Aurae von Flordelis (Löwenherz Chroniken II) ================================================================================ Kapitel 25: Freunde der Wölfe ----------------------------- [LEFT]Raymond hatte sich die Mail von Eve angesehen, um herauszufinden, wann genau sie ankämen, war in der Schule gewesen, wo Alona ihn wieder mal ignoriert hatte, und hatte sich nach Unterrichtsschluss von Joel verabschiedet.[/LEFT] [LEFT]„Hast du noch etwas vor?“, war die misstrauische Frage gekommen.[/LEFT] [LEFT]„Wir wollten heute Mimikry jagen gehen.“[/LEFT] [LEFT]Danach war Joels Neugier befriedigt gewesen und nach einer neuen Bitte um Vorsicht war Joel allein nach Hause gegangen. Er hatte so … einsam gewirkt.[/LEFT] [LEFT]Raymond dachte noch immer darüber nach, als er nach Einbruch der Dunkelheit mit Alona zusammen durch die Straßen lief. Ihre Schritte waren fest und hart, wie ihm auffiel, während er diesen lauschte. Es kam ihm vor als gingen seine eigenen dabei vollkommen unter.[/LEFT] [LEFT]Vor allem fiel ihm aber auch auf, dass außer ihnen niemand draußen war. Warum war ihm früher nie aufgefallen, wie still und leer die Stadt nachts war? Hatte er es immer als normal betrachtet?[/LEFT] [LEFT]„Du wirkst abgelenkt.“ Alonas Stimme holte ihn aus seinen Gedanken heraus. „Was ist los?“[/LEFT] [LEFT]„Ich denke nur nach.“ Aber wenn sie sich schon unterhielten, konnte er diese Gelegenheit direkt nutzen. „Hey, kann ich dich was zu deiner Arbeit fragen?“[/LEFT] [LEFT]„Meinst du die bei Garou?“[/LEFT] [LEFT]„Arbeitest du noch irgendwo anders?“[/LEFT] [LEFT]Sie zog die Brauen zusammen. Er trieb es lieber nicht zu weit. „Jedenfalls wollte ich wissen, ob du keine Freunde hast, die du dort vermisst.“[/LEFT] [LEFT]Alona fuhr sich mit einer Hand durch das lange Haar. Der Ring an ihrer Hand glitzerte immer noch unheilvoll. Wenn er so darüber nachdachte, war das vermutlich der Grund, wegen dem sie ihn als Köder benutzen wollte – damit er dann auch die Arbeit erledigen könnte. Bislang hatte ihre Magie sich dank des Rings schließlich nur auf kleinere Tricks beschränkt.[/LEFT] [LEFT]Plötzlich hielt sie inne und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir vermeiden es normalerweise, Freundschaften zu schließen. Wir wissen schließlich, welches Schicksal uns erwartet.“[/LEFT] [LEFT]Wusste sie, wie bitter sie bei diesen Worten klang? Raymond hätte sie am liebsten in die Arme genommen, aber er wusste, dass sie das nicht gutheißen würde.[/LEFT] [LEFT]„Nur Christine war da anders. Aber du siehst ja, wohin es sie gebracht hat.“[/LEFT] [LEFT]Ihr Blick ging zur Seite. In seinem Hals bildete sich ein unangenehmer Kloß. Er wollte nicht an Christine denken, nicht gerade in diesem Moment.[/LEFT] [LEFT]„Hast du dann wenigstens hier Freunde?“, fragte er weiter. „Abgesehen von mir?“[/LEFT] [LEFT]Sie stutzte, musterte ihn genauer. „Bitte? Wer sagt, dass wir Freunde sind?“[/LEFT] [LEFT]„Ich nahm es an.“[/LEFT] [LEFT]Mit einem leisen Schnauben wandte sie sich ab, doch er war sicher, dass sie ein wenig errötet war. „Ich habe versucht, dich umzubringen, Idiot. Hast du das etwa schon vergessen?“[/LEFT] [LEFT]Er zuckte mit den Schultern. Vergessen hatte er es nicht, aber es störte ihn kaum noch. Ihre Beweggründe für diese Versuche legitimierten sie seiner Meinung auch. Außerdem hatte er bei der zweiten Begegnung auch versucht, sie umzubringen. Damit waren sie fast quitt.[/LEFT] [LEFT]„Und wegen dir ist Christine gestorben.“[/LEFT] [LEFT]Das saß wesentlich mehr. Seine Schuldgefühle deswegen waren noch nicht erloschen, Zeit für Trauer war ihm auch noch nicht geblieben. Er musste funktionieren. Für Joel und Alona. Aber er sagte nichts zu ihrer Anklage.[/LEFT] [LEFT]„Wie könnten wir da jemals Freunde werden?“, schloss sie.[/LEFT] [LEFT]„Warum verbringen wir dann so viel Zeit miteinander? Wenn ich nur dein Köder wäre, hättest du dir bestimmt etwas anderes einfallen lassen. Und die Bekämpfung der Mimikry hättest du auch jemand anderem überlassen können. Dennoch sind nun wir beide hier unterwegs.“[/LEFT] [LEFT]Sie zog ihre Schultern nach oben als wolle sie sich zwischen diesen verstecken. Er hätte gern gewusst, wie ihr Gesicht gerade aussah, aber er traute sich nicht, nachzusehen.[/LEFT] [LEFT]Er hatte sie gar nicht derart bloßstellen wollen, er war nur daran interessiert gewesen, ob sie ihre Mitschüler als Freunde, Bekannte oder Alibi empfand.[/LEFT] [LEFT]Plötzlich wandte sie sich ihm wieder zu. Auf ihrem Gesicht lag ein gewohnt kühler Ausdruck. „Wie auch immer. Ich bin nicht hier, um mit dir über meine Freunde zu reden. Wir wollten Mimikry jagen, schon vergessen?“[/LEFT] [LEFT]Raymond sah sich um. Allerdings entdeckte er keinen der Feinde. „Da es hier keine gibt, können wir uns doch auch unterhalten, oder?“[/LEFT] [LEFT]„Nein, das heißt nur, dass wir besser suchen müssen.“ Damit wirbelte sie herum und lief in die andere Richtung weiter, ohne auf ihn zu achten.[/LEFT] [LEFT]Er folgte ihr rasch. Es kostete ihn keine Mühe, weiter mit ihr Schritt zu halten. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, als wolle sie sichergehen, dass er wirklich da war, dann sah sie wieder nach vorne. Für wenige Sekunden schwiegen sie beide, aber Raymond störte sich nicht daran. Es war angenehm, kein bedrückendes Schweigen, das darum bat, gefüllt zu werden. Schließlich sprach Alona weiter, aber ohne ihn anzusehen: Vor langer Zeit gab es noch jemand anderen bei Garou, den ich als Freund betrachtet habe. Er war ein sehr guter Freund meiner Eltern. Nachdem meine Mutter gestorben war, hatte er geschworen, den Mimikry zu finden, an dem sie gescheitert war, und ihn zu vernichten. Danach habe ich nie wieder etwas von ihm gehört.“[/LEFT] [LEFT]„Das tut mir leid.“ Familie zu haben, nur um sie nach und nach zu verlieren, musste seiner Vorstellung nach härter sein als sie vollkommen zu vergessen.[/LEFT] [LEFT]Sie deutete ein Kopfschütteln an. „Ich habe damals beschlossen, niemals wieder Freundschaften zu schließen, wenn sie derart schmerzhaft enden. Das erschien mir als einzige vernünftige Konsequenz daraus. Aber dann habe ich Christine getroffen.“[/LEFT] [LEFT]Raymond konnte sich vorstellen, wie das abgelaufen war. Christine war mit ihrer liebenswerten Lebendigkeit direkt auf Alona zugestürmt und hatte dieser gar keine andere Wahl gelassen, als sich mit ihr anzufreunden. Nicht, dass irgendwer sich dem gar verschließen wollte. Christine war derart einnehmend, dass man erst gar nicht den Wunsch verspürte, sich ihr zu entziehen. Aber sicher war Alona damit am Anfang überfordert gewesen. Darüber sprach sie jedoch nicht.[/LEFT] [LEFT]„Sie war dann meine letzte Freundin, bevor ihre Eltern sie fortbrachten, um sie zu schützen.“[/LEFT] [LEFT]Es klang nicht danach als trage sie das jemandem nach. Vermutlich war sie ebenfalls der Meinung gewesen, man müsse Christine schützen – und er hatte darin versagt. Es war eigenartig, dass sie dennoch derart lebendig zwischen ihnen schien.[/LEFT] [LEFT]„Ich habe hier also keine Freunde“, fuhr sie fort. „Aber ich benötige auch keine. Sie würden mich nur von meinen Zielen ablenken.“[/LEFT] [LEFT]„Woraus bestehen diese?“ Besaßen die Mitglieder von Garou ein langfristiges Ziel? Bislang hatte er nur über die kurzfristigen nachgedacht: das Töten von Mimikry.[/LEFT] [LEFT]Sie antwortete nicht sofort, es dauerte nur wenige Sekunden, fühlte sich aber wie eine Ewigkeit an, bis sie es doch tat: „Ich weiß nicht, ob ich es schaffen kann. Aber mein Ziel ist es, alle Mimikry zu vernichten, dann die Quelle zu finden und sie ein für allemal auszuschalten.“[/LEFT] [LEFT]Raymond wurde von einer Gänsehaut übermannt. „Das ist wirklich ein großes Ziel.“[/LEFT] [LEFT]Konnte man das überhaupt erreichen? Da er so wenig über diese Wesen wusste, konnte er das nicht sagen, und er wollte sie das nicht fragen, nicht in diesem Moment.[/LEFT] [LEFT]„Es war das Ziel meiner Eltern“, erklärte sie. „Ich habe nur ihre Träume übernommen.“[/LEFT] [LEFT]Bevor er ihr mitteilen konnte, dass er sich erinnerte, bereits von ihren Eltern und deren Sterben gehört zu haben, stieß sie ein bitteres Lachen aus. „Ich bin nicht einmal in der Lage, einen eigenen Traum zu haben.“[/LEFT] [LEFT]„Wenigstens hast du einen“, erwiderte er, in einem Versuch sie zu trösten.[/LEFT] [LEFT]Sie interpretierte folgerichtig: „Hast du denn keinen?“[/LEFT] [LEFT]„Nein. Ich habe nur ein Ziel: Joel beschützen.“ So wie er es ihm versprochen hatte. „Aber ich würde das nicht als Traum bezeichnen. Also besitze ich keinen.“[/LEFT] [LEFT]„Bislang vielleicht.“ Ihre Stimme war plötzlich überraschend aufrichtig und fürsorglich. „Aber ich bin sicher, du wirst auch noch einen Traum finden. Einen, der es wert ist, von dir geträumt zu werden. Dafür ist es nie zu spät.“[/LEFT] [LEFT]Sie räusperte sich sofort, wohl um die Unsicherheit zu übertünchen, die mit diesen für sie ungewohnten Worten einherging. Er plante nicht, ihre Verlegenheit auszunutzen, obwohl er davon überrascht war.[/LEFT] [LEFT]„Dann kannst du aber auch noch einen neuen Traum finden“, erwiderte er ihr stattdessen. „Du sagst selbst, dafür sei es nie zu spät. Auch bei dir nicht.“[/LEFT] [LEFT]Sie lächelte kurz, wurde dann wieder ernst und öffnete den Mund, aber er schnitt ihr das Wort ab: „Ich weiß, dass du denkst, dass du wegen dieser Kräfte keine Zukunft haben wirst, um einen neuen Traum zu finden.“[/LEFT] [LEFT]„Vielleicht kann ich nicht einmal diesen erfüllen“, stimmte sie zu.[/LEFT] [LEFT]„Aber darum musst du dir keine Sorgen machen.“ Er wollte nicht, dass sie in eine schlechte Stimmung geriet oder er seinen Mut verlor, so mit ihr zu reden, deswegen durfte er sie nicht abschweifen lassen. „Ich werde nicht zulassen, dass dir dasselbe passiert wie Chris.“[/LEFT] [LEFT]Sie blieb unvermittelt stehen, genau wie er. Sie wandte sich ihm zu, verschränkte die Arme vor dem Körper. Ihr Blick war derart intensiv, dass er glaubte, sie könne bis auf den Grund seiner Seele sehen, aber er hielt stand. Das einzige, was sie entdecken könnte, wäre seine Aufrichtigkeit.[/LEFT] [LEFT]„Bist du sicher, dass du das schaffen kannst?“, fragte sie neutral. „Du hast es bei Christine nicht geschafft. Also was lässt dich denken, dass es nun anders wird?“[/LEFT] [LEFT]Er hob einen Finger. „Zum einen hast du diesen Einherjar-Ring, der dich davon abhalten wird, deine Kräfte zu überstrapazieren.“[/LEFT] [LEFT]Sie sah auf diesen hinab.[/LEFT] [LEFT]„Zum anderen kann ich jetzt auch kämpfen.“ Er hob die Schultern ein wenig. „Es wird nicht an dir hängen bleiben. Ich werde diese Stadt, Joel und auch dich beschützen. Deswegen wünsche ich mir, dass du mir vertraust, selbst wenn du das nicht gewohnt bist oder nie wieder tun wolltest.“[/LEFT] [LEFT]„Übernimmst du dich da nicht?“ Ihre Stimme war plötzlich eigenartig leise.[/LEFT] [LEFT]Er stemmte seine Hände in seine Hüften. „Nein, das tue ich nicht. Es ist mir ein ernsthaftes Anliegen, sowohl Joel als auch dich sicher zu sehen. Ich weiß, dass du wesentlich stärker bist als ich, dennoch möchte ich alles tun, was in meiner Macht steht. Deswegen werde ich mich nicht übernehmen, niemals.“[/LEFT] [LEFT]Nachdem er das alles endlich einmal ausgesprochen hatte, fühlte seine Brust sich schon wesentlich freier. Er konnte tief durchatmen. Auf ihre Antwort zu warten erzeugte aber ein nervöses Kribbeln in seiner Körpermitte. Ihm blieb nur noch zu hoffen, dass sie nicht lachte.[/LEFT] [LEFT]Sie hob den Kopf wieder und sah ihn erneut an. Im Licht der Straßenlaternen glaubte er, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. Allerdings bekämpfte sie diese erfolgreich. Seine Brust füllte sich mit Wärme, die er in seinem Leben bislang nur selten verspürt hatte. Gleichzeitig freute er sich darüber, diese schwache Seite an ihr sehen zu dürfen. Und dann war da noch dieser eigenartige Stolz auf sie, dass sie selbst in diesen Momenten noch stark zu sein versuchte.[/LEFT] [LEFT]Sie schluckte schwer, räusperte sich. „Uhm, weißt du, vielleicht habe ich mich vorhin getäuscht. Ganz offensichtlich habe ich hier Freunde, zumindest einen. Ich habe es bislang nur nicht sehen wollen.“ Sie neigte den Oberkörper ein wenig. „Danke, Raymond.“[/LEFT] [LEFT]Auch wenn sie nur das sagte, verstand er wesentlich mehr zwischen ihren Worten. Er spürte aufrichtige Dankbarkeit, zumindest wollte er das glauben. Dabei war er der Überzeugung, dass er derjenige war, der eigentlich ihr dankbar sein sollte. Sie hatte zuerst sein Leben gerettet – und war nun hier, um ihn anzuweisen, noch viel mehr zu schaffen.[/LEFT] [LEFT]Er nickte, um sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen.[/LEFT] [LEFT]Sie schien erleichtert und wandte sich wieder von ihm ab. Mit ausgestrecktem Arm deutete sie vor sich. „Dann lass uns endlich mal ein paar Mimikry jagen. Wenn du diese Stadt beschützen willst, musst du darin ein echter Profi werden.“[/LEFT] [LEFT]Lächelnd salutierte er darauf. „Jawohl, Ma'am! Schon unterwegs!“[/LEFT] [LEFT]Sichtlich zufrieden setzte Alona sich wieder in Bewegung, er folgte ihr sofort. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, fühlte er sich ihr endlich richtig verbunden – und er hoffte, dass dieses warme Gefühl in seinem Inneren noch lange anhielt.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)