Watching your Footsteps von TayaTheStrange ================================================================================ Kapitel 24: Crooked ------------------- Er würde nicht mehr wiederkehren. Bestimmt nicht. Alle hatten Angst vor ihm und Young-Bae hatte die Wahrheit ausgesprochen. Seung-Hyun war kaputt. Er hatte es gesehen. Als der Ältere sein Zimmer verlassen hatte, hatten sie auf dem Flur zu reden begonnen. Soviel Angst auch in ihm steckte, als er Seung-Hyuns bebende Stimme vernahm, hatte er diesem einfach folgen müssen. Und Ji-Yong hatte ihn gesehen. Er hatte ihn zusammenbrechen sehen. Weinend. Bitterlich weinend. Und es war Seung-Ri gewesen, an welchen er sich geklammert hatte. Noch immer war das Bild in seinem Kopf. Klarer als alle anderen zeichnete es sich vor seinem inneren Auge ab. Er war schuld, dass Seung-Hyun so geworden war und die anderen wussten es. Was sollte er tun, wenn sie ihn wirklich für immer von ihm fern hielten? Wenn er wieder allein sein müsste? Zuvor hatte er Nähe nicht ertragen, doch wenn er Seung-Hyuns Anwesenheite spürte, fühlte er sich sicher. Nur dann verloren die Albträume ihre Macht über ihn. Ohne ihn könnte er nicht weitermachen. Ji-Yong sah durch das diffuse Licht zur Zimmertuer hinüber. Sie war stumm. Es war sehr ruhig im Haus. Und Seung-Hyun war bereits lang fort. Er würde nicht zurückkehren. Diese Gewissheit schmerzte sehr. Sie trieb ihm Tränen des Schmerzes in die Augen. Er war unerträglich. Leise begann er zu wimmern. Immer wieder hatte Dae-Sung versucht, ein Gespräch anzufangen, musste aber schnell feststellen, dass seine Bemühungen fruchtlos blieben und somit besch#ftigte er sich mit dem Abwasch, während die anderen beiden stumm am Küchentisch saßen. Young-Bae schob unmotiviert den Salzstreuer von links nach rechts und rupfte kleine Stücke aus einer Papierserviette, während nur seine nervös auf- und abwippenden Füße verrieten, wie aufgewühlt er war. Seung-Ri hatte seinen Kopf auf die Rückelehne des Stuhls gelegt, die Arme vor der Brust verschränkt und starrte riesige Löcher in die Luft. Manchmal schob er einen Finger unter die Verbände, die Dae-Sung ihm umgemacht hatte und kratze an den wunden Stellen. Keiner von ihnen hatte etwas zu sagen oder etwas zu tun, doch ihre Gedanken kreisten um das Selbe. Um Seung-Hyun, der im Nebenzimmer schlief, endlich schlief und Ji-Yong, allein in dem Zimmer am Ende des Flurs, dem es so schlecht ging. Eine halbe Stunde hatten sie nun schon nicht mehr gesprochen und Dae-Sung war kurz davor, in die Luft zu gehen vor Anspannung. Schon ein paar Mal hatte er es erfolgreich versucht, den Drang herunterzukämpfen, nach ihrem Leader zu sehen und sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Seit Seung-Hyun nicht mehr bei diesem war, hatte Dae-Sung ein ungutes Gefühl beschlichen. In den letzten Tagen war ihr Ältester immer bei Ji-Yong gewesen. Sie alle hatten sich sicher sein können, dass er ihn auffangen können würde, wenn er fiel. Aber nun schlief Seung-Hyun - schlief endlich. Und die Nervosität beschlich ihn. Seine Vernunft sagte ihm, dass es ihrem Leader gut gehen, dass schon nichts passieren würde, nur weil Seung-Hyun nicht bei ihm war, aber das dumpfe Gefühl konnte er dennoch nicht abschütteln. Schließlich stellte er die Schale, aus der er gerade angetrocknete Reisreste geschabt hatte, in die Spüle zurück, warf sich das Küchentuch über die Schulter und verschwand mit einem gemurmelten 'Ich geh nur kurz auf die Toilette' in den Flur. Vor Ji-Yongs verschlossener Tür blieb er stehen. Kurz überlegte Dae-Sung, ob er sie nicht einfach öffnen und in das Zimmer schauen sollte, aber dann legte er doch nur das Ohr gegen das dünne Holz. Er hörte nichts. Wahrscheinlich hätte ihn das beruhigen müssen, doch aus irgendeinem Grund wurde das Drücken in seiner Magengegend nur noch stärker, ebenso wie der Drang, die Tür zu öffnen. Schon lag seine Hand auf der Türklinke, schon hatte er die Muskeln seines Armes angespannt und bevor er es realisierte, stand er bereits in dem Raum, der dahinter lag. Dae-Sung benötigte einen Moment, um sich an das schummrige Licht zu gewöhnen. Die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen, obwohl es erst Nachmittag war. Die Vorstellung, dass Ji-Yong hier seit Tagen abgeschottet von ihnen lebte, nein, vegetierte, bereitete ihm Unbehagen. Er spürte plötzlich, dass es ein Fehler war, allein zu kommen. Wie sollte er mit ihrem Leader umgehen? Das letzte Mal, dass er ihn für mehr als einige Sekunden zu Gesicht bekommen hatte, war dieser von Seung-Hyun schreiend auf sein Bett gedrückt worden. Doch nun war er hier. Ji-Yong saß am Rand seines Bettes, den Oberkörper weit nach vorn gebeugt. Er schien zu zitteren. "Hy-Hyung? Ist alles in Ordnung?", fragte Dae-Sung sehr leise. Natürlich bekam er keine Antwort. Deshalb trat er näher. War es ein Wimmern, das er hörte? Dae-Sung spürte ein flaues Gefühl in sich aufkommen. "Hyung, was machst du da? Tut dir etwas weh?" Es machte ihn nervös, dass er durch das schlechte Licht im Raum nur wenig erkennen konnte. Vielleicht war es nicht richtig, aber er trat vorsichtig an Ji-Yong vorbei, welcher ihn noch immer nicht wahrnahm und öffnete die Vorhänge einige Zentimeter. Das graue Nachmittagslicht fiel auf die Gestalt auf dem Bett und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ji-Yong wurde aus seinen Gedanken fortgerissen und drehte sein Gesicht vorsichtig dem Licht zu, wobei er in seinen Bewegungen inne hielt. Seine Augen, unter welchen tiefe Ringe lagen, waren nicht mehr an die Helligkeit gewöhnt, sodass er unbedacht einen Arm hob, um sie abzuschotten. In diesem Moment sah Dae-Sung es. Das Blut, das daran heruntertropfte. "Hyung, was hast du getan?", flüsterte er entgeistert und griff, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, nach Ji-Yongs Handgelenk. Die Innenseite seines Armes war blutig gekratzt. Und als er sah, dass es bei dessen anderen Arm das Gleiche war, ergriff Dae-Sung auch diesen. Ich konnte es nicht glauben. Nicht verstehen. Es war wie die Ruhe vor dem losbrechen eines Orkans. Dae-Sung starrte noch immer ungläubig die Arme seines Freundes an, dieser hob träge den Kopf, als würde er nur langsam begreifen, was sein Gegenüber tat. Doch dann fixierte sein Blick ihn und er begriff. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Ein lauter, schriller Schrei der Abscheu und der Angst gellte durch das kleine Apartement und ließ seine beiden wachen Freunde aufschrecken. Eben noch hatten sie ruhig, zärtlich aneinandergeschmiegt dagesessen, schon sprangen sie auf und hetzten durch den Flur um der Ursache des Schreis nachzugehen. Young-Bae riss die Tür auf und war auf einiges gefasst, aber das Bild, das sich ihm bot war dennoch erschreckend. Geschockt blieb er im Türrahmen stehen, so dass Seung-Ri in seinen Rücken prallte. Doch auch dieser konnte einen Moment gar nichts tun, als er die Szene sah, die sich in dem kleinen Zimmer abspielte. Es bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Das Bett, in dem Ji-Yong die letzten Tage verbracht hatte, war auseinandergerissen. Die Decke hatte sich um die Beine ihres Leaders geschlungen und er selbst stand schwankend und brüllend an die Wand gepresst, seine Hände tasteten wild umher, sein Blick war beinahe wahnsinnig, panisch. Er griff nach allem, was er erreichen konnte und schleuderte es in Richtung Dae-Sungs, der nichts anderes tun konnte, als die Arme vor den Kopf zu heben und sich so vor den Angriffen zu schützen. Es war alles so schnell passiert, dass er es selbst nicht verstand und als seine Freunde endlich aus ihrer Starre erwachten und ihn anschrien, was hier passiert sei, konnte er nur den Kopf schütteln und unsinniges Zeug vor sich hinstottern. Er wusste, dass er nach Ji-Yongs Armen gegriffen hatte, unbedacht, um sich die Verletzungen anzusehen. Natürlich hatte er nicht an die Folgen gedacht, er war zu geschockt von den tiefen Kratzern. Dann der Aufschrei. Ji-Yong, der unverständliche Verwünschungen kreischte und wie in Todesangst aus dem Bett floh, dabei fast hinfiel. Dae-Sung hatte versucht ihn aufzufangen, doch der andere hatte wie wild um sich geschlagen, so als würde er nicht mehr wahrnehmen, mit wem er hier kämpfte. Seine inneren Dämonen quälten ihn so sehr, dass er sogar seine Freunde angriff. Young-Bae war bereits nach den wenigen Sekunden klar, die nach ihrem Eintrffen im Schlafzimmer vergangen waren, dass sich das Problem nicht von selbst lösen wuerde. Er würde Ji-Yong nicht beruhigen können, wie Seung-Hyun es getan hatte. Diese Fähigkeit war ihm nicht gegeben. Aber wenn sie darauf warteten, hofften, dass ihr verängstigter Anfüher es allein schaffen würde, könnte noch etwas Schlimmeres passieren. Dae-Sung konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Er hatte Angst, Ji-Yong noch mehr in Panik zu versetzen, wenn er sich rührte, um den Geschossen zu entgehen. Er war wirklich unbedacht gewesen. In dem Moment, als er seine Deckung leicht sinken ließ, entdeckte Ji-Yong die Schreibtischlampe. Schwer atmend und mit bebenden Händen ergriff er sie, hielt sie fest umklammert, wie seine letzte Verteidigung. Er sah nicht die Wirklichkeit. In diesen Momenten konnte er es nicht. Dae-Sung war in seinen Augen nur eine dunkle Gestalt und er musste sie auf Abstand halten. Er musste alles von sich fern halten. Jetzt, wo auch Seung-Hyun gegangen war, war er auf sich allein gestellt. Er holte weit aus und seine drei Freunde hielten den Atem an. Ji-Yong schleuderte die Lampe auf Dae-Sung, welcher entsetzt aufschrie und sich zur Seite warf, sodass das Geschoss ihn knapp verfehlte. Der Anführer jedoch hatte sich mit diesem Wurf selbst niedergestreckt. Der Schwung, mit welchem er geworfen hatte, riss ihn nach vorn und die Decke, die sich noch immer um seine Beine schlang, brachte ihn zu Fall. Er schrie laut, nicht im Stande sich zu befreien. Alles wurde schwarz, aber nur für einen kurzen Augenblick. Young-Bae nutzte die Gunst der Stunde. Er hatte Seung-Ri zwar von ihrem Anführer fernhalten wollen, aber jetzt brauchte er ihn. "Haltet ihn fest und zieht ihn auf die Beine!", befahl er in einem Ton, welcher keine Wiederrede zuliess. Dae-Sung und der Jüngste sprangen auf den in Raserei verfallenen Ji-Yong zu und zogen ihn in eine aufrechte Position. Es war ihnen beinah unmöglich, ihn festzuhalten. Ji-Yong strampelte die Decke von seinen Beinen und begann um sich zu treten. Young-Bae rannte zu seinem Nachttisch. In der obersten Schublade befanden sie sich. Die Beruhigungstabletten. Er hatte sie nie benutzen wollen. Mit fahrigen Haenden drückte er zwei aus ihrer Verpackung und hastete zu seinen verzweifelt ringenden Freunden. "Dae-Sung, du musst sein Kinn festhalten. Halt seinen Kopf hoch." Unsicher sah der Angesprochene auf die Tabletten, aber er vertraute dem Älteren. Seung-Hyun würde vielleicht nicht mehr die Kraft besitzen, Ji-Yong noch einmal zu helfen. Sie hatten keine Wahl. Und mit diesem Gedangen versuchte auch Young-Bae seine Zweifel zu beseitigen. Doch sie verschwanden nicht. Dae-Sung packte Ji-Yongs schmales Kinn und zerrte seinen Kopf nach oben, sodass dessen Mund sich leicht öffnete. Young-Bae kam näher, die Tabletten fest zwischen seinen Fingerspitzen. Ji-Yong, welcher kaum noch Kraft hatte zu schreien, begann umso wilder zu zappeln und wimmerte nur noch laut, sodass es ihnen allen das Herz zerriss. Seine Augen blickten panisch auf Young-Baes näherkommende Hand und seine Tränen begannen in endlosen Bahnen zu fliessen. "Nein!"f lehte er hilflos. "...bitte nicht...hör auf..." Seine Stimme war schwach und heiser, doch trotzdem schaffte sie es beinahe, Young-Bae dazu zu bewegen, sein Vorhaben aufzugeben. Er war kurz davor, als Ji-Yong erneut durchdrehte. "Verschwinde!!!!!!!!Arschloch!!!!!!!!!", hörten sie ihn schreien und konnten es kaum fassen. Jetzt wussten sie, dass er sie nicht mehr erkannte. Young-Bae musste dies beenden. "Ji-Yong, es tut mir leid", sagte er, bevor der die Tabletten in dessen schreienden Mund zwang und ihn zuhielt. Diese Entschuldigung war ehrlich, auch wenn Ji-Yong es nicht verstand. Aber der Ältere hoffte, dass dieser es irgendwann begreifen würde. "Hör sofort damit auf, Vollidiot!!" Zuerst dachte Young-Bae, es seien noch immer die Schreie des Leaders, die sein Ohr erreichten, doch als eine unerbittliche Hand in seine Kleidung griff und ihn beiseite zog, wusste er, dass es nicht so war und dass die tiefe, gnadenlose Stimme Seung-Hyun gehörte. Er war außer sich. Er hatte tief geschlafen und zuerst hatten sich die lauten Geräusche nur unbewusst in seine Traumwelt eingeflochten, doch dann ertönte ein dröhnendes Krachen, gefolgt von angstvollen Schreien und er erwachte mit einem Mal. Und dann das. Das Zimmer war ein Durcheinander, Scherben, Stifte und mehr kaputter Kleinkram waren auf dem Boden verteilt, seine Freunde hielten Ji-Yong fest und es brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis Seung-Hyun bemerkte, was sie vorhatten. Er musste eingreifen, musste verhindern, dass sie Ji-Yong das antaten. Wenn er es nicht tat, würde Ji-Yong das Vertrauen in sie alle, und vor allem in ihn verlieren. Das konnte er nicht zulassen. Also griff er nach Young-Bae und zog ihn mit aller Kraft beiseite, schrie ihn an. Die beiden Jüngeren waren von seinem plötzlichen Auftauchen so überrascht, dass sie vergaßen, ihren Anführer festzuhalten, der sich sofort loswand, immer noch strampelnd, immer noch nichts sehend als schemenhafte Gestalten, die ihm Böses zufügen wollten. In seiner Wut und Angst hieb er Dae-Sung auf die Wange, so dass dieser schrill aufschrie. Seung-Hyun, der versuchte, seine Wut auf seine Freunde zu zügeln, ließ von Young-Bae ab und wandte sich wieder dem Leader zu, der sich nur langsam zu beruhigen schien. Ohne nachzudenken legte er ihm seine Hand auf die Wange und zwang ihn, in seine Richtung zu blicken. Es war so, als würde das zornige Dunkel im Ji-Yong herum sich auflösen, langsam nur, doch er begriff, dass Seung-Hyun bei ihm war. Nun würde ihm keiner mehr etwas tun können. Noch immer ging sein Atem schwer, sein Brustkob hob und senkte sich schmerzhaft, doch die Panik schien gebannt. Langsam hob er die Hand und schob die des Älteren von seiner Wange, doch sein Blick drückte Dankbarkeit aus. "Raus hier", wies Seung-Hyun die anderen an. Nun war es wieder seine Sache, sich um Ji-Yong zu kümmern. Und wenn es ihn seine letzte Energie kosten würde. --- "Und jetzt will ich wissen, was hier eigentlich passiert ist!", forderte Seung-Hyun und sein Blick duldete keine Widerrede. Gerade hatte er Ji-Yong dazu gebracht, sich wieder in sein Bett zu legen, hatte ihm beruhigende Worte gesagt und die gröbste Unordnung wieder beseitigt. Dann war er ins Wohnzimmer zurückgekehrt, wo di anderen mit ernsten und Schuldbewussten Gesichter Platz genommen und auf ihn gewartet hatten. Besonders in Young-Baes Ausdruck konnte man die Schuld lesen. Letztendlich hatte er Seung-Hyun ins Bett geschickt und die Verantwortung übernommen. Und er hatte versagt. Niemand schien dem Ältesten wirklich antworten zu wollen. Jeder von ihnen fürchtete sich vor dem, was kommen würde, wenn dieser erfuhr, wie es zu all dem gekommen war. Vor allem aber fürchtete sich Dae-Sung. War er doch derjenige, der falsch und unbedacht gehandelt hatte. "E-es war..", setzte er leise an. "Es war meine Schuld. Ich war unvorsichtig." Seung-Hyuns durchdringender Blick fiel auf den sich Zusammenkauernden und forderte wortlos eine bessere Erklärung. Young-Bae machte Anstalten, den Jüngeren davon abzuhalten, weiterzusprechen und alle Verantwortung auf sich zu nehmen, aber Dae-Sung ließ sich nicht zum Schweigen bringen. "Ich wollte nur nach ihm sehen, aber...h-hast du seine Arme gesehen?! Ich-ich war so entsetzt, dass ich ihn angefasst habe. Seine Arme..." Bei seiner Frage hatte er Seung-Hyun hilflos fragend in die Augen gesehen, in der Hoffnung auf Verständnis. Doch als dieses nicht erschien, sank sein Blick wieder dem Boden zu. "Deshalb ist er in Panik geraten. Young-Bae und Seung-Ri haben nur versucht, mir zu helfen...und dir." Dae-Sung hatte das Gefühl, seine Freunde unbedingt verteidigen zu müssen. Seung-Hyun sollte nicht denken, dass sie unfähig waren, mit ihrem Leader umzugehen. Er sollte nicht der Überzeugung sein, dass nur er allein mit Ji-Yong fertig werden konnte. Doch leider war es bereits zu spät. Seung-Hyun schüttelte langsam den Kopf und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. Er atmete tief ein. "Ist das alles? Mehr ist nicht passiert?" "N-nein..." "Hyung", setzte da Young-Bae an. "Bitte gib nicht Dae-Sung die gesamte Schuld. Was hätte er tun sollen? Zulassen, dass Ji-Yong sich weiter verletzt?" Er erhob sich und ging auf den Älteren zu, die Hände ausgebreitet, als gäbe es für diese Frage nur eine einzige Antwort. "Ihr hättet mich holen können." "Du weisst genau, warum wir das nicht getan haben. Und die Tatsache, dass du trotz des Lärms so spät kamst, beweist, dass du Ruhe brauchst." "Aber es geht hier nicht um mich, sondern um ihn-" "Nein! Es geht vor allem um dich. Wir haben doch schon darüber geredet." "Ja, aber du hast dein Versprechen nicht gehalten. Du kannst keine Verantwortung für ihn übernehmen. Nur ICH kann ihm helfen. Das ist jetzt wohl mehr als deutlich geworden!" Seine Stimme wurde lauter, bis Young-Bae zurückwich. Seung-Hyuns Worte und die Wahrheit, die darin lag, trafen ihn wie ein Schlag in den Magen. Er wandte sich ab, denn er konnte nichts mehr erwiedern. Jede Verteidigung war eine Lüge. "Ich werde jetzt gehen und ihn verarzten, wenn er mich lässt. Und ihr betretet dieses Zimmer nicht mehr." Er sprach es aus, wie einen Befehl und niemand wagte, zu wiedersprechen. Nachdem sich die Tür geräuschvoll geschlossen hatte, sahen sich die Drei betreten an. In Seung-Ris Augen wallten Tränen auf. "Hyung", sprach er Young-Bae an. "Er hat uns verboten zu Ji-Yong zu gehen. Das kann er nicht machen.", stiess er erstickt hervor. Doch der Ältere hatte keine aufmunternden Worte für ihn. Auch Young-Bae war nun am Ende angelangt. Seung-Hyun war auf sich allein gestellt, endgültig. --- Kaum hatte er die Küchentür hinter sich geschlossen, sank Seung-Hyun erschöpft gegen die kühle Flurwand. Er hatte das Bedürfnis, sich hinzulegen und einfach zu schlafen, doch das konnte er sich nicht erlauben. Wie lange noch? Das wusste er nicht, doch er musste stark bleiben. Tränen brannten in seiner Kehle, Tränen der Erschöpfung und der Wut auf die Ungerechtigkeit des Lebens, doch er schluckte sie herunter und drückte seinen bleischweren Körper wieder von der Wand weg. Es gab da jemanden, um den er sich kümmern musste. Im Bad, wo er den Verbandskasten aus dem Schrank nahm, warf er einen ehrlichen Blick in den Spiegel und erschrak fast vor seinem Abbild. Natürlich hatte Young-Bae recht, er brauchte Ruhe, aber nicht zu solch einem hohen Preis. Seung-Hyun versuchte gequält, sein Spiegelbild anzulächeln, doch es schnitt ihm nur eine Fratze, die nicht im entferntesten mehr an den fröhlichen jungen Mann von vor gar nicht allzu langer Zeit erinnerte. "Ach, lass mich doch in Ruhe!", zischte er dem Spiegel zu, griff nach dem Verbandszeug und trat vor Ji-Yongs Zimmer. Er klopfte fest an und wartete auf Antwort, bevor er eintrat. Um den gebührenden Abstand zu wahren setzte er sich nicht auf das Bett seines Freundes, sondern zog sich einen Stuhl so heran, dass er Ji-Yong in die Augen sehen konnte. "Ji-Yonga... was ist heute passiert?" Die gleiche Frage, die er auch den anderen gestellt hatte, aber jetzt klang sie nicht wütend und herrisch sondern sanft und besorgt. Ji-Yong antwortete nicht, sah dem anderen noch nicht einmal ins Gesicht. Seine einzige Reaktion auf die Frage war, dass er die Beine noch weiter anzog und sich tiefer in die Decke zu graben schien. Nun gut, er konnte ihn nicht drängen, wenn er nicht reden wollte, also setzte er an einem anderen Punkt an. "Ich würde dich gerne verarzten, wenn du es mir erlaubst. Ich habe Desinfektionsmittel und Verbände dabei." Zur Demonstration öffnete Seung-Hyun den kleinen Kasten und suchte die angekündigten Gegenstände heraus. Er zeigte sie dem Jüngeren. "Willst du mir deine Arme zeigen?" Auf diese Frage hin gab Ji-Yong dem Älteren nur ein Kopfschütteln. Seine zerkratzten Arme schmerzten, doch zog er sie unter der Decke dichter an sich. Unmöglich konnte er Seung-Hyun sehen lassen, was er sich zugefügt hatte. Jetzt, nachdem sich der Sturm in ihm gelegt hatte, konnte er erkennen, dass er in diesem Moment nicht er selbst gewesen war. Sein Freund hatte ihn ein weiteres Mal zurückgeholt. Und er hatte befürchtet, dieser würde nicht mehr zu ihm zurückkehren. Dabei saß er doch hier und dah erschöpfter aus als je zuvor. Er machte nur Ärger und trotzdem wollte Seung-Hyun ihm noch helfen. "Ji-Yonga, lass mich dich wenigstens verarzten. Ich werde dir nicht weh tun", bat der Ältere, es wagend, seine Hand auf die Bettdecke zu legen, an den Punkt, an welchem er Ji-Yongs Schulter vermutete. Die indirekte BerÜhrung schien etwas in dem Jüngeren zu bewegen. Sehr langsam begann sich dessen rechter Arm unter dem Rand der Decke hervorzuschieben. Als zum Vorschein kam, was Seung-Hyun im vorhergegangenen Kampf mit ihrem Freund nur flüchtig gesehen hatte, musste er die Lippen zusammenpressen, um nichts Unüberlegtes zu sagen. Mit Bedacht legte er seine Hand unter das Handgelenk Ji-Yongs, um dessen Arm leicht anzuheben. Er betrachtete dessen Fingernägel, unter welchen getrocknetes Blut klebte. Die Frage, warum sein Freund dies getan hatte, brannte in seiner Brust, doch er hielt sich zurück. Langsam schob er die Decke vom Oberkörper des Jüngeren und legte auch dessen anderen Arm frei. Er war auf die selbe Weise zugerichtet. Ji-Yong verkrampfte sich, aber begann nicht zu wimmern oder zu schreien. Dies gab Seung-Hyun Sicherheit. "Setz dich bitte hin. Dann machst du es mir leichter." Diese Formulierung hatte er gar nicht verwenden wollen. Sie rutschte ihm einfach heraus, während er das Verbandsmaterial heraussuchte. Genau diese Wortwohl jedoch war es, die Ji-Yong dazu brachte, der Bitte Folge zu leisten. Er setzte sich zögernd auf, die Augen niedergeschlagen. Seinen Körper aber wandte er dem Älteren zu und entblösste ohne Widerwillen seine Wunden. Er wollte es leichter für Seung-Hyun machen. Er wollte ihm helfen. Ihm zeigen, dass seine Taten nicht vergebends waren. Seung-Hyun war sehr überrascht, als sich sein Gegenüber plötzlich derart offen zeigte. Dies verwunderte und erleichterte ihn zugleich. Seine Vorsicht aber würde er nicht fallen lassen. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, streckte Ji-Yong dem Freund seinen Arm hin, während dieser die Plastikverpackung von einem frischen Verband löste. Sanft versuchte Seung-Hyun seine Wunden zu säubern, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Als er das Desinfektionsmittel auf die Kratzer sprühte, verzog Ji-Yong den Mund und sog zischend die Luft ein, aber er wollte nicht Jammern. Der Ältere versuchte aufmunternd zu lächeln. "Tut mir leid, wenn ich dir weh tue", entschuldigte er sich und tupfte den Alkohol, der sich mit den Blutspuren mischte und eine rosarote Färbung bekam von der Haut des Anderen. "Schon okay...", wisperte Ji-Yong und wandte den Blick ab. In seinen Augenwinkeln glitzerte eine Träne und er versuchte sie daran zu hindern, über seine Wange zu kullern, indem er die Augen zukniff. Doch nicht der Schmerz in seinen Armen war der Grund dafür. Nein, Ji-Yong war gerührt davon, wie aufopferungsvoll sein Freund sich um ihn kümmerte. In diesem Moment nahm er sich fest vor, sich zusammenzureißen, damit er Seung-Hyun keine Sorgen mehr bereiten musste. Der Ältere war so lange für ihn stark gewesen, jetzt war es an ihm selbst, Stärke zu beweisen. Als der rechte Arm gesäubert war, wickelte Seung-Hyun vorsichtig eine Binde darum, dann widmete er sich der anderen Seite. Als er fertig war, räumte er gewissenhaft die Verpackungsreste zusammen, um sie wegzuwerfen. Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl seinem Freund gegenüber und versuchte erneut zu lächeln. "Möchtest du, dass ich noch eine Weile bei dir sitzen bleibe oder soll ich lieber nach draußen gehen?" Ji-Yong raffte wieder die Decke bis zu seinen Schultern und rutschte gegen die Wand. "Bleib noch ein bisschen, ja?", flüsterte er und zog seine Beine wieder an. "Setz dich zu mir aufs Bett... bitte..." Die letzten Worte waren so leise, dass Seung-Hyun sie kaum verstand, sich fast fragte, ob sie nicht Einbildung gewesen waren. Doch der vertrauensvolle Blick Ji-Yongs lehrte ihn das Gegenteil. Vorsichtig ließ er sich auf der Matratze nieder. Sein Herz machte freudige Sprünge, während sein Geist sich nur nach erholsamem Schlaf sehnte. Doch dass Ji-Yong diesen Schritt gemacht hatte, dass er ihn von sich aus in seine Nähe holte, zeigte ihm, dass auch nach dem größten Orkan die Ruhe wieder einkehren konnte. Ji-Yong schien sich auf dem Weg der Besserung zu befinden und das machte ihn so froh, dass er es nicht in Worte fassen könnte. Er wagte einen Seitenblick auf den Anderen, der mit geschlossenen Augen den Kopf gegen die Wand gelegt hatte. Als würde er seinen Blick spüren, öffnete Ji-Yong die Augen und auf seinen Lippen spielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. "Danke...", flüsterte er und ließ seinen Kopf auf Seung-Hyuns Schulter sinken. Als der Jüngere ihm derartig nah kam, verkrampfte sich Seung-Hyuns Körper ungewollt. Dass dieser seine Nähe suchte, fühlte sich wunderschön an. Jedoch hatte er es sich bereits abgewöhnt, nach ihr zu verlangen, sodass Seung-Hyun im ersten Moment nicht wusste, wie er reagieren sollte. Er wollte ihn bei sich behalten, aber er durfte keinen Fehler begehen. Sein Blick wandte sich von dem nun entspannten Gesicht Ji-Yongs ab und er atmete tief ein. Eine derart einfache Berührung, die er sich früher gewünscht hatte, wurde plötzlich kompliziert. Aber er musste seinem Freund das Gefühl vermitteln, dass alles in Ordnung war. Das alles zwischen ihnen noch genauso war, wie vor diesem schrecklichen Ereignis. Als er es schaffte, den Atem wieder auszustoßen, liess auch Seung-Hyun es zu, dass seine Muskeln sich entspannten. Ji-Yong erschien unsagbar friedlich. Dies hätte er nach einem Nachmittag wie diesem kaum für möglich gehalten, doch er hatte es geschafft. Ja, vielleicht war er am Ende, vielleicht hatte er wirklich keine Kraft mehr. Aber all die Opfer hatten sich gelohnt. Die anderen irrten sich. Er hatte sich geirrt. Er erlangte es zurück, Schritt fuer Schritt, Ji-Yongs Vertrauen. Von nun an würde er ihm wieder näher kommen. Er spürte es. Und während all diese Gedanken seinen Geist durchwanderten, senkte sich auch Seung-Hyuns Kopf nieder und bettete sich auf dem Ji-Yongs, welcher nicht zurückschreckte, da er bereits eingeschlafen war. Dessen ruhiger Atem war deutlich zu hören und der Ältere folgte ihm in den Schlaf. In einen tiefen und friedlichen Schlaf. --- Nach dieser Nacht erschienen alle Tage die folgten weniger grau und weniger verzweifelt. Die Veränderungen vollzogen sich langsam, doch jeder konnte sie spüren. Ji-Yongs Zustand besserte sich. Etwas, das Seung-Hyun und auch die anderen kaum für möglich gehalten hatten, trat ein. Mit jedem Tag schien ihr Anführer einen weiteren Schritt nach vorn zu gehen. Der Älteste erlaubte zwar noch immer nicht, dass sie Ji-Yong besuchten, doch allein das Leben, das langsam in dessen Augen zurückkehrte, erzählte ihnen genug. Zu Beginn waren es nur kleine Dinge gewesen. Ji-Yong, der sich immer weniger scheute, sich zu Seung-Hyun zu setzen. Ji-Yong, der wieder begann, mit ihm zu sprechen. Sie sprachen über Dinge, die weit entfernt von dem lagen, was er erlebt hatte und oft erzählte der Jüngere ihm wieder und wieder das Selbe. Aber Seung-Hyun war es egal. Er war nur froh, dass er die Stimme seines geliebten Freundes wieder hören durfte und dass die Bedrückung in ihr mit jedem Tag weiter nachliess. Und nicht zuletzt waren es die Berührungen, die ihm zeigten, dass es bergauf ging. Selbst wenn der Jüngere nur seine Hand ergriff oder sich an ihn lehnte. Es ging soviel Wärme von diesem aus. Wärme, die Seung-Hyun Kraft gab und die Angst langsam vertrieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)