Blut schmerzhaft wie nie in meiner Brust, es nahm mir den Atem, und ich hatte das Gefühl, in eine bodenlose Leere zu fallen, in eine traumlose Weite, die mich nicht mehr würde schlafen lassen, mit jedem Mal, mit dem ich die schrecklichen Worte in meinem Schädel widerhallen hörte wie Echos von Dämonenstimmen, die meine Existenz verlachten, die mich quälten, mir das Herz aus der Brust rissen und in Stücke hackten, bis nur noch klaffende Leere blieb. Nie hatte ich etwas gehört, das mich derart vernichtete; selbst eine Kugel, direkt ins Herz gefeuert, hätte mich nicht derart treffen können: „Ich will, dass du weißt, dass er sterben wollte. Deinetwegen.“ Meine Finger auf dem Holz zuckten, ballten sich zur Faust, leise spielte von drinnen die Musik. 'These clouds we're seeing They're explosions in the sky It seems it's written But we can't read between the lines Hush It's okay Dry your eyes Dry your eyes Soulmate dry your eyes Dry your eyes Soulmate dry your eyes 'Cause soulmates never die ' Ich griff nach der Klinke; eine Hand schnellte vor und packte mein Handgelenk; ich spürte den festen Griff, mit dem sie mich hielt, und zuckte unwillkürlich zurück; sah zur Seite und in stechende Augen, spürte, wie sich der Druck der gelenkigen Finger um meinen Arm verstärkte, als Karasu leicht die Zähne bleckte in einer Mischung aus Grinsen und Verachtung. „Ich warne dich.“ Er stieß mein Handgelenk von sich und bohrte den kalten Blick in mich, als wollte er mich damit erdolchen. „Versau es nicht.“ Als ich die Tür öffnete, traf mich kühler Nachtwind, und der Geruch nach Regen; ich stand im Halbdunkeln, in einem kleinen Zimmer, links vor mir blähten sich Vorhänge im plötzlich entstandenen Luftzug, der Wind strich mir die Haare aus dem Gesicht und ließ Zettel zu Boden flattern wie Blätter durch leere Straßen. Als die Tür hinter mir zuschnappte, ließ der Wind mit einem Mal nach; der Geruch nach Unwetter blieb, die Vorhänge sanken sanft hernieder wie Flügelspitzen, und ich stand wie von unsichtbaren Banden gefesselt, als eine schlanke Silhouette in der Tür zu meiner Rechten erschien und in der Bewegung verharrte, stand und schaute wie seltenes Wild in der Dunkelheit des Waldes. Grüne Augen funkelten im kärglichen Licht, das durch das offene Fenster drang, und dem fahlen blauen Schein der Stereoanlage; es war still, so still, als wären wir unter Wasser, in einem tiefen kalten See, in einer stummen Welt. Mir war, als griffe eine kalte Hand in mich und schnürte mir Atem und Leben ab, ich spürte diese Leere in mir, wie wenn mein Herz, anstatt in meiner Brust zu schlagen, irgendwo auf den Straßen liegengeblieben war, vergessen in dem Augenblick, in dem ich gehört hatte: Er wollte sterben. Er stand ohne ein Wort in der Tür und sah zu mir, ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht genauer erkennen, sah nur seine Umrisse, die Schemen seiner so vertrauten Züge, wie er sich in die Schatten in seinem Rücken drückte, ich sah den hellen Verband, den Arm reglos, wie ein gebrochener Flügel hing er hinab. Ich sah, wie unbeweglich er stand, spürte förmlich seine Qual, als mein Blick auf seinen Arm fiel, sah wie er den Blick senkte unter meinem, ich sah all das: den gebrochenen, hilflosen Gefährten meiner Kindheit, der in dem Moment allein gewesen war, in dem er niemals hätte allein sein dürfen. Mir war, als müsste ich auf die Knie gehen, als hätte ich alles verfehlt, worauf ich immer hingelebt hatte; als wären wir auf einen Abgrund zugetrieben, den wir nie hätten erblicken sollen; über allem fühlte ich die Schuld, die ich auf mich geladen hatte, als ich vergessen hatte, für jemanden da zu sein, der immer für mich dagewesen war; und die schreckliche, schreckliche Angst; den uralten Schrecken, der sich in die Knochen beißt und kalt das Rückgrat hinauffährt bis in die Seele; die Angst, die man empfinden mag, wenn ein geliebter Mensch auf der Dachkante steht und den letzten Schritt tut; so nah, und doch viel zu weit entfernt. Es war nicht mein Verdienst, dass er noch hier war; es war nicht mehr als unverschämtes Glück. Mika, mein Mika, sollte in diesem Moment nicht mehr sein als kaltes Fleisch und Blut auf den Steinen, eine Erinnerung; mein bester Freund ausgelöscht in dem Moment, in dem ich ihn nicht finden konnte. Sein Lachen, seine funkelnden grünen Augen, die vertraute Gegenwart an meiner Seite, bei Tag und Nacht, in Freude und Angst, seine Hand in meiner Hand, alles nicht weiter als blasse Erinnerungen an einen Menschen, der einmal gewesen war. Um ein Haar wäre ich wirklich endgültig und für immer allein gewesen. Meine Stimme war heiser und leise, als ich sprach, und doch schien jedes Wort so laut in der kühlen Nachtluft im Zimmer zu hängen, als wären alle anderen Geräusche auf der Welt ausgelöscht worden. „Es tut mir leid....!“ Mika stand nur einen Meter vor mir, den Rücken an den Türrahmen gedrückt, ich sah seine Finger leicht zittern, die feinen Haare fielen ihm ins Gesicht, als er den Kopf senkte; ich spürte, wie mein Herz schmerzhaft krampfte, als ich jede Bewegung überdeutlich registrierte, jeden kostbaren Atemzug, jeder Herzschlag ein Geschenk an die Welt. „...es tut mir so schrecklich leid, dass ich nicht bei dir war!“ Er hob den Kopf, ich hörte ihn heiser ausatmen, sah ein Funkeln in seinem Augenwinkel. „Saku....“ In diesem Moment, mit bloß meinem Namen auf den Lippen, so leise und zugleich so flehend geäußert, sah ich zugleich den Mann vor mir, Geist und Körper gestählt von so vielen Jahren, und den neunjährigen schmächtigen Jungen, der nachts aus schlimmen Träumen erwacht in genau diesem Tonfall meinen Namen gerufen hatte, hungrig, frierend, verloren. „Sakuya...“ Ich trat einen Schritt auf ihn zu, verharrte dann wieder, sah ihn weinend, eine Hand ans Gesicht gelegt. Ich wollte ihn niemals weinen sehen. „Kannst du mir das je verzeihen?“ Er trat einen Schritt auf mich zu, blieb direkt vor mir stehen; wir waren so gut wie gleich groß, und ich sah seine Augen, jetzt grau in der Nacht, sah seine Tränen, und all die Angst und Trauer dieses Wesens, das für so viele Menschen Tod war, und für so viele Menschen Trost, und nur für mich immer Bruder meiner Seele, nur ich kannte den Schmerz in seinen Augen, nur ich kannte die Schwäche in seiner Gestalt, in den Nächten, wenn niemand uns beide fand. Ich hob den Arm und zog ihn an mich, spürte die Wärme seines Körpers durch den dünnen Stoff seines T-Shirts unter meinen Fingern, und wie er sich mit einem Mal an mich drückte, die Arme um mich schlang, das Gesicht an meiner Schulter vergrub, wie ich auch mich fest an ihn schmiegte, ihn hielt; ich merkte wie seine Tränen meinen Hals benetzten und schloss die Arme noch enger um ihn, ich konnte unter einem Finger seinen Puls spüren, das Wertvollste für mich auf der Welt. „Bitte“, hörte ich ihn an meinem Ohr flüstern, ehe seine Stimme brach, und ich seinen tiefen Atemzug an meiner Haut spürte. „Bitte....versprich mir, dass du mich niemals wieder allein lässt.“ „Ich lasse dich niemals wieder allein. Versprochen“, flüsterte ich zurück, seine Finger krallten sich in meinen Rücken. Ich hielt seinen warmen Körper so eng an mich gedrückt wie ich nur konnte, hielt seinen Herzschlag und seinen Atem und all sein Sein fest in meinen Armen, nicht gewillt, irgendetwas davon jemals herzugeben, jemals zu Schaden kommen zu lassen; er hob den Kopf und sah mich an und hob die Hand, um mir mit einem Finger über die Wange zu streichen; und in diesem Moment erst merkte ich, dass ich weinte, dass meine heißen Tränen mir über das Gesicht liefen, und ich konnte nicht mehr aufrecht stehen, sank zu Boden mit ihm, die Hände nach wie vor fest in seine Schultern gekrallt, ich rang nach Atem als ich spürte, wie ein Schluchzen mir in die Kehle drang und meinen Körper schüttelte, und meine Stirn sank gegen seine Brust, während warme Tränen auf seine Beine tropften. Mika hielt die Arme um mich gelegt und fuhr mit den Händen über meinen Rücken und Nacken, als ich weinte, immer wieder; ich fühlte seinen Atem in meinem Haar und merkte an dem schnellen, unregelmäßigen Heben und Senken seiner Brust an meiner Stirn, dass er ebenfalls weinen musste, doch weinte er stumm, drückte irgendwann das Gesicht in mein Haar, mit beiden Händen meinen Kopf umfassend und haltend, meine Tränen rannen über seine Hände, meine Hände krallten sich so fest in den Stoff seines T-Shirts, dass ich es ihm fast von den Schultern riss. „Mika“, meine Stimme kam so gebrochen und heiser hervor, dass ich mich selber kaum verstand; ich hob den Kopf und legte ihn an seine Schulter, er tat es mir gleich, und so verharrten wir lange, ohne einander loszulassen, lauschten nur dem schwachen Atem des anderen. Mit einem Mal verstand ich nicht mehr, wie ich in den vergangenen Monaten hatte leben können, als halber Mensch. Meine Stimme zitterte. „Du weißt, dass ich dich mehr liebe als ich jemals irgendetwas anderes lieben könnte, oder? Dich. Immer.“ Seine Erwiderung kam sehr leise, etwas heiser; er hätte nicht fragen müssen, und er wusste es, aber er tat es dennoch. Es war okay. Er durfte egoistisch sein. „Mehr als Antti?“ „Ja.“ Meine Antwort hing leise in der Nacht. „Mehr als Jamie?“ „Ja.“ „Mehr als dein eigenes Leben?“ „Ja.“ Ich spürte, wie sich seine Arme fester um mich schlossen. „Ja, ich weiß.“ Fuchs: Soulmates never die II Wenn man ein Wozu des Lebens hat, erträgt man jedes Wie. - Friedrich Nietzsche Ja, ich wusste es. Ich hatte es immer gewusst. Er hatte es mir mehr als einmal versprochen. Und doch, ich wollte es wieder hören, immer wieder, weil es die einzige, ultimative Wahrheit in meinem Leben war, und zugleich das einzige, das ich weder beeinflussen noch verlangen konnte; sein Herz war ein Geschenk an mich, seit über zwanzig Jahren war ich dessen Hüter. Und das hatte ich vergessen, als ich glaubte, seine Liebe könnte so einfach gebrochen werden. Es war meine eigene Schwäche, die mich wieder und wieder dazu trieb, die Logik hinter allem zu finden, selbst ein Gefühl wie Liebe zu reduzieren auf seine Grundbestandteile, zu zerlegen in Dinge wie Freundschaft und Sex. Es war nicht seine Schuld, dass er das nicht konnte, oder nicht wollte; ich weiß nicht, warum er fähig war, einfach nur zu lieben, von ganzem Herzen, unabhängig davon, ob diese Person ein Freund war, Familie, Geliebter. Wenn Sakuya liebte, dann tat er es genauso bedingungslos und kompromisslos wie alles andere. Es war nicht seine Schuld, dass ich nicht an die gleichen Dinge glaubte wie er. Es war nicht seine Schuld, dass ich angenommen hatte, jemanden so sehr zu lieben, hieße, in ihn verliebt zu sein. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, als ich ihn in den Armen hielt. Ich spürte sein Zittern unter meinen Fingern, seinen Atem an meinem Hals, seine Finger, die sanft an meinem Nacken lagen, einen Daumen auf meinem Puls. 'Without you, I'm nothing' Ich konnte mich nicht mehr erinnern, weswegen ich so gelitten hatte. Ich wusste nicht einmal mehr, worüber ich mir den ganzen Tag lang Gedanken gemacht hatte. Ich war überzeugt, dass es mir irgendwie wichtig erschienen war; aber jetzt, die Hände um Sakus Rücken, den Kopf auf seiner starken Schulter, schien mir all mein Tun in den vergangenen Tagen so absurd, so vollkommen unrealistisch, als hätte ich geträumt, als wäre nie etwas geschehen, und ich wäre aus einem Albtraum erwacht, nur um Sakuya neben mir schlafend zu finden, der von meinem Schreien erwacht war und mich im Arm hielt, bis die schrecklichen Bilder verschwanden. Ich hatte eine Hand an seinem Gesicht liegen und strich ihm die Tränen aus den Augenwinkeln. „Entschuldige, dass ich so ein Feigling bin“, hörte ich ihn heiser wispern, ich musste fast lachen, schüttelte den Kopf an seiner Schulter. Er, ein Feigling? Er, der gerade dabei war, meinem Leben wieder einen Sinn zu geben, nachdem ich selber ihn mir genommen hatte? „Ich liebe dich“, sagte ich plötzlich, seinen Körper an mich gezogen. „Ich liebe dich, nicht wie ein Liebhaber, sondern unendlich viel mehr.“ Ich drückte mich fester an ihn, den Kopf auf seiner Schulter, an seinem beruhigenden warmen Körper, seine so rauen Hände sanft um mich. „Ich werde immer an deiner Seite stehen, ich würde jede Kugel für dich fangen. Ich würde sterben für dich. Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist, jeden Tag aufs Neue, und ich möchte für immer ein Teil von dir sein. Das ist alles, was ich mir wünsche. Das habe ich jetzt verstanden. Ich wollte nur, dass du das weißt.“ Er hob den Kopf, ich sah noch immer Tränen in seinen Augen glitzern, als er die Stirn an meine legte, ich schloss die Augen, seine Hand an meinem Hals, seinen Daumen über meine Wange streichend, salzige Tränen verreibend. „Du bist ein Teil von mir, Mika, für immer.“ Ich nickte stumm, den Kopf an seinen gelegt, spürte seine Finger sacht über meinen Verband gleiten, ich entzog ihm den Arm nicht, auch wenn ich etwas zitterte; er streichelte sanft meinen Arm, ich konnte es durch den Stoff hindurch spüren, ließ dann die Hand sinken und verschränkte seine Finger mit meinen, ich drückte leicht seine Hand, er erwiderte den Druck. „Wie geht es dir?“, murmelte er leise, ich strich ihm mit dem Daumen über die Haut. „Ich bin noch ein bisschen matt“, wisperte ich genauso leise zurück. „Willst du dich hinlegen?“ Ich schüttelte leicht den Kopf, öffnete die Augen und sah seinen besorgten Blick auf meinem Gesicht ruhen. „Bitte...bring mich einfach nur nach Hause.“ Ich war glücklich. Zum ersten Mal seit Langem quälte mich die lange wache Nacht nicht. Wir hatten niemanden angetroffen auf dem Weg nach Hause, und auch nicht gesprochen; Sakuya hatte die ganze Zeit einen Arm um mich gelegt gehabt, und ich war dankbar für die Stütze, denn die harten letzten Tage verlangten ihren Preis, wenn ich auch niemals hätte schlafen können, wenn mir meine momentane Schwäche auch eher das Gefühl gab, hochlebendig und sensibel zu sein für alles um mich herum, ich hatte das Gefühl, jede Sekunde, die an uns vorüberstrich, spüren zu können. Das Seltsamste war, was Sakuya aussprach, als wir daheim vor der Tür standen. „Es ist wie vorher.“ Er klang so ehrlich verblüfft, dass er mich zum Lachen brachte, und gleichzeitig musste ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, er sah mich verstört an. „Was ist?“ „Du hast recht.“ Ich rieb mir mit dem Handballen über die Augen. „Es gab keinen Sturm und der Himmel ist auch nicht eingestürzt, alles fühlt sich an wie immer, das ist geradezu lächerlich normal. Ist das nicht bescheuert? Hättest du dich nicht wenigstens ein klein wenig verändern können?“ „Wozu?“ „Damit ich mich jetzt nicht wie ein Idiot fühlen muss, verdammt.“ Er sah auf zum Himmel; er war sternenklar, doch kein Mond zu sehen. „Ich weiß nicht, ich....“ Er verstummte. „Was?“ „Was, wenn wir morgen aufwachen, und uns plötzlich völlig fremd sind? Was, wenn das jetzt nur das Ende ist?“ „Das Ende?“ Ich starrte mit ihm in den Himmel, bis er mich ansah. „Das ist absurd. Oder?“ „Ich weiß nicht. Wir haben einiges Absurdes getan.“ „Du hast wirklich Angst, dass das hier nur Einbildung ist?“ „Nicht Einbildung. Kennst du das Gefühl, wenn du aufwachst, und etwas, was in der Nacht vorher noch so real war, ist auf einmal ganz weit weg?“ Ich zuckte zusammen, senkte den Blick, er bemerkte es und biss sich auf die Lippe. „Mika...ich meinte nicht, dass....“ „Ich kenne das Gefühl.“ „Ich will das nicht. Ich will nicht wieder aufwachen, und alles ist anders. Ich habe das ernst gemeint, was ich vorhin sagte. Es war ein großer Fehler, dich zurückzulassen, und es tut mir leid, dass ich solange zu feige war, das Grübeln sein zu lassen. Das Leben ohne dich ist schrecklich, und ich will nie wieder dahin zurück. Du hattest zwar recht, wir sind beide erwachsen und nicht mehr aufeinander angewiesen. Aber du bedeutest mir trotzdem unendlich viel, und mit jedem Jahr mehr. Jetzt, wo ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, habe ich wirklich Angst, ich traue mir selbst nicht mehr. Ja, ich habe Angst, aufzuwachen, und zu merken, dass das Band zwischen uns zerrissen ist.“ Er stand neben mir und sah hilflos auf den Boden, die Lippen zusammengepresst, ich sah in seinen grauen Augen den Ausdruck, den ich so gut kannte, all die schweren Gedanken. „Dann schlafen wir nicht.“ Sakuya hob den Kopf, seine Gestalt dunkel vor mir in der Nacht. „Was meinst du?“ „Wir schlafen heute Nacht nicht. Ich möchte hören, was dir im letzten halben Jahr passiert ist. Ich möchte alles hören. Solange, bis ich das Gefühl habe, es wäre mein eigenes Leben. Danach werde ich dir alles von mir berichten. Erzähl mir alles, was du denkst, bis der Morgen kommt. Und wenn wir das nächste Mal aufwachen, sind wir einander nicht mehr fremd.“ Und jetzt saßen wir auf dem Teppich, im Schneidersitz voreinander, wie so oft in all unseren gemeinsamen Jahren; wir hatten das Licht ausgelassen, und es brannten nur zwei Kerzen auf dem Tisch neben uns und warfen ihren flackernden goldenen Schein auf unsere Haut, spiegelten sich in der dunklen Fensterscheibe, hinter der die Nacht stand. Und wir redeten. Sakuya hatte eine Flasche Wasser geholt, die wir uns teilten, jedesmal, wenn unsere Lippen zu trocken wurden vom Sprechen; ich konnte kaum die Augen von seinen wenden beim Reden, als nähme ich nicht nur seine Worte in mich auf, sondern auch seine Gedanken, als läse ich alles aus ihm heraus, was in ihm lebte und wuchs; seine vertraute ernste Stimme zu hören, weckte in mir ein Gefühl der Geborgenheit, das ich vergessen hatte. Er erzählte mir von seinen Reisen, von seinem Paten, von dem Abend an dem er Jamie gefunden hatte, von der Zeit mit seinem Bruder am Hafen, und von all den langen, finsteren Nächten, in denen er wach gelegen hatte, Jamie im Arm, oder einsam am Fenster gesessen, während sein Bruder nichtsahnend schlief, und über die Dächer gesehen, wie eine sturmgetriebene Krähe, die Stirn an der kalten Scheibe, die Gedanken in die Ferne gerichtet, und denselben ungestillten Schmerz in der Seele, der mich auch mich nachts nicht hatte schlafen lassen in dem einsamen Zimmer, in dem Sakuya nicht mehr gelebt hatte. Auch ich kannte jene Gefühle, und unsere Worte verwoben sich miteinander und ergänzten sich, meine komplexen Beschreibungen der Vorgänge in meiner Seele mit seiner leidenschaftlichen Einsamkeitspoesie, er hatte irgendwann im Lauf des Gesprächs meine Hand genommen, und nach einer ganzen Weile wiederholten wir noch die Worte des anderen; wie seltsam, in all meiner Schuld und Pein hatte ich die ganze Zeit hindurch genauso empfunden wie er, also waren wir doch die ganze Zeit hindurch auf eine Art verbunden gewesen, selbst wenn wir es nicht gewusst hatten...drei Stunden hatte es gedauert, bis es uns im Gespräch aufgefallen war. Der Gedanke belustigte mich, und ich sah auch Sakuya schmunzeln, seine ehrlichen grauen Augen auf mich gerichtet, ich lachte leise, und er brach ebenfalls in Lachen aus, umfasste mit einer Hand leicht meinen Hinterkopf und legte seine Stirn an meine. „Weißt du was mich wundert?“, flüsterte er. „Was?“ „Dass uns beide alle im Haus noch immer für intelligent halten.“ Ich lachte; es hörte sich seltsam fremd an in meinen Ohren, aber es tat gut, so gut, als hätte jemand eine schwere schwarze Decke von mir genommen. „Saku?“ „Hm?“ „Tust du mir einen Gefallen?“ „Was du willst.“ Ich sah auf und ihn ein bisschen ernster an. „Ich dachte, ich könnte alleine auf mich achtgeben, aber ich kann es nicht. Wirst du das tun? Selbst, wenn ich einmal sagen sollte, ich will es nicht mehr?“ „Willst du es wieder versprechen?“ Seine Stimme war leise, seine Hand sanft an meinem Nacken; ich nickte, die Augen in seine gerichtet, nur Zentimeter vor mir. „Ja.“ Er verschränkte die Finger der freien Hand mit meinen und sah mich fest an. „Ich erneuere hiermit mein Versprechen, dich immer zu beschützen, solange ich lebe. Ich will aus meinen Fehlern lernen und nicht zulassen, dass du noch einmal leiden musst.“ Ich blickte ihn an, er sah mir tief in die Augen. „Ich erneuere ebenfalls mein Versprechen...“ Ich drückte leicht seine Hand. „Ich will immer über dich wachen, solange ich lebe. Ich werde von jetzt an immer an deiner Seite sein, komme was wolle.“ „Und ich an deiner.“ Ich schlang meine Arme um ihn und drückte ihn an mich, lächelte ihn dann matt an. Sakuya hielt meine Hand, seine Augen funkelte im Kerzenschein wie dunkle Onyxe. Ich spürte seine Finger leicht auf meinem Verband und senkte den Blick; Sakuya nahm sanft meinen Arm und zog ihn auf seinen Schoß, ich ließ ihn gewähren, biss mir auf die Unterlippe, den Blick abgewandt. „Tut es weh?“ Seine Finger strichen sanft über meinen Arm, verharrten dann ruhend auf meinem Handgelenk, warm. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, jetzt gerade nicht mehr.“ Ich erwartete halb, dass er mich fragte, warum; oder dass er verletzt reagierte, aber nichts kam, und als ich ihn ansah, sah ich nur diese traurige Nachdenklichkeit in seinen Augen, wie er auf meinen Arm hinabsah, und ich sah keine Verstörung; als er zu mir aufsah, die Finger um meine linke Hand schloss, mir schwermütig zulächelte, sah ich, es war keine Sorge in seinen Augen, es war Zärtlichkeit, mit der er mich betrachtete. „Ich bin froh, dass es dir gut geht.“ Ich nickte, dankbar, dass er nicht fragte, sondern nur wortlos den Kopf an meine Schulter legte; ich strich ihm mit der rechten Hand über den Rücken, seine Hände hielten meine fest umschlossen. „Glaubst du, du kannst so etwas noch einmal tun?“ Ich zögerte eine Weile. „Nein...ich denke nicht...es hat keinen wirklichen Sinn, meine ich.“ „Das ist gut.“ Ich wusste nicht, ob ich nicht könnte. Ich wusste nur, dass ich nicht wollte. Ich würde es niemals mehr übers Herz bringen, an einen Ort zu gehen, an den er mir nicht folgen konnte...nicht, nachdem ich zum ersten Mal im Leben erfahren hatte, wie es war, allein zu sein. „Der Verband ist gut gemacht.“ Ich nickte. „Ja. Karasu.“ Jetzt war Sakuya doch erstaunt. „Wirklich?“ „Ja. Hat meine Einzelteile wieder zusammengesetzt heute.“ „Oh.“ Saku legte den Kopf leicht schräg und ich biss mir auf die Lippe; Karasu war das einzige Thema, das ich noch nicht angesprochen hatte, in den ganzen vergangenen drei Stunden, die wir hier schon saßen, uns die Seele aus dem Leib erzählten und langsam wieder zusammenwuchsen. Nicht einmal, weil ich es bewusst vermeiden wollte...viel eher wusste ich nicht recht, was ich dazu sagen sollte. „Ich hielt ihn immer für einen Menschenfeind.“ „Und das hast du noch nett gesagt.“ Ich lachte unwillkürlich, brach dann sofort wieder ab. „Nein, du hast recht, das ist er auch.“ „Dann verstehe ich nicht ganz...warum er solchen Anteil an deinem Schicksal nimmt.“ „Glaub mir, ich auch nicht.“ Ich zögerte. Ich wollte Sakuya von dem Karasu erzählen, den ich an diesem Tag kennengelernt hatte, wollte seine Meinung hören, weil ich es so gewohnt war – und allein seine Gegenwart ließ mich sofort in alte Verhaltensmuster zurückfallen, als wäre es selbstverständlich – doch auf der einen Seite war ich nicht sicher, eigentlich sogar sehr unsicher, dass ich darüber reden durfte; auf der anderen Seite... „Ich hatte Sex mit ihm.“ Der Schock, den ich von Saku erwartet hatte, blieb aus; ich hatte ein wenig den Kopf gesenkt, auf der einen Seite schämte ich mich für meine Zügellosigkeit in den letzten Monaten, was Karasu anging – wobei wir damit ja genau wieder ein Thema berührten, das wir beide noch peinlich vermieden – auf der anderen Seite lechzte ich förmlich danach, mit meinem besten Freund darüber reden zu können, denn ich wusste selbst nicht mehr, was ich von mir halten sollte. Es war ja nun ein Fakt, dass mir der Sex ausnehmend gut gefiel, und dass ich es schwer genug hatte, mich nicht immer wieder in Situationen wiederzufinden, in die ich nüchtern betrachtet überhaupt nicht hatte kommen wollen....das wusste Saku ja selber. Es kam mir so falsch vor. Wenn Sakuya das auch so sah, dann wüsste ich, es stimmte, und ich wäre wirklich die dreckige kleine Schlampe, als die ich mich wirklich beizeiten gefühlt hatte, wenn ich am dritten Tag in Folge in Karasus Armen nach mehr geschrien hatte. Jetzt, auf einmal, war wieder der eine Mensch da, der meine Geheimnisse kannte und mich verstand, und ich merkte, wie sehr es mir gefehlte hatte, ihn um seine Meinung fragen zu können, und wie sehr ich selber in den vergangenen Monaten an mir gezehrt hatte, nach Antworten gesucht, die ich mir selber nicht geben konnte. Ich saß im Schneidersitz vor Saku, meine Knie mit den Armen umfasst, und den Kopf gesenkt, während ich auf seine Reaktion wartete, die sich ihre Zeit nahm. Er sah mich lange an, einen Finger an die Lippen gelegt; ich merkte, wie er mich musterte, allerdings wohl eher unabsichtlich, denn seine Augen schauten nachdenklich durch mich hindurch. „Wann?“ „Oh...oft. Schon lange. Fünf Monate? Seit letztem Winter, auf jeden Fall vor Weihnachten. ...Ich weiß nicht, es hat sich so ergeben, und.... Kann ich dich was fragen?“ Jetzt erst war er wirklich überrascht. „Klar. Frag.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Es war mehr als einmal, genauer gesagt ziemlich oft, manchmal mehrmals die Woche, dann wieder ein paar Wochen nicht... Ich habe mich oft genug mit ihm gestritten, du weißt ja selber von Antti wie er sein kann, und trotzdem habe ich mich immer wieder von ihm nehmen lassen, und hab es jedesmal genossen... hältst du mich für eine Schlampe?“ „Warum das?“ „Weil ich offensichtlich völlig unfähig bin, meiner Geilheit zu widerstehen, darum. Es ist mir wichtig, was du denkst; bitte.“ Sakuya sah mich eine Weile an und dachte nach, schüttelte dann den Kopf. „Nein. Daran ist doch an sich nichts Schlechtes. Wenn er dir gefällt.“ „Ich weiß, was du von ihm hältst.“ „Lieg ich damit falsch?“ „Nicht wirklich.“ Ich schnaubte leicht. „Erinnerst du dich an den Typen oben im Norden, im Blacklight, Loki?“ Ich nickte. Natürlich erinnerte ich mich an den Mann, der einige Wochen lang fast jedes Wochenende das außerordentliche Privileg gehabt hatte, meinem schönen Sakuya an die Wäsche zu gehen, damals, als wir noch Vagabunden gewesen waren. „Du hast aber nicht mit ihm geschlafen.“ „Nein, aber ich hätte es fast.“ „Ja, das hab ich wohl gemerkt, scharf wie du warst.“ „Das meine ich nicht. Ich hätte es wirklich fast getan, er hatte mich soweit, dass ich ihn wollte.“ „Ich dachte, er hat das Interesse verloren, als er dich mit diesem Gitarristen gesehen hat.“ „Stimmt auch. Aber wäre das nicht passiert, wäre ich sicher nicht bis zu Antti jungfräulich geblieben.“ „Lange Zeit.“ „Ja, auf jeden Fall. Aber sicher nicht, weil ich so unglaublich tugendhaft bin.“ „Sondern?“ „Mich hat einfach bis zu Antti kein Mann mehr so sehr gereizt.“ „Du meinst, du bist zu wählerisch?“ „Das bist du nicht weniger. Wir sind beide ein wenig psychisch verdreht, meine ich; was du grad als komisch empfindest, ist, glaube ich, normal. Es klingt vielleicht seltsam, aber betrachtet man unsere Vergangenheit, ist es völlig normal, dass wir nicht völlig normal sind. Ich glaube, wir empfinden Nähe anders. Oder Menschen generell. Freundschaft. Wir leben mit anderen Vorstellungen. Zumindest kommt es mir so vor. Antti sagte mir oft, meine Art, die Menschen zu sehen, erschiene von seiner Sicht aus nicht immer konsequent und logisch. Vielleicht gilt das für alles. Vielleicht hassen wir die Menschen zu sehr, um normale Beziehungen aufbauen zu können, und lieben sie zu sehr, um allein sein zu können. Ich weiß, dass ich nicht alleine sein kann. Zugleich habe ich nahezu ewig gebraucht, eine intime Beziehung eingehen zu können. Und nur eine! Obwohl mein Körper wiederum normale Bedürfnisse hat. Die hast du auch, und das ist gut, das zeigt doch, dass wir uns noch nach Intimität sehnen können. ...Es ist ja auch bei mir nicht so, dass ich Sex grundsätzlich nicht mag.“ Ich grinste ein wenig. „Ja, das hab ich gemerkt.“ „Was soll das denn heißen?“ „Oh, nichts. Ich hatte nie ein Problem damit, auf dem Sofa zu schlafen. Oder in der Garage über deinen Gürtel zu stolpern. Oder zwei Stunden warten zu müssen, bis das Bad frei ist. Oder nicht sicher sein zu können, ob ich vom Küchentisch noch essen wollte...“ Ich wich grinsend aus, als er mir das Sofakissen gegen den Kopf schmiss, ein wenig rot auf den Wangen. „Wir haben es nie auf dem Tisch gemacht!“ „Das hab nicht ich gesagt; Yuki meinte, in der Küche riechts nach Sex.“ „Nein! ….ja, es war der Fußboden. Zufrieden?“ Ich lachte, schmiss das Kissen zurück aufs Sofa, legte ihm den Arm um die Schultern und fuhr ihm durchs Haar, während er leise „Idiot“ lachte. „Heute ist ein historischer Tag, rede doch bitte über irgendetwas Erhabeneres als mein Sexleben, ja?“ Ich schüttelte belustigt den Kopf, Sakuya schwieg, als ich wieder in Stille versank, im Geist noch bei seinen vorigen Worten. Eine ganze Weile dachte ich nach, langsam wieder ernst werdend, merkte kaum, wie ich an meinem Daumennagel kaute. „Du meinst also, Gefühle spielen keine übergeordnete Rolle?“ „Weiß ich nicht, ich hatte nie Sex ohne Gefühle. Aber wenn es dir gefällt...wieso nicht.“ Ich schwieg eine Weile und dachte darüber nach; Sakuya nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und reichte sie mir dann, lehnte sich neben mir mit dem Rücken ans Sofa, während ich trank, und ich lehnte mich mit der Seite an ihn, stellte dann die Flasche vor uns auf den Tisch, und wir beide sahen in die kleinen Kerzenflammen. Sakuya war der erste, der wieder sprach. „Dein erster Mann.“ Ich lächelte schwach. „Sozusagen, ja.“ Er zögerte kurz. „...wie war es?“ „Es war gut. ….sehr gut.“ „Hat es wehgetan?“ „Ja, die ersten Male. Aber nicht so sehr, dass es nicht auszuhalten wäre. Er war aber auch immer sehr rücksichtsvoll.“ „Echt?“ „Hmm.“ „Hm.“ „Ich weiß. Ich war auch überrascht von ihm.“ „Positiv oder negativ?“ „Positiv.“ Ich lachte und stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite. „Was hältst du von mir?“ Er grinste leicht und wich meinem Stoß aus. „Nur das Beste!“ „Klar!“ Ich hörte ihn lachen, als er meine Hand fing und von sich drückte, dann lehnte er sich wieder leicht an mich. „Erzählst dus mir demnächst in Ruhe?“ „Klar. Was willst du hören?“ „Na, alles.“ „Spinner.“ „Selber.“ Ich konnte mir schon denken, warum er alles hören wollte. Ich wusste, dass er selber immer Angst gehabt hatte, sich Antti auf die gleiche Art hinzugeben, ohne dass er mir genau hatte sagen können, warum. Ich war ihm damals natürlich keine große Hilfe gewesen, ich hatte nur Frauen gekannt. Nun, letztendlich hatte ich ihm vielleicht doch etwas beigebracht, wenn auch nicht auf die gewünschte Art. Ich lachte humorlos. „Was ist?“ Er schaute mich aufmerksam von der Seite her an. „Nichts.“ Ich griff wieder nach der Flasche und nahm noch einen Schluck. „Mika.“ „Hm?“ „Ich bins.“ Ich seufzte. „Okay.... Saku, du weißt, es gibt etwas über das wir reden müssen, wir können das nicht totschweigen.“ „Ja, ich weiß.“ Er senkte kurz den Kopf, der Kerzenschein warf einen tiefen Schatten auf sein Gesicht, so dass ich seinen Ausdruck nicht erkennen konnte, ich war mir aber fast sicher, dass er unsicher war. „Willst du heute Nacht noch drüber reden?“ Ich sah eine Weile ins Licht. „Nein. Ich bin gerade zu froh, wieder mit dir lachen zu können. Genauso wie früher.“ „Verrückt, oder?“ „Wieso?“ „Wir waren überzeugt, dass genau das nicht passiert.“ „Tut es auch nicht wirklich. Wir hatten Sex, das verändert Menschen, vielleicht nur ein bisschen, aber etwas ist neu.“ „Weißt du was? Das ist mir inzwischen egal.“ Ich lächelte, spürte wie er den Kopf an meine Schulter legte. Ich hatte das Gefühl, das schwache warme Licht im Zimmer hüllte meine ganze Seele ein. Dann fiel mir etwas ein, und ich griff in meine Jackentasche neben mir auf dem Sofa; Sakuya hob den Kopf und schaute mir neugierig zu. „Hier.“ Ich hielt ihm das durchschnittene Lederband entgegen, das mir sein Halbbruder wiedergebracht hatte. „....machst du es mir wieder um?“ Ich dachte für eine Sekunde, er würde weinen; er zitterte ein wenig, seine Augen glitzerten dunkel, als er mit vorsichtigen Fingern das Band aus meiner Hand nahm. „Gern.“ Ich lehnte mich seitlich ans Sofa, spürte seinen warmen Atem über meine Haut streichen, als er meinen verletzten Arm zu sich hob und einen fast nicht spürbaren Kuss auf die weiche Stelle direkt am Gelenk hauchte, ehe er den Knoten fest zuzog. Wir waren noch wach, als die Sonne aufging; wir lagen nebeneinander auf dem Teppich, hatten inzwischen neue Kerzen entzündet, deren Schein schwach über unsere müden Gesichter flackerte. Wir hatten uns gegenseitig wach gehalten, um den Morgen noch kommen zu sehen; jetzt schlich sich leise wie auf Falterflügeln das erste blasse Morgenlicht durch die verdunkelten Fensterscheiben und trieb die Nacht wie Nebel aus dem Wohnzimmer. Es war uns kühl geworden vor Müdigkeit, und wir hatten unsere Jacken untergelegt, die Sofakissen unter den Köpfen; ich lag auf der Seite, den Kopf auf einen Arm gestützt, den anderen Arm leicht auf Sakuyas Brust ruhend, und beobachtete ihn ruhig, während ich seiner Stimme lauschte, wie ich es so oft getan hatte, als er mir vorlas. Sakuya las mir aus Wildes 'Happy Prince'; ihm selber waren die Augen schwer vor Müdigkeit, aber seine leise Stimme hielt uns beide wach, und ich sah seine Lippen sich bewegen, während er murmelte, nur zu mir, die freie Hand auf meinem Arm, die andere hielt das Buch über ihn. “The poor little Swallow grew colder and colder, but he would not leave the Prince, he loved him too well. He picked up crumbs outside the baker's door when the baker was not looking and tried to keep himself warm by flapping his wings.“ Seine Stimme war heiser und das erste Licht des Tages glänzte in seinen Augen; ich nahm seine Hand und schloss die Finger darum; ich hatte mir diese Geschichte oft schon vorlesen lassen, denn Sakuya las sie fuchtbar gern für mich, auch wenn sie ihn jedes Mal zum Weinen brachte. „But at last he knew that he was going to die. He had just strength to fly up to the Prince's shoulder once more. „Good-bye, dear Prince!“ he murmured, „will you let me kiss your hand?“ „I am glad that you are going to Egypt at last, little Swallow," said the Prince, "you have stayed too long here; but you must kiss me on the lips, for I love you.“ „It is not to Egypt that I am going,“ said the Swallow. „I am going to the House of Death. Death is the brother of Sleep, is he not?“ And he kissed the Happy Prince on the lips, and fell down dead at his feet. At that moment a curious crack sounded inside the statue, as if something had broken. The fact is that the leaden heart had snapped right in two. It certainly was a dreadfully hard frost.“ Ich sah, wie Sakuyas Augen glitzerten, und rollte mich selber enger an seiner Seite zusammen, spürte seine Finger leicht über meinen Verband streichend; und ich hob den Kopf und legte ihn auf seine Brust, während er las; aus den Augenwinkeln sah ich ihn lächeln, und spürte wie er den Arm um mich legte um mich zu halten. Ich war entsetzlich müde, und zitterte ein wenig vor Erschöpfung, aber ich wollte meinem Körper nicht eher die Ruhe gönnen, die er brauchte, bis die Sonne vollends aufgegangen war. Wir hatten so viele, schrecklich viele einsame Nächte hinter uns; jetzt den Morgen gemeinsam mit Sakuya zu erleben, seine Wärme zu spüren, seine leise Stimme zu hören, vergoldete den Moment, und ich zwang mich, die Augen offenzuhalten, um jede Sekunde auszukosten. Ich spürte, wie meine Lider schwerer wurden, und Sakuya mich etwas fester an sich zog, als er merkte, dass ich im Einschlafen begriffen war; ich murmelte leise um ihm zu zeigen, dass ich weiterhin zuhörte; und so war an diesem Morgen, im kalten frischen Licht, das letzte, was ich hörte, ehe ich einschlief, Sakuyas Stimme. „“Bring me the two most precious things in the city,“ said God to one of His Angels; and the Angel brought Him the leaden heart and the dead bird. „You have rightly chosen,“ said God, „for in my garden of Paradise this little bird shall sing for evermore, and in my city of gold the Happy Prince shall praise me.““ Antti: Haunted Little Heart An mein Herz! Auf dass es ruhig werde. Dass es lerne, wieder ruhig schlagen. Ruhlos ward's, ein Schiff, das Stürme jagen, Nacht und Tag umwandert es die Erde. Durch die Straßen werde ich getrieben, Von der Leidenschaften Mörderkräften Aufgejagt, es kreist in meinen Säften Wie ein Gift, dich bitterlich zu lieben. Ein Ahasver, der dem Tod nachrennet Wie ein Pfeil, such ich nach deinem Kleide. Ach, wo bist du, Herz! Wo ist die Weide Meiner Labsal, eh mein Geist verbrennet. An mein Herz ! Ich kann an nichts mehr denken, Als an dich, daß ich dich bald umarme, Wie ein Blitz, der aus dem Wolkenschwarme Blendend fällt, ins Meer sich zu versenken. Georg Heym: An mein Herz Wasser. Ich stand am Waschbecken, zitterte unter dem kalten Wasser in meinem Gesicht, ließ es über meine Hände laufen und tauchte wiederum den Kopf hinein, ehe ich mich aufrichtete. Mein Kajal war verschmiert, und ich wischte mir mit den Händen über das Gesicht und die überflüssige Farbe fort, bis nur noch ein schmaler Rest blieb, drückte dann den Kopf ins Handtuch und trocknete mich ab, stützte die Hände auf das Waschbecken, tief durchatmend. Es war jetzt etwa eine Stunde her, dass Sakuya hier gewesen war, in diesem Haus, zum ersten Mal seit sechs Monaten. Er hatte mich nicht gesehen, ich ihn aber sehr wohl; ich war in Panik geraten und hatte mich versteckt. Ich hätte nicht gewusst, was ich hätte sagen sollen, wäre ich ihm in die Arme gelaufen. Wahrscheinlich hätte mein Auftreten wieder einmal alles nur noch schlimmer gemacht, wie beim vorigen Mal auch. Beim letzten Mal, als Sakuya hier gewesen war, hatte ich ihm gesagt, ich könnte nicht mehr mit ihm zusammensein. Ich seufzte erstickt bei der Erinnerung, stieß mich vom Waschbecken ab. Jetzt war er wieder fort, und Fuchs mit ihm; ich war froh, auf eine gewisse Art, denn es erleicherte mich ungemein, dass ich nicht alles kaputtgemacht hatte, was hatte kaputtgehen können; es war allerdings verdammt nahe daran gewesen, und das hatte mich wirklich erschreckt. Ich hätte nie erwartet, dass Fuchs so etwas zu tun fähig wäre, allerdings kannte ich ihn auch nicht besonders gut – absurderweise fühlte ich mich dennoch schuldig, als hätte ich etwas merken müssen, als hätte ich überhaupt etwas merken können! Daher war ich unendlich erleichtert, dass alles ein gutes Ende gefunden hatte. Nun, fast alles. Ich mochte Fuchs, er war ein angenehmer Gesprächspartner, verlässlich, und ehrlich; ich hatte ihn schon gern gehabt, als er noch der beste Freund meines Freundes gewesen war. Trotzdem war ich eifersüchtig. Ich war immer eifersüchtig gewesen, nie sehr, aber stets ein wenig. Ich hatte es so gut ich konnte ignoriert und damit leben können; es war okay für mich gewesen, dass Sakuya und Fuchs sich so nahestanden, denn ich konnte es auch irgendwo verstehen, wenn ich ihn auch gerne für mich alleine gehabt hätte. Doch Sakuya hatte schwer mit seiner Vergangenheit zu kämpfen, er empfand vieles anders als normale Menschen, und Fuchs war wie ein Teil von ihm, wie sein rechter Arm, wie ein eineiiger Zwilling. Wenn ihn zu haben, hieß, ihn zu teilen, dann wollte ich auch das tun. Am Ende aber hatte das nicht gereicht; ich hatte freiwillig aufgegeben, weil ich dachte, dass ich den beiden damit einen Gefallen täte, und ich hätte alles getan, um Sakuya glücklich zu machen; ich hätte für ihn die Welt angehalten. Ich hatte überhaupt nichts verstanden, wie es schien, den Kopf in den Wolken und aus dem Leben ein romantisches Märchen machend. Letztendlich war ich es, der allen nur Unglück gebracht hatte. Und jetzt.... Jetzt schmerzte und stach die wunde Stelle in meiner Brust, wo einst mein Herz für Sakuya geschlagen hatte. Es war dumm, das wusste ich, doch – allein die Tatsache, dass sich Sakuya nicht einmal nach mir umgesehen hatte, ehe er ging – es tat mir weh. Selbstverständlich war ich auch gesund und munter und hatte keinen Suizidversuch hinter mir. Trotzdem – es tat weh! Ich hatte ihm nachgesehen, aus dem Fenster, dann hatte ich mich noch eine gute Stunde in der Küche eingeschlossen und mir einen Tee gemacht, der kalt geworden war und den ich hatte wegschütten können, und jetzt hatte ich mich soweit aufgerafft, dass ich meine Einzelteile vom Boden aufsammeln und wieder halbwegs in eine menschliche Form bringen konnte. Ich würde lernen, mit dem Schmerz zu leben. Allerdings gab es noch jemanden, auf den ich ein Auge haben wollte. Karasu antwortete nicht, als ich an seine Tür klopfte, und ich öffnete sie unaufgefordert; er lag auf dem Bett, es war still im Zimmer. „Was?!“, fauchte er bei meinem Eintreten, ohne den Kopf zu mir zu drehen. „Karasu....“ „Was willst du, verdammt!“ „Wie geht’s dir?“ Ich trat neben das Bett und sah auf ihn hinab, die Hände in den Taschen; ich muss furchtbar ausgesehen haben, und er sah es sicher, er verzog das Gesicht, als er mir in die Augen sah. „Ich will nicht mit dir reden. Fuck, Antti, verpiss dich einfach!“ Er setzte sich auf; zog die Knie an und vergrub die Hände in den Haaren, griff dann nach dem Tabakbeutel auf dem Fensterbrett neben sich. Ich rührte mich nicht; ich kannte diese Art an ihm. Ich hasste es wie die Pest, wenn er so mit mir redete, und er wusste das genau, weil ich es ihm oft genug gesagt hatte. Aber er war mein Freund. Nicht, weil ich dumm war, oder naiv, oder weichherzig, wie meines Wissens nach behauptet wurde. Einfach nur, weil wir einander sehr gern hatten. „Das war ziemlich edel, was du getan hast“, meinte ich leise, während er die Kippe zwischen den Lippen klemmen hatte, nach seinem Feuerzeug suchte; er knurrte bei meinen Worten. „Ich bin stolz auf dich, Karasu.“ „Fuck off!!“ Er stieß mich mit der Hand von sich weg; ich trat einen Schritt zurück, während er die Zigarette von sich schmiss und mich anfauchte. „Ich warne dich, verpiss dich, und tritt mir bloß nicht mehr unter die Augen! - Du bist so ein gewaltiger Idiot, Antti – wenn Dummheit wehtäte, müsstest du vor Schmerzen schreien! Wenn du jetzt die gleiche Kinderkacke wieder abziehst wie im Winter, können wir die Band gleich auflösen! - Das kotzt mich so an! Du bist wirklich der bei weitem bescheuertste Mensch auf dem ganzen verdammten Planeten! Du hättest alles haben können, was du wolltest, aber nein, du musst ja unbedingt Seifenoper spielen und einen auf selbstlos machen; jetzt siehst du was du davon hast! Und jetzt kommst du angeschissen und ziehst mich in deine Gefühlskacke mit rein? Vergiss es! Komm bloß nicht zu mir mit deinem Geheule nach deinem Lover, wenn du dein Leben wieder nicht geschissen kriegst, ich will es nicht hören, es geht mir sowas von am Arsch vorbei! - Du bist selber schuld, Antti, er will dich nicht mehr, du interessierst ihn einen Dreck! - Leb damit; und jetzt hau ab und lass mich in Ruhe!“ Er richtete sich auf die Knie auf, und ich trat den Rückzug zur Tür an; ich sah ihm nicht in die Augen dabei, ich konnte seine Worte ertragen, aber ich konnte ihn nicht ansehen, wenn er so mit mir redete, es tat mir zu sehr weh, auch wenn ich es gewohnt war, das nicht zu zeigen, und er wusste das auch. Dass er es trotzdem tat, war verletzender, als die Worte selbst. Ich schluckte den Drang hinunter, ihm ins Gesicht zu schlagen, und die Tränen, die mir kamen, weil er einfach recht hatte; erst an der Tür wandte ich den Kopf und sah ihn doch wieder an. „Ich bin in meinem Zimmer. Du musst nicht reden, aber du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du dich beruhigt hast. Du bist auf jeden Fall nicht allein.“ „FUCK YOU!“ Er packte eins seiner Bücher von der Fensterbank und schleuderte es nach mir, es prallte neben mir an die Tür, die ich schnell schloss, als ich den Raum verließ, mich außen gegen die Wand lehnte; drinnen schlug noch etwas gegen die Tür, dem Geräusch nach zu urteilen vielleicht ein Aschenbecher. Ich musste ein paarmal tief durchatmen. Ich hasste es, wenn er so war. Ich hasste es, wenn es ihm schlecht ging. Aber er war kein schlechter Kerl. Nichts von dem, was er tat, war wirklich gegen mich gerichtet; spätestens am Folgetag würde er mir auf eine seiner verqueren Weisen zeigen, dass es ihm leid tat. Ich presste die Hand vor dem Mund und biss mir fest auf die Zunge, um mich vom Weinen abzuhalten. Langsam beruhigte sich mein Atem wieder. Ich ließ den Kopf nach hinten fallen und strich mir die wirren Haare aus dem Gesicht. Ich hatte sehr wohl gesehen, dass Karasu das T-Shirt von Fuchs aus der Wäsche geholt und getragen hatte. Ich tat kein Auge zu in dieser Nacht, auch wenn ich bereits in der Nacht zuvor nicht hatte schlafen können, seit in den frühen Morgenstunden Fuchs eingetroffen war, blutend, nach Alkohol stinkend und bewusstlos. Karasu hatte ihn auf das Sofa geschleift und mich nach dem Verbandskasten geschickt, während er notdürftig die Blutung gestillt hatte; dann hatte er ihm fachmännisch einen Druckverband angelegt; dass Karasu gut war in sowas, hatte ich selber schon erleben dürfen, allerdings gottlob aus anderem Grund. Ich hatte ihm geholfen, den Bewusstlosen nach oben zu tragen, aus der blutigen Kleidung zu schälen und in sein Bett zu legen, dann hatte ich Fuchs' Kleidung gewaschen, so gut es erst einmal ging, ehe ich sie in den Wäschekorb hatte werfen wollen, und als ich wieder nach oben gekommen war, hatte ich Karasu trocken schluchzend am Bett lehnend vorgefunden. Dass die beiden eine Affäre gehabt hatten, hatte ich nicht geahnt, und ich gebe zu, ich fiel im ersten Moment aus allen Wolken, als er es mir sagte; allerdings wurde meine Überraschung darüber etwas abgedämpft, da ich an jenem Morgen Wichtigeres im Kopf gehabt hatte. Ich hatte wirklich zu keinem Zeitpunkt etwas mitbekommen, die beiden waren sehr heimlich gewesen. Ich kann nicht sagen, dass das etwas an meiner Einstellung gegenüber Fuchs änderte; im Gegenteil, dass er sich einsam gefühlt hatte, konnte ich sehr gut nachvollziehen; was mich überraschte, war allein die Tatsache, dass er sich ausgerechnet Karasu gesucht hatte; es war sicherlich nicht so, dass Fuchs niemanden sonst haben könnte, ich selbst fand ihn nicht unattraktiv, wenn ich auch eher auf schwarzgekleidete Männer stand. Aber er hatte ein schönes Gesicht, nordische Züge, scharf geschnitten und dennoch fast jungenhaft, wenn er lachte; und allein die Ahnung seines athletischen Körpers unter der lockeren Kleidung bereitete sicher so einigen schlaflose Nächte. Fuchs war muskulös, sportlich, ich selber war schlank, aber nicht sehr stark; was das anging, würde ich dem Rotblonden nie das Wasser reichen können. Kein Wunder, dass Karasu ein Auge auf ihn geworfen hatte. Doch dass Fuchs darauf einging, erstaunte mich. Es tat mir leid, so etwas über meinen besten Freund zu denken, aber es war nun einmal so. Kaum jemand kam überhaupt mit Karasu zurecht, geschweige denn mochte ihn. Innerhalb der Band kamen alle gut mit ihm aus, da er sich im Team stets sehr fair verhielt, mehr als fair, und künstlerisch wirklich eine treibende Kraft hinter Swan war. Er war zwar arrogant, aber sicher niemand, der immer im Mittelpunkt stehen musste, daher arbeiteten wir alle gut zusammen; auch riss er sich, denke ich, zusammen, um mir einen Gefallen zu tun, was ich als Freundschaftsbeweis sah, da er das für niemanden sonst zu tun schien. Es gab auch sonst einige wenige Menschen, die Karasu wohlwollend betrachteten, allerdings nicht viele. Marius zum Beispiel gehörte dazu, mit dem ich selber gut befreundet war; vielleicht einer meiner besten Freunde nach Karasu. Warum Karasu ihn nicht völlig verachtete, war mir anfangs unbegreiflich erschienen, allerdings mit der Zeit hatte ich gelernt, zu ahnen, nach welchen Kriterien Karasu sich seine wenigen Freunde aussuchte, und es erschien mir ganz und gar nicht mehr komisch, dass er Marius duldete, sogar mochte, wenn jener bereit war, sich für ihn wie ein erwachsener Mensch zu benehmen, was ihm meiner Meinung nach ohnehin gut zu Gesicht stand. Ich selber hatte durch Karasu gelernt, Marius dafür zu schätzen, dass er tat, was er für richtig hielt, ohne etwas auf die Meinung anderer zu geben, egal wie viele Leute gegen ihn schienen. Er tat das nicht aus Trotz; ob hundert Leute für oder gegen ihn waren, er setzte sich immer mit derselben Leidenschaft für etwas ein, von dem er überzeugt war. Ich glaube, Karasu mochte Marius, weil sie sich auf eine bizarre Weise, die möglicherweise nur ich sah, sogar ähnlich waren. Vielleicht tat es Marius seinerseits gut, jemanden zu haben, dem er auch seine ernste Seite zeigen konnte; immerhin hatte er genügend Sorgen und Kummer im Leben, die er nicht die ganze Zeit über verstecken konnte. Ich bewunderte Marius selbst; aber ich war nicht sicher, ob er noch so stark sein könnte, wenn er gezwungen wäre, immer fröhlich zu sein. Dass allerdings Fuchs mit Karasu auskam – das war eine Überraschung. Karasu hatte Sakuya immer gehasst. Immer. Ich wusste, er war der Überzeugung, Sakuya sei nicht annähernd gut genug für mich gewesen, was ich süß, aber falsch fand. Und Fuchs war Sakuya sicher nicht unähnlich in seiner Art, vielleicht etwas weniger Phantast und mehr Realist. Das mochte sogar der Grund gewesen sein. Und, sicherlich, Karasu war durchaus kein hässlicher Mann, im Gegenteil; ich stand nicht auf ihn, und er nicht auf mich, aber ich hatte Augen im Kopf, und hatte ihn als sein Mitbewohner oft genug ungeschminkt, ungestylt und auch nackt gesehen, um zu wissen, dass hinter seiner gut inszenierten Fassade des Freaks ein hübscher junger Mann steckte, ein junger Mann mit einem gut in Form gehaltenen Körper dazu, sah man von all den Narben ab. Dass es Karasu allerdings so mitzunehmen schien, dass sein Sexualpartner so gelitten hatte, das traf mich, und rührte mich; ich hatte diese Seite an Karasu seit einer Weile gekannt, allerdings selten zu Gesicht bekommen, da er sich bei jeder Gefühlsregung gebärdete, als hätte er die Büchse der Pandora geöffnet. Ich wusste nicht, was Karasu für Fuchs empfand, und ich hatte ihn nicht gefragt, als er mir von ihrer Affäre erzählt hatte. Ich sah allerdings, dass er völlig aus der Bahn geworfen war von den Ereignissen; vielleicht lag das auch an seinen eigenen Erfahrungen, von denen ich wusste, die ich teils sogar selber miterlebt hatte; ich glaube aber, viel eher hatte er Angst gehabt, etwas zu verlieren, von dem er erst in diesem Moment gemerkt hatte, wie wichtig es ihm war. Wie wichtig genau das allerdings war, konnte ich nur raten. Sein Auftritt vorhin sprach allerdings für sich, fand ich. Wenn Karasu wirklich etwas für Fuchs empfand, sich vielleicht sogar in ihn verliebt hatte, dann konnte ich wenig für ihn tun; ich wollte allerdings für ihn da sein, um ihn zu trösten und ihn nicht alleine zu lassen. Er hatte mich auch niemals alleine gelassen, wenn ich ihn gebraucht hatte. Nicht ein einziges Mal. Dafür waren Freunde ja da, nicht? Ich könnte es mir nicht verzeihen, nicht alle seine Wut und seine Tränen aufzufangen, wenn es zu schwer wurde, sie alleine zu ertragen. Als ich in den Wochen nach der Trennung von Sakuya schrecklich gelitten hatte, war Karasu immer genau dann aufgetaucht, wenn es mir gerade am Schlechtesten ging; und irgendwie hatte er es immer geschafft, mich wieder ein wenig mehr zu einem lebendigen Menschen zu machen, dafür zu sorgen, dass ich aufstand, dass ich aß und trank, dass ich soweit am Leben teilnahm, um nicht vollends in Kummer zu ertrinken. Er war nicht immer sanft dabei vorgegangen, manchmal hatte er mich förmlich emporgerissen, mich angeschrien; aber am Ende, mit seiner Hilfe, stand ich aufrecht. Er fand noch Stärke in mir, wenn ich selber keine mehr sah. Jetzt allerdings konnte er nicht für mich da sein, jetzt war ich alleine mit meiner frisch aufgebrochenen Narbe über dem Herzen. Ich lag auf dem Rücken auf dem Bett in meinem Zimmer und kaute an einem Bleistift. Ich hatte eine alte ausgebeulte Jeans an und ein dünnes Tanktop, meinen Finnland-Schal mehrfach um den Hals gewickelt, der mich tröstete. Einige Dinge in meinem Zimmer hatte ich aus meiner Heimat mitgebracht oder mitbringen lassen; vieles davon war dieses entsetzliche Zeug, das Touristen in kleinen Läden kauften, aber ich sammelte alles, was ich finden konnte, denn ich hatte entsetzliches Heimweh; ich vermisste meine Stadt heiß, vermisste die langen Sommerabende und die dunklen Winternächte, die grauen Hochhäuser in den Wohngebieten, vermisste den Hafen, die Festungsinsel Suomenlinna, die Steinstufen vor dem weißen Dom, sogar die Penner die in den Gassen schliefen. Ich vermisste finnisches Essen und finnisches Bier und finnische Stimmen um mich herum. Ich würde zurückgehen, wären nicht meine Freunde hier, die das Wertvollste auf der Welt für mich waren. So blieb mir meist nur, meinen Eishockeyschal und -trikot anzuziehen – ja, ich war ein Eishockeyfan und überhaupt wandelndes Klischee, wenn man den Deutschen glauben durfte- , mich in mein kleines Reich zurückzuziehen, und leise Lieder in meiner Muttersprache zu singen, denn wenn ich sang, war ich immer daheim. Ich hatte viele kleine Lampen und Lichter in meinem Zimmer, die alles in ein sanftes goldenes Licht tauchten, in dem ich schrieb und leise vor mich hin summte, ohne es richtig wahrzunehmen, dann und wann innehielt, um mich zu konzentrieren. Ich hielt den Zettel über mich und biss auf das Ende des Stifts, überflog den Text an dem ich in der vergangenen Stunde gearbeitet hatte. Haunted little heart, weeping on the windowsill where will you go when winter comes? Freezing cold in empty streets, crows' screaming echoes between grey walls in this city that never dreams. haunted little heart, drifting through empty spaces where is the one you used to love? searching for long gone voices, laughter echoes between grey walls in this empty house you once called home. Haunted little heart, drowning in silence where will you come to rest at last? Writhing in agony, the only sound, echoing between grey walls is your shattering. Every day you die. Ich seufzte und warf den Zettel auf den Boden und den Stift hinterher. 'Emoscheiß', würde Karasu sagen. Put me to death with your carnivore kiss, let me smell the blood in your breath tear my body apart while i scream with laughter devour my soul and spit out my brain. Put me to death in my sorrowful grave take me until all my life has drained. Feed on my heart, lick the sweat from my skin the last thing i'll hear is the crack of my spine. Drink me until you're thirsty no more, feed on me 'til you're fully satisfied. If love means pain, i'll die in agony … Der Zettel folgte dem ersten. I still recall your kiss that night if only i knew then how to forget i truly loved you, that november night i still recall your whisper in my ear. You told me you'd never leave me you told me it was once and forever. I truly believed you, that starlit night as i was crying tears of joy. But nothing's forever, nothing's for real i wish i knew now how not to dream i truly wish that, if i were granted a thing you'll treasure the shards of my broken heart. 'cause something's forever, something's for real i'd rather live heartless than have them returned. This is forever, this is for real so keep them until they'll be ceasing to bleed. Bis auf das letzte konnte ich nichts davon den Jungs vorlegen, das einzige das zu einer unserer Melodien passte. So betrachtet, ich würde das Zweite Karasu geben, er würde sich eine harte Gitarrenspur dazu einfallen lassen, das könnte funktionieren. Zettel Nummer drei landete dennoch ebenfalls auf dem Boden, und ich starrte wieder an die Decke. Ich war entsetzlich darin, Lieder zu schreiben, wenn es mir schlecht ging; ein einziges erfolgreiches hatte ich auf diese Art produziert....im vergangenen Winter. 'Let me go'. Es erschien mir nun so verlogen, denn ich war nicht gegangen, ich hatte es nicht einmal versucht. Noch immer hing ich genauso sehr an Sakuya wie im vergangenen Jahr. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, ich würde ihn niemals verlassen, egal, was ich über Fuchs denken würde. Einmal mag sich ein Mensch selbst das Herz herausreißen, aber wer würde das ein zweites Mal tun? Wahrscheinlich nur ein vollkommener Idiot, wie ich einer war. Ah, nein, ich würde es ein zweites Mal tun; weil ich nicht anders könnte. Und doch, es tat so entsetzlich weh. Ich vermisste ihn jeden Tag, jede Stunde, in den ganzen sechs Monaten; ich vermisste es, in seinen Armen einzuschlafen, und ich hasste die Morgen, wenn ich aufwachte nach einer unruhig durchschlafenen Nacht, und zur Seite griff, nur um kalte Leere neben mir zu finden, wo ich in meinen Träumen noch meinen Liebsten gesehen hatte. Ich kann mich an keinen Morgen in diesen sechs Monaten erinnern, an dem ich nicht den Kopf im Kissen vergraben hatte, weinend, krampfhaft die Augen geschlossen, um noch einmal, nur für einen Moment, so zu tun, als wäre ich nicht allein in meinem Zimmer, auch wenn mich allein die Erinnerung verletzte; nur ein einziges Mal wollte ich noch seinen sanften Kuss spüren, seine Arme um mich, die mich streichelten, die Wärme seines schlanken Körpers an meinem spüren, seinen Geruch in der Nase haben, seine leise Stimme hören, mit der er mir sagte, dass er mich liebte, leidenschaftlich, innig, über alles. Er dürfte mich anlügen, wenn er wollte, es war mir egal. Ich hätte alles gegeben, um noch ein weiteres Mal die Worte von ihm zu hören, die ich mir mehr als alles andere zu hören wünschte; zugleich wüsste ich, dass es mir wiederum das Herz brechen würde. Ich durchlebte jeden Tag, schaffte es irgendwie, normal mit allem weiterzumachen – der Band, dem Haushalt, meinen Freunden; ich ging sogar aus, spielte Seelsorger für Liebesbekümmerte und Fans und liebesbekümmerte Fans und versuchte, sie aufzumuntern – und wer munterte mich auf? Ich dachte anfangs, ich würde es nicht lange durchhalten, auf diese Art weiterzumachen; es erschien mir unmöglich, ein Leben auf diese Weise zu leben, weiterhin der zu sein, als der ich gebraucht wurde, aber irgendwie, ich wusste nicht wie, schaffte ich es. Doch jeden Abend, wenn ich alleine im Dunkeln lag, schlug die Einsamkeit wie ein schwarzes Meer über mir zusammen, und mein Herz war bei Sakuya. Ich hatte mich in ihn verliebt, als mein Blick zum ersten Mal auf ihn gefallen war. Ich liebte ihn für seine Stärken; sein beschützerisches Wesen, sein Lächeln, seine liebevolle Art. Und ich liebte ihn für seine Schwächen; ich liebte seinen Kindskopf; ich liebte es, dass ich ihn zum Lachen bringen konnte, wenn er traurig war; ich liebte es, wenn er träumte; ich liebte es, wenn er auch Holzwege zu Ende ging, solange ich an seiner Seite gehen konnte. Ich hasste es zwar, dass er Söldner gewesen war, und noch war, doch ich konnte nicht anders, als seine verkrampften Finger zu küssen, wenn sie sich von der Waffe lösten, und ihn in meinen Armen den Tod vergessen zu lassen. Er hatte mir gesagt, dass all sein Kämpfen, sein ganzes Leben, nicht sinnlos und falsch gewesen war; denn wenn es hieß, dass er jemanden finden konnte, den er so sehr liebte, wie mich, dann wusste er, dass Gott ein Einsehen hatte, und er nicht verloren war; dass, wenn seine Seele auch verdorben wäre, sein Herz durch mich unsterblich würde, dass ich sein Erlöser wäre und sein Licht, Beginn und Ende aller Sehnsucht, der Beweis für die Existenz eines Himmels. Gott könnte ihn nicht hassen, wenn er ihm erlaubte, eine Liebe zu finden, die so rein und wunderschön war wie unsere. Und dann lächelte er und sagte, er liebte mich; und küsste mich, so innig, dass mir schwindlig wurde vor Glück. Und ich hatte ihn gehen lassen. Ich hatte mir selber das Herz herausgeschnitten, um den Mann glücklich zu machen, den ich mehr als jeden anderen auf der Welt liebte, und ich hatte nicht gedacht, dass es so entsetzlich wehtun würde. Jetzt lag ich auf meinem Bett und weinte stumm. Und irgendwo in der lauschenden Stille meines Zimmers in der tiefsten Nacht, allein mit meiner Sehnsucht, konnte ich, durch das schwache Zittern meines Atems, hören, wie mein Herz leise brach. Zwischenspiel: Sakuya, Fuchs, Ilja, Diego, Rose, Valentin, Yukio, Yuen, Minh & Antti: Stille Nacht Die hohen Tannen atmen heiser im Winterschnee, und bauschiger schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser. Die weißen Wege werden leiser, die trauten Stuben lauschiger. Da singt die Uhr, die Kinder zittern: Im grünen Ofen kracht ein Scheit und stürzt in lichten Lohgewittern, - und draußen wächst im Flockenflittern der weiße Tag zur Ewigkeit. -Rainer Maria Rilke Fuchs johlte. Der Schnee stob um seine Füße, als er zu dem gestürzten Tier rannte; Sakuya stieg vom Pferd und folgte ihm nach, sich die Kapuze vom Kopf ziehend. Der Rothaarige sah auf und grinste, sein Freund grinste zurück. „Guter Schuss.“ „Das wärs dann, denke ich, damit haben wir genug geliefert für die restlichen Feiertage.“ „Da wär ich mir nicht so sicher, aber wir lassen es gut sein für heute.“ Fuchs hob das Tier halb aus dem Schnee, helles Blut sprenkelte das Weiß zu seinen Füßen; er feixte, als er den Hirsch beim Geweih hielt. „Na, willst du's doch nochmal versuchen?“ Sein Atem gefror vor seinem Gesicht, als er lachte; er setzte ebenfalls die Mütze ab und wischte sich damit über die geröteten Wangen, sein Lachen hallte wider zwischen den hohen Tannen der Lichtung, auf der sie standen; man hörte die Pferde leise schnauben, ansonsten nur Stille, der Schnee schluckte alle Geräusche. Fuchs hievte den Tierkörper an. „Hier, ich halt ihn für dich fest, und du darfst auch ganz nah rangehen.“ „Idiot!“ Sakuya lachte und kickte mit dem Fuß eine Ladung Pulverschnee in Fuchs' Gesicht, der sich nur grinsend abwandte. „Yeah! Du hast mich getroffen! Gut gemacht, ich hab immer an dich geglaubt!“ Er ließ den Hirsch in den Schnee sinken, als ihn ein Schneeball an der Schulter traf. „Kein Grund neidisch zu werden – du darfst ihn dafür aufschnallen.“ „Das kann der erfolgreiche Jäger gefälligst allein machen.“ Letztendlich zogen sie doch beide das schwere Tier auf den mitgebrachten Schlitten; Fuchs' Pferd scheute etwas. „Was machen wir mit dem Geweih?“ „Bind seinen Kopf fest, hier. So geht’s. - Wir laden dem Rappen die Waffen auf und du reitest bei mir mit.“ Fuchs nickte und schnallte seine Armbrust am Sattel seines Tieres fest, sah zum Himmel. „Glück gehabt, es wird schon dunkel.“ „Wir haben noch genug Zeit.“ „Wofür?“ Fuchs drehte sich etwas zu langsam um, um noch einem Schneeball auszuweichen, der zielsicher auf sein Gesicht zugeflogen kam und an seiner Wange explodierte. „...Du Arsch! Dafür bist du dran!“ Sakuya kam keine zwei Schritte weit, ehe sich sein Freund auf ihn stürzte und ihn mit sich in den Schnee riss, und brauchte auch keine zwei Griffe, um den Rothaarigen seinerseits von sich zu werfen, nur um sofort darauf zwei Handvoll Schnee im Gesicht zu haben. Saku wandte den Kopf ab und wischte sich den Schnee aus den Augen, Fuchs warf sich auf ihn und den Schwarzhaarigen auf den Rücken in den Schnee. „Gibst du auf?“ „Niemals!“ Sakuya wand sich unter dem gleich Starken, der ihn eisern festhielt, und lachte atemlos. „Du hast keine Chance!“ „Ach nein?“ Fuchs keuchte, sein warmer Atem gefror vor seinem Gesicht, das Schnaufen des Schwarzhaarigen unter ihm klang laut zwischen den hohen Tannen, als Sakuya sich ein letztes Mal anspannte und Fuchs umklammerte, auf den Rücken drehte und ihn mit seinem Körper festnagelte. Der Grünäugige rang nach Atem, zuckte in dem Versuch, Sakuya von sich zu drücken. „Was hast du vor? Was machst du? Neeeein mach das nicht!“ Er lachte und wand sich, als Sakuya mit einem Arm den Schnee neben sich zusammenschaufelte, dabei Mühe hatte, den schlanken Rothaarigen weiter am Boden zu halten. „Das wirst du be- pfffff!“ Fuchs prustete, als Sakuya ihm den Schnee über den Kopf schaufelte, und entwand sich dann doch dem Griff des Älteren, der aus der Hocke aufsprang, ehe ihn der von Fuchs geworfene Konter treffen konnte, ließ sich dann neben diesem auf den Boden fallen. „Ich hab gewonnen.“ Fuchs wischte sich keuchend den Schnee aus dem Gesicht. „Ich hab dich gewinnen lassen.“ „Du hast um Gnade gewimmert.“ „Als ob.“ Sakuya lag neben Fuchs im Schnee, sah nach oben in die Tannenwipfel; er schloss die Augen, hörte den Atem seines Freundes neben sich und das Schnauben der Pferde, spürte die Wärme unter seiner Jacke nach dem kurzen Gerangel, spürte das Beißen der Kälte auf seiner Haut, wo der Schnee geschmolzen war, roch ganz fein den Duft der Tannennadeln im aufgewühlten Schnee und die feinen Spuren des Hirschblutes auf seiner Kleidung. „Wintersonnenwende.“ „Was?“ „Ilja hatte irgendwie recht.“ Fuchs schniefte leise und wischte sich den Schnee aus den Augen. „Jagd und Schnee und Blut und der Atem der Tiere im Tann. Das ist nicht Weihnachten, das ist Sonnenwende. So gesehen, es war immer eher Sonnenwende, als Weihnachten, für uns beide. Es war immer Schnee und Blut.“ „Wir sind Jäger. Es wird noch Weihnachten. Zuhause.“ „Saku?“ Der Schwarzhaarige schlug die Augen auf, Fuchs hatte sich aufgesetzt und hielt ihm die bloße Hand hin. „Same procedure as last year?“ Er grinste. „Das ist Silvester, was du meinst.“ Sakuya kicherte, die schwarzen Haare lagen nass um sein Gesicht im Schnee. „Schlag trotzdem ein.“ Sakuya zog den Handschuh aus und griff die dargebotene Hand. „Das wird nicht unser letztes Weihnachten.“ „Das wird nicht unser letztes Weihnachten.“ Er ließ sich von dem Rothaarigen auf die Füße ziehen. „Versprochen.“ „Aye.“ Beide traten zu den Pferden, die im Schnee scharrten. „Wir liefern den Hirsch ab und sind rechtzeitig zum Essen daheim.“ „Meinst du, inzwischen ist der Baum geschmückt oder zerlegt?“ Sakuya stieg in den Sattel, Fuchs saß hinter ihm auf und rutschte in Position, sein Tier am Zügel haltend. Der Schwarzhaarige lachte, klopfte sich den Schnee von der Hose. „Solange die Kekse nicht alle gegessen sind, bin ich zufrieden.“ „Keine Ansprüche mehr?“ „Nicht in diesem Haus.“ Besagter Baum war am Vormittag Gegenstand des Streits geworden. Seit einigen Wochen wohnte ein Junge im Haus, Yukio; er hatte nicht wirklich Anlass gehabt, sich auf Heiligabend zu freuen, nach allem, was er durchgemacht hatte, daher hatte Rose ihm kurzerhand versprochen, dass er den Baumschmuck übernehmen dürfe, um ihn aufzumuntern. Das mit dem Aufmuntern hatte auch großartig funktioniert; in Ermangelung von Weihnachtsschmuck hatten die Jungs sich angewöhnt, das Zimmer mit Kerzen und Tannenzweigen zu dekorieren, und den Baum mit Äpfeln, Lichterketten und Keksen; einen kleinen Glasvogel für die Spitze gab es. Da die Meinungen über Weihnachten innerhalb der Wg recht divers waren und von 'Wir feiern die Heilige Nacht und dass wir noch leben' (Sakuya) über 'Seid doch bitte wenigstens einmal im Jahr ein bisschen feierlich' (Rose) und 'Gott ist tot und ich weigere mich, mich irgendeiner verpflichteten Idylle anzuschließen, aber Kekse will ich trotzdem' (Valentin) bis hin zu abstruseren Blüten der Weihnachtlichkeit wie Iljas 'Wie wärs, wenn wir den Baum dieses Jahr mit Runen und Julböcken schmücken und Wintersonnenwende feiern'. Fuchs hatte die Idee grundsätzlich gut gefunden, da sie auch die Atheisten und Weihnachtshasser im Rudel zufrieden stellte; Sakuya allerdings hatte gedroht, eher die Anlage zu besetzen und von Weihnachten bis Neujahr 'Last Christmas' in voller Lautstärke abzuspielen, ehe jemand ihn dazu bringen würde, das Weihnachten zu ruinieren, auf das er jahrelang hatte verzichten müssen, und zwar eins zuhause, mit der Familie, in Ruhe und Frieden, und wenn nicht alle sofort ein wenig besinnlicher wurden und das Fest mit dem gebotenen Ernst angingen, dann würde er Gewalt anwenden müssen, gottverdammt nochmal. So waren dann doch die Vorbereitungen in vollem Gange gewesen, als sie ausgeritten waren um Wild für einen Kunden zu jagen, doch die Besinnlichkeit war vorüber gewesen, als Yukio es irgendwie geschafft hatte, von irgendwoher Lametta zu besorgen, um den Baum großzügig mit diesem und roten Schleifen zu schmücken; sah eigentlich ganz hübsch aus, musste sogar Valentin zugeben, und der allgemeine Beifall hielt genau solange an, bis Diego aus seinem Zimmer gekommen war, und begonnen hatte, fast alles, was Yukio aufhängte, wieder herunterzureißen und dabei laut zu proklamieren, unter einem derart schwulen Baum würde er nicht Weihnachten feiern. Yuki hatte ihm prompt den Schmuck entrissen und wieder aufgehängt, und Diego hatte es wieder herabgerissen, zeternd, und nach kürzester Zeit flogen Nadeln und Lametta, und der Japaner und der Spanier rissen an je einer Seite einer Kiste mit goldenen Sternen; Sakuya und Fuchs hatten die Flucht ergriffen, ehe sie in die Schussbahn gerieten im Krieg um das Baumstyling. Sakuya verstand nicht ganz, warum Diego sich von dem Kleinen so ärgern ließ; er selber fand diesen eigentlich sehr süß. Allerdings schien Diego sich selber in der Pflicht zu sehen, seine Männlichkeit zu behaupten; Yukio wurde damit Staatsfeind Nummer Eins. Wenn Sakuya es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, der kleine traurige Japaner hätte Spaß daran gefunden, den Schwarzhaarigen auf die Palme zu bringen, seit er in der Vorweihnachtszeit angefangen hatte, ihn zu necken. Diego jedenfalls schien nicht nachtragend, wenn er sich auch schnell aus der Fassung bringen ließ, und begann langsam, seinerseits zu kontern, so dass die zwei begannen, wie ein ungleiches Geschwisterpaar zu wirken. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf der Welt so Weihnachten feiert wie wir. Wirklich nicht. Ich hab ja einiges Seltsames erlebt in meinem Leben, aber ihr überrascht mich immer wieder. Eigentlich sollten wir ein traumatisierter Haufen perverser Soziopathen sein, und reif für die Anstalt, oder zumindest für eine gründliche Therapie, um den ganzen Mist wieder aus der Seele zu bekommen. - Stattdessen feiern wir Weihnachten. Was hat diese verrückte Welt nur aus uns gemacht?“ „Philosophen, wie es scheint.“ Fuchs grinste bei diesen Worten und prostete Rose mit einem Becher Glühwein zu. „Gut gesagt.“ Es war eine gewisse Ruhe eingekehrt in den Abend, als das Rudel im Wohnzimmer zusammensaß; die Kerzen brannten, und jeder hielt seinen Becher Glühwein in der Hand, bis auf Yuen, der bereits ausgetrunken hatte, und Ilja, der sich an Kakao hielt. „Mach mal die Musik leiser!“ Diego griff rüber zur Anlage und drehte über den Kopf eines protestierenden Valentin hinweg den Ton leiser. „Ich hab grad erst angefangen!“ „Man versteht kein Wort!“ „Na und, es redet doch auch gerade keiner!“ Rose sah auf; im Schneidersitz auf dem Sessel hockend. „Jungs! Ein einziges Mal im Jahr im Wohnzimmer zusammensitzen ohne dass jemand sich mit jemand anderem streitet, geht das?“ „Wir sind inzwischen zu acht, was erwartest du?“ „Wir sind neun. Und es ist Weihnachten!“ „Hey! Das sieht gut aus!“ Sakuya unterbrach das Gespräch und lachte Yuki an, der die Treppe heruntergekommen war und ein wenig verlegen grinste. Er trug einen weichen schwarzen Kapuzenpullover und eine dunkelgraue Jeans, dazu neue Converses; sah dann auf und drehte sich einmal; seine feinen schwarzen Haare fielen ihm weich gekämmt in die Kapuze. Fuchs lachte. „Ich bin so froh, dass alles passt!“ „Ich weiß schon, was ich tue“, grinste Rose und stand auf. „Hast du die anderen Sachen auch anprobiert?“ Yukio nickte und lächelte stumm, fiel dann dem Pinkhaarigen um den Hals, und dann jedem einzelnen folgend, den Zwillingen gemeinsam, Ilja verkippte fast seinen Kakao als er den kleinen Japaner in den Arm nahm; sogar Diego wurde bedacht, der ein wenig verlegen die Umarmung erwiderte. „Danke, vielen Dank! Das ist so lieb von euch allen!“ „Schön, wenn du dich freust.“ „Hmm.“ Yuki nickte mit leuchtenden Augen und ließ sich dann neben Fuchs aufs Sofa sinken. „Jetzt muss ich nicht mehr deine Sachen leihen, Rose, mein Schatz.“ Minh stand auf. „Hat noch jemand Hunger?“ „Was holst du?“ „Kekse.“ „Dann ja!“ Die Zwillinge hatten beide an diesem Abend knallrote Haare; beide waren verantwortlich gewesen für einen Großteil der Verpflegung am Heiligabend, der jetzt vernichtet worden war; Kekse, Schinken, Kartoffelsalat und Puter. Der Weihnachtsbaum und das ganze Wohnzimmer waren inzwischen nach gemeinschaftlichem Geschmack geschmückt worden, nachdem außer Diego letztendlich jeder zu seinem Recht hatte kommen wollen; so fanden sich tatsächlich kleine Runensteine am Baum, das Lametta war auf die linke Seite verbannt worden, gemeinschaftlich mit den von Yuen und Minh gebackenen Keksen, die allerdings trotz Sakuyas wachsamen Blicken auf wundersame Weise immer weniger wurden; die rechte Seite strahlte in jungfräulichem Grün mit Lichterkette. Rose hatte überall im Zimmer Kerzen aufgestellt, die ein warmes Licht verbreiteten und ihren flackernden Schein in die Augen der Bewohner legten, die sich überall im kleinen warmen Raum verteilt hatten; im Kamin brannte ein kleines Feuer, darüber thronte ein von Valentin gesponsorter Widderschädel mit einem von Yukio gesponsorten Mützchen aus Geschenkpapier. Diego war in die Bresche gesprungen und hatte noch einige Lichterketten mehr organisiert und angeschlossen, nachdem Ilja sich fast die elend langen Haare an den Kerzenflammen angesengt hatte beim Versuch, einem dreizehnjährigen Chinesen auszuweichen, der lautstark Yuki aus der Küche verjagt und seine Keksglasur zurückerobert hatte. Das Rudel hatte Decken und Kissen auf dem Boden ausgelegt, so dass sich nicht alle auf dem kleinen Sofa drängen mussten; Diego saß jetzt neben Valentin auf dem Boden vor der Stereoanlage und beide nahmen eine Feinjustierung an der Lautstärke von Vals neuen CDs vor, Ilja hatte sich in sicherer Entfernung vom offenen Feuer neben Rose am Sessel niedergelassen und lachte, als sich dieser zu ihm hinunterbeugte und ihm etwas ins Ohr sagte; seine blonden Haare schimmerten golden im Kerzenschein, um Roses Hals hing locker ein wollener Schal, den er bekommen hatte, Fuchs hatte ihn gestrickt, als Einziger im Haus, der diese Kunst seit Kurzem beherrschte. Yuen lag neben ihm auf dem Boden und verglich die Dvds, die er und Valentin bekommen hatten, die meisten waren gebrannt; um den Hals trug er einen Schal aus einer alten Bandflagge, ein Geschenk von Ilja; Minh hatte sich die andere Hälfte locker über die Schulter geschlungen, als er aus der Küche kam, einen Teller Kekse vor dem schmalen Körper balancierend. Yuki saß auf dem Sofa, jetzt mit dem Rücken an Fuchs gelehnt, der einen Arm um die Schulter des Kleineren gelegt hatte, welcher sich von Minh Kekse reichen ließ. Fuchs selber hielt in der anderen Hand das Buch, das Sakuya ihm geschenkt hatte – eine Kurzgeschichtensammlung von Neil Gaiman. Saku hockte im Schneidersitz daneben, grinste. „Wenn du so weitermachst, hast du morgen schon nichts mehr davon.“ Fuchs kicherte, stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite. „Ist doch zum Lesen da.“ Yuen stand auf, nachdem Minh den Teller mit den Keksen auf den Tisch gestellt hatte. Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis alle Anwesenden ihn bemerkten, und auch Rose sein angeregtes Gespräch mit Ilja unterbrach; der Dreizehnjährige lächelte schwach, seinen Bruder neben sich. „Wir wollten gern was sagen.“ Valentin drehte die Musik leiser, so dass jetzt nicht mehr Black Metal über den Weihnachtsbaum dröhnte. Die Zwillinge nebeneinander sahen sich zum Verwechseln ähnlich mit derselben Haarfarbe, man konnte einzig Yuen daran erkennen, dass er einen Schritt weiter vorne stand als sein zurückhaltenderer Bruder; er wirkte fast ein wenig verlegen, hielt die dunklen Mandelaugen niedergeschlagen. „Es ist so....wir sind ja nie wirklich dazu gekommen, Weihnachten zu feiern. Wir hatten uns gedacht, wenn wir euch bei den Vorbereitungen helfen, können wir einiges wieder gutmachen, aber ich glaube, das reicht nicht aus, daher...naja, daher sage ich jetzt ein paar Worte. Oder willst du zuerst?“ Er sah zu Minh, der nickte. „Wir sind jetzt nicht Leute, die wahnsinnig emotional werden, wollen wir auch gar nicht. Als Ilja uns im Herbst hergebracht hat, wussten wir noch gar nicht, ob wir bleiben würden.“ „Eigentlich waren wir sicher, dass wir wieder gehen.“ „Aber irgendwie ist es dann doch anders gekommen; und wir wollten uns bei euch bedanken. Dass ihr uns aufgenommen habt, einfach so, weil wir es wirklich brauchen konnten. Brauchen können. Ich weiß gar nicht, was das Kriterium ist, hier reinzupassen, aber wir sind ziemlich froh, dass wir es offensichtlich irgendwie erfüllen, trotz allem.“ „Und dass ihr uns nicht wie Kinder behandelt, sondern wie Erwachsene. Das tut gut. Wir sind ja nicht blöd oder zurückgeblieben.“ „Und dass ihr respektiert, dass wir unseren Freiraum brauchen.“ „Und vor allem wollte ich mich bei Ilja entschuldigen, dass ich ihn letzte Woche verletzt habe. Das war wirklich, wirklich nicht absichtlich.“ „Und bei Ilja wollen wir uns sowieso ganz besonders bedanken, für alles. Dass du immer für uns da bist.“ „Eigentlich bei allen hier. Eigentlich glaube ich nicht, dass das Schicksal für uns vorgesehen hat, mal Weihnachten zu verbringen. Uns ist soviel Schlechtes passiert, wenn wir jetzt tot wären, wäre es vielleicht noch das Beste. Ich bin auch nicht der Meinung, dass aus uns nochmal groß was wird, dazu sind wir wahrscheinlich schon zu jung zu kaputt gegangen. Vor allem Minh.“ „Vor allem Yuen. Aber wenn wir jetzt hier sein können, und für eine kurze Zeit im Leben nicht jeden Tag hassen wollen, dann ist das fast sowas wie ein kleines Wunder.“ „Und deswegen wollten wir nur sagen....danke, dass ihr uns so aufnehmt, wie wir sind.“ „Und frohe Weihnachten.“ Es vergingen einige gerührte Sekunden, in denen niemand ein Wort sprach, bis Ilja das Wort ergriff. „Danke“, sagte er leise. „Ihr könnt euch sicher sein, dass ich auch weiterhin für euch da bin, so lange wie ihr es braucht oder wollt. Und ich denke, das gilt für alle anderen hier auch. Bleibt, wie ihr seid. Ihr müsst mit euch ins Reine kommen, nicht wir.“ Yuen nickte und setzte sich wieder neben ihn auf den Boden, Minh an der Hand mit sich ziehend. „Mehr wollten wir auch schon gar nicht mehr sagen“, murmelte er, den Kopf gesenkt, die Haare fielen ihm ins Gesicht; sein Zwilling saß hinter ihm, ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Yuki sprach als nächster; er saß im Schneidersitz auf dem Sofa, die Schultern in dem weichen Pulli etwas hochgezogen. „Darf ich auch was sagen....?“ Seine Stimme war leise, sein Blick flackerte zu Yuen, als sei er nicht sicher, ob er sich anschließen durfte, der kleine Chinese nickte aber nur leicht. „Okay...ähm... Ich weiß nicht, ob ich wirklich auch so viel hinter mir habe...wahrscheinlich nicht...ich wollte nur sagen...danke euch allen....dass ihr mich so lieb aufgenommen habt. Danke, Rose, dass du mich nicht einfach hast stehenlassen, ich weiß gar nicht wo ich jetzt sonst wäre. Und danke allen für eure Hilfe bei....als...mit....für die Beerdigung.“ Er atmete einmal tief durch. „Ich weiß, dass ich nicht immer fröhlich sein kann....aber....naja, manchmal. Dank euch. Danke, dass ihr nicht zulasst, dass Menschen ganz allein sind.“ „Ja, von mir auch“, brach Diego plötzlich das Schweigen, den Blick gesenkt, die rauen Hände verschränkt. Seine dunklen Augen glitzerten im Feuerschein. „Ich dachte wirklich, ich finde im Leben nur noch Hunger und Krieg. Ich dachte, ich renne nur von einem Tag zum nächsten, um irgendwie zu überleben, und irgendwann auf der Straße zu sterben, wie alle anderen Leute die ich je kannte. Ich bin jahrelang nur gejagt und geprügelt worden. Ich dachte, diese Welt ist einfach nur völlig kaputt. Und dass ich nie sowas wie auch nur eine glückliche Minute finden würde. Aber vor allem nicht, dass ich Freunde finden würde. Mitten in diesem kaputten Land. Und Weihnachten verbringen, als hätten wir wirklich Frieden.“ „Diese Stadt ist eine Oase“, sagte Ilja leise. „Dafür, dass hier Armut herrscht, dass wir kein Internet haben, kein Telefon, oft keinen Strom, keine Fabriken, keine funktionierende Politik....lässt man uns in Ruhe. Als ich hierherkam, war ich völlig kaputt. Ich kam direkt aus einer Welt, in der sogar Kinder ermordet werden, wenn sie im Weg sind. Mein Freund Kyrill wäre froh, wenn er das hier sehen könnte. Dass es nach unserer langen Reise so einen Ort gibt, an dem man in Frieden leben kann. Er hat es leider nicht geschafft und ist hier in diesem Haus gestorben. Ich zünde heute Nacht eine Kerze für ihn an.“ „Darf ich auch eine bekommen?“, fragte Yukio leise. Ilja nickte. „Ich glaube, wir haben alle eine oder mehrere Personen, für die wir heute Nacht eine Kerze anzünden sollten.“ „Hier.“ Valentin reichte ihm eine Hand voll Teelichter. Rose reichte sie weiter und nahm sich selber eines davon. „Ich möchte auch eine Kerze anzünden. Für meine Eltern. Ich bin sicher, dass, wenn sie noch leben würden, sie sehr glücklich wären, dass ich jetzt hier bin. Von allen Orten, an denen ich hätte landen können, wenn ich etwas weniger Glück gehabt hätte. - Saku, Fuchs, ich verdanke euch alles, ich kann das nie wieder gut machen. Aber ich glaube, ihr wisst das.“ „Du tust schon mehr, als du glaubst“, sagte Sakuya leise, während die Kerzen herumgingen. Rose stellte seine Kerze ins Fenster, Ilja stand auf und tat es ihm gleich, stellte Kyrills Kerze daneben. Die Zwillinge folgten ihm, mit je einem Teelicht, für Mutter und Vater, die seit so vielen Jahren schon tot waren. „Ich bin froh, dass sie nicht mehr miterleben, was mit uns passiert ist.“ Yuki weinte ein wenig, als er die Kerze für Julian ins Fenster stellte, und wurde von Ilja in den starken Arm genommen; Diego senkte ein wenig den Blick, entzündete sein Licht an Yukis. „Für meine kleine Schwester.“ Fuchs stand neben Sakuya, hielt ihm seine Kerze entgegen, so dass Sakuya seine daran entzünden konnte. „Für meinen Vater, und für Sakus Vater, die uns zu Heiligabend immer mit dem Schlitten zur Kirche gezogen haben.“ Saku schmunzelte leicht. „Für unsere Väter; ich denke oft an sie. Wenn sie nicht befreundet gewesen wären, wären wir es heute sicher auch nicht. Es bringt soviel Gutes hervor.“ „Val, willst du für niemanden in deiner Familie eine Kerze anzünden?“ Der Blonde stand auf, schüttelte den Kopf, fuhr sich durch das wirre Haar. Er biss sich auf seinen dunklen Ring in der Lippe. „Von denen ist es keiner wert, eine Kerze anzuzünden.“ Er nahm sich dennoch ein Teelicht, zündete es mit seinem Feuerzeug an und sah ein Weile in die Flamme; das Licht tanzte in seinen blauen Augen. „Für euch. Die besten Freunde, die ich je hatte.“ Es war bereits nach zehn Uhr; Valentin hatte sich irgendwann überreden lassen, etwas Ruhigeres einzulegen, und alle lagen oder hingen auf den Möbeln ihrer Wahl und hörten Musik und unterhielten sich und lachten leise, bis auf Yuki, der eingenickt war, Rose, der den Glühwein in der Küche wieder heiß machte, und Sakuya, der sich beim Versuch, Rose seine Kamera wegzunehmen, mit ebenjenem Glühwein bekleckert hatte und nun duschte. Fuchs saß mit einem breiten Grinsen auf dem Sofa und sah sich die Bilder auf dem Display der kleinen Kamera an. Es war warm im Zimmer, auch wenn die Scheite im Kamin bereits zusammengefallen waren und nur noch ein tiefrotes Glühen abgaben; draußen fiel der Schnee in dichten Flocken. Ilja lachte und alberte mit Diego herum, während Valentin und die Zwillinge Dvds verglichen und tauschten; plötzlich klopfte es leise an der Tür. „Hey, der Weihnachtsmann!“, grinste der Spanier; Yuen zeigte ihm einen Vogel. Fuchs sah auf, so dass Yuki neben ihm aus dem Schlaf schreckte, ließ die Kamera neben sich auf das Polster sinken, der Kerzenschein ließ seine Haare rotgolden schimmern. „Komm rein, die Tür ist offen!“ Mit einem Knarzen öffnete sich die Haustür, und eine hell bekleidete Gestalt trat ein, streifte sich die Stiefel ab und strahlte ins Wohnzimmer. „Hei, frohe Weihnachten!“ „Schaut an, es stimmt, der Weihnachtsmann kommt aus Finnland.“ „Bis der als Weihnachtsmann gilt, muss er aber noch einiges zulegen. Frohe Weihnachten, mein Lieber.“ Rose kam aus der Küche und begrüßte Antti mit einem Kuss auf die Wange, der ihn anlachte und sich den weißen Wollschal vom Hals wickelte. Er streifte sich die Mütze ab und hängte sie neben seinen hellgrauen Wintermantel an den Haken; die Spitzen seiner Haare waren nass, und schmelzende Flocken glitzerten darin; er trug unter dem Mantel ein schwarzes T-Shirt mit violettem Aufdruck und ein ebenfalls violettes Halstuch; über der hellgrauen Jeans hatte er weiße Wollstulpen an, die seine schlanken Beine bis zu den Knien wärmten. An den Händen trug er schwarze fingerlose Handschuhe, seine Nägel waren weiß lackiert. Antti schmunzelte in die Runde, seine Wangen waren etwas gerötet von der Kälte draußen, in seinem rechten Ohr funkelte ein silberner Anhänger in Form einer Feder um die Wette mit seinen dunkel geschminkten Augen. Fuchs war aufgestanden und kam auf ihn zu, um ihn herzlich zu umarmen; Antti erwiderte das lachend. „Frohe Weihnachten, Antti.“ „Wünsch ich dir auch.“ Die beiden gleich Großen lösten sich voneinander, Fuchs grinste leicht, legte dem Finnen die Hand auf die Schulter. „Gut siehst du aus. - Wir hatten uns schon gefragt, wann du kommst.“ „Oh, ja.“ Der Finne verdrehte die Augen und wandte sich zu Ilja, der herangetreten war, um ihn ebenfalls zu begrüßen. „Frag nicht. - Hallo, Ilja, frohe Weihnachten! - Der Kleine wollte einfach nicht ins Bett, er war so aufgedreht. Ich musste jedes Weihnachtslied singen, dass ich kenne; und ständig hieß es noch: nochmal! Am Ende hab ich auf die finnischen zurückgreifen müssen.“ „Bin ich froh, dass wir hier keine Kinder haben.“ Valentin fiel seinem guten Freund in die Arme, der jetzt ins Wohnzimmer getreten war. „Oh, nein, es war ein wunderschöner Abend! Du hättest ihn sehen sollen, er hat so gestrahlt. Weihnachten ohne leuchtende Kinderaugen ist doch nicht dasselbe.“ „Setz dich erstmal. Willst du Glühwein?“ „Oh ja, gerne, wenn ihr welchen übrig habt.“ „Übrig haben? Wir haben uns das Zeug vom Mund abgespart für dich.“ Antti setzt sich auf das Sofa und lachte herzlich; Fuchs ließ sich neben ihn sinken, während Valentin in der Küche verschwand. „Komm, Antti, wenn du keine Familie zuhause hättest, hättest du auch schon heute Morgen kommen können. Du gehörst zur Familie, das weißt du doch.“ Antti lächelte stumm, nahm dankend eine Tasse von Valentin entgegen, der dann zu den Zwillingen plumpste. „Wo ist denn Sakuya?“ Er sah Fuchs verwirrt an, der neben ihm feixte. „Was ist so lustig?“ „Oh, nichts. Ich hab mich nur gewundert, wann du mit Smalltalk fertig bist und nach den wirklich wichtigen Sachen fragst.“ Antti wurde ein wenig rot, lächelte aber, schloss die behandschuhten Finger um seine Tasse und nahm einen Schluck. „Wichtig seid ihr alle.“ „Schleimer. Er ist oben, duscht. Hat sich mit Glühwein bekleckert.“ „Oh, ach so.“ „Sag mal....euer Gig neulich.“ „Vorige Woche?“ Fuchs nickte. „Ich habs mir angesehen. Ihr habt aber viel Neues gespielt, oder?“ Antti nickte ebenfalls. „Ja, ich hab dich gesehen. - Wir haben einige Sachen gecovert, die werden aber nicht auf dem nächsten Album sein. Aber weil es so kurz vor Heiligabend war, wollten wir ein paar ruhigere Sachen spielen.“ „Schade. Die haben mir wirklich gut gefallen. Du hast eine tolle Stimme, live viel besser als auf Cd. Wenn ihr das nächste Mal im Eden spielt, sag auf jeden Fall Bescheid, ich werd wieder hingehen.“ Antti strahlte ihn an. „Danke! Das freut mich, dass es dir gefallen hat. Wir hatten einen guten Tag.“ „Nein, ihr seid immer gut. Ich mag eigentlich Softrock nur selten, aber ich mochte das Bryan Adams-Cover, es passte gut zu dir.“ „'Heaven'.“ „Ja.“ Antti lächelte. „Ja, ich mag das auch sehr. Vielleicht nehmen wir das auch mit aufs Album auf, als Bonustrack oder so. Wir sind noch nicht sicher. Jimi arbeitet noch ein wenig daran.“ „Wenn du meine Meinung hören willst – nehmt es.“ Valentin sah auf. „Eh, Antti. Du schuldest mir noch ein Ständchen. Ich fordere das jetzt ein.“ Antti lachte fröhlich, strich sich mit einer Hand eine helle Strähne hinters Ohr. „Sicher, dass du nicht auf eine bessere Gelegenheit warten willst?“ „Wieso? Es ist Weihnachten. Ach, komm schon! Jetzt haben wir alle noch was davon.“ „Außer Saku.“ „Saku hört ihn ständig singen.“ „Sakuya ist wahrscheinlich froh, wenn er mich mal einen Tag lang nicht anhören muss.“ Antti kicherte. „Okay. Aber das wird das letzte Lied, das ich heute singe. Ich bin keine Jukebox.“ „Okay.“ Der blonde Finne stellte die Tasse vor sich auf den Tisch, stand auf, summte ein wenig, um den richtigen Ton zu finden, ehe er den Mund öffnete und das Lied anstimmte, welches Fuchs so sehr gefallen hatte, die blaugrünen Augen halb geschlossen, in denen sich das Kerzenlicht brach; seine Stimme hing in der Luft, klar und kräftig wie die Winternacht vor dem Fenster, und zugleich mit einem leidenschaftlichen Unterton, samtig, aufrichtig. „Oh thinking about all our younger years there was only you and me we were young and wild and free Now nothing can take you away from me we've been down that road before but that's over now you keep me coming back for more Baby you're all that I want when you're lying here in my arms I'm finding it hard to believe we're in heaven And love is all that I need and I found it there in your heart it isn't too hard to see we're in heaven Oh once in your life you'll find someone who will turn your world around bring you up when you're feeling down Yeah nothing can change what you mean to me oh there's lots that I could say but just hold me now 'cause our love will light the way And baby you're all that I want when you're lying here in my arms I'm finding it hard to believe we're in heaven Yeah and love is all that I need and I found it there in your heart it isn't too hard to see we're in heaven“ Er brach ab und in ein Lächeln aus, als sein Blick auf die dunkel gekleidete Gestalt fiel, die die Treppe hinabgekommen war und stumm zugehört hatte, jetzt den Kopf leise schmunzelnd neigte, ihre dunklen Augen glitzerten im Halbdunkel des Treppenaufgangs. „Sakuya...!“ Besagter hatte sich ein frisches T-Shirt angezogen, trug noch immer seinen Silberschmuck, der sich hell abhob von seiner schwarzen Kleidung; er hatte dezent Kajal aufgetragen, und seine grauen Augen glühten förmlich über dem blassen Gesicht. „Hey...!“ Er ging auf Antti zu, der ihm seinerseits schon entgegenkam, und fiel dem Blonden in die Arme, der sich an ihn schmiegte; gleich groß, doch schmaler. „Du hast mir gefehlt...“ Der Finne kam nicht dazu, etwas zu erwidern, ehe sich Sakuyas Lippen sanft auf seine legten; er zitterte ein wenig, schloss die Augen, die Arme um Sakus Hals gelegt, und erwiderte den Kuss zärtlich; Sakuyas Hände lagen leicht auf seinem Rücken und hielten ihn an den muskulöseren Körper gezogen. Saku hielt die Augen geschlossen bei Anttis Kuss, lächelte, als sie sich nach einer Ewigkeit wieder lösten, die Stirn an Anttis Stirn gelegt, strich ihm eine noch feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Frohe Weihnachten, mein Engel...“ „Frohe Weihnachten“, flüsterte Antti. Es gibt so wunderweiße Nächte, Drin alle Dinge Silber sind. Da schimmert manchen Stern so lind, Als ob er fromme Hirten brächte Zu einem neuem Jesuskind. Weit wie mit dichtem Demantstaube Bestreut, erscheinen Flur und Flut, Und in die Herzen, traumgemut, Steigt ein kapellenloser Glaube, Der leise seine Wunder tut. Rainer Maria Rilke Es schneite noch immer, die weichen Flocken fielen aus dem schwarzen Himmel; in den Straßen war es fast dunkel, alle paar Meter, in den bewohnten Häusern, schienen Kerzen und Lichter in die Nacht und warfen einen glitzernden Schein auf die unberührte weiße Decke, die nur hier und da von Fußspuren unterbrochen war. Es war fast Mitternacht, und die Heilige Nacht schien jedes Geräusch zu schlucken, bis auf das leise Geräusch ihrer Schritte im Schnee, und ein entferntes Lachen aus einem geöffneten Fenster. Anttis Finger hatten sich mit Sakuyas verschränkt, als sie durch die Winternacht gingen, jener beugte sich zu ihm und strich sanft mit den Lippen über seine Schläfe, küsste eine Schneeflocke von der warmen Haut. Zuhause waren alle von Antti mit Keksen beschenkt worden, der, nicht zuletzt durch Roses Feststellung, bei dieser Menge an Plätzchen musste der Finne wahre Heerscharen an Gebäck produziert haben, sehr erleichtert gewesen war, mit Kartoffelsalat bewirtet zu werden. Tatsächlich hatte Antti für gut zwanzig Leute gebacken, zusätzlich noch zu seiner eigenen kleinen WG, und würde sich seiner eigenen Aussage nach vom Dach stürzen, wenn er noch einen einzigen Keks essen müsste in diesem Winter. Stattdessen war man wieder zu Glühwein übergegangen, und die Stimmung war noch sehr fröhlich geworden. Antti hatte auf Sakuyas Schoß auf dem Sofa gesessen und mit Ilja herumgealbert, jedes Mal herzlich lachend, wenn der Russe einen Witz machte; nebenher hatten sich alle einen Film angesehen, allerdings zur Enttäuschung von Valentin, den Zwillingen und auch Antti, sowie zur immensen Erleichterung Yukios, keinen der geschenkten Splatterfilme, sondern 'nur' eine britische Komödie. Jetzt hatten sich die ersten ins Bett begeben, und Fuchs, Diego, Rose und Valentin waren im Wohnzimmer geblieben, um gemeinschaftlich den verbliebenen Alkohol und Salat zu vernichten, nachdem Antti unter großem Beifall dem Rudel noch eine Flasche Wodka spendiert hatte. Sakuya und der Finne hatten die Gelegenheit genutzt, um sich abzusetzen, und in der stillen Weihnacht ein paar Minuten für sich zu zweit zu gewinnen. „Antti...“ Der Blonde sah auf und zur Seite, lächelte, als sein Blick in Sakuyas traf. „Hmm?“ Der Ältere schloss die Finger fester um Anttis Hand, legte den anderen Arm um ihn; sie blieben an einer Ecke unter einer der wenigen funktionierenden Straßenlaternen stehen, die Schneeflocken fielen wie weiße Blütenblätter in den Lichtkreis, den die Lampe in die kalte Nacht malte; der Schnee glitzerte in Sakuyas schwarzem Haar, als er sich vorbeugte und Antti sanft küsste, seine weichen Lippen; er hielt ihn leicht in einem Arm, sein Herz schlug laut, als Antti den Kuss zärtlich erwiderte, sich an Sakuya kuschelte. Der blonde Finne lächelte, als Sakuya sich von ihm löste, stahl ihm noch einen Kuss von den Lippen. „Ich liebe dich...“ Saku legte den zweiten Arm um ihn, nippte an Anttis samtigen Lippen. „Ich liebe dich über alles, mein Engel...“ „Ich liebe dich auch...“ Antti drückte sich an den Älteren, der seinen Mantel öffnete und ihn um Antti schlang, so dass jener ihm den Kopf an die Schulter legte, Sakus Körperwärme genießend, und mit den Armen unter dem Mantel um Sakuyas Rücken fuhr, ihn leicht streichelte. „Bist du glücklich?“, flüsterte Sakuya, küsste Anttis Schläfe, sein Lippen brachen in ein Lächeln aus, als Antti nickte. „Was hättest du gemacht, würde ich nein sagen?“, schmunzelte der Jüngere. Sakuya lachte leise, schmiegte sein Gesicht an das seines Freundes. „Das könnte ich nicht zulassen. Ist dir kalt? Ich verjage den Winter. Willst du die Sterne? Ich hole sie dir.“ „Alles, was ich will, ist schon hier in meinen Armen“, wisperte Antti, sah seinem Geliebten eine Weile in die grauen Augen, ehe er ihn wiederum küsste, sehr viel länger dieses Mal; Sakuya hatte die Augen geschlossen und genoss das sanfte Streicheln von Anttis Händen auf seinem Rücken, öffnete leicht die Lippen, als der Finne mit der Zunge dazwischendrang, regungslos, nur dann und wann ein wenig bebend unter dem Kuss und den zarten Berührungen, der Atem der beiden drang als kleine Wolke in den Lichtschein der Laterne. Der Schwarzhaarige atmete schneller, öffnete langsam die Lider, als Antti sich wieder von ihm löste, lächelte dann sanft. „Ich habe ein Geschenk für dich.“ „Hmm?“ „Mach die Augen zu.“ Der Blonde gehorchte, der Schnee schmolz auf seinen Wangen. Sakuya griff in seine Tasche, holte etwas Kleines hervor und nahm Anttis Hand in seine, küsste ihn; Antti schmunzelte mit geschlossenen Augen leicht in den Kuss, seine Hand zitterte etwas, als Sakuya ihm einen Ring auf den Finger schob. „Kann ich sehen?“ Saku kicherte, küsste Anttis Wange, der leise lachte. „Okay, mach die Augen wieder auf.“ Anttis Augen leuchteten, als sein Blick wieder in Sakuyas traf, dann hob er die Hand, keuchte und hob die andere Hand an den Mund. „Oh, wow...! Der ist so schön...!“ Der silberne Ring funkelte im Laternenschein; in Form eines Schwans wand er sich um Anttis Finger, die Flügel nach oben gestreckt, ein Fingerglied weit an der hellen Haut entlang. „Hyvää joulua, Antti.“ Antti lachte, fiel Sakuya um den Hals, strahlte ihn aus leuchtenden Augen an. „Kiitos...!“ Er küsste ihn stürmisch, lächelte ihn breit an. „Du bist so lieb!“ „Hab ich das richtig gesagt?“ „Du hast es wunderschön gesagt.“ Der Blonde lächelte sanft, küsste zart Sakuyas Mundwinkel, brachte dann die Lippen an dessen Ohr. „Rakastan sinua.“ „Ich liebe dich auch...“ „Ich habe auch etwas für dich.“ Antti griff in seine Jacke und holte einen in weiches Tuch verpackten flachen Gegenstand heraus. „Was ist das?“ „Mach es auf.“ Sakuya wickelte das Tuch ab, und zum Vorschein kam eine glänzende, unbeschriftete Cd in einer schlichten Hülle. „Ich hätte es gerne noch etwas hübscher hergerichtet, aber es war erst heute fertig, und ich habe es nicht mehr geschafft.“ „Was ist das?“ Antti schmunzelte, beugte sich zu Sakuya und flüsterte an seinem Ohr. „Das ist Loveless. Alle dreizehn Folgen. Im Original. Ohne Untertitel.“ Sakuya keuchte. „Was? Woher hast du....“ Er starrte ein wenig auf die Dvd, schlang dann die Arme um Antti, lachte. „Oh Gott...danke...!“ „Freust du dich?“ „Das fragst du noch? Natürlich freu ich mich! Dass ich das jemals in der Hand halte... Wirst du ihn mit mir ansehen?“ „Wenn du das gerne möchtest, dann ist das ein Teil des Geschenks.“ „Du musst nicht hinsehen, wenn du nicht willst. Sei einfach nur da.“ Antti lachte hell. „Saku...“ Er wurde unterbrochen von Sakuyas Lippen, die sich auf seine legten, schmiegte sich an ihn. „Antti, du bist unglaublich....“ Der Finne kuschelte sich an Sakuyas Körper, ließ wieder die Arme unter dem Mantel um ihn gleiten; Sakuya schnurrte leise, als er den warmen schlanken Körper an sich spürte. Antti küsste Sakuyas Hals, ließ die Lippen zu dessen Ohr wandern. „Ich habe noch ein Geschenk.“ Die weichen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er sich in Sakus starke Arme schmiegte, und Antti schloss halb die Lider über den blaugrünen Augen, genoss Sakuyas Atem in seinem Nacken, die warmen Lippen, die sich auf seinen Hals legten, den er leicht zur Seite bog. „Was ist es?“ „Hmm.“ Antti schnurrte leise, raunte an Sakuyas Ohr. „Meine Ergebnisse sind gekommen.“ Er spürte, wie sich der Körper unter seinen Händen anspannte, wie die Muskulatur im Rücken hart wurde, und Sakuya für einen Moment den Atem aussetzte. „Die Testergebnisse von deinem Arzt?“ „Hmm.“ „Was sagt er?“ Sakuya flüsterte fast unhörbar, Antti fest in den Armen haltend; der Finne lächelte, ließ die Lippen über Sakuyas Wange gleiten, um ihm in die Augen zu sehen. „Ich bin völlig gesund.“ Er lächelte, als er das Flackern in Sakuyas Blick bemerkte, Sekundenbruchteile ehe das Lächeln dessen Lippen erreichte, dann die nur Sekunden dauernde Unsicherheit in dem grauen Blick, der sich wie gebannt, verlangend, und zugleich scheu, auf Antti richtete. „Das heißt....?“ Antti lachte leise und fröhlich, raubte Sakuya einen Kuss von den trockenen Lippen, spürte den warmen Körper unter seinen Händen gänzlich erzittern, spürte wie sich Sakuyas Hände fester um ihn schlossen, wie dessen Herzschlag schneller ging, als er die Hand auf Sakuyas Brust legte. „Ja.“ Er presste die Lippen fester auf Sakuyas, küsste ihn innig, inniger noch, als Saku den Kuss leidenschaftlich erwiderte; Antti öffnete fast willenlos die Lippen für Sakuya, als jener mit der Zunge dazwischendrang, schmiegte sich an ihn, wie Wachs in dessen Händen. Er spürte die Hitze, die ungeachtet der kalten Winternacht von dem Älteren ausging, löste sich kurz aus dem Kuss, um an dessen Lippen fast unhörbar zu flüstern. „Heute Nacht...kannst du mich ganz haben...“ Sakuya stieß die angehaltene Luft aus, küsste den Finnen, der sich an ihn kuschelte. „Ich liebe dich...!“ Antti spürte, wie der Schwarzhaarige bebte, als er leise lachte, seine Wange küsste, seine Schläfe; lächelte seinerseits und schmiegte sich in Sakuyas Arme. Zwei Monate, zwei Monate in denen sie sich unglaublich nahe gekommen waren, und doch unfähig, eins zu werden, zwei Monate voller Verlangen und Sehnsucht, und der immer lauter werdenden Stimme im Hinterkopf, die ihnen sagte, selbst wenn Antti krank sein sollte, könnten sie sich schützen... Und doch wollten sie auf Gewissheit warten. Antti wusste, dass der Ältere trotz seiner dreiundzwanzig Jahre noch Jungfrau war, und dass er schüchtern war, und er wartete. Bis zu dieser Nacht. Sakuya lachte leise an Anttis Ohr. „Ich liebe dich, und es ist mir egal, ob ich dich haben kann, oder nicht...ich bin froh, dass du gesund bist.“ „Wenn es dir egal ist...“, schnurrte Antti. „Dann warten wir vielleicht bis zum neuen Jahr?“ „So egal ist es mir auch wieder nicht....“ Der Blonde lachte, schlang die Arme fest um Sakuya, der ihn seinerseits eng umschlang und an sich drückte. „Antti, du bist das absolut Beste, was mir in meinem Leben passiert ist...ich liebe dich...ich gebe dich niemals wieder her. Niemals.“ Antti lächelte, in Sakus Arm liegend, der Ring funkelte an seinem Finger wie ein Versprechen. „Rakastan sinua, Sakuya... Ich liebe dich unendlich.“ And love is all that I need and I found it there in your heart it isn't too hard to see we're in heaven. - Ende 11/? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)