I'm just more von -ladylike- (... More than I thought) ================================================================================ Kapitel 1: Need you by my side ------------------------------ Need you by my side Can't you feel my heart beat fast I want this to last Need you by my side (Everytime we touch – Cascada) Leicht genervt stecke ich mir die Stöpsel meines IPods in die Ohren, um dem Geräusch von knisterndem Plastik zu entgehen, das, wie so häufig in den letzten Stunden, aus Mayas Richtung kommt – er öffnet gerade seinen ungefähr hundertfünfzigsten Lolli. Nicht, dass ich was gegen Maya hätte, ganz im Gegenteil, er und Aiji sind meine besten Freunde, aber dieses nervtötende Geknister von Lolli-Papier finde ich schon seit Menschengedenken grässlich. Gerade wedelt Maya Aiji aufgeregt mit seiner favorisierten Süßigkeit unter der Nase herum, um diesen zurück in unsere Welt zu holen, denn wie so oft starrt mein bester Freund Nr. zwei lediglich in der Gegend herum (in diesem Punkt habe ich sogar etwas mit ihm gemeinsam). „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?!“ Überrascht schaut Aiji auf. „Bist du auch so aufgeregt, Aiji? Wir sind daaaa!“ Brummelig schalte ich meinen IPod wieder aus – es bringt ja doch nichts, Maya ist zu laut, um ihn einfach zu übertönen. Würde ich es versuchen, hätte ich morgen wahrscheinlich einen gehörigen Hörsturz (sollte ich den nicht auch so schon bekommen). „Das ist schön, Maya, ja. Es werden mit Sicherheit drei interessante Monate.“ Ja, das glaube ich auch. Und ehrlich gesagt bin ich ebenfalls aufgeregt. Es ist neun Jahre her. Vor neun Jahren ist Miyavi in gestreifter Hose, seinen mit bunten Sternen verzierten Koffer hinter sich herziehend, in der Menschenmenge des Flugzeugs verschwunden. Und jetzt stehe ich nur noch ungefähr eine Stunde davor ihn wiederzusehen. Scheiße, da kann man wohl von Aufregung sprechen. Früher war Miyavi der Einzige, mit dem ich reden konnte und der mir zugehört hat. Er war damals mein Babysitter, wenn man so will. Meine Eltern unterwegs = Miyavi da. So ungefähr. Und meine Eltern waren häufig weg. Ein harter Stoß in die Seite lässt mich aufschrecken. „Ruuukiiii“, flötet Maya fröhlich, „nicht einschlafen! Wir sind in Frankfurt!! Das ist tohooll! Ein bisschen mehr Enthusiasmus bitte!“ Enthusiasmus? Theoretisch vorhanden, ja, aber ich bin zu aufgeregt. Es fühlt sich an als würden unsichtbare Hände meinen Magen zusammenquetschen, nur um ihr im nächsten Moment wieder auseinanderzureißen und um anschließend noch den Inhalt aus ihm heraus zu wringen. (Das klingt jetzt lecker, ich weiß. Sorry …) „Juchuuu“, bringe ich gepresst hervor und wedele mit meinen Armen in der Luft umher. Maya mustert mich kurz, dann lehnt er sich schmollend auf seinem Sitz zurück. Momentan befinden wir uns in einem kleinen Café und trinken irgendein rotes Zeug, das nach Kirsche schmeckt (was mich vermuten lässt, dass es Kirschsaft ist). Ich muss zugeben, dass mein Deutsch noch nicht ganz perfekt ist … Wörter wie ‚Kirschsaft‘ benutzt man ja auch nicht oft oder? Trotzdem peinlich … Ich stehe nämlich kurz vor einem Germanistikstudium, das ich nach diesem Besuch hier anfangen werde. Sprich: Meine Vorkenntnisse haben doch noch Lücken. Aiji verzieht einen Mundwinkel, was wahrscheinlich ein Lächeln darstellen soll. „Maya, ich glaube, wenn du an seiner Stelle wärst, würdest du auch nicht freudig in der Gegend herumbrüllen.“ „Doch, würde ich. Ich würde mich freuen …“ Mein Blick bohrt sich in das Glas vor mir. „Ich freue mich ja, aber … Ich hab halt Angst.“ „Angst?“ Ungläubig zieht Maya eine Augenbraue hoch, während Aiji mich nur interessiert mustert. „Na ja, ich weiß nicht. Ich habe Angst, er könnte sich verändert haben und irgendwie … anders geworden sein. Glaubt ihr, man verändert sich zwangsläufig, wenn man Vater geworden ist?“ Ich will nicht ängstlich klingen, aber es lässt sich nicht verhindern. Meine Stimme zittert. Verdammt! „Ruki, du hast ihn neun Jahre nicht gesehen“, höre ich Aiji neben mir sanft sagen. „In neun Jahren verändert man sich, ob man jetzt Vater ist oder nicht. Es ist ganz natürlich. Niemand bleibt neun Jahre gleich. Je nachdem, was man erlebt hat, ändert man sich. Aber das das heißt nicht, dass er jetzt ein völlig anderer Mensch ist. Er ist immer noch dein Freund, okay?“ Ich nicke leicht, nehme dann einen Schluck von meinem hoher-Wahrscheinlichkeit-nach-Kirschsaft. Das gerade waren ungewöhnlich viele Worte für Aiji, er wird nur sehr selten wirklich gesprächig. Aber wenn, dann sagt er fast immer das Richtige. So wie jetzt. Mein Lächeln misslingt trotzdem ein bisschen, als ich antworte: „Danke.“ Eine halbe Stunde später drückt Aiji dem Taxifahrer den Zettel in die Hand, auf den ich Miyavis Adresse gekritzelt habe. Was heißt gekritzelt? Ich habe so unleserlich geschrieben, dass man es schon fast nicht mehr unter „Gekritzel“ verbuchen kann. Doch unser bärtiger Fahrer nickt bloß, verfrachtet unsere Koffer in den Kofferraum und bedeutet uns anschließend auf der Rückbank Platz zu nehmen. „Danke“, sage ich höflich, wobei ich mich bemühe, meinen Akzent möglichst gering zu halten. Wenn der Ärmste schon meine Handschrift lesen muss, kann ich mich schließlich wenigstens anständig bedanken. Den größten Teil der Fahrt hocke ich stumm auf dem Beifahrer, höre ihm zu, wie er irgendwas von Fahrradfahrern und Ampeln redet und wünsche mir, das Kribbeln, das sich anfühlt als hätte ich Brausepulver im Magen, würde aufhören. Hinter mir hat Maya den Kopf an Aijis Schulter gelegt und plappert fröhlich vor sich hin und ich beneide die beiden, dass sie nicht verstehen, was der Mann neben mir sagt. Meine besten Freunde beherrschen nur wenige Brocken Deutsch, die ich ihnen in den vergangen Monaten in den Schädel gehämmert habe, aber wenn es darum geht ein längeres Gespräch zu führen, sind sie beide vollkommen hilflos. Jetzt stehen wir vor einem gepflegt aussehenden, mehrstöckigen Haus, die Koffer hinter uns, während ich die kleinen Schildchen am Hauseingang nach dem Namen meines ehemals besten Freundes absuche. Ich finde es recht schnell, brauche aber noch einige Sekunden, bevor ich auf den Klingelknopf drücke. Es dauert nicht lange, bis es in der Gegensprechanlage knackt. „Hallo?“ Mein Herz scheint explodieren zu wollen. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Es ist seine Stimme. Die, die ich vor neun Jahren am Flughafen gehört habe. Die, von der ich immer gehofft habe, sie wieder ganz nah bei mir zu haben. „Miyavi? Wir … wir sind da. Also … Maya, Aiji und ich, Ruki.“ Ich habe noch gar nicht richtig ausgesprochen, da bricht die Verbindung ab. Ein kühles Knacken in der Leitung. Für einen kurzen Moment habe ich tatsächlich den absurden Gedanken, Miyavi würde uns nicht öffnen, doch genau in dem Moment, in dem ich zu verzweifeln drohe, fliegt die Tür zur Seite und zwei Arme ziehen mich an einen warmen Körper. Meine Nase wird gegen ein nach frischer Wäsche duftendes T-Shirt gepresst und warmer Atem streift mein Ohr. „Gott, Kleiner“, flüstert es neben meinem Kopf, „du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst hab!“ Er schiebt mich auf Armeslänge von sich weg und mir begegnen die braunen Augen, die ich seit neun Jahren bis zum geht nicht mehr vermisse – oder besser: Vermisst habe. In meiner Kehle bildet sich dieser berühmte Kloß, der kommt, wenn man kurz davor ist in Tränen auszubrechen. Er scheint immer größer zu werden und wehrt sich vehement dagegen gen Magen zu verschwinden. Ich spüre, wie eine winzige Träne aus meinem rechten Augenwinkel fließt, doch ich halte sie nicht auf. Wie lange habe ich nicht mehr geweint? Wie lange habe ich nicht mehr vor Freude geweint? Keine Ahnung, aber in diesem Moment tue ich es. Und es fühlt sich verdammt gut an! „Heulst du?“ Ich nicke schwach und bin in diesem Moment wahnsinnig froh, dass er seine Hände auf meine Schulten gelegt hat. Gerade setze ich an um etwas zu sagen, als Maya hinter mir verzückt aufkreischt und damit – wie es so seine Art ist – die Stimmung des Moments bis ins Tiefste zu erschüttert. „Ooooh, ist der süüüüüß!!“ Verwirrt blicke ich über Miyavis Schulter – und ziehe verständnislos eine Augenbraue hoch. Hinter Miyavi steht ein junger Mann, vielleicht 25 Jahre alt. Süß trifft es nicht so ganz. Eher … ungewöhnlich. Wobei ungewöhnlich ein Wort ist, das ich bei meinem eigenen Aussehen besser nicht benutzen sollte. In diesem Fall definiere ich ungewöhnlich eher aus der Sicht von „normal“ aussehenden Menschen und erläutere mal kurz Miyavis Mitbewohner: Sein Haar ist von einem interessanten Blondbraun (das angesichts seiner offensichtlich asiatischen Herkunft mit Sicherheit gefärbt ist), die Augen dunkel und seine Oberlippe hat eine eigenartige Form. Außerdem sind seine Augen geschminkt, was wohl das ungewöhnlichste an ihm ist. Er trägt einen enges graues Langarmshirt, eine schwarze Jogginghose und einen kleinen Jungen auf dem Arm – den Maya, wie mir jetzt klar wird – wahrscheinlich mit süß gemeint hat. „Darf ich vorstellen?“, fragt Miyavi freudig und deutet mit großer Geste hinter sich. „Das sind mein Mitbewohner Uruha und mein Sohn Takeya.“ Ich runzle die Stirn und durchsuche mein Hirn nach Informationen über die beiden. Seinen Briefen nach ist Uruha 24 und ein Freund, den Miyavi in irgendeinem Club kennengelernt hat. Takeya ist mittlerweile zwei und Erzählungen nach genauso süß wie frech. Ich weiß echt nicht, wie Miya es schafft, sich ständig um diesen kleinen Schreihals zu kümmern. „Papa, sind das die von denen du erzählt hast?“, fragt der Kleine und deutet mit seinem Zeigefinger, den er bis eben noch im Mund hatte, auf uns. Augenblicklich beginnt Miyavi zu lächeln – wobei er gar nicht wirklich damit aufgehört hat – kneift seinem Sohn in die Wange und nickt. „Guck mal. Das da“ – er zeigt auf Maya – „ist Maya, der Junge daneben heißt Aiji. Tja, und der Kleine da, das ist Ruki. Wir beiden waren mal sehr gut befreundet. Aber dann bin ich hierher nach Deutschland gekommen und wir haben uns nicht mehr gesehen.“ „Und deshalb kommt er uns jetzt besuuuchen?“ „Ja, die drei bleiben jetzt erst mal hier“, nimmt Uruha meinem ehemals besten Freund die Antwort ab, bevor er den Kleinen auf den Boden setzt. Dann lächelt er uns an. „Hallo ihr drei! Schön euch zu sehen.“ Aiji und Maya sehen mich fragend an. „Uruha“, sage ich, während ich seine ausgestreckte Hand entgegennehme, „kannst du Japanisch oder nur Deutsch?“ „Ich spreche beides, warum?“ Ich deute eine Bewegung nach hinten an. „Aiji und Maya sprechen kein Deutsch.“ „Ach, sag das doch gleich!“, wechselt er fließend zum Japanischen. „Entschuldigt bitte, das wusste ich nicht. Ich dachte, vielleicht habt ihr auch Deutsch gelernt, so wie Ruki.“ Lachend schüttelt er auch meinen beiden Freunden die Hand, dann beugt er sich zu Takeya herunter. „Willst du denen nicht mal unsere Wohnung zeigen?“ Die Augen des Kleinen beginnen zu leuchten, er nickt eifrig und packt sich kurzerhand meinen Arm. „Komm miiit!“ Ich stutze. Japanisch. Anscheinend erzieht Miyavi ihn zweisprachig. Noch immer überrascht, lasse ich mich von dem Jungen mitziehen, der mit aller Kraft an meinem Arm zieht, als hätte er vor, ihn vom Rest meines Körpers trennen. Hinter mir höre Maya kichern, Aijis Schritte sind ruhig, nicht so trippelnd wie Flummis, die schon Geräusch her fröhlicher klingen. „Gucke, das is mein Zimmer!“ Wir stehen in einem kleinen Raum, dessen Wände in einem hellen Grün und einem freundlichen Gelb gestrichen sind, in einer Ecke steht ein kleines Kinderbett, bezogen mit roter Bettwäsche, auf dem ein kleiner, dunkelbrauner Teddy liegt. Die Kommode unter dem Fenster ist aus blassem Holz und an einer Wand hängen einige Bilder und Poster. Bob der Baumeister, Meister Mannys Werkzeugkiste und ein paar Zeichnungen, wahrscheinlich von Takeya selbst. Aiji verzieht einen Mundwinkel, als Miyavis Sohn stolz zu seinem Bettchen läuft, darauf klettert und auf und ab hüpft. „Das is ein tolles Tampolin!“ „Och Gott, der spricht soooo niedlich!“, zwitschert Maya mir ins Ohr, bevor er sich an Takeya wendet. „Ein tolles Trampolin? Das ist aber schön! Darf ich auch mal probieren?“ „Jaa, wenn du willst!“ Jetzt muss auch ich grinsen. Ich glaube, die zwei könnten ein gutes Team abgeben. Während ich so beobachte, wie mein Freund zu dem Kleinen geht, sich neben ihn stellt und anfängt ein wenig zu hüpfen, fühle ich mich irgendwie an Miyavi und mich erinnert. Nur, dass mein Trampolin wirklich ein Trampolin gewesen ist. Wir sind oft darauf herumgesprungen, haben gelacht und er ist immer beinahe gegen die Decke gestoßen, so wie Maya jetzt. „Sie sind süß, was? Wie wir.“ Erschrocken zuckt mein Kopf herum. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Miya neben mir aufgetaucht ist. „Ja, wie wir.“ „Sweety, pass auf! Nicht, dass du Uruhas Essen noch auf dem Boden verteilst!“, ruft Miyavi, während er seinem Sohn einen der beiden Teller abnimmt, die er gerade zu uns transportieren will. Der Kleine hat darauf bestanden den Tisch mitzudecken, aber wenn man bedenkt, wie viel Uruha und Miya ihm in dieser Zeit schon sicherheitshalber aus der Hand genommen haben, beschleicht mich der Verdacht, dass der Kleine häufiger was fallen lässt. „Neeeeeeein, dib her! Is will das matten!!!!“ Aus der Küche höre ich Uru leise lachen. Anscheinend auch ein öfter gehörter Satz. „Taki, dein Papa hat Recht! Du musst vorsichtig sein, sonst haben wir gar nichts zu essen. Und das wollen wir doch nicht!“ Schmollend verschränkt Takeya die kleinen Ärmchen vor der Brust, leistet aber keinen weiteren Widerstand und setzt sich brav auf seinen Stuhl. Kurz darauf kommt Uruha ins Esszimmer, die letzten dampfen Teller in den Händen. „So, dann wünsche ich frohes Genießen“, grinst er, nimmt seine Gabel (ich bin ziemlich gespannt, wie ich mit diesem Besteck klarkomme …) und sticht beherzt zu. Ich hingegen betrachte skeptisch die Bratwurst auf meinem Teller. Ganz ehrlich? Hab ich noch nie gegessen. Doch sobald ich mir die erste Gabel, nach einigen Komplikationen mit diesem Minivierzack, in den Mund geschoben habe, hellen sich meine Gesichtszüge wie von selbst auf. „Hey, das schmeckt ja richtig gut!“, nuschle ich zwischen zwei Bissen Bratwurst hervor, worauf ich einen freundschaftlichen Klaps von Miyavi auf den Hinterkopf kassiere. „Natürlich schmeckt das, Ruki, du Dumpfbacke! Das hat ja auch Uruha gekocht!“ Hätte der lachende Takeya zu meiner Rechten mich nicht abgelenkt, hätte ich Uruhas gemurmeltes ‚Als wenn Bratwurst vernünftiges Essen wäre …‘ wahrscheinlich gehört. „Tumpfbappe, dat kling aba lustig!“ Ich versuche den Kleinen anzulächeln, was auch ganz gut funktioniert – bis er mir seinen fettverschmierten Finger auf die Nase legt und mich frech angrinst. „Tumpfbappe, hihi!“ Habe ich den Kleinen heute schon als ‚süß‘ bezeichnet? Sorry, das nehme ich hiermit zurück … Eigentlich will ich darauf antworten, doch Maya öffnet seinen Mund, ehe auch nur ein Wort den meinen verlassen kann: „Oiii, er ist so nieeedlich! Sag mal, Miyavi, wo ist denn die Ma von dem Kleinen?“ Stille. Mein Blick fliegt zwischen Miyavi und Uruha hin und her, der erschrocken seine Gabel zurück auf den Teller legt. Mein ehemals bester Freund versteinert einen Moment, dann sagt er leise: „Sie ist tot.“ Ich höre Uruha auf seinem Stuhl herumrutschen. „Also eigentlich ist sie ja …“ „Sie. Ist. Tot.“ Plötzlich wütend springt Miyavi auf, dreht sich um und geht. Nur im Türrahmen dreht er sich kurz um. „Bringt bitte Takeya ins Bett.“ Der Rest des Essens verläuft schweigend, Uruha steht irgendwann auf, nimmt Takeya an die Hand und geht raus, um ihn ins Bett zu bringen. Maya sitzt wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl und starrt auf die Bratwurst, die ihm mittlerweile nicht mehr zu schmecken scheint. Seine Unterlippe zittert, ich bin mir sicher, dass er anfangen würde zu weinen, wäre da nicht Aijis Arm um seine Schultern. „Hey, Maya, es ist nicht deine Schuld“, sage ich schnell, schon im Aufstehen. „Du hattest schließlich keine Ahnung. Ich geh mal nach ihm gucken.“ Um ehrlich zu sein, bin ich gerade ziemlich verwirrt. Nie hat Miyavi über irgendwelche Probleme oder gar den Tod von Takeyas Mutter geschrieben … Obwohl er auch nie wirklich überhaupt etwas über sie geschrieben hat. So wirklich ist mir das gar nicht aufgefallen, viel zu sehr habe ich mich immer über neue Briefe von Miya gefreut. „Er ist in seinem Zimmer.“ Erschrocken zucke ich zusammen, drehe mich um. Hinter mir steht Uruha. „Du kannst reingehen, wenn du willst. Vielleicht möchte er dich jetzt lieber sehen als mich.“ Miyavi liegt auf dem Bett, seine Kleidung liegt auf dem Boden. „Miya?“ Keine Antwort. Vorsichtig komme ich näher, setze mich auf die Bettkante. „Miya??“ Quälend langsam dreht er mir sein Gesicht zu. Er hat nicht geweint, doch seine Augen schimmern traurig. „… Ruki.“ Vorsichtig greift er nach meiner Hand, zieht sie an seinen Körper und hält sie fest. „Entschuldige.“ Irritiert runzle ich die Stirn. „Warum entschuldige?“ „Weil ich dir nichts davon geschrieben habe, von Takeyas Mutter.“ Im Dunklen dieses Zimmers wirkt Miyavi so todunglücklich, dass ich beinahe heulen könnte. Einzelne Strähne seines schwarzen Haars hängen ihm in die Stirn, seine Augen wirken wässrig. Ein Auto fährt draußen vorbei, der Lichtschimmer der Scheinwerfer huscht über seine Wangen. „Kein Problem. Es ist ja noch nicht zu spät. Was ist denn mit ihr?“ „Morgen, in Ordnung?“ Ich nicke, entziehe ihm ruhig meine Hand und stehe auf. Irgendwie habe ich das Gefühl, er kann mich gerade nicht gut gebrauchen, will eher allein sein. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht. „Ruki, magst du nicht hier bleiben?“ Überrascht drehe ich mich um. Eigentlich würde ich ablehnen, wir haben uns so lange nicht gesehen, kaum miteinander gesprochen und jetzt soll ich mich zu ihm legen? „Bitte, Ru, ich möchte nicht allein sein.“ Kurz zögere ich noch, dann nicke ich. Keine zwei Minuten später schiebe ich die Decke zur Seite und schlüpfe neben Miya, der mich sanft anlächelt. „Danke, Kleiner. Du glaubst nicht, wie ich dich in den letzten Jahren vermisst hab.“ Die letzten Worte nuschelt er so leise in meine Haare, dass ich ihn fast nicht verstanden hätte. Letztendlich weiß ich nicht, wie lange wir hier gelegen haben, er seine Nase in meinen Haaren, aber es wird leiser vor der Tür. Irgendwann still. Neben mir höre ich Miyavi atmen, regelmäßig, doch ich weiß, dass er noch wach ist. Schon als mein Babysitter hat er bei uns übernachtet, ich habe mich damals gern zu ihm auf die Couch geschmuggelt. Und schon damals hat er im Schlaf immer leise vor sich hingemurmelt. Das Geräusch der Tür holt mich aus meinen Gedanken. „Papa, is kann nicht schlafen …“ Hinter mir setzt sich Miyavi auf, seine Augen sind schon ganz klein. Müde streicht er sich eine Strähne aus dem Gesicht, lächelt seinen Sohn zärtlich an. „Hey, Sweety. Du kannst nicht schlafen? Was ist denn los?“ „Da war ein gaaanz goßes Monster! Das wollte mis aufessen!“ „Ein ganz großes Monster?“ Von jetzt auf gleich ist mein bester Freund wieder der fürsorgliche Vater, seine Müdigkeit scheint verschwunden. „Na, dann komm mal her. Hier kann das Monster dich ganz bestimmt nicht aufessen, hm? Hier sind ja Ruki und ich, wir passen auf dich auf.“ Kurz drauf kommt das Tapsen kleiner Kinderfüße auf uns zu, dann schiebt sich ein kleiner Körper zwischen uns. Takeya ist kalt, seine Füße legen sich wie zwei Eisklumpen an meine Schienbeine. „Dann schlaf mal schön, Sweety, ich hab dich lieb“, flüstert mein bester Freund leise, während er seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn drückt. „Dute Nacht, Papa. Dute Nacht, Tumpfbappe.“ Takeya rollt sich eng zusammen, steckt sich seinen Daumen in den Mund und ist ein paar Sekunden später eingeschlafen. Leicht streicht Miyavi dem Kleinen durch die dunklen Haare und wirkt so unglaublich beschützend, dass es fast wehtut. Früher ist er auch mit mir so umgegangen, hat neben mir gesessen, bis die Albträume verschwanden. Ein kleiner Stich bohrt sich in meine Brust, als Miya Takeya auf seinen Bauch zieht und beide Arme um ihn schlingt. „Soll ich rübergehen?“, frage ich leise, um Takeya nicht zu wecken, mein bester Freund schüttelt den Kopf. „Nein, bleib ruhig hier, immerhin haben wir uns jahrelang nicht gesehen … Komm her!“ Lächelnd löst er einen Arm von seinem Sohn und zieht mich zu sich herüber. „Gute Nacht, kleiner Ru.“ „Gute Nacht, großer Miya.“ Ich höre ihn leise lachen, der Rest geht in dem Gefühl unter, ihn endlich wieder bei mir zu haben. Die Wärme, die von ihm ausgeht und dieses Gefühl, genau hierher zu gehören. Ich fühle mich gut, das warme Gefühl wirkt schwer, macht mich müde. Und ehe ich mich versehe, bin ich eingeschlafen. Genau wie früher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)