Forever von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Die folgenden Tage vergehen wie im Fluge. Manchmal glaube ich, wirklich verrückt zu werden und meinen Verstand gänzlich zu verlieren. Als ich Pata kurz nach der Landung in Narita von meiner Begegnung im Flugzeug erzähle, schenkt dieser mir nach kurzer Verwirrung einen mitleidigen doch auch ebenso verständnisvollen Blick. Seine Augen sind gerötet von Tränen, die er im Geheimen vergossen haben muss, doch nach Außen wirkt er stark wir immer. Einen Freund so früh verabschieden zu müssen kann sich wohl nicht richtig anfühlen. Ihn dort liegen zu sehen, den wahrhaftigen Beweis für seinen Tod zu haben, ist allerdings noch einmal eine ganz andere Sache. Im Angesicht der Tatsache, dass mein bester Freund wirklich fort ist, fällt es mir unendlich schwer den Schein zu wahren und weiterhin Stärke vorzuspielen. Langsam glaube ich selbst, dass meine Begegnung auf dem Weg hierher nur einen Einbildung, ein Wunschtraum vielleicht gewesen sein muss. Mag sein, dass die lange Zeit der Schlaflosigkeit irgendwann ihren Tribut fordern musste und mich in fiebrige Träume geführt hat. Mag sein, dass mein Unterbewusstsein seinen Tod einfach nicht akzeptieren kann. Nach der offizellen Trauerfeier treffen wir uns im kleinen Kreise. Auch Taiji hat noch einmal zu uns gefunden und wohnt der kleinen Runde im Elternhaus unseres verstorbenen Freundes bei. Es ist nicht so, dass ich dieses Haus das erste Mal in all diesen Jahren betrat, trotzdem fühlt sich der Anlass dieses Mal nicht richtig an. Es ist eine verkehrte Welt, in der Realität und Albtraum miteinander verschwimmen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich wach bin oder mich in einem dieser merkwürdigen tagträumerischen Zustände befinde, die mich in den Tagen, seit ich Los Angeles verlassen habe, ständig einzuholen scheinen. Nach dem gemeinsamen Essen, das keiner von uns wirklich zu genießen scheint, lockert sich die ganze Runde etwas auf. Man kümmert sich um den Abwasch oder nutzt den milden Abend um eine Zigarette oder zwei auf der Terrasse zu rauchen. Nur ich bleibe irgendwie verloren an meinem Platz hängen und weiß nicht wohin. Alles in mir schreit danach die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen so weit und so schnell es nur irgend möglich ist. Nur mein Verstand rät mir besseres. Ich weiß nicht wie oder warum, aber irgendwann tragen mich meine Füße in die obere Etage und bevor ich mich versehe stehe ich vor der Tür zum Zimmer meines verstorbenen Freundes. Ob es unangemessen wäre, es zu betreten? Obwohl so viel Zeit seit seiner Jugend vergangen sind, befinden sich noch immer viele persönliche Gegenstände in diesem Raum. Ein Raum der von nun an wohl kaum mehr als ein Ort der Erinnerung und eine bessere Abstellkammer sein wird. „Gehen Sie nur hinein...“ Eine bedrückte Frauenstimme lässt mich aus meinen Gedanken erwachen und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Überrumpelt schüttele ich schnell den Kopf und verbeuge mich hastig. „Tut mir leid, ich wollte nicht... es tut mir leid.“ Wie kann man nur so unsensibel sein, derart in die Privatssphäre anderer eindringen? Meine Wangen werden heiß vor Scham, ich fühle mich wie ein Schuljunge, der beim Ungehorsam überrascht worden ist. Sie schüttelt traurig lächelnd den Kopf. „Machen Sie sich bitte keine Gedanken, Hayashi-san.“ Sie deutet eine Verbeugung an. „Ich bin froh, dass ich Sie hier unter vier Augen treffe. Nach allem was Sie für uns und unseren Jungen getan haben, wollte ich mich noch einmal ausdrücklich dafür bedanken. Ich weiß nicht, wie wir das alles sonst geschafft hätten...“ Leise seufzt sie und langsam beginne ich zu verstehen wie schwer diese ganze Sache für sie gewesen sein muss. Nicht nur einen ihrer Söhne zu verlieren sondern zugleich mit der Aufmerksamkeit des halben Landes bedacht zu werden ist nicht gerade alltäglich. Und obwohl wir uns mittlerweile an die Presse hätten gewöhnt haben sollen, kam auch für uns alle der Ansturm und die Anteilnahme so vieler Fans sehr überraschend. Wie musste sich nur jemand fühlen, der damit keinerlei Erfahrung hatte? „Ich bitte Sie, das ist das Mindeste...“ Meine Stimme versagt und ich lächele sie nur verunglückt an. Doch sie scheint zu verstehen. Wenn ich nicht einmal das hätte für ihn tun können... Nur mit größter Anstrengung gelingt es mir erneut die Tränen zurück zu halten. Dies ist nicht der Ort und nicht die Zeit für Schwäche. Die Trauer kann warten... Einige Wochen später... „Ein Einschreiben für Sie, bitte unterschreiben Sie hier!“ Die junge Postbotin sieht reichlich gestresst aus. Die Morgensonne, die durch die geöffnete Tür scheint, schmerzt in meinen Augen. Sind Tage schon immer so hell gewesen? Sicher sehe ich aus wie eine wandelnde Leiche, selbst die Postbotin sieht mich mit einem prüfenden Blick an als ob sie einem Geist gegenüber stände. Meine Haut hat seit Wochen kein Tageslicht mehr gesehen, meine Glieder sind steif... Bewegung und frische Luft scheint mir in diesem Moment nebensächlich. „Danke...“, murmele ich leise und sehe der jungen Frau einen Augenblick hinterher, als sie mit ihrem Wagen die Auffahrt verlässt. Der dicke Briefumschlag liegt schwer in meiner Hand und ein kurzer Blick auf den Absender verrät mir, dass er aus Japan kommt. Aus Yokosuka um genau zu sein und der Name, der sorgfältig auf das Papier geschrieben wurde, lässt meine gefasste Fassade wieder bröckeln. Gerade, als ich das Gefühle habe, dass ich wieder atmen kann, ohne dass es mir die Kehle zuschnürt, stürzt alles wieder in sich zusammen und all die dunklen Gedanken kehren zurück mit aller Kraft. Matsumoto ...meine Hände zittern und ich bin mir garnicht sicher, ob ich den Brief überhaupt öffnen möchte. Ehe ich es mich versehe stehe ich im Wohnzimmer vor meinem Schreibtisch, der Umschlag darauf wirkt irgendwie bedrohlich, als würde er alles verändern. Wieder einmal. „Stell dich nicht so an, Yo-chan! Es ist nur ein Brief!“ Eine fröhliche Stimme aus Richtung der Couch lässt mich aufschrecken. Mein Herz bleibt einen Moment lang stehen, als ich das breite Lächeln und die weit über die weichen, weißen Kissen ausgebreiteten Arme erkenne. Seine Augen funkeln amüsiert, strahlen mich an wie all die vergangenen Jahre auch. Einige Strähnen seines pinken Haares fallen ihm in das jugendliche Gesicht und lassen mich für einen Moment alles andere vergessen... auch, dass er eigentlich tot ist. Aber wie kann ein Toter so lebendig aussehen? Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, aber ich kann nicht genau sagen, was es ist. Obwohl mein Verstand mit aller Macht dagegen ankämpft, kommt mein Herz nicht umhin einfach zu akzeptieren, was meine Augen sehen. „Was ist in dem Umschlag?“, frage ich leise. Meine Stimme ist rau durch die langen Tage, die ich sie kein einziges Mal benutzt habe. Ich kann es kaum erwarten seine Stimme wieder zu hören, die kleinen Bewegungen zu beobachten, die er beim Sprechen macht. Sein Brustkorb hebt und senkt sich völlig ruhig und gleichmäßig, wie all die anderen Male die er an dem selben Platz gesessen hat. Er lacht, völlig unbekümmert, als hätte ihm gerade jemand den besten Witz seit langem erzählt. „Woher soll ich das denn wissen. Du hast ihn ja noch nicht geöffnet!“ Er steht auf und kommt mit langsamen Schritten näher. Seine Bewegungen sind sanft und lautlos, als würde er den Boden nicht einmal berühren. Ich spüre, wie sich mein Atem beschleunigt, mein Herz rast mit jedem Zentimeter, den er sich mir nähert, mehr. Natürlich, mein Geist muss mir einen Streich spielen, aber dieser Streich ist verdammt überzeugend. „Sieht aus, wie irgendein Buch...“ Seine Stimme ertönt direkt neben meinem Ohr. Wie konnte er so plötzlich neben mir stehen? Er ist so nah, dass ich die Wärme seines Körpers spüren und seinen Duft riechen kann. Er hat sich kein bisschen verändert. „... aber vielleicht ist es auch eine Briefbombe, wer weiß?“, grinst er mich frech an und hebt fragend eine Augenbraue. Es ist völlig absurd, aber doch so typisch für ihn. Wie sehr habe ich das vermisst... „Du dürftest garnicht hier sein...“ Meine Lippen sprechen die Worte, bevor ich sie überhaupt daran hindern kann. Doch so sehr mir auch klar ist, dass ich mir das alles hier doch nur einbilde, sehnt sich mein ganzer Körper danach, es einfach zu vergessen und diese verrückte Situation zu genießen. „Ach, nein?“, fragt er leise und neigt seinen Kopf bis unsere Lippen sich beinahe berühren. Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren, meine Finger formen sich zur Faust, meine Knie zittern. Ich spüre, wie mir erneut Tränen in die Augen steigen; das Wissen, dass ich aus diesem wunderschönen Traum sicher gleich erwachen werde, ist einfach zu erdrückend. „...hide... ich...“ Und als ob sein Name auf meinen Lippen einen unsichtbaren Bann gelöst hätte, schließt er die letzen Zentimeter zwischen uns und verschließt meine zitternden Lippen mit einem sanften Kuss, der mir ein für alle Mal den Atem raubt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)