I'm just more von -ladylike- (... More than I thought) ================================================================================ Prolog: And I am a little bit lost without ------------------------------------------ And I am a little bit lost without you And I'm a little bit lost without you And I'm a bloody big mess inside And I'm a little bit lost without you (This ain’t a love song – Scouting for Girls) Takanori starrt geradeaus, sein Blick bohrt sich in den Rücken des 20-jährigen Mannes, der gerade versucht den elektronischen Check-in zu verstehen – er steht nun schon eine ganze Weile davor, tippst unschlüssig auf dem Ding herum, obwohl er sonst immer ziemlich schnell mit technischem Gezeugs klarkommt (ganz im Gegensatz zu Takanori). „Mach dir nicht so viele Gedanken, mein Kleiner. Es gibt ja auch noch deine Freunde …“ Eine Hand legt sich auf Takanoris Schulter, die der 10-jährige allerdings mit einer unwirschen Bewegung abschüttelt. Es gibt ja auch noch deine Freunde … Ja, natürlich gibt es die. Und zwar die besten der Welt, aber auch er, der Einzige, der sich wirklich mit ihm beschäftigt hat, ist nun mal sein Freund. Zumindest ist er es gewesen, bis jetzt. Takanori befürchtet bereits seit mehreren Monaten um seine Freundschaft, seine Vertrautheit mit ihm, dem jungen Mann, der sich Miyavi nennt und sich entschieden hat sein weiteres Leben außerhalb Japans zu verbringen. „Du verstehst mich nicht, Mam“, flüstert der kleine Junge leise und lässt seine Füße gegen den Koffer schlagen, auf dem er sitzt. „Das ist etwas anderes.“ „Kleiner, du hörst von mir, sobald ich in meiner neuen Wohnung angekommen bin, ja?“ Vorsichtig legt Miyavi Takanori die Hände auf die Schultern, verzieht einen Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. Man sieht ihm an, dass es ihm nicht leicht fällt, den kleinen Schützling in der Heimat zurückzulassen. Zu aufgesetzt wirkt das leichte Lächeln, zu unecht das beruhigende Glitzern in den Augen. Doch der kleine Junge nickt, er glaubt ihm. Er glaubt ihm, dass er sich melden wird. Weil er weiß, dass auch ein anderes Land es nicht schaffen kann, Miyavi von ihm zu trennen. Ganz leise ist sein Flüstern. „Okay.“ Und während er beobachtet, wie sein bester Freund sich kurz bevor er in der Menschenmenge verschwindet noch einmal umdreht und kurz die Hand hebt, verschwimmen die Farben vor seinen Augen. Miyavis rot-weiß gestreifte Hose mischt sich zu einem schwer erkennbaren Rosa, während sie sich mit ihm immer weiter entfernt, andere Menschen Takanori die Sicht verdrecken. Ich werde ihn vermissen, denkt der kleine Junge, obwohl er weiß, dass das noch eine recht harmlose Formulierung ist. „Komm, wir gehen“, sagt seine Mutter, die noch immer die Hand auf die schmale Schulter gelegt hat. Und dann nimmt sie ihrem Sohn an die Hand um ihn fortzuführen in ein Leben ohne Miyavi. Wenn dich jemand verlässt, den du liebst, hast du immer Angst, es könnte wieder passieren. Und dann beginnst du, verzweifelt zu lieben, mit Haut und Haar klammerst du dich an deinen Gefühlen fest. Und wenn diese erwidert werden, rechnest du jeden Moment mit der Apokalypse. __________________________________ Hallöle! Ich freu mich, dass du das hier angeklickt hast! ;D Diese FF ist ein Beitrag zu einem Wettbewerb und ich muss mal gucken,in wie fern ich Platz hab, noch irgendein Klimbims an die Pitelchen hängen kann, weil ich nur 4000 schreiben darf. Allerdings schwanken meine Kapitelwortzahlen ziemlich stark. Mal sind sie lang, mal kurz ... Wie gesagt: Ich muss mal gucken. Ganz viel Spaß beim weiteren Lesen! Ganz lieben Gruß, lady Kapitel 1: Need you by my side ------------------------------ Need you by my side Can't you feel my heart beat fast I want this to last Need you by my side (Everytime we touch – Cascada) Leicht genervt stecke ich mir die Stöpsel meines IPods in die Ohren, um dem Geräusch von knisterndem Plastik zu entgehen, das, wie so häufig in den letzten Stunden, aus Mayas Richtung kommt – er öffnet gerade seinen ungefähr hundertfünfzigsten Lolli. Nicht, dass ich was gegen Maya hätte, ganz im Gegenteil, er und Aiji sind meine besten Freunde, aber dieses nervtötende Geknister von Lolli-Papier finde ich schon seit Menschengedenken grässlich. Gerade wedelt Maya Aiji aufgeregt mit seiner favorisierten Süßigkeit unter der Nase herum, um diesen zurück in unsere Welt zu holen, denn wie so oft starrt mein bester Freund Nr. zwei lediglich in der Gegend herum (in diesem Punkt habe ich sogar etwas mit ihm gemeinsam). „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?!“ Überrascht schaut Aiji auf. „Bist du auch so aufgeregt, Aiji? Wir sind daaaa!“ Brummelig schalte ich meinen IPod wieder aus – es bringt ja doch nichts, Maya ist zu laut, um ihn einfach zu übertönen. Würde ich es versuchen, hätte ich morgen wahrscheinlich einen gehörigen Hörsturz (sollte ich den nicht auch so schon bekommen). „Das ist schön, Maya, ja. Es werden mit Sicherheit drei interessante Monate.“ Ja, das glaube ich auch. Und ehrlich gesagt bin ich ebenfalls aufgeregt. Es ist neun Jahre her. Vor neun Jahren ist Miyavi in gestreifter Hose, seinen mit bunten Sternen verzierten Koffer hinter sich herziehend, in der Menschenmenge des Flugzeugs verschwunden. Und jetzt stehe ich nur noch ungefähr eine Stunde davor ihn wiederzusehen. Scheiße, da kann man wohl von Aufregung sprechen. Früher war Miyavi der Einzige, mit dem ich reden konnte und der mir zugehört hat. Er war damals mein Babysitter, wenn man so will. Meine Eltern unterwegs = Miyavi da. So ungefähr. Und meine Eltern waren häufig weg. Ein harter Stoß in die Seite lässt mich aufschrecken. „Ruuukiiii“, flötet Maya fröhlich, „nicht einschlafen! Wir sind in Frankfurt!! Das ist tohooll! Ein bisschen mehr Enthusiasmus bitte!“ Enthusiasmus? Theoretisch vorhanden, ja, aber ich bin zu aufgeregt. Es fühlt sich an als würden unsichtbare Hände meinen Magen zusammenquetschen, nur um ihr im nächsten Moment wieder auseinanderzureißen und um anschließend noch den Inhalt aus ihm heraus zu wringen. (Das klingt jetzt lecker, ich weiß. Sorry …) „Juchuuu“, bringe ich gepresst hervor und wedele mit meinen Armen in der Luft umher. Maya mustert mich kurz, dann lehnt er sich schmollend auf seinem Sitz zurück. Momentan befinden wir uns in einem kleinen Café und trinken irgendein rotes Zeug, das nach Kirsche schmeckt (was mich vermuten lässt, dass es Kirschsaft ist). Ich muss zugeben, dass mein Deutsch noch nicht ganz perfekt ist … Wörter wie ‚Kirschsaft‘ benutzt man ja auch nicht oft oder? Trotzdem peinlich … Ich stehe nämlich kurz vor einem Germanistikstudium, das ich nach diesem Besuch hier anfangen werde. Sprich: Meine Vorkenntnisse haben doch noch Lücken. Aiji verzieht einen Mundwinkel, was wahrscheinlich ein Lächeln darstellen soll. „Maya, ich glaube, wenn du an seiner Stelle wärst, würdest du auch nicht freudig in der Gegend herumbrüllen.“ „Doch, würde ich. Ich würde mich freuen …“ Mein Blick bohrt sich in das Glas vor mir. „Ich freue mich ja, aber … Ich hab halt Angst.“ „Angst?“ Ungläubig zieht Maya eine Augenbraue hoch, während Aiji mich nur interessiert mustert. „Na ja, ich weiß nicht. Ich habe Angst, er könnte sich verändert haben und irgendwie … anders geworden sein. Glaubt ihr, man verändert sich zwangsläufig, wenn man Vater geworden ist?“ Ich will nicht ängstlich klingen, aber es lässt sich nicht verhindern. Meine Stimme zittert. Verdammt! „Ruki, du hast ihn neun Jahre nicht gesehen“, höre ich Aiji neben mir sanft sagen. „In neun Jahren verändert man sich, ob man jetzt Vater ist oder nicht. Es ist ganz natürlich. Niemand bleibt neun Jahre gleich. Je nachdem, was man erlebt hat, ändert man sich. Aber das das heißt nicht, dass er jetzt ein völlig anderer Mensch ist. Er ist immer noch dein Freund, okay?“ Ich nicke leicht, nehme dann einen Schluck von meinem hoher-Wahrscheinlichkeit-nach-Kirschsaft. Das gerade waren ungewöhnlich viele Worte für Aiji, er wird nur sehr selten wirklich gesprächig. Aber wenn, dann sagt er fast immer das Richtige. So wie jetzt. Mein Lächeln misslingt trotzdem ein bisschen, als ich antworte: „Danke.“ Eine halbe Stunde später drückt Aiji dem Taxifahrer den Zettel in die Hand, auf den ich Miyavis Adresse gekritzelt habe. Was heißt gekritzelt? Ich habe so unleserlich geschrieben, dass man es schon fast nicht mehr unter „Gekritzel“ verbuchen kann. Doch unser bärtiger Fahrer nickt bloß, verfrachtet unsere Koffer in den Kofferraum und bedeutet uns anschließend auf der Rückbank Platz zu nehmen. „Danke“, sage ich höflich, wobei ich mich bemühe, meinen Akzent möglichst gering zu halten. Wenn der Ärmste schon meine Handschrift lesen muss, kann ich mich schließlich wenigstens anständig bedanken. Den größten Teil der Fahrt hocke ich stumm auf dem Beifahrer, höre ihm zu, wie er irgendwas von Fahrradfahrern und Ampeln redet und wünsche mir, das Kribbeln, das sich anfühlt als hätte ich Brausepulver im Magen, würde aufhören. Hinter mir hat Maya den Kopf an Aijis Schulter gelegt und plappert fröhlich vor sich hin und ich beneide die beiden, dass sie nicht verstehen, was der Mann neben mir sagt. Meine besten Freunde beherrschen nur wenige Brocken Deutsch, die ich ihnen in den vergangen Monaten in den Schädel gehämmert habe, aber wenn es darum geht ein längeres Gespräch zu führen, sind sie beide vollkommen hilflos. Jetzt stehen wir vor einem gepflegt aussehenden, mehrstöckigen Haus, die Koffer hinter uns, während ich die kleinen Schildchen am Hauseingang nach dem Namen meines ehemals besten Freundes absuche. Ich finde es recht schnell, brauche aber noch einige Sekunden, bevor ich auf den Klingelknopf drücke. Es dauert nicht lange, bis es in der Gegensprechanlage knackt. „Hallo?“ Mein Herz scheint explodieren zu wollen. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Es ist seine Stimme. Die, die ich vor neun Jahren am Flughafen gehört habe. Die, von der ich immer gehofft habe, sie wieder ganz nah bei mir zu haben. „Miyavi? Wir … wir sind da. Also … Maya, Aiji und ich, Ruki.“ Ich habe noch gar nicht richtig ausgesprochen, da bricht die Verbindung ab. Ein kühles Knacken in der Leitung. Für einen kurzen Moment habe ich tatsächlich den absurden Gedanken, Miyavi würde uns nicht öffnen, doch genau in dem Moment, in dem ich zu verzweifeln drohe, fliegt die Tür zur Seite und zwei Arme ziehen mich an einen warmen Körper. Meine Nase wird gegen ein nach frischer Wäsche duftendes T-Shirt gepresst und warmer Atem streift mein Ohr. „Gott, Kleiner“, flüstert es neben meinem Kopf, „du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst hab!“ Er schiebt mich auf Armeslänge von sich weg und mir begegnen die braunen Augen, die ich seit neun Jahren bis zum geht nicht mehr vermisse – oder besser: Vermisst habe. In meiner Kehle bildet sich dieser berühmte Kloß, der kommt, wenn man kurz davor ist in Tränen auszubrechen. Er scheint immer größer zu werden und wehrt sich vehement dagegen gen Magen zu verschwinden. Ich spüre, wie eine winzige Träne aus meinem rechten Augenwinkel fließt, doch ich halte sie nicht auf. Wie lange habe ich nicht mehr geweint? Wie lange habe ich nicht mehr vor Freude geweint? Keine Ahnung, aber in diesem Moment tue ich es. Und es fühlt sich verdammt gut an! „Heulst du?“ Ich nicke schwach und bin in diesem Moment wahnsinnig froh, dass er seine Hände auf meine Schulten gelegt hat. Gerade setze ich an um etwas zu sagen, als Maya hinter mir verzückt aufkreischt und damit – wie es so seine Art ist – die Stimmung des Moments bis ins Tiefste zu erschüttert. „Ooooh, ist der süüüüüß!!“ Verwirrt blicke ich über Miyavis Schulter – und ziehe verständnislos eine Augenbraue hoch. Hinter Miyavi steht ein junger Mann, vielleicht 25 Jahre alt. Süß trifft es nicht so ganz. Eher … ungewöhnlich. Wobei ungewöhnlich ein Wort ist, das ich bei meinem eigenen Aussehen besser nicht benutzen sollte. In diesem Fall definiere ich ungewöhnlich eher aus der Sicht von „normal“ aussehenden Menschen und erläutere mal kurz Miyavis Mitbewohner: Sein Haar ist von einem interessanten Blondbraun (das angesichts seiner offensichtlich asiatischen Herkunft mit Sicherheit gefärbt ist), die Augen dunkel und seine Oberlippe hat eine eigenartige Form. Außerdem sind seine Augen geschminkt, was wohl das ungewöhnlichste an ihm ist. Er trägt einen enges graues Langarmshirt, eine schwarze Jogginghose und einen kleinen Jungen auf dem Arm – den Maya, wie mir jetzt klar wird – wahrscheinlich mit süß gemeint hat. „Darf ich vorstellen?“, fragt Miyavi freudig und deutet mit großer Geste hinter sich. „Das sind mein Mitbewohner Uruha und mein Sohn Takeya.“ Ich runzle die Stirn und durchsuche mein Hirn nach Informationen über die beiden. Seinen Briefen nach ist Uruha 24 und ein Freund, den Miyavi in irgendeinem Club kennengelernt hat. Takeya ist mittlerweile zwei und Erzählungen nach genauso süß wie frech. Ich weiß echt nicht, wie Miya es schafft, sich ständig um diesen kleinen Schreihals zu kümmern. „Papa, sind das die von denen du erzählt hast?“, fragt der Kleine und deutet mit seinem Zeigefinger, den er bis eben noch im Mund hatte, auf uns. Augenblicklich beginnt Miyavi zu lächeln – wobei er gar nicht wirklich damit aufgehört hat – kneift seinem Sohn in die Wange und nickt. „Guck mal. Das da“ – er zeigt auf Maya – „ist Maya, der Junge daneben heißt Aiji. Tja, und der Kleine da, das ist Ruki. Wir beiden waren mal sehr gut befreundet. Aber dann bin ich hierher nach Deutschland gekommen und wir haben uns nicht mehr gesehen.“ „Und deshalb kommt er uns jetzt besuuuchen?“ „Ja, die drei bleiben jetzt erst mal hier“, nimmt Uruha meinem ehemals besten Freund die Antwort ab, bevor er den Kleinen auf den Boden setzt. Dann lächelt er uns an. „Hallo ihr drei! Schön euch zu sehen.“ Aiji und Maya sehen mich fragend an. „Uruha“, sage ich, während ich seine ausgestreckte Hand entgegennehme, „kannst du Japanisch oder nur Deutsch?“ „Ich spreche beides, warum?“ Ich deute eine Bewegung nach hinten an. „Aiji und Maya sprechen kein Deutsch.“ „Ach, sag das doch gleich!“, wechselt er fließend zum Japanischen. „Entschuldigt bitte, das wusste ich nicht. Ich dachte, vielleicht habt ihr auch Deutsch gelernt, so wie Ruki.“ Lachend schüttelt er auch meinen beiden Freunden die Hand, dann beugt er sich zu Takeya herunter. „Willst du denen nicht mal unsere Wohnung zeigen?“ Die Augen des Kleinen beginnen zu leuchten, er nickt eifrig und packt sich kurzerhand meinen Arm. „Komm miiit!“ Ich stutze. Japanisch. Anscheinend erzieht Miyavi ihn zweisprachig. Noch immer überrascht, lasse ich mich von dem Jungen mitziehen, der mit aller Kraft an meinem Arm zieht, als hätte er vor, ihn vom Rest meines Körpers trennen. Hinter mir höre Maya kichern, Aijis Schritte sind ruhig, nicht so trippelnd wie Flummis, die schon Geräusch her fröhlicher klingen. „Gucke, das is mein Zimmer!“ Wir stehen in einem kleinen Raum, dessen Wände in einem hellen Grün und einem freundlichen Gelb gestrichen sind, in einer Ecke steht ein kleines Kinderbett, bezogen mit roter Bettwäsche, auf dem ein kleiner, dunkelbrauner Teddy liegt. Die Kommode unter dem Fenster ist aus blassem Holz und an einer Wand hängen einige Bilder und Poster. Bob der Baumeister, Meister Mannys Werkzeugkiste und ein paar Zeichnungen, wahrscheinlich von Takeya selbst. Aiji verzieht einen Mundwinkel, als Miyavis Sohn stolz zu seinem Bettchen läuft, darauf klettert und auf und ab hüpft. „Das is ein tolles Tampolin!“ „Och Gott, der spricht soooo niedlich!“, zwitschert Maya mir ins Ohr, bevor er sich an Takeya wendet. „Ein tolles Trampolin? Das ist aber schön! Darf ich auch mal probieren?“ „Jaa, wenn du willst!“ Jetzt muss auch ich grinsen. Ich glaube, die zwei könnten ein gutes Team abgeben. Während ich so beobachte, wie mein Freund zu dem Kleinen geht, sich neben ihn stellt und anfängt ein wenig zu hüpfen, fühle ich mich irgendwie an Miyavi und mich erinnert. Nur, dass mein Trampolin wirklich ein Trampolin gewesen ist. Wir sind oft darauf herumgesprungen, haben gelacht und er ist immer beinahe gegen die Decke gestoßen, so wie Maya jetzt. „Sie sind süß, was? Wie wir.“ Erschrocken zuckt mein Kopf herum. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Miya neben mir aufgetaucht ist. „Ja, wie wir.“ „Sweety, pass auf! Nicht, dass du Uruhas Essen noch auf dem Boden verteilst!“, ruft Miyavi, während er seinem Sohn einen der beiden Teller abnimmt, die er gerade zu uns transportieren will. Der Kleine hat darauf bestanden den Tisch mitzudecken, aber wenn man bedenkt, wie viel Uruha und Miya ihm in dieser Zeit schon sicherheitshalber aus der Hand genommen haben, beschleicht mich der Verdacht, dass der Kleine häufiger was fallen lässt. „Neeeeeeein, dib her! Is will das matten!!!!“ Aus der Küche höre ich Uru leise lachen. Anscheinend auch ein öfter gehörter Satz. „Taki, dein Papa hat Recht! Du musst vorsichtig sein, sonst haben wir gar nichts zu essen. Und das wollen wir doch nicht!“ Schmollend verschränkt Takeya die kleinen Ärmchen vor der Brust, leistet aber keinen weiteren Widerstand und setzt sich brav auf seinen Stuhl. Kurz darauf kommt Uruha ins Esszimmer, die letzten dampfen Teller in den Händen. „So, dann wünsche ich frohes Genießen“, grinst er, nimmt seine Gabel (ich bin ziemlich gespannt, wie ich mit diesem Besteck klarkomme …) und sticht beherzt zu. Ich hingegen betrachte skeptisch die Bratwurst auf meinem Teller. Ganz ehrlich? Hab ich noch nie gegessen. Doch sobald ich mir die erste Gabel, nach einigen Komplikationen mit diesem Minivierzack, in den Mund geschoben habe, hellen sich meine Gesichtszüge wie von selbst auf. „Hey, das schmeckt ja richtig gut!“, nuschle ich zwischen zwei Bissen Bratwurst hervor, worauf ich einen freundschaftlichen Klaps von Miyavi auf den Hinterkopf kassiere. „Natürlich schmeckt das, Ruki, du Dumpfbacke! Das hat ja auch Uruha gekocht!“ Hätte der lachende Takeya zu meiner Rechten mich nicht abgelenkt, hätte ich Uruhas gemurmeltes ‚Als wenn Bratwurst vernünftiges Essen wäre …‘ wahrscheinlich gehört. „Tumpfbappe, dat kling aba lustig!“ Ich versuche den Kleinen anzulächeln, was auch ganz gut funktioniert – bis er mir seinen fettverschmierten Finger auf die Nase legt und mich frech angrinst. „Tumpfbappe, hihi!“ Habe ich den Kleinen heute schon als ‚süß‘ bezeichnet? Sorry, das nehme ich hiermit zurück … Eigentlich will ich darauf antworten, doch Maya öffnet seinen Mund, ehe auch nur ein Wort den meinen verlassen kann: „Oiii, er ist so nieeedlich! Sag mal, Miyavi, wo ist denn die Ma von dem Kleinen?“ Stille. Mein Blick fliegt zwischen Miyavi und Uruha hin und her, der erschrocken seine Gabel zurück auf den Teller legt. Mein ehemals bester Freund versteinert einen Moment, dann sagt er leise: „Sie ist tot.“ Ich höre Uruha auf seinem Stuhl herumrutschen. „Also eigentlich ist sie ja …“ „Sie. Ist. Tot.“ Plötzlich wütend springt Miyavi auf, dreht sich um und geht. Nur im Türrahmen dreht er sich kurz um. „Bringt bitte Takeya ins Bett.“ Der Rest des Essens verläuft schweigend, Uruha steht irgendwann auf, nimmt Takeya an die Hand und geht raus, um ihn ins Bett zu bringen. Maya sitzt wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl und starrt auf die Bratwurst, die ihm mittlerweile nicht mehr zu schmecken scheint. Seine Unterlippe zittert, ich bin mir sicher, dass er anfangen würde zu weinen, wäre da nicht Aijis Arm um seine Schultern. „Hey, Maya, es ist nicht deine Schuld“, sage ich schnell, schon im Aufstehen. „Du hattest schließlich keine Ahnung. Ich geh mal nach ihm gucken.“ Um ehrlich zu sein, bin ich gerade ziemlich verwirrt. Nie hat Miyavi über irgendwelche Probleme oder gar den Tod von Takeyas Mutter geschrieben … Obwohl er auch nie wirklich überhaupt etwas über sie geschrieben hat. So wirklich ist mir das gar nicht aufgefallen, viel zu sehr habe ich mich immer über neue Briefe von Miya gefreut. „Er ist in seinem Zimmer.“ Erschrocken zucke ich zusammen, drehe mich um. Hinter mir steht Uruha. „Du kannst reingehen, wenn du willst. Vielleicht möchte er dich jetzt lieber sehen als mich.“ Miyavi liegt auf dem Bett, seine Kleidung liegt auf dem Boden. „Miya?“ Keine Antwort. Vorsichtig komme ich näher, setze mich auf die Bettkante. „Miya??“ Quälend langsam dreht er mir sein Gesicht zu. Er hat nicht geweint, doch seine Augen schimmern traurig. „… Ruki.“ Vorsichtig greift er nach meiner Hand, zieht sie an seinen Körper und hält sie fest. „Entschuldige.“ Irritiert runzle ich die Stirn. „Warum entschuldige?“ „Weil ich dir nichts davon geschrieben habe, von Takeyas Mutter.“ Im Dunklen dieses Zimmers wirkt Miyavi so todunglücklich, dass ich beinahe heulen könnte. Einzelne Strähne seines schwarzen Haars hängen ihm in die Stirn, seine Augen wirken wässrig. Ein Auto fährt draußen vorbei, der Lichtschimmer der Scheinwerfer huscht über seine Wangen. „Kein Problem. Es ist ja noch nicht zu spät. Was ist denn mit ihr?“ „Morgen, in Ordnung?“ Ich nicke, entziehe ihm ruhig meine Hand und stehe auf. Irgendwie habe ich das Gefühl, er kann mich gerade nicht gut gebrauchen, will eher allein sein. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht. „Ruki, magst du nicht hier bleiben?“ Überrascht drehe ich mich um. Eigentlich würde ich ablehnen, wir haben uns so lange nicht gesehen, kaum miteinander gesprochen und jetzt soll ich mich zu ihm legen? „Bitte, Ru, ich möchte nicht allein sein.“ Kurz zögere ich noch, dann nicke ich. Keine zwei Minuten später schiebe ich die Decke zur Seite und schlüpfe neben Miya, der mich sanft anlächelt. „Danke, Kleiner. Du glaubst nicht, wie ich dich in den letzten Jahren vermisst hab.“ Die letzten Worte nuschelt er so leise in meine Haare, dass ich ihn fast nicht verstanden hätte. Letztendlich weiß ich nicht, wie lange wir hier gelegen haben, er seine Nase in meinen Haaren, aber es wird leiser vor der Tür. Irgendwann still. Neben mir höre ich Miyavi atmen, regelmäßig, doch ich weiß, dass er noch wach ist. Schon als mein Babysitter hat er bei uns übernachtet, ich habe mich damals gern zu ihm auf die Couch geschmuggelt. Und schon damals hat er im Schlaf immer leise vor sich hingemurmelt. Das Geräusch der Tür holt mich aus meinen Gedanken. „Papa, is kann nicht schlafen …“ Hinter mir setzt sich Miyavi auf, seine Augen sind schon ganz klein. Müde streicht er sich eine Strähne aus dem Gesicht, lächelt seinen Sohn zärtlich an. „Hey, Sweety. Du kannst nicht schlafen? Was ist denn los?“ „Da war ein gaaanz goßes Monster! Das wollte mis aufessen!“ „Ein ganz großes Monster?“ Von jetzt auf gleich ist mein bester Freund wieder der fürsorgliche Vater, seine Müdigkeit scheint verschwunden. „Na, dann komm mal her. Hier kann das Monster dich ganz bestimmt nicht aufessen, hm? Hier sind ja Ruki und ich, wir passen auf dich auf.“ Kurz drauf kommt das Tapsen kleiner Kinderfüße auf uns zu, dann schiebt sich ein kleiner Körper zwischen uns. Takeya ist kalt, seine Füße legen sich wie zwei Eisklumpen an meine Schienbeine. „Dann schlaf mal schön, Sweety, ich hab dich lieb“, flüstert mein bester Freund leise, während er seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn drückt. „Dute Nacht, Papa. Dute Nacht, Tumpfbappe.“ Takeya rollt sich eng zusammen, steckt sich seinen Daumen in den Mund und ist ein paar Sekunden später eingeschlafen. Leicht streicht Miyavi dem Kleinen durch die dunklen Haare und wirkt so unglaublich beschützend, dass es fast wehtut. Früher ist er auch mit mir so umgegangen, hat neben mir gesessen, bis die Albträume verschwanden. Ein kleiner Stich bohrt sich in meine Brust, als Miya Takeya auf seinen Bauch zieht und beide Arme um ihn schlingt. „Soll ich rübergehen?“, frage ich leise, um Takeya nicht zu wecken, mein bester Freund schüttelt den Kopf. „Nein, bleib ruhig hier, immerhin haben wir uns jahrelang nicht gesehen … Komm her!“ Lächelnd löst er einen Arm von seinem Sohn und zieht mich zu sich herüber. „Gute Nacht, kleiner Ru.“ „Gute Nacht, großer Miya.“ Ich höre ihn leise lachen, der Rest geht in dem Gefühl unter, ihn endlich wieder bei mir zu haben. Die Wärme, die von ihm ausgeht und dieses Gefühl, genau hierher zu gehören. Ich fühle mich gut, das warme Gefühl wirkt schwer, macht mich müde. Und ehe ich mich versehe, bin ich eingeschlafen. Genau wie früher. Kapitel 2: Will to survive -------------------------- viel spaß!! :D _______________________ Will to survive Went the distance, now I'm back on my feet Just a man and his will to survive (Eye of the tiger - Survivor) Das Erwachen ist erschreckender als gedacht. Als ich am nächsten Morgen im Bett aufwache, starre ich geradewegs auf ein Poster, das Farbkleckse auf einer Wand zeigt. Eine weiße Wand, bunte Flecken in gelb, grün, blau, rot, pink … Wo zum Teufel bin ich?? Mehr oder minder geschockt sehe ich mich in dem kleinen Raum um, an der anderen Wand steht ein Bett, unter dessen Decke ein dunkelblonder Haarschopf hervorguckt. Hä? Um mein eines Bein hat sich irgendwas Warmes geschlungen, eine Hand liegt auf meinem Bauch. Noch einmal: Hä? Irritiert folge ich der Hand nach oben, den Arm entlang – und erinnere mich schlagartig an meine Situation. Ich bin in Deutschland. Neben mir liegt Miyavi, sein Sohn hat seine Ärmchen um mein Bein geschlungen, knapp über dem Knie. … Danke. Kaum verbringt man eine Nacht hier, wird man als Teddy missbraucht. Das sind ja schöne Aussichten. Vorsichtig versuche ich, die Arme von meinem Oberschenkel zu lösen, ohne dabei Takeya, Miyavi oder gar Uruha aufzuwecken. Mein Vorhaben wäre mir sogar gelungen, hätte ich mich nicht beim Aufstehen mit den Füßen in den Beinen meiner eigenen Jeans verheddert – weshalb ich mich leider Gottes der Länge nach auf den Boden schmeiße, unfreiwillig versteht sich. „… Ru?“, kommt es verschlafen aus dem Bett hinter mir. „Willst du schon aufstehen? Es ist doch erst …“ Ich drehe mich um und beobachte Miya dabei, wie er sich verschlafen über die Augen wischt und auf den Wecker schielt. „… halb elf?? Heilige Erfinderin des Erdbeerkuchens! Ich muss in zwei Stunden weg!“ Bevor ich auch nur eine Chance habe, danach zu fragen, warum man an einem Samstag um halb eins das Haus verlassen muss, ist Miyavi aufgesprungen, über einen Karton auf dem Parkett gestolpert und – wie ich vorhin – hart gelandet. „Aua, verflucht!“ Auf der anderen Seite des Zimmers raschelt es. „Leute? Was macht ihr denn da eigentlich?“ „Nichts, Uru. Schlaf weiter.“ Unschuldig lächelt Miya seinen Freund an, wofür dieser aber nur ein Schnauben übrig hat. „Du bist lustig, Miya. Jetzt bin ich wach!“ „Is aba aauuuch!“ Ein Plumpsen verrät mir, dass Takeya ebenfalls das Bett verlassen hat. Seine kleine Hand schiebt sich in die seines Vaters, mit der anderen reibt er sich über die Augen. „Is bin müüüüde, Papa.“ „Ich weiß, Sweety. Aber du kannst dich jetzt auch mit uns an den Frühstückstisch setzen und eine warme Milch trinken, davon wirst du bestimmt wach. Was hältst du davon?“ „Mhm …“ Miyavi lächelt mich an, während er seinen Sohn auf die Arme hebt. „Kommst du mit? Wir können ja mit Takeya den Tisch decken. Dann kann Uruha in Ruhe aufstehen und Aiji und Maya wecken.“ „Mooorgen“, gähnt Maya, als er zu uns ins Wohn- und Esszimmer tritt, Aiji an der Hand hinter sich herziehend. „Na, gut geschlafen?“ Einladend deutet Miyavi auf den Frühstückstisch, bevor er wieder in die Küche läuft, um die Himbeermarmelade zu holen. (Die, mal so nebenbei gesagt, extrem lecker ist.) Ich sitze bereits auf einem der bunt gestrichenen Holzstühle, meiner ist grün. Giftgrün mit rotem Polster. Auch die anderen Stühle sind in Komplementärfarben gehalten: Blau und orange, lila und gelb. Der Tisch ist aus hellem Holz und momentan gedeckt mit buntem Geschirr, Duftkerzen und Lebensmitteln, die mir alles andere als geläufig sind. So habe ich mir Miyavis Wohnung hier immer vorgestellt. Bunt, impulsiv und auf eine kontrollierte Art und Weise zusammengewürfelt. Künstlerklischee. „Och, geht so … Aiji hat sich ständig durch die Gegend gewälzt und ist irgendwann aus dem Bett gefallen.“ Maya grinst, während er sich neben mich fallen lässt und ich denke, wie wunderbar er doch in diesen Raum passt, so freudig, wie er ist. Und das, obwohl er auch sehr, sehr anders sein kann. Er ist manisch depressiv, seit er sieben ist. Keiner weiß genau, aus welchem Ereignis diese Krankheit hervorgegangen ist, aber man vermutet, dass sie auf den Tod seiner geliebten Cousine zurückzuführen ist. Mal sind die Auswirkungen mehr, mal weniger schlimm, das hängt von den Situationen ab. Wenn Maya sich mit einer stark emotionalen Situation gegenübersieht – ob im positiven oder negativen Sinne –, kann das bei ihm eine Phase auslösen, in der sich das Krankheitsbild deutlich abzeichnet. Es ist schwer, wenn man nicht weiß, wann es soweit ist, wann er wie reagiert, aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Gedankenverloren greife ich nach einem Brötchen und schneide es auf. Der Duft steigt mir in die Nase, ich atme tief ein, verbanne die Krankheit meines Freundes wieder hinter die Tür, hinter der ich sie eingeschlossen habe. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, die Marmelade auf meine Brötchenhälfte zu schmieren und Miyavi zu lauschen, der gerade lachend versucht, ein Toastbrot in Takeyas Mund zu befördern – was dem Kleinen allerdings missfällt. Immer wieder dreht er seinen Kopf weg, presst die Lippen fest zusammen. „Is will keine Mamelade! Is will Nutella!“ „Aber, aber, Sweety. Wenn du immer Nutella isst, dann müssen wir bald zum Zahnarzt“, schmunzelt Uruha, sich selbst Kaffee einschenkend. Entsetzt starrt Miyas Sohn in Urus Richtung. „Neeeeein, is will nich zum Zahnazt!!“ „Dann mach den Mund auf, Sweetheart“, grinst Miyavi und wendet sich dann an seinen Mitbewohner, „Sag mal, kommt Jenni jetzt eigentlich heute Abend oder funkt ihr mal wieder ein Termin dazwischen? S.O.S., meine Freundin Nummer 276 braucht ein neues Kleid – oder so?“ Mir gegenüber lacht Uruha fröhlich auf. „Nee, keine Termine. Sie kommt. Sie möchte unbedingt die drei Jungs kennen lernen, für die wir den von ihr organisierten Tag der offenen Tür im Tierheim verpasst haben.“ Er zwinkert Aiji zu, der bisher nur stumm auf seinem Platz gesessen und sein Brötchen verzehrt hat. „Wer ist Jenni?“, fragt mein bester Freund. Momentan betrachtet er etwas skeptisch den deutschen Frischkäse, scheint seine Frage nur zu stellen, um irgendwas zu sagen. „Die is daaaaanz nett“, stellt Takeya klar. „Ja, da hast du Recht, das ist sie“, lächelt Miyavi, „Sie ist Uruhas Freundin. Die beiden stehen sich näher als Zwillinge, ihr werdet sehen, das ist echt unglaublich!“ Ich meine fast, etwas Trauriges in seinem Blick zu sehen, während er sich ein Glas Orangensaft eingießt. Außerdem scheinen seine Hände zu zittern und ich frage mich zum ersten Mal ernsthaft, ob das alles mit Takeyas Mutter zusammenhängt. Was könnte dieser Frau geschehen sein, was könnte sie getan haben, dass Miya, ausgerechnet mein freundlicher, fürsorglicher Miya, nichts mehr von ihr wissen will? Dass er komplett zumacht, sobald man sie anspricht? Mein Hirn beginnt, die unglaublichsten Theorien zusammen zu spinnen. Wie von selbst wirft es Fragen über Fragen auf, verwirft sie wieder, hält an manchen fest, nur um zu merken, dass eine Antwort nicht von selbst angelaufen kommt. Was, wenn sie schwer verletzt ist, wenn Miyavi nicht weiß, wie er mit ihr umgehen soll? Was, wenn sie ihn betrogen hat? Oder … was, wenn sie im Knast sitzt?! „Ruki, kommst du mit gleich mit mir raus? Ich möchte dir gerne den Park zeigen.“ „Ooooh, schön!“, freut sich Maya neben mir, „Ich komme …“ Man kann deutlich hören, wie Aiji seinem besten Freund gegen das Schienbein tritt. „AUA!! … Dann eben nicht mit.“ Schmollend verschränkt der Flummi seine Arme vor der Brust und schlägt die Beine übereinander. Ich muss grinsen. Heute weiß ich, dass er verstanden hat. Dass er uns nicht gleich bis unter die Decke fliegt. „Klar“, lächle ich bemüht ruhig, obwohl mein Herz mir bis sonst wo hin schlägt. „Schön hier, nicht?“ Er fragt mich, ohne mich anzusehen. Stattdessen betrachtet er seine Chucks, sie sind gelb. Sonnengelb. „Ja, schön.“ Langsam schiebe ich meinen Fuß in einen Haufen aus Laub. „Du weißt, warum ich mit dir spazieren gehen wollte?“ „Ja, ich weiß.“ „Setzt du mich mit mir hin?“ „Ja.“ Bei der nächsten Bank bleiben wir stehen, setzen uns. Und starren geradeaus. Leute gehen vorbei, ich versuche daran abzulesen, wie lange wir hier sitzen, bis er anfängt zu sprechen. „Ich … Gott, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe sie – Lara – vor fünf ungefähr drei Jahren kennen gelernt, bei einem meiner Auftritte. … Sie kam auf mich zu und lächelte mich an, gratulierte mir zum gelungenen Auftritt. Ihr … ihr Lächeln war so … so strahlend, als hätte sie neben Gott gestanden, als er die Fröhlichkeit erfand. Damals hab ich ihr nur einen Drink spendiert und sie nach Hause gefahren, bin sofort wieder gegangen. …“ Kurz stiehlt sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Ich hab mich den ganzen Abend lang darüber aufgeregt, dass ich sie nicht nach ihrer Nummer gefragt habe. Bis ich in meine Jackentasche geguckt habe.“ Seine Hände schieben sich in seine Jackentaschen, er streift mich kurz mit seinem Blick. „Sie hat mir ein Zettelchen zugesteckt, mit Adresse, Festnetz- und Handynummer. Und dann ging irgendwie alles sehr schnell. Ein paar Mal essen, ein schnulziger Liebesfilm – und schon waren wir irgendwie zusammen. Wenn du mich heute fragst, warum ich dir nie von ihr geschrieben habe … ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. In dem Punkt kann ich mich selbst nicht verstehen. Wahrscheinlich war es, weil du in dieser Zeit Stress mit Reita hattest, ich wollte dich nicht mit meinem Liebesglück niederschmettern. Na ja, jedenfalls waren wir überglücklich. Wir haben sogar Uruha mit unserem ewigen Geturtel genervt, sind ständig essen gegangen oder ins Kino, haben Ausflüge gemacht, sie hat mir sogar reiten beigebracht. Auf … ich glaube das Pferd hieß Amara … frag mich nicht, woher dieser Name kommt.“ Ich höre ihn leise auflachen, schaue zu ihm rüber. Miyavi starrt auf den Boden, betrachtet die Schnürsenkel seiner Chucks, die mit jedem Mal, dass er die Füße bewegt, leicht gegen den gelben Stoff schlappen. Wie er da so sitzt, wirkt er verlassen, wie ein Kind, das seine Eltern auf der Kirmes verloren hat. Oder wie ein Junge, der sich gerade seine eigene Welt erschaffen hat. „Mittlerweile bin ich ganz gut, aber früher bin ich ständig runtergefallen – Obwohl Amara einfach nur brav im Kreis gelaufen ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war mit Lara. Sie hat mich zum Lachen gebracht, sie hat mich aufgebaut, sie hat … sie hat mich glücklich gemacht. Als sie dann ankam und mir eröffnete, dass sie schwanger ist, da habe ich mich sogar irgendwie gefreut. Es war zwar früh, aber ich dachte, wir würden das schon schaukeln. Wir waren doch so ein tolles Team, weißt du? Und Lara hat auch immer gesagt, sie würde sich freuen, das Kind unbedingt behalten wollen, zusammen mit mir und dem Baby glücklich werden. Zusammen mit Jenni und Uruha haben wir uns hingesetzt und diskutiert, wie wir das alles regeln können. Ob Uru zu Jenny zieht und Lara zu mir, ob die zwei uns helfen könnten und natürlich haben wir uns auch Namen überlegt, bis zum Umfallen. Lara war strickt gegen einen japanischen Namen, ich wollte keine deutschen. Ich weiß noch, dass wir uns deswegen beinahe richtig in die Haare gekriegt hätten, bis wir auf die Idee kamen, einen Kompromiss zu schließen: Wenn es ein Mädchen wird, bekommt das Kind einen deutschen Namen, ein Junge einen japanischen. Tja, und irgendwann war es dann so weit. Ich weiß noch genau, wie sie mich durchs Telefon angeschrien hat, ich solle sofort kommen, ins Krankenhaus. Was meinst du, wie mein Chef mich angeguckt hat, als ich mitten aus meiner Besprechung aus dem Theater gerannt bin, als wäre der Teufel hinter mir her.“ Theater? Angestrengt forsche ich in meinen Erinnerungen nach der Information, warum Miya noch gleich im Theater … Ach ja, genau! Ich hab’s! Zwar haben wir uns in unseren Briefen recht wenig bis gar nicht über seine Arbeit gesprochen, aber soweit ich weiß, arbeitet er als Bühnenbildner und teilweise sogar als Regisseur im Theater. Nebenbei tritt er regelmäßig in Clubs als Musiker auf und versucht, Uruha ein bisschen bei dessen Medizinstudium zu unterstützen. „Und was soll ich sagen? Es war so ziemlich das beeindruckenste Erlebnis meines ganzen Lebens. Ich war so nervös, dass ich sogar vergessen habe, den Taxifahrer zu bezahlen – glücklicherweise hat er mich nicht drauf angesprochen, hatte wohl selbst Kinder. Nach der Geburt stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch, war aber so überwältigt von meinem ganzen Glück, dass ich gar nicht die Kraft hatte, zusammenzuklappen. Klingt scheiße, ich weiß, war aber so.“ Dann schweigt er. Sein Blick ist mittlerweile starr geradeaus gerichtet, er sieht aus, als hätte man ihn eingefroren. Ich war kurz davor, ihn anzusprechen, als ich die kleine Träne sehe, die seine Wange hinabrinnt. Sie ist wirklich nur winzig, doch sie glitzert in der Sonne, sodass man sie trotzdem sehen kann. Vorsichtig strecke ich meinen Arm aus, zögere, lege ihn dann sanft um Miyas Schultern. Sein Kopf sinkt gegen meine Schulter. „Und …“, frage ich leise, „was ist dann passiert?“ Ein Schniefen dringt in meine Ohr, dann ein paar zitternde Ansätze, zu sprechen. „Ich … Wir … Wir waren so glücklich. U- und als sie nach Hause konnte, h-haben wir uns so gefreut. Aber am nächsten Morgen … war sie weg. Einfach weg, verstehst du?? Sie ist abgehauen!“ Aua. Erschrocken sehe ich auf die schwarzen Haare an meiner Schulter hinab, die Strähnen zittern mit jedem leisen Schluchzen Miyavis. „Es hat wehgetan. Es hat so verdammt wehgetan!“ Langsam hebt er den Kopf, sieht mir in die Augen. „Ich wollte nicht, dass du das weißt … ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Verstehst du?“ Ich nicke, schlucke, versuche es mit einem Lächeln, das mir allerdings gründlich misslingt. „Ja, ja, kann ich verstehen. Aber du hättest mit mir reden können, wirklich.“ „Danke, Ru.“ Auch sein Lächeln wirkt nicht wirklich authentisch, aber ich bin trotzdem froh, es zu sehen. Mit einer ungelenken Bewegung streicht er sich seine Tränen von den Wangen. „Das ist lieb von dir. Ich bin unglaublich froh, dass du da bist.“ Er greift meine Hand und steht auf. „Komm, lass uns zurückgehen. Ich muss gleich zur Arbeit.“ Noch immer verwirrt, lasse ich mich von meinem Freund hinterherziehen. In meinem Kopf springen die Gedankengänge hin und her, wie junge Fohlen, die das erste Mal auf die Weide gelassen werden. Wie kann er jetzt so einfach zur Arbeit gehen? Er hat mir gerade erzählt, dass Lara, seine große Liebe, ihn einfach hat sitzen lassen, mit einem kleinen Jungen und einem gebrochenen Herzen, oder? „Jetzt sag schon! Was hat er dir erzählt?“ Neugierig springt Maya um mich herum, hüpft auf und ab und erinnert mich daran, warum wir ihn Flummi getauft haben. Genervt öffne ich den Küchenschrank, nehme mir eine Tasse heraus. Ich kann mir gerade nichts Besseres vorstellen als eine Tasse warme Milch. „Maya, ich weiß nicht, ob ich es euch erzählen sollte. Frag bitte Miya, wenn du es so unbedingt wissen möchtest, aber lass mich damit in Frieden, ja?“ Seit ich zurück bin – Miyavi ist erst gar nicht mit hoch gekommen, sondern gleich auf zu Arbeit – benehmen sich alle mir gegenüber seltsam: Maya (okay, für ihn ist das eigentlich schon normal) versucht, mich zum Reden zu bringen, Aiji sieht mich immer wieder besorgt an und auch Uruha beobachtet mich unauffällig, wenn ich ihn nicht ansehe. Nur Takeya verhält sich wie immer. Er ist das kleine nervige Dings, das mich seit geraumer Zeit ständig fragt, ob ich nicht vielleicht Lust zum Legospielen habe. Was bitte ist an „Nein, habe ich nicht“ bitte so schwer zu verstehen? Eigentlich will ich gar nichts, mich nur auf meine Matratze legen und die Decke anstarren, bis die Verwirrung in meinem Kopf nachgelassen hat. Mit meiner Tasse Milch in der Hand, setze ich mich auf das Sofa im Wohnzimmer und versuche abzuschalten … Was leichter gesagt ist, als getan. In mir höre ich noch immer Miyavis leises Schluchzen widerhallen. Das erste Mal, dass ich ihn weinen gesehen habe, das erste Mal, dass er verletzlich gewirkt hat. Erschöpft vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. „Ruki, du machst dir zu viele Gedanken.“ Vorsichtig lässt Uruha sich ebenfalls aufs Sofa sinken. Ich habe den Kopf, sehe ihn an. „Jetzt sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass er dir von Lara erzählt hat. Und ich weiß auch, dass er nicht übertrieben hat. Diese Zeit war für Miyavi mehr als die Hölle. Lara ist einfach über Nacht abgehauen, hat sich nicht mehr gemeldet, sie hat nicht mal den berühmten Notizzettel mit dem Abschiedsgruß dagelassen. In den Monaten danach war er ein einziges Nervenbündel, hat manchmal nachts, wenn Takeya geschlafen hat, an seinem Bett gesessen und geweint. Er ist nicht mehr arbeiten gegangen, hat ein Vaterschaftsjahr gemacht, musste sich ja auch um seinen Sohn kümmern. Ich habe ihm natürlich nach Möglichkeit geholfen, damit ihm ohne Arbeit nicht die Decke auf den Kopf fällt. … Und es hat funktioniert. Das Schlimmste hat er schon lange hinter sich, glaub mir. Ruki, du hättest ihm damals auch nicht helfen können. Niemand kann Erlebnisse aus deinem Leben löschen, die dir wehgetan haben, genauso wenig, wie jemand Erinnerungen verschwinden lassen kann, die dir Freude bereitet haben. Sie müssen auch nicht verschwinden, du musst nur mit ihnen umgehen können. Und Miyavi kann das mittlerweile. Du musst dir wirklich keine Sorgen mehr machen, okay? Freu dich lieber auf Jenni, du wirst sie sicherlich mögen.“ Das stimmt, ich mag sie echt. Jenni ist eine junge Frau, der man ihre 24 Jahre weniger als gar nicht ansieht. Sie hat hübsche braune Augen und eine zierliche Gestalt, die ihre asiatischen Züge unterstreicht und eine so positive Ausstrahlung, dass sie sogar Aiji zeitweise zum Lachen bringt – und das nur durch ihre Betonung, denn leider beherrscht sie die japanische Sprache nur Bruchstückweise, was die Kommunikation zwischen Maya, Aiji und ihr ziemlich schwierig macht … scheint sie allerdings herzlich wenig zu interessieren. Stolz sitzt sie auf Uruhas Schoß und ist gerade dabei, von der Feier des Tierheims zu erzählen, die Miya, Uru und Takeya ja leider versäumt haben. Wobei „erzählen“ wirklich kein Ausdruck für Jennis wirre Zuhilfenahme von Hand, Fuß und Mimik ist, die selbst dem Taubstummen aus Pusemuckel verständlich gemacht hätte, was sie mit ihren Ausführungen sagen will. „Ihr werdet mir nicht glauben, wie süß diese Katzenjungen sind! Die Tierheimleiterin hatte zwei auf dem Arm, als sie die Eröffnungsrede gehalten hat: Ein weißes und ein schwarzes. Soooooo nieedlich!!“ Verzückt lächelnd lehnt Jenny sich zurück. „Sicher nicht halb so niedlich wie du“, murmelt Uruha gegen den Hals seiner Freundin, während er seinen Kopf leicht auf ihre Schulter legt. „Schleimer!“ Grinsend stupst Jenni mit ihrem Finger gegen seine Nasenspitze. „Immer doch.“ „Siehst du“, flüstert Miyavi, der seit seiner Rückkehr von der Arbeit vergessen zu haben scheint, was er mit heute Morgen erzählt hat, „Dem könnte Megan Fox im String Tanga mit dem Arsch unter der Nase rumwedeln und der würde sie nicht angucken. Ich glaube, wenn die beiden sich je trennen, dann geht echt die Welt unter.“ Mit diesen Worten steht er auf und wendet sich an die gesamte Runde. „Bin ich der Einzige, der Lust auf eine Tasse Tee hat?“ „Nein, bist du nicht! Mir bitte auch eine mitbringen!“ „Oh, mir auch!“ Der Abend geht noch schön zu Ende und auch, wenn der heute Vormittag nicht aus meinen Gedanken verschwinden will, bin ich müde genug, um schlafen zu können. Außerdem verspricht der morgige Tag wirklich ereignisreich zu werden: Miya hat mit mir ein Treffen in einer kleinen Eisdiele in der Nähe des Theaters vereinbart, in dem er arbeitet, um anschließend mit mir Maya, Aiji, Uru und Takeya abzuholen – immerhin wartet noch immer eine Sightseeingtour auf uns … und ein ausgedehnter Spaziergang durch die Fußgängerzone inklusive Shopping. Armer Aiji; er ist immer derjenige, der letztendlich Mayas Tüten nach Hause schleppen darf. Müde kuschele ich mich auf meiner Gästematratze zusammen, neben mir liegt bereits Maya, der darauf bestanden hat, in der Mitte schlafen zu dürfen. „Gute Nacht, Ruki. Gute Nacht, Aiji.“ „Gute Nacht, Maya.“ Und schon bin ich eingeschlafen. _______________________________________________________ Soooo, das ist Kapitel 2 Himmel, ich muss mich ja echt beeilen, wenn ich noch bis Ende des Jahres fertig werden will -.-'' Na ja, ich schaff das schon! *sehr zuversichtlich sei* Übrigens müsst ihr jetzt (tja, das passiert halt, wenn man Geschichten von mir liest) unbedingt mal kurz "Happy Birthday" anstimmen, ja? Heute (20.10.2011) hat nämlich Grisha Geburtstag, der Sänger meiner Lieblingsband (KIT-I aus Russland)! :) Er wird 21. *nick* Also, bitte mit angemessenem Enthusiasmus mitsingen! Happy birthday tooooooo yooouuuu ...! *träller, sing, jubel* *räusper* Ja, genau ... das wars dann auch schon, glaub ich. Würde mich natürlich wie immer über Rückmeldung freuen und ein grooooßes Danke an meine lieben Kommi-Schreiberinnen! Was wäre ich nur ohne euch?? Hab euch lieb! LG, lady PS: entschuldigt bitte, wenn ich Jenni manchmal mit y schreibe, meine beste freundin schreibt sich so, deswegen komme ich immer ein bisschen durcheinander :) ich versuche es zu verbessern, wenn ich es bemerke. Kapitel 3: Without you ---------------------- Without you Tell me how am I supposed to live without you? (Nothing is what it seems – Saosin) Meine Augen folgen dem kleinen weißen Tröpfchen, das den Glasbecher hinunterrinnt, sich zum Sterben langsam vorwärtsbewegt und schließlich von der Servierte aufgesogen wird. Es ist wirklich unglaublich. Draußen ist es kalt wie sonst was und ich sitze hier, starre raus und esse Eis. Zitroneneis, wenn man es genau nimmt – die Sommersorte schlechthin, finde ich. Schade nur, dass der Sommer, wie ich bereits erwähnte, sich momentan zurückgezogen hat … was angesichts des Kalenders allerdings auch kein Wunder ist: Das Jahr neigt sich langsam seinem Ende entgegen und jetzt, Mitte September, kann man vom Wetter nicht mehr ganz so viel erwarten. (Was keine Entschuldigung dafür ist, dass ich mir bereits jetzt draußen beinahe den Arsch abfriere.) Und als wäre das nicht Plage genug, muss ich auch noch warten. Warten darauf, dass der werte Herr Miyavi sich bequemt, mich endlich hier abzuholen. Seufzend wende ich meinen Blick von meinem Eis ab und starre auf die Uhr. Eine Minute, zwei Minuten, drei Minu- „Na, hat dein Date dich auch sitzen gelassen?“ Kurz nach dieser Frage, die sich wohl an mich richtet, vernehme ich ein Plumpsen und bevor ich Zeit habe, mich umzusehen, landet ein Junge mit Milchshake vor meiner Nase auf einem freien Stuhl. Irritiert mustere ich ihn, gleite mit meinen Augen an seinem Körper herab, dann wieder hinauf. „Und du“, fragte ich zurück, „hast du deine letzte Wette verloren?“ „Hä? Wieso?“ „Deine Haare sind pink“, sage ich trocken und deute auf das knallige Strähnengewirr auf dem Kopf des Jungen. Nein, ich erzähl keinen Mist. Seine Haare sind ernsthaft pink. So pink wie das T-Shirt, das Maya heute mysteriöserweise in der Badewanne gefunden hat. Der Typ vor mir grinst und nimmt einen Schluck von seinem Shake, bevor er mir antwortet. „Achso, das meinst du. Nee, ich trag die freiwillig so, seit ungefähr einem Jahr.“ Verdattert sehe ich ihn an. Okay, das hätte ich jetzt nicht gedacht … Eigentlich meinte ich die Idee mit der Wette durchaus ernst. Ich meine: Ja, auch ich färbe mir die Haare, aber doch bitte nicht pink! „Aha … Und warum?“ Sein Grinsen wird noch eine Spur breiter. „Das fragen irgendwie alle. Ehrlich gesagt, hab ich mir einfach nur gedacht, dass ein bisschen Farbe im Alltag ja nicht schaden kann. … Was ist jetzt eigentlich wegen dem Date? Sitzen gelassen worden?“ „Indirekt. Ich warte auf meinen besten Freund, er soll mich abholen – eigentlich, aber mittlerweile verspätet er sich schon um eine halbe Stunde.“ Kann mir mal bitte einer verraten, warum ich diesem komischen Pinkhaartyp das Alles erzähle?! „Und du?“ „Och ja, ich war auch verabredet und hab dann hier gewartet. Tja, die SMS kam zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit: Entschuldige, bist nicht mein Typ. Kannst dich aber trotzdem melden, mag dich ganz gern. … Einfühlsam, was?“ Geistesabwesend nicke ich und schaffe es zu meiner eigenen Überraschung doch noch, mir einen Löffel Zitroneneis in den Mund zu schieben. „Na ja, ist ja auch egal. Lieber gleich sagen, als verarschen.“ Noch immer lächelt der Junge mich fröhlich an, doch vielleicht hätte ich mit besserer Menschenkenntnis gemerkt, dass er verletzter ist, als er zugeben will. „Außerdem hab ich ja jetzt dich getroffen.“ Kurz scheint er zu überlegen. „Wie heißt du überhaupt?“ „Ruki.“ „Ich bin Jun.“ Seine Hand streckt sich mir entgegen, ich nehme sie an, schüttele sie kurz. „Glaub ich dir nicht. So heißt du nicht wirklich, oder?“ „Nö, aber Ruki heißt du auch nicht wirklich, von daher sind wir dann wohl quitt.“ Eins zu null für ihn. Verdammter Mist! „Okay, du hast gewonnen“, brumme ich. „Takanori.“ „Fabian. Freut mich, dich kennen zu lernen.“ Sein Lächeln hat ein bisschen was von Zahnpastawerbung, auch wenn ich finde, dass er vielleicht eine Zahnspange gebrauchen könnte … Worüber man aber hinwegsehen kann. „Sag mal, kommst du aus Japan oder warum heißt du so komisch?“ Ich heiße komisch? Jaaaa, ist klar, muss ausgerechnet er sagen! Er sieht nicht weniger japanisch aus als ich und heißt Fabian. Also mal ehrlich! „Ja, aus Tokyo. Aber wenn ich komisch heiße, dann heißt du noch viel komischer.“ „Danke für die Blumen.“ „… Keine Ursache.“ Eine Weile bleibt es still, weil Jun (bzw. Fabian) an seinem Milchshake herumschlürft und ich es nicht für nötig halte, das Gespräch fortzuführen, dann fragt er interessiert: „Und du wohnst echt in Tokyo?“ „Ja.“ „Krass! Meine Großeltern haben da auch gelebt, aber sie sind hierhergekommen und seitdem lebt die Hälfte meiner Familie in Deutschland und die andere in Japan.“ Grinsend sieht er mir in die Augen. „Ich hab sie noch nie besucht. Aber die Armen würden mich auch gar nicht verstehen. Meine Kenntnisse der japanischen Sprache sind zwar besser, als ich immer denke, aber ich brauche ungefähr zwei Minuten, bis ich einen Satz vernünftig aneinandergesetzt habe. Wieso bist du denn hier?“ „Wen besuchen.“ „Ah so. Den Typen, der dich abholen soll?“ „Exakt. Aber wie du siehst, taucht er nicht auf.“ Jun lacht leise – wahrscheinlich aufgrund meines sichtlich angeschlagenen Gute-Laune-Barometers – und schiebt den mittlerweile leeren Shake zwischen seinen Händen hin und her. „Ach komm, so schlimm ist das gar nicht! Sonst hätten wir uns jetzt nicht getroffen!“ „Oh, wie schade.“ Wieder lacht er bloß, kramt in seiner Jackentasche und lässt dann sein Handy zu mir rüber gleiten. „Weißt du was? Ich mag dich! Speicher mal deine Nummer ein, dann können wir telefonieren oder so.“ Seufzend packe ich das kleine Gerät, da ich mir vorstellen kann, dass Widerstand bei Jun lediglich zu Überredungsorgien führen würde und versuche, mit dem Teil klarzukommen. … Was mir sogar besser gelingt, als gedacht. Kurz überlege ich, ob ich Miyas Festnetzanschluss oder meine Handynummer eingeben soll, entscheide mich dann aber, beides einzutragen. Wofür gibt es sonst die praktische Unterteilung in ‚mobil‘ und ‚Festnetz‘? Schnell fliegen meine Finger über die Tasten, dann schiebe ich das Handy wortlos über den Tisch zurück. „Danke, Ruki!“ Ich beobachte, wie er auf mein Eis starrt, wie ich es zuvor getan habe und grinse, als er mich ansieht und fragt: „Isst du das auf?“ Mit großen Augen sieht er zwischen mir und dem zugegebenermaßen ziemlich großen Zitroneneis hin und her, man kann den der Speichelfaden der sich (nicht) aus seinem Mund stielt beinahe sehen. In seinem Blick liegt ein so bittendes Glitzern, dass ich gar nicht anders kann, als ihm das Eis hinzuschieben. „Da, aber genieß es, sonst bin ich sauer!“ „Geht klar!“ Genießerisch und bestialisch böse lächelnd – ja, bestialisch … im Nachhinein hätte ich doch noch gerne was davon gegessen – schiebt er sich einen Löffel Zitroneneis in den Mund. „Sag mal“, frage ich, nur um mich zu vergewissern, „guckst du mich mit Absicht so böse grinsend an?“ „Böse? Wieso böse?“ Mit einem seligen Lächeln im Gesicht steckt er sich noch eine Ladung meines Eises zwischen die Zähne. „Ich bin doch ganz lieb … Möchtest du nicht doch noch was haben?“ Freundlich wie Jun anscheinend ist, hält er mir den Löffel vor die Nase. „Schön Mund auf! Sag aaaaah!“ Er lacht, während ich ihn ansehe, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Ich sage ganz sicher nicht aaaah!“ „Schade …“ Gerade öffne ich den Mund, um etwas zu erwidern, da ertönt hinter mir eine Stimme. „Ruki, es tut mir leid, wir sind mit den Kulissen einfach nicht fertig geworden und ich konnte nicht weg und … oh!“ Neben uns taucht Miyavi auf und lächelt erst Jun, dann mich fragend an. „Das ist wer?“, fragt er irritiert und zieht sich einen Stuhl zu uns heran. „Hi, ich bin Jun“, grinst mein Pinkhaariger neuer Freund, reicht Miya die Hand. „Dann bist du der Typ, der Ruki hat sitzen lassen?“ „Jun, er hat mich nicht sitzen gelassen.“ „Neee, gar nicht, und deswegen hast du hier auch so lange rumgesessen!“ „Ach komm, so schlimm war das jetzt auch nicht. … Sonst hätten wir uns doch nicht getroffen“, wiederhole ich seine Worte, während ich die Beine übereinanderschlage. „Oh, wie schade.“ Das Grinsen hätte ich selbst vor Augen gesehen, hätte ich ihn während dieser Worte nicht angeschaut hätte. Miyavi sieht mich fragend an und ich muss grinsen, als er die Augenbrauen hochzieht. „Insider“, sage ich leise. „Ah ja, gut zu wissen. Nett dich kennen zu lernen, Jun.“ „Danke gleichwalls.“ „Ooooooh, Ruki, Miya, Uru, Jun, seht mal!! Das ist doch genial, oder?“ Maya fuchtelt mit einem undefinierbaren Dings in der Luft herum und strahlt, als wäre er Takeya, dem gerade der Osterhase höchstpersönlich über den Weg gehoppelt ist. Neben mir grinst Jun in sich hinein. Er ist, nachdem er mein Zitroneneis aufgegessen hat, mit uns in die Stadt gekommen und hat festgestallt, dass er sich wunderbar mit Takeya versteht – vor Allem, was die Vorliebe dafür angeht, anderen Leuten Streiche zu spielen. Mittlerweile haben sie schon Müll in fremden Kapuzen entsorgt, ein paar Mädchen unbemerkt Kaugummi in die Haare geschmiert und Leuten beschriftete Klebezettelchen auf den Rücken gepappt, die Jun zufällig in seiner Jackentasche gefunden hat. (Auf meiner Kehrseite klebte bereits einer mit der freundlichen Aufschrift „Kneif mich“, was Maya nur zu gern ernst genommen hat.) „Was ist das?“ Neugierig nimmt mein neuer Bekannter Maya das undefinierbare Dings aus der Hand, woraufhin ich feststelle, dass es keinesfalls so undefinierbar ist, wie es aussah, als mein Freund es in Lichtgeschwindigkeit hin und her gewedelt hat. Es ist ein Sweatshirt in schwarz, in vielen Farben mit den unterschiedlichsten Mustern verziert. Warum wundert mich das jetzt nicht? „Hey, das ist cool“, stellt Miyavi fest, während er prüfend an dem Stoff herumzieht. „Wirklich, gar nicht mal schlecht.“ Mayas Augen leuchten auf und Aiji, der bisher bewegungslos hinter ihm stand, legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Maya“, lächelt er, „pass nur auf, dass er es dir nicht vor der Nase weg kauft. Euch passt die gleiche Größe und das da ist das Letzte.“ Ui, das hätte er nicht sagen sollen. Mit einem erschrockenen Aufquietschen schnappt der Flummi sich das Sweatshirt, dreht sich und bringt sich mit seiner neuen Fast-Errungenschaft in einigen Metern Abstand in Sicherheit. Aijis Lächeln wird beinahe zärtlich, als er zu seinem besten Freund geht und ihn zur Kasse dirigiert – wer weiß, nachher könnte Miya ja noch auf dumme Gedanken kommen. „Die zwei sind ja mal süß“, flüstert Jun mir ins Ohr. „Sind die zusammen, oder so?“ Entsetzt starre ich ihn an. „Nein!“ „Echt nicht? Sieht aber so aus … find ich.“ Kritisch beäugt er Aiji, der gerade die Tüte dieses Ladens übernimmt (entschuldigt, er ist mir leider entfallen) und freundlich lächelt, als die Frau an der Kasse ihn volltextet. Ein Grinsen hebt meine Mundwinkel an. Der Arme, er versteht sie ja nicht einmal. … Irgendwie hat meine pinkhaarige Eisessbekanntschaft sogar Recht. Seit ich sie kenne, verhalten sie sich wie ein junges Pärchen: Sie hängen ständig zusammen, laufen händchenhaltend durch die Gegend und passen sogar zu der Aussage ‚Gegensätze ziehen sich an‘. „Hm … Ja, stimmt. Sieht so aus. Aber was erwartest du? Die kennen sich seit ewigen Zeiten und Aiji ist sowas wie der Beschützerbruder, den Maya sich nie wünschen musste, weil er fast von Anfang an da war.“ Lächelnd beobachte ich, wie der Flummi sich an Aijis Arm hängt und ihn mit ihm auf uns zukommt. „Siehst du? Ein Herz und eine Seele.“ „Was hat er zu dir gesagt, Jun? Irgendwas Böses?“ Jun steht neben mir, öffnet den Mund, bringt aber nicht viel heraus – sieht man von einigen unartikulierten Lauten ab. „Versteht er mich überhaupt, Ru?“ Ich grinse angesichts Mayas schmollenden Gesichtsausdrucks. „Ja, er versteht dich. Aber er kann dir nicht antworten. Jun kann kein japanisch sprechen, es aber verstehen.“ „Wie sinnig …“ Und so schnell, wie das Interesse an meinem pinkhaarigen Fabianfreundchen aufgeflammt ist, ist es auch wieder verschwunden. Stattdessen kümmert der Flummi sich lieber um seine Klamotten – oder besser die, die bald seine sein werden. „Netter Mensch …“ Gespielt beleidigt wendet Jun sich ab, um sich um Takeya zu kümmern, der ungeduldig an seiner Hand zieht. Seufzend lehne ich meinen Kopf gegen Miyavis Schulter. Vor mir auf dem Tisch steht eine mittlerweile leere Weinflasche, daneben einige kleine Schüsselchen mit Chips, Erdnüssen und anderem Knabberzeug. Mittlerweile ist es dunkel draußen, wie viel Uhr es ist, weiß ich nicht. Von meinem Platz aus kann ich die Uhr nicht sehen, ich höre nur ihr gleichmäßiges Tacken. Es ist beruhigend und gleichmäßig und es macht meine Augen so schwer … Scheiße! Erschrocken fahre ich hoch, als etwas Warmes auf meine Beine sinkt. Was zum Teuf- … Jun. Wer auch sonst. Er hat uns gewarnt, dass er nach circa zwei Gläsern Wein schneller einschläft als ein Schüler im Matheunterricht. „Och, da ist aber wer müde“, lächelt Uruha, der mir gegenübersitzt und seit einer Gute-Nacht-SMS von Jenni das Glitzern nicht mehr aus den Augen bekommt (aus dieser SMS habe ich auch geschlossen, dass es bereits ein bisschen später sein muss, Jenni wird sicherlich nicht besonders früh ins Bett gehen). Neben ihm sitzt Aiji, Maya auf dem Schoß, und versucht, eine gemütliche Position zu finden. Miyavi hebt den Finger, lacht kurz, verbessert dann: „Da sind aber Zwei müde.“ Liebevoll streicht er mir durch die Haare. „Ru ist auch kurz vorm Wegnicken.“ „Binnischgarnisch“, nuschle ich unverständlich in Miyas T-Shirt, merke aber gleichzeitig, dass er Recht hat: Ich fühle mich, als könnte ich den dritten Weltkrieg verschlafen. „Nein, bist du nicht? Dann ist es also Zufall, dass du genauso aussiehst wie Jun, der jetzt gerade – versuche nicht, es abzustreiten – ganz eindeutig schläft?“ „Jaa …“ Es dauert seine Zeit, bis meine Gedanken, angeregt von Miyas Worten, wieder klarer werden und ich das schwere Etwas auf meinen Beinen wieder gedanklich identifizieren kann. Abrupt hebe ich den Kopf, gucke auf meinen Schoß – und erblicke einen Haufen von pinken Haaren. … Halt mal! Benutzt der mich gerade ernsthaft als lebendes Kopfkissen? Ooooh, das finde ich schlecht. Das finde ich sogar sehr schlecht! Der Letzte, der das gemacht hat war … Reita. Scheiße, dieser Gedanke war jetzt noch viel schlechter. „Jun“, frage ich leise und tippe ihn an, „schläfst du?“ Oh Mann, ich will, dass er verdammt nochmal von meinen Beinen verschwindet! „Ruki, natürlich schläft er!“, kommt es von Maya. „Oder bist du blind?“ „Nein, wüsste ich, aber … Könnten wir ihn vielleicht aufwecken?“ „Könnten wir tun, aber weißt du, ob er gerne geweckt wird?“ Fragend sieht Uruha mich an, scheint aber die nicht besonders gut versteckte Qual von meinem Gesicht ablesen zu können. „… Okay, ich trag ihn auf deine Matratze und du gehst wieder zu Miya, in Ordnung? Oder willst du lieber bei deinem neuen Freund bleiben?“ Entsetzt sehe ich zwischen Jun und Uru hin und her. „Ääähm … Ich glaube, ich bleibe lieber bei Miyavi.“ Maya lacht fröhlich, windet sich aus Aijis Armen und schiebt sich an dem kleinen Couchtisch zwischen uns vorbei, um sich vor das Sofa zu hocken, auf dem ich sitze. Vorsichtig streckt er einen Finger aus uns stupst dem Schlafenden auf die Nase. Als sich nichts bewegt, zieht er ihm leicht an einer Haarsträhne. „Jetzt hör schon auf damit“, brumme ich ungehalten und schlage ihm leicht auf die Finger, „Du weckst ihn noch auf!“ Maya kichert vergnügt. „Oh, so fürsorglich? Ruki, du kannst echt süß sein, wenn du willst.“ Ein zweites, ungehaltenes Brummeln meinerseits, dann nicke ich Uruha bittend zu. Er soll Jun endlich von meinen Beinen entfernen. Schlaflos starre ich an die Decke über mir, ohne sie wirklich sehen zu können. Vor meinen Augen ist alles schwarz. Schwarz wie die Nacht, schwarz wie Miyas Haare, schwarz wie ich. Die Dunkelheit scheint mich in Beschlag zu nehmen, sie will mich ausfüllen und mich davon überzeugen, dass alles gut so ist, wie es ist. Ehrlich gesagt ist es das ja auch: Ich bin hier, in Deutschland, zusammen mit Maya und Aiji und besuche Miya, der jetzt schlafend neben mir liegt. Mir geht es gut und ich habe heute (bzw. gestern, es ist bereits nach Mitternacht) vielleicht sogar einen neuen, wenn auch nervigen Freund gefunden. Wieso habe ich also das Gefühl, dass meine Situation sich schon in nächster Zeit ändern wird? Warum muss ich befürchten, dass irgendetwas gründlich schief geht, wenn momentan alles mehr als gut ist? Unruhig drehe ich mich auf die Seite, vergrabe mein Gesicht an Miyavis Brust. Sein Geruch schleicht sich in meine Nase, doch er hilft nicht, die unguten Gedanken loszuwerden. Sie spuken in meinen Gehirnwindungen herum wie Gespenster, die immer dann woanders auftauchen, wenn man glaubt, ein Mittel gefunden zu haben, das sie vertreiben kann. Miya murmelt leise irgendwas im Schlaf, zappelt leicht mit den Armen herum, verfehlt mit der rechten Hand nur knapp mein Gesicht. Sein Atem streift über meine Haut, ich kann seine Wärme spüren. Doch es beruhigt mich nicht. Ganz im Gegenteil. Je länger ich hier liege, desto unruhiger werde ich. Es erscheint mir plötzlich unmöglich, in diesem Bett zu schlafen – zumindest jetzt. Vorsichtig setze ich mich auf und schiebe die Füße aus dem Bett. Ich erschauere, als ich die Wärme unter der Decke hinter mir lasse und die Kälte der Wohnung in meine Knochen kriecht. Schon seltsam, wie hart der Unterschied zwischen Heizung und menschlichem Körper angeht, was die Fähigkeit als Wärmequelle angeht. Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen, das Parkett fühlt sich kühl unter meinen bloßen Fußsohlen an, während ich auf den Flur schleiche. Das Licht in der Küche bemerke ich erst, als ich schon fast dort angekommen bin. „Hallo?“, frage ich leise, schon darauf vorbereitet, irgendeinen Einbrecher dabei zu erwischen, wie er Miyas und Urus bunte Porzellantassen in seiner Tasche verschwinden zu lassen. „Hey, kannst du auch nicht schlafen?“ Zwei Schritte weiter vor und ich sehe Jun auf dem kleinen Küchentisch sitzen, mit den Händen eine Tasse Milch umklammert. „Willst du auch eine Tasse? Ich hab ein bisschen zu viel Milch warmgemacht.“ Er lächelt mich schief an und deutet mit einem Kopfnicken auf einen roten Topf, der noch auf dem Herd steht. „Und Honig haben sie auch … Wenn ich nicht schlafen kann, mache ich mir immer eine heiße Milch mit Honig, das hilft gut.“ Wortlos tapse ich zu dem Topf, nehme mir eine Tasse aus dem Schrank, um mir dann die Milch einzugießen, zu der ich noch Honig hinzufüge. Anschließend hocke ich mich neben Jun auf den Tisch und betrachte seine Füße, die gleichmäßig vor- und zurückschwingen. „Warum kannst du nicht schlafen?“, bricht er irgendwann die Stille, während er verträumt an seiner Milch nippt. Ich seufze. „Keine Ahnung. Ich krieg den Kopf nicht leer.“ „Ich krieg in fremden Betten kein Auge zu.“ Er lacht leise, hebt dann seine Tasse wieder zum Mund. „Irgendwann habe ich mal bei einem Freund übernachtet und in dieser Nacht hatte ich schreckliche Angst, meine Eltern könnten nicht mehr da sein, wenn ich wiederkomme. … Ziemlich hirnrissig, ich weiß, aber in dem Moment kam mir das so logisch vor … Tja, und seitdem hasse ich es, bei anderen Menschen übernachten zu müssen, da kann ich sie noch so gut kennen.“ Schweigend lassen wir unsere Beine baumeln, tun nichts weiter, als an unseren Milchtassen zu nippen. Und wie ich hier so sitze, merke ich tatsächlich, wie meine bösen Vorahnungen langsam unwirklicher werden. Es scheint, als würden sie sich von selbst verkriechen, meine Kehler herunterkrabbeln und sich bereitwillig verdauen lassen. „Hätten wir dich also wecken sollen?“, frage ich, in Gedanken noch völlig bei unserem Thema von vor einer Viertelstunde. „Nein, wahrscheinlich eher nicht. Wenn man mich weckt, kann ich echt unangenehm werden.“ Jun lächelt, zieht seine Beine zu sich auf den Tisch und hockt sich in den Schneidersitz. Ich grinse ihn an, kann mir kaum vorstellen, dass dieses pinkhaarige Bonbon, das da neben mir auf dem Tisch sitzt, jemals böse werden könnte. „Das letzte Mal hab ich es fertig gebracht, meine gesamte Dreckwäsche über meiner Mutter auszuleeren … Die war sehr begeistert.“ Nur mit Mühe unterdrücke ich ein leichtes Lachen. „Warum das?“ „Na ja, sie war wenig begeistert von dem Typen, den ich ihr ins Haus geschleift hab. … Obwohl sie von keinem begeistert war. Meine Ma ist eine von den Müttern, die unbedingt Enkelkinder haben wollen und denen die Erkenntnis, dass der Sohn schwul ist, so fremd ist, als hätte man ihnen erzählt, dass die Erde würfelförmig ist.“ Die Frage ist heraus, noch bevor ich mir denken kann, dass sie ziemlich dumm kommen muss: „Du bist schwul?“ „Was dagegen? Außerdem wette ich dafür, dass du es auch bist … oder wenigstens bi. Richtig?“ Ist das so offensichtlich? Ich meine, ich hab echt kein Problem damit, wenn es alle wissen, meinetwegen würde ich mich damit sogar vor den Papst stellen, aber: Kann man mir das wirklich aus dem Gesicht ablesen, wann immer man will? … Vielleicht sollte ich mal ein bisschen intensiver an meinem Pokerface üben. Stumm nicke ich und nehme noch einen Schluck Milch. „Ha, siehst du? Ich bin gut in sowas!“ Jun klopft sich stolz auf die Brust, versucht aber, laute Geräusche zu vermeiden. „Uuund“, führt es aus, „du hast sicherlich auch einen Freund.“ Aua. Ich zucke zusammen, als hätte man mir einen Stromschlag verpasst. Meine Augen weiten sich, ich beiße mir auf die Unterlippe. „Oh.“ Betroffen sieht der Wuschelkopf mich an. „Entschuldige … So toll ist meine Menschenkenntnis dann wohl doch nicht. Aber ich dachte …“ „Schon gut.“ „Wirklich?“ „Ja, es ist schon ein bisschen her.“ „Willst du es mir erzählen?“ „Nein.“ Er nickt, streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und setzt dann selbst an: „Bei mir ist es auch ein bisschen länger her. Meine letzte Beziehung ging ungefähr vor einem halben Jahr auseinander, weißt du? Der Kerl war 22, also vier Jahre älter als ich. … Ich hab ihn auf irgendeiner Party kennen gelernt, bei einem Freund von mir. Bei uns ist alles irgendwie ziemlich schnell gegangen. Zwei Wochen und wir waren zusammen … Vielleicht war das einfach zu schnell, ich weiß es nicht.“ Eine Weile schweigt Jun, spielt gedankenverloren mit dem Stoff des übergroßen T-Shirts, das er trägt. Sein Blick ist verträumt auf seine Milch gerichtet, seine Schultern hängen herab. Er sieht so unglaublich traurig aus. Unbeholfen lege ich ihm eine Hand auf die Schulter und schlucke, bevor ich ihn frage: Warum erzählst du mir das?“ Auf seinen Lippen bildet sich ein schiefes Lächeln. „Bin halt ein offenherziger Mensch … Und ich glaube, du verstehst das.“ Das Ganze hier ist so grotesk, dass ich kurz davor bin, mich zu kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass das hier ein Traum ist. Mal ehrlich, ich sitze neben einem Jungen, den ich weniger als 24 Stunden kenne, in der Küche, mitten in der Nacht, und trinke Milch mit Honig. Und als würde das nicht schon reichen, höre ich mir auch noch die zweite Geschichte einer gescheiterten Beziehung an, innerhalb von zwei Tagen. Wer mir jetzt sagt, dass das normal für jemanden ist, der wahrscheinlich der denkbar ungeeignetste Mensch der Welt ist, was es angeht, zuzuhören, den werde ich offiziell als geistig verwirrt bezichtigen. „Und ich mag dich.“ Juns schiefes Lächeln wird gerade, seine Augen glitzern und ich denke plötzlich, dass dieser Moment sich wunderbar auf einem Porträt einfangen lassen würde. In den Jahren, die ich mittlerweile mit Aiji befreundet bin, habe ich schon viele Bilder gesehen, die mir gezeigt haben, wie unglaublich schön lächelnde Menschen sein können. Bilder von Prominenten, von Maya, dessen Familie und sogar ein paar von mir. Er hat sein ganzes Zimmer damit gepflastert, die weißen Wände mit Bleistiftzeichnungen zu gepinnt und ich weiß, er fühlt sich besser, wenn er uns sehen kann. Besser als in seiner Familie, die momentan nur aus ihm und seiner Mutter besteht, die ständig bei ihren Freundinnen herumhängt, weil sie es nicht ertragen kann, in der Wohnung zu sein, in der auch Aijis Vater mit ihnen gelebt hat. „Ruki“, fragt Jun völlig unzusammenhängend, „versprichst du mir was?“ „Was denn?“ „Versprich mir, dass du dich nicht unüberlegt mit irgendwem einlässt, ja?“ Verwirrt werfe ich ihm einen Seitenblick zu. Unüberlegt? Mit jemandem einlassen? Wenn ich ehrlich bin, bin ich einer von denen, die den schrecklich dummen Entschluss gefasst haben, sich nie, nie wieder zu verlieben. Gefühle kann man nicht beeinflussen, sie passieren einfach, und je mehr man versucht, sie abzuschalten, desto weniger funktioniert es. Aber es tut einfach gut, mit der Illusion zu leben, alles unter Kontrolle zu haben, alles bestimmen zu können, alle Fäden in der Hand zu halten. Das letzte Mal, dass ich gemerkt habe, wie wenig meine Gefühle tatsächlich an unsichtbare Fäden geknüpft sind, die ich ziehen kann, in welche Richtung ich auch will, war nach der Trennung von Reita. Ich habe mir damals so sehr gewünscht, die Enttäuschung, die Trauer und die Hilflosigkeit auszusperren, doch es hat nicht funktioniert. Stattdessen wurde mein Herz monatelang malträtiert, zerrissen, verbrannt. Solange, bis ich beschlossen habe, dass Liebe insgesamt ziemlich scheiße ist. „In Ordnung, ich verspreche es.“ _______________________________________________________ Heyooo! Bevor ich irgendwas sage, muss ich mich entschuldigen, dass der Song nur sehr indirekt zum Kapitel passt, wie ich finde, weil er nicht zum elementaren Inhalt gehören will. Wenn jemand eine bessere Idee für den Titel hat, dann bin ich dafür sehr dankbar! :) Tja, da hat Ruki wohl Jun kennen gelernt, was? Ich mag ihn ... Er ist nicht so - wie drücke ich das am besten aus - nüchtern. ... Das ist das falsche Wort. Egaaaal, ich hoffe ihr wisst, was ich meine. Übrigens ein großes danke an für die lieben Kommentare! Oh, übrigens weiß ich auch, dass Jun sicher nicht Fabian heißt, aber ich brauchte einen unjapanischen Namen und Fabian war der erste, der mir eingefallen ist :) LG, lady Kapitel 4: Broken by you ------------------------ Achtung!! Teil eins von zwei zusammengehörenden Kapiteln, die nur vom Inhalt nicht in eines passen. Deswegen auffallend wenig Wörter. Bitte um Entschuldigung :D ________________________ Broken by you I'm loaded by you And I'm broken by you (Broken – Livingston) Mittlerweile ist diese Szene mitten in der Nacht in der Küche bereits zwei Wochen, viele Unternehmungen mit Jun und eine unendliche Anzahl von Streichen her. Auch heute haben wir etwas mit unserem pinkhaarigen Freund geplant: Zusammen mit Jenni werden wir alle Miyavi im Theater besuchen, der uns unbedingt das neue – ich zitiere: „wahnsinnig tolle“ – Bühnenbild präsentieren will. „Maya, kommst du?“, frage ich leicht genervt und lehne mich gegen die Wand neben der Haustür. „Wir wollen hier keine Wurzeln schlagen!“ Uruha, der vor mir steht, lächelt leicht, während er Takeya auf den Arm nimmt und die Finger seiner rechten Hand mit Jennis verschränkt. „Jahaaa, ich komme schon!“ Ein gespielt empörtes Schnauben, dann taucht der Flummi im Flur auf. „Wenn ihr meine Tasche verschleppt, kann ich da auch nichts für!“ „Du könntest aber ohne deine Tasche gehen“, stellt Aiji fest, grinst, als sein bester Freund ihn mit einem Blick bedenkt, der ein Loch in seinen Kopf hätte brennen müssen, und winkt uns zur Tür. „Jetzt aber los, wir müssen Jun abholen.“ Und das tun wir auch. Bisher war ich nur zweimal bei ihm, ansonsten waren wir meist unterwegs oder bei Miyavi und Uruha. Aber jetzt, beim dritten Mal, fällt mir wirklich auf, dass der Kleine (von der Größe her darf ich ihn nie so nennen, ich weiß, aber er ist 18 und ich 19, also habe ich trotzdem ein gutes Recht dazu) wirklich schön wohnt. Das Haus seiner Familie ist recht klein und aus rotem Backstein, vor der Tür hat jemand liebevoll ein Blumenbeet angelegt. Ich bin so vertieft in den Anblick eines kleinen blauen Pflänzchens, dass ich erschrocken zusammenzucke, als mir jemand von hinter die Arme um den Hals schlingt. „Buh“, ertönt es direkt neben meinem Ohr, ich versuche, dem warmen Atem auf meinem Hals auszuweichen. „Na, hab ich dich erschreckt?“ Jun lacht und tätschelt mir sanft den Kopf. Dann wendet er sich ab, kneift Takeya in die Wange und umarmt nacheinander Maya, Aiji und Uruha, vor Jenni – die er bisher noch nicht getroffen hat – bleibt er stehen. „Jennifer?“, fragt er erstaunt, während sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. „Hey, wie lange ist das jetzt her?“ Jenni mustert ihn einen Augenblick, dann lacht sie und gibt Jun die Hand. „Fabi, schön dich mal wieder zu treffen. Jugend gegen Rassismus, oder? Vor drei Jahren, kann das stimmen?“ „Ja, genau. Das war an meiner Schule.“ „Äh, nur mal so zum Verständnis“, wirft Uruha sichtlich irritiert ein, „Ihr kennt euch?“ „Jap, klar. Vor ein paar Jahren wurde bei mir angefragt, ob ich nicht bei einem Schulprojekt mitwirken möchte“, erklärt Jenni, während sie Jun einen Arm um die Schultern legt. „Natürlich habe ich zugestimmt, du kennst mich ja, und bin dann in eine Arbeitsgruppe geraten, die gegen Rassismus an Schulen agiert. Fabi war dabei, wir haben zusammen wirklich gute Projekte abgeschlossen. Aber nach der Arbeitsgruppe haben wir uns aus den Augen verloren … Woher kennt ihr ihn denn.“ „Ich hab Jun in einer Eisdiele kennen gelernt.“ „Jun?“ „Fabian“, grinst Jun, „ich nenne mich seit ungefähr einem Jahr Jun, seit meine Haare pink sind. Ich dachte, ich sollte vielleicht ungewöhnlich heißen, wenn ich ungewöhnliche aussehe. Kommt ihr jetzt, Miyavi wartet bestimmt schon auf uns.“ Innerlich seufzend greife ich nach einem Schokokeks, der neben mir auf einem kleinen Tisch steht und beobachte, wie Miya wild gestikulierend auf der Bühne herumläuft und uns begeistert bis in kleinste Detail ausführt, wann nach welcher Szene wie das Bühnenbild umgebaut wird, wie lange er für den Wald der Elfenkönigin gebraucht hat und auf welcher Stelle das und das Stück stehen wird, weil des aus den und den Gründen dort am besten wirkt. Maya scheint gelangweilt, er hört schon länger nicht mehr zu, beschäftigt sich lieber mit Takeya. Aiji lauscht interessiert, Uruha und Jenni sind schon länger eher mit sich selbst beschäftigt und Jun, der neben mir sitzt, lässt sich Miyas japanische Ausführungen von mir übersetzen. Der nächste Keks erreicht meinen Mund, zerkrümelt zwischen meinen Zähnen, sein süßer Geschmack explodiert auf meiner Zunge. „Jetzt sagt er gerade, dass die Schauspielerin der Elfenkönigin gestern bei der Probe fast ihre Schaukel kaputtgemacht hätte und er dann Ärger mit dem Regisseur bekommen hat, weil alle dachten, dass er seinen Job nicht gut genug gemacht hat.“ Gelangweilt sehe ich zu, wie Miyavi sich zu Jun und mir umdreht, um auf die Scheinwerfer im hinteren Teil des Zuschauerraums zu zeigen. Kurz scheint mein bester Freund verwirrt, dann erstarrt urplötzlich und stiert auf etwas hinter uns. Seine Kiefermuskeln spannen sich an, seine Hände ballen sich zu Fäusten, dann höre ihn leise auf Japanisch murmeln: „Uruha, bringst du bitte Takeya raus?“ Verwirrt drehe ich mich um. Was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder los? Hinten im Raum, da, wo eigentlich die Zuschauer abends ins Theater strömen sollten, steht eine junge Frau – ich würde sie auf etwa 27 schätzen – im dunklen Mantel, einen roten Regenschirm unter dem Arm. Aus dem Augenwinkel kann ich beobachten, wie Uruha Miyavis Sohn an die Hand nimmt und eilig verschwindet. Jenni folgt ihm, sichtlich verstört, Maya sieht ihnen erstaunt nach, greift dann nach Aijis Hand und betrachtet die Frau aus seinen großen braunen Rehaugen. „Hallo.“ Das Wort schwebt im Raum, bewegt sich weder vor noch zurück, scheint vor dem Mund der Fremden stehen zu bleiben, nicht bei uns anzukommen. Oder besser: Nicht bei Miyavi anzukommen. Er starrt sie nur an, seine Gesichtsmuskeln zucken zeitweise, als wolle er verhindern, Gefühle auf sein Gesicht zu lassen. „… Miyavi.“ Am Bühnenabgang taucht Uruha auf, der die letzten Schritte zu Miya überwindet und sich dicht hinter ihn stellt. „Was willst du hier?“, fragt er mit einer Kälte, die ich ihm nie zugetraut hätte. „Ich will meinen Sohn sehen.“ … Haaaaaalalalalaaat! Stopp! Ganz kurz mal Welt anhalten, bitte! Sohn?? Takeya?! … Lara? Was zum Teufel läuft hier? „Deinen Sohn sehen? Seit wann ist das dein Sohn?“ Halleluja, das war heftig. Uruha ist doch nicht so ewig brav, wie ich dachte. Wütend funkelt er die Frau an, als wolle er Messer aus seinen Augen schießen. „Seit ich ihn zur Welt gebracht habe, Uruha. Er war immer mein Sohn.“ „Oh, das wundert mich jetzt aber sehr! Davon, dass er dein Sohn ist, haben Takeya und Miyavi aber wenig gemerkt! Mehr als zwei Jahre, Lara! Wo warst du? Wo warst du, als Miyavi völlig überfordert war? Wo warst du, als er an seiner Verzweiflung fast umgekommen ist? Wo warst du, als Takeya seine ersten Worte sprach? Wo. Warst. Du. Du warst nicht da, du warst weg, du hast sie allein gelassen! Und jetzt kommst du an und behauptest, du möchtest deinen Sohn sehen? Schon lange hast du das Recht verloren, dich Takeyas Mutter nennen zu können, Lara!“ Rote Wangen vor Wut stellt Uru sich vor Miya, der mehr als nur bedröppelt aussieht. Mein bester Freund steht da, mittlerweile den Kopf gesenkt, das fröhliche Funkeln von vorhin ist verschwunden. Ich könnte heulen, wenn ich ihn so sehe, aber ich traue mich nicht, zu ihm zu gehen. Langsam kommt Lara auf die Bühne zu, ihre hohen Absätze klacken auf dem Boden wie der Sekundenzeiger einer Uhr tickt, wenn die Zeit verstreicht. Tick tack, klick klack. Es hat ein bisschen was von diesen Szenen, in denen die eiskalte Mörderin auf ihr neues Opfer zugeht, kurz davor, ihre Waffe zu ziehen. Nur, dass wir dieses Mal nicht von Pistolenkugeln reden, sondern von Worten. Und Worte können viel schwerer verletzen, als die meisten Menschen glauben. „Ich glaube nicht“, stellt sie klar, „dass du das beurteilen kannst, Uruha. Vor zwei Jahren war ich 25, nicht viel älter als du jetzt. Stell dir vor, du hättest damals erfahren, dass Jenni schwanger ist. Was hättest du getan? Sicherlich, du hättest, wie du nun mal bist, nach außen hin den Fels in der Brandung gegeben, hättest sie unterstützt. Aber glaubst du, dass es in dir drin nicht anders aussehen würde? Ich wollte nicht geschwängert werden. Mit 25 denkt man nicht über sowas nach! Man will sein Studium absolvieren, einen Job finden, Dinge erleben. Man will nicht wissen, dass man Rest seines Lebens für ein Kind verantwortlich ist! Schon gar nicht, wenn es von jemandem kommt, der so ist, wie Miyavi es damals war. Du weißt es, Uruha! Du weißt, wie er war: abenteuerlustig, ungezwungen, freiheitsliebend, unzuverlässig. Sag mir, wie ich mich mit ihm um ein kleines Leben hätte kümmern sollen!“ „Und weglaufen ist die bessere Lösung?“ „HÖRT AUF! HÖRT VERDAMMTE SCHEISSE NOCHMAL AUF!!!“ Schrill hallen die Sätze durch den Raum und ich hätte mit beim Klang von Miyas Worten am liebsten die Ohren zugehalten. Es tut weh, verdammt weh, wenn ich das so sagen darf. Es tut weh, ihm nicht helfen zu können. „Bitte, bitte hört auf. Lara, ich würde dich jetzt fragen, woher du weiß, wo ich arbeite, aber da man nur meinen Namen googeln muss, um das rauszufinden, deswegen lasse ich das. Und das ist auch das einzige, was ich dich fragen würde. Also geh jetzt. … Bitte.“ Man merkt ihm an, dass er verwirrt ist, nicht in der Lage, seine Gedanken zu ordnen. Hinter seinen Augen scheinen sie herumzuwirbeln, einfach nicht anhalten zu wollen. Es hätte mich wenig gewundert, hätte er jetzt völlig zusammenhangslos angefangen, von den sieben Weltwundern zu faseln. Ich habe das Gefühl, jetzt dringend irgendwas tun zu müssen. Egal was. Hauptsache helfen. Unschlüssig stehe ich auf, mache ein paar Schritte auf die Bühne zu, bleibe jedoch stehen, als ich einige Meter neben Lara stehe. Komisches Gefühl, sich so dicht neben der Ex meines besten Freundin zu befinden, die hatte sitzen lassen, mit einem kleinen Kind, völlig verliebt, das Herz abhängig von Liebe. Wie kann man nur so mies sein? Da mag Miya doch noch so unzuverlässig gewesen sein, zusammen hätten die zwei das sicherlich geschafft … Zusammen. Nicht allein. Mein Blick begegnet erst Miyavis, dann dem von Lara, die mich skeptisch mustert. „Und du bist?“, fragt sie, zieht eine Augenbraue hoch. Gerade öffne ich den Mund, um meinen Namen preiszugeben, als Uruha mir noch vor dem ersten Wort über den Mund fährt. „Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.“ „Lass nur, Uru, es ist in Ordnung. Sie würde es ohnehin herausfinden. … Und wenn sie uns dann in Ruhe lässt, ist das für alle Beteiligten das Beste“, beschwichtigt Miya, ehe er sich Lara zuwendet, ohne ihr allerdings ins die Augen zu sehen. „Das ist Takanori. Der Junge aus Japan.“ „Ach so, dann ist das der, um den du dir ständig Sorgen gemacht hast und der in unserer Beziehung wichtiger war, als ich?“ Mein bester Freund antwortet nicht, blickt aber Hilfe suchend in Richtung Uruha. „Danke auch, kleiner unselbständiger Takanori. Deinetwegen hab ich mich immer gefühlt, als wäre ich mit zwei Männern zusammen. Mit Miyavi und mit dir.“ Damit wirft sie einen letzten giftigen Blick in Richtung Miya und Uru, bevor sie sich umdreht und mit energischen Schritten in die Richtung geht, aus der sie gekommen ist. „Wir sehen uns“, höre ich sie noch sagen, bevor sie um die Ecke verschwindet. „Wer war das, Papa?“ Alle drehen sich gleichzeitig um und starren Takeya an, der an Jennis Hand hereinkommt. Meine Beine liegen über Juns und ich beobachte besorgt, wie Uruha und Miya nebenan leise tuscheln. Maya und Aiji sind schon vor Längerem mit Jenni und Takeya im Zimmer des Kleinen verschwunden, um zu spielen. Nur Jun und ich sind hier im Wohnzimmer. Es hat ein bisschen was von der seltsamen Vertrautheit damals in der Küche, als ich ihm mein Versprechen gegeben habe. Eines, das mich mehr mit ihm verbindet, als ich denke. Als hätte ich ihm unbewusst etwas von mir gegeben, das ich nicht einfach so wiederbekommen kann. Weil Wörter gesagt worden sind und ihre Bedeutung auf ewig steht. Weil Versprechen zu den Dingen gehören, die mit Ehrlichkeit zu tun haben. Ein Kitzeln an der Fußsohle lässt mich aufschrecken. Jun krabbelt mit seinen Fingern an meinen Füßen herum und grinst dabei so breit, als wüsste er, dass er mich gerade zu Tode erschreckt hat. Ist das denn so offensichtlich? … Dann sollte ich mir vielleicht mal Gedanken um mein Pokerface machen. „Alles okay bei dir?“, fragt er, während seine Augenbrauen ein Stückchen nach oben wandern. „Nicht wirklich.“ Das ist auch so eine Sache zwischen uns. Ich kann Jun nicht anlügen. 99% aller Menschen lügen, wenn sie auf die Frage ‚Wie geht’s dir?‘ mit ‚Gut‘ antworten und im Normalfall gehöre ich nicht zu der einprozentigen Ausnahme, aber bei meinem pinkhaarigen Freundchen schaffe ich es nie, eine falsche Silbe über die Lippen zu bringen. „Ich mache mir echt Sorgen.“ „Verstehe ich“, nickt Jun. „Ich mir auch.“ „Kannst du Lara verstehen?“ „Weiß ich nicht. Ich war nicht dabei. Vielleicht hat sie wirklich gedacht, dass es nicht funktioniert, nicht funktionieren kann.“ „Deswegen kann man es trotzdem versuchen … Um überrascht werden zu können.“ „Was denkst du? Was wird jetzt passieren?“ „Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass sie Takeya noch länger mit einer alten Bekannten konfrontieren werden. Miyavi ist ein guter Vater. Ich denke er weiß, wie er mit dem Kleinen reden muss … Und ansonsten hat er immer noch Uruha.“ Schweigen. Unruhig beiße ich auf meiner Unterlippe herum, schiele immer wieder zu meinem besten Freund in der Küche. Seit wir wieder zurück sind, steht er mit Uru da und redet. Ich kann mir nur vorstellen, um was es geht, weiß aber nicht, ob ich es wirklich wissen will. Und doch macht es mich mehr als wahnsinnig, keine Ahnung zu haben. Gott, sowas kann einen kirre machen wie sonst was! Ein ungeheuerlicher Cocktail aus Sorge, Neugierde und Hilflosigkeit. In wortlosem Einverständnis reit Jun mir eine Tasse von dem Tee, der auf dem Wohnzimmertisch steht und der schon lange kalt sein muss. Aber das kümmert mich gerade wenig. Hauptsache, ich habe was zu tun. Der Geschmack des Himbeertees lenkt mich ab, er gibt mir etwas, worauf ich mich konzentrieren kann, während die Welt sich langsamer zu drehen scheint, als sonst immer. In der Luft liegt eine gewisse Spannung, die meine Haut kitzelt, im Zimmer herumspringt und mich dazu veranlasst, pausenlos mit dem Saum meines Pullovers zu spielen. „Kannst du damit aufhören? Das macht mich nervös.“ Ich zucke zusammen, als Jun mich nach gefühlt ewigen Zeiten wieder anspricht, gehorche aber – was hauptsächlich daran liegt, dass Miya gerade aus der Küche kommt und sich zu uns setzt. „Und?“, frage ich leise, sitze plötzlich wieder ganz gerade und weiß, dass meine Frage ziemlich scheiße klingt. „Was er eigentlich sagen will, ist: Was passiert jetzt?“, übersetzt Jun, während er mit hochgezogenen Augenbrauen meinen besten Freund betrachtet. „Uruha redet mit Jenni und frag sie, ob sie auf Takeya aufpassen kann. Und dann gehen wir alle tanzen. Ablenkung.“ ________________________ Padadadaaaaamm, er hat sie getroffen! Das Bööööse zieht ein. ^^ Nein, aber ernsthaft: Jetzt habt ihr die Übeltäterin kennen gelernt, die daran Schuld ist, dass Takeya ohne Mutter aufgewachsen ist. Ist sie nicht böse? ... Mal sehen, was sie noch so anrichtet ... Oder gibt es eine Versöhnung? Und warum ist diese FF noch gleich dem Boys-Love-Bereich zuzuordnen?? Hmm, das sind Fragen, die sich in den nächsten paar Kapiteln mal klären werden :D - Weshalb ich auch hoffe, dass ihr lieben (göttlichen, tollen, anbetungswürdigen ... ja, ich könnte ewig so weitermachen ;D) Leser dabeibleibt, damit es auch für euch heißt "Let me sing". Oooh, jetzt hab ich den Titel des nächsten Kapitels verraten. o.O - OMG!! :D Neeein, den schreibe ich hier schon, um nochmal darauf hinzuweisen, dass das hier sozusagen der erste Teil von "Let me sing" ist bzw. "Let me sing" der zweite Teil von "Broken by you" ist, aber die einzelnen Teile passen nicht unter die gleiche Überschrift ... Daher musste ich sie leider aufteilen und es kommt auf eine Wortanzahl von unter 3000 Wörtern. Ich hoffe sehr, dass ich damit nicht gegen die Wettbewebsbedingungen von -hoshi- verstoße?? *hoff* Mit einem herzlichsten Dankeschön für die lieben Kommis und einem freundlichen "Bis zum nächsten Mal" (das bald kommen wird), verabschiede ich mich! LG, lady Kapitel 5: Let me sing ---------------------- Achtung!! Zweiter Teil von "Broken by you". Auch allein unter 3.000 Wörter. Zusammen sind es 4.000-frag-mich-nicht :D ______________________________________ Let me sing Let me sing Lalalalala lalalalala (Let me sing – Christian Durstewitz) Um mich herum flackern Lichter, erleuchten unregelmäßig den Raum um mich herum, fangen immer wieder Gesichter von tanzenden Menschen ein. Ein penetranter Geruchscocktail aus Schweiß, Parfum und Alkohol liegt in der Luft und erinnert mich mehr als deutlich daran, warum ich Clubs und Kneipen eigentlich nicht leiden kann. Zwar bin ich jetzt nicht wahnsinnig menschenscheu oder so, aber ich hasse es, von Menschenmengen umgeben zu sein, mich beobachtet zu fühlen, diesen immerwährenden Gestank aus zusammengewürfelten Gerüchen in der Nase. In diesem Punkt bin ich mit Reita auch mehr als einmal aneinander geraten. Er liebt Partys, Clubs, Bars, einfach alles, was mit feiern zu tun hat – und am liebsten geht er zu solchen Veranstaltungen natürlich mit seinem Freund. Und wenn der sich strickt weigert, ihn zu begleiten, dann kann er schon mal sauer werden. Wie oft durfte ich mir das anhören. ‚Ruki, komm schon, sei doch nicht immer der Spielverderber!‘ ‚Hey komm, ich kann doch nicht ohne Begleitung da ausschlagen!‘ Um mich auf andere Gedanken zu bringen, nehme ich einen Schluck meines Getränks – von dem ich übrigens keine Ahnung habe, was da alles drin ist, es schmeckt relativ vielseitig – und seufze. Ich will hier weg. Einfach nur zurück in die WG, schlafen gehen. Mir die Decke über den Kopf ziehen, der Stille lauschen, träumen. Aber was macht man nicht alles für den besten Freund, der Herzschmerz zu verkraften hat? Oder Herzverwirrung. Oder Herzverzweiflung. Oder was auch immer! Immer tiefer rutsche ich auf meinem Platz gen Boden, als wolle ich darin versinken (was im Grunde keine allzu schlechte Idee wäre – ich sollte darüber nachdenken). Mein Blick schweift zu Maya und Aiji, die nebeneinandersitzen und sich angeregt unterhalten, über was, kann ich nicht hören. Wahrscheinlich redet nur Maya. Und zwar über die neusten Modetipps, die er in irgendeiner Zeitschrift gelesen hat und mehr als schwachsinnig findet. Schon oft habe ich selbst in solchen Redeschwallen als Zuhörer fungiert, ohne selbst zu Wort zu kommen. Und jedes einzelne Mal bin ich beinahe eingeschlafen – woraufhin Maya einen Wutanfall bekommen und mehrere Stunden nicht mehr mir geredet hat, bis es ihm zu blöd wurde und wieder jemanden zum Reden brauchte. „Ich glaub es nicht!“ Ich sehe auf, als sich das Polster der Bank neben mir senkt. „Jun! Mein Gott, zwei Wochen erreicht man dich außerhalb der Schule gar nicht mehr und dann treffe ich dich hier! Ausgerechnet in diesem Club. Hier bist du doch sonst nie!“ Der Typ, der gerade zu uns gestoßen ist, grinst und streckt über den Tisch hinweg die Hand aus, um meinen pinkhaarigen Freund zu begrüßen. „Hey, Henry, ich freue mich auch, dich zu sehen“, grinst Jun ironisch. „Was machst du hier?“ „Ich glaube, da sind wir dran Schuld“, schaltet Miyavi sich ein. „Er ist mit uns hier.“ Verwirrt sieht Henry zwischen Miya, Uruha, Jun, Maya und Aiji und mir hin und her. „Und ihr seid wer? Jun, stellst du sie mir bitte mal vor?“ „Aber mit größtem Vergnügen. Darf ich bekannt machen: Das da ist Miyavi, der da heißt Uruha, die beiden da hinten sind Maya und Aiji, die dich leider nicht verstehen, weil sie nur Japanisch sprechen und neben dir sitzt Ruki. Und wegen dem kenne ich die Runde hier überhaupt.“ Das erste Mal, seit er dort sitzt, sieht er mich an. Ein neues Lied beginnt, hämmert mir seinen Rhythmus in den Kopf, während ich in strahlende, blau graue Augen sehe. „Hi. Dann bist du der Grund, aus dem ich einen meiner besten Freunde kaum noch sehe?“ Er klingt nicht vorwurfsvoll, eher so, als würde er sich innerlich kaputtlachen. Und sein Lachen klingt schön. Ich versuche mich an einem Lächeln, scheitere aber kläglich. „Anscheinend.“ Die Musik wird lauter, ich verstehe nur Fetzten von dem, was Henry als nächstes sagt: „Ich … Drink … damit … kennen …?“ „Waaaaas??“ „Soll ich dir einen Drink spendieren, damit wir uns besser kennen lernen?“, schreit er gegen die Musik an. „Du willst Ruki einen Drink ausgeben und mir nicht?“ Schmollend tippst Jun Henry in die Seite, solange, bis sein Kumpel lachend verspricht, allen einen auszugeben. Und dann hat er noch einen Drink spendiert und noch einen … Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie viel ich bereits getrunken habe, aber es ist mir auch egal. Ich fühle mich plötzlich wohl, viel zu wohl, in diesem überfüllten Club, in dem es stinkt und in dem die Musik so laut ist, dass man dem Hörsturz näher ist, als bei einem von Mayas Wutanfällen. Ich fühle mich wohl zwischen Uruha und Henry, gegenüber von Jun, irgendeinen ominösen Cocktail in der Hand. Mein Kopf fühlt sich dumpf an, als hätte man ihn in Watte gepackt, die schrecklich Lauten Bässe dominieren meine Gedanken. Worte kommen über meine Lippen, ohne dass ich mir merke, was ich sage. Ich weiß nur, dass ich den gesamten Tisch zum Lachen bringe, was eigentlich ja so gar nicht meine Art ist. Eher im Gegenteil: Ich verbreite gerne miese Stimmung, schweige vor mich hin, gebe sarkastische Kommentare ab oder schaffe es gekonnt, die Stimmung auf dem Gefrierpunkt zu halten. Was ich heute anders mache, kann ich nicht sagen, es scheint aber zu funktionieren. Neben mir lacht Henry und im Laufe des Abends finde ich, dass er immer und immer harmonischer klingt. Wenn ich am Anfang noch irgendetwas gegen ihn hatte – was nicht der Fall ist, glaube ich – dann ist dieser Vorbehalt jetzt definitiv verschwunden. Fröhlich kichernd lehne ich mich gegen seine Schulter, nicht einmal wissen, was ich gerade bloß so unglaublich witzig finde. Aber es ist mir auch egal. Ich habe Spaß. Und ratet mal, was ich dagegen einzuwenden habe, dass Henry mich mit sich auf die Tanzfläche zieht? Richtig, gar nichts. Die Musik dröhnt in meinem Kopf, ich fühle, wie ich von verschiedenen Menschen angerempelt werde, ständig geschubst, doch wenn ich zu stürzen drohe, werde ich immer wieder von Henry aufgefangen, der mich anlächelt und irgendetwas sagt, was ich nicht verstehe. Ich spüre nur, wie er die Arme um mich legt und mich gegen seinen Körper drückt und wie wir tanzen. Tanzen und tanzen, bis ich nicht mehr unterscheiden kann, welches meine und welches seine Bewegungen sind, bis ich die Musik nichts mehr höre, obwohl ich weitertanze. Als seine Lippen irgendwann meine erreichen, wäre mir der Gedanke, ihn von mir zu stoßen, absurd vorgekommen, wäre er überhaupt in meinem Kopf aufgetaucht. Aber er taucht nicht auf. Stattdessen beginne ich, dümmlich zu grinsen und spiele mit. Ich bewege meine Lippen stürmisch gegen seine und muss fast lachen, als ich feststelle, dass er die Arme fester um mich schließt. Keine Sorge, denke ich, ich hau dir nicht ab; zumindest jetzt nicht. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie wir es nach draußen und in seinen Wagen geschafft haben – und vor Allem, wie wir dann noch heile zu ihm nach Hause gekommen sind. Irgendwie scheint es funktioniert zu haben, denn keine halbe Stunde, nachdem wir den Club verlassen haben, fällt die Tür hinter Henry ins Schloss. Und vom Flur brauchen wir nicht lange, bis wir in seinem Zimmer angekommen sind. Der nächste Morgen beginnt mit schrecklichen, furchtbaren, unglaublichen (ja, ich beklage mich gerne), nicht zumutbaren Kopfschmerzen. Wo zum Teufel bin ich denn hier gelandet? … Aua, sogar denken tut weh! Ohne mich aufzusetzen – aus Angst, der Schmerz könnte noch schlimmer werden, wende ich meinen Kopf – und starre in Henrys freundliche Augen. „Guten Morgen, Ruki.“ Oh, fuck! Das war’s mit gemütlicher Umgebungserkundung. Ich schieße so schnell in die Senkrechte, dass ich mich am Bettgestell festhalten muss, um nicht von der Matratze zu kippen. Oh, fuck! … Hab ich schon mal gesagt, oder? Doch selbst wenn: Gerade habe ich allen Grund dazu, das zu denken, da sich langsam wieder der gestrige Abend vor meinem inneren Auge rekonstruiert – zumindest Bruchstückweise. Ich, wie ich, mit Henry tanzend, die Songs mitsinge, bis meine Stimme heiser wird. Ich, wie ich gegen ihn gedrückt werde, den Geruch seines Deos einatmend. Ich, wie ich mit ihm in seinem Wagen sitze. Ich, wie ich auf seinem Bett lande, seine Hände fahrig über meinen Rücken streichen, mir mein Oberteil über den Kopf ziehen. Wir … oh, fuck! „Ist alles okay bei dir? Du guckst so seltsam“, lächelt Henry freundlich und ich frage mich augenblicklich, ob er nicht auch so einen Scheißkater hat wie ich. „Ist die Vorstellung, mit mir geschlafen zu haben, so schrecklich?“ Och nee, wir haben tatsächlich! Die letzte Hoffnung, ich könnte vielleicht zu müde oder zu voll gewesen sein, verschwindet und ich werde mir bewusst, dass ich gestern Abend mehr getan habe, als mit dem ersten Kerl seit Reita zu schlafen. Ich habe mein Versprechen gebrochen. Ich habe mich unüberlegt mit jemandem eingelassen. Oh, fuck! „Keine Sorge“, reißt Henry mich aus meinen Gedanken und streicht mir leicht über die Wange, „ich weiß, was du denkst. Für mich war es auch nicht mehr als Sex.“ Anscheinend sehe ich gerade katastrophal dämlich aus, denn mein Gegenüber lacht erst, bevor er ganz plötzlich ernst wird. „Halt, warte. Hast du … was gefühlt?“ Was?? Ob ich … Kurz suche ich in meinem Herzen tatsächlich nach dem vertrauten Kribbeln, das ich verspürt habe, als ich Reita angesehen habe. Aber es ist nicht da. Innerlich atme ich auf. „Nein“, versichere ich schnell, „nein, habe ich nicht.“ „Dann ist gut. Willst du frühstücken? Ich bin nicht der beste, was sowas angeht, aber ich kann uns Rührei machen und ich glaub, ein paar Aufbackbrötchen hab ich auch noch da. Und nachher bringe ich dich zu Miyavi. Einverstanden?“ Wie betäubt nicke ich, während ich versuche, meine Klamotten auf dem Boden zu ertasten, ohne das Bett verlassen zu müssen. Henry lacht. „Lass gut sein, ich hab dich schon nackt gesehen, mehr geht nicht, Ru.“ Mein Lächeln scheint ziemlich angespannt auszusehen, denn er seufzt. „Na gut, warte, ich suche für dich.“ Er grinst. „Obwohl es mir definitiv nichts ausmachen würde, würdest du da rauskommen. Ohne das ganze Zeug siehst du sowieso fast noch besser aus als ohnehin schon.“ Henry lacht, gibt mir dann meine Hose, meinen Pullover, meiner Boxer und meine Socken, ehe er sich auf den Weg in die Küche macht. „Aber bevor du frühstücken kommst“, ruft er noch über die Schulter, „kannst du noch duschen, wenn du willst. Hier raus, links rum, Tür am Ende des Flurs. Kennst mein Shampoo und eins der Handtücher aus dem Schrank nehmen. Meine Zahnbürste ist die Grüne!“ Und dann ist er auch schon verschwunden. Es ist wirklich unglaublich, wie lieb er ist. Henry hat mir keine Fragen gestellt, mir erlaubt, seine Zahnbürste zu benutzen, hat uns sogar Frühstück gemacht. Und er scheint genauso wenig ein Problem mit der Einmaligkeit dieser Geschichte zu haben, wie ich. „Sag mal, du bist nicht der Typ für One-Night-Stands, oder?“, fragt Henry irgendwann, bevor er sich eine Gabel Rührei in den Mund schiebt. „Wie kommst du darauf?“, stelle ich die Gegenfrage und versuche, mit meinem Messer einen Brötchenkrümel in zwei Teile zu teilen. „Wärst du erfahrener, hättest du mich gerade nicht so entsetzt angesehen.“ Okay, schlagendes Argument. Zögern nicke ich. „Du hast Recht. Ich bin nicht sonderlich erfahren.“ „Keine Angst“, er wuschelt mir leicht durch die Haare, „ich hab mich das erste Mal auch ziemlich beschissen gefühlt. Das geht vorbei. Aber mich würde interessieren, warum du das gemacht hast? Um jemandem zu imponieren? Glaub mir, das war wahrscheinlich nicht die beste Methode, ich spreche aus Erfahrung.“ Seufzend trinke ich einen Schluck Kaffee und sehe ihn an. „Nimm es bitte nicht persönlich, Henry, es hat wirklich nichts mit dir zu tun, aber diese Nacht was der dümmste Fehler, den ich je begangen habe.“ „Oh, oh … Also bist du verliebt. Wer ist es? Miyavi? Uruha? Jun? … Oder einer von den beiden andere?“ „Nein, nein so ist das nicht. Ich bin nicht verliebt. Aber ich habe ein Versprechen gebrochen.“ Noch bevor Henry weiter nachhaken kann, klingelt es an der Tür. Verdutzt sieht mein Gegenüber von seinem Teller auf, erhebt sich dann und geht zur Tür. Ich höre, wie er sie öffnet – und erstarre, als augenblicklich eine Stimme losbrüllt. „Wo ist er?!“ Oh, fuck! „Jun?? Was willst du hier?“ „Henry, wo ist er? Wo ist Ruki?“ „Er ist … Hey, du kannst doch nicht einfach so …!“ „Und ob ich kann!“ Ehe ich die Chance habe, irgendwie zu reagieren, stürmt Jun in die Küche, packt mich am Arm und schleift mich leise vor sich hinschimpfend zu Tür hinaus zu Miyavis Auto, dass er sich anscheinend geliehen hat. Ich wusste gar nicht, dass er fahren kann … Unsanft werde ich auf den Beifahrersitz geschubst, Jun steigt auf der anderen Seite ein, lässt den Motor an und fährt. Sein Blick ist stur auf die Straße gerichtet, er würdigt mich keines Blickes, während ich auf meinem Sitz immer kleiner werde. Scheiße, verdammte Scheiße … oder, wie ich es heute so gerne zu sagen pflege: Oh, fuck! „Dir ist schon klar, dass du dein Versprechen gebrochen hast, oder? Du kannst mir nicht erzählen, dass du nachgedacht hast, bevor du mit Henry mitgegangen bist.“ „Ja, ich we-“ „Ich weiß, du hättest dich von definitiv schlechteren Typen abschleppen lassen können, das ist überhaupt nicht das Problem, aber trotzdem! Du hast es versprochen! Mein Gott, Ruki, ich will doch nur verhindern, dass dir irgendwer wehtut!“ „Ja, aber …“ „Henry würde dir kein Haar krümmen, aber … Ich dachte, jemand wie du weiß, was ein Versprechen ist! Mann, Ruki, du hast es tatsächlich geschafft! Du hast es geschafft, dass ich sauer auf dich bin! Wenn du wüsstest, was ich dir jetzt gerne alles an den Kopf werfen würde!“ Wütend drückt Jun auf die Hupe, tritt dann das Gaspedal durch. Unsicher ziehe ich die Schultern hoch. Hätte man mir vor zwei Tagen jemand gesagt, dass Jun so ausrasten kann, ich hätte ihm nicht geglaubt. „Aussteigen!“, befiehlt Jun, steigt selbst aus und schiebt mich zur Haustür. „So, jetzt klingele du mal schön und verschwinde aus meinen Augen!“ Damit dreht er sich um und geht. ________________________ Oha, jetzt hat unser Kleiner Mist gebaut, was? ... Ob das wieder gebogen werden kann? Ich hoffe sehr, dass ihr Lieben zufrieden seid und würde mich sehr über Kommentare freuen :D Thanks für die lieben Kommis! @ klene-Nachtelfe: Ja, ja ... verworren. Wer mich kennt, der weiß, dass das meine Spezielität ist :D ... Tja, und wie's weitergeht verrate ich mal lieber nicht zu früh *grins* @ Astrido: Ja, Lara ist seltsam. Ganz ehrlich: Ich verstehe sie auch nciht ... Aber sie hat wohl ihre Gründe. Das Jun cool ist, habe ich mir gedacht, seit ich dank einer Autorin auf myff auf diesen kleinen pinkhaarigen Spinner gekommen bin :) ... Der übrigens am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich. *freu* Und was die Beziehung angeht ... Ich glaube, da denken viele ncoh immer ein bisschen schief :P LG, lady Kapitel 6: So complicated ------------------------- Viel Spaß Ich empfehle übrigens, ab den Worten "Das Taschentuch ..." wirklich den "Titelsond" dieses Kapteils zu hören :D Mach schönes Feeling ______________________________________________________ So complicated Why did we make it so hard, this life is so complicated until we see it through the eyes of a child Why did we make it so hard, this life is so complicated until we see it through the eyes of a child (Trough the eyes of a child – Reamonn) Die Tür geht auf, Miyavi sieht mich an, seine Kinnlade fällt herunter, als er das kleine Tränchen bemerkt, das mir die Wange herunterläuft. „Ru, mein Gott! Was ist denn mit dir los?“ Besorgt schnappt er meinen Arm uns zieht mich in die Wohnung. „Was ist passiert? Wo ist Jun? Er ist heute mit meinem Wagen losgefahren!“ Unfähig zu antworten, schniefe ich auf und sinke an Ort und Stelle zu Boden. Es ist mir völlig egal, dass ich mitten im Flur sitze, dass die Haustür noch nicht geschlossen ist, dass Miyavi vor mir sitzt und mir vorsichtig über den Kopf streicht. Ich hasse es, vor anderen Menschen zu weinen, ich hasse es, wenn mich irgendwer sieht, wenn ich zusammenbreche. Selbst Reita gegenüber habe ich das so oft wie möglich vermieden, habe fast nie geweint, obwohl ich oft kurz davor war. Wenn wir uns gestritten haben, die chinesische Vase meiner Mutter an der Wand gelandet ist. „Hey, Kleiner, shht, alles ist in Ordnung …“ „Ga- … Gar nicht ist in … in Ordnung“, schniefe ich, während ich Miyas Hand abschüttele und mich aufrappele. Das stimmt sogar. Momentan ist wirklich erstaunlich wenig in Ordnung dafür, dass ich eigentlich nur drei schöne Monate in Deutschland verbringen will. Jun ist sauer, ich habe mit einem Typen geschlafen, den ich seit nicht einmal 24 Stunden kenne und Takeyas Mutter ist mal eben aus dem Nichts aufgetaucht. Toller Urlaub, aber echt! „Jun … ist total sauer a- auf mich!“ „Wieso das denn? Ihr vertragt euch doch sonst so gut!“ „A- aber jetzt nicht mehr!“ Mittlerweile habe ich zu einem unverständlichen deutsch-japanischen Mischmasch gewechselt, bei dem ich mich wundere, dass Miya überhaupt noch irgendwas versteht. „Ich … Henry … und das wollte ich e- eigentlich gar nicht und …!“ „Ruki? Könntest du versuchen, am Anfang anzufangen?“ Und so kommt es, dass ich mitten in Miyavis Flur anfange, die Geschichte von Henry, Jun und mir zu erzählen, angefangen beim gestrigen Abend – zumindest sage ich all das, an das ich mich noch erinnern kann. Mit jedem Satz, der über meine Lippen kommt, bekomme ich meine Stimme wieder mehr unter Kontrolle. Am Ende zittert sie kaum noch, meine Tränen sind getrocknet. „Oh …“ Mehr sagt mein bester Freund nicht. Er streicht mir lediglich leicht über den Rücken und begleitet mich in das Zimmer, in dem ich mit Maya und Aiji schlafe. Schweigend bringt er mir eine Wärmflasche, dann ein Glas Wasser und letztendlich auch noch ein paar Gummibärchen, die ich allerdings nicht anrühre. Ich bin nicht in der Stimmung für Süßigkeiten. „Soll ich mal mit Jun reden?“, fragt er irgendwann, einen Arm um meine Schultern gelegt. „Nein, besser nicht. Ich glaub, das muss ich klären … Hab ja seine Nummer. Aber Miya? Ich glaube nicht, dass das alles wieder wird.“ Resigniert lasse ich mich nach hinten auf die Matratze fallen und starre gen Decke. In mir zieht und zwickt es an alles Ecken, ich habe das Gefühl, gleich auseinanderzubrechen. Warum überhaupt? Ich kenne Jun erst seit ein paar Wochen, keinen ganzen Monat. Kann man sich in so kurzer Zeit so sehr an jemanden ketten, dass man nach einem Streit dermaßen fertig ist? Kann man so schnell von richtiger Freundschaft sprechen? Kann man sich so schnell sicher sein, jemanden gefunden zu haben, den man nie wieder verlieren will? Es ist zum Wahnsinnigwerden! Zwar weiß ich, dass ich ein Mensch bin, der sich schnell – vielleicht sogar zu schnell – an andere kettet, aber innerhalb von nicht einmal drei Wochen, habe ich das noch nie geschafft. Zumindest nicht in dem Ausmaß. „Doch, natürlich wird das wieder! Ru, du musst deinen dummen Pessimismus endlich mal in ein paar Umzugskisten packen und nach Timbuktu schicken!“ Kopfschüttelnd sieht er mich an. „Wenn du die ganze Zeit davon ausgehst, dass er dich bi sin alle Ewigkeit hasst, dann hast du auch keine Chance auf das Gegenteil!“ „Meinst du?“ „Ja, ganz, ganz sicher! Möchtest du wirklich allein mit ihm sprechen, oder soll ich mitkommen?“ „Nein. Ich fahre auch nicht zu ihm hin, ich rufe ihn erst …“ „Ehrlich gesagt glaube ich, ein Besuch wirkt ehrlicher als ein Anruf.“ „Du meinst“, frage ich mit großen Augen, „ich soll zu ihm hinfahren?“ Miyavi nickt. „Ich fahr dich und bleibe im Auto, in Ordnung?“ „Okay.“ Die Klingel sieht aus, als würde sie gleich ihre spitzen Reißzähnchen ausfahren und mich beißen, sobald ich meinen Finger auf den Knopf lege. Ich habe wirklich in meinem ganzen Leben noch keinen so unfreundlichen Klingelknopf gesehen! Noch einmal atme ich tief durch, dann strecke ich zaghaft die Hand aus, schließe die Augen und klingele. Dann beginne ich, die Sekunden zu zählen. Eins, zwei, drei, vier, fünf … „Hallo!“ Ein kleines Mädchen mit riesigen Augen schaut zu mir hoch. „Wer bist du?“ „Hallo … Mein Name ist Takanori. Ist deine Mutter vielleicht da?“ Im Haus ertönt ein Rumpeln, Schritte hasten auf die Tür zu, dann taucht Jun im Rahmen auf und schiebt das kleine Mädchen unsanft hinter sich in den Flur. „Ruki, was willst du hier?“ „Ich … wollte mich nur bei dir entschuldigen.“ Seine Augen mit den eisblauen Kontaktlinsen durchbohren mich förmlich, während er das Kind davon abzuhalten versucht, zwischen seinen Beinen hindurchzuschauen. „Entschuldigen? Wofür? Dafür, dass du deiner Versprechen gebrochen hast? Oder dafür, dass du mit meinem besten Freund geschlafen hast?“ „Na ja“, verzweifelt suche ich nach den richtigen Worten, sie wollen sich nicht in meinem Kopf finden lassen; Deutsch sprechen, ist schwerer manchmal schwerer als gedacht, „für beides … irgendwie.“ Vorsichtig suche ich in seinem Blick nach einem Stück Verständnis, doch ich suche vergeblich. Jun ist komplett kalt. Eiskalt, wie ein einzelnes, weißes, riesiges, Eiswesen im Polarmeer. „Das ist schön. Schade nur, dass ich die Entschuldigung nicht annehme. Ich hasse gebrochene Versprechen, Ruki! Seit mein Vater versprochen hat, meine Mutter nie allein zu lassen! Das Versprechen wurde nämlich auch gebrochen!“ Für einen Moment scheint er seltsam unsicher, dann kehrt die Kälte zurück. Und genau in dem Moment, in dem diese Unsicherheit verschwindet, verschwindet auch meine. Wut strömt durch meinen Körper, ich bin so wütend, wie ich es lange – sehr lege sogar – nicht mehr war. Ich habe schon beinahe vergessen, dass ich überhaupt so wütend sein kann. „Das mag ja sein, aber falls du’s nicht bemerkt hast: Ich bin nicht dein Vater! Das hier ist eine völlig andere Situation! Und ich bezweifle, dass dein Vater stockbesoffen war, als er sich von deiner Mutter getrennt hat! Ich denke sogar, dass er dafür seine Gründe gehabt haben wird!“ „Ja, einen hatte er sogar! Und dieser Grund heißt Ina Hanser, ist 25 Jahre alt und eine blonde Barbiepuppe!“ Oh, shit. Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Wut stauchelt, knickt fast in sich zusammen, doch sie fängt sich gerade noch und siegt über das aufkeimende Mitgefühl. „Wie schön für ihn, vielleicht ist er ja jetzt glücklich. Ich will nicht sagen, dass das die tollste Geschichte ist, die ich je gehört habe, aber ich bin nicht er! Und ich habe kein extenzielles Versprechen gebrochen, ich habe lediglich mit einem netten Menschen geschlafen, was nach meinem Wissenstand nicht verboten ist! Überhaupt frage ich mich, warum du mir dieses dumme Versprechen überhaupt abverlangt hast! Was geht es dich an, mit wem ich schlafe und mit wem nicht? Nichts, denke ich.“ Schnaubend drehe ich mich um, stapfe zu Miyas Wagen, öffne die Tür und knalle sie hinter mir wieder zu. Und noch während mein bester Freund den Motor startet, beginne ich zum zweiten Mal an diesem verschissenen Scheißtag zu heulen. Die Wut ist schon lange weg, ich sitze auf meinem Bett und starre gegen die Wand. Miyavi hat es schon länger aufgegeben, mich zu trösten, hockt aber noch immer neben mir. „Ziemliche Scheiße, hm? Da bist du hier und willst uns besuchen, und schon läuft alles schief. Erst taucht Lara auf und bringt mich völlig durcheinander, dann ist Jun sauer auf dich. Was muss eigentlich noch alles passieren, damit der Herr da oben im Himmel merkt, dass uns ein kleines bisschen Glück gut tun würde?“ Mit großen traurigen Augen sieht er mich an und ich werde mir schlagartig bewusst, dass ich über diesen ganzen Streit-Mist total vergessen habe, was für Probleme Miyavi gerade hat. „Wie geht es dir eigentlich seit gestern?“, frage ich daher. „Und wag ja nicht, mich anzulügen!“ „… Nicht so besonders. Geht mir halt viel im Kopf rum, weißt du? Ich hab Angst, dass sie mit mir vor Gericht geht wegen dem Kleinen.“ „Glaub ich ni-“ „Wenn ich dich nicht belügen soll, dann belüg du mich auch nicht, Ru, okay? Du weißt genau, dass das sein kann!“ Daraufhin sage ich besser gar nichts mehr. Alles, was mir in den Kopf kommt, scheint zu banal zu klingen, zu unbeteiligt und vor allem: zu unehrlich. „Ich geh mal zu Uruha und Takeya. Die zwei machen gerade Mittagessen. Maya ist im Wohnzimmer, glaub ich, und Aiji hockt auf dem Balkon und zeichnet. Wenn du mit einem von den beiden reden willst, findest du sie da, okay?“ Ich nicke und stehe auf. Zwar ist Maya wahrscheinlich nicht die beste Adresse – der Arme ist schnell überfordert, wenn es um emotionale Situationen geht – aber Aiji ist einer von den Menschen, die einem helfen können, manchmal sogar, ohne viele Worte zu machen. Als ich auf den Balkon trete, fährt mir augenblicklich die Kälte in die Glieder. Ihre Zähne beißen sich in meine Knochen fest, lassen mich frösteln. „Wie kannst du hier so sitzen? Willst du erfrieren, oder so?“, frage ich irritiert und setze mich neben ihn. Aiji sieht nur kurz auf, schüttelt den Kopf und zeichnet dann weiter. „Nein“, murmelt er, sein Bleistift zieht Bahnen auf dem Papier. „Was zeichnest du?“ Stumm schiebt er mir seinen Block zu. Von dem Blatt aus strahlt mich ein glückliches, dunkles Augenpaar an. Volle Lippen ziehen sich zu einem breiten Lächeln, Zähne blitzen durch. Auch ohne Lolli hätte ich erkannt, wer darauf abgebildet ist. Es ist Maya. Das Bild wirkt, als würde mein Freund mir gleich seinen Lutscher ins Gesicht schmeißen können, als würde er leben. Als könnte das leise Lachen der Zeichnung entfliehen können und mir in die Ohren dringen. „Wow“, flüstere ich leise und streiche sacht mit dem Finger über Mayas Wangen. Er sieht so glücklich aus. So ähnlich habe ich ihn schon häufig gesehen, aber genau so noch nie. Irgendwas an ihm ist da, was sonst gefehlt hat, auch wenn ich beim besten Willen nicht sagen kann, was. „Was ist es?“, frage ich, auf das Bild deutend und weiß, dass Aiji verstanden hat, als ein leises Lächeln sich auf seine Züge stielt. Ungewöhnlich verträumt nimmt er mir die Zeichnung aus der Hand, wispert nur ein einziges Wort, das mich allerdings stutzen lässt: „Liebe.“ Liebe? Langsam beuge ich mich nochmal über das Blatt, studiere Mayas Lachen, seine Augen, das freudige Glänzen in ihnen, als wären seine Pupillen herzförmig. So muss ich geguckt haben, als Reita in unsere Klasse kam. Ich muss mich zusammen reißen, um die Tränen der Rührung zu unterdrücken. „Warum?“, stelle ich eine weitere Frage. Aijis Gesicht wird wieder ernst. „Weil sie ihm fehlt.“ Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf die Schulter. Mit ihm habe ich noch nie so ein Gespräch geführt – zumindest nicht über seine Angelegenheiten. Wenn überhaupt bin ich es, der völlig verwirrt in seiner Wohnung steht und sich keine andere Person vorstellen kann, die eine Antwort auf seine Fragen hat. Der sich Hilfe erhofft und weiß, das der Andere meist genau das sagen kann, was hilft. „Merkst du das denn nicht, Ruki?“ „… Aber Maya liebt mehr Menschen als irgendwer sonst, den ich kenne. Warum sollte ihm ausgerechnet Liebe fehlen?“ „Ich weiß. Er liebt so viele Menschen, er würde für so viele Menschen alles geben. Und viele Menschen lieben ihn. Aber ich glaube, er liebt niemanden zu 100%. Es fehlt immer irgendwas. Und ich glaube, dass er das nicht einmal selbst merkt. Maya fühlt einfach nur. Er fühlt so schnell so intensiv, dass ihm völlig egal ist, wie sehr er wirklich fühlt – beziehungsweise liebt. Der Kleine stellt alle auf eine Ebene. Bemerkst du das nicht?“ „Doch … Aber dich liebt er wirklich. Oder?“ „Ich glaube, ja. Aber nicht so sehr, wie ich ihn.“ In meinem Hirn beginnt es zu rattern. Zahnrädchen drehe sich gegeneinander, knirschen, knatschen, ich wundere mich schon beinahe, dass ich nicht aus den Ohren dampfe. Und bei jedem Gedankengang komme ich bei derselben Frage wieder heraus: „Du bist in ihn verliebt?“ Nicken. Oh nein! Nicht noch ein Problem mehr! Als würden die Unglücke mich verfolgen! Jetzt haben wir schon drei Beziehungsprobleme: Miyavi und Lara, Jun und ich und Maya und Aiji. So langsam frage ich mich wirklich, warum ich überhaupt in den Flieger nach Frankfurt gestiegen bin. Hätte ich gewusst, was für Probleme sich hier vor uns auftürmen, hätte ich mir das mit ziemlicher Sicherheit nochmal überlegt. „Oh … Ich … Das … Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Seufzend lehnt Aiji sich zurück. „… Ich weiß es nicht.“ „Soll ich …“ „Nein, du sollst gar nichts machen! Bitte, Ruki! Ich kümmere mich darum. Das ist eine Sache zwischen meinem besten Freund und mir. Ich weiß ja nicht einmal, warum ich dir das erzähle.“ Ich brauche nicht lange zu überlegen, auf diese Frage kenne ich die Antwort nur zu gut: „Weil wir Freunde sind, Aiji.“ Die Stimmung ab Mittagessentisch ist denkbar gedrückt, der Einzige, der wirklich unbekümmert ist, ist Takeya, der fröhlich sein Raclette-Pfännchen bestückt – ja, sie essen gerne mal Raclette, ist so schön unkompliziert. Alle geben sich Mühe, dem Kleinen gegenüber so normal wie möglich zu sein, auf seine Späße einzugehen, mit ihm zu lachen und ihn zu behandeln, wie man ein Kleinkind nun mal behandeln muss, wenn es nicht merken soll, dass in seinem Umfeld irgendwas ziemlich verkehrt läuft. Gerade beschmiert er sein ganzes Gesicht mit Butter bei dem Versuch, ein Wurstbrötchen zu essen. Seine Kulleraugen lachen ununterbrochen und ich bin froh, meine stetige Nervosität unter Kontrolle zu haben. „Gibst du mir mal den Käse?“, reißt Miyavi mich aus meiner Trance. Er klingt ungewöhnlich rau, als hätte er geweint. Ich nicke und reiche ihm den gewünschten Teller. Gequält lächelt mein bester Freund mich an, nimmt sich ein paar Scheiben Käse und gibt ihn dann an Uruha weiter, der ebenfalls verkrampft aussieht. „Is will auch Täse! Is will aaaaauch Tääseee!!“, kreischt Takeya und trommelt mir seinen kleinen Fäusten auf den Tisch. „Is auch, is auch, is auch!“ Maya grinst, übernimmt den Teller von Uruha und reicht ihn an Miyas Sohn weiter. „Magst du gerne Käse?“, fragt er lächelnd und streicht dem Kleinen liebevoll durch die Haare, als er nickt. „Ich auch. Sag mal, willst du mir jetzt eigentlich nachher noch deine Duplo-Steine zeigen?“ Takeya nickt eifrig, seine schwarzen Haare wippen auf und ab. Maya hebt den Kopf und sieht mich an. „Ich glaube, er würde sich freuen, wenn du auch mitspielst“, formen seine Lippen, ein bittender Ausdruck tritt in seine Augen. „Bruuumm, bssss, wuuuui!“, macht Takeya, der mit einem Duplo-Feuerwehrauto durch sein kleines Zimmer fährt. Wir sind gerade dabei, einen riesigen Brand im Rathaus zu löschen, muss man wissen. Der Bauer von nebenan hat nämlich ausversehen seine Zigarette liegen lassen, dann hat eine Zeitung, oder – um es mit den Worten des kleinen Jungen zu sagen – eine Teitung Feuer gefangen und irgendwann hat das ganze Haus gebrannt. Und jetzt ist der Bauer gaaaaanz traurig, weil er daran schuld ist, dass das passiert ist … Neben mir auf dem Teppich hockt Maya und spielt den Feuerwehrhauptmann, der nicht weiß, was er machen soll. Es fühlt sich komisch an, neben ihm zu sitzen, und zu wissen, dass er in seinem Leben etwas ganz Wichtiges noch nicht bemerkt hat – so wenig wie ich es wusste, bis Aiji es mir verraten hat. Schon eine komische Situation. Ich weiß, dass mein einer Freund in einen anderen meiner Freunde verliebt ist, darf es aber niemandem sagen, obwohl das vielleicht eines unserer Probleme lösen würde. Stattdessen muss ich schweigen und mit Maya und Takeya Feuerwehr spielen. „Maya“, beginne ich leise, als Miyavis Sohn gerade aus dem Zimmer gerannt ist, um sich einen Apfel zu besorgen, „was würdest du eigentlich machen, wenn du wüsstest, dass jemand in dich verliebt ist?“ Eine Sekunde später hätte ich mich ohrfeigen können. Scheiße! Jetzt wird Maya doch nur neugierig! „Warum fragst du das? Ist jemand in dich verliebt?“ Interessiert guckt er mich an, setzt sich in den Schneidersitz und grinst. „Würde mich nicht wundern. Ich hab schon einen attraktiven besten Freund. … Oder bist du verliebt und denkst, dass er es weiß?“ „Nein, nichts von beidem. Nur so aus Interesse.“ Skeptisch runzelt er die Stirn und legt den Kopf schief. „Ach ja? … Und das soll ich dir glauben?“ „Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. „… Okay, wenn du meinst. Wenn du’s mir nicht erzählen willst … Ich glaub, ich würde mit der Person reden. Was ich sagen würde, hinge davon ab, ob ich genauso empfinde. Vielleicht liebe ich den Menschen ja auch … oder auch eben nicht.“ Er zieht die Augenbrauen hoch. „Und du bist sicher, dass du das nur aus Interesse wissen willst?“ „Ja, wirklich.“ „Alles klar …“ Eine Weile bleibt es still, dann fragt Maya. „Sag mal, Ru, bist du eigentlich verliebt?“ Perplex öffne ich den Mund, will etwas sagen, doch in diesem Augenblick kommt Takeya mit seinem Apfel zurück und lacht: „Is hab einen Appeeel und ihihiier niiich!“ Mein Freund lacht dem Kleinen entgegen, bevor er sich wieder voll und ganz der Rolle als Feuerwehrhauptmann widmet. Seine Frage allerdings klingt noch immer in meinen Ohren anch. „Sag mal, Ru, bist du eigentlich verliebt?“ Das Taschentuch, das ich schon seit Ewigkeiten in der Hand halte, ist schon so zerfleddert, dass ich mich frage, ob es überhaupt noch den Namen ‚Taschentuch‘ verdient. Ich weiß noch nicht einmal, wie lange ich schon hier im Wohnzimmer sitze, nur die Lampe neben dem Sofa eingeschaltet, auf den dunklen Fernsehbildschirm starrend. Wahrscheinlich wüsste ich es, wären die anderen da. Aber die sind – abgesehen von Takeya, der hoffentlich bereits schläft – ausgeflogen: In irgendeinen Club in der Stadt, in den Miya dank seiner regelmäßigen Auftritte umsonst reinkommt. Ich wollte nicht mit, mir ist die Partylaune an diesem Scheißtag ziemlich gründlich vergangen. Viel zu sehr nehmen mich diesen ganzen Probleme hier mit; und da ich noch nie so ein Partygänger war und man ja gesehen hat, wo die letzte endete, habe ich beschlossen, mich nicht dem Wegsaufen von beschissenen Situationen zu widmen – es würde sowieso nichts bringen. Stattdessen habe ich wieder und wieder über Mayas Frage nachgedacht. Wäre meine ganze Lage weniger verwirrend, hätte ich wahrscheinlich einfach ‚Nein‘ gesagt mit dem Wissen, dass es stimmt, aber bei diesem ganzen vermischten Gewirr in mir drin, habe ich keine Ahnung, ob ‚Nein‘ wirklich stimmt. Vielleicht ist die Liebe nur so verknotet mit Verwirrung, Wut, Angst und Trauer, dass ich ihre Symptome nicht bemerke. Oder sie ist einfach weniger stark als alles andere, auch wenn sie da ist. Es hat wirklich ewig gedauert, aber ich habe eine Antwort gefunden. Und diese Antwort lautet nicht ‚Nein‘. Auch nicht ‚Vielleicht‘, sondern ‚Ja‘. Ja, ich bin verliebt. Warum sonst sollte ich mich so schnell zu einer Person hingezogen fühlen, obwohl ich sonst immer Monate brauche, um jemandem zu vertrauen? Warum sollten meine Gedanken sonst beinah ausschließlich um ihn kreisen? Warum sollte ich mir sonst solche Sorgen machen, weil ich Angst habe, der ganze Scheiß hier könnte ewig andauern? Und warum wäre da sonst seit heute Morgen dieses schmerzlich warme Kribbeln, wenn ich an ihn denke. An ihn, an Jun. Shit! Ich wollte mich eigentlich nicht mehr so schnell verlieben. Nicht, nachdem ich Reita verloren habe. Vielleicht habe ich sogar gehofft, mir würde es nie wieder so gehen. Mit dem Gedanken im Kopf, dass es jemanden gibt, der dir mit einem falschen Wort das Herz brechen kann. Mit dem Gefühl im Bauch, jemanden bei sich haben zu müssen, um überleben zu können. Leise schniefend greife lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Verdammte Scheiße! Genau diese Situation habe ich nie, nie wieder erleben wollen. Alleine sein, traurig sein, von der Decke erdrückt werden. „Bist tu auch nich müde, Tumpfbappe?“ Erschrocken fahre ich auf, als ich Takeyas Stimme höre. Der Kleine steht im Türrahmen, in der einen Hand seinen Stoffbären, in der anderen einen Schokoriegel. „Takeya!“, schniefe ich überrascht, „Was machst du denn noch hier? Warum bist du nicht im Bett? Und was machst du mit dem Schokoriegel? Du weißt doch, dass man nach dem Zähneputzen nichts mehr essen darf!“ „Ja, is weiß. Aber is hab auch gar nich Sähne deputzt!“ Frech grinst Miyas Sohn mich an, bevor er neben mich aufs Sofa klettert und mich anguckt. „Was?“ „Ja, Papa hat nich aufdepasst“, gluckst er fröhlich, „deswegen daf is auch noch Sokolade essen!“ Leicht grinsend schüttle ich den Kopf, während ich Takeya beobachte, wie er sich den Riegel in Mund schiebt und selig daran herum zu nuckeln beginnt. Er scheint ihn wirklich zu genießen, ist viel stiller als sonst. Seine dunklen Kinder-Kulleraugen glänzen und seine Haare sind verstrubbelt, als hätte er sich länger in seinem Bett herumgewälzt. So unbekümmert. So unschuldig. So niedlich. Es wäre so einfach, er zu sein. Die Welt nur so zu sehen, wie sie einem gefällt und zu denken, es gäbe gar nichts Böses, was der Papa nicht von einem fernhalten kann. Ich habe früher auch geglaubt, dass Miyavi mich vor allem beschützen kann. Wenn er auf meiner Bettkante gesessen hat, damit kein Monster unter meinem Bett hervorkriecht, damit kein Pirat mein Zimmer entert, damit kein Dinosauerier seinen großen Kopf durchs Fenster schiebt und damit kein Einbrecher hereingeschlichen kommt. Oder wenn ich meine Nachmittage bei ihm verbracht habe, weil meine Eltern Besuch hatten, bei dem ich nur ungebetene Gesellschaft gewesen wäre. Neben mir wackelt Takeya mit den Füßen, sieht mich an und fragt: „Bist tu taulig, Tumpfbappe?“ Ein schiefes Lächeln zieht meine Mundwinkel nach oben, als ich mich Takeya zuwende. „Ein bisschen“, antworte ich, obwohl das natürlich eine ziemlich Untertreibung ist. „Waluuuum?“ „Weil mein Herz kaputt ist.“ „Taputt?“ „Ja, kaputt.“ „Tann man das nich kleben? Mit Setundentleber?“ „Ich glaube nicht, nein.“ Seufzend nehme ich den Takeyas Stoffbären in die Hand und sehe ihm in die Knopfaugen. Genauso hat mein erstes Kuscheltier auch immer geguckt, aber es war ein Hund und mein Einfallsreichtum in Sachen Namensgebung spuckte damals nur den unkreativen Namen Bello aus. Ehrlich gesagt, hab ich nicht einmal eine Ahnung, wo Bello gerade ist oder ob ich ihn überhaupt noch habe; wenn, dann wahrscheinlich in einer der Kisten auf dem Dachboden. Schade eigentlich. Ich sollte ihn suchen gehen, wenn ich wieder zu Hause bin. „Walum tann man das denn nich kleben? Is das zu doll taputt?“ Ganz langsam wandert einer meiner Mundwinkel wieder in seine Ausgangsposition zurück. „Ach Takeya, ich glaube, dafür bist du noch ein bisschen zu klein. Das ist alles zu kompliziert für jemand so junges wie dich.“ Energisch schüttelt der Kleine den Kopf und beißt ein kleines Stückchen von dem Schokoriegel ab. „Nein, is bin nich zu klein! Papa sagt, is bin dadin danz goß!“ Er nickt bedeutsam und deutet sich auf die Brust. Sein schokoverschmierter Finger zeigt knapp unter sein rechtes Schlüsselbein. Ich grinse. Früher habe ich auch immer rechts und links verwechselt, wenn ich mein Herz treffen wollte. „Ja“, sage ich leise „ich glaube, da hat dein Papa auch Recht.“ Mit einer sanften Bewegung nehme ich seine kleine Hand in meine und führe sie von der rechten zur linken Seite. „Und da drauf kannst du jetzt schon stolz sein, Takeya.“ Ich muss wirklich mit mir kämpfen, um die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufzusteigen drohen. In mir ist ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Rührung und Traurigkeit, die kaum auszuhalten ist, weil sie mit einer solchen Wehmut in meinem Herzen sitzt, dass es sich anfühlt, als würde es sich auf die Größe einer Erbse zusammenziehen. Takeya sieht mich an, seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Lächeln, er giggelt leise. Warum muss diese Welt eigentlich immer so verdammt kompliziert sein? Kann sie nicht einmal einfach sein? Nur ein einziges Mal? _______________________________ Das hat jetzt einiges augeklärt, oder? Ich glaube, jetzt weiß man, was ich dmit meinte, als ich gesagt habe, dass einige im Bezug auf Miyavi und Ruki noch immer einige "schief denken". Hoffe, ihr seid mir deswegen nicht böse :) Es wäre zu kompliziert geworden, hätte Ru seinen Besten erst "umpolen" müssen. Immerhin hab ich beschlossen, dass er 100% hetero ist ... Außerdem sind zehn Jahre doch echt ein bisschen zu viel in dem Alter, oder? Fast 20 und fast 30 ... Hmm ... -.-" Übrigens: Passt dieser Song nicht GENIAL zum Kapitel?? ... Zumindest zum letzten - elementarsten - Teil des Kapitels? Ich bin wirklich zufrieden. Ausnahmsweise mal :D @ klene-Nachtelfe: Schön, dass dus immer noch toll findest. :D Und ja, der Kleine hat echt Scheiße gebaut - aber wenigstens darf er weiter bei denen wohnen bleiben, was? ... Na ja, ob man in so einer WG wohnen will, bei dem ganzen Chaos, dass in diesem Kapitel schon wieder verursacht wurde? Das ist dann wohl eine andere Frage ... :) @Astrido: Ich wusste auch erst nicht, was ich mir dabei gedacht hab, Ruki sowas machen zu lassen -.-" Aber ichfinde, irgendwie passt es zu diesem kleinen verpeilten Trottel, oder? :D lg, lady Kapitel 7: Bleed ---------------- Bleed I bleed my heart out on this paper for you So you can see what I can't say I'm dying here 'Cause I can't say what I want to I bleed my heart out just for you (Bleed – Hot Chelle Rae) Der Kugelschreiber brennt zischen meinen Fingern und vor mir liegt ein leeres Blatt Papier. Irgendwie komme ich mir vor, als säße ich in einer kitschigen Liebesschnulze. Verzweifelte Menschen sitzen am Schreibtisch und schreiben ihre Gefühle nieder, auf Blätter, auf Seiten, schreiben Sätze und Wörter, die einem das Herz zum Bluten bringen. Und jetzt bin ich auch dabei, einen Liebesbrief zu schreiben. Ehrlich hätte ich nie gedacht, dass mir das tatsächlich mal passieren würde. Silbriges Mondlicht erhellt mein kleines Gästezimmer, den Platz, den ich mir zum Schreiben ausgesucht habe. Ich sitze nicht, wie verzweifelte Liebesfilmschauspieler, am Schreibtisch, sondern auf der Fensterbank. Der Block liegt auf meinen Oberschenkeln und ich bin mir sicher, dass die Worte wunderschön glitzern werden, sobald ich sie niederschreibe. Lange tue ich nichts, lausche meinem Herzschlag, der ruhig und gleichmäßig gegen meinen Brustkorb klopft, als wolle er mir zeigen, dass alles in Ordnung ist. Auch mein Altem geht regelmäßig, während ich versuche, Worte für meine Gefühle zu finden. Und dann geschieht es: Meine Hand beginnt zu schreiben, ganz von selbst, als entwickle sie ihren eigenen Willen. Meine Gefühle werden zu Sätzen, fließen durch meinen Körper, sammeln sich in meinen Fingern und verlassen durch den Kugelschreiber mein Inneres, landen auf dem Papierbogen. Es fühlt sich an, als würden tausende Ameisen unter deiner Haut krabbeln. Als würden Schmetterlinge in deinem Bauch Tango tanzen. Als würde ein Feuerwerk in deinem Körper explodieren. Als würde ein Blitz durch deine Glieder fahren. Das und noch so vieles mehr habe ich gelesen, wenn es darum ging, das Gefühl ‚Liebe‘ zu beschreiben. All das stimmt, irgendwie. All das trifft zu, aber es fasst für mich nicht zusammen, wie es sich wirklich anfühlt. Die Wahrheit, meine Wahrheit, klingt nicht nach Romanen. Nicht danach, als hätte ein Autor es aufgeschrieben. Und ich bin ja auch keiner. Für mich ist es ganz einfach: Es fühlt sich an, als wäre deine Welt in Ordnung. Aber auch das stimmt nicht immer. Diese ganzen Beschreibungen treffen es auf den Punkt, wenn man glücklich verliebt ist. Genauso kann Liebe sich anfühlen, als würde man dein Herz aufschlitzen. Als würde man es vor deinen Füßen zerschmettern. Als würde es bluten. Als würde man jedes Körperteil von dir einzeln umbringen. Als würden deine Gedanken nur noch aus Dunkelheit bestehen. Merkst du was? Es klingt wieder nach Roman. Ehrlich gesagt weiß ich dieses Mal auch nicht, wie man es anders ausdrücken könnte, ohne typisch zu klingen. Aber ich habe mit Reita mal darüber gesprochen. Es war nach unserem ersten großen Streit. Wir haben uns so gezofft, dass ich dachte, ich muss sterben. Unsere Wohnzimmerkissen mussten damals ziemlich leiden. Ich habe ihn angeschrien, mit den Kissen nach ihm geworfen, ihn schließlich ohrenbetäubend kreischend aus der Tür gestoßen. Danach habe ich mich mit der Stirn gegen die geschlossene Tür gelehnt und auf die Tränen gewartet. Sie kamen nicht, noch nicht. Stattdessen habe ich mich gefühlt, als hätte ein bösartiges kleines Teufelchen sich mein Herz geschnappt und mit seinem Dreizack so lange darauf eingestochen, bis es aus unzähligen Wunden blutete. Es hat sich schrecklich angefühlt. Schrecklicher, als ich mir Liebeskummer zuvor vorgestellt habe. Die Tränen kamen erst, als ich am Abend im Bett lag. Eigentlich hat Reita damals bei mir übernachten wollen, doch ich lag allein da und habe mir die Augen aus dem Kopf geheult. Ich dachte beinahe, mein Herzblut würde anstelle der Tränen aus ihnen heraustropfen, doch es blieb beim Salzwasser. Ich habe so lange geweint, bis keine Tränen mehr kamen und noch länger. Meine Stimme war heiser, mein ganzes Gesicht aufgequollen, mein Körper hat gezittert, als ich an dem Abend mein Handy griff und Reita anrief. Er hat abgenommen, allerdings erst mal nichts gesagt. Er hat mich nicht einmal angeschrien. Er hat gewartet, bis ich etwas sage. ‚Warum tut es so weh?‘, habe ich ihn gefragt. ‚Weil du mich liebst‘, hat er geantwortet. Das ist dann wohl die andere Seite der Liebe. Die, von deren Existenz eigentlich keiner wissen will, die sich aber wahrscheinlich gerade deswegen immer wieder zeigt. Momentan habe ich keine Ahnung, wie ich verliebt bin. Ob glücklich oder unglücklich, es fühlt sich irgendwie nach beiden an. Der Einzige, der mir sagen kann, ob glücklich oder unglücklich, bist du, Jun. Denn du bist es, in den ich mich verliebt habe. Ja, ich könnte es dir auch so sagen, aber um ehrlich zu sein, habe ich davor zu viel Angst, zumal wir uns so dumm gestritten haben. Vielleicht wird dieser Brief nie in deinen Händen landen, vielleicht verbrenne ich ihn, bevor du ihn lesen kannst, vielleicht warte ich weiter, ob ich mehr Mut in mir finden kann, als ich glaube zu besitzen. Aber im Grunde weiß ich, dass das nicht der Fall sein wird, was bedeutet, dass du diese Zeilen aller Wahrscheinlichkeit nach lesen wirst. Ich hoffe, du wirst sie dir aufmerksam durchlesen und mir helfen können, meine Frage zu beantworten. Ruki Ich lege den Stift beiseite und falte das Blatt zusammen. Ich will gar nicht wissen, was für herzzerreißende, unglaublich kitschige Gedanken jetzt darauf stehen. Meine Finger schmerzen, so sehr habe ich den Kugelschreiber umklammert. Umständlich versuche ich den Schreibkrampf zu lösen, während ich den Brief in einem Briefumschlag verschwinden lasse und liebevoll und in deutlichen Druckbuchstaben ‚Fabian‘ darauf schreibe. Dann lege ich den Umschlag unter mein Kopfkissen, kuschele mich in meine Decke und versuche zu schlafen. Der nächste Morgen beginnt damit, dass ich tatsächlich glaube, den Brief nur geträumt zu haben. Ich bin schon der festen Überzeugung, er wäre ein Gespinst meiner Fantasie, doch als ich mein Kopfkissen hochhebe, wird mir klar, dass ein bisschen mehr Realität in meinem sogenannten Traum steckt, als ich dachte. Sprich: Meine Augen erblicken dieses wunderschöne weiße Teil, auf dem ‚Fabian‘ steht. Ich seufze. Also kann ich mich doch schnulzigen Liebesgeschwafeln hingeben. Schnell, als könnte ich mein Geschreibsel damit ungeschehen machen, drücke ich mein Kissen wieder auf den Umschlag. Scheiße. Neben mir ertönt ein Niesen, dann ein leises Fluchen. „Scheiß Hausstaub!“ Maya. Erschrocken fahre ich hoch und bete, dass mein Freund noch nicht lange wach ist. Dem verschlafenen Ausdruck in seinem Gesicht zu urteilen, scheint das glücklicherweise wirklich nicht der Fall zu sein. „Oh, Ruki, auch schon wach?“ Ich nicke und brauche ein paar Sekunden, um Worte zu finden, die mich nicht verraten, entscheide mich dann für das wahrscheinlich Unverfänglichste, was ich hätte sagen können: „Wann seid ihr gestern eigentlich zurückgekommen?“ „Um vier“, stöhnt er und hält sich gequält die Hände vors Gesicht, als er versehentlich in die Sonne guckt, die durchs Fenster hereinscheint. Ja, man hat richtig gehört! Es scheint tatsächlich die Sonne! Anfang Oktober und bei so vielen Scheißproblemen scheint die Sonne! Sowas nenne ich Ironie des Schicksals. Alles kommt dann, wenn es am wenigsten ins Leben passt. „Ich sag dir, ich war so verdammt voll …“ „Allerdings, das warst du.“ Gott, hat Aiji mich erschreckt! Himmel, seit wann kann man so leise aufwachen?? „Du hast dem Barkeeper erzählt, ich hätte dich entführt und in diesen Club gebracht, damit du einen Mafiaboss beschattest, da du seit ein paar Jahren der beste Geheimagent der Welt bist – wir können von Glück reden, dass der Typ dich nicht verstanden hat, Maya. Er hat dich lediglich dumm angeguckt und Miyavi hat mir nachher erzählt, der hätte überlegt, einen Arzt zu rufen, weil er sich nicht sicher war, ob du eine zulässige Sprache gesprochen, oder dir selbst eine ausgedacht hast!“ Ganz ehrlich? Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell wieder lachen kann – oder besser gesagt: grinsen. Aber bei der Vorstellung, wie Maya mit einer Men-in-black-Sonnenbrille auf der Nase und einer Pistole im Gürtel des dunklen Anzugs in der Weltgeschichte herumreist, um wichtige Menschen aus der Gefangenschaft der bösen Buben zu befreien oder gar die Welt zu retten, da muss man einfach zugeben, dass es zu komisch aussieht, um unbeteiligt zu bleiben. „Echt jetzt! Fuck!! … Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern …“ „Kein Wunder“, stellt Aiji trocken fest und setzt sich auf. „Sagt mal, könnten wir vielleicht irgendwie den Vorhang zuziehen? Ich will noch ein bisschen weiterschlafen … Bitte.“ Seufzend stehe ich auf. Gerne doch, die Herren, ich hab ja auch sonst nichts zu tun. Aber meinetwegen tue ich ihnen diesen Gefallen – nachher gehen sie mir den ganzen Tag auf die Nerven, weil sie so schrecklich müde sind. Nicht auszudenken. Nachdem ich den Vorhang beiseitegeschoben habe, verlasse ich auf leisen Sohlen den Raum und begebe mich in die Küche. Schnell ziehe ich eine Mich aus dem Kühlschrank, hole ein Glas aus dem Schrank. Was gibt es Schöneres, als den Tag mit einem kalten Glas Milch zu beginnen? Und dann noch allein? Wenn alles ruhig ist und mich niemand stört, wenn ich am Fenster stehen und den Morgen genießen kann, dann ist für mich die Welt in Ordnung. Zumindest zu einem großen Teil. Meine vermeintliche Ruhe wird allerdings schon recht schnell durch Uruha gestört, der hinter mich tritt. „Na“, fragt er und ich kann das Lächeln in seiner Stimme förmlich hören. „Bereit für einen weiteren Tag verwirrendes Deutschland?“ „Nein.“ „Kann ich verstehen … Wir wollen heute erst Miya zur Arbeit bringen, dann vernünftig irgendwo zu Mittag essen und uns mit Jenni in der Stadt treffen. Sie will uns unbedingt noch sehen, bevor ihre Mittagspause zu Ende ist. Einverstanden?“ Ich bin Uruha gerade wirklich dankbar, dass er das Ganze mit unserer Situation nicht weiter ausbreitet, sondern auf andere Themen zurückgreift. „Hmhm“, nicke ich, nippe an meiner Milch. „Gut. Sind die anderen schon wach?“ „Nicht mehr.“ Irritiert wirft Uruha mir einen Blick zu. „Ja, sie waren schon wach. Zumindest Maya und Aiji. Aber sie haben beschlossen, dass es noch deutlich zu früh zum Aufstehen ist.“ Hinter mir ertönt ein unterdrücktes Lachen. „Das klingt ganz nach deinen Freunden. Na ja, Miyavi schläft auch noch … Hilfst du mir dann, den Frühstückstisch zu decken?“ Ich bejahe und folge Uru in die Küche, wo er mir ein paar Teller in die Hand drückt. „Weißt du“, erklärt er mir dabei, „ich glaube, wir sollten gut auf Miyavi aufpassen, Ruki.“ Augenblicklich kommt meine innerliche Beklemmung zurück, von der ich dachte, sie verdrängt zu haben. Muss er damit anfangen? Kann ich nicht wenigstens diesen einen Morgen versuchen, glücklich zu sein, dass ich hier bin? „Uru, sie mir nicht böse, aber können wir vielleicht über was anderes reden?“ Er lächelt mich schief an. „Ja, klar, wenn du willst.“ „Kannst du dich auch noch daran erinnern, dass Maya dem Barkeeper erzählt hat, er wäre Geheimagent?“ Miyavis Mitbewohner grinst, dann lacht er. „Und wie ich das kann! Was meinst du, wieder Typ geguckt hat, als er checkte, dass er Maya nicht nicht versteht, weil die Musik so laut war, sondern weil er irgendwie nicht die richtige Sprache spricht. Wären Miya und ich nicht dagewesen, da wär ein Arzt aufgelaufen … Für Maya und den Barkeeper.“ Ich beobachte, wie Uruha routiniert nach den Aufbackbrötchen greift, anschließend einen ganzen Turm von Tassen ins Ess-/Wohnzimmer balanciert, die Marmelade hochhebt, feststellt, dass sie leer ist und sie, ohne weiter darauf zu achten, gegen eine neue austauscht. „Sag mal, wird das mit dem Helfen heute noch was?“ Erst jetzt stelle ich fest, dass ich noch immer mit den Tellern in der Hand in der Küche stehe und werde rot. „Ähm … ja, klar … sorry …“ Unruhig huscht Miyavi in der Wohnung auf und ab. Heute soll irgendwer wichtiges im Theater aufkreuzen, der das neue Stück, an dem er mitarbeiten soll, zu einem großen Teil sponsern könnte – wenn er sich davon überzeugen lässt, dass Miya und sein Ensemble seine Unterstützung wert sind. Und jetzt hat er schreckliche Sorge, alles zu verbocken. „Mir ist schlecht“, murmelt er kopflos, während sein Hände fahrig in einigen Zetteln auf der Kommode im Flur wühlen. „Mir ist so verdammt schlecht … Hat irgendwer meine Autoschlüssel gesehen?“ Uruha lehnt völlig gelassen im Türrahmen, als würde die Aufregung meines besten Freundes komplett kalt lassen. „Miyavi, jetzt reg dich mal ein bisschen ab. Du kennst das Ganze doch schon. Wie viele Geschäftspartner hatte euer Theater bereits, die sich eure Arbeit angesehen haben? 20? 25? Oder noch mehr?“ Aha, verstehe! Uru tut nicht nur so, als würde es ihn nicht interessieren, es interessiert ihn wirklich nicht. „19. Und mir ist jedes verdammte Mal schlecht …“ „Und das sagt der, der regelmäßig vor prallvollen Clubs und in Restaurants spielt.“ „Ja, da hängt aber nichts von mir ab. Wenn ich’s versaue, komm ich da halt nicht mehr hin. Wenn ich das hier versaue, hat das Theater einen Haufen Geld verloren – und ich vielleicht meinen Job. Das kann man nicht miteinander vergleichen! … Aaah, hier sind die Schlüssel!“ Stolz zieht er sie aus einem dem kleinen Spalt zwischen einem bunten Kästchen und der Wand hervor. „Und, was ist? Fahren wir los?“ Habt ihr schon einmal versucht, mit sechs Personen in einem Viersitzer zu fahren? … Wenn nicht, dann rate ich euch im Guten, es nie auszuprobieren; es ist verdammt eng! Ich sitze eingequetscht zwischen Aiji und Maya, auf dessen Schoß Takeya hockt und sich – ungewöhnlich brav – an ihm festklammert, um nicht hin- und hergeworfen zu werden. Aijis Bein drückt sich gegen mein Knie und ich habe kaum genug Platz, um meine Arme neben dem Körper zu halten. Stattdessen muss ich ein wenig vorgebeugt sitzen, um das Sitzen hier hinten zu ermöglichen. Seeehr angenehm, wirklich. Glücklicherweise halten wir genau in diesem Moment vor dem Theater und Miyavi lehnt sich zu uns nach hinter. „Tschüss, ihr Lieben. Ich geh mal los, ne?“ „Tüss, Papa! Du mat das schon!“ „Danke, Takeya, ich werde mich bemühen.“ Lächelnd wuschelt er seinem Sohn durchs Haar, öffnet dann die Tür und steigt aus. Uruha fährt an. „Uru?“, frage ich schnell, bevor ich es mir doch noch anders überlegen kann, „Können wir noch einmal kurz bei Jun vorbeifahren? Ich muss da noch was abgeben …“ „Ruuukiii?“, quengelt es neben mir. „Es ist echt deprimierend, nichts zu verstehen. Was hast du gesagt?“ Mit seinen großen braunen Augen schaut Maya mich an, die Lippen zu einem bittenden Schmollmund verzogen … Wie sollte man da denn bitte „Nein“ sagen? Mittlerweile sind Miyavi und ich ganz gut im Dolmetscher spielen und wissen schnell, wann der eine und wann der andere übersetzt, jedoch sind wir dazu übergegangen, nicht alles zu übersetzen. Außerdem spricht Uruha auch Japanisch und ist sogar dabei, Aiji und Maya Deutsch beizubringen – wenn auch nicht mit allzu viel Erfolg, was den Flummi angeht. Er hat den Kopf einfach viel zu voll mit anderen Angelegenheiten, als dass er sich darauf konzentriert, so etwas Unwichtiges wie die deutsche Sprache zu lernen. „Ich habe ihn gefragt“, sage ich also, obwohl ich die Frage absichtlich nicht auf Japanisch gestellt habe, um dummen Erklärungen auszuweichen, „ob wir noch kurz bei Jun vorbeifahren können, weil ich da noch was abgeben muss.“ „Wie jetzt?“ Irritiert zieht Maya die Augenbrauen zusammen. „Ich dachte, ihr habt Stress?!“ Auch Aiji sieht mich überrascht an. „Ich auch …“ „Ja, haben wir ja auch. Aber ich hab noch einen Brief loszuwerden. Ich finde, ich sollte ihn abgeben, auch wenn wir zerstritten sind. Er gehört ihm ja irgendwie …“ „Da magst du Recht haben, Ruki. Wir können da gerne vorbeifahren.“ Oh, wie ich Uruha liebe! Genau im richtigen Moment! Wer weiß, wie es weitergegangen wäre, hätte er dieses unangenehme Gespräch nicht unterbrochen. Worum geht’s denn in dem Brief, Ruki? Warum hast du den denn geschrieben? Und so weiter, und so weiter, und so weiter. Unter Garantie hätte Maya nicht aufgehört, hätte man ihm nicht geschickt das Wort abgeschnitten und ihn somit abgelenkt. Aijis bester Freund ist nämlich unglaublich leicht abzulenken: Kaum hat man ihn einmal unterbrochen, macht er anschließend mit einem völlig anderen Thema weiter. Als das Auto fünf Minuten später in Juns Straße einbiegt, glaube ich, gleich tot umzufallen. Zack bumm, aus die Maus. Und wie. Aber nichts passiert. Stattdessen hält Uruha vor Juns Haustür und wirft mir einen auffordernden Blick zu. Unsicher steige ich aus. Mann, ich glaub, ich versuchs nochmal: Zack bumm, aus die Maus! … … Scheiße, funktioniert nicht. Also muss ich wohl wirklich. Langsam gehe ich auf die Tür zu, den Briefumschlag mit der Hand umklammert. Ich zittere, ohne es zu merken. „Tumpfbappe!“, ruft es hinter mir, „Beeil dis!!“ Danke, Takeya … Sehr hilfreich. Als ich vor der Tür stehe, strecke ich vorsichtig die Hand aus und öffne den Briefkasten. Oh bitte, bitte, bitte lass Jun jetzt nicht rauskommen! Bitte! Bi- … Geschafft! Er ist nicht rausgekommen. Zum Glück. Schallend lasse ich den Briefkasten zufallen und renne zum Auto, öffne die Autotür, werfe mich auf den Beifahrersitz. „Losfahren!“, keuche ich, während ich mich anschnalle. Uruha sieht mich leicht komisch an, gehorcht aber und fährt in Richtung unseres Treffpunkts mit Jenni. Uruhas Freundin winkt uns schon von Weitem zu. Wir laufen auf eine kleine italienische Pizzeria zu, bei der es – laut WG Takeya-Uru-Miya – die beste Pizza Frankfurts gibt. Ich fürchte fast, in diesem Punkt müssen wir ihnen wirklich vertrauen (neeein, damit will ich nicht ausdrücken, dass ich kein Vertrauen in sie habe). „Heeey!!“ Freudig fällt Jenni ihrem Freund um den Hals, drückt ihm dann einen Kuss auf die Lippen und lächelt uns an. „Schön, dass ihr euch doch noch dafür entschieden habt, hier anzukommen – wenn auch 20 Minuten zu spät.“ „Ja, das tut uns leid“, entschuldigt sich Uruha, „aber wir mussten noch einen Umweg machen, weil Ruki Jun noch einen Brief schuldet.“ „Warum das? Ich dachte die haben alle Stress?“ Himmel! Kenne ich jetzt alle, die davon wissen oder les ich das morgen noch in der Zeitung?? „Nein, außer uns weiß das keiner. Es sei denn, Jun war gesprächig.“ OH!! Ich hab das laut gesagt? Was ein Mist aber auch … Könnte ich in meinen Gedanken einen Smiley setzen, glaubt mir, ich würde einen setzen. Und zwar dieses lustige Ding, bestehend aus zwei Bindestrichen und einem Punkt. Ihr wisst, von welchem ich rede, oder? Wenn nicht tut’s mir leid, echt ... Nicht. „Kommt ihr? Meine Pause dauert nicht ewig und ich würd gern noch was essen.“ Lächelnd schnappt Uruha sich die Hand seiner Freundin. „Klar. Immerhin haben Maya, Aiji und Ruki hier noch nie gegessen. Das muss schnellstens geändert werden!“ Sie haben Recht. Die Pizza schmeckt wirklich ungewöhnlich gut, aber da Pizza nicht unbedingt das ist, was ich gern und häufig esse, bräuchte es noch ein bisschen, damit ich mich zu einem „überragend“ hinreißen lasse. Maya hingegen scheint damit kein Problem zu haben: er hat gedanklich wahrscheinlich schon mindestens 100 überragends hinter sich, so wie er seine Salamipizza hinunterschlingt – oder er hat Hunger. Ich tippe allerdings auf ersteres, da er heute Morgen für fünf mitgefressen hat, mindestens. „Ich liiiieeebe Pizza!“ Aha, ich hab wirklich Recht! Es ist nicht der Hunger … Gott, ist es nicht irgendwie peinlich, sich über so was freuen zu können? Vielleicht. Aber momentan ist sowieso alles so verdammt durcheinander, dass man sich über das kleinste bisschen echt enorm freuen kann; Wäre ich jetzt Psychologe, ich würde das faszinierend finden. „Is aaaauuch!!“ Freudig strahlt Takeya in die Runde, isst noch einen Bisschen Pizza und schmiert sich dann die Hände an der Hose ab. „Aber Takeya!“ Man hört Jenni an, dass sie es nicht schafft, ganz so streng zu klingen, wie sie vorhatte. „Das macht man doch nicht! Sonst wird deine Hose ja ganz dreckig.“ „Aba sonst sind meine Hände deckig!“, empört sich der Kleine, der sich vehement dagegen wehrt, sich von Uruhas Freundin die Hände an der Servierte zu säubern. Schon süß. Miyavis Sohn erinnert mich, sollte ich es noch nicht erwähnt haben, an Maya … oder an Jun. Sagen wir: An eine Mischung aus Maya und Jun. Aiji neben mir lacht still vor sich hin, als Uruha ihm Takeyas Worte übersetzt und auch mein anderer Freund beginnt zu kichern. Leute im Restaurant sehen sich nach uns um, eine ältere Frau im rosafarbenen Designerjäckchen mit Leopardenmuster, einem Lippenstift in pink und Federboa (unglaublich, dass manche Leute das in der Öffentlichkeit tragen können) verzieht mit einer Mischung aus Ekel und genervt sein den Mund, schnippelt mit dem Messer zwischen ihren Pornoschaufeln ein Stückchen Pizza ab und schiebt es sich in den Mund. Langsam schließt sie die Lippen um die Gabel und zieht die streng gezupften Augenbrauen zusammen. Buäääh, wie widerlich! Sie sieht aus, als hätte man sie als Teenager in diese Klamotten gesteckt und dann in Sekundenschnelle altern lassen. Eine erwachsene Frau mit Mädchengeist. Jemand, der davon eingeholt wird, dass das eigene Leben nicht mehr ganz so lange dauern wird und der meint, unbedingt nochmal auf den Putz hauen zu müssen. „Schrecklich, oder?“, flüstert Jenni mir ins Ohr. „Das ist meine Kollegin. Sie heißt Aurelia Wolf und arbeitet schon Ewigkeiten in der Boutique, in der ich jobbe. Furchtbare Frau, wirklich. Sie rennt ungefähr alle fünf Tage zum Friseur und wie oft sie sich von irgendwelchen freundlichen Mädels Mani- und Pediküre machen lässt, kann und will ich gar nicht wissen.“ Jenni grinst Uruha verschwörerisch an, er grinst zurück, ich übersetze für Aiji und Maya und schon sitzt unser ganzer Tisch grinsend da, immer wieder verstohlen Frau Wolf beobachtend. Irgendwann steht die Dame auf und ich stelle entsetzt fest, dass sie mörderisch hohe, weiße Stöckelschuhe trägt. Aua! „Jenni, ist deine Pause nicht längst vorbei?“, flötet sie, während sie uns einer Musterung unterzieht. „Aurelia, ich glaube, ich habe noch länger Zeit als du. Laut meiner Uhr müsstest du seit fünf Minuten wieder in der Boutique sein. Also, warum gehst du da nicht hin? Oder musst du deine blondierte Dauerwelle noch erneuern lassen?“ „Pf … So was muss ich mir von einem kleinen Gör wie dir nicht sagen lassen, das kein Gespür für Mode hat.“ „Kein Gespür für Mode? Und das sagt die, die mit 56 in einer rosafarbenen Leopardenjacke durch die Welt stöckelt? Interessant.“ Jenni lächelt falsch. „Ich würde vorschlagen, du lässt mich in Ruhe meine Pause beenden und diese Pizza essen und du gehst schon mal vor.“ Kurz hebt Aurelia die Brauen, dann verlässt sie arschwackelnd die Pizzeria. Kaum ist sie weg, sehen wir uns an – und beginnen zu lachen. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so dasitzen und lachen, doch als wir aufhören, tut mir vor guter Laune echt der Bauch weh. Aiji, der einzige, der weniger haltlos gelacht hat, sich nur zu einem ruhigen Kichern hat hinreißen lassen, versucht, noch einen Bissen Pizza zu sich zu nehmen, ohne sich daran zu verschlucken. Maya wischt sich die Lachtränen aus den Augen, Jenni kippt schon das dritte Glas Wasser herunter, um ihren ausgetrockneten Mund wieder ein wenig zu „bewässern“. Gerade werfe ich einen Blick zu Uruha, um zu gucken, wie es ihm mit unserem Lachanfall ergangen ist, als mein Blick auf einen leeren Stuhl fällt. „Leute“, frage ich alarmiert, „wo ist Takeya hin?“ __________________________ Tadadadaaaamm ... !! Uiuiuiuiuiii, jetzt wirda spannend, was? ^^ Der erste Teil des Kaptitels ist echt schön, oder? Ich würde übrigens empfehlen, ihn einmal mit dem "Titelsong" zu hören. Die Szene mit dem Brief habe ich schon vor Monaten geschrieben, in den Sommerferien. Da waren wir in Amerika und ich saß um 4 Uhr morgens im Wohnmobil, habe "Bleed" gehört und diese Szene geschrieben. Eventuell war das sogar in Las Vegas - ich erinnere mich, dass es da total heiß war. (Also da, wo ich geschrieben habe.) Astrido: Ja, das mit Maya und Aiji gebe ich zu. Es war vorherzusehen :D Aber ich finde die beiden einfach soo SÜSS zusammen *.* Und was mit Jun und Ruki jetzt passiert, da können wir wohl gespannt sein, oder? klene-Nachtelfe: Freut mich, dass du noch immer so euphorisch bei der Sache bist xD Ich will doch mal sehr hoffen, dass das auch noch bei den letzten Kapiteln so bleibt :) Die werden jetzt recht schnell kommen, da ich je bis Ende des Jahres fertig werden muss -.-" ... Das wird schwerer als gedacht ;D JAAAA, er ist sooo nieeedlich!! Ich habe Takeya an meine Großcousine angelehnt, die ist auch so ein kleiner, liebenswerter, naiver Frechdachs. Die würdest du auch am liebsten in den Arm nehmen und niiiiie wieder loslassen :) Lieben Gruß an euch alle, lady PS: Freue mich wie immer über Rückmeldung! Kapitel 8: We found love ------------------------ We found love We found love in a hopeless place We found love in a hopeless place (We found love – Rihanna) „Die Polizei will nichts tun, solange Takeya nicht mindestens 24 Stunden verschwunden ist!“ Verzweifelt lässt Miyavi sich auf dem Sofa nieder und vergräbt das Gesicht in den Händen. „Das … das können die doch nicht machen! 15-jährigen Teenager laufen weg, aber doch keine zweijährigen Kleinkinder!“ Seit einer Stunde ist Miya jetzt wieder da und nachdem wir ihm gesagt haben, dass sein Sohn verschwunden ist, hat seine Stimme permanent gezittert. Worauf ich allerdings noch immer warte, ist, dass er völlig ausrastet und uns sonst was an den Kopf wirft. Immerhin haben wir ihn aus den Augen verloren. Doch mein bester Freund scheint uns da keinen Strick draus zu drehen. Vielleicht, weil wir seine Freunde sind. Vielleicht, weil er uns mag. Vielleicht, weil wir auch nur Menschen sind. Maya sitzt schon seit einer halben Stunde stumm auf dem Sofa, sagt gar nichts. An sich nichts Ungewöhnliches in so einer Situation, doch für ihn ist das mehr als sehr beunruhigend. Seit ich ihn kenne, ist das meiste in Zeichen dafür, dass er eigentlich Ruhe braucht. Das Problem ist nur, dass er das nicht sagt – er bleibt an Ort und Stelle und das Schlimmste, was man dann machen kann, ist … „Kopf hoch, Maya“, lächelt Uruha, wenn auch gequält, „das wird schon alles wieder.“ … ihn anzusprechen. Oh nein, bitte nicht. Ich will etwas sagen, doch es ist zu spät: Maya springt auf und beginnt, hemmungslos zu schreiben und zu fluchen. Seine teilweise unartikulierten Ausrufe graben sich aggressiv in meine Ohren, verzweifelt presse ich meine Hände darauf. Hör auf, hör auf, hör auf!!, kreischt eine Stimme in meinem Kopf. Hör auf, bitte, bitte, bitte hör auf!! Ohne dass ich es wirklich mitbekomme, verlasse ich den Raum, sehe gerade noch aus dem Augenwinkel, wie Uruha Miya einen irritierten Blick zuwirft, mache mich auf die Suche nach Aiji. Er kommt mir bereits im Flur entgegen. Seine Augen streifen kurz meine und ich muss unwillkürlich staunen, wie ruhig er ist. Sachte schiebt er mich beiseite, streicht mir kurz durch die Haare und geht dann an mir vorbei, die Schritte bedächtig, aber dennoch zügig. Ich bin schon lange mit Aiji und Maya befreundet. Seit Jahren. Aber ich werde nie verstehen, was zwischen den beiden vorgeht, wenn Maya einen seiner Anfälle bekommt. Während ich mir mit zitternder Unterlippe die Ohren zuhalte, weil ich schon beinahe Angst vor einem meiner besten Freunde habe und am liebsten die Zeit vorspulen würde, bis sich alles wieder beruhigt, bleibt Aiji der Freund, den der Flummi so dringend braucht. Er schlingt ihm stumm die Arme um die Hüften, hält ihn fest und legt den Kopf auf seine Schulter. Maya flucht, schreit, Aiji solle ihn loslassen, zieht an den Haaren seines besten Freundes und beginnt zu kreischen. Gegen Aijis Schienbeine schlagen die Füße des Flummis, über seine Unterarme kratzen Fingernägel. Mein Blick schweift zu Uruha. Der Arme steht da, völlig geschockt. Wahrscheinlich kann er sich nur vorstellen, was er mit seiner harmlosen Frage angerichtet hat. Und so wie ich ihn kenne, macht er sich schreckliche Vorwürfe. Langsam gehe ich zu ihm hinüber, lege ihm vorsichtig von hinten einen Arm um den Oberkörper. Zusammen beobachten wir, wie Maya zu zittern beginnt. Sein schreien wird leiser, geht in ein brüchiges Schluchzen über. Tränenströme ertränken die letzten Fitzel seines Gerkreisches und er weint nur noch. Unerbittlich fließen die Tränen über seine geröteten Wange, er hängt schlaff in Aijis Armen, der ihn behutsam umdreht und nun richtig in den Arm nimmt. Liebevoll verbirgt er Mayas Gesicht an seiner Halsbeuge, streicht ihm mit der anderen Hand über den Rücken. Wenn ich mich anstrenge, kann ich ihn hören, wie er seinem besten Freund beruhigend etwas ins Ohr flüstert, das stark nach „Shh, alles in Ordnung. Es gibt keinen Grund zu weinen, Kleiner, alles ist in Ordnung“ klingt. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und mein Herz zieht unangenehm, wenn ich die beiden ansehe. Schon häufig habe ich Maya ausrasten sehen. Damals hat er Gegenstände geworfen und Aiji und mich so schnell beschimpft, dass ich außer „Scheiße!“ nichts verstanden habe. Aber noch nie ist er danach dermaßen zusammengebrochen oder hat versucht, einen von uns zu verletzen. Nie. Erst als es still wird, sehe ich auf. Maya ist eingeschlafen. Kurz bleibt Aiji noch stehen, dann hebt er seinen besten Freund hoch und wendet sich an uns. „Ich bringe ihn ins Bett.“ Ich nicke, Uruha bewegt sich überhaupt nicht. Als die beiden den Raum verlassen haben, mache ich den Mund wieder auf. „Mach dir keine Vorwürfe, Uruha. Du kannst nichts dafür, es ist einfach alles zu viel für ihn.“ Fragend sieht Uruha mich an. „Maya ist seit seinem achten Lebensjahr manisch depressiv. Keiner weiß so ganz genau, wodurch die Krankheit ausgelöst wurde. Das heißt: Ich weiß es nicht, Aiji wahrscheinlich schon. Die beiden kennen sich ewig. Glücklicherweise ist die Krankheit nicht so schlimm, dass wirklich Lebensgefahr besteht – bisher zumindest nicht. Ein Arzt sagte, Maya wird wohl nie – wie andere Patienten mit dem gleichen Problem – versuchen, sich während einer depressiven Phase umzubringen oder so.“ Uruha nickt geistesabwesend, ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Worte nur mit halbem Ohr wahrgenommen hat. Ich beschließe, ihm das nicht übel zu nehmen – es ist immerhin mehr als verständlich – und lasse mich neben Miyavi auf dem Sofa nieder. Vorsichtig streiche ich ihm über den Rücken. „Weißt du“, beginne ich leise, „es tut mir wirklich leid. Das ist alles unsere Schuld!“ „Nein, Ruki, ist es nicht.“ „Doch, ist es! Wir haben ihn aus den Augen verloren!“ „Das kann sein, aber ihr ward fünf Leute. Wäre er offensichtlich verschwunden, hättet ihr es gemerkt – es wird schon einen Grund dafür geben, dass ihr es nicht mitbekommen habt. Außerdem: Selbst wenn ich euch dafür verantwortlich machen würde: Was würde es mir bringen? Takeya ist weg. Wir können alle nur hoffen, dass ihm nichts passiert.“ Ich nicke leicht, lege meinen Kopf an die Schulter meines besten Freundes und schaue nach draußen. Wind zerrt an den Bäumen und Regentropfen prasseln gegen die Fensterscheibe. Wo Takeya wohl sein mag? Hoffentlich nicht da draußen … Kaum auszudenken, was ihm passieren könnte, so allein im Freien. Aber warum sollte er grundlos verschwinden? Wurde er entführt? Zweijährige Kinder machen sich doch nicht vaterseelenallein auf den Weg in die weite Welt! Und jetzt, wo der Abend weiter voranschreitet, erst recht nicht! „Ru?“, fragt es irgendwo neben meinem Ohr. „Ich möchte nicht allein bleiben heute Nacht. Kannst du mitkommen?“ Schmerzlich fühle ich mich an die erste Nacht hier erinnert, in der noch alles relativ in Ordnung war. Wir haben mit Takeya im Bett gelegen, weil er Angst vor Monstern hatte. Wir hatten ihn beschützt – und heute hatten wir versagt. Wir. Jenni, Uruha, Aiji, Maya und ich. „Okay“, flüstere ich leise zurück, „okay.“ Tja, und jetzt liege ich hier wieder. Miyavis Atem streift meinen Hals, eine seiner Hände liegt auf meinem Bauch, verkrallt in meinem Schlafshirt. Und ich kann spüren, dass er weint. Ganz still, komplett lautlos. Sein Körper bebt leicht, warme Tropfen laufen in meiner Halsbeuge zusammen. Würde ich meinen besten Freund nicht schon so lange kennen, hätte ich mich jetzt mit Sicherheit zu ihm umgedreht. Hätte versucht, irgendetwas zu tun. Aber ich bin schlecht darin, Menschen zu trösten. Und ich weiß, dass es Miyavi gerade reicht, zu wissen, dass ich da bin. Gute Nacht, Miya. Ich hoffe sehr, du kannst schlafen. Am nächsten Morgen liegt Miya mit dem Rücken zu mir, scheint noch zu schlafen. Seine Wangen wirken aufgequollen, als hätte er noch länger geweint. Auch mein Shirt scheint noch leicht feucht zu sein, doch ich beschließe schon jetzt, Miya nicht darauf anzusprechen – zumindest nicht, solange er nicht selbst davon anfängt. Vorsichtig stehe ich auf und schlurfe ins Wohnzimmer rüber – wo ich vor Überraschung beinahe gegen den Türrahmen renne. Auf dem Sofa sitzt Maya auf Aijis Schoß, was an sich nicht ungewöhnlich wäre, würden sie sich nicht gerade gegenseitig die Zungen in den Hals schieben. Das ist nämlich in der Tat ungewöhnlich, wenn ich das mal so anmerken darf. „Hähem …“, sage ich peinlich berührt und klopfte gegen die Wohnzimmertür. Die beiden fahren auseinander, starren mich an, als wäre ich gerade aus einem Paralleluniversum hierher teleportiert worden. Maya braucht nur kurz, um sich zu fangen und mich anzugrinsen, doch auf Aijis Wangen legt sich zu meiner Überraschung ein leicht roter Schimmer, er vergräbt das Gesicht an der Halsbeuge seines … jetzt richtig Freundes? „Guten Morgen, Ru!!“, ruft der Flummi freudiger, als ich es heute je schaffen werde. „… Hab ich was verpasst?“ „Ja, hast du. Aiji und ich sind seit gestern zusammen!“ Lächelnd schlingt er Aiji die Arme um den Hals und drückt ihn gegen seine Brust. „… Als ich gestern noch mal aufgewacht bin, hat er neben mir gesessen und gesagt, dass er die ganze Zeit da war – obwohl ich mindestens zwei Stunden geschlafen hab! Ist das nicht süß von ihm?“ Aiji murmelt irgendwas, woraufhin Maya ihm lachend durchs Haar streicht: „Doch, du bist wohl süß! … Jedenfalls haben wir uns unterhalten und dabei ist herausgekommen, dass wir es miteinander versuchen wollen. Er liebt mich schon lange, weißt du?“ Ich schüttele den Kopf, um längere Diskussionen zu vermeiden. „Schön, das freut mich. Wünsche euch viel Glück …“ „Na das klingt ja begeistert!“ „Entschuldige, Maya, es freut mich echt. Aber ich mache mir momentan wirklich Sorgen um Miyavi … Er hat sich gestern in den Schlaf geweint. Hoffentlich wird Takeya bald gefunden, sonst endet unser Besuch noch in einer Katastrophe!“ Geknickt setze ich mich neben die beiden und ziehe die Beine an den Körper. Es wird immer und immer mehr, habe ich das Gefühl. Auch wenn das Problem ‚Unerwiderte Liebe Teil 1‘ jetzt gelöst ist: Ein verschwundener Takeya ist ein würdiges Nachfolgeproblem. „Och, Ru“, sagt Maya leise streicht mit über die Wange. „Wir werden das schaffen, okay? Die Polizei fängt heute an zu suchen und die werden Taki finden! Ganz, ganz sicher!“ Kleine, liebe Maya-Welt, warum kann ich nicht auch in dir leben? Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Ich will nach Hause! Ich will, dass das hier alles nicht passiert! „Maya hat Recht, Ruki. Die Polizei wird den Kleinen bestimmt finden!“ „Hoffentlich …“ Heute verläuft das Frühstück stumm. Ohne Miyas Sohn ist es schrecklich still, das kindliche Lachen fehlt einfach. Genauso wie Miyavi. Er hat sich eingeschlossen, nicht einmal aufgemacht hat er, als Uruha eines seiner T-Shirts und sein Handy holen wollte. Ich habe es bisher noch nicht versucht, es kostet mich schon Überwindung, an meinen besten Freund zu denken, wie verzweifelt er sich gestern in mein Shirt gekrallt hat, das stumme Weinen. Maya hat Aiji auf dem Schoß, doch auch die beiden haben ihre vorübergehende Fröhlichkeit anscheinend abgelegt. Stumm sitzen sie da, Mayas Kopf liegt auf der Schulter seines Freundes, bisher sind erst ein paar Bissen Brot in ihren Mündern verschwunden. Auch ich habe noch nahezu nichts gegessen. Vor mir liegt noch dasselbe Stück Brot wie vor 20 Minuten. „Versucht ihr drei bitte, wenigstens eine Scheibe Brot zu essen?“, fragt Uruha. „Ich möchte nicht, dass ihr uns hier bald zusammenklappt. Ich muss jetzt nämlich wirklich los, ansonsten komme ich zu spät.“ Schief lächelnd steht er auf, streicht mir im Vorbeigehen kurz durchs Haar. „Ich bin spätestens eine Stunde nach dem Mittagessen wieder da. Und wehe ich krieg raus, dass ihr nichts gegessen habt!“ Aus dem Flur höre ich noch, wie Uru ans Miyavis Tür klopft und ihm sagte, dass er jetzt losfährt, dann ertönt das Klacken der Wohnungstür. „Miya, machst du bitte auf?“ Eigentlich ist es zwecklos. Schon seit zehn Minuten stehe ich hier, ein Tablett mit zwei Stücken Schokolade, Nutella, einer Tasse Kakao, einem Brot und dem Telefon in der Hand. „Du musst dich doch krankmelden. Und essen musst du auch was.“ Verzweifelt klopfe ich gegen das Holz. Gerade als ich aufgeben will, höre ich von innen den Schlüssel, wie er sich im Schloss dreht, dann geht die Tür einen Spalt auf. Eine Hand schiebt sich heraus, nimmt mir das kleine Tablett ab und verschwindet wieder. Bevor Miyavi die Tür wieder schließen kann, schiebe ich meinen Fuß dazwischen. „Miya, hör mir zu. Du musst nicht mit mir reden, okay? Du musst da auch nicht rauskommen. Aber bitte iss was und melde dich krank! Wenn du möchtest, kannst du das Telefon einfach mit dem Tablett vor die Tür legen, ich hole es dann gleich hier ab. In Ordnung?“ Ich fasse sein Schweigen als Einverständniserklärung auf und ziehe meinen Fuß zurück. Anschließend schlurfe ich zurück in die Küche, wo Aiji sitzt und zeichnet. Maya hat sich einen Stuhl hinzugezogen und schaut ihm schweigend zu. Als er mich hört, blickt er auf. „Und?“ „Er hat das Essen zu sich reingenommen. Ich hoffe, er isst wirklich was. Wahrscheinlich werde ich das nicht überprüfen können, ich glaube nämlich kaum, dass er mich reinlässt. Aber wir habe … sozusagen abgesprochen, dass er das Tablett einfach vor die Tür stellt, wenn er fertig ist.“ Eine halbe Stunde später steht es tatsächlich da. Der Kakao ist ausgetrunken worden, das Brot halb gegessen. Die Stückchen Schokolade sind weg. Neben dem Telefon liegt ein kleiner Zettel, den ich vorsichtig hochhebe. Ich hab angerufen, mein Chef weiß Bescheid. Das was fehlt, habe ich gegessen. Danke, Ruki. Ein wenig Abstand, dann noch ein Satz: Es tut mir echt leid. Was tut ihm leid? Dass er sich eingeschlossen hat? Dass er nicht mit der Situation klarkommt? Dass ich hier sein muss? Vielleicht auch alles. „Kein Problem, Miyavi“, sage ich gerade so laut, dass er es da drinnen höchstwahrscheinlich hören muss. Als Uruha am Nachmittag zu uns ins Gästezimmer kommt, wo ich mit Aiji und Maya schon seit geraumer Zeit herumhocke, ohne eine richtige Beschäftigung habe, und mir sagt, dass jemand für mich am Telefon ist, bin ich überrascht. Ich habe eigentlich niemandem Miyavis Nummer gegeben, abgesehen von – oh nein. Bitte nicht! Nicht auch noch das! Zitternd nehme ich Uru den Hörer aus der Hand. „Ja?“, frage ich leise und weiß jetzt schon, wer sich melden wird. „Ruki? Hier ist Jun.“ „Ich weiß.“ „Wir müssen reden … Kannst du bitte zu mir kommen?“ Ich atme einmal stockend aus, dann nicke ich. Zwei Sekunden bleibt es still, bis mir einfällt, dass Jun mein Nicken ja gar nicht gesehen haben kann. „Okay. Ich komme. Bin gleich da.“ Er legt auf. „Wer war das?“, fragt Maya interessiert. „Jun. Er sagt, wir sollten reden.“ „Oh ja, das solltet ihr wirklich! Ein Problem weniger wäre definitiv gut! Außerdem bist du nur zusätzlich fertig, weil ihr euch nicht mehr versteht. Es reicht schon, dass Miyavi sich in seinem Zimmer einschließt!“ Ich nicke und stehe auf. „Uruha?“, rufe ich, während ich das Telefon an seinen Platz zurückbringe, „Könntest du mich zu Jun fahren?“ Das überraschte Gesicht von Miyas Mitbewohner erscheint im Flur. „Willst du dich mit ihm aussprechen?“ „Ja.“ „Gut, ich fahr dich. Moment, ich zieh mir noch eben meine Jacke an!“ Im Auto angekommen, wird mir noch mulmiger, als ich dachte. Mein Magen zieht sich zusammen, ich atme schneller. Meine Finger krallen sich in das Polster des Beifahrersitzes. Neben mir sitzt Uruha, er wirkt völlig entspannt. Anscheinend merkt er nicht, wie meine innere Anspannung die Luft zum Flimmern bringt – oder er will gegensteuern. Das allerdings gelingt ihm nicht besonders gut. Stattdessen fühle ich mich noch mehr auf mich gestellt, völlig allein mit der Situation. „Uruha?“, flüstere ich leise. „Können wir irgendwas reden?“ „Klar, wenn du willst. Schönes Wetter heute, was?“ Will der mich verarschen? Es regnet!! „Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „kein schönes Wetter heute.“ „Richtig. Es passt echt gut zum heutigen Tag. … Okay, vielleicht reden wir besser nicht übers Wetter. Wie wärs mit Tokyo? Ist die Stadt wirklich so sehenswert?“ „Definitiv“, lächle ich, „Tokyo ist eine tolle Stadt. Aber echt kompliziert. Vor allem wenn du U-Bahn fahren willst, musst du aufpassen. Es fahren so verdammt viele Bahnen, dass sogar ich manchmal noch falsch ein- oder umsteige …“ Ich rede mich richtig in Rage, froh darüber, mich ablenken zu können – bis wir anhalten. Der Wagen bleibt stehen, Uruha sieht mich an: „Soll ich auf dich warten?“ „Nein, es könnte länger dauern. Danke, Uruha. Ich rufe dich an oder frage Jun, ob er mich fahren kann. Fahr besser nach Hause und versuch, Miyavi aus seinem Zimmer zu holen.“ Sein rechter Mundwinkel hebt sich um einen Millimeter. „Okay. Mach dir ein bisschen weniger Sorgen, Ruki. Das letzte, was man sich im Urlaub machen sollte, sind Sorgen. Ich hoffe sehr, dein Besuch hier findet noch ein Happyend, es wäre schade, wenn nicht. Immerhin habt ihr euch so lange nicht gesehen … Und jetzt raus mit dir, Kleiner, sonst kommst du mit deinem Jun nie ins Reine!“ Mein Grinsen misslingt etwas, doch ich versuche es trotzdem. Ich will gerade auf die Klingel drücken, als Juns Mutter mir öffnet. „Hallo, Takanori“, lächelt sie, „Fabian ist oben. Ich glaube, er wartet bereits auf dich.“ „Danke, ich glaube auch.“ Langsam steige ich die Treppe hinauf, versuche, mit jedem Schritt ein bisschen mehr an innerer Fassung zu sammeln. Zögerlich klopfe ich an, die Tür geht auf. Jun sieht mich an, ohne das Gesicht zu verziehen. Nichts lässt auf Wut, Trauer, Langeweile oder Freude schließen. Einfache Neutralität schaut mir durch braune Augen entgegen, heute trägt er keine Kontaktlinsen. „Komm rein, Ruki.“ Ein Schritt zur Seite, dann trete ich ein. Das Zimmer ist nicht besonders groß, aber auch nicht wirklich klein, es hat eine schöne Größe und ist freundlich hell durch die beiden Fenster. An den Wänden hängen Poster, aber nicht von Stars, sondern von berühmten Orten dieser Welt. Der Eifelturm, der Yellow Stone National Park, die Pyramiden von Gizeh, die Skyline New Yorks, der Kreml in Moskau, das Burj Al Arab und so weiter, und so weiter, und so weiter. „Fernweh?“, frage ich, während ich mit dem Finger über eine Postkarte streife, auf denen Polarlichter abgebildet sind. „Chronische Krankheit von mir. Die Ferne ist schöner, wenn man sie noch nie gesehen hat. Ich war schon mal am Grand Canyon, das Bild ist anschließend aus meinem Zimmer verschwunden. Es hängt jetzt bei meiner Mutter. Sie sammelt Dinge, die sie schon gesehen hat, ich sammele die, die ich noch nicht gesehen hab. Seltsam, oder?“ „Überhaupt nicht. Vieles ist schöner, bevor man es genauer unter die Lupe nimmt.“ Er nickt uns setzt sich auf sein Bett. „Ruki, ich …“ Erwartungsvoll sehe ich ihn an, doch er spricht erst einmal nicht weiter, starrt nur geradeaus. „Ich … ich hab mir das alles anders vorgestellt, als ich dich kennen gelernt hab, Ruki. Ich dachte, ich habe in dir einen guten Freund gefunden – und das habe ich ja auch. Aber …“ „Aber?“ „Aber es war nicht geplant, dass alles so verdammt kompliziert wird! Das ist alles so klischeehaft, dass ich mich dafür ohrfeigen könnte! Das, was ich dir erzählt habe, mit der 25-jährigen Barbiepuppentussi, das stimmt und es hat mir sehr wehgetan. Das ist auch der Hauptgrund, aus dem ich mir vorgenommen habe, immer ehrlich zu sein. Aber es war nicht der Hauptgrund dafür, dass ich so wütend auf dich war, weißt du? Henry … Henry ist mein bester Freund, ich hab ihm von dir erzählt und er hat von Anfang an gesagt, er würde dich gern mal kennen lernen. Er meinte, du würdest nett klingen und interessant und wie eine neue Erfahrung …“ Moment. Heißt das … „Hat er geplant, mich abzufüllen und mich dann abzuschleppen?“ „Nein. Nein, das nicht. Er … meinte, er würde sich mit dir unterhalten und mal sehen, ob sich mehr machen lässt. Seit ich ihn kenne, war Henry immer der, der sich nie auf Beziehungen eingelassen hat, sondern lieber wen neues ausprobierte – nicht, weil er Angst vor festen Bindungen hat. Er ist einfach … experimentierfreudig und wartet auf die Person, die genauso vielseitig ist, wie er selbst. Haben ihm schon viele übel genommen. Mädchen wie Jungs, alle waren sie enttäuscht. Sie alle haben sich mehr erhofft, obwohl er ihnen nie vorgegaukelt hat, sie zu lieben. Henry will auch nicht nur Spaß. Seine Suche nach der Person, die nicht nur Spaß ist, sondern mit der er es ernst mein, sieht nur ein wenig anders aus, als die der meisten Menschen. Mit mir hat er’s auch schon versucht … Es hätte sogar funktionieren können, aber wir haben festgestellt, dass wir eher freundschaftliche Gefühle füreinander haben. Um wieder zum Thema zurückzukommen, habe ich gewusst, dass der Abend vielleicht damit endet, dass du dein Versprechen brichst, ich war mir sogar schon sicher und konnte mich dementsprechend vorbereiten. Außerdem habe ich gedacht, ich würde es nicht sooo schlimm finden. Immerhin war es kein weltbewegendes Versprechen wie das, einem auf ewig treu zu sein. Aber als ich dich mit Henry gesehen habe, hat es verdammt wehgetan. Wie fünf Faustschläge in den Magen, alle nacheinander weg.“ Jun senkt den Blick und scheint zu überlegen, wie er weitermachen soll. Langsam gehe ich auf ihn zu, setze mich neben ihn, er rührt sich nicht. Es fühlt sich seltsam an, neben ihm zu sitzen mit dem Gewissen, dass er meinen Brief gelesen hat. Dass er weiß, wie ich für ihn empfinde, ohne mir gesagt zu haben, was er fühlt. „Und das hing nicht mit dem Versprechen zusammen. Viel mehr damit, dass nicht ich es war, mit dem du getanzt hast und mit dem du verschwunden bist.“ Sein Arm streift meinen und in meinem Körper baut sich ein angespanntes Kribbeln auf. „Ich wollte der sein, dem du beim Tanzen in die Augen siehst. Der, den du anlachst und der, der dich mitnehmen kann. Scheiße mann … Als ich dich am nächsten Tag von Henry abgeholt habe, war so sauer, dass du das nicht gemerkt hast – obwohl du es nicht wissen konntest. Obwohl du keine Ahnung hattest. Ich war so wütend, ich hätte dir am liebsten den Hals umgedreht …“ Er seufzt und streicht mit seinen Fingern leicht über meine Hand, die neben meinem Bein auf dem Bettlaken liegt. Eine zarte Gänsehaut bildet sich auf meinem Handrücken, wandert zusammen mit Juns Fingern meinen Arm hinauf. In seinen Augen liegt ein unbestimmter Glanz, als er weiterredet. „Als ich nach dem Streit bei mir angekommen bin, war ich vollkommen fertig. Ich dachte, mein Leben wäre jetzt so gut wie ruiniert. … Und dann kam der Brief. Nicht mit der Post, sondern persönlich eingeworfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich beim Lesen gezittert habe. Bis zur letzten Zeile.“ Er sieht mir fest in die Augen. „Ich habe einen Stift genommen und das hier aufgeschrieben.“ Behutsam zieht er einen schmalen Zettel aus der Hosentasche und reicht ihn mir: Du bist glücklich verliebt, Ruki. Ungläubig hebe ich den Blick. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, schon während seiner Erzählung, doch meine Zweifel verabschieden sich erst mit diesem einen Satz, den Jun jetzt noch einmal flüsternd wiederholt: „Du bist glücklich verliebt, Ruki.“ Und dann küsst er mich. Er küsst mich nur zart und vorsichtig, als hätte er Angst, ich könnte ihn von mir stoßen. Doch dieser Gedanke ist – wie man sich vorstellen kann – absurd. Meine Arme legen sich um seinen Hals, ich spüre seinen Daumen auf meiner Wange. Ganz leicht streicht er meinen Wangenknochen entlang, immer wieder, als müsse Jun sich davon überzeugen, dass ich wirklich da bin. So wie ich kaum glauben kann, dass er wirklich da ist. Dass wir da sind, wo wir sind. Wir sind hier und das, was wir tun, funktioniert. Das Lächeln, das sich auf meine Lippen legt kommt von ganz allein. Kurze Zeit später liegen wir auf seinem Bett, mein Kopf ruht an seiner Schulter und wir tun nichts weiter, als die Decke betrachten. Immer wieder streichen die Finger seiner rechten Hand über meinen Oberarm. „Takeya ist weg“, sage ich irgendwann, völlig unvermittelt. Ruckartig setzt Jun sich auf. „Was? Wie weg? Warum?“ Und so beginne ich, mir alles von der Seele zu reden. Angefangen beim Pizzaessen, bis jetzt. Am Ende sehe ich Jun an, den Tränen nahe und weiß nicht, was ich noch sagen soll. Doch Jun scheint nichts von mir zu erwarten. Er nimmt mich einfach nur in den Arm und flüstert: „Wir schaffen das. Von heute an schaffen wir alles.“ ___________ BOOOOM!! Ohne das Nachgelaber hier ist das Kapitel genau 4004 Wörter lang! Das ist am nächsten an den 4000 dran als sonst eins *freu* *räusper* Jaaa, das war jetzt auch wichtig -.-" Mit diesem Kapitel geht dann wohl meine große "Auräumaktion" weiter und ich habe das Gefühl, es ist so ziemlich eines der emotionalsten Kapitel bisher - was nicht nur and Maya liegt. Mich würde übrigens interessieren, ob euch interessieren würde, wie das Gespräch zwischen Maya und Aiji ablief, nach Mayas Ausbruch. Also das, von dem M. Ruki morgens erzählt. Wenn Interesse besteht, dann würde ich das eventuell als Bonuskapitel anhängen, wenn die Story fertig ist, oder so ...? Also: Interesse ja oder nein? :) Astrido: Ja, wie das funktioniert, hab ich mich auch immer gefragt ... Da ist Ruki mir dann doch vorraus :D Ich hab zwei Brieffreundinnen und muss mich jedes Mal bemühen, eine Seite voll zu kriegen. Andererseits finde ich Briefe einfach schön klene-Nachtelfe: Freut mich, dass der Brief so gut ankommt :) Bei dem hab ich mir echt Gedanken gemacht von wegen: Interessiert das überhaupt oder sollte man das besser als Dialog schreiben? Sonst ist das doch alles so trocken ... Aber ich hab mich für den Brief entschieden, weil ich sonst nicht viel mit Briefen arbeite in meinen Geschichten. :D ... Du solltest dir mal das Sims 3 Let's Play von Gronkh angucken, da kam die Inspiration her, die ich brauchte, um Frau Wolf zu entwickeln XD Lieben Gruß und bis danni, lady Kapitel 9: Whenever you need me (I'll be there) ----------------------------------------------- 10 Tage später Whenever you need me As long as I´m livin´ I´ll be waitin´ As long as I´m breathin´ I´ll be there Whenever you call me, I´ll be waitin´ Whenever you need me I´ll be there (I’ll be waiting – Lenny Kravitz) Noch immer keine Spur von Takeya. Mittlerweile sucht die Polizei auf Hochtouren, der Sponsor des neuen Theaterstücks hat bereits angedroht, seine Hilfe zurückzuziehen, wenn die Vorbereitungen nicht bald beginnen – für die Miyavi leider unabkömmlich ist. Doch dem scheint das momentan scheißegal zu sein. Völlig apathisch läuft er durch die Wohnung, in irgendwelchen Joggingklamotten, die Augen blutunterlaufen und ungeschminkt. Jetzt bringt es nichts mehr, feiern zu gehen, wie wir es nach Laras Auftauchen getan haben. Nichts scheint auch nur ansatzweise wichtig zu sein oder ihn berühren zu können. Versucht man, ihn anzufassen, zuckt er zurück. Will man mit ihm reden, reagiert er nicht. Fast überallhin schleppt er das Telefon mit, immer wenn es klingelt, reicht er es allerdings an Uruha weiter. Maya, Aiji und ich werden täglich fast aus dem Haus gejagt, damit wir nicht ständig auf dem Arsch hocken und uns gegenseitig runterziehen. Jenni und Jun geben ihr Bestes, uns auf andere Gedanken zu bringen. Sie gehen mit uns Schlittschuhlaufen, zeigen uns die schönsten Ecken der Stadt und ziehen mit uns nächtelang durch irgendwelche Clubs, während Uruha versucht, an Miyavi heranzukommen. Doch nichts hilft. Alle Gedanken sind bei Takeya. Wohin auch immer wir gehen, was auch immer wir tun: Sein kleines Gesicht findet uns überall. Selbst wenn ich in Juns Armen liege, höre ich noch sein helles Lachen und frage mich, ob ich den Kleinen je wiedersehen werde. Gerade jetzt sitzen wir bei ihm auf dem Sofa und schauen irgendeinen Film, von dem ich kaum etwas mitbekommen habe. Juns Lippen streichen leicht über meine Schläfe, drückt mir dann einen Kuss aufs Haar. Ich drücke meinen Kopf gegen seine Schulter und schließe die Augen. „Ruki, ist alles in Ordnung bei dir?“, flüstert mein Freund leise, doch anstatt zu antworten, kuschele ich mich energisch in seine Arme und kneife die Augen noch fester zusammen. Ich will nicht antworten müssen. Aber ich hätte mir gleich denken können, dass das nicht funktionieren wird. Jun macht sich viel zu viele Sorgen um uns, als dass er mich mit Augenzusammenkneifen davonkommen lässt. Der Fernseher wird anscheinend ausgestellt, denn es wird still, dann wird mein Kopf angehoben. „Ru, bitte mach die Augen auf, okay?“ Ich schüttele den Kopf. „Doch, komm, Augen aufmachen.“ Sanft stupst er mich mit der Nase an, streicht mir über die Wange. „Bitte, Ruki.“ Gaaaaanz langsam öffne ich erst das eine Auge einen Spalt, dann das andere – und hätte sie angesichts des besorgten Blicks meines Freundes am liebsten sofort wieder geschlossen. „Bei euch ist nicht alles in Ordnung, oder?“, fragt er leise. Ich schüttele den Kopf. „Nein, gar nichts ist in Ordnung. Seit gestern spricht Miyavi nicht einmal mehr das Nötigste. Er weicht uns sogar aus! Ich meine, du kennst die Wohnung von den dreien: Sie ist zwar nicht gerade winzig aber auch nicht besonders riesig. Und Miya schafft es, uns trotzdem nur ungefähr zweimal am Tag kurz zu treffen. Das macht mir Angst, Jun.“ „Hmhm …“ Gedankenverloren vergräbt er die Nase in meinem Haar und zieht mich auf seinen Schoß. Behutsam verschränken sich seine Hände mit meinen. „Das ist mehr als verständlich, Ruki. Aber du musst aufpassen, dass du dir nicht zu viele Gedanken machst. Es hilft nicht, wenn ihr alle euch verrückt macht! Uruha kann sehr gut mit Menschen umgehen, besser als du und besser als ich. Ich bin mir ganz sicher, er kriegt ihn wieder hin.“ „Meinst du wirklich?“ „Bestimmt. Er kann das, man muss ihm nur vertrauen!“ „… Vielleicht hast du Recht …“ Müde hebe ich den Kopf und lächle Jun schief an. „Trägst du mich hoch?“ Mein Freund grinst und schüttelt den Kopf. „Du kleines verwöhntes Ding. Was würdest du nur ohne mich tun?“ Ja, das weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich würde ich völlig verzweifeln … Oder mein Umfeld in die Verzweiflung treiben – oder beides. Während mein Freund mich hochhebt und mir einen zarten Stups mit der Nasenspitze versetzt, habe ich tatsächlich zum ersten Mal das Gefühl, wir könnten Takeya finden. „Achtuuuung, Arschbomböööööö!!“, schreit Henry und landet einen Meter neben meinem Kopf platschend im Wasser. Prustend kneife ich die Augen zusammen. Ja, genau, Arschbomböööööö … Das nächste Mal hoffe ich, er kann mich ein bisschen eher vorwarnen. „Mein Gott, Henry! Jetzt erschreck doch den armen Ruki nicht so!“ Jenni taucht neben mir auf und spritzt Juns bestem Freund eine Ladung Wasser ins Gesicht. Er lacht, spritzt zurück und ehe ich mich versehe, befinden wir uns in der ersten Wasserschlacht seit Langem. In den letzten Tagen sind Maya, Aiji, Jun und ich häufig schwimmen gegangen. Einerseits, um uns nicht in der Wohnung aufhalten zu müssen, andererseits um den Kopf frei zu bekommen. Bahnen schwimmen ist die beste Möglichkeit, um in seinem Hirn auf Durchzug schalten zu können. Unterwasser ist es still, man muss sich nur auf den nächsten Schwimmzug konzentrieren, auf die Bewegung durchs Wasser, aufs Vorankommen. Niemand stört einen oder redet dazwischen, es gibt nur das Element und dich. Viele Menschen sagen, ihr Kopfleerer wäre das Joggen – habe ich früher schon häufig ausprobiert, aber Tokyo ist nicht unbedingt der genialste Ort und zum Joggen, wie ich feststellen musste. Außerdem muss man sich beim Laufen immer irgendwie beschäftigen, damit es nicht langweilig wird. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich muss dabei Kaugummi kauen, nachdenken oder Musik hören. Und dabei kann ich nicht abschalten. Dann habe ich was zu tun und bin nicht frei von Allem. Schwimmen ist einfach ein stiller Sport, den man für sich allein betreibt. Der einsame Wolf zieht seine Bahnen … So ungefähr. Doch die gewünschte Erlösung ist bisher nicht gekommen. Ich habe auf sie gewartet, die ganze Zeit, aber es hat nicht funktioniert. Heute allerdings, wo Henry beschlossen hat, uns zu begleiten, scheint alles gut zu sein. Juns bester Freund ist ein unglaubliches Energiebündel und seine nicht allzu aufdringliche gute Laune wirkt sich zumindest teilweise auch auf mich aus. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich mit heute noch keine zehn Minuten am Stück Gedanken um Takeya gemacht. Immer, wenn ich drohe, in die düsteren Regionen meines Gehirns vorzudringen, ist irgendjemand da, der mich Unterwasser drückt oder mich spaßeshalber ins Becken schubst. Wärend Jenni, Jun und Henry nicht da, wäre ich wahrscheinlich kurz davor, nach Hause zu fliegen, um diesen ganzen Mist nicht mehr mitmachen zu müssen. Plötzlich packt mich jemand von hinten, lacht neben meinem Ohr laut auf und zieht mich dann mit sich nach unten. Ich kann gerade noch nach Luft schnappen und die Augen zukneifen, bevor das Wasser über mir zusammenschlägt. Jun. Hätte ich mir denken können. Innerlich mit den Augen rollend, beginne ich zu zappeln, winde mich hin und her, versuche, ihn mir mit meinen etwas unkoordinierten Tritten zu treffen. Es gelingt mir tatsächlich, mich zu befreien und ich tauche auf, spucke Wasser und drehe mich gespielt empört zu meinem Freund um. „Juun! Wie kannst du nur! Das ist ja mal … Nicht zu glauben!“ Er lacht, drückt mir einen Kuss auf die Stirn, fährt sich dann mit der Hand durch das nasse pinke Haar, das so durchtränkt beinahe lila aussieht. „Jetzt hab dich nicht so, mein kleines Miesepeterchen. Je mehr Wasser, desto besser! Wasser mach sauber, weißt du?“ „Heißt das, ich bin dir zu unhygienisch?? Na waaarte!“ Glücklicherweise ist das Wasser hier seicht genug, um mich geradeso laufen zu lassen, sodass ich meinen Freund zu Fuß verfolgen kann – es ist recht umständlich, gleichzeitig zu schwimmen und jemandem Wasser hinterher zu spritzen. Kurz bevor ich meinen Unterwasserzieher jedoch erreicht habe, umarmt Maya mich von der Seite. „Hey!“, rufe ich, „Was soll das! Ich muss Jun malträtieren!“ „Und ich dich!“ Lachend beginnt er, sich im Kreis zu drehen, mich mit einem Arm festhaltend, en anderen ausgestreckt, damit ich auch ja viel Wasser abbekomme. … Zu meinem Glück habe ich es geschafft, irgendwann aufs Klo zu flüchten, wo ich allein zu sein scheine. Jedenfalls höre ich nichts, was anderes vermuten lässt. Wie schön. Kein Lärm. Endlich mal. Das bedeutet übrigens nicht, dass ich nicht froh bin, ein wenig Trubel um mich zu haben, nein, darüber bin ich wirklich froh. Aber ich war noch nie den Mensch, der das längere Zeit am Stück haben kann. Stumm starre ich mein Spiegelbild an. Müde Augen starren mich an, sehen aus, als wäre das Feuer hinter ihnen erloschen, das sie einst zum Leuchten gebracht hat. Wie in Trance strecke ich die Hand nach meinem eigenen Gesicht aus. Wie lange habe ich mich selbst nicht mehr angesehen? „Hey, Ru, was machst du denn? Du guckst schon wieder wie 50 Tage Regenwetter! So wird das mit der guten Laune nichts, Kleiner …“ Erschrocken zucke ich zusammen und bemerke erst jetzt, dass Jun hinter mich getreten ist. Sanft lächelnd schlingt er die Arme von hinten um meinen Bauch und legt den Kopf auf meine Schulter. Die Lippen meines Freundes setzen mir einen wintzigkleinen Kuss hinters rechte Ohr, während die Finger seiner Hand sich immer weiter nach unten bewegen, gaaaaanz unschuldig und beinahe verspielt, bis ich sie festhalte. „Was wird das?“, frage ich, meine Stimme zittert. Jun lacht lautlos. „Das wird deine endgültige Ablenkung …“ „Aber, doch nicht hier!“ Meine Worte machen einen fast panischen Überschlag. Das ist doch nicht sein Ernst! Wir sind … in einem öffentlichen Schwimmbad! Und selbst, wenn wir bei ihm zu Hause wären … Wir sind noch nicht wirklich lange zusammen – jedenfalls nicht lange genug, um … ähm … ihr wisst schon. „Warum nicht? Siehst du hier irgendwen? Keiner da … Wir sind allein.“ „Jun, ich … Könnten wir einfach wieder zu den anderen gehen? … Bitte?“ Mein Freund hinter mir seufzt, schiebt seine Hand allerdings gehorsam wieder höher und haucht mir nur einen Kuss in den Nacken, was mich kichernd die Schultern hochziehen lässt. „Du solltest dir wirklich abgewöhnen, so kitzelig zu sein, Ru. Das kann böse enden.“ Er zwinkert mir über den Spiegel zu, greift dann nach meiner Hand. „Okay, dann gehen wir mal zu den anderen, hm?“ Ich nicke, folge ihm mit reflexartig hochgezogenen Schultern. Unsicher sehe ich mich um. Das ist hier immer noch alles … öffentlich. Was, wenn ich es nicht gestoppt hätte? Hätte ich das gewollt? Nein, wahrscheinlich nicht. Ich liebe Jun über alles, ja, und ich kann mir kaum noch vorstellen, ohne ihn zu sein, doch das, was er eben vorhatte, dafür brauche ich noch Zeit. Aiji begrüßt uns mit hochgezogenen Augenbrauen, auf Henrys Lippen liegt ein Grinsen – ich beschließe, nicht wissen zu wollen, was die gerade denken. Die einzige ohne Hintergedanken schein Jenni zu sein, die uns anlacht. „Wollt ihr nicht wieder reinkommen?“ Ich hätte zur Seite springen sollen, als ich meinen Freund hinter mir lachen hören habe, doch anscheinend ist a) meine Reaktionsschnelligkeit nicht die beste und b) meine Gutgläubigkeit zu hoch. Jedenfalls höre ich Jun noch „Und wie gern wir das wollen!“ rufen, bevor seine Hände mich unsanft in den Rücken stoßen, ich nach vorn fliege und aufs Wasser zu segele. Gerade als ich den Mund öffne, um einen etwas verspäteten überraschten Schrei auszustoßen, da komme ich auch schon auf und mein liebstes Element begrüßt mich, indem es mir in Mund und Nase läuft. Super. Es gibt ja auch nichts auf dieser Welt, das besser schmeckt als Chlorwasser! Hmmjamjam, fast so gut wie von Tim Melzer höchstpersönlich zubereitet. Während ich auftauche, höre ich Jenni, Henry, Maya und Aiji lachen. Danke, ich Lieben, ich freue mich wirklich, dass ihr so einen Spaß habt. Noch immer brennen Juns Berührungen am Bund meiner Badehose. Lächelnd beobachte ich, wie Maya Aiji zu überreden versucht, dass es sich lohnen würde auszuprobieren, wie lange sie sich gleichzeitig gegenseitig füttern können, bis eine ihrer Nudeln auf der schneeweißen Tischdecke landet. Ein Vorhaben, das nach wenigen Sekunden erledigt sein dürfte, wenn ich mir den hibbeligen Flummi so ansehe. Wir sitzen beim Italiener, haben uns dieses Mal für die unterschiedlichsten Varianten von Nudeln entschieden. Man will kaum glauben, dass die Gerichte so abenteuerlich aussehen, wie die unsere halb zahnlose Bedienung (ich hab mich echt gefragt, ob der Typ schon so viele Schlägereien hinter sich hat, oder ob an ihm einfach nur die exklusiv hier erfundenen Rezepte ausprobiert worden sind, von denen er uns so begeistert erzählt hat – mit zahnlückenbedingtem Sprachfehler, versteht sich). „Och komm schon, was hast du zu verlieren?“, bettelt Maya und zieht einen Fluntsch, der selbst einen Stein zum Erweichen gebracht hätte. Schade nur, dass Aiji härter ist, als ein Stein. „Maya, da gibt es so einiges: Meine Ehre, die natürliche Würde, die ich ausstrahle und meinen blitzblanken Pullover.“ Ich grinse. Wer, abgesehen von Aiji, würde so mit dem Flummi umgehen können? Wahrscheinlich niemand. Mayas Fluntsch wird noch größer, aber er gibt nach und beschränkt sich darauf, sich selbst mit Nudeln zu versorgen. Schmollend stochert er in seiner Soße herum, sein Haar fällt ihm in die Stirn. Aiji streicht es ihm hinters Ohr. „Nicht schmollen, Flummi, du willst dich bestimmt auch nicht blamieren.“ „Was macht ihr heute eigentlich noch so?“, fragt Jenni, bevor sie einen Schluck ihrer Cola trinkt. „Also“, beginne ich und schmiege meinen Kopf an Juns Schulter. „Ich komme noch mit zu Jun und Maya und Aiji wollen sich einer Nachtwächtertour anschließen, bei der es einen englischsprachigen Begleiter gibt – das verstehen die zwei nämlich recht gut.“ „Soweit ich weiß, geh ich noch mit Markus und Olli einen trinken“, meint Henry. „Wenn du mitwillst, Jenni, das ließe sich einrichten.“ „Och, warum nicht? Die hab ich schon länger nicht mehr gesehen … Hat Olli immer noch den hässlichen Haarschnitt mit den lila Strähnen, die er sich wegen dieser Tussi hat machen lassen, die er dann leider doch nicht flachlegen konnte?“ „Jap.“ „Boah, wie kann man auch auf so was wetten? Da muss man echt dumm sein. Bei weißblonden Haaren lila Strähnchen? … Sieht aus, als wäre er Testobjekt für irgendein missglücktes Kosmetikprodukt gewesen.“ Henry, der gerade etwas getrunken hat, spuckt fast über den ganzen Tisch und verschluckt sich vor Lachen halb. Aiji klopft ihm auf den Rücken, bis er sich wieder gefangen hat, dann schaut Juns bester Freund auf seine Uhr. „Oh, und wir sollten dann auch los. Markus meinte, wenn ich nicht pünktlich zum Vorglühen auftauche, köpft er mich gleich dreifach – er will mir seine neue Freundin vorstellen. Vollbusiges Blondchen mit meterdicker Schminke, glaub ich … Sofern ich Ollis Ausführungen richtig verstanden hab – es war recht undeutlich, weil Markus ständig dazwischen geschrien hat. Und unser Treffen beginnt laut meiner Uhr in einer Viertelstunde.“ „Na dann wollen wir mal“, antwortet Uruhas Freundin und rutscht von ihrem Stuhl. Sie nimmt ihre Jacke, hakt sich bei Henry ein und wartet, bis er den Ärmel seiner Jacke gerichtet hat. Die beiden sehen aus wie ein eingespieltes Geschwisterpaar, als würden sie viel Zeit miteinander verbringen, obwohl sie sich auch nur über das Schulprojekt kennen, von dem sie auch Jun kennt – allerdings haben sie den Kontakt wohl besser gehalten. Beim Weggehen zwinkert Henry meinem Freund und mir kurz zu. „Ich wünsch euch beiden viel Spaß!“ Gott, was denken die bloß alle? „Dass wir’s miteinander treiben, was sonst?“ Jun lächelt und ich bin ihm unglaublich dankbar, dass er nicht grinst. Es hat mich ziemlich viel Mut gekostet, ihn zu fragen, warum alle sich so komisch verhalten, ich hätte mich verarscht gefühlt, hätte er gegrinst. „Ruki, du musst das verstehen: Wir sind zusammen und beide nicht mehr unerfahren, was Beziehungen angeht, Da liegt die Vermutung nahe, oder?“ „Ja, schon … aber …“ „Aber?“ „Weißt du, Reita war immer so … so zielgerichtet, so, als wäre ich nicht mehr als ein Spielzeug. Er hat mich geliebt, aber seine Art war anders, wenn es darum ging, das auszudrücken. Die meisten nehmen Rücksicht, er war eher so drauf, als wolle er mich beherrschen … Manchmal hat es sich angefühlt, als würde ich ein kleines, nicht bedeutendes Etwas sein, das ohne ihn verloren ist. Seine Freunde haben mich als eine Art Errungenschaft von ihm angesehen. Sie haben es als beachtenswert empfunden, wenn Reita mich mal wieder rumgekriegt hat. … Deswegen … Na ja, ich mag es nicht, wenn irgendjemand darüber redet, verstehst du? Also über etwas, was sie eigentlich nichts angeht.“ „Ja, verstehe ich … Sehr gut sogar. Ich rede mit Henry, in Ordnung?“ „Hmhm“, bejahe ich und lasse mich bereitwillig in Juns Arme schließen. „Mein kleines, süßes Mäuschen soll sich wohl fühlen können“, lächelt mein Freund und zieht mich für einen kleinen, süßen Kuss zu sich herauf. „Hast du“, frage ich an seinen Lippen, während sich unter seiner Hand, die über meinen Rücken streicht, eine wohlig kribbelige Gänsehaut ausbreitet, „mein Handy gesehen?“ „In deiner Arschtasche“, murmelt Jun zurück, kurz darauf spüre ich seine Finger an meinem Hintern, wie sie sich in die Tasche stehlen, um mein Handy heraus zu ziehen. Langsam gleiten sie, das Mobiltelefon mit sich bringend, über meinen Arsch, meinen Rücken, mein Schulterblatt, dann landet es zwischen uns auf der Matratze. „Musst du dich jetzt darum kümmern?“ „Nein, nicht wirklich. Möchte nur drangehen können, falls Miyavi anruft.“ Das möchte ich wirklich. Es ist schon fast verrückt, wie sehr ich auf seinen Anruf hoffe. Als wollte ich, dass er mich bei sich braucht. Als würde ich nur darauf warten, ihm helfen zu können. Immerhin bin ich seit Jahren der Mensch, dem er mit am Meisten vertraut. Ich will irgendetwas dafür tun können, dass es ihm besser geht – vor allem nach so einem Tag, an dem ich Spaß hatte, während er verstört auf seinem Bett hockt und weder vernünftig spricht noch isst. „Sollen wir zu euch fahren?“, fragt Jun, der mittlerweile aufgestanden ist, um seine kleine Schwester zu besänftigen, die seit einigen Minuten im Flur herumschreit, sie wolle jetzt unbedingt Plätzchen backen, doch gerade als er die Tür öffnet, taucht seine Mutter im Flur auf und nimmt die Kleine auf den Arm. „Fabian? Ist Takanori da?“, fragt sie interessiert, steckt aber netterweise nicht Kopf herein. Nein, ich hab nichts gegen Juns Mutter, aber es war mir schon mit Reita peinlich, wenn seine Eltern sich nach mir erkundigt haben – und jetzt ist es genauso. „Ja, ist er. Sag mal, Mama? Könntest du uns vielleicht ein paar Kekse bringen?“ Ich kann das Grinsen aus der Stimme seiner Mutter fast hören, als sie erwidert: „Gerne doch. … Aber passt mir auf, dass ihr nicht zu viel esst.“ „Natürlich, Mama, wir essen ja auch soooo schrecklich viel. Danke, ne?“ „Kein Problem. Ich komme gleich.“ Lächelnd kommt Jun wieder zu mir zurück und hockt sich auf die Bettkante. „Sollen wir jetzt fahren?“ „Nein, besser nicht. Als ich heute Morgen gefahren bin, hat Uruha gesagt, er würde heute zumindest mal mit irgendeinem Psychologen telefonieren, um zu gucken, ob man Miyavi nicht irgendwie zum Essen bringen kann – obwohl ich bezweifle, dass man sich mit solchen Fragen an Psychologen wendet. Aber ich glaube, so langsam ist auch Uru mit seinem Latein am Ende. Wahrscheinlich würden wir sie nur stören.“ „Sicher?“ „Ganz sicher. Wenn sie mich brauchen, dann rufen sie-“ In diesem Moment klopft es an der Tür und Juns Mutter betritt den Raum, einen großen Teller mit Keksen in den Hand. Fröhlich lächelt sie uns an. „Ach nein, wie süß … Da will ich euch zwei auch gar nicht länger stören. Bin schon wieder weg!“ Kaum steht der Keksteller neben uns, ist die Frau auch schon wieder bei der Tür, blinzelt ihrem Sohn noch einmal verschwörerisch zu – noch so eine, die was Falsches denkt, wie schön – und schließt dann die Tür hinter sich. Mein Freund wendet mir das Gesicht zu, grinst. „Sorry“, sagt er leise, während er sich einen Keks nimmt, „Sie freut sich nur, dass ich wieder jemanden habe. Du musst wissen, auf die Dauer werde ich sonst unerträglich fürsorglich – immerhin habe ich dann nur meine kleine Schwester und meine Ma, auf die ich aufpassen kann.“ „Aha“, gebe ich leise zurück, nehme mir ebenfalls ein Stück Gebäck. Lange sitzen wir schweigend da, essend und auf das Bild auf der anderen Seite des Raumes starrend: Der Eifelturm. Paris, die Stadt der Liebe. Ob es Absicht von Jun war, ausgerechnet dieses Bild in Sichtweite des Bettes zu hängen? Obwohl … im Prinzip wäre das ein ziemlich großer Zufall, denn in Sichtweite des Bettes hängen sehr, sehr viele Poster … Also vielleicht doch keine Absicht. Ich könnte genauso gut Basilica San Marco angucken, oder das Burj Al Arab, oder die Freiheitsstatue, oder die Opernhalle von Sydney … Es gibt ewig viele Möglichkeiten. Trotzdem: Ich sehe mir allein schon aus Prinzip den Eifelturm an. „Paris … Meinst du, da können wir irgendwann mal zusammen hin?“, fragt Jun neben mir, der anscheinend meinem Blick gefolgt ist, und gibt mir einen federleichten Kuss auf die Wange. „Wäre bestimmt schön. … Warst du schon mal in Paris?“ „Nein, noch nie. Außerdem spreche ich kein Französisch … Ein Bekannter meiner Eltern war mal dort und musste zum Arzt, er hat versucht, Englisch mit dem zu sprechen. Der Arzt hat gesagt, er würde sterben und ist rausgegangen. Einfach so. Keine Untersuchung, kein gar nichts. Franzosen mögen es nicht, wenn man ihre Sprache nicht spricht.“ „Ich weiß, aber das wäre doch echt romantisch“, nuschelt Jun in mein Haar, fährt mit seinem linken Zeigefinger mein Schlüsselbein nach; ich schließe die Augen. „Wir zwei, ganz allein, in der Stadt der Liebe?“ „Vielleicht sollten wir darüber nachdenken …“, flüstere ich tonlos und genieße die sanfte Wärme auf meiner Haut. Es ist ein schönes Gefühl, dass Jun nicht von mir erwartet, zu funktionieren. Meine Zeit mit Reita hatte auch ihre schönen Seiten, sonst wären wir nie so lange zusammen gewesen, und auch er konnte liebevoll und zärtlich sein. Doch wenn er irgendwas wollte, hatte ich es zu tun oder es gab Zoff. Und diesen Zoff wollte ich mir häufig lieber ersparen – nicht nur, weil die Dekoration meiner Mutter meist darunter leiden musste. Ich habe mich damals gefühlt, als wäre ich ein Roboter aus Fleisch und Blut, mit schlagendem Herzen, der programmiert wird von dem Menschen, der eigentlich am behutsamsten mit ihm umgehen sollte. Jun hingegen lässt dem Roboter seinen eigenen Willen. Er lässt mir meinen Willen. Mit Reita hätte ich hier nie liegen können, ohne dass irgendetwas passiert. Nie. „Nicht nur nachdenken. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, nachdem du zurück nach Japan bist, könnten wir uns dort treffen.“ Lächelnd spielt mein Freund mit einer meiner Haarsträhnen. „Wir nehmen uns ein schönes Hotel, laufen an der Seine entlang, essen Eis, machen Fotos – aber den Louvre lassen wir bitte aus, ich mag Kunst nicht. Ich find‘s gruselig zwischen den Vermächtnissen von toten Pinselfreunden rum zu stiefeln.“ Ich grinse, kann uns schon auf einer kleinen Band am Wasser sitzen sehen, vor uns ein Touristenschiff auf der Seine, ein Mann spielt Akkordeon. Ein schöner Gedanke. „Meinetwegen könnten wir stattdessen auch ins …“ Mein Handy klingelt. Die Melodie von We are the world schreckt uns aus unseren Tagträumereien. Erschrocken fahre ich auf, suche die ganze Matratze nach dem Handy ab, bis ich es halb unter Juns Oberschenkel finde und hebe es ans Ohr. „Ja?“, frage ich atemolos. „Ruki“, kommt es vom anderen Ende. Miyavi. Seine Stimme bebt, ich kann nicht sagen, ob vor Wut oder vor Trauer. Wahrscheinlich trifft beides zu. „Die Polizei hat angerufen. Sie haben Takeya gefunden.“ ___________________________________________ So, so langsam kommen wir zum Ende. Meinen Berechnungen zu Folge, werde ich heute (30.12.11) noch zwei Kapitel und den Epilog "in Auftrag" geben und hoffen, dass alles morgen freigegeben ist. :D Dann hab ichs nämlich geschaaaaafft! *freu* Das Bonuskapitel, an dem ihr anscheinend wirklich interessiert seid *mich noch mehr freu*, ist zum Glück nur ein Bonuskaitel, sodass es nicht zu der Fassung der Geschichte gehört, die -hoshi- gelesen haben sollte - daher kommt es nach Neujahr. Aber es kommt. Versprochen ist schließlich versprochen! :) Astrido: Da magst du Recht haben ... Huch, da hab ich beim Schreiben gar nicht drüber nachgedacht ... Sieht man mal, wie gut Feetback ist *dich lieb anlächel* Danke, dass du mich drauf aufmerksam gemacht hast! Ich weiß nicht, ob ich es jetzt noch ändern werde, aber ich werde es mir für Zukünftiges merken. bouXnyappy: OMG, Maya ... Das hab ich beim Schreiben auch gedacht XD Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass darauf viel mehr Leute eingehen *grins* Ja, Jun ist echt lieb. Ich glaube, was besseres als er geht für Ruki eigentlich gar nicht, nach der etwas "dominanten" Führung der Beziehung von Reita. (Bei dem es mir übrigens leid tut, dass er hier so ein Arsch ist, weil ich ihn eigentlich mag, aber es muss leider ...). Tja, was Takeya angeht: Die Auflösung kommt im nächsten Kapitel. ;) Kaito-: So viele Gedanken ... Hm, Ruki ist ein bisschen wie ich, ich mach mir auch immer über alles Gedanken. Vielleicht mag ich ihn ja deswegen so :) Aber ich glaube, ein so großer Unglückskeks (das wort find ich übrigens voll süß *.*) bin ich nicht ... kampfschi-sama: Ich liebe emotionale Achterbahnen :D Bei mir gibts immer Gefühlswirrwarr vom Feinsten - zumindest früher oder später. Und Miyavi tut mir auch leid. Ich hasse es, ihn so leiden lassen zu müssen, aber irgendwie war es notwendig für meine Storyline ... *snüf* lg und ein besonderes Danke an meine neuen Kommentarschreiberleute, lady Kapitel 10: You've gone too far ------------------------------- You’ve gone too far You've gone too far Get up, Get up Who you thing you are? Get up so we can finish this Is that what you came for? (This means War – Nickelback) Wir fahren so schnell, dass ich fast Angst habe, Jun würde gleich die Kontrolle über den Wagen verlieren. Ich habe nur aufgelegt und ihm erzählt, dass die Polizei ihn gefunden hat und schon hat er mich an der Hand gepackt und die Treppe runter in die Garage geschleift. Jetzt sind wir unterwegs zu Miyavi und Uruha, um mit ihnen gemeinsam zum Polizeipräsidium zu fahren – beziehungsweise ihnen zu folgen, denn wir beide haben keine Ahnung, wo wir herfahren müssen. Ich japse auf, als der Anschnallgurt mir in den Hals schneidet und ich nach vorne gerissen werde. Vor uns ist eine rote Ampel. „Scheiße!“ Wütend versetzt Jun seinem Lenkrad einen Schlag, trifft dabei die Hupe. „Hey“, sage ich leise und lege ihm eine Hand auf die Schulter, „beruhige dich. Eigentlich müsste ich derjenige sein, der hier gleich ausrastet, nicht du. Und jetzt müssen wir uns wirklich keine Sorgen mehr machen, sie haben Takeya.“ Den nächsten Satz sage ich seit dem letzten Wochen zum ersten Mal aus eigener Überzeugung: „Alles wird gut.“ Als wir bei Miya ankommen, sehe ich schon, wie Maya völlig aufgelöst um Uruha rumwuselt, der Miyavi gerade davon zu überzeugen versucht, dass er in seinem Zustand besser nicht fahren sollte. Aiji lehnt am Wagen und betrachtet die Szenerie stumm, als hätte er nichts dazu zu sagen – hat er wahrscheinlich auch nicht. Jun kurbelt das Fenster herunter: „Leute? Wir sind da.“ „Na endlich“, kommt es monoton von Aiji, er packt seinen Freund fast grob am Handgelenk, zieht ihn zu sich und schiebt ihn auf die Rückbank des Wagens. „Kommt ihr?“ „Ja, wir kommen. Und ICH fahre“, sagt Uruha energisch, nimmt Miyavi den Autoschlüssel aus der Hand und steigt demonstrativ auf der Fahrerseite ein. Kaum haben wir am Präsidium gehalten, springt mein bester Freund aus dem Wagen und läuft auf die Tür zu. Uruha seufzt, gibt uns einen Wink, wir sollten ihm nachlaufen – was wir auch tun. „Miya!“, schreie ich und bin schrecklich froh, dass er tatsächlich stehen bleibt. „Könntest du mir vielleicht erklären, was hier überhaupt los ist? Weißt du, wo Takeya gefunden wurde?“ „Ja.“ Die Stimme meines besten Freundes zittert, dieses Mal kann ich Trauer aber ausschließen. Sie vibriert vor Wut. Einer Wut, vor der man Angst bekommen kann. „Und ich gehe da jetzt rein und werde sie so was von fertig machen!“ Hä? Wen fertig machen? Verwirrt folge ich, zusammen mit Maya und Aiji, Miyavi in das Gebäude, wo er gar nicht weiter fragt, sondern einfach ziellos in alle möglichen Ecken guckt. „Kann ich helfen?“, fragt ein ältlicher Mann in Polizeiuniform und lächelt mich fragend an. „Ähm, ja … eventuell … Wir suchen einen gewissen Takeya. Takeya Ishihara. Wir wurden informiert, dass er gefunden wurden und wir ihn hier abholen können.“ „Ach, dieser kleine japanische Junge? Der kleine Frechdachs hat die Kollegin, die auf ihn aufgepasst hat, mit Orangensaft bespritzt, ein fast fertiges Fallprotokoll zerrissen und zehn Minuten geweint, weil wir seine Lieblingskekse nicht haben. … Sind Sie der Bruder?“ „Nein, ich bin der beste Freund seines Vaters. Wo haben Sie Takeya gefunden?“ „Na ja, er war erst wie vom Erdboden verschluckt, doch dann haben wir ihn mit einer jungen Frau in der Stadt entdeckt … Sie schien gut mit ihm umzugehen, aber als wir sie mitgenommen haben, hat sie nicht mit uns reden wollen. Wir wissen nicht wer sie ist und warum sie den Jungen bei sich hatte. … Vielleicht finden Sie das ja raus. Folgen Sie mir bitte.“ Ich winke den anderen zu, um zu signalisieren, dass wir dem Mann folgen sollen und laufe ihm dann nach durch das Polizeipräsidium. Die Wände sind gelb gestrichen, überall hängen Bilder und Fotos, die wahrscheinlich eine gemütliche Atmosphäre schaffen sollen. Aber sein wir mal ehrlich: Wer fühlt sich auf einem Polizeipräsidium wohl? Gerade biegen wir um die nächste Ecke, als ich eine junge Frau entdecke, die von einer Polizistin in ein Zimmer gebeten wird – sie will ihr gerade folgen, da schreit Miyavi hinter mir los: „Ich hätte es wissen müssen! Ich hätte es wissen müssen! Wie konntest du mir das antun?!“ Schnaubend rennt er auf die Frau zu, reißt sie an der Schulter herum – es ist Lara. Ihre Schminke ist verschmiert, als hätte sie geweint, doch ihr Gesicht ist hart wie Stein. Das braune Haar wirkt zerzaust, nicht so ordentlich und gepflegt wie bei unserer ersten Begegnung. „Was sollte das, Lara? Wie kommst du dazu, MEINEN SOHN EINFACH MITZUNEHMEN?! Aus einem RESTAURANT! Das ist Kindesentführung, falls du dir dessen nicht bewusst bist!“ „Das ist es nicht! Takeya ist auch mein Sohn!“ „Ist er nicht! Takeya ist schon lange nicht mehr dein Sohn! Seit du verschwunden bist, ist er nicht mehr dein Sohn. Er ist das Kind, dass du zur Welt gebracht hast, aber er ist nicht dein Sohn!“ Uruha holt uns ein, läuft an Maya, Jun, Aiji und mir vorbei und tritt hinter Miyavi. Vorsichtig legt er ihm eine Hand auf die Schulter, doch mein bester Freund schüttelt sie unsanft ab. „Weißt du, was du mir damit angetan hast?! Du hättest mein Leben um ein Haar zum zweiten Mal zerstört!“ „Pff …“, macht Lara und zwirbelt eine Strähne ihres braunen Haares zwischen den Fingern. „Ich habe dein Leben zerstört? Ich glaube kaum. Wenn, dann war es umgekehrt. Wer war es denn, der mich geschwängert hat?“ Selbst aus einigen Metern Entfernung kann ich sehen, wie Miyavis Kiefermuskeln sich anspannen: Ooooh, Lara, das gesagt zu haben, war ein Fehler. „Und wer wollte nicht verhüten! Ich hab dir gesagt, dass das Risiko besteht! Aber neeeein, du wolltest trotzdem! So viel zu der These, nur Männer denken nur an Sex! Und wir hätten es geschafft, okay? Wir hätten das alles schaffen können!“ Miyas Blick verdunkelt sich, als würden in seinem Kopf Gewitterwolken aufziehen. Seine Fingernägel bohren sich in seine Handballen. „Halt, nein, hätten wir nicht! Früher oder später hättest du mich allein gelassen!“ „Stimmt. Mit einem Menschen wie dir kann man nicht zusammenleben! Was meinst du, warum ich Takeya zu mir genommen habe? Er hat mit mir so viel gelacht, wie er es bei dir sicher nie getan hat!“ Das ist so ungefähr das Schlimmste, was Lara hätte sagen können. Einfach zu viel. Jetzt ist sie einen Schritt zu weit gegangen. Ich sehe gerade noch, wie Miyavi die Hand zurückreißt, da klatscht es auch schon. Mit diesem Geräusch erwacht anscheinend auch die Polizistin, die die ganze Zeit wie hypnotisiert dem Gespräch gefolgt ist, wieder aus ihrer Trance und packt Miyavi grob am Arm. „Hey, was fällt Ihnen ein, ihre Freundin zu schlagen?“, schreit sie, während sie Lara schützend hinter sich zieht. … Als wenn Lara das verdient hätte! Würde die werte Frau Beamtin wissen, wie die ganze Geschichte aussieht, ich wette, sie würde eher Miya beschützen. „Sie ist nicht meine Freundin“, zischt mein bester Freund wütend. „Es gab mal eine absurde Zeitspanne, in der ich das dachte, aber das war der größte Fehler meines Lebens! Diese Frau ist ein Monster! Sie hat meinen Sohn entführt! Wo ist mein Sohn? Wo ist Takeya?“ Ich muss beinahe grinsen, als die Polizistin bei diesem Namen den Mund verzieht. Wahrscheinlich ist sie die Glückliche, deren Fallprotokoll heute in Mitleidenschaft gezogen wurde. Geschieht ihr recht! Diese Frau ist mir – ohne Untertreibung – extrem unsympathisch. „Ihr Sohn“, sagt sie spitz, „wartet den Gang runter. Zweite Tür links. Aber Sie kommen erst mir, und ihre Freunde da auch, damit wir den Fall hier klären können.“ „Ich komme nicht mit, bevor ich nicht Takeya gesehen habe“, beschließt Miyavi entschlossen und verschränkt die Arme vor der Brust. Tja, ich denke, die Polizistin wird keine andere Wahl haben, als ihn gehen zu lassen – an seinen Augen lässt sich nur zu gut ablesen, dass das sein voller Ernst ist. Die Beamtin seufzt. „Gut, dann gehen sie eben. Aber innerhalb der nächsten Viertelstunde erwarte ich sie in meinem Büro.“ Sie deutet auf den Raum, in den sie Lara gerade bringen will, doch Miya hört ihr schon nicht mehr zu, läuft mit langen Schritten den Gang herunter. „Geht klar“, antwortet Uruha an seiner Stelle, folgt seinem Mitbewohner dann zusammen mit uns. Als ich in den Türrahmen trete und meinen besten Freund sehe, könnte ich beinahe heulen. Er steht da, die Schultern hängen herab, jedoch nicht so, als wäre er erschüttert und hilflos, nein, eher als würde eine riesige Last von ihnen fallen. Seine Augen kleben an Takeya, der in diesem Moment den Blick von den Bauklötzen hebt, mit denen er gespielt hat und uns anstrahlt, als wären wir sechs riesige Kugeln Erdbeereis, oder – wenn er eher so denkt wie Maya – sechs übergroße Lollis. „Takeya“, flüstert Miyavi tonlos, sinkt auf ein Knie und breitet die Arme aus. „Papa!!“ Freudig rennt der Kleine auf seinen Vater zu, fällt ihm mit einem kindlichen Quieken um den Hals. „Da bist du ja! Mama hat desagt, du bist weg, aber dat hab is ihr nich dedlaubt!“ Ich erstarre. Mama? Weiß er etwa, dass … „Meine Mama is nämlis gar nich tot, weißt du?“ „Ich weiß, ja, ich weiß“, murmelt Miyavi und vergräbt die Nase im Pullover seines Sohnes. Tränen laufen ihm über die Wangen, sein ganzer Körper bebt vor Erleichterung, Freude und Rührung. Den kleinen heißen Tropen, der mir selbst die Nase herunterläuft, bemerke ich erst, als Jun ihn lächelnd wegwischt. „Hey“, flüstert er dicht neben meinem Ohr und leckt mir kurz über die Ohrmuschel, „nicht heulen, Kleiner. Bist doch ein Mann, hm? Noch nie gehört, dass Männer nicht weinen?“ Ich grinse, während ich seine Hand auf meinen Bauch ziehe. „Nein, noch nie gehört.“ „Aber walum is die denn nich tot? Dat hat du doch desagt.“ „Papa hat sich geirrt, Sweety. Sie ist nicht tot. War sie denn lieb zu dir?“ Takeya nickt. „Willst du sie wiedersehen?“ „Vielleist …“ „Okay … Papa muss das jetzt mal klären, ja? Spielst du hier weiter?“ Liebevoll streicht Miya seinem Sohn durchs Haar. Noch immer sind seine Augen ein wenig feucht, doch man sieht ihm an, dass er sich zusammenreißt. Er will nicht noch mehr weinen, nicht vor Takeya. Und genauso sieht man ihm auch an, dass es ihm wahnsinnig schwer fällt, jetzt aufzustehen, um mit uns zu kommen und seine Aussage aufnehmen zu lassen. Mittlerweile sitzen wir alle bei Takeya und spielen mit ihm Duplo – der Kleine freut sich wie sonst wer, so viele Leute spielen selten gleichzeitig mit ihm. Nur Miyavi ist noch mit Lara bei der Polizistin. Sie sind voll und ganz damit beschäftigt, das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Ich hoffe nur, dass das alles gut geht und es nicht für beide unangenehme Folgen gibt,. Okay, Lara gönne ich das, aber ich finde, Miya hat zu viel durchgemacht, um sich jetzt noch für irgendetwas verantworten zu müssen. Außerdem wüsste ich auch nicht, wofür man ihn verantwortlich machen sollte. Wenn, dann wären wir die, die Schuld mit sich herumtragen. Immerhin waren wir die, die erstens Lara nicht bemerkt haben und zweitens nicht mitbekommen haben, dass Takeya aufgestanden und losgelaufen ist, um sich einen Strohhalm von Tresen zu holen. So war es für Miyas Ex ein Leichtes, den Kleinen zu ködern – sie hat ihm von einem Babykaninchen erzählt, das bei ihr im Auto sitzt –, mitzunehmen und ihm dann die Geschichte zu erzählen, sein Papa hätte sie geschickt, um ihn zu holen, weil sie nämlich seine Mama sei und nun auf ihn aufpassen solle, weil Miyavi eine Weltreise machen wolle – so einen Mist glaubt auch nur ein zweijähriges Kind. „Aua, aua, der Azt muss tommen, der Mann is die Teppe runterdefallen!“ „Der Mann ist die Treppe runtergefallen?“, fragt Jun gespielt entsetzt und greift nach der Duplofigur, die den Arzt darstellen soll. Lächelnd beobachte ich, wie er den Mann verarztet, den die böse Treppe zu Fall gebracht hat und anschließend ein Liedchen darüber singt, wie schön es ist, als Arzt Menschen helfen zu können. In solchen Momenten weiß ich noch mehr als sonst, warum ich diesen Jungen so sehr liebe. Er ist ein so begeisterter Mensch. Egal was er tut, er tut es mit Herz und Seele und freut sich wahnsinnig, wenn er damit andere glücklich machen kann. Leute wie Takeya, Leute wie Jenni, Leute wie mich. Er ist einer von denen, die am liebsten die Welt aus den Angeln heben wollen, um sie so lange zu drehen, bis alles gut wird, bis alles Schlechte in den Weltraum geschleudert wurde. Er ist einer von denen, die nur dann glücklich sind, wenn sie das Gefühl haben, dass auch ihr Umfeld glücklich ist. „Ruhuuu“, kommt es von Maya, der neben mir sitzt. Der Flummi kichert, piekt mir in die Seite. „Nicht so viel träumen! Das sieht aus, als würdest du deinen Freund das erste Mal sehen. Reiß dich mal ein bisschen zusammen. Sag mal, was macht Miyavi eigentlich noch so lange?“ „Er redet mit den Leuten da über den Verbleib von Takeya. Ich glaube, es wird einen Sorgerechtskampf geben – aber wenn ich ehrlich bin: Miya wird wohl kaum Probleme haben, ihn zu gewinnen. Lara ist – so fern ich das richtig verstanden habe – tatsächlich schuldig der Kindesentführung, sie ist abgehauen, weil sie Angst vor der Verantwortung eines Kindes hatte … Miyavi hingegen war immer da, hat sich um Takeya gekümmert, hat ihm immer das Beste ermöglicht. Dieser Mann ist der beste Vater, den ein Kind sich wünschen kann – und Lara die denkbar schlechteste Mutter. Schräge Mischung …“ „Die Hauptsache“, sagt Aiji, der Maya den Kopf auf die Schulter legt, „ist, dass dem Kleinen nichts passiert ist und er von dem ganzen Stress um seine Person nichts mitbekommen muss.“ „DU GEHST DA JETZT SICHER NICHT REIN!“, schreit Miyavis Stimme aus dem Flur. Uruha reagier schnell, hält Takeya die Ohren zu. Laras Silhouette taucht im Türrahmen auf, wird jedoch zurückgerissen. „Du wirst mich und Takeya ab heute in Ruhe lassen! Ganz in Ruhe! Zumindest bis wir vor Gericht stehen. Geh einfach, Lara, du hast für die nächste Zeit wirklich genug kaputt gemacht.“ Schnippisch wirft die junge Frau sich das Haar über die Schulter, verschränkt die Arme vor der Brust und stellt sich leicht breitbeinig hin. „Mi-y-a-vi, ich glaube kaum, dass du mir etwas vorschreiben kannst. Ich bin eine freie Frau.“ „Ja, noch.“ „… Das werden wir sehen. Aber so lange ich frei bin, steht es mir zu, öffentliche Orte zu betreten. Und dieses Zimmer ist einer, soweit ich weiß.“ „Lara, ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber wir brauchen dich nicht. Du hast mit uns und Takeya nicht das Geringste zu tun. Also verschwinde endlich!“ Lara schnaubt, schüttelt den Kopf, tritt aber einige Schritte zur Seite. „Gut, ich gehe“, zischt sie, „aber merke dir eins, Miyavi, ich werde dir nicht kampflos meinen Sohn überlassen. Du wirst von mir hören.“ „Geh ruhig und versuch es. Ich kann dir gleich sagen, dass deine Chancen nicht einmal nennenswert sind. Kein Gericht spricht einer Frau ein Kind zu das sie erst verlassen und dann entführt hat.“ Ein kurzer, stechender Blickwechsel folgt, dann dreht Lara sich um und stapft mit hoch erhobenem Haupt davon. Hui, was für ein Abgang. Beinahe filmreif. Man sieht Miya die Erleichterung mehr als deutlich an, als er in den Raum tritt und uns anlächelt. Ich stehe auf, will auf ihn zugehen, doch kaum habe ich den ersten Schritt getan, liegt mein bester Freund schon in meinen Armen. „Danke, Ruki, ohne dich wäre ich wirklich verzweifelt. Ich bin so glücklich, dass du hier bist.“ „Ja, ich bin auch froh“, flüstere ich zurück, bevor ich die Umarmung erwidere. Der Nächste ist Uruha. Auch bei ihm bedankt Miya sich so überschwänglich, sodass es fast schon ein Wunder ist, dass er nicht wieder mit dem Weinen anfängt. Auch alle anderen werden umarmt, beinahe erdrückt und angelacht, bevor wir uns auf den Weg zu Miya und Uru nach Hause machen. Mein bester Freund hat seinen Sohn auf dem Arm, drückt ihn die ganze Zeit an sich, als hätte er vor, ihn zu seinem siamesischen Zwilling zu machen. Während ich mir Jun in den Wagen seiner Mutter steige, bekomme ich mit, wie die anderen die Sitzordnung im Auto ändern müssen, damit Takeya neben seinem Vater sitzen kann. Selig lächelnd schließe ich die Autotür und lehne mich zurück, hätte beinahe vergessen, mich anzuschnallen, hätte Jun mich nicht daran erinnert. Die ganze Autofahrt über schielt mein Freund zu mir herüber – er denkt wahrscheinlich, ich würde es durch meine halb geschlossenen Augen nicht mitbekommen, was natürlich ein Irrtum ist – und lächelt still vor sich hin, wenn er meinen zufriedenen Gesichtsausdruck bemerkt. Habe ich es nicht gesagt: Jun ist solange glücklich, wie die Menschen in seinem Umfeld glücklich sind. Und es ist einfach, ihm ein kleines Stückchen Frieden zu schenken. Endlich lebt der Abendbrottisch wieder. Wir sitzen alle zusammen, auch Jenni ist vorbeigekommen und trotz der späten Stunde, wir haben es vier Uhr morgens, sind wir putzmunter. Keiner verschwendet auch nur einen Gedanken daran, schlafen zu gehen. Stattdessen holen wir alle Gespräche der letzten Tage nach, all das Gelächter und all die Worte. Es ist so viel passiert in der Zeit, in der hier geschwiegen wurde. Herzen sind gebrochen, Herzen wurden geheilt, alle haben Erfahrungen gesammelt und jeder ist froh, dieses Abendteuer hinter sich zu haben. „Heey, iiih, ich mag keinen Käääseee!!“, kreischt Jenni, als Uruha versucht, ihr eine Goudascheibe auf den Kopf zu legen. „Lass, lass, lass, ich will niiiiicht!“ Abwehrend hebt sie die Hände und wirft Jun einen verzweifelten Blick zu, Mein Freund lacht, springt auf und entwendet Uruha unter Kriegsgeheul die Käsescheibe – doch anstatt sie in den Mülleimer zu stecken, legt er sie, wie sollte es anders ein, auf meine sorgfältig hergestellte Frisur. Ich stoße einen viel zu spitzen Schrei aus, greife mir eine Wurstscheibe und feuere auf sein Gesicht. Allseitiges Lachen, zwei Sekunden später befinden wir uns im dritten Weltkrieg, beschränkt auf dieses Wohnzimmer und mit etwas anderen Waffen: Brötchen, Wasser, Orangensaft, Milch, Wurst, Käse, Tomaten, Paprika, Gurken. Eben alles, was man werfen und auf einem Abendbrottisch finden kann. Maya steht auf einem Stuhl und hat Takeya auf dem Arm, die zwei haben sich Kinderwurst zur Spezialwaffe gemacht, während Miyavi zur Salami und ich zu Tomaten tendiere. Sogar der sonst so ernste Aiji schleudert mit Gurken durch die Gegend, als gälte es, ein Schloss zu verteidigen. Das Ganze endet schließlich damit, dass Takeya Jun ein rohes Ei an den Kopf wirft, das Uruha anscheinend versehentlich mit den gekochten zusammen ins Esszimmer gebracht hat. Jetzt stehe ich mit meinem Freund im Badezimmer und arbeite das klebrige Zeug aus seinen pinken Strähnen heraus. Ich will gar nicht wissen, wie viel Shampoo wir schon verbraucht haben, weil die Hälfte bei unseren unkontrollierten Lachanfällen auf dem Boden landet. Dass man sich ohne auch nur einen Tropfen Alkohol so verdammt besoffen fühlen kann, habe ich auch noch nicht gewusst. Juns T-Shirt ist bedauerlicherweise ohne Wäsche nicht mehr tragbar, also landet es in der Badewanne, die Haare werden einmal durchgerubbelt, dann kehren wir zu den anderen zurück, die bereits dabei sind, das Esszimmer ein wenig in das zurück zu verwandeln, was es war, bevor wir es (ein wenig sehr) demoliert und attackiert haben – das heißt: alle sind dabei, bis auf Uruha und Takeya. Miyavis Sohn liegt friedlich schlummernd und mit Käsestückchen im Haar auf dem Sofa und Uruha kommt gerade zur Tür herein, ein Tablett mit Sektgläsern in den Händen. „So“, sagt er, „ich glaube, wir haben heute wirklich einen Grund zum Anstoßen!“ „Nein, wir haben sogar drei“, verbessert Miyavi und nickt erst zu mir und Jun und dann zu Maya und Aiji herüber, „Mögen sie glücklich werden.“ „Alles klar“, lacht Jenni. „Auf ein bestandenes Abendteuer, Jun, Ruki, Maya und Aiji!!“ „Prost!“ Unser Lachen vermischt sich mit dem Klirren der Gläser. _________________________________________ Endlich, was? Es renkt sich wieder alles in die Richtigen Richtungen :D Aber es liegt auch nur noch ein Kapitel und der Epilog vor uns ... Irgendwie traurig, oder? So ein bisschen ... *snüf* Astrido: Hmmmm, du bist gut, hast mich durchschaut :) kampfschi-sama: Ich hoffe, es hat sich die gute Idee als wahr herausgestellt :D ... Ich glaube nämlich, ich schmecke nicht besonder gut - auch wenn ich mich noch nie probiert habe XD klene-Nachtelfe: Ja, ich finde sie auch süß. Und ich sag schonmal so viel, im letzten Kapitel werden sie noch viel süßer ;D So, für alle, die das an unsere liebe Nachtelfe nicht gelesen haben (Ja, ich weiß, dass das viele machen), ich warne vor: Das nächste Kapitel wird kitschig! ^^ lg, lady Kapitel 11: Don't say anything tonight -------------------------------------- Abend vor der Abreise Don’t say anything tonight Don't say goodbye 'cause I don't wanna hear those words tonight 'cause maybe it's not the end for you and I And although we knew this time would come for me and you Don't say anything tonight If you're gonna say goodbye (Say Goodbye – Skillet) Das erste was ich denke, als ich Juns Zimmer betrete, ist Wow. Ein riesiges, ganz großes Wow. Am besten noch in Rot und mit rosa Herzchen drauf. Denn was ich hier gerade sehe, ist so verdammt süß, dass ich fast am Heulen bin – ohne Untertreibung. Ganz, ganz ehrlich. Jun hat überall im Raum Kerzen aufgestellt, aufgeräumt und eine kleine Spur aus roten Rosenblättern führt bis zum Bett. Sehr kitschig, aber mindestens genauso schön. Und es hat seine Wirkung nicht verfehlt. Selig betrachte ich den schummrig erleuchteten Raum. Wir sind allein im Haus, Juns Eltern und seine kleine Schwester sind irgendwelche Verwandten besuchen, doch mein Freund hat se davon überzeugen können, hier bleiben zu dürfen, da ich morgen abreisen werde. Ein schrecklicher Gedanke. Seit dem Tag, an dem wir Takeya wiederbekommen haben, habe ich auf Wolke sieben geschwebt. Auf einer flauschigen, großen Wolke sieben. Die Tage sind verflogen, so schnell, dass ich kaum glauben kann, schon drei Monate hier zu sein. Jetzt steht mein Studium an und eine lange Zeit ohne die Menschen, die ich hier kennen gelernt habe. „Und, was sagst du?“, fragt Jun leise, während er mir einen Arm um die Hüfte schlingt. „Hab ich gut hinbekommen, oder?“ „Ziemlich gut“, hauche ich, völlig verzaubert von seinem Meisterwerk, und recke mich nach seinen Lippen. Er lächelt warm und kommt mir ein Stück entgegen. Der Kuss dauert lange, ohne dass einer von uns beiden irgendetwas tut. Er hebt uns endgültig in eine Welt, außerhalb des Universums, das mich morgen nach Tokyo schicken wird. Die Hand meines Freundes legt sich in meinen Nacken, meine krallt sich in seiner Schulter fest. Hinter meinen geschlossenen Augen tanzen rötliche und gelbe Punkte vom Kerzenlicht, mein gesamter Körper kribbelt wie wild, als hätte man einen ganzen Eimer Ameisen über meinem Kopf ausgeschüttet. „Schön, dass es dir gefällt … Für Kaviar hat es leider nicht gereicht, aber wenn du hier warten magst, hole ich die genialsten Spagetti Bolognese, die du je gegessen hast, versprochen.“ Verschwörerisch zwinkert er mir zu, ich nicke und dann ist er auch schon verschwunden. Unsicher sehe ich mich um. Wo soll ich mich hinsetzen? Aufs Bett? Die Frage erledigt sich von selbst, als ich den kleinen Tisch sehe, der gedeckt vor einem der beiden großen Fenster steht. Die Tischdecke ist weiß, das Geschirr blitzblank und in der Mitte stehen zwei kleine rote Teelichter in Herzchenform. Gott, ist das süß! Ich … So etwas hätte Reita nie für mich gemacht, nicht in einer Millionen Jahren, nicht im Eintausch gegen den Weltfrieden. „Magst du dich nicht setzen?“, fragt eine Stimme hinter mir, kurz darauf stellt mein Freund einen dampfenden Topf auf dem Tisch ab. „Darf ich bitten, der Herr?“ Galant und bis über beide Ohren grinsend hilft er mir aus der Jacke, zieht mir den Stuhl zurück. Anschließend setzt er sich selbst, lächelt mich an und deutet aufs Fenster. „Guck mal, heute ist es sternenklar. Du hast dir einen schönen letzten Abend ausgesucht, Ruki.“ Sein Gesichtsausdruck ist so weich wie das Fell der kleinen Katze, die ich einmal hatte, als ich sieben war. „Wie viel möchtest du essen? Soviel?“ Mit einer recht ungeschickten Bewegung nimmt er eine riesige Portion Nudeln mit der Spagettizange aus dem Topf. Ich lache, bedeute ihm, dass ich weniger möchte. „Echt?“, fragt er neckisch, „Bei deiner Figur würde ich mich trauen, mehr zu essen. Echt. Aber wie du meinst. … Entschuldige übrigens, dass Soße und Nudeln in einem Topf sind, ich hab das mit dem chic Kochen noch nicht so ganz raus. Als ich fertig war, ist mir dann aufgegangen, dass zwei einzelne Töpfe besser gekommen wären.“ Wäre ich nicht längst verliebt, dann wäre ich es jetzt. Ich lächele. „… Kein Problem.“ Sobald wir beide unsere Spagetti haben, führe ich die erste Gabel zum Mund. Etwas skeptisch betrachte ich die paar Nudeln, nehme sie dann doch zu mir und beginne, den Kopf hin- und herwiegend, darauf herumzkauen, als wäre ich irgendein wichtiger Restaurantkritiker. „Und, schmeckt‘s?“, fragt Jun neugierig. „Hmmm … Ein wenig versalzen.“ Er lacht leise und streicht mir über die Wange. „Bin halt verliebt.“ Mein Gesicht läuft mindestens so rot an wie die Herzkerze auf dem Tisch, mein Freund wirft mir grinsend einen Luftkuss zu. Das Essen vergeht schneller, als ich gedacht habe und ich bin schon jetzt froh, nicht so besonders viel zu mir genommen zu haben – wer weiß schon, was mein Lieblingsspinner noch so mit mir geplant hat. Momentan sieht es jedenfalls sehr stark nach – oh je – tanzen aus. „Bitte, alles nur nicht das!“ „Ach, komm schon, Kleiner, wir sind ganz allein. Niemand wird reinkommen!“ Ich merke schnell, dass Widerstand mehr als zwecklos ist und lasse mich, jedoch immer noch widerstrebend, auf die Beine ziehen. Irgendein Knopf auf einer Fernbedienung wird gedrückt, dann schleicht sich sanfte Musik in den Raum. Charmant legt Jun mir die Arme um die Hüften, ich grinse ein wenig, schlinge die meinen dann jedoch um seinen Hals und lege meinen Kopf vorsichtig an seine Schulter. Wir bewegen uns nicht viel, nur ein bisschen hin und her und im Kreis. So, wie man es in Filmen sieht, wenn das süße, unscheinbare Mädchen auf dem Schulball mit dem heiß begehrten Sportler tanzt. Nur, dass das hier kein Schulball ist, sondern unsere ganz persönliche Abschiedsparty – und, dass Jun kein Sportler ist und ich kein Mädchen bin. Irgendwann sehe ich auf, meine Augen fühlen sich an, als müssten sie vor Strahlen gleich explodieren. Auch Jun wirkt glücklich. Noch viel, viel glücklicher als in der ganzen Zeit, die ich ihn bisher kenne. Sanft streifen seine Lippen über meine Stirn, ich stelle mich auf die Zehenspitzen. „Also nicht weitertanzen?“, fragt mein Freund, kommt näher. Dieser Kuss ist nicht ganz so lang, dafür aber so intensiv, dass ich denke, meine Lippen ständen in Flammen. Mehr. Ich presse Juns Körper gegen mich, verstärke den Druck, ich kann spüren, dass er lächelt. Plötzlich verschwindet der Boden unter meinen Füßen, ich werde in die Waagerechte gehievt. Erschrocken unterbreche ich den Kuss, sehe Jun verwirrt an, doch er schaut mir nur aus seinen großen braunen Augen entgegen, macht keine Anstalten, mich wieder abzusetzen. Einer meiner Mundwinkel hebt sich, dann überbrücke ich die nervigen paar Zentimeter zwischen unsere Lippen. Langsam bewegt er sich mit mir in Richtung Bett, wo er mich ablegt und ernst ansieht. „Du kannst mir sagen, wenn ich aufhören soll, das weißt du?“ Ich nicke, bin mir aber sicher, dass ich darauf nicht zurückgreifen werde. Nicht heute. Auch Jun nickt, streift sich sein T-Shirt über den Kopf und setzt sich vorsichtig breitbeinig auf meine Hüfte. Fragend sieht er mich an, ich schließe die Augen und lächele. Er versteht. Sein Atem streicht meine Lippen, bevor er sie mit seinen verschließt. Meine Finger fahren in sein Haar, sein Kuss löst sich kurz, damit er mir aus meinem doch etwas lästigen Oberteil helfen kann, dann wird dort weitergemacht, wo vor ein paar Sekunden aufgehört wurde. Seine Lippen fahren meinen Hals entlang, kurz beißt er in die zarte Haut, meiner Halsbeuge, dann geht’s es wieder abwärts. Ich stöhne unterdrückt auf, als er bei meiner Brustwarze ankommt, er guckt mich wieder kurz fragend an, ich nicke nochmals. Und schon sind die Lippen wieder da. Mein Atem wird schwerer, tiefer, es fühlt sich an, als würde sich die Elektrizität, die sich in der Luft aufgebaut hat, in meinem Körper ausbreiten. Unglaublich. Schöner, als ich es von Reita in Erinnerung habe. Vielleicht schöner, als es mit Reita jemals war. Hier, bei Jun, bin ich mehr. Mehr als das kleine, unerfahrene Ding, das Hilfe von jemandem braucht, der letztendlich von den wichtigsten Dingen auch keine Ahnung hat. Ich bin mehr wert, ich bin unbezahlbar und ein Teil dieser Welt, den man nicht einfach so ersetzen kann. Wie ein Teil einer Decke, die aus vielen verschiedenen Stücken Stoff besteht. Würde ich fehlen, wäre dem Besitzer der Decke kalt. Wieder stöhne ich auf, dieses mal weniger gut beherrscht, als Juns Zunge in meinem Bauchnabel verschwindet. Kurz darauf wandern die Finger seiner linken Hand, dann die seiner rechten zu dem Bund meiner Jeans. Sie bleiben kurz liegen, doch als ich beginne, mich unruhig zu winden, höre ich meinen Freund kichern und er öffnet Knopf und Reißverschluss. Nachdem erst meine, dann seine Jeans auf dem Boden gelandet ist, krabbelt eine vorwitzige Fingerkuppe meinen Oberschenkel hinauf, zieht Kreise und streicht leicht unter den Stoff meiner Boxer. Ach. Du. Scheiße. Bei dem Laut, den ich jetzt gerade von mir gegeben habe, bin ich unendlich dankbar dafür, dass niemand außer uns im Haus ist. „Du klingst echt süß“, kommt es von etwas weiter unten, dann taucht Juns Gesicht vor meinen verschleierten Augen auf. „Ist wirklich alles okay bei dir?“ Ich nicke heftig, ziehe ihn, ohne weiter darüber nachzudenken, am Nacken zu mir herunter und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen, von dem ich nie gedacht hätte, überhaupt zu ihm fähig zu sein. In diesem Kuss steckt eine fast beängstigende Intensität und Intimität, getrieben von nie geahntem Verlangen. Verspielt schiebt sich Juns Hand an meinem Hintern unter die Boxer. Er kneift mich, mit dem Daumen seiner anderen Hand streichelt er mir federleicht an meiner Seite entlang. Beinahe hätte ich gelacht, doch selbst wenn ich es nicht hätte unterdrücken können, wäre das Kichern nur in einem zittrigen Seufzen untergegangen. Mein ganzer Körper fühlt sich so heiß an, als hätte ich soeben in einem Vulkan gebadet, ich verschlinge Juns Beine mit meinen, sehe ihn an und hebe eine Augenbraue. „Sicher?“, fragt er. „Ja“, antworte ich heiser. Über die halbe Stunde, die darauf gefolgt ist, will ich hier eigentlich kein Wort verlieren. Ich sage nur, dass eine der schönsten halben Stunden meines bisherigen Lebens war. Jetzt liege ich hier, neben Jun, er hat einen Arm um meinen Oberkörper geschlungen. Unsere Atemzüge haben sich schon wieder halbwegs normalisiert, doch mein Blick ist noch immer verschleiert, jedoch nicht vor Lust, sondern vor Glück. Ich bin so glücklich, dass ich gedanklich kurz davor bin, ich auf eine imaginäre Blumenwiese zu stellen und laut in Welt hinauszuschreien, dass ich ein vierblättriges Kleeblatt bin. „Weißt du“, flüstere ich leise, „ich kann mir gar nicht vorstellen, morgen schon …“ „Psst, hör auf. Es ist noch nicht morgen“, unterbricht Jun mich sanft und legt mir einen Finger auf die Lippen. „Ich will heute Nacht kein Wort mehr von morgen hören. Schlaf lieber, mein kleiner, süßer Ruki.“ Liebevoll lächelt er mich an, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und legt sich dann neben mich. „Gute Nacht“, nuschele ich, kurz bevor ich mein Gesicht an seiner Brust vergrabe. ______________________ Tideldideeeeei, das war das letzte Kapiiiteeeel Ein bisschen traurig, aber dafür ein würdiges Ende vor dem Epilog, was? ... Ich hoffe, ihr versteht, dass dieses Kapitel ein wenig sehr viel kürzer ist, aber ich wollte diese Nacht einzeln machen, damit sie ihre Wirkung nicht verfehlt - was sie hoffentlich wirklich nicht hat :D Das ist übrigens das erste Mal, das ich so was schreibe ... Ich hoffe sehr, es ist mir geglückt -.-" lg, lady Kapitel 12: Bonuskapitel: 3 Words --------------------------------- Am Abend von Mayas Wutausbruch. Siehe Kapitel „We found love“ There's only 1 thing 2 do 3 words 4 you I love you There's only 1 way 2 say those 3 words And that's what I'll do I love you (1, 2, 3, 4 – Plain White T’s) Versonnen zieht Aiji die Decke höher, bis sie Mayas Schultern erreicht. Der Flummi ist völlig am Ende, sieht so erschöpft aus, als wäre er den ganzen Weg von Tokyo nach Frankfurt zu Fuß gerannt. Vorsichtig streicht er dem Blonden eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Jetzt sieht er so friedlich aus. „Kleiner, Kleiner …“, murmelt Aiji leise, „was machst du bloß für Sachen?“ Die Antwort darauf war ein Brummeln und eine unkoordinierte Bewegung mit dem Arm, als wolle Maya nach seinem besten Freund greifen. Mit einem zärtlichen Lächeln legt Aiji ihm eine Hand auf die Schulter. Wie kann ein einziger Mensch einem so weltbewegend erscheinen? Wie kann jemand, der nur daliegt und schläft, einfach alles sein, was wichtig ist? Wie kann dieser eine Mensch ein ganzes Leben verändern? Wie schafft Maya es bloß, sich selbst zum Mittelpunkt der Welt zu machen? Diese und noch so viele weitere Fragen sind Aiji bereits durch den Kopf gegangen. Und jetzt, hier, in diesem Zimmer in Deutschland, scheint sein ganzes Herz explodieren zu wollen. Es will die ganzen Emotionen und Farben ausspucken, die darin so lange gefangen waren. Vorsichtig steht Aiji auf, holt seine Zeichenblock und die Bleistifte, setzt sich wieder. Dann beginnt er zu zeichnen. Fängt mit den Konturen des Kiefers an, arbeitet sich hoch zu den Haaren. Es ist nicht einfach, den kalten Lichtkegel der Straßenlaterne, die von draußen hereinscheint, mit dem warmen Gesicht in Verbindung zu bringen, doch es funktioniert, ohne dass das Radiergummi herausgekramt werden muss. Als nächstes kommt die grazile Nase, die geschlossenen Augenlieder, das rechte halb verdeckt von blonden Strähnen. Die Lippen, geschwungen und voll, leicht geöffnet. Nach und nach entsteht ein Porträt, das nicht wirkt, als wäre es von Aijis Händen gezeichnet worden, sondern von seiner Seele. Es ist nicht einfach die genaue Abbildung von Maya. Es ist so ähnlich wie das Bild, auf das Ruki ihn angesprochen hat: Es ist so, wie Aiji seinen besten Freund sieht. So, wie er ihn Tag für Tag erlebt, nicht der erste Eindruck, gebannt auf ein Stück Papier. „Aiji …“, murmelt es plötzlich und der Angesprochene zuckt ein wenig zusammen. Sein Blick wandert zum Bett, wo Maya gerade die Augen öffnet und sich schlaftrunken über die Stirn reibt. „Wo bin ich?“ „Du bist in unserem Zimmer, es ist alles gut.“ „Sind die anderen …?“ „Sehr erschrocken? Es geht.“ Aiji lächelt beschwichtigend und schiebt sich neben seinen besten Freund ins Bett. „Natürlich ist es ein wenig seltsam, wenn du einfach ausrastest, aber ich glaube, sie haben es recht gut verkraftet. Ruki hat ihnen alles erklärt. Mach dir einfach keine Sorgen und schlaf noch ein bisschen.“ „Hmhm … Wenn du meinst …“ Zufrieden schlingt Maya Aiji die Arme um die Hüften und nimmt seinen Geruch in sich auf. Er riecht so ruhig und irgendwie … na ja … friedlich. Zwar weiß er nicht, ob man wirklich friedlich und ruhig riechen kann, doch in diesem Fall wirkt es wirklich so. So, als wäre die Welt in bester Ordnung – zumindest bis man dieses Zimmer verlässt. Sacht streichen Aijis Finger durch sein Haar. „Maya?“, hallt es irgendwann – Minuten, Stunden später? – leise durch die Dunkelheit, die Finger in seinem Haar verharren. „Schläft du wieder?“ Es klingt eher nach einer rhetorischen als ernst gemeinten Frage, doch Maya antwortet trotzdem, das Gesicht vergraben an Aijis Brust. „Neein …“ „Kannst oder willst du nicht schlafen?“ „Beides … Können wir reden, oder so?“ Aiji nickt. „Klar, können wir. Irgendwelche Vorschläge?“ „… Sag mal, wie lange habe ich gerade eigentlich geschlafen?“ Maya setzt sich auf und kuschelt seinen Kopf gegen Aijis Schulter. „Lange? Schlafen die anderen schon?“ „Ja, sie schlafen – zumindest glaube ich das. Ich hab die ganze Zeit neben dir gesessen, die letzten zwei Stunden.“ Ein kleines Etwas, für ein Lächeln noch zu schwach, hebt seinen einen Mundwinkel kaum merklich an. „Du hast geschlafen wie ein Stein, du hast mir sogar freiwillig Porträt gelegen.“ Irritiertes Stirnrunzeln des Flummis. Normalerweise hasst er es, als Vorlage zu dienen – nicht, weil er etwas dagegen hat, gezeichnet zu werden, sondern viel eher, weil er nicht so lange am Stück stillhalten kann. „Hab ich?“ „Hast du … guck mal.“ Kurz raschelt es neben dem Bett, dann hält Aiji ein Blatt Papier in den Lichtkegel der Straßenlaterne. Neugierig beugt Maya sich darüber. Ungläubiges Staunen breitet sich auf seinem Gesicht auf. Das Porträt wirkt, als hätte man es mit Sternenstaub gezeichnet. Weich und glänzend, fast zauberhaft. Geschwungene Linien, die die Konturen des Gesichts so – na ja, irgendwie – leicht erscheinen lassen. „Das … ist echt schön!“ Fasziniert nimmt Maya das Blatt Papier in die Hand und streich über seine geschlossenen Augenlider. Sein bester Freund ist wirklich ein unglaublich guter Zeichner. „Wie machst du das bloß immer?“ „Geduld, Maya, Geduld. Das ist ein echtes Wundermittel“, lächelt Aiji, während er seine Nase in Mayas Haar vergräbt. „Vielleicht solltest du das auch mal ausprobieren.“ „Nööö … Hab ich schon. Geht nich … Geduld is echt schwer … Du, Aiji? … Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass jemand in dich verliebt ist?“, wiederholt der Flummi die Frage, die Ruki ihm vor ein paar Tagen gestellt hat. Der Körper unter ihm zuckt leicht zusammen, beinahe kommt es ihm so vor, als hätte sein bester Freund zu atmen aufgehört. „Aiji? Alles in Ordnung?“ „… Warum fragst du mich das?“ Die Stimme zittert ein wenig. „Keine Ahnung … Ruki hat es mich vor ein paar Tagen gefragt, als wir mit Takeya gespielt haben. War echt komisch. Ich hab ihn gefragt, warum er das wissen will, aber er meinte nur, er wäre halt interessiert. Als ich dann nachgelegt hab und wissen wollte, ob er verliebt ist, hat er nur mit den Schultern gezuckt. Da stimmt doch irgendwas nicht! Meinst du, er ist verliebt?“ Aiji hört seinem besten Freund überhaupt nicht zu. Stattdessen flimmert der Gedanke in seinem Kopf herum, dass Ruki bei Maya Nachforschungen angestellt hat. Dummer kleiner Baka! Er kann nur hoffen, dass der Flummi nicht auf die Idee kommen würde, eingehend über die Fragen nachzudenken und somit eventuell auf den richtigen Weg zu kommen. „Aaaaaiijiiii??? Ich hab dich was gefraaaahagt!“ „Hm??“ „Ich hab dich gefragt, ob du glaubst, dass Ruki verliebt ist.“ „… Vielleicht. Warum nicht. Sag mal, was hast du ich denn geantwortet?“ Irritiert schaut Maya ihn an. „Wie jetzt? Warum sollte ich auf eine Frage antworten, die ich Ru-“ „Nein, so meinte ich das nicht. Was hast du geantwortet, als er wissen wollte, was du tun würdest, wenn du wüsstest, dass jemand in dich verliebt ist.“ „Achso.“ Die Augen des Blonden werden verträumt, er setzt sich vernünftig auf und sieht seinen besten Freund grinsend an. „Ich hab gesagt, ich würd mit der Person reden – und ich würde halt den Inhalt des Gesprächs davon abhängig machen, ob ich auch verliebt bin oder nicht. … Oder so was ähnliches zumindest.“ Anscheinend erwartet er nicht wirklich eine Erwiderung seitens Aiji, denn er lehnt sich nur gegen die Wand in seinem Rücken und schaut geradeaus ins Dunkle. Stille kann sich auf verschiedene Weisen auswirken. Es gibt die angespannte, unangenehme Stille, bei der man am liebsten einfach nur ganz schnell den Raum verlassen möchte, die unruhige Stille, die auf irgendetwas hinarbeitet oder die Art von Stille, die sich als friedlich bezeichnen lässt. Und genau die Art von Stille legt ihren weichen Mantel über das Gästezimmer, über die beiden Freunde im Bett, über das ganze Chaos, das sich im Laufe des Tages in der Wohnung abgespielt hat. Alles scheint zur Ruhe zu kommen, den Kampf aufzugeben, leise zu werden. Auf der Straße vor dem Fenster läuft ein Haufen kichernder Teenager, wahrscheinlich auf dem Weg nach Hause aus irgendeiner Diskothek, für die sie rein gesetztechnisch noch viel zu jung waren. Ihre lauten Stimmen dringen hinauf, sie erzählen irgendwelche Witze, über die man nur lachen kann, wenn man mehr getrunken hat, als gut für einen ist. „Maya“, fragt Aiji irgendwann, als die Teenies schon lange weitergezogen sin, „würdest du dann mit mir reden?“ Der Flummi braucht ein wenig, um den Sinn hinter den Worten seines besten Freundes zu verstehen, dann wendet er sich ihm zu, die Augen groß in einer Mischung aus Unglauben, Verzückung und Ratlosigkeit. Stumm streckt er eine Hand aus, legt sie leicht in Aijis Halsbeuge. „Heißt das … dass du … mich …?“ Aiji nickt unsicher und das erste Mal in all der Zeit, die Maya ihn kennt, wirkt er angreifbar. Als würde ein falsches Wort nicht nur den Moment, sondern auch die Existenz dieses Menschen zerstören. Als würde eine einzige Geste das vernichten können, was man wohl eine starke Persönlichkeit nennen kann. Doch Maya hat keinesfalls vor, irgendetwas zu vernichten oder irgendeine Existenz zu zerstören. Nein, ganz und gar nicht. Stattdessen lächelt er verzückt, schaut Aiji in die Augen und sagt: „Ich … ich glaube, ich meine, ich … Es ist ein bisschen kompliziert, verstehst du?“ Schlagartig wird Aijis Blick trüb, das erwartungsvolle Funkeln schwindet. Schnell spricht Maya weiter: „Du … bist immerhin mein bester Freund und … ich weiß nicht, in wie fern ich dich – na ja – liebe. Also, natürlich liebe ich dich, das weißt du, aber ob ich dich so richtig liebe liebe.“ Das Funkeln ist vor dem letzten Satz schon beinahe ganz verloschen: „Aber wenn du willst, dann könnten wir es ja ausprobieren?“ Aiji schluckt hart, seine Lippen zittern, eine winzige Träne bildet sich in seinem Augenwinkel. Erschrocken beugt Maya sich ein wenig vor, streicht seinem besten Freund eine Haarsträhne aus der Stirn. „Hey … Aiji. Es tut mir leid, ich …“ „Nein … dir braucht nichts leidtun … Alles ist gut, ich … bin nur so …“ Er bricht ab, kneift die Augen zusammen, öffnet sie dann wieder. „Sag mir nur, dass ich nicht gleich aufwache und feststelle, dass ich nen scheiß Kater hab.“ „Nee, ich glaub, du wachst nicht-“ Weiter kommt Maya nicht, viel zu überrascht ist er, als Aiji ihn mit einer schnellen Bewegung dicht an sich zieht und ihn anstrahlt wie die Sonne höchstpersönlich. „Und wie wir das ausprobieren wollen …“ Langsam nähern sich ihre Gesichter, kurz verharren die Nasenspitzen voreinander, die beiden sehen sich in die Augen, dann treffen sich ihre Lippen. „Ich liebe dich, Maya … Schon so lange.“ ____________ Tüdeldüüüü .. das waaaar's :D Ich hoffe, der kleine Bonus hat euch nochmal Spaß gemacht! Und bevor ich jetzt gaaaanz endgültig Adieu sage, noch einmal ein großes, großes Danke an alle, die favorisiert, kommentiert und gelesen haben! Was wäre ich bloß ohne euch? Ich hab euch gaaaaanz doll lieeb!! *Herzchen in den Augen krieg und jeden einzeln durchknuddel* Und als kleines Bye-bye-Geschenk stell ich euch noch einen imaginären Teller mit den geilsten Toffifee-Keksen hin, die ihr JE gegessen habt!! *kichernd Teller hinstell und dann verschwind* LG, lady Epilog: A little bit lost without you ------------------------------------- A little bit lost without you And I'm a little bit lost without you And I'm a bloody big mess inside And I'm a little bit lost without you This aint a love song this is goodbye (This ain’t a Lovesong – Scouting for Girls) Maya schnieft schon den ganzen Tag in regelmäßigen Abständen Aiji ist noch schweigsamer als sonst und Takeya hat sich widerstandslos die Jacke anziehen lassen, als wir zum Flughafen losgefahren sind. Heute ist es passenderweise bewölkt, auch wenn wir nicht ganz so viel davon mitbekommen. Wir stehen in der Eingangshalle des Flughafengebäudes und wollen alle nicht wahrhaben, dass Aiji, Maya und ich jetzt wirklich losmüssen, wenn wir keinen Zeitstress bekommen wollen. „Is will nich, dat ihr deeeeeht!!“, quengelt Takeya. Der Kleine steht, gehalten von Miyavi, auf meinem Koffer und guckt mich aus seinen riesigen Augen an, als könne ich etwas dafür, dass der Flieger bald kommt. „Da haben wir schon mal was gemeinsam“, murmelt Miyavi. „Takeya, magst du dich verabschieden, damit ich dich runtersetzen kann?“ Der kleine Junge nickt, schlingt mir seine kleinen Ärmchen um den Bauch. „Tüss, Tumpfbappe! Is tomm dis besuchen, hat Papa desagt.“ „Ja, wir werden sie bald besuchen“, bekräftigt Miya, gibt seinen Sohn an Uruha weiter und sieht mir lange in die Augen, bevor auch er mir um den Hals fällt. „Und ich werd dich wahnsinnig vermissen bis dahin, kleiner Ru! Neun Jahre waren zu lange … Hoffen wir, dass wir nächstes Jahr zu euch kommen können.“ Er schiebt mich ein Stück von sich weg und wuschelt mir durchs Haar. Seine Augen sind leicht feucht, doch nach all den Erlebnissen der letzten Wochen kann ich verstehen, dass er bei so einem kleinen Abschied noch nicht in Tränen schwimmt. Außerdem bin ich auch noch erstaunlich gefasst – kein Wunder, der aller, aller schwerste Abschied steht mir noch bevor. Als nächstes steht Uruha vor mir, breitet die Arme aus und lächelt mich schief an. „Komm in meine Arme, Kleiner!“ Ich gebe ein Geräusch von mir, das irgendwo zwischen Kichern und zittrigem Schluchzen liegt und leiste der Aufforderung Folge. Uruhas Hände liegen auf meinen Schulterblättern, sein Kinn liegt auf meinem Kopf. „Du bist ein sehr guter Freund, Ruki. Miyavi kann froh sein, dich zu kennen, und wie froh. Ohne dich gäbe es den Miyavi, den wir kennen und lieben wahrscheinlich gar nicht mehr.“ Die Worte sind so leise, dass nur ich sie hören kann und obwohl es noch nicht das hier nicht das schlimmste ist, was ich hinter mich zu bringen habe, werden meine Augen so langsam feucht. Scheiße, ich will hier nicht weg! Zumindest seit den letzten Wochen nicht mehr! Noch einmal klopft Uru mir auf die Schulter, dann wendet er sich an Maya und Aiji und ich drehe mich weiter zu Jenni. „Tschüssi, Süßer!“, sagt sie und drückt mir einen Kuss auf die Wange, „Werde dich hier echt vermissen. Wo ist denn dann der kleine Miesepeter, den wir auf andere Gedanken bringen müssen?“ Mein Grinsen gelingt mir dieses Mal sogar, als ich ihren zierlichen Körper an mich drücke. „Passt du für mich auf Jun auf?“ „Klar.“ Das Lächeln kann man in ihrer Stimme hören. Ich löse mich von ihr und drehe mich noch ein Stückchen weiter – und stehe vor der schwersten Aufgabe des Tages: Jun. Meine Lippen beben, noch bevor ich die Arme um seine Hüfte lege und mein Gesicht an seiner Brust vergrabe. „Ruki“, murmelt mein Freund, „schau mich an.“ Ich schüttele den Kopf. „Nicht schon wieder das Spielchen, Kleiner. Guck mich an oder ich dreh mich um und gehe weg, ohne dass du mich nochmal gesehen hast.“ Okay, das hilft. Scheu hebe ich den Blick, schniefe und hoffe, dass man meine Tränen nicht allzu stark sieht. … Was anscheinend nicht funktioniert, denn Jun schüttelt den Kopf. „Ich hab’s doch gewusst. Ruki, du musst dich nicht vor mir verstecken, wenn du weinst. Ich höre das sowieso.“ Behutsam streicht er mir über die Wange und lächelt mich an, ehrlich und traurig. Seine Augen sprechen Bände. Er will nicht, dass ich fliegen muss. „Ich liebe dich“, sage ich leise und muss trotz der ganzen Tränen lächeln. „Ich dich auch.“ Vorsichtig beugt er sich zu mit herunter, umramt mein Gesicht mit seinen Händen, das pinke Haar fällt ihm in losen Strähnen ins Gesicht. „Ich liebe dich unglaublich, Ruki. Und genau deswegen brauchst du nicht zu weinen, okay? Denk dran, wir sehen uns in Paris! Wenn du dich nicht beeilst, fliegt deine Mitflieggelegenheit ohne dich nach Tokyo. Also hopp! Ruf mich an, wenn du gelandet bist!“ Ich nicke, drehe mich um und gehe, ohne mich umzusehen. Wie Miyavi es damals getan hat. Ich weiß sogar, warum er es getan hat und warum ich es tue: Es ist einfacher. Nur weil du einmal jemanden verloren hast, heißt das nicht, das du jeden verlieren wirst. Deswegen musst du glücklich sein. Das nächste Mal, wenn ich in den Urlaub fahre, geht es Paris sein. Und ich werde nicht allein dort sein. ___________________________________ Das wars :( Alles vorbei, zu Ende *snüf* Das Bonuskapitel kommt noch, wie versprochen, aber mit den anderen war's das jetzt. Also sagt Tschüss zu den lieben Leutchen hier! Ich hoffe sehr, diese Geschichte ist euch so ans Herz gewachsen, dass ihr sie wenigstens ein kleines bisschen vermissen könnt, so wie ich es bei Geschichten tue, die ich geliebt habe. Keine Ahnung, ob es euch als Lesern auch so gegeangen ist, aber ich habe diese Geschichte geliebt und sie wird einen Ehrenplatz auf meinem USB-Stick bekommen! ;) Als Erfinderin hängt man nun mal an ihren Babys, oder? Übrigens ist heute der 31.12.11 um 01.03Uhr, was bedeutet, ich bin pünktlich zum Jahresende fertig geworden. Hoffen wir, ihr lest dieses Kapitel noch vor Neujahr! :D Da wir uns bis dahin nicht mehr lesen werden, wünsche ich euch allen einen sehr guten Rutsch und viel Glück für 2012!! UND, bevor ich garz ins nächste Jahr verschwinde, möchte ich zwei Dinge tun: 1. DAAAAAAAAANKEEEEE an alle meine tollen Leser und Kommentarschreiber und Favorisierer und was weiß ich noch alles! An alle, die diese Geschichte verfolgt und genossen haben und die genauso wie ich hoffen, dass Juns und Rukis Parisaufenthalt wunderschön wird! 2. Ich muss euch den Film "Happy New Year" ans Herz legen, falls ihr ihn noch nicht gesehen habt! Er ist SO TOLL! Mit fröhlichen Jahresabschiedsgrüßen, eure lady PS: Aufgefallen? Wir hören auf, wie wir angefangen haben. Es ist eine Abschiedsituation, wir sind am Flughafen und der Song ist der gleiche. Hat eine Endgültigkeit irgendwie, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)