Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 10: Kaira, die Einzelkämpferin -------------------------------------- Leise fiel der Schnee vom pechschwarzen Himmel. Kein Licht vermochte es durch die dichte Wolkendecke zu brechen, weder das Sternenlicht noch das Licht des Mondes. Doch selbst wenn es einem dieser Lichter gelingen würde, die Dunkelheit zu durchbrechen, würde es nicht den Boden erreichen; den schneebedeckten Boden, auf dem ein kleines Mädchen irrte, denn hohe weiße Tannen verdeckten die Sicht zum Himmelszelt. Durch diese Eiseskälte kämpfte sich das Mädchen; kämpfte sich durch diesen schier endlosen Wald, mit seiner endlosen Dunkelheit und der beißenden Kälte. Der Schnee ging der Kleinen fast bis zu den Knien und dennoch hinderte sie dies nicht daran, ihren Weg fortzusetzen. Sie zog sich unentwegt weiter. Um alles in der Welt wollte sie nicht zurück.   Sie würde sich nicht herumdrehen, selbst wenn die Kälte sie verschlucken würde und sie sich mit dieser vereinen würde. Umkehren war keine Option. Niemals.   Der Atem des Mädchens nahm Konturen in der kalten Luft an, zeichnete sich einen Moment in der Dunkelheit ab, ehe er sich in dieser auflöste, wovon ihre dunklen Augen fasziniert wurden, ehe sie flehend zum Himmel hinauf schaute, obwohl die dichten Tannen ihr dies verwehrten. Sie tat dies nicht in der Hoffnung, ein kleines Lichtlein am dunklen Firmament zu finden, sondern in der Hoffnung und im Flehen, dass es doch endlich aufhören mochte zu schneien.   Warum fielen diese kleinen Pünktchen überhaupt vom Himmel? Warum blieben sie nicht dort, wo es doch so viel schöner war? Warum mussten sie herunterfallen und diese Kälte verbreiten? … und warum mussten sie alles verschlucken?   Das Mädchen senkte den Kopf wieder, atmete tief ein und spürte, wie die Kälte sich in ihrem Inneren verteilte, wie sie sie von Innen heraus peinigte und sie presste die Lippen aufeinander, als könnte dies die Kälte draußen halten, die sie doch schon längst eingenommen hatte. Sie wollte sich gerade weiterschleppen, als sie über irgendetwas im Boden stolperte und in den kalten Schnee fiel, welcher sie hart und unbarmherzig umarmte, ihre Kleider nässte und an ihrer Haut nagte, so dass sie schnell die Kraft verlor, sich weiter zu schleppen. Reglos blieb sie liegen.   …   „Glaubst du, dass Green-chan lieber weich gekochte Eier mag oder harte?“ Mit einem Seufzen, welches schnell von einem Gähnen abgelöst wurde, wachte Green auf, von einem ihr bis jetzt noch unbekannten Tumult geweckt, welcher ihr erst nach dem zweiten Herumdrehen bewusst wurde. Aber kaum als sie ihn bemerkte, saß sie plötzlich kerzengerade im Bett, den Wecker ausschaltend, der gerade anfing, laut zu kreischen. Es gelang ihr gerade noch die Beine aus dem Bett zu schwingen, als die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufging und Siberus Kopf in der Tür erschien, mit einem breiten Lächeln, welches Green gewiss nicht erwiderte. „Guten Morgen, Green-chan!“ „Was zur Hölle…“, war das erste, was Green an diesem ersten Dezember missbilligend sagte, obwohl sie bereits den angenehmen Geruch von einem fertigen Frühstück roch, und wenn sie sich reckte und streckte, um an Siberu vorbei zu sehen, dann erblickte sie auch Gary, der an einem gedeckten Frühstückstisch saß. Als er ihren Blick bemerkte, zuckte er nur mit den Schultern und Green verstand die Nachricht: er hatte genauso wenig eine Ahnung was das hier sollte wie sie und es war eindeutig auf Siberus Mist gewachsen. „Hübsches Nachtkleid…“ Diese Aussage eroberte sofort ihre Aufmerksamkeit, denn auch sie bemerkte, was Siberu bereits festgestellt hatte: vom Schlafen waren die Träger ihres schwarzen Nachtkleides verrutscht, denn Green war eine sehr unruhige Schläferin. Dies sorgte nun dafür, dass ihre Oberweite nicht vollends unter dem schwarzen Stoff verborgen lag; kaum hatte sie das bemerkt, nahm sie ihr Kissen und warf den breit grinsenden Rotschopf damit ab. „Raus hier, aber dalli!“ Obwohl Siberu lachend das Kissen aufgefangen hatte, hatte er die unmissverständliche Botschaft verstanden und während Green aufstand, um sich anzuziehen, schloss er die Tür hinter sich. Green brauchte nicht lange, um ihre mittlerweile wieder saubere Schuluniform herauszusuchen, diese anzuziehen und sich fertig zu machen; sie wollte immerhin wissen, was es mit diesem morgendlichen Besuch auf sich hatte. Dies war auch ihre erste Frage, als sie ihr Zimmer verließ, mit einer Bürste in der Hand und dabei, ihre Haare nach dem Schlaf zu zähmen. Was sie allerdings in der Küche vorfand, brachte sie kurz zum Schweigen, denn es war lange her, dass ihr Küchentisch so gedeckt war wie an diesem Morgen. Anscheinend war Siberu recht stolz darüber, obwohl er im Prinzip nichts anderes getan hatte, als ihren Kühlschrank zu plündern und alles auf den Tisch zu stellen, was sich in diesem befunden hatte. Zu Pinks Freude, denn so befand sich die gesamte Schokolade auf dem Tisch und offensichtlich war dies nun ihr Frühstück. Die eventuellen Karies hielten sie nicht davon ab und irgendwie freute es Green, ihre Mitbewohnerin so heiter zu sehen, denn seitdem sie ihre Narben gesehen hatte, war ein unbeschreiblicher Beschützerinstinkt in ihr entstanden, und auch wenn Pink die Narben nicht kommentiert hatte, hatte Green das Gefühl, sie hätte sie in ein Geheimnis eingeweiht.    „Guten Morgen, Green“, sagte Gary, während er einen Schluck von seinem Kaffee nahm und eine Seite in seinem Buch umblätterte, welches an ein Glas gelehnt stand. Anscheinend konnte ihn nichts davon abbringen, fleißig für die Schule zu sein. „Guten… Morgen“, antwortete Green ein wenig unsicher über diesen morgendlichen Besuch, was Siberu sofort für sich ausnutze. Er nahm ihr die Bürste aus der Hand und lotste Green zum Tisch, als wäre sie selbst nicht in der Lage, die zwei Schritte zu gehen. Wie es sich für einen Gentlemen gehörte, schob er ihr natürlich einen Stuhl heraus und bot ihr auch sogleich etwas zu trinken an. Doch gerade als er ihr Orangensaft einschenken wollte, erwachten Greens Sinne und damit ihre Widerwehr scheinbar zum Leben und sie nahm ihm den Orangensaft aus der Hand. „Glaub nicht, dass so etwas bei mir zieht, Sibi. Damit bewirkst du gar nichts“, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen, während sie sich den Saft selbst einschenkte. Siberu ließ sich davon natürlich nicht beirren und nahm neben Green Platz. „Sag, Green-chan, mir ist beim Tischdecken aufgefallen, dass der Inhalt deines Kühlschranks recht europäisch angehaucht ist: du hast weder Reis noch Soja und ich hab keinen Fisch gefunden. Und da habe ich mich gerade auf ein japanisches Frühstück gefreut!“ „Ich mag keinen Fisch“,  lautete Greens simple Antwort. „Oh, ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Japanerin finde, die keinen Fisch mag.“ „Ich bin keine Japanerin, ich komme aus Deutschland“, antwortete die Wächterin recht kühl und sachlich auf Siberus heitere Frage und auch ihr Blick war düsterer geworden. Verwundert über diese Reaktion warf der Rotschopf einen Blick zu seinem Bruder, der ein Schulterzucken andeutete, doch zu verstehen gab, dass Siberu nicht nachhaken sollte: dazu kam er auch nicht, denn gerade als er doch noch etwas dazu sagen wollte, wandte Green sich plötzlich wie vom Blitz getroffen zu ihm herum, mit einem recht aufgewirbelten Gesichtsausdruck, welchen weder Siberu, noch Gary verstehen konnten; Pink bekam nichts mit.  „Warte mal, Sibi, mir fällt da gerade ein winziges Randdetail auf.“ Nun sah sie nicht mehr nur Siberu an, sondern auch Gary, der gerade angefangen hatte, sein Brot zu beschmieren. „Esst ihr da gerade das Essen, was ich bezahlt habe?“ Gary, der Green nun schon länger kannte als Siberu, ahnte sofort, wohin dieser doch recht anklagende Satz führen würde und da er Schlimmes ahnte, legte er sofort das Messer von sich. Sein Bruder jedoch wirkte unschuldig, wie als hätte er vom Freundschaftsrabatt-Thema nichts gelernt und wählte natürlich die falschen Worte: „Ja, das tun wir, aber keine Sorge, Green-chan, ich habe das Geld bereits in deine Haushaltskasse gelegt!“ „Oh, das ist…“ Umgehend, als sie seine Worte ein weiteres Mal überdacht hatte, verschluckte sie sich an ihrem Orangensaft. Gerade als Siberu ihr helfend auf den Rücken klopfen wollte, verstarb der Hustenanfall bereits und die Wächterin vollführte ihren Satz aufgebracht: „Woher weißt du wo meine Haushaltskasse versteckt ist?!“ Siberu ahnte nach wie vor nicht die Gefahr, in der er schwebte und sagte grinsend, dass er sich ein wenig in ihrer Wohnung umgeguckt hatte – an Greens Gesichtsausdruck war sofort klar zu erkennen, dass ein „wenig umgucken“ eigentlich nicht genügte, um ihre Haushaltskasse zu finden. Einen Moment lang war sie zu sprachlos, um etwas zu erwidern und schluckte ihre Worte einige Male herunter, bis sie sich entschloss: „Wie kannst du es wagen, meine Wohnung zu durchforsten?! Meine Sachen gehen dich sowas von nichts an, absolut gar nichts!“ „Aber, Green-chan! Neugierde ist keine Sünde und…“ Sofort wurde er unterbrochen: „Da bin ich mir bei dir nicht so sicher…“ „…ich habe sogar ein wenig mehr reingelegt als notwendig.“ Gary sah sofort wie sich Greens Gesichtszüge entspannten, doch ehe sie etwas sagen konnte, sagte er: „Green, du bist doch nicht etwa käuflich?“ „Geld regiert die Welt, Gary“, antwortete Green, als wäre dies eine Entschuldigung; für den fassungslosen Gary war dies jedenfalls keine ausreichende Erklärung, doch schweigend sah er zu, wie Green Siberu mit strahlenden Augen fragte, wie groß dieses „Extra“ denn gewesen sei. Gary konnte nicht drum herum zu denken, dass er von Idioten umgeben war, während er das benutzte Geschirr vom Tisch räumte, als hätte er schon jeden Morgen hier gegessen. Das gestrige gemeinsame Abendessen war für sie alle unbewusst ein Eisbrecher geworden. Dennoch war Gary überrascht über sich selbst und seine ungezwungene Haltung und fragte daher hastig seine Mitschüler, ob sie nicht langsam aufbrechen sollten; er wolle nicht zu spät kommen. Niemand der Drei wunderte sich darüber; plötzlich war es selbstverständlich, dass sie den Schulweg zu dritt gingen. Erst als Green Pink einen schönen Tag wünschte und die Tür hinter sich schloss, blieb sie verwundert stehen. Sie sah die beiden an, die am Treppengeländer standen und auf sie warteten. Sie sprachen über irgendetwas Unwichtiges, während sie auf Green warteten. Sie warteten auf sie. Es war das erste Mal, dass jemand auf sie wartete. Es war das erste Mal, dass sie nicht alleine den Schulweg antrat – warum fiel ihr erst jetzt auf, dass sie früher den Weg immer alleine gegangen war? Warum freute sie sich jetzt, dass sie es nicht mehr tun musste, wo es sie doch nie gestört hatte? „Kommst du, Green?“, fragte Gary und es war recht deutlich zu hören, dass er es eilig hatte, doch das änderte nichts daran, dass Green beinahe schon ein wenig gerührt war, als sie mit den beiden deren Wohnblock verließ.         Als sie in der Schule ankamen, wurde den Dreien schnell bewusst, dass es nicht länger ein gehütetes Geheimnis war, dass Gary und Siberu verwandt waren. Falls sie vorgehabt hatten, es geheim zu halten, so war dies jetzt jedenfalls nicht mehr möglich, denn kaum als sie in die Klasse traten, rannte Sho ihnen bereits entgegen, ausgerüstet mit einem Kugelschreiber und einem Notizblock. Ohne Green überhaupt zu beachten, sprudelten die Fragen nur so aus Shos Mund heraus und ohne dass die beiden Brüder irgendetwas anderes taten, als sie fragend, beziehungsweise skeptisch anzusehen, flog Shos Kugelschreiber wie von Zauberhand über ihren Notizblock. „Ihr seid also Brüder? Wie groß ist der Altersunterschied, wie kommt es, dass ihr unterschiedliche Nachnamen habt? Warum seid ihr nicht gleichzeitig auf diese Schule gekommen und warum hat keiner von euch angegeben, dass ihr verwandt seid?“ „Darf ich fragen, warum dich unsere internen Familienangelegenheiten so überaus brennend interessieren?“, fragte Gary und sein skeptischer Blick fokussierte Sho, als er die Arme verschränkte. Natürlich war er nicht bereit, irgendwelche Antworten zu geben, doch Green bemerkte, dass Siberu diese fragwürdige Aufmerksamkeit Shos sehr wohl gefiel. „Oh, das ist ganz einfach“, sagte Sho und ein vielsagendes Grinsen tauchte auf ihrem Gesicht auf, als sie mit dem Ende des Kugelschreibers auf Siberu zeigte. „Siberu-kun (ein Grinsen breitete sich auf dessen Gesicht aus, als sie ihn so betitelte) ist laut den Leserumfragen im Laufe von sage und schreibe vier Tagen auf Platz Eins der beliebtesten Jungs der Schule gelandet. Da ich eine gute Journalistin bin (Gary hob die Augenbraue, als sie sich selbst so nannte), nehme ich natürlich Rücksicht auf meine Leserschaft, immerhin besteht die Schülerschaft dieser Schule zu 62% aus Mädchen. Daher, Gary… interessiert mich eurer Familiendrama, weil Siberu-kun mich und alle 62% interessieren.“ „“Familiendrama“?“, warf Gary dazwischen, als Siberu bereits Feuer und Flamme war für Shos Interesse an ihm; scheinbar kam es für ihn nicht als Überraschung, dass die Mädchen der Schule ihm verfallen waren. Zum Glück kam Siberu nicht dazu, seine Begeisterung auszuleben, denn deren Lehrer betrat den Raum und der Unterricht sorgte dafür, dass Shos Schlagzeile warten musste; vorerst.     Die unheilvolle Schlagzeile konnte leider nur bis zur Mittagspause verschoben werden, welche eigentlich ganz normal anfing, mit der Ausnahme, dass Green zum ersten Mal nicht mit ihrer Schulfreundin an einem Tisch saß, sondern sich mit Gary und Siberu einen Dreiertisch teilte. Beim Hingehen hatte sie sich nichts dabei gedacht, erst als sie bereits am Tisch saßen und Gary sie noch einmal den Stoff des Unterrichtes lehrte, fiel ihr auf, dass das, was sie in diesem Moment als natürlich empfand, eigentlich gar nicht so normal war. Sie hatte doch noch nie woanders gesessen als neben Sho – nicht einmal wenn diese krank gewesen war, hatte sie sich woanders hingesetzt; warum war es für sie plötzlich so natürlich, neben Siberu und Gary zu sitzen? Kaum, dass Gary das Mathematikbuch zugeklappt hatte, warnte er Siberu bereits anklagend davor, für irgendwelche nichtigen und unwahren Schlagzeilen zu sorgen. „Was sollte ich schon für unwahre Schlagzeilen in die Welt setzen?“, fragte Siberu, während er sich unauffällig umsah, um eindeutig zu genießen, dass über ihn gesprochen wurde. „Ich würde es dir zutrauen, dass du dir irgendein Familiendrama ausdenkst, nur um in der Schlagzeile zu landen und ich habe etwas dagegen einzuwenden, als ein Mittel zu fungieren, nur um deine Sucht nach Aufmerksamkeit zu stillen, haben wir uns verstanden, Silver?“ „Als ob ich es nötig habe, ein Familiendrama aus dem Ärmel zu schütteln, um in einer Schlagzeile zu landen“, antwortete Siberu und grinste seinen älteren Bruder überlegend und mit überzeugtem Selbstvertrauen an. „Ich glaube…“, fing der Rotschopf an, während er einen Bissen von seinem Sandwich nahm, den Blick auf ein paar Mädchen ruhend: „… dass dieses Schulleben sehr witzig werden wird.“ Green, die seinem Blick gefolgt war, ahnte Schlimmes; Schlimmes für sich, denn wieder bemerkte sie feindselige Blicke auf sich ruhen, nur weil sie mit dem derzeitigen beliebtesten Jungen der Schule an einem Tisch saß – wie würden sie reagieren, wenn sie erfuhren, dass sie sogar mit ihm zusammen gewesen war? Diese Mädchen konnten immerhin nicht wissen, dass Siberu bestimmte Ziele damit verfolgt hatte: von außen hatte es jedenfalls so ausgesehen, als wären sie ein junges Liebespaar – und genauso wirkte es auch, als Siberu seine Hand an ihre rechte Wange legte, ihr Gesicht zu sich schob, um ihr einen Klecks Sahne von der linken Wange zu lecken. Green und Gary erstarrten im gleichen Moment, als Siberu diese Aktion mit einem vielsagenden Lächeln durchführte und während Gary ratlos den Kopf schüttelte, zog Green ihren Kopf beinahe angewidert von ihm weg. „Was bitte soll das werden?!“, keifte Green ihn an, als sie ihre Wange abwischte, als wäre Siberu giftig. Dieser jedoch sagte grinsend, dass Neid das „Geschäft“ fördern würde. „“Geschäft“? Was für ein Geschäft bitteschön? Nein, nein, nein! Ich will es eigentlich gar nicht wissen, behalt es für dich“, sagte Green mit erhobenem Zeigefinger, welcher auf Siberu gerichtet war. „Du sollst mir einfach nicht zu nahe kommen, verstanden, Sibi? Zwischen uns beiden ist es aus, eindeutig aus. Wie oft soll ich mich eigentlich noch wiederholen?“ „Du weißt, dass ich nicht aufgebe. Ich bin nicht fürs Verlieren gemacht.“ „Du hast schon längst verloren, Sibi.“ „Oh, das sehe ich nicht so: in allen Spielen gibt es ein Rematch.“ „Gary! So sag doch was, dein Bruder bringt mich um den Verstand!“ Bei diesem Gefühlsausbruch lugte Gary über sein Essen hinweg und wollte gerade antworten, dass er froh sei, dass es zur Abwechslung mal nicht er war, der wegen seinem Bruder den Verstand verlor, als er als Erstes bemerkte, dass eine vierte Person hinzu gekommen war. Als seine Augen sich überrascht, aber auch mit bösen Vorahnungen weiteten, bemerkten auch Siberu und Green die vierte Person: Sho stand hinter ihnen mit einem recht eifrigen Kugelschreiber, welcher auf ihrem Block hin und her jagte. Als sie bemerkte, dass sie entdeckt worden war, sah sie grinsend auf und sagte: „Hi, ihr drei! Nun, jetzt könnt ihr mir ja gleich alle Einzelheiten erzählen, wenn ihr schon mal dabei seid…“ „Es gibt keine Einzelheiten, die du nicht schon kennst…“, zischte Green, doch das überhörte Siberu gekonnt, als er sein Essen beiseite schob und sich aufrichtete, sich zu Sho gesellte und seinen Arm grinsend um ihre Schuler legte. „Also ich sehe das anders und ich bin gerne bereit, ein wenig auszuführen!“, sagte Siberu, ohne auf Greens und Garys alarmierenden Blicke zu achten. Auch Sho übersah ihre Klassenkameraden gekonnt und nutzte die Gelegenheit, um den Neid der anderen Mitschülerinnen zu ernten und lehnte sich noch einmal extra an Siberu, der offensichtlich nichts dagegen hatte. Gerade als Green den unheilvollen Lauf der Geschichte unterbrechen wollte, drehten die beiden sich schnell herum und das Peace-Zeichen, welches Siberu Green noch einmal zuwarf, beruhigte weder ihre Wut noch ihre bösen Vorahnungen. Grummelnd setzte sie sich wieder zu Gary, welcher genauso unzufrieden aussah wie sie. „Mir schwant Übles…“ „… und mir eine Schlagzeile.“     Als die Mittagspause vorüber war, war Siberus Laune auffällig gut, was die Laune von Gary und Green nicht gerade besserte. Kurz bevor der Lehrer eintraf, wandte Gary sich zu seinem Bruder herum und Green hörte, wie er von den anderen Schülern unbemerkt Siberu etwas in deren dämonischer Sprache sagte, was außerordentlich böse klang. Green musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass Siberu dafür nur ein breites Grinsen übrig hatte. Obwohl die Wächterin sich eigentlich geschworen hatte, Siberu nicht zu beachten, drehte sie sich nun doch herum und sagte warnend:  „Sibi, wenn du auch nur irgendwas in Richtu …“ Doch in diesen Moment öffnete sich die Schiebetür und deren Lehrer kam herein und wie es sich für gute Schüler gehörte, standen diese sofort auf und verbeugten sich. Allerdings reichte Greens Höflichkeit nicht weiter als dies, denn als die Schüler sich wieder setzten, drehte sie sich abermals zum Rotschopf herum. „Sibi, was hast du Sho erzählt?!“ Grinsend lehnte Siberu sich zurück, während er mit seinem Bleistift spielte. „Nur wahre Begebenheiten!“ „“Wahre Begebenheiten“ - dass ich nicht lache!“ Überrascht wandte Green ihren Kopf zu ihrem Sitznachbarn, denn es wunderte sie, dass Gary sich vom Unterricht abhalten ließ: dieser war ihm doch normal heilig! Doch es war Gary gewesen, der dies zu Siberu gesagt hatte, wenn auch ohne sich umzudrehen und um einiges diskreter. „Ich glaube, ich weiß es besser als du“, antwortete Siberu grinsend und pikste seinem Bruder mit dem Bleistift in den Rücken. Doch ehe dieser darauf reagieren konnte, unterbrach deren Lehrer dieses Unterfangen: „Nakayama, könnten Sie bitte so höflich sein und dem Unterricht folgen?!“ Siberu antwortete nicht, jedoch setzte er sich wieder normal hin und tat so, als würde er zuhören. Diese Fassade hielt allerdings nicht lange, denn kaum hatte sich der Lehrer wieder der Tafel zugewandt, lag Greens Aufmerksamkeit wieder bei Siberu, auch wenn Gary ihr einen alarmierenden Blick zusandte. „Also, was hast du denn nun erzählt, Sibi?“ „Ach … so dies und das. Davon, dass wir beide zusammen waren … von unserem tragischen Familiengeheimnis …“ Während Green ihn nur fassungslos anstarrte, drehte Gary sich so schnell um, dass Green fürchtete, er habe sich den Hals verrenkt: „Wie bitte?!“ Diese Worte waren allerdings ein wenig zu laut, was Gary schneller erfuhr, als es ihm lieb war. „Nun ist aber genug! Najotake, Nakayama und Ookido RAUS, aber sofort!“     Weder Siberu noch Green trauten sich zu Beginn irgendwas zu sagen, denn Gary kochte vor Wut. Green war es gewohnt rauszufliegen und Siberu schien es nicht besonders zu stören … aber für Gary war es das erste Mal, dass er einen Wassereimer in der Hand hielt und draußen stehen musste. Er fluchte leise vor sich hin, etwas was Green noch nie von ihm gehört hatte und Siberu tat nichts anderes, als fröhlich vor sich hin zu grinsen; offensichtlich gefiel ihm die Lage. „Wenn wir schon einmal hier draußen sind“, fing Green an und richtete ihr Wort an Siberu: „Dann können wir ja gleich mal darüber reden, was du Sho erzählt hast.“ Dem schloss sich Gary an und sagte: „Von welchem „tragischen Familiengeheimnis“ ist die Rede?“ Siberu stellte den Wassereimer auf der Spitze seines Schuhs ab und während er seine so freien Arme hinter dem Kopf verschränkte, balancierte er den Eimer hin und her, ohne einen Tropfen zu verschütten. „Ach, siehst du Blue … Ich liebe es einfach, dich sauer zu sehen. Das ist ein ganz unvergleichlicher Genuss!“ „Soll das heißen, es war nichts anderes als ein … Witz?!“ „Sieh‘ es doch positiv, Aniki: auf diese Art und Weise sind wir von dem langweiligen Unterricht befreit und wir haben mehr Zeit für uns drei. Ich finde, wir gehen in ein …“ Gary schien da anderer Meinung zu sein, denn er unterbrach seinen fröhlichen Bruder: „Silver! Ich lasse mich von dir nicht vom Unterricht abbringen!“ „Also momentan bleibt dir gar nichts anderes übrig und genau genommen hast du dich selbst vor die Tür befördert, oder sehe ich das etwa falsch?“ „Genau genommen waren es jedoch deine Interaktionen, die mich dazu gebracht haben, laut zu werden“, antwortete Gary bissig, doch schien sich schnell eines Besseren zu besinnen und mit einem Seufzen sagte er: „Aber was erwarte ich eigentlich von dir? Du bist eben zu unreif, um die Vorteile eines effektiven Schultages zu erkennen.“ „Unreif? Nein, mir fehlt einfach nur das Strebergen, aber weißt du was? Da bin ich sogar richtig froh drüber, ansonsten würde ich wahrscheinlich so aussehen wie du.“ „Dann wärest du vielleicht mal weniger arrogant und dafür bescheidener.“ „Bescheiden kann nur jemand sein, der nicht genug hat, um arrogant zu sein. Außerdem wirkt Arroganz sehr anziehend auf das weibliche Geschlecht – aber davon hast du natürlich keine Ahnung.“ „Außerdem…“, zwang sich Green nun zwischen das nun mittlerweile recht hitzige Gespräch der beiden Brüder. „… seid ihr beide, was Arroganz angeht, auf dem gleichen Niveau, wenn auch auf verschiedenen Gebieten.“ Die beiden Brüder hörten auf sich zu streiten, auch wenn sie es nicht lassen konnten, sich noch weiterhin böse Blicke zuzuwerfen. Daher sah Green es als ihre Aufgabe an, sie abzulenken, indem sie das Thema zu einem etwas weniger Hitzigen wechselte: „Sibi hat recht, wenn wir schon hier draußen rumstehen, können wir die Zeit auch besser nutzen, als uns gegenseitig anzukeifen und ich hab sowieso noch etwas, was ich mit euch besprechen will …“ Die beiden Dämonenbrüder sahen Green fragend an, was Green als eine Aufforderung auffasste und fortfuhr: „Falls es euch noch nicht aufgefallen ist, in knapp einem Monat ist Weihnachten … und Shos Eltern feiern dieses Jahr Weihnachten in Italien. Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich bei ihr feiern will und ich dachte mir …“ Green zuckte mit den Schultern, ehe sie fortfuhr: „Ob ihr nicht mit wollt. Na, was sagt ihr?“ „Wir feiern normalerweise das Weihnachtsfest nicht …“, sagte Gary nachdenklich, doch Siberu schien anderer Meinung zu sein: „Kein Grund, es diesmal nicht zu tun. Also ich bin dabei!“ Gary seufzte erschöpft und sagte: „Na, dann muss ich ja mit. Ich kann dich ja wohl kaum mit Green alleine lassen.“ Ehe Siberu einen erneuten Streit anfangen konnte, sagte Green: „Supi! Das wird toll! Bei der Gelegenheit könnt ihr auch gleich Shos kleine Schwester kennenlernen, sie wird nämlich auch da sein.“ Das schien Siberu von seinem Bruder abzulenken, als er von einem neuen Mädchen hörte und er wandte sich sofort Green zu, um weitere Informationen zu erfahren: „Sehen die zwei sich ähnlich?“ „Ja, es besteht eine gewisse Ähnlichkeit.“ Green unterbrach sich selbst kurz, ehe sie ausführte: „Okay, das ist vielleicht sogar ein wenig untertrieben. Sie sehen sich verdammt ähnlich. Also alle. Es sind nämlich fünf Geschwister. Sie haben alle rote Haare, braune Augen…“ Während die Wächterin dies gesagt hatte, hatten Siberus Augen zu strahlen angefangen, womit ihr klar wurde, dass sie etwas Neues über ihren neuen Freund herausgefunden hatte: er stand ganz offensichtlich auf rote Haare, wahrscheinlich weil er so vernarrt in seine eigenen roten Haare war. „Allerdings, Sibi, ist Firey…“ „Ihr Name ist Firey?“, fragte der Rotschopf mit Begeisterung in der Stimme. „… ganz anders als Sho. Ganz anders. Ich glaube nicht, dass sie dich mögen wird.“ Offensichtlich sah Siberu dies als Herausforderung, denn er schnaufte verächtlich und führte eine elegante Handbewegung durch, wobei seine Hand auf seiner Brust endete. „Niemand kann mir widerstehen, Green-chan, niemand. Vor allen Dingen Mädchen nicht.“ Sowohl Green als auch Gary hoben bei diesem selbstbewussten Kommentar die Augenbrauen, obwohl Gary solche Kommentare bereits gewohnt war und sein Ärgernis verwandelte sich schnell zu einem Seufzen. Gerade als Green sagen wollte, dass sie fand, dass sie ihm sehr gut widerstand, fiel ihr ein, dass sie nicht gerade einen guten Start hingelegt hatte und sich lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte. Stattdessen sagte sie: „Ich glaube, in Firey hast du deinen Meister gefunden.“ Mit diesen letzten abschließenden Worten von Greens Seite aus klingelte es erlösend und von einen Moment zum anderen füllte sich der Gang, daher gingen auch Siberus Worte kläglich unter: „Das werden wir ja sehen.“     Es war ein wahrlich anstrengender Tag gewesen und zu Greens Bedauern war er auch noch lange nicht vorbei, wie sie schnell herausfand, als Gary sie darauf hinwies, dass sie am nächsten Tag eine Mathematikklausur zu schreiben hätten, auf welche Green natürlich nicht vorbereitet war: sie hatte eher versucht, sie zu vergessen. Mit anderen Worten: Nachhilfe stand für diesen Nachmittag auf dem Programm, woran Siberu teilnehmen würde, weil er nicht vorhatte, von Greens Seite zu weichen: er selbst hatte Nachhilfe nicht nötig, so seine Aussage jedenfalls. Green konnte sich irgendwie nicht vorstellen, dass Siberu ein genauso großer Streber sein sollte wie Gary und fand auch schnell heraus, dass sie sich da nicht täuschte: Siberu meinte von sich selbst, dass er ein Meister im Abschreiben sei – er würde von seinem Bruder abschreiben; wozu hatte man sonst einen Streber als Bruder. Obwohl Siberu Green dies zugeflüstert hatte, hatte Gary es doch gehört - aber anstatt Siberu zurechtzuweisen, schmiedete er bereits einen Plan, um seine hart erarbeiteten Resultate vor den Klauen seines kleinen Bruders zu bewahren. Kaum als sie das Treppenhaus betraten, verdunkelte sich Greens Gesicht von einem Moment zum anderen, denn ihr war wieder eingefallen, dass heute der erste Dezember war. Mit anderen Worten; die Rechnungen waren pünktlich eingetrudelt und lagen nun in ihrem Briefkasten, ganz erpicht darauf, von Green herausgeholt und bezahlt zu werden. Während die beiden Brüder sich über irgendetwas unterhielten, steckte Green den Schlüssel in ihren Briefkasten und holte drei Briefe heraus. Die ersten beiden waren tatsächlich Rechnungen, während der Letztere unerwartet kam. „Oh“, sagte Green, ehe sie schweigend und mit großen Augen den Brief anstarrte. Siberu schien es brennend zu interessieren, von wem dieser Brief stammte, denn er sah ihr über die Schulter, um den Absender lesen zu können. Doch auch Gary interessierte es, denn ihm fiel auf, dass der Absender aus dem Ausland stammen musste, da er einen ausländischen Poststempel entdeckte. „Vom wem ist der Brief?“, fragte Siberu neugierig, doch wurde sofort von Green heruntergeschüttelt, mit den Worten, dass ihre privaten Angelegenheiten ihn nun wirklich nichts angingen. Natürlich wäre Siberu nicht Siberu, wenn er dies so einfach hinnehmen würde und so plagte er Green den gesamten Weg nach oben mit dem mysteriösen Absender. Als sie sechs Etagen höher waren, wirkte es so, als ob sie ihm am liebsten den Kopf abreißen wollte; anscheinend war dieses Thema eines, welches sie absolut nicht mit den Dämonenbrüdern teilen wollte. Anders als sein Bruder empfand Gary dieses nicht als weiter schlimm oder merkwürdig; merkwürdig wurde es erst, als sie beide bemerkten, wie Green den Brief, ohne ihn zu lesen, in eine Schublade ihrer Wohnung legte, welche mit einem Vorhängeschloss gesichert war. „Ich geh mich mal umziehen“, sagte Green und ging ohne weiteres in ihr Zimmer, wobei Siberu und Gary alleine in der Stube zurückblieben. Kaum dass Green sie allein gelassen hatte, bückte der Rotschopf sich sofort und nahm das Schloss unter die Lupe. „Silver, das geht uns nichts an.“ Doch auch Gary musste zugeben, dass er nun neugierig geworden war: was war so wichtig an diesem Brief, dass Green ihn wegschloss? Und das auch noch mit einem Vorhängeschloss? Siberu antwortete nicht, er war zu sehr damit beschäftigt, konzentriert das Schloss zu untersuchen, erst Garys nächste Frage, ob er den Absender lesen konnte, weckte ihn aus seinen Gedanken: „Ich konnte den Namen nicht lesen, Green-chan hat ihre Hand darüber gehalten.“ Es gelang Gary nicht, darauf zu antworten, denn schon kam Green förmlich aus ihrem Zimmer gestürmt. Die Frage, was denn los wäre, erübrigte sich, als sie beide das Glöckchen um Greens Hals leuchten sahen. „Die Nachhilfe muss wohl verschoben werden.“          „Warum teleportieren wir uns eigentlich nicht direkt hin? Dieses Mal spürt ihr und mein Glöckchen doch den Dämon?“, fragte Green, während sie mal wieder in den Armen Siberus lag, obwohl es diesmal nicht über die Dächer Tokios ging, sondern durch dessen Straßen; Siberu hatte darauf bestanden, sie tragen zu wollen. Nach eigener Aussage konnte er nicht mit ansehen, wie Green aus der Puste geriet und die Tatsache, dass die Wächterin gut in Form war und nichts gegen das Laufen hatte, wurde von ihm einfach mal überhört. „Teleportieren ist eher unschlau“, sagte Gary und fuhr fort: „Wir könnten uns zwar in die Nähe des Dämons teleportieren, doch dies könnte ins Auge gehen, da wir nicht kalkulieren können, wo genau unser Landungspunkt sein wird. Wenn wir Pech haben sollten, dann landen wir genau in seiner Angriffszone und dies wäre ein ungewünschtes Risiko, welches man umgehen sollte.“ „Stimmt, das leuchtet ein“, antwortete Green mit einem Nicken und wollte gerade fragen, wie man das Teleportieren lernen konnte, denn das empfand sie als doch recht spannend, als sie im Ichi-no-Hashi Park ankamen und sofort bemerkten, dass etwas nicht stimmen konnte, denn dieser war vollkommen menschenleer – und das an einem ganz normalen Nachmittag. Die Antwort auf diese Frage folgte sofort, als der Boden erschüttert wurde, woraufhin Siberu die Wächterin herunter ließ, damit sie sich für den Angriff bereit machen konnte; was sie auch sofort tat, indem sie ihr Glöckchen aktivierte und es die Form veränderte. „Ich übernehme den ersten Angriff!“ Und kaum, dass der diesmal etwas kleinere Dämon zwischen den Büschen und Bäumen zu erahnen war, sprang Siberu auf ihn zu und wich dessen erster Attacke geschickt aus, um zum Gegenangriff auszuholen. Gerade als Green zu ihm hin eilen wollte, um zusammen mit Siberu kurzen Prozess zu machen, änderte sich die Lage: eine fremde Stimme hallte durch den Park und schneller als einer der drei gucken konnte, verschwand der Dämon plötzlich spurlos, als hätte es sich von Anfang an nur um eine Illusion gehandelt. „Was zur Hölle…“, brachte Green gerade noch über die Lippen, als bereits das Nächste geschah: Siberu wurde förmlich vom Himmel herunter gerissen und von einer fremden Person zu Boden gedrückt, welche ein langes, strahlendes Etwas in ihren Händen hielt, welches  Green von weitem nicht erkennen konnte. Doch schnell verstand sie, dass diese Waffe todbringend sein musste, denn obwohl die Person außer Garys Reichweite war, tauchte hinter ihm ebenfalls die gleiche Waffe auf und im gleichen Moment, wo sie mit der Waffe ausholte, um Siberu zu töten, setzte sich auch die neben Gary todbringend in Bewegung. All dies geschah innerhalb von nur wenigen Sekunden und es war ungewiss, wie es ausgegangen wäre, wäre Green nicht eingeschritten: „AUFHÖREN!“ Beide Waffen verharrten augenblicklich – wahrlich in letzter Sekunde, denn bei beiden Dämonen war die Waffe, welche Green nun als übergroßen Sekundenzeiger identifizierte, aber um einiges schärfer war als ein normaler, kurz vor deren Pulsader. Jetzt wo die Gefahr kurzzeitig gebannt war, nahm sich Green auch die Zeit, den Angreifer genauer anzusehen. Es stellte sich heraus, dass der vermeintliche Angreifer eine ‚Sie‘ war: eine junge Frau, die sicherlich zwei, drei Jahre älter war als Green, mit einem ernsten Gesichtsausdruck, welcher von kurzen violetten Haaren eingerahmt wurde. Von ihrem Gesicht her zu urteilen wirkte sie wie eine Frau, die nicht so oft etwas zu lachen hatte: es sah aus, als wären ihre Mundwinkel fest gefroren und als ob sie somit nicht in der Lage war, zu lächeln. Sie trug einen beigen Mantel, der nicht gerade so wirkte, als würde dieser sehr viel Bewegungsfreiheit bieten, doch zu hindern schien es sie nicht, wenn man daran dachte, wie schnell sie Siberu zu Boden genagelt hatte. Die Frau richtete sich nicht auf. Weiterhin drückte sie den Rotschopf mit ihrem Knie herunter auf die sandigen Fliesen des Parks und starrte Green feindselig, aber auch überrascht an. „Warum hinderst du mich daran, meine Aufgabe auszuführen?“ Ihre Stimme war hart, ernst und streng und sofort bekam Green das Gefühl, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Doch davon ließ sie sich nicht abbringen. „Weil ich nicht zulassen werde, dass du meine Freunde umbringst!“ Überrascht, nein viel eher geschockt wurde sie von der Fremden angesehen, doch auch Gary sah sie verwundert an und auch Green selbst war überrascht über die Beherztheit, die sie an den Tag legte, um die Haut von Siberu und Gary zu retten. Immerhin war deren Freundschaft noch recht bröckelig und die Bezeichnung „Freunde“ fiel Green immer noch schwer zu benutzen, als könne sie nicht so recht glauben, dass sie eben solche in den beiden gefunden hatte…und dennoch wusste sie ganz genau, dass sie nicht zulassen würde, dass ihnen etwas zustieß, um dafür zu sorgen, die Freundschaft, die bis jetzt noch bröckelig war, zu festigen. Was war in innerhalb von nur zwei Monaten aus ihrem doch so ordentlichen Leben geworden? Klar, sie hatte seit ihrer Geburt ein doch recht ungewöhnliches Leben geführt, aber die letzten Monate schlugen dem Fass fast den Boden aus. Nicht nur, dass sie ihre kostbare Zeit für das Ausschalten von Dämonen opferte, jetzt war auch noch ihr Schulalltag dämonisch angehaucht und eben diese Dämonen waren ihre Nachbarn und vielleicht sogar ihre… Freunde. Obwohl dieser Gedanke von einem Seufzen begleitet wurde, hatte sie im Prinzip nichts dagegen…und es war ein gutes Gefühl, über ihre „Freunde“ nachzudenken.  Ein spöttisches, aber unlustiges Lachen unterbrach Greens Gedanken, und als sie aufsah, bemerkte sie, dass das Lachen von der fremden Person kam und ganz offensichtlich ihr galt: „Ein solches Kriegsdelikt ausgesprochen zu hören, ist schlimmer, als es mit ansehen zu müssen. Ich hätte nie geglaubt, dass ich solche Worte aus dem Mund eines Wächters hören würde. Hast du etwa irgendetwas missverstanden, Mädchen?“ Während die Fremde dies sagte, richtete sie sich nun auf – ein Moment, den Siberu nutzen wollte, um ihr zu entgehen, doch diese Möglichkeit gab sie ihm nicht, sondern setzte zielbewusst ihren Stiefel auf seinen Rücken und hielt den Rotschopf so auf dem Boden. „Aber du scheinst auch keine normale Wächterin zu sein. Zu welchem Element gehörst du?“ „Element …?“ Ein weiteres Mal schnaubte die Fremde verächtlich, ehe sie fortfuhr: „Du hast nicht nur offensichtlich etwas missverstanden, sondern bist auch noch überaus unerfahren. Wie kamst du auf die überaus intelligente Idee, einen Kampf gegen einen Dämon zu führen, ohne einen Zeitbann zu aktivieren? Bist du so erpicht darauf, unseren Mitwächtern Extraarbeit aufzuhalsen, Mädchen, oder glaubst du wirklich, dein Kampf wäre niemandem in einer Metropole wie dieser aufgefallen? Du kannst froh sein, dass ich einen errichten konnte, ehe die Menschen deinen … na, Kampf kann man das ja wohl kau-“ Es schien, als würde sie weiter ausführen wollen, doch sie wurde unterbrochen, als ein Headset-ähnliches Kommunikationsgerät an ihrem Ohr zu piepen begann. „Was gibt es?“, fragte sie unwirsch in das Mikrofon und fuhr fort: „Ich bin mitten in einem Auftrag, Asuka!“ Während deren Gespräch richtete sich Gary im Flüsterton nun an Green: „Was sagt sie?“ Überrascht wandte die Angesprochene ihren Kopf zu ihrem Nachhilfelehrer, der nach wie vor einen Sekundenzeiger drohend an seiner Pulsader hatte. „Wie „was sagt sie“? Sie redet doch recht klar und deutlich?“ „Wächter haben ihre eigene Sprache, Green. Es ist uns Dämonen nicht möglich, euch zu verstehen.“ Nun war Green sichtlich überrascht, denn sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sie plötzlich eine andere Sprache gesprochen hatte. Als die Fremde sie angesprochen hatte, hatte sie einfach ganz automatisch geantwortet … erst jetzt als Gary es sagte, fiel ihr auf, dass die Worte, die aus ihrem Mund gekommen waren, keine japanischen gewesen waren. Wie war das möglich? „Was?!“ Sofort drehte Green sich wieder herum, als sie die Stimme der Fremden hörte, die nun aufgebracht ins Mikrofon schrie: „Das ist unmöglich, Asuka! Doch nicht so eine einfältige Göre mit einer solch schwachen Aura!“ Es sah so aus, als hätte sie noch eine Antwort bekommen, denn ihr Gesicht verdunkelte sich plötzlich, und als sie die Verbindung mit ihrem Gesprächspartner kappte, sah sie Green nicht mehr feindselig an, sondern direkt hasserfüllt. Doch das änderte nichts daran, dass sie sich aufrichtete und die beiden Waffen sich daraufhin in Luft auflösten – beiden Dämonen konnten wieder aufatmen. Siberu richtete sich sofort wieder auf, um sie scheinbar anzugreifen, doch Gary sendete ihm einen Blick, der ihm bedeutete, dass dies wohl keine so gute Idee war.  Ohne Zweifel kochte die Fremde beinahe über vor Wut, doch zwang sich dazu, diese zurückzuhalten, während sie auf Green zuschritt. Dennoch fühlte Green sich recht unwohl zumute, als sie vor ihr angekommen war, denn in ihren Augen sah Green nicht nur Hass, sondern auch Enttäuschung, die sie sich nicht erklären konnte. Wie konnte sie enttäuscht von Green sein, wenn sie sich doch gar nicht kannten?  Als sie den Mund öffnete, zuckte die junge Wächterin zusammen, als würde die Fremde sie schlagen wollen. Doch nichts dergleichen geschah, obwohl ihre Worte nicht weniger hart waren: „Ich bin Kaira Toki Kitayima, Elementarwächterin der Zeit, erster Rang.“ Verblüfft starrte Green das Mädchen ihr gegenüber an; erstaunt darüber, dass sie ihren Namen erfahren hatte, obwohl sich offensichtlich alles in Kaira sträubte, überhaupt mit ihr zu sprechen. Sie ließ Green auch nicht die Zeit, sich ebenfalls vorzustellen, denn sie fuhr sogleich fort: „Unsere heiligen Regeln besagen, dass ich mich vor dir verbeugen soll, dass ich dich ehren und respektieren soll. Aber das werde ich nicht tun! Ich verneige mein Haupt niemals vor einem Verräter, der mit dem Feind sympathisiert!“ Und damit ließ sie Green zurück, die nichts anderes tun konnte, als ihr verwirrt hinterher zu sehen, als ihre Mitwächterin zwischen den Bäumen verschwand, ohne noch ein weiteres Wort mit ihr zu wechseln. Obwohl Green keinen Grund dafür hatte, starrte sie der eigenartigen Frau noch eine ganze Weile hinterher, doch wurde von Siberu aus ihren Gedanken geweckt: „Was hat diese Furie denn nun gesagt?“ Die Angesprochene wandte sich zu Siberu herum und zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihr verwirrter Zustand dies erschwerte: „Ich habe sie genauso wenig verstanden wie ihr.“        Fertiggestellt: 15.01.10   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)