Forever von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Kapitel 4 Das schrille Klingeln des Telefons durchschneidet die Stille der Nacht. Über den Tasten des Flügels ballen sich meine Finger unwillkürlich zu Fäusten. Ich habe keinen einzigen Ton zustande gebracht, trotz der langen Stunden, die ich bereits hier sitze. Das Buch liegt noch immer auf der Couch, unberührt, denn ich habe nicht die Kraft gehabt eine weitere Seite zu lesen. Dass der Anrufer noch nicht wieder aufgelegt hat, bis ich das Telefon endlich erreicht habe, ist ein kleines Wunder, aber schließlich schaffe ich es doch den Anruf anzunehmen. „Ja...?“ Meine Stimme hört sich selbst in meinen eigenen Ohren schwach und kränklich an. „Yoshiki? Bist du das?“ Es dauert einen Augenblick, bis ich die Stimme, die blechern aus dem Hörer schallt, erkenne. Zu lange habe ich sie nicht mehr gehört. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist, Atsushi?“ Als ob Tageszeiten noch eine Bedeutung hätten, aber ich will versuchen, den Schein von Normalität zu wahren. Schließlich muss nicht die ganze restliche Welt direkt wissen, wie es eigentlich in mir aussieht, dunkel, verloren... wie auch immer. Atsushi ist wohl eine der letzten Personen auf Erden, der ich etwas vormachen könnte. „Oh.“ Der ernüchterte Laut lässt mich unweigerlich Lächeln. Erst jetzt merke ich, dass mir die lange Zeit ohne zwischenmenschliche Kontakte nicht wirklich gut getan hat. Zu viel Zeit zum Nachdenken, zu viel Trauer, zu viele Tränen. Auch wenn es nicht genug Tränen auf dieser Welt gibt, für das, was passiert ist. „Wie auch immer, wie geht es dir? Ich bin übermorgen in den Staaten und dachte, wir könnten uns mal wieder treffen. Ich meine... nach dem, was passiert ist. Vielleicht brauchst du eine starke Schulter. Oder einfach nur jemanden zum Reden.“ Atsushi redet wie ein Wasserfall, völlig untypisch für ihn, doch allein seine Stimme zu hören weckt in mir ein Gefühl der Geborgenheit. Obwohl mir im Moment weder nach Gesellschaft noch nach Reden zu Mute ist, willige ich ein. Alles in mir sehnt sich danach einfach wieder zurück ins Bett zu gehen, zurück in diesen wunderschönen, tiefen Schlaf zu fallen. Ich möchte weiter träumen und sein Gesicht vor mir sehen, seine Berührungen spüren, seine Stimme hören und das Gefühl haben, dass alles völlig in Ordnung ist. Noch immer kann ich seine Lippen auf den meinen spüren und die Wärme, die von ihnen ausging. Es war so tröstend und auch so schmerzhaft zugleich. Allein die Erinnerung lässt mein Herz rasen, meine Kehle schnürt sich zu, als würde irgendetwas in mir versuchen, mich zu ersticken. „...willst du das...?“, frage ich leise in die Stille des leeren Hauses hinein. „... dass ich dir folge...?“ Auch wenn ich nicht auf eine Antwort warte, horche ich trotzdem angestrengt. Mein angestrengter Atem ist das einzige Geräusch in dem dunklen Zimmer. „Hey, wovon redest du?“, schallt plötzlich eine leicht amüsierte Stimme durch den Hörer in meiner Hand. Ich habe glatt vergessen, dass Atsushi noch immer in der Leitung ist. „Ist jemand bei dir?“ „...nein.“ Wie konnte ich auch auf eine Antwort hoffen? Träume können schließlich nicht sprechen. Wir beenden das Gespräch und vereinbaren ein Treffen. Einerseits freue ich mich darauf, Atsushi nach so vielen Monaten endlich wieder zu sehen. Andererseits möchte ich einfach nur noch allein sein und verhindern, dass irgendjemand, der mir nahe steht, mich in diesem Zustand sieht. Schwach... und alles andere als perfekt. Wenige Tage später... Ich habe es immer geliebt das Meer zu beobachten. Die wogenden Wellen und die salzige Luft wirkten oft beruhigend und halfen mir häufig über dunkle Zeiten hinweg. Als würde der Wind, der in Richtung Strand wehte, alle Sorgen vertreiben. Heute weht der Wind stärker als sonst, doch meine Sorgen, Trauer und Verzweiflung kann auch er nicht vertreiben. Die Wolken färben den Himmel in ein dunkles grau-blau und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ruhe vor dem Sturm zu Ende ist und ein Gewitter mit aller Macht auf uns hernieder geht. „Du bist so still...“ Atsushi seufzt leise. Wir sitzen nebeneinander im weichen Sand. Seit Stunden erzählt Atsushi mir die verrücktesten Geschichten aus seinem Leben, aber eigentlich hätte er mir genauso gut was vom Pferd erzählen können. Ich höre die Worte, aber sie machen keinen Sinn. Sowieso scheint er nur des Redens Willen zu sprechen, damit wir uns nicht die ganze Zeit über anschweigen. „Was hast du die letzten Wochen gemacht?“, fragt Atsushi leise und sieht mir das erste Mal richtig in die Augen. Ich habe das komische Gefühl, dass wir uns völlig fremd geworden sind. Der Gedanke, dass wir uns doch schon so oft viel näher gewesen sind als jetzt, ist mir so fern, als wäre das alles in einem anderen Leben geschehen. Als wir uns das letzte Mal sahen, war noch alles in Ordnung, mein Leben kein Scherbenhaufen ohne Aussicht auf eine Zukunft. Ich zucke die Achseln und finde kaum die Kraft ihm zu antworten. „Ich war zu Hause.“ Mehr gibt es wohl nicht zu erzählen. Die vergangenen Wochen seit meiner Rückkehr nach Los Angeles sind vorüber gezogen wie die Wolken oben am Himmel, schnell und unruhig. Die letzten Tage habe ich mir ständig Gedanken darüber gemacht, ob ich Atsushi von dem Buch erzählen soll, dass ich von Hiroshi bekommen habe. Ich habe keine Zeile mehr gelesen, habe es nicht über mich gebracht weiter in die Gedanken eines anderen einzudringen. Nach einigen weiteren Minuten des Schweigens, entscheide ich mich dazu, Atsushi von dem Tagebuch zu erzählen. Vielleicht kann er ein wenig Licht ins Dunkel bringen, mir einen Anstoß geben, was ich damit machen soll. Ob ich meiner Neugierde nachgeben soll einfach weiter zu lesen. „Hmm... an deiner Stelle, würde ich es einfach lesen.“, meldet Atsushi sich nach einigen Momenten der Stille zu Wort. Er nickt, wie um sich seine eigenen Worte zu bestätigen. „Denkst du nicht, dass Hiroshi schon seine Gründe gehabt haben wird, gerade dir das Buch zu schicken? Vielleicht wusste er mehr über hide, als du denkst. Vielleicht sind diese Worte garnicht an seine Freundin gerichtet sondern an jemand anderes...“ Er hebt bedeutungsvoll eine Augenbraue und zuckt die Achseln. Was soll das für eine Andeutung sein? „Du bildest dir da Dinge ein, die gar nicht da sind.“ Ich schüttele den Kopf. Was Atsushi da andeutet ist ganz und gar unmöglich. Sicher hätte ich es bemerken müssen, falls da wirklich mehr als nur Freundschaft hätte sein sollen. „Vielleicht ist das alles nur ein Missverständnis.“ „Und wenn schon. Denkst du, hide hätte etwas dagegen, wenn du das jetzt liest?“ Obwohl ich weiß, wie Atsushis Worte gemeint sind, machen sie mich irgendwie wütend. Gleichzeitig sind sie wie ein brennender Stich in mein Herz. „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: hide will garnichts mehr... er ist nicht mehr hier und was ich tue oder auch nicht tue macht keinen Unterschied mehr!“ Seinen Namen über die Lippen zu bringen fällt mir so schwer wie seit langem nichts mehr. Und diese Worte auszusprechen sind wie eine Wahrheit, die erst jetzt an die Oberfläche tritt. Als wäre sie bisher verborgen gewesen. So sehr ich auch versuche meine Tränen zu verbergen, Atsushi bemerkt sie trotzdem. Sanft legt er einen Arm um meine zitternden Schultern. „Tut mir leid...“ Seine Stimme ist so leise, dass sie über dem Rauschen der Wellen kaum hörbar ist. Nur sein unregelmäßiger Atem an meiner Schulter verrät, dass er die Worte wirklich spricht. Die Nähe tut seltsamerweise wirklich gut, auch wenn ich mir in diesem Moment eigentlich die Berührungen einer völlig anderen Person wünsche. Atsushis Hand streicht sanft über meinen Rücken und selbst durch den Stoff meines Shirts hindurch spüre ich die Hitze seiner Haut. Mein Verstand setzt aus, ich will nur noch vergessen. Die Fremde zwischen uns scheint plötzlich gänzlich verschwunden, als wären wir niemals getrennt voneinander gewesen. Mein Herz rast wie beim ersten Mal als wir uns derart nah gekommen waren. Damals, als alles noch rein geschäftlich war, keiner von uns wusste, dass irgendwann einmal mehr aus diesen angedeuteten Berührungen werden würde. Über die Jahre haben wir uns immer wieder Tage gestohlen, abgeschieden von der Welt und allem, was sie mit sich bringt. Fern von unerwiderten Gefühlen, Zurückweisungen und gebrochenen Herzen. Unsere Körper gaben einander Trost während dieser Zeiten und tun es auch jetzt wieder. Als meine Lippen verzweifelt die seinen suchen, bemerke ich erst, dass wir uns beide immer näher kommen. Es ist wie eine Art unsichtbarer Anziehung, eine Verbindung die uns immer weiter zueinander zieht. Nur für ein paar Minuten will ich vergessen. Ist das zu viel verlangt? Darf ich so viel einfordern? Noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, spüre ich Atsushis Hände überall auf meinem Oberkörper, forschend, entdeckend, als wäre es das erste Mal. Nach der ersten Überraschung ist sein Kuss fordernd und leidenschaftlich; ein Feuer, dass mich innerlich und äußerlich beinahe zu verbrennen droht. Es vergehen Minuten bis wir uns schwer atmend wieder voneinander trennen, die Lippen gerötet. Seine Augen sind dunkel und funkeln vor Verlangen. Es ist diese Unbändigkeit, die ich so sehr an ihm liebe. Ist Liebe das richtige Wort? Ich weiß es nicht, aber die Antwort ist in diesem Moment ohnehin nebensächlich. „Wir sollten das nicht...“ Seine Stimme ist zittrig und leise. „... das ist doch nicht das, was du willst.“ Ich komme nicht um ein heiseres Lachen. „Ist es an dir, zu entscheiden, was ich will?“ Ein prüfender Blick in die nähere Umgebung zeigt mir, dass wir allein sind. Kaum jemand findet bei diesem ungemütlichen, für Los Angeles doch völlig untypischen Wetter, seinen Weg an den Strand. Wir sind ungestört. „Was ich will, kann mir sowieso keiner mehr geben. Dafür ist es zu spät...“ Die Wahrheit meiner eigenen Worte trifft mich plötzlich mit all ihrer Wucht und treibt mir beinahe erneut die Tränen in die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)