Zephon von abgemeldet (Intrigante Wut) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Willkommen Brüder!“, monoton hallte Raziels Stimme in der hohen Säulenhalle wider und lies die grauenvolle Gemütlichkeit, die der letzte Rest des Tageslichts durch die imposanten Fenster der Zuflucht warf, geräuschlos im Nichts verpuffen. Gelangweilt richtete Zephon seine Aufmerksamkeit auf seinen ältesten Bruder. Groß, schön und erhaben war er, Raziel, Kains Stellvertreter. Prinz des Westens und Lord der unbezwingbaren Razielim. Kains bester Zögling, seine erste Brut… der Stolz Nosgoths! Zu viele Titel hatte sein älterer Bruder inne, als das sich Zephon je die Mühe gemacht hätte alle im Gedächtnis zu behalten. Reichte es nicht aus, dass Raziel der Rest Nosgoths in heuchlerischer Ehrfürchtigkeit zu Füßen lag und seinen Stolz in unermessliche Arroganz gesteigert hatte? Wieso sollte sich Zephon dem anschließen? Immerhin war auch er ein Sohn Kains und verdiente den gleichen Respekt! Er und sein Clan waren diejenigen, welche die unerschrockenen Spione stellten. Seine Kinder waren es, die Kains Gegner von Innen heraus zerstörten, bevor seine ach so glorreichen großen Brüder ihre aufgeblasenen Armeen über die kümmerlichen Reste der Feinde walzen ließen. Blut und Tränen, das zahlten die Zephonim seit jeher für die göttliche Größe des Reiches und was bekamen sie dafür? Den Stiefel! Und dafür verachtete Zephon sie alle… all die madigen Schönschwätzer und die pompöse Selbstverliebtheit seiner älteren Brüder. Doch Raziel stand an der Spitze dieses Hasses, eine allmächtige Galionsfigur, die Zephons Verachtung immer wieder ins Unermessliche schürte. Da stand er nun, Vaters kleiner Liebling, vor dem vergoldetem Herrschersitz Nosgoths und stellte SEINEN Kriegsplan im Rat vor. Es ging um die nordwestlichen Tuhleryen. Genauer gesagt um Gedeon. Eine alte, hochherrschaftliche Siedlung der Menschen in den Ebenen Nosgoths. Zu Kains Verdruss hatten sich dort über die Jahre sehr viele Dämonenjäger niedergelassen, die überraschend gut mit den ansässigen Vampirjägern zusammenarbeiteten. „Aus zuverlässigen Quellen erfuhren wir, dass die gedoanischen Jäger einen Angriff auf den Haupthandelsweg des Reiches planen.“, bohrte Raziels Stimme wieder in Zephons mürrische Stille herum und ließ ihn verdrossen aufblicken. Zephons Gegenüber im Saal war niemand anderes als Dumah. Drittältester und weit bekannt als großer Krieger mit mächtiger Armee. Wenn es ein Wort gab mit dem man Dumahs Charakter umschreiben konnte, dann war es Eitelkeit. Dumah war ständig mit sich selbst beschäftigt und so verwunderte es Zephon nicht, als er sah, dass sich Dumah, anstatt Raziels langweiligem Gerede Achtung zu schenken, mit einer kleinen Feile die Klauen schärfte. Neben Dumah standen Rahab und Melchiah. Dummtreu hingen sie an Raziels Lippen, saugten wie ein Schwamm Wort für Wort in sich auf. Rahab, der intellektuelle Egozentriker. Keiner verstand es so gut wie er, seine geistige Prunksucht unter einem Mantel aus familiärer Fürsorge zu verstecken. Mochten ihm seine Brüder dies abkaufen, so tat es Zephon nicht. Zu scharfsichtig und klar war sein Blick und sein Verstand, als das er sich so leicht von der lammfrommen Fassade eines anderen täuschen lassen würde. Mit einem leichten Kopfschütteln richtete er seinen Blick auf Melchiah, der mit ausdrucksloser Miene lauschte. Der kleine Melchiah, der Jüngste und Schwächste von ihnen. Er war es, der nach Zephon kam und mit seinem Clan die unterste Kaste des Reiches bildete. Welch vergnüglicher Zeitvertreib es doch war Melchiah zu schikanieren! Zephon tat dies so oft es ihm möglich war und niemand, nicht einmal Kain, würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Es war nun mal die natürliche Ordnung der Vampire, dass sich der Schwächere den Launen des Stärkeren beugen musste. Eine sadistische Genugtuung war es für Zephon noch jemand unter sich zu haben. Ein wehr- und hilfloses Spielzeug… wie vorzüglich! „Zephon“, hob Raziel, dem Zephons Kopfschütteln nicht entgangen war, an und richtete seine goldgelb glühenden Augen auf ihn, „Möchtest du vielleicht etwas beitragen?“ „Oh, großer Bruder!“, zischte Zephon und trat von einem Bein auf das andere, „Wie käme ich denn dazu DIR in irgendeiner Weise zu widersprechen, noch etwas zu deinem ausgetüftelten Angriffsplan hinzuzufügen?“ Raziels Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen, als er sich in Bewegung setzte und in raumgreifenden Schritten auf Zephon zugelaufen kam. Mehrere Strähnen seines schwarzen Haares fielen ihm in das fein geschnittene Gesicht, als er sich drohend vor Zephon aufbaute und ihm direkt in die Augen sah. Man konnte die Stille, die in den Ratsaal eingetreten war beinahe greifen. Dumah hatte aufgehört sich die Klauen zu feilen und blickte erschrocken auf die Szene vor ihm. Rahab und Melchiah tauschten verwirrte Blicke aus, während sich um Turels Mundwinkel ein spöttisches Grinsen legte. Zephon wusste nicht genau, wem das Grinsen des Zweitältesten galt, aber es stachelte ihn an Raziel bis zum Äußersten zu reizen. „Dieser Angriffsplan, liebster Bruder ist unser aller Plan!“ „Ach wirklich, Raziel?! Ich wusste nicht, dass ich daran beteiligt war.“, giftete Zephon, innerlich vor Wut schäumend, „Wenn sich dein „Wir“ nur auf dich und deinen Kriegsmeister bezieht, dann ist das ein verdammt kleiner Zuständigkeitskreis, meinst du nicht auch?“ „Du kennst unsere Befehle, Zephon! Kain hat ausdrücklich be- …“ „Aber Kain ist nicht hier und wird auch nicht so schnell zurückkommen, Bruder! Und vergiss nicht, dass nicht nur du allein in Kains Abwesenheit die Befehlsgewalt hast.“, rabiat schob sich Zephon an Raziel vorbei und betrat die Mitte des Säulenplateaus. „Wir stehen hier immerhin als gleichwertige Führer Nosgoths!“, rief Zephon und lies seine geöffnete Handfläche über die Reihen seiner Brüder gleiten. Unterdessen hatte sich Raziel keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Schweigend stand er mit dem Rücken zu Zephon, die Klauen in die Hüften gestützt. Sein rotes Clanbanner rutschte Raziel über die Schulter und gab den Blick auf das eingebrannte Zeichen ihres Herren frei. Nur er, Raziel, hatte dieses Brandmal. Es war das sichtbare Symbol seiner gesonderten Stellung im Rat. „Weißt du Zephon“, begann Raziel nach einer langen Stille, „Du hast Recht, Bruder! Wir sind Gleichwertig!“ Mit tödlicher Besonnenheit drehte sich Raziel zu Zephon um. Kein Anzeichen von Wut oder Hass zeichnete sich auf dem hübschen Gesicht ab, nur eine eigenartige Ruhe: „Dies war Kains Anliegen, als er uns schuf. Doch diese Tatsache wird ausgehebelt, wenn der Gebieter den Rat verlässt. Und nun sage mir, kleiner Bruder, wo ist unser Gebieter, dass du es wagst dich in diesem Augenblick gleichwertig mit mir zu betrachten?“ Raziels sonst so ruhige Stimme erhob sich zu einem Orkan dunkler Autorität. Donnern lies sie die Halle erbeben. Seine Hand griff nach dem roten Haar seines Bruders und zog ihn an seine entblößte Schulter, drückte dessen Wange gegen seine kalte Haut. Unweigerlich starrte Zephon auf das vernarbte Kainszeichen, welches sich dunkel von Raziels schneeweißer Haut abhob. Zephon war so entsetzt über die plötzliche Berührung, dass er keinen Ton mehr hervorbrachte. „Wer von uns beiden trägt dieses Brandzeichen, Zephon?! Weißt du Simpel eigentlich was dies bedeutet?! Es bedeutet Macht, kleiner Zephon! Macht, die du NIE haben wirst, für alle Ewigkeit nicht! Und solange ich dieses Brandzeichen trage, Brüderchen… hast du gefälligst das zu tun was ich dir sage!!!“ Ruckartig stieß Raziel seinen Bruder von sich und zupfte sich das Clanbanner zurrecht. Entsetzt und wütend über die Worte seines Bruders, blickte Zephon auf Raziel, der nur auf eine Widerrede zu warten schien. Stattdessen drehte sich Zephon auf den Fersen um und lief eilends aus dem Saal. Es waren nicht die Blicke seiner restlichen Brüder oder gar die Situation, die ihn gekränkt hatten. Gleich wie sehr Zephon Raziel auch hassen mochte, das Gesagte war die Wahrheit und je mehr er darüber nachdachte desto wütender wurde Zephon auf sich. Er hatte eine bittere Niederlage gegen seinen Bruder einstecken müssen und das würde noch lange an ihm nagen. Vergoldete Kelche, Papiere und Kerzen flogen wie Spielzeug durch die Luft und landeten auf den Boden, als Zephon den Tisch mit einem tiefen Knurren umstieß. „Wie kann er es wagen mich so bloßzustellen?!“, keifte der Rothaarige und versetzte einem der Trinkkelche einen letzten Tritt, sodass dieser durch den ganzen Empfangssaal schlidderte. Xerxes, Zephons Erstgeborener, ein hagerer Vampir mit aschfahler Haut und kurzem, im Nacken geschorenem, nachtschwarzem Haar, stand schweigend an einer der Säulen, welche die hohe Decke des Raumes stützten, und beobachtete den Ausbruch seines Gebieters mit gewohnter Gelassenheit. Die vielen menschlichen Diener hatten längst ihr Heil in der Flucht gesucht und auch Xerxes Brüder beobachteten die Szene lieber aus sicherer Entfernung. So wie es jedes mal war. „Dieser arrogante Bastart, was bildet er sich ein?!“, wetterte Zephon inzwischen weiter und lies sich mit finsterer Mine im Schneidesitz auf den Boden nieder. Xerxes, hatte im Gang zusammen mit den anderen Stellvertretern der Clanlords gesessen und Karten gespielt, als Zephon aus dem Ratsaal gestürmt kam und sie aufgescheucht hatte. Er wusste nicht genau was vorgefallen war, doch ahnte er, dass es wieder einmal mit Lord Raziel zusammenhängen musste. Sein Herr war auf Raziel nie gut zu sprechen gewesen, was wohl an ihren unterschiedlichen Wesen lag. Lord Raziel war ein hoch angesehner Vampir mit unterkühltem Temperament und tiefschwarzem Humor, während sein Herr Zephon so feurig war, wie die zuckenden Flammen im Kamin, der kunstvoll in einer Wandnische des Raumes eingebettet war. Seufzend stieß sich Xerxes von der Wand ab und schlenderte auf seinen Herren zu, der schweigend auf dem Boden saß, die sehnigen Arme vor der nackten Brust verschränkt. In Zephons Kopf arbeitete es. „Ich nehme an Ihr seid fertig mit Eurer Unmutsbekundung, Herr?“, spottete Xerxes und kniete sich zu seinem Erschaffer. Zephon sagte nichts, sondern blickte nur in das ebenmäßige Gesicht mit den fein angedeuteten, aristokratischen Zügen. Er war stolz auf Xerxes, seit jeher, denn nie wieder hatte er einen solch perfekten Vampir erschaffen. Er konnte es sich nicht erklären, doch Xerxes war etwas Besonderes für ihn, auch wenn er seine anderen Kinder ebenfalls sehr liebte. Vielleicht lag es daran, dass Xerxes seine erste Wahl war, als er damals die alte Familienkrypta der Daras, aufbrach und ihm die mumifizierte Leiche des jungen Mannes sofort ins Auge stach. Er war mit allerlei Würden bestattet worden und das schmucke Breitschwert wurde von Xerxes, selbst noch im ewigen Todesschlaf, so edel gehalten, dass man glaubte er würde jeden Moment erwachen und die Waffe mit einem vernichtenden Schlag auf seine Gegner hernieder fahren lassen. Der Junge enttäuschte ihn nicht, schon einen Monat nach seiner Wiederauferstehung wurde Xerxes enormes Potenzial sichtbar. Er kämpfte wie die alten Serafanen und konnte verhandeln wie ein Diplomat. Seine Manieren waren tadellos und sein Umgangston geschliffen. In vielerlei Hinsicht war Xerxes so, wie Zephon gerne sein wollte. Eine tiefe Stille war zwischen die beiden Vampire getreten und trennte sie wie eine unsichtbare Brücke. Zephon war noch immer außer sich und er würde seinem Bruder die Schmach heimzahlen. Und er wusste auch schon wie. Zephon löste seinen Blick von Xerxes schlanker Gestalt und sah zu einem der vielen Blätter auf dem Boden. Es war ein mehrseitiges Schreiben, fein säuberlich aneinandergeheftet. Die große schwungvolle Handschrift der Razielim hob sich deutlich von den harten Druckbuchstaben der Zephonim, auf den restlichen Pergamenten, hervor. Ein hinterhältiges Grinsen zeichnete sich auf Zephons Gesicht ab, als er danach griff und das Schreiben noch einmal grob überflog. Raziel hatte ihm, wie auch den restlichen Clanlords, eine Woche vor der Ratsversammlung eine handschriftliche Botschaft zukommen lassen, in dem er vorab die einzelnen Schritte des Angriffs auf Gedeon aufgeführt und die einzelnen Rollen der Clans in der Schlacht festgelegt hatte. Auf der beigefügten Karte sah man das Geschriebene akkurat mit schwarzen und roten Linien verzeichnet. Die Versammlung war eigentlich nur noch nötig gewesen, um sich das Einverständnis der Clans zu sichern. „Xerxes,“ grinste Zephon verschwörerisch, als er seinem Ältesten den Brief in die Hand drückte, „Gib das unserem Schreiber. Er soll mir eine genaue Kopie davon anfertigen.“ „Herr, was habt Ihr vor?“ „Ich kenne da jemanden, der sich über eine Abschrift sehr freuen würde.“ Die Straße war verschlammt und dunkel, als sich Xerxes einen Weg durch die Stadt bahnte. Er konnte kaum atmen, so sehr ekelte ihn der Geruch von ungewaschener Haut, Alkohol verseuchtem Blut und Kot an. Gedeon war eine große, gut bewachte Stadt. Überall in den Straßen patrouillierten Vampir – und Dämonenjäger und es war schwer unbewachte Gassen zu finden, in denen er sich ungesehen fortbewegen konnte. Gleichwohl er sich einen weiten Mantel übergeworfen und sich dessen Kapuze tief in das Gesicht gezogen hatte, fühlte er sich wie auf dem Präsentierteller. Selbst in den Seitenstraßen traf er unablässig auf Menschen. Männer, die, trunken vom Alkohol, an ihm vorbeiwankten oder gar die Unverfrorenheit besaßen ihn im Vorbeigehen zu streifen. Vollbusige Huren, nicht minder nüchtern oder voll gepumpt mit billigen Drogen, die sich jedem Mann für einen flüchtigen Moment der Freude anboten. Nach schier endlosem Suchen im Rotlichtviertel von Gedeon fand er eine kleine, heruntergekommen Kneipe, mit dem obskuren Namen „Grunzende Sau“. Wäre Xerxes nur zur Jagd hier gewesen, hätte er sich darüber wohl lustig gemacht, aber die Lage war zu ernst für Witzeleien. Als er näher an das Etablissement herantrat und seine Klauen das morsche Holz der schäbigen Eingangstür berührten, sprach ihn eine kratzige Stimme aus der Dunkelheit an: „Kann ich Euch helfen, Herr?“ Eine bittere Wolke von abgestandenem Ale flog Xerxes ins Gesicht. Angewidert drehte er seinen Kopf zu Seite und schnappe nach Luft: „Ich suche einen gewissen Loren. Mir wurde zugetragen, dass er seine freie Zeit gerne hier verbringt.“ Es fiel Xerxes unglaublich schwer seinen letzten Satz nicht in Verachtung, die er unverhohlen empfand, herauszuspucken. „Da habt ihr Glück, Herr. Er steht genau vor Euch.“, lachte der Fremde und trat in den schmalen Lichtkegel, der die schlammigen Meter um die Kneipentür erhellte. Ein faltiges, von der Zeit gezeichnetes Gesicht mit glasigen Augen kam zum Vorschein. Auf seinem Kopf hatte sich eine bösartig wuchernde Schuppenflechte gebildet, welche die wenigen, dunkelbraunen Haare mit einem dicken Mörtel aus Schuppen und Schweiß zu einer irren Krause zusammengeklebt hatte. Etwas irritiert sah Xerxes die ungepflegte Erscheinung an. Er hatte einen jungen, rebellischen Adligen erwartet, aber nicht solch eine Mitleiderregende Kreatur! „Na kommt, Herr.“, sabbelte Loren fröhlich und entblößte mit einem Grinsen seine abgestorbenen Vorderzähne, „Lasst uns in die Kneipe gehen. Ich kenne den Wirt.“ Mit unbeholfener Eleganz hielt Loren ihm die Tür zur Taverne auf und zeigte erneut sein verfaultes Lächeln. Zunächst wollte Xerxes ablehnen und dem Mittelsmann die Schriften gleich übergeben, doch als er bemerkte wie hinter ihm ein paar Hetären auf ihn aufmerksam wurden und leise, für sein vampirisches Gehör jedoch gut vernehmbar, anfingen zu tuscheln, beschloss er, gegen die immer größer werdende Übelkeit ankämpfend, Loren zu folgen. Auch in den einfachsten Lumpen gekleidet fiel Xerxes noble Haltung auf. Er wanke und er stank nicht und selbst durch den weiten Mantel konnte man den kraftvollen, geschmeidigen Körper erahnen. Er sah aus wie ein vornehmer Herr, dem es seine gesellschaftliche Stellung nicht erlaubte in diesem Viertel gesehen zu werden. Im Vergleich zu der Kneipe roch Loren wie eine frische Sommerbrise und Xerxes hätte sich, wenn er es gekonnt hätte, am liebsten übergeben. Dennoch begrüßte sie der Wirt mit überraschend ausgesuchter Höflichkeit und versuchte gleich seinen scheußlichen Rum, der wohl mit Abstand der Schlechteste in ganz Nosgoth war, an den verkleideten Vampir zu verkaufen. Schweigend schüttelte Xerxes den Kopf und hüllte sich noch mehr in seinen Mantel. Sorgsam darauf bedacht seine Klauen nicht sehen zu lassen. Erstaunlicherweise lehne auch Loren den feilgebotenen Fusel ab und bat den Wirt, der auf den Namen Rold hörte, ihn beiden das Hinterzimmer zur Verfügung zu stellen. Rold hob verdutzt die Augenbraue und Xerxes brauchte sich nicht einmal die Mühe zu machen, dessen Gedanken zu lesen. Es war offensichtlich was er dachte und es beleidigte den Vampir zutiefst. Glücklicherweise vermied der Wirt jegliche Anspielungen und führte sie durch die Kneipe, vorbei an rülpsenden Männern, fetten Dirnen und der allgemeinen menschlichen Verdorbenheit, zu einer kleinen Tür, welche er aufschloss. „Wenn die Herren etwas brauchen, zögert nicht mich zu rufen.“, verneigte er sich und huschte geschwind, insofern es seine beleibte Gestalt zuließ, davon. Der Raum war klein und alles, was man darin fand war ein Tisch mit zwei Stühlen und ein großes Bett, auf dessen Matratze hässliche gelbe und graue Flecken zu sehen waren. Zephons Erstgeborener wollte gar nicht wissen, was genau das alles für Flecken waren, konnte es sich jedoch sehr gut ausmalen. „Was für eine bezaubernde Hütte.“, spöttelte Xerxes und lies seinen Blick einmal durch das schummrig erleuchtete Zimmer gleiten, „Wahrlich, ein Schweinestall ist nichts dagegen.“ „Verzeiht mir, Lord Xerxes, dass ich Zephons Stellvertreter kein angemessenes Zimmer bieten kann. Ich rechnete nicht damit, dass Ihr hier auftauchen würdet.“ „So, du hast mich erkannt?“, stutzte Xerxes und war über die kalte Klarheit in Lorens Augen ehrlich überrascht. „Herr, ich arbeite seit meinem sechzehnten Lebensjahr für den Clan. Wenn ich nicht einmal Zephons Erstgeborenen erkennen würde, wenn ich ihn sehe, was für ein Spion wäre ich dann?“, lächelte Loren und schälte sich aus seinem schmutzigen, dunkelgrünen Mantel, „Allerdings ist es ungewöhnlich eine solch hohe Persönlichkeit hier in dieser Gegend zu treffen. Ich bin die unbeholfenen Jungvampire gewohnt. Es muss wahrhaftig von großer Dringlichkeit sein, wenn Ihr hier auftaucht.“ Schnaufend lies sich Loren auf einem der altersschwachen Stühle nieder, der bedenklich unter ihm ächzte. Dabei knirschte der Baumwohlstoff, voll gesogen mit allen erdenkbaren Richtungen an Dreck und Körperflüssigkeiten, wie altes Leder. Der Vampir bevorzugte jedoch zu stehen. Xerxes wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er begann unter seinem Mantel zu nesteln, bis er schließlich eine Pergamentrolle hervorholte und sie auf den Tisch warf. Sie war nur mit einem roten Band zugeschnürt. „Es ist mir egal, wie du es anstellst, Loren.“, sprach Xerxes ruhig „Aber bringe dieses Schreiben auf schnellstem Wege zur Kirche. Der Klerus wird dafür sorgen, dass es zu den Herren der Stadt gelangt. Öffne es nicht… es soll dein Schaden nicht sein.“ Mit diesen Worten warf er ein Säckchen voll Goldmünzen zu Loren. „Melde dich beim Clan, wenn du die Aufgabe erledigt hast. Dort bekommst du den Rest deines Lohns.“ Bevor Loren etwas sagen konnte, war Xerxes aus dem Zimmer verschwunden. Dichte, schwarze Wolken zogen über die Landsenke der Tuhleryen und schleppten als unheilvolle Vorboten den Geruch von erkaltetem Blut mit sich. Die Clans waren alle gekommen und standen mit ihren mächtigen Armeen auf dem weitläufigen Wall, der Gedeon umgab wie eine Blase aus Erde und Gestein. Nördlich des Hangs stand Zephons Bruder Dumah mit seinen Kriegern und schienen mit ihren dunklen Silhouetten Erde und Horizont zu teilen. Die riesigen Belagerungswaffen und Katapulte, welche die kriegerischen Dumahim mitgebracht hatten, wirkten im dämmrigen Licht wie urzeitliche Tiere. Melchiah und Rahab waren mit einem kleinen, aber effektiven Trupp angetreten, während die Razielim, Turelim und Zephonim den größten Teil des kainitischen Angriffs ausmachten. Überall im stickigen Wind wehten die Banner der Clans, die für das Nosgoth ihres ewigen Königs unnachgiebig kämpfen würden. Das Schnauben der Pferde drang durch die Reihen der Kämpfer und vermischte sich mit dem gelegentlichen Schreien der schwarzen Krähen, die erwartungsfroh über das bevorstehende Mal, ihre Runden über der Ebene drehten. Schweigend lag die Stadt vor ihnen, so als würde sie nur darauf warten erobert zu werden. Und schließlich wurde die brodelnde Stille durch das helle und gut vernehmbare Geräusch eines Kriegshorns durchbrochen. Das Zeichen für den ersten Angriff. Wie geplant setzte sich die Truppe Melchiahim in Bewegung. Schnell und leichtfüßig rannten ihre Kriegspferde den Hang hinunter. Wenige hundert Meter vor der Stadt jedoch, hob sich mit einem mal die Erde und eine Reihe langer Pfähle schoss aus dem Boden empor. Zu nah waren die Reiter der Falle gekommen, als das sie die Pferde noch rechtzeitig hätten stoppen können. Schon bohrten sich die ersten Leiber der Tiere in die splittrigen Hölzer. Reiter wurden abgeworfen und landeten auf dem Boden. Einige Unglückselige erlitten das gleiche Schicksal wie ihre Tiere. Kaum, dass sich Melchiahs Kinder aufgerappelt hatten, brach von den Wehrmauern der Stadt ein feuriger Regen hervor. Abertausende von brennenden Pfeilen bedeckten den Himmel für einen kleinen Augenblick, nur um dann tödlich auf die Melchiahim niederzuprasseln. Aus der Ferne wurde das Ganze von Zephon mit einem wissenden Grinsen im Gesicht beobachtet. Es kümmerte ihn wenig, dass die Kinder seines jüngeren Bruders starben. Wer weinte schon einem Melchiahim nach? Allerdings verwunderte ihn, dass Raziel, den er von seiner Position aus sehr gut sehen konnte, mit der gleichen, kalten Gelassenheit auf das unerwartete Geschehen blickte wie Zephon. Wieder ertönte das Kriegshorn und läutete einen weiteren Schlag gegen die Menschenstadt ein. Gegen jegliche Vernunft rückten daraufhin die Turelim und Dumahim nach vorne. Ihre bulligen Rösser ließen die Ebene erbeben. Verwirrt blickte Zephon zuerst zu seinem Erstgeborenen und schließlich wieder zu Raziel, welcher urplötzlich in Zephons Richtung starrte. Ein weiteres Mal ertönte des Horn und, kaum das es verklungen war, sprangen die schweren Eisentore der Stadt durch eine mächtige Explosion auf. Die obersten Wehrmauern wurden durch die Wucht der Detonation weggerissen und stürzten hernieder. Rauch und Staub breiteten sich in der Landsenke aus, umhüllten die heranstürmenden Vampire. Mit einem Wink seiner Hand schickte Raziel seine und die Truppen seines Bruders Rahab in die Schlacht. Einzig und allein das Heer Zephons blieb auf dem Hang zurück. „Herr, was sollen wir nun tun?“, hob Xerxes an. Zephon gab ein tiefes, tierisches Knurren von sich und blieb weiterhin an Ort und Stelle. Langsam legte sich der Staub und gab den Blick auf das Schlachtfeld frei. Etliche Turelim und Dumahim waren bereits in die Stadt gelangt. Den Schreien der Menschen zu urteilen richteten sie dort ein Blutbad an. Erste Häuser fingen Feuer und auf den Wehrmauern fanden heftige Kämpfe zwischen Vampiren und Dämonenjägern statt. „Schicke unsere Truppen in die Stadt, Xerxes.“, blaffte Zephon. Wenn seine kleine Intrige nicht geglückt war, dann wollte Zephon sich zumindest nicht nachsagen lassen, dass er seine Soldaten unbeteiligt am Rand der Schlacht hatte stehen lassen. Spät in der Nacht wehten Kains Banner auf den Wehrtürmen der Stadt. Die kainitischen Truppen waren siegreich und labten sich am Blut der überlebenden Menschen. Fleißige Hände hatten in der Ebene etliche Zelte errichtet, in denen gefeiert, geredet und die Beute aufgeteilt wurde. Vor dem größten Zelt, welches den Clanlords vorbehalten war, saß Zephon und zog sich einen abgebrochenen Pfeil aus dem rechten Arm. Er fühlte sich gedemütigt und wertlos. Wieder einmal hatte in sein älterer Bruder vorgeführt… und das vor den Augen seines Clans! „Leckst du deine Wunden, kleiner Bruder?“, spöttelte eine wohlbekannte Stimme. Es war Raziel, der langsam zu ihm geschlendert kam. An der rotgoldenen Rüstung seines Bruders hing Dreck und Blut. Dennoch tat es der vampirischen Noblesse Raziels keinen Abbruch. „Was sollte das Raziel?“, brach es aus Zephon hervor, „Du hast die Pläne geändert ohne mich oder meinen Stellvertreter darüber zu informieren!“ „Verzeih mir, Zephon.“, lächelte Raziel und reichte seinem Bruder beschwichtigend die Hand, „Ein Verräter befand sich in deinen Reihen.“ „Wie kommst du darauf?“, stutzte Zephon und lies sich von Raziel aufhelfen. In diesem Moment kamen zwei Razielim auf die beiden zu. Sie zerrten Xerxes, in schwere Eisenketten gelegt, hinter sich her. Zephons Erstgeborener blickte nicht auf und gab keinen Ton von sich. „Dieser Vampir, dein Stellvertreter, wurde in einer Nacht hier in Gedeon gesehen, wie er Informationen über die Schlacht an den Feind weiterreichte.“ „Xerx… was?“, stammelte Zephon, dem die Tragik und die bittere Ironie seiner Intrige erst jetzt bewusst wurde. Der Eingang des Zeltes hinter Zephon raschelte, während Loren daraus hervortrat. Gelassen stützte sich Raziel derweil auf sein Langschwert. Ja, Raziel liebte den Erfolg und auch jetzt sonnte er sich darin. Mit einer lässigen Geste zeigte Kains Erstgeborener auf Loren, der sich ehrfürchtig verneigte und Zephon schließlich das kopierte Schreiben überreichte. „Das ist Loren, mein Kontaktmann. Er arbeitet unter dem Schutz deines Clans für mich. Dein Stellvertreter gab ihm eine genaue Kopie der Angriffspläne, die ich etliche Wochen vorher den einzelnen Clans zukommen lies.“ Zephon klappte seinen Mund ein paar Mal auf und zu, nicht in der Lage seiner Verwirrung und seinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Er sah auf das Pergament. Das Siegel der Zephonim war entfernt und durch ein simples Band ersetzt worden. Nichts deutete darauf ihn, dass irgendjemand anders, außer Xerxes, an dem Verrat beteiligt war. „Xerxes… nein!“, ächzte Zephon schließlich und spürte wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er fühlte keinen Hass auf seinen Erstgeborenen, der seinen Befehl missachtet, das Schreiben manipulierte hatte und sich selbst des Verdachts auslieferte. Alles was er fühlte war tiefe Scham und unendliche Schuld. Auf Verrat stand die Höchststrafe. Tod durch die Fluten des Vortex und gleich was Zephon sagen oder tun würde, das Schicksal seines Erstgeborenen war besiegelt. Vorsichtig trat Zephon näher und griff unter Xerxes Kinn, zwang ihn so nach oben zu blicken. Ein sanftes Lächeln huschte über das Gesicht seines Stellvertreters: „Vergebt mir Herr. Besser ich als der Clan.“ Es war das letzte Mal, dass Zephon seinen Erstgeborenen lächeln sah… ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)