I'm just more von -ladylike- (... More than I thought) ================================================================================ Kapitel 6: So complicated ------------------------- Viel Spaß Ich empfehle übrigens, ab den Worten "Das Taschentuch ..." wirklich den "Titelsond" dieses Kapteils zu hören :D Mach schönes Feeling ______________________________________________________ So complicated Why did we make it so hard, this life is so complicated until we see it through the eyes of a child Why did we make it so hard, this life is so complicated until we see it through the eyes of a child (Trough the eyes of a child – Reamonn) Die Tür geht auf, Miyavi sieht mich an, seine Kinnlade fällt herunter, als er das kleine Tränchen bemerkt, das mir die Wange herunterläuft. „Ru, mein Gott! Was ist denn mit dir los?“ Besorgt schnappt er meinen Arm uns zieht mich in die Wohnung. „Was ist passiert? Wo ist Jun? Er ist heute mit meinem Wagen losgefahren!“ Unfähig zu antworten, schniefe ich auf und sinke an Ort und Stelle zu Boden. Es ist mir völlig egal, dass ich mitten im Flur sitze, dass die Haustür noch nicht geschlossen ist, dass Miyavi vor mir sitzt und mir vorsichtig über den Kopf streicht. Ich hasse es, vor anderen Menschen zu weinen, ich hasse es, wenn mich irgendwer sieht, wenn ich zusammenbreche. Selbst Reita gegenüber habe ich das so oft wie möglich vermieden, habe fast nie geweint, obwohl ich oft kurz davor war. Wenn wir uns gestritten haben, die chinesische Vase meiner Mutter an der Wand gelandet ist. „Hey, Kleiner, shht, alles ist in Ordnung …“ „Ga- … Gar nicht ist in … in Ordnung“, schniefe ich, während ich Miyas Hand abschüttele und mich aufrappele. Das stimmt sogar. Momentan ist wirklich erstaunlich wenig in Ordnung dafür, dass ich eigentlich nur drei schöne Monate in Deutschland verbringen will. Jun ist sauer, ich habe mit einem Typen geschlafen, den ich seit nicht einmal 24 Stunden kenne und Takeyas Mutter ist mal eben aus dem Nichts aufgetaucht. Toller Urlaub, aber echt! „Jun … ist total sauer a- auf mich!“ „Wieso das denn? Ihr vertragt euch doch sonst so gut!“ „A- aber jetzt nicht mehr!“ Mittlerweile habe ich zu einem unverständlichen deutsch-japanischen Mischmasch gewechselt, bei dem ich mich wundere, dass Miya überhaupt noch irgendwas versteht. „Ich … Henry … und das wollte ich e- eigentlich gar nicht und …!“ „Ruki? Könntest du versuchen, am Anfang anzufangen?“ Und so kommt es, dass ich mitten in Miyavis Flur anfange, die Geschichte von Henry, Jun und mir zu erzählen, angefangen beim gestrigen Abend – zumindest sage ich all das, an das ich mich noch erinnern kann. Mit jedem Satz, der über meine Lippen kommt, bekomme ich meine Stimme wieder mehr unter Kontrolle. Am Ende zittert sie kaum noch, meine Tränen sind getrocknet. „Oh …“ Mehr sagt mein bester Freund nicht. Er streicht mir lediglich leicht über den Rücken und begleitet mich in das Zimmer, in dem ich mit Maya und Aiji schlafe. Schweigend bringt er mir eine Wärmflasche, dann ein Glas Wasser und letztendlich auch noch ein paar Gummibärchen, die ich allerdings nicht anrühre. Ich bin nicht in der Stimmung für Süßigkeiten. „Soll ich mal mit Jun reden?“, fragt er irgendwann, einen Arm um meine Schultern gelegt. „Nein, besser nicht. Ich glaub, das muss ich klären … Hab ja seine Nummer. Aber Miya? Ich glaube nicht, dass das alles wieder wird.“ Resigniert lasse ich mich nach hinten auf die Matratze fallen und starre gen Decke. In mir zieht und zwickt es an alles Ecken, ich habe das Gefühl, gleich auseinanderzubrechen. Warum überhaupt? Ich kenne Jun erst seit ein paar Wochen, keinen ganzen Monat. Kann man sich in so kurzer Zeit so sehr an jemanden ketten, dass man nach einem Streit dermaßen fertig ist? Kann man so schnell von richtiger Freundschaft sprechen? Kann man sich so schnell sicher sein, jemanden gefunden zu haben, den man nie wieder verlieren will? Es ist zum Wahnsinnigwerden! Zwar weiß ich, dass ich ein Mensch bin, der sich schnell – vielleicht sogar zu schnell – an andere kettet, aber innerhalb von nicht einmal drei Wochen, habe ich das noch nie geschafft. Zumindest nicht in dem Ausmaß. „Doch, natürlich wird das wieder! Ru, du musst deinen dummen Pessimismus endlich mal in ein paar Umzugskisten packen und nach Timbuktu schicken!“ Kopfschüttelnd sieht er mich an. „Wenn du die ganze Zeit davon ausgehst, dass er dich bi sin alle Ewigkeit hasst, dann hast du auch keine Chance auf das Gegenteil!“ „Meinst du?“ „Ja, ganz, ganz sicher! Möchtest du wirklich allein mit ihm sprechen, oder soll ich mitkommen?“ „Nein. Ich fahre auch nicht zu ihm hin, ich rufe ihn erst …“ „Ehrlich gesagt glaube ich, ein Besuch wirkt ehrlicher als ein Anruf.“ „Du meinst“, frage ich mit großen Augen, „ich soll zu ihm hinfahren?“ Miyavi nickt. „Ich fahr dich und bleibe im Auto, in Ordnung?“ „Okay.“ Die Klingel sieht aus, als würde sie gleich ihre spitzen Reißzähnchen ausfahren und mich beißen, sobald ich meinen Finger auf den Knopf lege. Ich habe wirklich in meinem ganzen Leben noch keinen so unfreundlichen Klingelknopf gesehen! Noch einmal atme ich tief durch, dann strecke ich zaghaft die Hand aus, schließe die Augen und klingele. Dann beginne ich, die Sekunden zu zählen. Eins, zwei, drei, vier, fünf … „Hallo!“ Ein kleines Mädchen mit riesigen Augen schaut zu mir hoch. „Wer bist du?“ „Hallo … Mein Name ist Takanori. Ist deine Mutter vielleicht da?“ Im Haus ertönt ein Rumpeln, Schritte hasten auf die Tür zu, dann taucht Jun im Rahmen auf und schiebt das kleine Mädchen unsanft hinter sich in den Flur. „Ruki, was willst du hier?“ „Ich … wollte mich nur bei dir entschuldigen.“ Seine Augen mit den eisblauen Kontaktlinsen durchbohren mich förmlich, während er das Kind davon abzuhalten versucht, zwischen seinen Beinen hindurchzuschauen. „Entschuldigen? Wofür? Dafür, dass du deiner Versprechen gebrochen hast? Oder dafür, dass du mit meinem besten Freund geschlafen hast?“ „Na ja“, verzweifelt suche ich nach den richtigen Worten, sie wollen sich nicht in meinem Kopf finden lassen; Deutsch sprechen, ist schwerer manchmal schwerer als gedacht, „für beides … irgendwie.“ Vorsichtig suche ich in seinem Blick nach einem Stück Verständnis, doch ich suche vergeblich. Jun ist komplett kalt. Eiskalt, wie ein einzelnes, weißes, riesiges, Eiswesen im Polarmeer. „Das ist schön. Schade nur, dass ich die Entschuldigung nicht annehme. Ich hasse gebrochene Versprechen, Ruki! Seit mein Vater versprochen hat, meine Mutter nie allein zu lassen! Das Versprechen wurde nämlich auch gebrochen!“ Für einen Moment scheint er seltsam unsicher, dann kehrt die Kälte zurück. Und genau in dem Moment, in dem diese Unsicherheit verschwindet, verschwindet auch meine. Wut strömt durch meinen Körper, ich bin so wütend, wie ich es lange – sehr lege sogar – nicht mehr war. Ich habe schon beinahe vergessen, dass ich überhaupt so wütend sein kann. „Das mag ja sein, aber falls du’s nicht bemerkt hast: Ich bin nicht dein Vater! Das hier ist eine völlig andere Situation! Und ich bezweifle, dass dein Vater stockbesoffen war, als er sich von deiner Mutter getrennt hat! Ich denke sogar, dass er dafür seine Gründe gehabt haben wird!“ „Ja, einen hatte er sogar! Und dieser Grund heißt Ina Hanser, ist 25 Jahre alt und eine blonde Barbiepuppe!“ Oh, shit. Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Wut stauchelt, knickt fast in sich zusammen, doch sie fängt sich gerade noch und siegt über das aufkeimende Mitgefühl. „Wie schön für ihn, vielleicht ist er ja jetzt glücklich. Ich will nicht sagen, dass das die tollste Geschichte ist, die ich je gehört habe, aber ich bin nicht er! Und ich habe kein extenzielles Versprechen gebrochen, ich habe lediglich mit einem netten Menschen geschlafen, was nach meinem Wissenstand nicht verboten ist! Überhaupt frage ich mich, warum du mir dieses dumme Versprechen überhaupt abverlangt hast! Was geht es dich an, mit wem ich schlafe und mit wem nicht? Nichts, denke ich.“ Schnaubend drehe ich mich um, stapfe zu Miyas Wagen, öffne die Tür und knalle sie hinter mir wieder zu. Und noch während mein bester Freund den Motor startet, beginne ich zum zweiten Mal an diesem verschissenen Scheißtag zu heulen. Die Wut ist schon lange weg, ich sitze auf meinem Bett und starre gegen die Wand. Miyavi hat es schon länger aufgegeben, mich zu trösten, hockt aber noch immer neben mir. „Ziemliche Scheiße, hm? Da bist du hier und willst uns besuchen, und schon läuft alles schief. Erst taucht Lara auf und bringt mich völlig durcheinander, dann ist Jun sauer auf dich. Was muss eigentlich noch alles passieren, damit der Herr da oben im Himmel merkt, dass uns ein kleines bisschen Glück gut tun würde?“ Mit großen traurigen Augen sieht er mich an und ich werde mir schlagartig bewusst, dass ich über diesen ganzen Streit-Mist total vergessen habe, was für Probleme Miyavi gerade hat. „Wie geht es dir eigentlich seit gestern?“, frage ich daher. „Und wag ja nicht, mich anzulügen!“ „… Nicht so besonders. Geht mir halt viel im Kopf rum, weißt du? Ich hab Angst, dass sie mit mir vor Gericht geht wegen dem Kleinen.“ „Glaub ich ni-“ „Wenn ich dich nicht belügen soll, dann belüg du mich auch nicht, Ru, okay? Du weißt genau, dass das sein kann!“ Daraufhin sage ich besser gar nichts mehr. Alles, was mir in den Kopf kommt, scheint zu banal zu klingen, zu unbeteiligt und vor allem: zu unehrlich. „Ich geh mal zu Uruha und Takeya. Die zwei machen gerade Mittagessen. Maya ist im Wohnzimmer, glaub ich, und Aiji hockt auf dem Balkon und zeichnet. Wenn du mit einem von den beiden reden willst, findest du sie da, okay?“ Ich nicke und stehe auf. Zwar ist Maya wahrscheinlich nicht die beste Adresse – der Arme ist schnell überfordert, wenn es um emotionale Situationen geht – aber Aiji ist einer von den Menschen, die einem helfen können, manchmal sogar, ohne viele Worte zu machen. Als ich auf den Balkon trete, fährt mir augenblicklich die Kälte in die Glieder. Ihre Zähne beißen sich in meine Knochen fest, lassen mich frösteln. „Wie kannst du hier so sitzen? Willst du erfrieren, oder so?“, frage ich irritiert und setze mich neben ihn. Aiji sieht nur kurz auf, schüttelt den Kopf und zeichnet dann weiter. „Nein“, murmelt er, sein Bleistift zieht Bahnen auf dem Papier. „Was zeichnest du?“ Stumm schiebt er mir seinen Block zu. Von dem Blatt aus strahlt mich ein glückliches, dunkles Augenpaar an. Volle Lippen ziehen sich zu einem breiten Lächeln, Zähne blitzen durch. Auch ohne Lolli hätte ich erkannt, wer darauf abgebildet ist. Es ist Maya. Das Bild wirkt, als würde mein Freund mir gleich seinen Lutscher ins Gesicht schmeißen können, als würde er leben. Als könnte das leise Lachen der Zeichnung entfliehen können und mir in die Ohren dringen. „Wow“, flüstere ich leise und streiche sacht mit dem Finger über Mayas Wangen. Er sieht so glücklich aus. So ähnlich habe ich ihn schon häufig gesehen, aber genau so noch nie. Irgendwas an ihm ist da, was sonst gefehlt hat, auch wenn ich beim besten Willen nicht sagen kann, was. „Was ist es?“, frage ich, auf das Bild deutend und weiß, dass Aiji verstanden hat, als ein leises Lächeln sich auf seine Züge stielt. Ungewöhnlich verträumt nimmt er mir die Zeichnung aus der Hand, wispert nur ein einziges Wort, das mich allerdings stutzen lässt: „Liebe.“ Liebe? Langsam beuge ich mich nochmal über das Blatt, studiere Mayas Lachen, seine Augen, das freudige Glänzen in ihnen, als wären seine Pupillen herzförmig. So muss ich geguckt haben, als Reita in unsere Klasse kam. Ich muss mich zusammen reißen, um die Tränen der Rührung zu unterdrücken. „Warum?“, stelle ich eine weitere Frage. Aijis Gesicht wird wieder ernst. „Weil sie ihm fehlt.“ Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf die Schulter. Mit ihm habe ich noch nie so ein Gespräch geführt – zumindest nicht über seine Angelegenheiten. Wenn überhaupt bin ich es, der völlig verwirrt in seiner Wohnung steht und sich keine andere Person vorstellen kann, die eine Antwort auf seine Fragen hat. Der sich Hilfe erhofft und weiß, das der Andere meist genau das sagen kann, was hilft. „Merkst du das denn nicht, Ruki?“ „… Aber Maya liebt mehr Menschen als irgendwer sonst, den ich kenne. Warum sollte ihm ausgerechnet Liebe fehlen?“ „Ich weiß. Er liebt so viele Menschen, er würde für so viele Menschen alles geben. Und viele Menschen lieben ihn. Aber ich glaube, er liebt niemanden zu 100%. Es fehlt immer irgendwas. Und ich glaube, dass er das nicht einmal selbst merkt. Maya fühlt einfach nur. Er fühlt so schnell so intensiv, dass ihm völlig egal ist, wie sehr er wirklich fühlt – beziehungsweise liebt. Der Kleine stellt alle auf eine Ebene. Bemerkst du das nicht?“ „Doch … Aber dich liebt er wirklich. Oder?“ „Ich glaube, ja. Aber nicht so sehr, wie ich ihn.“ In meinem Hirn beginnt es zu rattern. Zahnrädchen drehe sich gegeneinander, knirschen, knatschen, ich wundere mich schon beinahe, dass ich nicht aus den Ohren dampfe. Und bei jedem Gedankengang komme ich bei derselben Frage wieder heraus: „Du bist in ihn verliebt?“ Nicken. Oh nein! Nicht noch ein Problem mehr! Als würden die Unglücke mich verfolgen! Jetzt haben wir schon drei Beziehungsprobleme: Miyavi und Lara, Jun und ich und Maya und Aiji. So langsam frage ich mich wirklich, warum ich überhaupt in den Flieger nach Frankfurt gestiegen bin. Hätte ich gewusst, was für Probleme sich hier vor uns auftürmen, hätte ich mir das mit ziemlicher Sicherheit nochmal überlegt. „Oh … Ich … Das … Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Seufzend lehnt Aiji sich zurück. „… Ich weiß es nicht.“ „Soll ich …“ „Nein, du sollst gar nichts machen! Bitte, Ruki! Ich kümmere mich darum. Das ist eine Sache zwischen meinem besten Freund und mir. Ich weiß ja nicht einmal, warum ich dir das erzähle.“ Ich brauche nicht lange zu überlegen, auf diese Frage kenne ich die Antwort nur zu gut: „Weil wir Freunde sind, Aiji.“ Die Stimmung ab Mittagessentisch ist denkbar gedrückt, der Einzige, der wirklich unbekümmert ist, ist Takeya, der fröhlich sein Raclette-Pfännchen bestückt – ja, sie essen gerne mal Raclette, ist so schön unkompliziert. Alle geben sich Mühe, dem Kleinen gegenüber so normal wie möglich zu sein, auf seine Späße einzugehen, mit ihm zu lachen und ihn zu behandeln, wie man ein Kleinkind nun mal behandeln muss, wenn es nicht merken soll, dass in seinem Umfeld irgendwas ziemlich verkehrt läuft. Gerade beschmiert er sein ganzes Gesicht mit Butter bei dem Versuch, ein Wurstbrötchen zu essen. Seine Kulleraugen lachen ununterbrochen und ich bin froh, meine stetige Nervosität unter Kontrolle zu haben. „Gibst du mir mal den Käse?“, reißt Miyavi mich aus meiner Trance. Er klingt ungewöhnlich rau, als hätte er geweint. Ich nicke und reiche ihm den gewünschten Teller. Gequält lächelt mein bester Freund mich an, nimmt sich ein paar Scheiben Käse und gibt ihn dann an Uruha weiter, der ebenfalls verkrampft aussieht. „Is will auch Täse! Is will aaaaauch Tääseee!!“, kreischt Takeya und trommelt mir seinen kleinen Fäusten auf den Tisch. „Is auch, is auch, is auch!“ Maya grinst, übernimmt den Teller von Uruha und reicht ihn an Miyas Sohn weiter. „Magst du gerne Käse?“, fragt er lächelnd und streicht dem Kleinen liebevoll durch die Haare, als er nickt. „Ich auch. Sag mal, willst du mir jetzt eigentlich nachher noch deine Duplo-Steine zeigen?“ Takeya nickt eifrig, seine schwarzen Haare wippen auf und ab. Maya hebt den Kopf und sieht mich an. „Ich glaube, er würde sich freuen, wenn du auch mitspielst“, formen seine Lippen, ein bittender Ausdruck tritt in seine Augen. „Bruuumm, bssss, wuuuui!“, macht Takeya, der mit einem Duplo-Feuerwehrauto durch sein kleines Zimmer fährt. Wir sind gerade dabei, einen riesigen Brand im Rathaus zu löschen, muss man wissen. Der Bauer von nebenan hat nämlich ausversehen seine Zigarette liegen lassen, dann hat eine Zeitung, oder – um es mit den Worten des kleinen Jungen zu sagen – eine Teitung Feuer gefangen und irgendwann hat das ganze Haus gebrannt. Und jetzt ist der Bauer gaaaaanz traurig, weil er daran schuld ist, dass das passiert ist … Neben mir auf dem Teppich hockt Maya und spielt den Feuerwehrhauptmann, der nicht weiß, was er machen soll. Es fühlt sich komisch an, neben ihm zu sitzen, und zu wissen, dass er in seinem Leben etwas ganz Wichtiges noch nicht bemerkt hat – so wenig wie ich es wusste, bis Aiji es mir verraten hat. Schon eine komische Situation. Ich weiß, dass mein einer Freund in einen anderen meiner Freunde verliebt ist, darf es aber niemandem sagen, obwohl das vielleicht eines unserer Probleme lösen würde. Stattdessen muss ich schweigen und mit Maya und Takeya Feuerwehr spielen. „Maya“, beginne ich leise, als Miyavis Sohn gerade aus dem Zimmer gerannt ist, um sich einen Apfel zu besorgen, „was würdest du eigentlich machen, wenn du wüsstest, dass jemand in dich verliebt ist?“ Eine Sekunde später hätte ich mich ohrfeigen können. Scheiße! Jetzt wird Maya doch nur neugierig! „Warum fragst du das? Ist jemand in dich verliebt?“ Interessiert guckt er mich an, setzt sich in den Schneidersitz und grinst. „Würde mich nicht wundern. Ich hab schon einen attraktiven besten Freund. … Oder bist du verliebt und denkst, dass er es weiß?“ „Nein, nichts von beidem. Nur so aus Interesse.“ Skeptisch runzelt er die Stirn und legt den Kopf schief. „Ach ja? … Und das soll ich dir glauben?“ „Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. „… Okay, wenn du meinst. Wenn du’s mir nicht erzählen willst … Ich glaub, ich würde mit der Person reden. Was ich sagen würde, hinge davon ab, ob ich genauso empfinde. Vielleicht liebe ich den Menschen ja auch … oder auch eben nicht.“ Er zieht die Augenbrauen hoch. „Und du bist sicher, dass du das nur aus Interesse wissen willst?“ „Ja, wirklich.“ „Alles klar …“ Eine Weile bleibt es still, dann fragt Maya. „Sag mal, Ru, bist du eigentlich verliebt?“ Perplex öffne ich den Mund, will etwas sagen, doch in diesem Augenblick kommt Takeya mit seinem Apfel zurück und lacht: „Is hab einen Appeeel und ihihiier niiich!“ Mein Freund lacht dem Kleinen entgegen, bevor er sich wieder voll und ganz der Rolle als Feuerwehrhauptmann widmet. Seine Frage allerdings klingt noch immer in meinen Ohren anch. „Sag mal, Ru, bist du eigentlich verliebt?“ Das Taschentuch, das ich schon seit Ewigkeiten in der Hand halte, ist schon so zerfleddert, dass ich mich frage, ob es überhaupt noch den Namen ‚Taschentuch‘ verdient. Ich weiß noch nicht einmal, wie lange ich schon hier im Wohnzimmer sitze, nur die Lampe neben dem Sofa eingeschaltet, auf den dunklen Fernsehbildschirm starrend. Wahrscheinlich wüsste ich es, wären die anderen da. Aber die sind – abgesehen von Takeya, der hoffentlich bereits schläft – ausgeflogen: In irgendeinen Club in der Stadt, in den Miya dank seiner regelmäßigen Auftritte umsonst reinkommt. Ich wollte nicht mit, mir ist die Partylaune an diesem Scheißtag ziemlich gründlich vergangen. Viel zu sehr nehmen mich diesen ganzen Probleme hier mit; und da ich noch nie so ein Partygänger war und man ja gesehen hat, wo die letzte endete, habe ich beschlossen, mich nicht dem Wegsaufen von beschissenen Situationen zu widmen – es würde sowieso nichts bringen. Stattdessen habe ich wieder und wieder über Mayas Frage nachgedacht. Wäre meine ganze Lage weniger verwirrend, hätte ich wahrscheinlich einfach ‚Nein‘ gesagt mit dem Wissen, dass es stimmt, aber bei diesem ganzen vermischten Gewirr in mir drin, habe ich keine Ahnung, ob ‚Nein‘ wirklich stimmt. Vielleicht ist die Liebe nur so verknotet mit Verwirrung, Wut, Angst und Trauer, dass ich ihre Symptome nicht bemerke. Oder sie ist einfach weniger stark als alles andere, auch wenn sie da ist. Es hat wirklich ewig gedauert, aber ich habe eine Antwort gefunden. Und diese Antwort lautet nicht ‚Nein‘. Auch nicht ‚Vielleicht‘, sondern ‚Ja‘. Ja, ich bin verliebt. Warum sonst sollte ich mich so schnell zu einer Person hingezogen fühlen, obwohl ich sonst immer Monate brauche, um jemandem zu vertrauen? Warum sollten meine Gedanken sonst beinah ausschließlich um ihn kreisen? Warum sollte ich mir sonst solche Sorgen machen, weil ich Angst habe, der ganze Scheiß hier könnte ewig andauern? Und warum wäre da sonst seit heute Morgen dieses schmerzlich warme Kribbeln, wenn ich an ihn denke. An ihn, an Jun. Shit! Ich wollte mich eigentlich nicht mehr so schnell verlieben. Nicht, nachdem ich Reita verloren habe. Vielleicht habe ich sogar gehofft, mir würde es nie wieder so gehen. Mit dem Gedanken im Kopf, dass es jemanden gibt, der dir mit einem falschen Wort das Herz brechen kann. Mit dem Gefühl im Bauch, jemanden bei sich haben zu müssen, um überleben zu können. Leise schniefend greife lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Verdammte Scheiße! Genau diese Situation habe ich nie, nie wieder erleben wollen. Alleine sein, traurig sein, von der Decke erdrückt werden. „Bist tu auch nich müde, Tumpfbappe?“ Erschrocken fahre ich auf, als ich Takeyas Stimme höre. Der Kleine steht im Türrahmen, in der einen Hand seinen Stoffbären, in der anderen einen Schokoriegel. „Takeya!“, schniefe ich überrascht, „Was machst du denn noch hier? Warum bist du nicht im Bett? Und was machst du mit dem Schokoriegel? Du weißt doch, dass man nach dem Zähneputzen nichts mehr essen darf!“ „Ja, is weiß. Aber is hab auch gar nich Sähne deputzt!“ Frech grinst Miyas Sohn mich an, bevor er neben mich aufs Sofa klettert und mich anguckt. „Was?“ „Ja, Papa hat nich aufdepasst“, gluckst er fröhlich, „deswegen daf is auch noch Sokolade essen!“ Leicht grinsend schüttle ich den Kopf, während ich Takeya beobachte, wie er sich den Riegel in Mund schiebt und selig daran herum zu nuckeln beginnt. Er scheint ihn wirklich zu genießen, ist viel stiller als sonst. Seine dunklen Kinder-Kulleraugen glänzen und seine Haare sind verstrubbelt, als hätte er sich länger in seinem Bett herumgewälzt. So unbekümmert. So unschuldig. So niedlich. Es wäre so einfach, er zu sein. Die Welt nur so zu sehen, wie sie einem gefällt und zu denken, es gäbe gar nichts Böses, was der Papa nicht von einem fernhalten kann. Ich habe früher auch geglaubt, dass Miyavi mich vor allem beschützen kann. Wenn er auf meiner Bettkante gesessen hat, damit kein Monster unter meinem Bett hervorkriecht, damit kein Pirat mein Zimmer entert, damit kein Dinosauerier seinen großen Kopf durchs Fenster schiebt und damit kein Einbrecher hereingeschlichen kommt. Oder wenn ich meine Nachmittage bei ihm verbracht habe, weil meine Eltern Besuch hatten, bei dem ich nur ungebetene Gesellschaft gewesen wäre. Neben mir wackelt Takeya mit den Füßen, sieht mich an und fragt: „Bist tu taulig, Tumpfbappe?“ Ein schiefes Lächeln zieht meine Mundwinkel nach oben, als ich mich Takeya zuwende. „Ein bisschen“, antworte ich, obwohl das natürlich eine ziemlich Untertreibung ist. „Waluuuum?“ „Weil mein Herz kaputt ist.“ „Taputt?“ „Ja, kaputt.“ „Tann man das nich kleben? Mit Setundentleber?“ „Ich glaube nicht, nein.“ Seufzend nehme ich den Takeyas Stoffbären in die Hand und sehe ihm in die Knopfaugen. Genauso hat mein erstes Kuscheltier auch immer geguckt, aber es war ein Hund und mein Einfallsreichtum in Sachen Namensgebung spuckte damals nur den unkreativen Namen Bello aus. Ehrlich gesagt, hab ich nicht einmal eine Ahnung, wo Bello gerade ist oder ob ich ihn überhaupt noch habe; wenn, dann wahrscheinlich in einer der Kisten auf dem Dachboden. Schade eigentlich. Ich sollte ihn suchen gehen, wenn ich wieder zu Hause bin. „Walum tann man das denn nich kleben? Is das zu doll taputt?“ Ganz langsam wandert einer meiner Mundwinkel wieder in seine Ausgangsposition zurück. „Ach Takeya, ich glaube, dafür bist du noch ein bisschen zu klein. Das ist alles zu kompliziert für jemand so junges wie dich.“ Energisch schüttelt der Kleine den Kopf und beißt ein kleines Stückchen von dem Schokoriegel ab. „Nein, is bin nich zu klein! Papa sagt, is bin dadin danz goß!“ Er nickt bedeutsam und deutet sich auf die Brust. Sein schokoverschmierter Finger zeigt knapp unter sein rechtes Schlüsselbein. Ich grinse. Früher habe ich auch immer rechts und links verwechselt, wenn ich mein Herz treffen wollte. „Ja“, sage ich leise „ich glaube, da hat dein Papa auch Recht.“ Mit einer sanften Bewegung nehme ich seine kleine Hand in meine und führe sie von der rechten zur linken Seite. „Und da drauf kannst du jetzt schon stolz sein, Takeya.“ Ich muss wirklich mit mir kämpfen, um die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufzusteigen drohen. In mir ist ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Rührung und Traurigkeit, die kaum auszuhalten ist, weil sie mit einer solchen Wehmut in meinem Herzen sitzt, dass es sich anfühlt, als würde es sich auf die Größe einer Erbse zusammenziehen. Takeya sieht mich an, seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Lächeln, er giggelt leise. Warum muss diese Welt eigentlich immer so verdammt kompliziert sein? Kann sie nicht einmal einfach sein? Nur ein einziges Mal? _______________________________ Das hat jetzt einiges augeklärt, oder? Ich glaube, jetzt weiß man, was ich dmit meinte, als ich gesagt habe, dass einige im Bezug auf Miyavi und Ruki noch immer einige "schief denken". Hoffe, ihr seid mir deswegen nicht böse :) Es wäre zu kompliziert geworden, hätte Ru seinen Besten erst "umpolen" müssen. Immerhin hab ich beschlossen, dass er 100% hetero ist ... Außerdem sind zehn Jahre doch echt ein bisschen zu viel in dem Alter, oder? Fast 20 und fast 30 ... Hmm ... -.-" Übrigens: Passt dieser Song nicht GENIAL zum Kapitel?? ... Zumindest zum letzten - elementarsten - Teil des Kapitels? Ich bin wirklich zufrieden. Ausnahmsweise mal :D @ klene-Nachtelfe: Schön, dass dus immer noch toll findest. :D Und ja, der Kleine hat echt Scheiße gebaut - aber wenigstens darf er weiter bei denen wohnen bleiben, was? ... Na ja, ob man in so einer WG wohnen will, bei dem ganzen Chaos, dass in diesem Kapitel schon wieder verursacht wurde? Das ist dann wohl eine andere Frage ... :) @Astrido: Ich wusste auch erst nicht, was ich mir dabei gedacht hab, Ruki sowas machen zu lassen -.-" Aber ichfinde, irgendwie passt es zu diesem kleinen verpeilten Trottel, oder? :D lg, lady Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)