Das Wunder des Lebens von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 31: Ein kleines Wunder ------------------------------ XXXI. Ein kleines Wunder Brian schüttete mit einem Zug den Rest des schon reichlich abgekühlten Kaffees in sich und ließ den Blick über den Garten schweifen. Dafür dass hier gestern eine Horde von Sechs- und Siebenjährigen durch getobt war, sah er doch noch ziemlich manierlich aus. Justin hatte all seine Vorschläge, professionelles Bespaßungspersonal anzuheuern mit einem gutmütig-verständigem Lächeln abgewürgt, für das er ihn gern ein wenig geschüttelt hätte. Statt seinen so geleisteten Beitrag als ausreichend zu bewerten, hatte Justin ihn zur Hilfstruppe für einen „richtigen“ Kindergeburtstag degradiert und all seine Fluchtversuche großflächig sabotiert. Nicht mal eine Hüpfburg war drin gewesen, verdammter Purist. Da er nicht nur von Justin, sondern auch von seiner Mutter und Molly für das Backen von Kuchen, das Bereiten von Fingerfood und das Aufbauen von Gartentischen als untauglich eingestuft worden war, hatte er sich mit der Verwaltung der Brause-Bar, der Vorbereitung einer Schnitzeljagd über das Grundstück und dem Decken des Tisches begnügen dürfen – oder vielmehr müssen. Vor zwei Jahren hatte er samstags um diese Uhrzeit normalerweise noch seinen Rausch ausgeschlafen, nun latschte er mit einem Sack voll Kies und Kreide zum Markieren der Marschrichtungen durch seinen Garten. Nur geringfügig weniger schmerzhaft, aber wahrscheinlich deutlich gesünder. Außerdem war es für Gus, hämmerte er sich ein. Fast drei Stunden lang hatte er das Gefühl gehabt, dass ihn jemand aus dem normalen Raum-Zeit-Kontinuum geblasen hatte. Solange hatte es gedauert, bis Gus‘ Schulfreunde wieder von ihren Müttern, Väter und Großeltern eingesammelt worden waren, die sich derweil wahrscheinlich einen lauen Nachmittag gemacht hatten. Jim Stockwell Junior hatte sich vor Begeisterung über Gus‘ Fußballtor fast gar nicht wieder eingekriegt. Es war zu ahnen, dass er damit seinen Vater richtig nerven würde. Wenigstens etwas. Mit unglaublicher Pünktlichkeit waren die Gäste um drei Uhr von ihren Altvorderen bei ihnen abgeliefert worden und hatten Gus erst mal mit diversem Spongebob-Schrott, Legosets und Fußballbildchensammlelalben-Kram überschüttet. Dann hatten die Kinder unter Mollys Ägide in einem kleckernden Inferno den Kuchen verdrückt, ihm war es untersagt worden, dazu Kaffee zu servieren. Nachdem sie sich vollgehauen hatten, begleitet von lautem aufgeregten Gekreische, was wahrscheinlich die Tischunterhaltung darstellen sollte und sich größtenteils darum drehte, wie toll Mrs. Springrose sei, waren sie Brians Pfeilen über das ganze Grundstück hinterher gerannt. Als Verantwortlicher für die Wegeführung hatte er mit gemusst und war von allen Seiten vollgequatscht und gelöchert worden („Wie heißt du?“, „Was machst du?“, „Was magst du am liebsten?“ – ficken… äh Fußball…). Am Ententeich hatten sie den „Schatz“ bestehend aus Geschenkpäckchen für jeden der Gäste gefunden, über den sie hergefallen waren wie eine Horde Pygmäen über einen siechen Elefanten. Der kleine fette Felix war bäuchlings in den Modder gefallen und hatte geheult wie dreißig hungrige Seehundbabys. Erst die Schokolade aus seinem Päckchen hatte seine Nerven wieder beruhigen können. Der Rest des Unterhaltungsprogramms war Gott sei Dank unter Justins Oberleitung vonstattengegangen, dem dabei sein freundliches Dauergrinsen nicht eine Sekunde abhanden gekommen war, egal was kam („Mein Papa sagt, ihr seid schwul. Was ist das?“ – wenn sich zwei Frauen oder zwei Männer lieb haben wie deine Mama und dein Papa sich lieb haben – „Aha. Und du hast Gus‘ Papa Brian lieb?“ – genau – „Und er hat dich auch lieb?“ – Brian?). Bewundernswert, irgendwie hatte er es auch überstanden, was vielleicht auch an dem kleinen Whiskey lag, den er sich um fünf Uhr unter dem Vorwand, aufs Klo zu müssen, genehmigt hatte. So hatte er auch mit ruhiger Miene zuschauen können, wie Justin seine selbst gebaute Negerkusswurfmaschine installiert hatte und damit die ganze Terrasse eingesaut hatte. Im Pool trieben noch immer ein paar Negerkussleichen, denn dummerweise war Justin der Einzige gewesen, der in der Lage gewesen war, die fliegenden Zuckerbomben mit dem Mund aufzufangen. Er hatte schon immer eine große Klappe gehabt. Die Kinder hatte das schwer beeindruckt, Brian selbst hatte sich erst schwer geduckt und sich dann schwer außer Schussweite verdrückt. Die Party klang aus mit einem Fingerfood-Massaker, bei dem sich Georgia Carlson, die Enkelin der scheidenden Bürgermeisterin, zwei Mini-Würstchenketten in die Nasenlöcher gestopft hatte („Buh! Jetzt bin ich Thaddäus!“). Gus war jedenfalls hellauf begeistert gewesen, und darauf war es schließlich angekommen. Früh übt sich, was ein Partykracher werden wollte… Und jetzt begann gleich Runde zwei, deren Gästen ein gewisser Grad an Infantilität auch nicht abzusprechen war. Emmet wuselte bereits im Garten durch die Gegend, dieses Mal hatte immerhin ein Profi das Ruder in der Hand. Brian schaute auf die Uhr. Zehn vor Drei. Er brachte seine Tasse in die Küche und ging zur Tür, dennoch war er zu spät, die Glocke schrillte bereits. „Hallo Brian! Lass dich ansehen, gut siehst du aus!“ wurde er begrüßt, während Debbie ihn an sich presste. „Hallo Debbie. Das wird sich schnell ändern, wenn du mich hier zu Brei zerquetscht“, versuchte er sich zu wehren. „Nun hab‘ dich nicht so! Du wurdest schon ganz anders gequetscht und hast es immer überstanden. Wo ist denn das Geburtstagskind?“ „Hinten im Garten… Hallo Carl… Geht einfach durch, Justin ist auch da…“ „Machen wir, danke. Und wo ist das Mäuschen?“ „Sie schläft. Der ganze Trubel… das ist nichts für sie…“ „Ach was, Babys mögen es, wenn ordentlich was los ist! Lilly ist schließlich nicht aus Zucker! Hol sie doch runter, wenn sie wach ist!“ „Ja… mal sehen… Schaut, da ist Gus!“ „Hallo, du Großer! Sieben Jahre schon, Himmel! Wie ist das denn passiert! Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke Tante Debbie! Ich gehe jetzt auch schon zur Schule!“ „Das ist ja toll, Gus! Du bist wirklich groß!“ „Ja!“ lachte Gus stolz und immer noch ziemlich zahnlos. „Ich werde so groß wie Papa! Schau mal, da ist Justin mit meinem Getränk!“ Er hopste dem jungen Mann entgegen. „Das ist nicht groß… sondern lang“, murmelte Debbie. „Auch Länge kann erfreulich sein, Debb“, grinste Brian. „Huch, was ist das denn? Habt ihr einen Hund?“ Hektor war ums Haus gewetzt gekommen und flitzte jetzt begeistert auf Gus zu, der sofort Justin wieder sein Glas in die Hand drückte, um sich abschlecken zu lassen. „Nein! Der gehört Justins Vater!“ „Das ist aber ein Süßer – ganz im Gegensatz zu seinem Herrchen.“ „Der wird mal süße drei Meter hoch. Und Craig ist mittlerweile auch recht pflegeleicht.“ „Ja, Jennifer erzählte sowas… sie muss es wissen, aber sie hat ihn damals wahrscheinlich auch nicht aus reiner geistiger Verwirrung geheiratet, nicht Jenn.“ „Ja, Weisheit bei der Partnerwahl scheint da durchaus erblich zu sein…“ „… oder jeder hat Mal einen schwachen Moment…“ „Sehr schmeichelhaft. Moment, es hat geklingelt…“ Er überließ Debbie und Carl Justin und ging wieder nach vorne. Nach und nach trudelte die Gesellschaft ein, die gesammelten Taylors, Ted und Blake, die Petersons mit Zilly, deren Überlebenschancen Brian in Hinblick auf Hektor eher pessimistisch einschätzte, die kompletten Novotny-Bruckners und zum krönenden Abschluss Joan mit Jack und John im Schlepptau. Claire sollte gefälligst bleiben, wo der Pfeffer wächst, sich seinethalben alle Talkshows rein pfeifen, die der Sonntagnachmittag zu bieten hatte – aber ihm gefälligst vom Leibe bleiben mit ihrer Aura des Nörgelns und Duckmäusern. Die Gesellschaft stopfte sich graduell zivilisierter als die Kinder gestern mit Kuchen voll. Gus bejubelte seine neue Schaukel, und Craig ließ sich stolz von Jennifer loben. So war es wahrscheinlich auch gedacht gewesen, zumindest teilweise, argwöhnte Brian. Ted und Emmet verloren bodenlos beim Tennis gegen Mutter und Sohn Taylor, die ihnen wie die geölten Blitze die Bälle um die Ohren krachen ließen. Brian gab sich da lieber nicht die Blöße, sondern widmete sich mit Russel einer von ihm aus dem letzten Urlaub aus Kuba geschmuggelten Zigarre, was Hektor gar nicht mochte und sich verkrümelte. Gut zu wissen. ………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Michael saß mit Jenny auf ihrer Spieldecke im Halbschatten und verfolgte den Trubel. Eine heitere Stimmung lag in der Luft, es war spätsommerlich warm. Sie waren alle da, fast wie in alten Zeiten… bis auf Mel und Lindz… In dem Jahr von Gus‘ Geburt war es an diesem Tag deutlich kälter gewesen, was Brian auch nicht daran gehindert hatte, Justin im offenen Jeep abzuschleppen. Ob Brian das auch gemacht hätte, wenn er geahnt hätte, wohin ihn das führen würde? Wohl kaum, bei dem bloßen Gedanken hätte er sich vermutlich kringelig gelacht. Wenn er überhaupt hingehört hätte, was zu bezweifeln war. Er hatte Brians Blick gesehen, als dieser Justin damals ins Auge gefasst hatte. Es war der Blick eines Jägers gewesen, der das Wild erspäht hatte, wie so häufig. Aber da war noch mehr gewesen. In Brians Augen hatte nur noch eines gestanden: Haben! Ich will den haben! Der gehört mir! Tja, das hatte wohl geklappt… Aber dieses Wild hatte zurück gebissen, hatte den Jäger zum Gejagten gemacht. Damals hatte es ihm einen Stich gegeben, als er diesen Ausdruck in Brians Augen gesehen hatte. Brians Augen… „Ben?“ „Ja, Michael?“ „Könntest du Jenny ein Weilchen übernehmen?“ „Klar, geh du auch mal rum, amüsier dich!“ „Das mache ich, danke“, er drückte seinem Mann einen schnellen Kuss auf die Wange und erhob sich. Er schritt über die Rasenfläche zu seiner Mutter, die sich gerade lachend mit Carl unterhielt und sich noch ein Stück Sahnetorte gönnte. „Mama? Darf ich kurz stören, Carl?“ „Sicher, ich habe sie ja immer am Hals“, grinste Carl betont charmant. Debbie schenkte ihm einen gespielt-empörten Blick. „Und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen“, schloss er versöhnlich. „Das will ich dir auch geraten haben“, drohte Debbie mit unterdrücktem Lächeln und küsste ich dann. „Mama?!“ „Ja, Schatz, den Tonfall hattest du schon mit drei drauf… also was ist so Dringendes?“ „Könntest du kurz mal mitkommen? Ich würde dir gern etwas zeigen…“ „Klar!“ Jetzt war Debbies Neugierde geweckt. „Was denn?“ „Musst du sehen, Moment…“ Er sah sich um. Brian und Justin waren gerade dabei, den Petersons das Grundstück zu zeigen und marschierten in Richtung hinterer Garten. Gut. „Komm mit“, sagte er zu Debbie. Er lief voran ins Haus, seine Mutter folgte mit erstauntem Blick. Sie gingen die Treppe hinauf. Michael öffnete die zweite Tür auf der rechten Seite. Er bedeutete seiner Mutter, still zu sein und zu warten, was diese stirnrunzelnd glücklicherweise auch tat. Auf der Kommode blinkte das Babyfon. Er schnappte es sich und schaltete es aus, dann winkte er Debbie hinein. „Michael, was soll das? Das Mäuschen schläft, Brian wollte sie später raus holen…“ „Das glaube ich nicht“, sagte Michael. „Was…? Wieso denn um Himmels Willen nicht? Willst du mir erzählen, dass bei Brian eine neue Schraube locker ist und er sein Prinzesschen im Turm eingeschlossen hat, damit ihr ja nichts passiert? Das hier soll ein Kinderzimmer sein…?“ „Nein. Ich glaube nicht, dass er und Justin wollen, dass wir sie zu Gesicht bekommen“, meinte Michael. „Warum zum Geier sollten sie das wollen?“ fragte Debbie verständnislos. Vorsichtig hob er Lilly aus ihrem Bettchen, sie quakte äußerst ungehalten, als sie aufwachte und er nicht Papa war. „Michael! Was soll das! Lass das Baby doch schlafen!“ protestierte Debbie. „Wenn sie den ganzen Tag nur schläft, brüllt sie die ganze Nacht… Schau sie dir mal an…“ „Ich sehe nur Lilly, Brians und Justins Tochter…“ „Schau dir mal ihre Augen an“, sagte Michael. Debbie schüttelte zweifelnd den Kopf, trat näher und nahm ihm Lilly ab. „Hallo, Mäuschen… Schau mich mal an, mein verrückter Sohn da drüben meint, es sei irgendetwas mit deinen Augen…“ Das Baby starrte sie an. Die Augen waren Blau gewesen, als Debbie sie das letzte Mal gesehen hatte. Jetzt waren sie von braunen und grünen Schlieren durchzogen, die von einem dichten Wimpernkranz überschattet wurden. „Siehst du eine gewisse Ähnlichkeit?“ fragte Michael. Debbie sah ihn an. „Du meinst, sie hat Brians Augen?“ „Ja!“ „Sieht wirklich ähnlich aus, ich weiß... Aber auch das könnte Zufall sein. Genauso gut könnte man sagen, dass sie Justin sehr ähnelt, die Haut, die Haare, die Nase… Glaubst du, Brian hat dir, uns allen mit der Adoptions-Geschichte einen Bären aufgebunden?“ „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Ich will nicht glauben, dass Brian mich belogen hat, aber das hier… Mama, das sind Brians Augen, glaub mir!“ „Naja… Und was heißt das dann? Dass sie eine Leihmutter beauftragt haben…? Aber wozu dann die Geheimniskrämerei, warum sollte ihnen das peinlich sein…?“ „Lilly ist uns nicht peinlich“, kam Brians Stimme scharf von der Tür. In der Hand hielt der den Empfänger des Babyfons. „Brian!“ fuhr Michael etwas erschrocken zusammen. „Michael“, sagte er nur und trat mit langen Schritten ein. „Debbie. Wie schön, dass ihr für mich nach dem Rechten schauen wolltet, warum das Babyfon plötzlich auf Sendepause gegangen ist…“ Er nahm den Sender in die Hand und schaltete ihn wieder ein. „Na sowas, und schon ist es wieder heil, ich Technikgenie, ich… Da muss wohl ganz zufällig ein neugieriger Finger drauf gefallen sein…“ „Brian…“ „Ja bitte? Das war deiner? Es tut dir leid? Ich bin bass erstaunt.“ Ohne Michael eines Blickes zu würdigen schritt er zu Debbie und nahm ihr Lilly aus dem Arm, die prompt mit ihrer Nörgelei aufhörte. Brian drehte sich mit dem Baby auf dem Arm um und lehnte sich gegen den Wickeltisch. „Ich höre!“ eröffnete er in einem Tonfall, der keine Ausreden zuließ. Debbie räusperte sich. „Michael meint, dass Lilly deine Augen hat… Und ich muss sagen, dass das nicht ganz von der Hand zu weisen ist…“ „Ach ja? Schon mal was von fragen gehört?“ „Ich… Ich wollte sicher sein, dass ich nicht spinne… Ich meine, du hast doch gesagt, dass ihr nicht wüsstet, wer Lillys Eltern sind und dass ihr sie… überraschend… bekommen habt, nicht geplant… aber…“ „Ja, aber“, seufzte Brian. „Ich habe dich nicht angelogen, Mikey, falls du das befürchten solltest.“ „Das hätte ich auch nicht glauben können… Aber… ist Lilly deine Tochter?“ „Lilly ist Justins und meine Tochter.“ „Ja, ich weiß. Biologisch meine ich?“ „Ich finde ja, sie sieht Sonnenschein ähnlich“, meldete sich Debbie. Brian sah die beiden prüfend an. Dann stand er auf und schloss dir Tür. Er fixierte sie mit zusammen gekniffenen Augen. „Okay“, sagte er dann langsam. „Ich sag euch, was los ist, bevor ihr hier mit euren Mutmaßungen Gerüchte verbreitet. Aber das, was ich euch sage, verlässt dieses Zimmer nicht. Hört ihr? Kein Wort nach draußen. Auf gar keinen Fall.“ „Brian, was ist los?“ fragte Debbie und ließ sich auf dickes Sitzkissen nieder, das neben Lillys Bettchen stand. „Lilly ist Justins und meine Tochter“, sagte er. „Das wissen wir doch“, meinte Michael verwirrt. „Nein, das wisst ihr nicht. Lilly ist Justins und meine Tochter“, wiederholte Brian. „Wie…?“ fragte Michael ratlos. „Wie meinst du das.“ „Genauso wie ich es sage. Justin und ich sind Lillys biologische Eltern.“ „Aber…? Das geht doch gar nicht…?“ entfuhr es Michael. „Guter Punkt. Davon bin ich auch immer ausgegangen, bis mir in Mexiko unverhofft Lilly in die Hände gedrückt wurde.“ „Mexiko?“ fragte Debbie. „Die gute alte Daphne hat doch Medizin studiert. Und sie hat sich auf Fortpflanzungsmedizin und irgendwelchen Gentechnik-Scheiß spezialisiert, war in einer Forschungsgruppe… Und als sie uns dann vor fast einem Jahr im Loft besucht hat, hat sie wohl unsere Wichslappen im Klomülleimer entdeckt und hat sich gedacht, dass das doch zu schade zum Wegschmeißen sei. Neun Monate später bekam ich den Panik-Anruf, dass sie kurz davor sei, am Arsch der Heide in Mexiko, wohin sie sich verkrümelt hatte, nachdem die Ethikkommission ihr Labor dicht gemacht hatte, zu entbinden. Justin hatte die Masern, also bin ich gefahren. Und morgens früh gegen vier am 1. Juni hat mir eine dicke mexikanische Nonne namens Antonia Lilly in den Arm gedrückt und mir herzlich gratuliert. Als ich dagegen leichten Protest einlegen wollte, hat mir der Onkel Doktor gesagt, dass Daphne sich auf Nimmerwiedersehen verzogen hatte – allerdings nicht, bevor sie mich als Vater angegeben hatte. Also habe ich Lilly erst mal mitgenommen. Zuhause haben wir Vaterschaftstests gemacht, da uns die Sache mehr als spanisch vorkam – beide positiv. Da haben wir ganz scharf nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass Daphne wohl ein kleines bisschen mit unserem Erbmaterial gepuzzelt hat. Tja… Ich hatte wirklich keine Ahnung, so wie ich es dir gesagt habe, Michael.“ Michael und Debbie starrten ihn sprachlos an. „Aber Brian…“, fasste sich Debbie. „Das ist ja wundervoll! Schwule können Kinder bekommen, dann unterscheidet sie nichts mehr von…“ „Halt! Stopp!“ unterbrach sie Brian. „Weder Justin noch ich haben Lilly ausgehustet, sondern Daphne, wörtlich und im übertragenen Sinne. Und was glaubst du wohl, was mit Daphne passiert, wenn das raus kommt?“ „Sie würde vielen Hoffnung machen…“, meinte Debbie. Michael starrte immer noch paralysiert Lilly an, die friedlich an ihrem Fingern nuckelte. „Da hast du es. Vielen. Sie würden uns die Bude einrennen. Sie würden Lilly bis in die letzte Darmzotte durchleuchten wollen. Sie würden überall über sie schreiben. Und neben dem Jubel kommt der Protest. Irgendwelche Spinner wollen das nicht von Gott geschaffene Kind ausmerzen und uns gleich mit. Und Daphne darf sich ins Kittchen verabschieden, falls sie sie schnappen, weil sie höchstwahrscheinlich gegen mindestens dreitausend Gesetze verstoßen hat. Aber das würden wir wahrscheinlich gar nicht mit bekommen, weil wir damit beschäftigt wären, uns die Meute vom Hals zu halten – oder schon dabei wären, schreiend davon zu laufen und unbekannt nach Katmandu zu verziehen. Kein Wort! Keine Silbe! Nicht einmal ein Hauch!“ „Aber Brian“, meinte Michael. „Wenn sie euch ähnelt… Irgendwann werden es auch die anderen bemerken…“ „Gott sei Dank haben Ted und Emmet nicht so einen Baby-Fetisch, das dauert noch. Je später mehr davon erfahren, desto besser. Wir können nur hoffen, dass es gut geht. Außer euch wissen von der Sache nur meine Mutter und Justins Eltern, denen ist das auch schon früher aufgefallen. Aber wie auch immer. Das ist kein Spaß. Kein Tuntentratsch. Das ist mein bitterer Ernst. Niemand darf davon erfahren, niemand. Hört ihr? Niemand!“ „Ja, ich verstehe, Brian“, sagte Michael schließlich. „Aber das ist… Es ist unglaublich, oh Gott! Oh Gott! Ich hätte nie gedacht… Wie hat Daphne das gemacht…?“ „Keine Ahnung“, sagte Brian. „Ist mir persönlich auch egal.“ Debbie stand auf und blickte in Lillys friedliches kleines Gesicht. „Sie ist wunderschön, Brian“, sagte sie sanft. „Wäre ja auch ein Wunder, wenn nicht“, meinte Brian, den kleinen blondgelockten Kopf mit der Hand stützend. Debbie lächelte und strich über Lillys weiche Wange. „Ja“, sagte sie, „ein Wunder. Ein kleines Wunder.“ …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Brian? Hilfst du mir kurz dabei, die Bank hier zur Seite zu räumen? Der Partyservice holt sie Morgen ab.“ „Nein geht nicht.“ „Wie, geht nicht?“ „Andere Pläne.“ „Und was, wenn ich fragen darf?“ „Ich muss jetzt so einen scharfen blonden Twink flachlegen, den ich unter einer Straßenlaterne aufgegabelt habe.“ „Das sehe ich ein. Aber ich muss dich warnen, der steht voll auf Leder…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)