Regenbogen von wesaysummer ================================================================================ Kapitel 1: Regenbogen --------------------- „Aber die steht Ihnen doch ganz hervorragend, junge Dame!“, flötete der Pilzkopftaschenverkäufer und drückte mir den kotzgelben Müllbeutel – Verzeihung, Handtasche – in die Hand. Ich war kurz davor, entweder ihn oder mich oder uns beide in einem dramatischen Doppelmord um die Ecke zu bringen. Seit einer Viertelstunde stand ich in diesem Kackladen und versuchte, einen Rucksack für meine Schulsachen zu bekommen, aber offenbar gab es Tage, an denen man weder aus dem Bett steigen, geschweige denn versuchen sollte einen Rucksack zu erwerben. Ich hatte einen davon erwischt. Der übermotivierte Verkäufer lächelte sein Ich-wittere-Profit-Lächeln: „Die Farbe ist sehr modern gerade, und sie passt auch wunderbar zu Ihren Haaren!“ Damit lag er gleich in dreifacher Hinsicht falsch. Erstens würde ich hier bestimmt nichts mehr kaufen, die Farbe regte wirklich zum Rückwärtsessen an und zu meinen im Gegensatz dazu sehr schönen Haaren passte sie schon mal gleich gar nicht. Eigentlich hatte er auch schon verkackt als er mich das erste Mal „junge Dame“ genannt hatte. Ich war nämlich ein junger Herr, und warum der Trottel das nicht an meiner wirklich nicht mädchenhaften Stimme erkannte, war mir ein Rätsel. Vielleicht war er einfach taub, das könnte auch erklären, warum er meinen Wunsch nach einem Rucksack so vehement ignorierte. Oder seine Pilzkopffrisur aus den 60ern ließ nur Beatlessongs an seine Ohren und alles andere wurde rausgefiltert. Wer wusste das schon so genau. Auf jeden Fall waren meine Haare dagegen der absolute Kracher. Immerhin waren die schön bunt, obwohl ich meine Chamäleonhaarstruktur mehr als nur einmal verflucht hatte. Die konnten sich nämlich ganz vorzüglich der Umgebung anpassen – sobald sie Feuchtigkeit auch nur rochen; zack, Pudel. Allerdings arbeiteten wir noch daran, dass sie sich wenn’s trocken war, auch wieder zurückverwandelten. Aber naja. Zurück zum eigentlichen Problem. Ich wollte keine kotzgelbe Handtasche und es wurde Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Da der Mann akustisch ja nicht ganz auf der Höhe war, drückte ich ihm das hässliche Teil in die Hand, drehte mich um und ging. Jetzt war ich allerdings meinem Rucksack immer noch nicht näher gekommen. Also musste ich wohl weitersuchen. Ich stand gerade in so einem Billigladen – mit dem Mut der Verzweiflung – als mein Handy klingelte. „Sexy Eyes“ – mein bester Freund. Er hatte mir den Klingelton eingestellt, mit dem Kommentar, das würde einfach perfekt zu ihm passen. Dann hatte er seinen besten Komm-her-und-lass-dich-vernaschen-Blick aufgesetzt und ich hatte ihm eine Kopfnuss verpasst. Musste ja keiner wissen, dass mich dieser Blick beinahe zusammenklappen ließ, weil meine Beine nicht mehr so wollten wie ich. Eher würde ich mich selbst im Gulli ertränken, vielen Dank. „Hey Mr. Sexy Eyes“, hauchte ich lasziv (oder ich versuchte es zumindest), nachdem ich drangegangen war. „Wow, übst du für deine Karriere bei der Telefonsexhotline?“, fragte Linus trocken. Ja, so lief das. Er war Sex auf zwei Beinen, ohne es auch nur zu versuchen und ich hatte eine Wirkung wie… die kotzgelbe Handtasche. Das Leben war schon unfair. „Ja, aber ich bin noch nicht ganz sicher, ob das wirklich meine Berufung ist. Du scheinst jedenfalls nicht beeindruckt.“, antwortete ich ebenso trocken. Er lachte. „Doch, schon, Danny – wenn du jemals deinen Durchbruch hast, werde ich auf jeden Fall anrufen. Und dann musst du mir all die schmutzigen Dinge sagen, die du gern mit mir tun würdest.“ Gegen Ende war seine Stimme ein bisschen rauchig geworden. Ich schluckte. Der Mann war eindeutig geeigneter als Telefonsexhotlinemitarbeiter. Warum genau noch mal folterte ich mich eigentlich selbst so? Ach so, richtig, ich war ja Masochist. „Was gibt’s denn?“, fragte ich in einem ärmlichen Versuch, die bösen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. „Ich wollte nur fragen, ob unser Zockmarathon noch steht? Dann muss ich nämlich gleich mal die PS3 und den ganzen Kram zusammenpacken.“ Oh, Gott sei Dank, sicherer Boden. „Klar, steht. Ich bin grad noch in der Stadt, Rucksack kaufen“ – an der Stelle knurrte ich einmal böse und verließ den Billigladen, weil alles blöd war und ich auch kein Glitzerhandtäschchen, in das nur 2 Euro und ein Tampon reinpassten, kaufen wollte – „und dann komm ich heim. Komm rüber wenn du fertig bist, mir soll’s egal sein.“ „Gut, dann bis später“, und zack, aufgelegt. Offensichtlich wollte Linus keine Zeit verschwenden. Guter Mann. „Hey, Süße!“, rief plötzlich jemand hinter mir. Okay, das war zu viel. „Verdammt, ich bin kein Mädchen, ihr Flachzangen!“, brüllte ich zurück. Was war denn heute los, waren die alle bescheuert? Wütend blitzte ich den Übeltäter an. Der starrte nur irritiert zurück, neben ihm stand ein Mädchen, das.. er wohl gerade begrüßt hatte. Ups. Ich lief rot an, was sich ziemlich mit meinen Regenbogenhaaren biss und schlich davon. Oh, diese Demütigung. Mein Temperament brachte mich leider oft in prekäre Situationen. Lag vermutlich vor allem daran, dass ich meine Klappe nie halten konnte. Dumme Sache. Die Aufkleberabkratzaktion war nur ein Beispiel dafür. Eine Zeit lang hatte ich mir einen Spaß daraus gemacht, alle Spinde mit Justin-Bieber-Glitzerstickern aus der Bravo, Mädchen, und wie sie alle heißen, zu bekleben und dann hatte mich meine große Klappe eines Tages selbst verraten. Linus hatte tagelang über meine Dummheit gelacht. Die nächsten Wochen war ich dann zwangsweise damit beschäftigt gewesen, die ganze Scheiße wieder abzukratzen – und fuck, wer hätte gedacht, dass die für die Ewigkeit konstruiert worden waren? Aber gut, machte auch Sinn – so konnte Justin für immer in den Herzen (Schränken, Kommoden, Betten, Hausaufgabenheften, etc.) der Mädchen verankert bleiben. Das waren die putzintensivsten Wochen meines Lebens, und ich konnte nicht sagen, dass sie mir sonderlich fehlten. Manchmal bräuchte ich halt einfach einen Maulkorb. Eventuell sollte ich das einfach nach dem Rucksack in Angriff nehmen. Den fand ich dann schließlich auch noch – nach langer, mühseliger Suche – und machte mich endlich auf den Heimweg. Keinen Bock mehr. Kurz vor meiner Haltestelle fiel es mir dann siedend hieß ein. Nix mit Zocken. Heute war Buchklubtreffen, und meine Mutter würde mich höchstwahrscheinlich grillen, wenn ich nicht käme. Sie leitete diese Ausgeburt der Hölle nämlich und ich wurde dazu gezwungen, seit ich alt genug war, mir beim Lesen nicht mehr vor Angst in die Hosen zu machen. Und nein, ich hatte keine Buchstabenphobie, es war ein Stephen-King-Buchzirkel und als Achtjähriger sind die Bücher eben gruselig. Eigentlich sind sie das später auch noch, aber mittlerweile war ich ja ein hartgesottener Kerl. Trotz der Tatsache, dass ich für ein Mädchen gehalten wurde und meine Haare aussahen wie bei einem Einhorn aus einem Kinderbuch. Mir doch egal. Auf jeden Fall war meine Mutter eine fürchterliche Stephen-King-Fanatikerin und ich musste das ausbaden. In mehr als einer Hinsicht. Nicht nur, dass ich daran teilhaben musste, nein, sie hatte sich auch gegen meinen Vater durchgesetzt und mich Danny genannt, nach dem kleinen Jungen in „Shining“. Gut, eigentlich Daniel, aber so stand es nur auf dem Papier, in meinem ganzen Leben hatte mich keiner je so genannt. Ich ging also zwar wie geplant nach Hause, aber Linus war noch gar nicht da, dafür erwartete mich meine Mutter allerdings schon mit einem fröhlichen Stuhlkreis (Hilfe!), sodass ich dann erst mal dankenswerterweise meinen Abend damit verbringen durfte, über postmoderne Suizidversuche, Maßnahmen die Spannung zu halten und Stephen Kings unglaubliches Genie zu philosophieren. Mit meiner Mutter und diversen anderen Hausfrauen jenseits der 40. Na, wenn das keine Beschäftigung für einen hippen, fast erwachsenen Kerl war! Manchmal war ich von meiner eigenen Coolness wirklich überrascht. Aber die erklärte sich auch hauptsächlich aus meinen Haaren. Kurz vor 9 klingelte es dann endlich an der Tür. Ich war schon aufgesprungen, da merkte ich, dass meine Mutter bereits an der Tür war. Ein strafender Blick traf mich, als sie mit Linus zurück ins Wohnzimmer kam und ihn vorstellte. Oh weh, ich hatte erst zwei Stunden mit dem Buchzirkel verbracht, wie schändlich, dass ich was anderes machen wollte… Ich kam sicher nicht in den Himmel. Tz. Flehend sah ich Linus an. Er war mein bester Freund, er musste mich jetzt retten. Er grinste. Keine Sorge, ich mach das schon. „Ich hoffe, die Damen nehmen es mir nicht allzu übel, dass ich Ihnen Danny entführen muss, aber ich hab da so ein Englischreferat, bei dem ich wirklich dringend seine Hilfe brauche.“, sagte er mit seinem schönsten Lächeln. Linus, Freund der herrenlosen Katzen und Damen jedes Alters. Und jap, es funktionierte schon wieder. Eine Minute später waren wir in meinem Zimmer und ich sah nur noch seine Rückseite (lecker!), während er die Playstation aufbaute. Ernsthaft, das war nicht normal. Das weibliche Geschlecht liebte ihn. Kleine Mädchen hielten ihn für einen Märchenprinzen, große Mädchen für eine Art Popstar, Mütter für den Schwiegersohn in spe (oder wahlweise den Sohn, den sie nie hatten) und alte Damen für einen reizenden jungen Mann. Gut, ich konnte es ihnen nicht so ganz verübeln, er war halt toll. Nicht mal ich konnte ihm widerstehen und ich war ein Kerl (JA, RICHTIG, VERKÄUFER MIT FÜRCHTERLICHER FRISUR!). Aber trotzdem war ich nicht schwul. Oder hetero. Vermutlich war ich einfach nur Linussexuell, denn seit ich in das Alter kam, in dem Mädchen (oder Jungs) interessant wurden, gab es für mich immer nur Linus. Obwohl es eine Weile gedauert hat, bis ich gemerkt hatte, dass diese Fixierung nicht mehr so rein platonisch war wie früher. Ich fläzte mich schon mal auf mein Bett, wohin mir Linus kurz darauf folgte. Leider nicht, um mich zu küssen, sondern um mir einen Controller in die Hand zu drücken. Andererseits war das gut. Beim Zocken musste ich ihn wenigstens nicht angucken. Dieses ständige Starren wurde langsam a) auffällig und b) irgendwie unangenehm. Ich mein, nichts gegen das Verliebtsein, aber wenn die Sache so völlig aussichtslos war, konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass es ein großer Haufen Scheiße war. „Hör auf zu träumen, Dannyboy, sonst bist du platt, bevor wir angefangen haben.“, riss er mich aus meinen Gedanken. „Pass bloß auf, du kriegst gleich die Klatsche deines Lebens!“, grinste ich und konzentrierte mich auf das Spiel. Diverse Stunden und viele Niederlagen meinerseits später (Linus, der Arsch, hatte ein neues Parfüm und das lenkte mich in ungesundem Maße ab) beschlossen wir, noch einen Film zu gucken und dann wenigstens ein bisschen zu schlafen, bevor wir halbtot in die Schule mussten. Es war ungefähr Halbzeit bei der Bourne Identität, als Linus’ Kopf plötzlich gegen meine Schulter sank. Ich grinste. Es hatte mich schon gewundert, dass er so lange durchgehalten hatte. Normalerweise schlief Linus schon weit früher ein, egal um welchen Film es ging. Ich strich ihm einmal kurz durch die dunklen Haare, einfach weil ich es jetzt konnte, ohne dass ich mir dafür einen Käfer oder so ausdenken musste, den ich angeblich entfernt hatte. (Das wäre eh unglaubwürdig gewesen, ein Käfer in meinem Zimmer. Am Ende wäre noch der Kammerjäger oder so gekommen.) Dann lief der Abspann und Linus’ Kopf rutschte von meiner Schulter – geradewegs in meinen Schoß. Oh fuck. Ich hielt den Atem an. Zum Glück bewegte er sich nicht mehr. Eigentlich sollte ich den Fernseher ausmachen, Linus wecken und auf die Matratze befördern, auf der er sonst seine Nächte verbrachte, aber ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Eine Weile saß ich einfach nur da, wie ein Kaninchen in der Falle. Na schön. Ich würde ihn wecken müssen, so konnte ich jedenfalls nicht sitzen bleiben. Ich angelte nach der Fernbedienung, um zumindest den Fernseher schon mal abzuschalten. Es wurde stockdunkel, weil wir mal wieder vergessen hatten, irgendein Licht anzumachen. Mit den Fingerspitzen ertastete ich den Schalter für meine Nachttischlampe, sodass es ein klein wenig heller wurde. Und dann bewegte Linus sich. Kuschelte sich in meinen Schoß, als wäre er sein Lieblingskissen. Und ich starb. Innerlich. In meinem Kopf war Platz für zwei Worte: Nicht. Gut. „Linus!“, presste ich hervor. Nichts. Ich griff ihn am Kragen und zog ihn hoch. „Aufwachen, Schlafmütze!“, sagte ich mit rauer Stimme. Er blinzelte mich an – und sah kein bisschen aus, als hätte er gerade anderthalb Stunden geschlafen, wie unfair! – und grinste: „Aber es war doch grad so schön.“ Jaja, wahrscheinlich hatte er von schönen Frauen geträumt oder so. Ich verdrehte die Augen. „War ein toller Film, ja. Schade, dass du ihn niemals ganz sehen wirst.“ Seine grünen Augen blitzten amüsiert. „Machst du dich etwa über mich lustig, weil ich meinen Schönheitsschlaf brauche?“ Ja, und wie er den brauchte. Hoffentlich nur das nächste Mal nicht in der Nähe irgendeines meiner Körperteile. „Wir sollten schlafen gehen, Dornröschen.“, antwortete ich nur und wollte aufstehen. Ein Arm hielt mich zurück. „Aber jetzt bin ich gar nicht mehr müde…“, schnurrte (schnurrte?!) Linus. Ja, das konnte man echt nicht anders bezeichnen. Hatte er jetzt seit neustem mit dem Schlafwandeln begonnen und ich hatte es noch nicht gemerkt? Oder konnte man im Schlaf plötzlich die Persönlichkeit verändern? Irgendwas stimmte hier nicht. Ich runzelte die Stirn. Detektiv Danny im Einsatz. „Geht’s dir gut?“, fragte ich vorsichtig. „Oder schläfst du eigentlich noch?“ Linus setzte sein Haifischgrinsen auf. Das.. hieß selten was Gutes. Was war denn hier überhaupt los? Erst hatten wir ganz normal gezockt und dann hatten wir ganz normal (naja, fast) einen Film geguckt und jetzt war ich verwirrt. Und das war ich sehr ungern, weil ich keine Ahnung hatte, was zum Teufel hier denn eigentlich los war. Wahrscheinlich überhaupt nichts, und Linus brachte mich nur zum Spaß an den Rand des Herzkaspers. „Ach, du bist doch bescheuert, Alter.“, grummelte ich und stand auf. Nur, um eine Sekunde später mit einem Ruck zurückgezogen zu werden und rücklings auf dem Bett zu landen. Halb auf, halb unter Linus. Der bewegte sich kurz, und ich musste mich korrigieren – ganz unter Linus. „Hab dich.“, grinste der und besiegelte damit mein Urteil: Er war von den Mächten des Bösen befallen. Oder von einem Fünfjährigen. Mein offensichtlich panischer Gesichtsausdruck brachte ihn zum Lachen. „Hast du Angst, ich fress dich?“ Ja? „Ich weiß nicht, sollte ich?“, entgegnete ich dennoch nonchalant (mehr oder minder) und hob eine Augenbraue. Sein Grinsen wurde breiter. Ich sollte Schauspielunterricht nehmen, das hatte er mir wohl nicht abgekauft. „Nein“, sagte er dann. „Ich will dich doch auch nur ein bisschen anknabbern. Sonst hab ich so wenig davon.“ Und während ich den ersten Schockzustand meines zugegeben nicht sehr langen Lebens erfuhr, begann der Mistkerl wirklich an meinem Hals zu knabbern. Und natürlich war das eine empfindliche Stelle. Sonst hätte das Ganze ja keinen Spaß gemacht. Ich keuchte auf, als ich seine Zunge an meiner Halsschlagader spürte. Mit all meiner Kraft schubste ich Linus von mir runter. „Wenn du mir nicht gleich sagst, was zur Hölle der Scheiß hier soll, schläfst du in der Hundehütte!“, fauchte ich wütend. Das war echt nicht mehr witzig. Für Linus offensichtlich schon, denn der grinste noch immer. „Also wirklich, ich versuche hier, dich zu verführen, und du willst mich zu Ben in die Hütte schicken? Das finde ich aber äußerst uncharmant.“ Er schmollte ein wenig, konnte aber das Grinsen nicht ganz aus seinem Gesicht verbannen. Vielleicht sollte ich es ihm da raus schlagen. „Das ist nicht witzig, Linus! Bist du schwul, oder was?“ Das war eigentlich nicht wirklich ernst gemeint. „Nö, aber du.“ Das offenbar schon. Ihm war endlich das Grinsen vergangen und er sah mich ernst an. „Red keinen Mist, ich bin nicht schwul.“, meinte ich ärgerlich. „Ach ja?“, fragte er amüsiert. Dann beugte er sich vor und – küsste mich. Ganz sacht nur legte er seine Lippen auf meine. Ich spürte, wie er sich mit einer Hand neben mir abstützte, während die andere über meine Wange strich. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Das war.. Hilfe. Dann war es vorbei, er lehnte sich zurück und lächelte mich an. „Du hättest es mir sagen können.“ Ich war verwirrt. Schon wieder. Oder besser, immer noch. Ich war eine einzige Verwirrung. „Warum machst du das?“, fragte ich, das war ja wohl wichtiger als meine zweifelhafte Sexualität. Er seufzte und sah mich an, wie ein Kind, das besonders schwer von Begriff ist. „Danny – ich weiß nicht, ob’s dir schon mal einer gesagt hat, aber Subtilität war noch nie so ganz deine Stärke. Das heißt, wenn du mich anguckst, als wäre ich einer von deinen heißgeliebten Oreo-Keksen, dann ziehe ich irgendwann die richtigen Schlüsse.“ Bei dem Wort Oreo-Kekse hatte er wieder angefangen zu grinsen. Ich hingegen versuchte gerade, meinen Fluchtreflex zu unterdrücken und mich nicht irgendwo vergraben zu gehen. Das war ungefähr der peinlichste Moment meines Lebens. Und das hieß was bei mir. „Und ich hab gewartet und gewartet und dachte, du sagst irgendwann mal was, aber nein, du guckst wie ein getretener Hund, sobald ich mit einem Mädchen spreche, und das ist dann dein Beitrag.“ Wie bitte? „Und dann mach ich’s dir noch einfacher, indem ich dauernd irgendwelche Andeutungen mache und versuche, mit dir zu flirten – was bei Mädchen übrigens hervorragend funktioniert, nur du raffst es einfach nicht – und deswegen musste ich jetzt zu drastischeren Maßnahmen greifen.“ Ich blinzelte blöd. Mehrmals. Dann rieb ich mir über die Ohren. Vermutlich war ich genau so eingeschlafen wie Linus und träumte mir hier ein unverständliches Zeug zusammen. Eigentlich verstand ich hauptsächlich Bahnhof. Mein bester Freund rollte mit den Augen. „Himmel, Danny, ich bau die Konsole extra langsam auf, ich hab neues Parfüm drauf, ich tu so als würd ich schlafen, um dich zu ein bisschen Körperkontakt zu nötigen, und anstatt dass mal irgendwas passiert, guckst du wie ein verschrecktes Kaninchen und versuchst, vor mir wegzulaufen – ich bin offiziell mit meinem Latein am Ende, du Knallkopf.“ Ich gab zu, in meinem Gehirn ging gerade ganz schön die Post ab. Ich wusste nicht so wirklich, was er mir sagen wollte – außer, dass er sehr genau wusste, dass ich in ihn verliebt war, was dem Im-Garten-vergraben-Plan einen neuen Anstoß gab – aber offensichtlich war ich auch ziemlich dumm, denn Linus Gesicht zeigte eine Mischung aus Belustigung und Verzweiflung. „Okay. Ich, äh, weiß nicht genau was du mir sagen willst, aber da du ja scheinbar weißt, dass ich in dich verliebt bin, kannst du gleich zu dem Teil kommen, in dem du mir sagst, ob wir trotzdem Freunde sein können und mich von meiner Qual erlösen.“, bat ich. Es war 4 Uhr morgens, verdammt, ich war halt nicht so der Blitzmerker. Besonders nicht nach Mitternacht. Linus sah allerdings aus, als würde er gleich weinen. „Verflucht noch mal, nein, ich will nicht mit dir befreundet sein“ – er blickte in mein entsetztes Gesicht – „Ich versuche dir seit Wochen und gerade auf jede erdenkliche Art klar zu machen, dass ich mit dir zusammen sein will, du Vollidiot! Meine Güte, vielleicht sollte ich mir das noch mal überlegen, du hast ja einen ganzen Wald statt einem Brett vor’m Kopf.“ Langsam sickerten seine Worte in mein Hirn. Ich saß bestimmt noch zwei Minuten da und starrte ihn ungläubig an, ehe ich das alles verarbeitet hatte. Dann – völlig ohne bewussten Befehl meinerseits – sprang ich ihn förmlich an, drückte ihn auf den Rücken und küsste ihn stürmisch. Fuck, hätte ich nicht so an seinen Lippen gehangen, hätte ich einen Einhorn-Regenbogen-Glücks-Tanz durch mein Zimmer gemacht, aber dazu konnte ich mich nicht lange genug von Linus trennen. Und es hätte auch ziemlich lächerlich ausgesehen. Später hatte ich es mir auf Linus bequem gemacht, mein Kopf an seiner Halsbeuge. Die Sonne ging gerade auf und in einer halben Stunde mussten wir aufstehen. „Warum hast du nicht einfach was gesagt?“, fragte ich meinen (festen, heißgeliebten, wunderbaren, umwerfenden) Freund. Der grinste. „Da hab ich ja noch nicht geahnt, was das für eine Odyssee werden würde… Und außerdem – wo bliebe denn da der Spaß, wenn ich’s dir so einfach gemacht hätte?“ Ich musste also leiden, während er sich amüsiert hatte. „Na warte, du Fiesling!“, knurrte ich und biss ihm kurzerhand in den Hals, der leider der einzige Teil war, an den ich herankam ohne mich zu bewegen. Linus lachte und gab mir einen Kuss auf die Haare. „Keine Ahnung, wie ich das mit dir aushalte. Ich muss echt verliebt sein.“, sagte er. „Dito, zu beidem“, entgegnete ich. Und an dem Morgen nach einer Nacht ohne Schlaf und mit dem Schwert der Schulbildung über unserem Kopf schwebend, war meine Welt ganz regenbogenkitschig in Ordnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)