Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 8: Dämonische Brüder ---------------------------- Der Wecker klingelte pünktlich um halb sieben, doch Green war nicht gewillt, aufzustehen. Vollkommen erschlagen lag ihre Hand auf dem Ausknopf ihres digitalen Weckers, doch sie zog ihre Hand nicht zu sich unter die Decke zurück, nachdem der Weckruf verklungen war. Sie hatte nicht gut geschlafen - höchstens ein paar Stunden und das ärgerte sie. Es ärgerte sie maßlos, dass die Ereignisse der letzten Nacht sie und ihren Schlaf so sehr beeinflussten. Es ärgerte sie, dass sie immer wieder darüber nachgedacht hatte … sie ärgerte sich über sich selbst und über ihre naive Dummheit, dass sie auf so ein gespieltes Theater hereingefallen war. Sie war doch sonst nicht so blauäugig. Aber noch mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie traurig war; dass es jetzt nicht einfach als dummer Fehler abgehakt war, sondern sie nach wie vor beschäftigte. Denn obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, merkte Green, dass sie in der Nacht geweint haben musste, da ihre Augen brannten. Fluchend zog sie ihre Hand zurück und schmiss sie sich gegen ihre Stirn. Eine Position, in der sie einige Minuten lang verweilte, denn eine Unlust hatte sich ihrer bemächtigt. Sie hatte keine Lust aufzustehen und zur Schule zu gehen, nur um Shos „Ich hab‘s dir doch gesagt“ zu hören und sich damit noch ein weiteres Mal anhören zu müssen, wie dumm sie doch gewesen war. Aber worauf sie noch weniger Lust hatte, war, sich in diesem Bett zu verkriechen, nicht zur Schule zu gehen, um dann später, wenn sie sich endlich aufgerappelt hatte, besorgte Blicke zu bekommen, wie ein armes, verlassenes Mädchen, dass von jemandem sitzen gelassen wurde. „Soweit kommt‘s noch!“ Und mit diesen entschlossenen Worten schwang sie ihre Beine aus dem Bett; sie würde Sho einfach sagen, dass sie selbst die „Beziehung“ abgebrochen hatte, ehe etwas Festeres daraus hätte werden können. Sie würde nie wieder ein Wort über Silver verlieren und würde diese Episode als die peinlichste in ihrem Leben verdrängen. Und in dieser Episode gab es weder Siberu noch Silver. Es gab einfach nur irgendeinen Dämon, der sie hereingelegt hatte und den sie wie die anderen namenlosen Dämonen ausgelöscht hatte.     „Green! Ziel auf seine Beine und bring ihn damit zu Fall!“ Als ob ihr das nicht selbst eingefallen wäre bei einem Dämon, der so dünne Beine hatte, dass es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein müsste, dass das Wesen überhaupt in der Lage war, seinen enormen Oberkörper aufrecht zu halten - denn das Fleisch, was an seinen Beinen scheinbar komplett fehlte, war eindeutig an seinem Oberkörper zu finden. Daher war es wohl wirklich kein Kunststück, wenn man herausfand, dass es am besten war, auf seine Beine zu zielen. Dennoch, auch wenn sie es sich bereits selbst gedacht hatte, war sie froh über diesen Tipp, der von ihrem neuen Kampfgefährten stammte: Gary hatte sich endlich dazu bereit erklärt, Green bei ihren nächtlichen Aufgaben zu helfen, sogar ohne dass Green „besondere Geschütze“ hatte auffahren müssen. Es war ein gutes Gefühl jemanden dabei zu haben, auf den man sich verlassen konnte. Pink hatte sie bisher zwar meistens begleitet, aber ein Gefühl der Verlässlichkeit rief sie nicht gerade hervor. Daher war sie jetzt auch daheim, besonders da Gary angemerkt hatte, dass es vielleicht nicht so schlau war, Pink zum Kampfgeschehen mitzunehmen, wenn die Dämonen nach ihr trachteten. Und so war diese kühle Novembernacht ihre zweite gemeinsame Nacht des Kämpfens. Schnell hatte Green bemerkt, dass Gary kein offensiver Kampfgefährte war, sondern eher ein unterstützender Stratege, denn seine Bewegungen waren äußerst wohl durchdacht und seine Ratschläge sehr hilfreich; er besaß ein großes Allgemeinwissen über die Dämonen, fand unheimlich schnell deren Schwachstellen heraus und auf welche Art und Weise Green diese am besten für einen schnellen Sieg ausnutzen konnte – so weit sie es jedenfalls bis jetzt beurteilen konnte. Green tat wie geheißen und zielte mit ihrem Darklightning auf die Beine des Ungetüms, nachdem sie hektisch einem Angriff ausgewichen war. Ihr Vorhaben schien erfolgreich, denn sie zerstörte seine Balance, indem sie zwei seiner vier Beine mit ihrer Attacke traf und er zu Boden ging, nicht ohne den selbigen unter deren Füßen zum Erzittern zu bringen. „Gotcha!“, rief Green begeistert zu Gary, der nach der letzten Attacke des Dämons mehrere Meter von ihr entfernt gelandet war, um auszuweichen. Dieser schien jedoch nicht so begeistert wie sie zu sein und ahmte schon gar nicht ihre siegreiche Pose nach. Mit ernstem Blick bellte er: „Worauf wartest du?! Bereite dem Ganzen ein Ende, ehe er sich wieder aufrichtet!“ „In Ordnung, Chef!“, antwortete Green grinsend, ohne seinem ernsten Ton irgendeine Beachtung zu schenken und stattdessen aus den Augenwinkeln heraus die Leisten ihres Stabes überprüfend: für einen Light Spirit würde die Energie gerade noch reichen und diese würde der Dämon zu spüren beko- Weiter kamen Greens Gedanken nicht, denn angesichts der ungeahnten Wendung, die sich vor ihr auftat, stockte nicht nur ihr Gedankengang, sondern auch ihr Atem: unter scheinbar enormem Schmerzaufwand und begleitet von einem überaus ekligen Geräusch von sich windenden Gedärmen und brechenden Knochen wuchsen dem Dämon innerhalb von nur kürzester Zeit zwei missgestaltete Flügel aus dem Rücken. Ein Profi auf dem Gebiet der Dämoneneliminierung hätte es sicherlich vollbracht, den Dämon zu erlegen, ehe er seine Flügel vollständig ausgebreitet hatte, doch Green stand dem Geschehen eher angewidert gegenüber und war weit davon entfernt, wie ein Profi zu reagieren, denn ein solcher hätte sich wohl nicht von diesem Anblick beeindrucken lassen und stattdessen sofort zu einem weiteren Angriff ausgeholt. „Green!“ Die Stimme Garys brachte zwar Greens Gedanken dazu, sich wieder in Bewegung zu setzen – und selbige schrien ihr zu, dass ihr Körper sich auch lieber in Bewegung setzen sollte - aber dieser reagierte nicht. Erst als der Dämon mit einem markerschütternden Gebrüll dazu ausholte, derjenigen den Kopf abzureißen, die es gewagt hatte, ihn seiner Balance zu berauben, wachte die junge Wächterin aus ihrer Starre auf: In letzter Minute gelang es ihr mehr schlecht als recht auszuweichen und sie stolperte dabei fast in Gary hinein, der ihr scheinbar zu Hilfe geeilt war. „Ich bin in einem Horrorfilm gelandet“, keuchte Green, die Augen auf den fliegenden Dämon gerichtet, der sich scheinbar behäbig umorientieren musste, nachdem sein Opfer aus seiner Schusslinie verschwunden war. „Daran solltest du dich langsam gewöhnt haben“, antwortete Gary kritisierend und fügte hinzu: „Nichtsdestotrotz ist er durch die Metamorphose geschwächt! Ein Treffer müsste genügen, um ihn zu töten, wenn du ihn triffst.“ „Das „wenn“ gefiel mir dabei nicht“, antwortete Green kurz bevor sie wieder dazu gezwungen waren auszuweichen, diesmal in verschiedene Richtungen springend. Anscheinend hatte der Dämon es wirklich nur auf die Wächterin abgesehen, doch nach der vorigen Erfahrung war Green vorbereitet. Denn schon während sie Letzteres gesagt hatte, hatten sich die Leisten ihres Stabes aufgeladen und ein leichter Schimmer umgab diesen. Doch es kam anders als von den drei Kontrahenten geglaubt: Ein schwarzer Blitz schoss vom Himmel herab, spießte den überrumpelten Dämon in Sekundenschnelle in der Mitte auf und die zwei schmatzenden Hälften knallten erschütternd zu Boden, wo sie sich in einem dichten Nebel auflösten. „Was zur …“, fragte Green sich selbst, doch schnell verzerrte ihr Gesicht sich zuerst überrascht, dann missvergnügt, denn das, was sie vor sich sah, gefiel ihr gar nicht und auch Gary schien nicht besonders begeistert, wie Green bemerkte, als er neben ihr landete. „Hi!“, sagte ein unheimlich gutaussehender Dämon, dessen rote Haare im Wind wehten und dessen Grinsen sogar von Weitem gut zu erkennen war: Silver. Es war nicht so, dass sie direkt überrascht darüber war, ihn wieder zu sehen, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Attacke ihn ausgelöscht hatte. Doch sie wusste nicht, was sie dann war – wie sie die Gefühle in sich deuten sollte, denn zu viele sprudelten plötzlich empor; zu viele wollten die Oberhand erlangen, bis es zuletzt ihr Widerwille war, der diesen Kampf gewann. „Dachte mir, ich helfe euch mal.“ „Danke, wir verzichten!“, antwortete Green daher schnell, ehe sie noch dazu verleitet wurde, eine andere Stellung zu beziehen. Ohne ihn weiter zu beachten, drehte sie sich von dem Neuankömmling weg und wollte gerade mit erhobenem Haupt davon schreiten, als sie den Rotschopf plötzlich nicht mehr hinter sich wusste, sondern ihn vor sich sah. „Och, Green-chan, sei doch nicht so …“, fing er mit einer vermeintlich netten und auch leicht flehenden Stimme an, kurz davor, ihre Hand zu ergreifen, um den bittenden Ausdruck in seiner Stimme noch zu unterstreichen. Während Gary die Augen verdrehte und die Arme verschränkte, entriss Green ihre Hand entschlossen aus Silvers Griff und antwortete giftig: „“Green-chan“ ist nicht zugegen, Silver!“ Mit Absicht betonte sie jeden einzelnen Ton in seinem Namen extra und genoss es beinahe, wie verletzt er sie ansah, sich natürlich bewusst, dass er dies nur vortäuschte, so wie er alles andere vortäuschen konnte. Aber nicht mit ihr! Nicht noch einmal! Zweimal fiel sie nicht auf denselben Trick rein; wie kam er auf die Idee, dass sie das tun würde? Hielt er sie für so dumm und naiv? Gerade als Silver den Mund öffnete, um zu kontern, sah Green über die Schulter hinweg und kommandierte: „Gary, wir gehen!“ Ohne von Silver Notiz zu nehmen, begann sie sich zu entfernen, doch der Blick, den sie Gary gesandt hatte, ließ keinen Widerspruch gelten und selbst Gary, der sich eigentlich nie etwas sagen ließ, entschied sich diesmal dazu, dass es vielleicht besser war, Greens Worten Taten folgen zu lassen; außerdem war er doch auch ein kleines bisschen schadenfroh, als Silver ihn flehend ansah – anscheinend in der Hoffnung, Gary könnte Green dazu verleiten, es sich anders zu überlegen – wofür Gary nur ein ratloses Schulterzucken übrig hatte. „Aber, Green-cha-“, versuchte Silver es noch einmal, doch wurde diesmal von Green unterbrochen, die ihren Stab umgewandelt hatte und ihn über die Schulter hinweg drohend in seine Richtung hielt, mit den Worten: „Ich habe es bereits einmal getan und wenn du mich nicht in Frieden lässt, werde ich den „Light Spirit“ so oft einsetzen, bis du nur noch aus Funken bestehst!“     Diese Aussage schien gewirkt zu haben, denn Silver hatte die Verfolgung aufgegeben und so waren Gary und Green auf dem gemeinsamen Heimweg. Im Gegensatz zu vorigen Kämpfen war es noch nicht einmal besonders spät und so war der normale Weg durch den Stadtpark auch noch recht menschenerfüllt. Dies hinderte Green nicht daran, das unvermeidliche Thema anzusprechen, nachdem sie eine ziemlich lange Zeit geschwiegen hatten. „Er ist also wieder da.“ Gary sah aus dem Augenwinkel zu ihr, doch blickte gleich wieder nach vorne, da er keine besonderen Gefühle in ihrem Gesichtsausdruck ausmachen konnte: Sie versteckte sie fein säuberlich. „Unkraut vergeht nicht – du hast doch nicht ernsthaft damit gerechnet?“ „Nein, nicht wirklich.“ „Gehofft?“ Nach dieser plötzlichen Frage schwieg Green kurz, ehe sie ein leichtes Zucken mit den Schultern andeutete, worauf Gary nicht weiter einging, da er es für unangebracht hielt. Ihre nächsten Worte überraschten ihn daher schon ein wenig: „Wie steht ihr beiden zueinander?“ Gary war nicht nur über die Frage an sich verwundert, sondern auch darüber, dass sie überhaupt gestellt wurde. „Green, das wird dir doch aufgefallen sein?“ Sie sah ihn jetzt wieder an, verwundert, wie es schien. Als sie ein Kopfschütteln andeutete, antwortete er mit einem Seufzen: „Silver ist mein kleiner Bruder.“ Green blieb auf der Stelle stehen und starrte ihn verwirrt an. „Dein … Bruder?!“ Noch einmal musterte sie ihn ganz genau und auf einmal ging ihm ein Licht auf, weshalb sie dies tat. „Ihr … seht euch nicht besonders ähnlich“, bemerkte Green, wobei sie mit den Augen besonders bei den Haaren hängen blieb. Der Angesprochene kam nicht umhin die Augen zu verdrehen und auch ein ärgerlicher Seufzer entglitt ihm. „Sagen wir die Gene waren sehr eindeutig verteilt.“ Mit diesen Worten begann er deren Weg fortzusetzen, während Green noch kurz verwirrt auf dem gleichen Fleck verweilte, ehe sie sich doch dazu entschied weiterzugehen. „Aber das heißt ja, dass er auch ein Halbdämon ist?“ „Ja, das ist er auch.“ „Aber dann kennt ihr euch ja richtig gut?“ „Ja, das kann man wohl so sagen.“ Kurz schwieg sie, überdachte scheinbar ihre neue Frage zu dieser neuen Situation: „Warum hast du dann nicht für ihn Partei ergriffen, jetzt und auch vor einer Woche?“ „Wie wir bereits festgestellt haben: ich kenne ihn; ihn und seine Fähigkeiten. Mir war klar, dass er einen Angriff deinerseits überleben würde und Silver ist … wie soll ich sagen? Es gibt kein Adjektiv, welches ihn passend beschreiben könnte. Sagen wir es so: Manchmal hat er für seine Spielereien eine Strafe sehr wohl verdient“, antwortete Gary ernst, während er dabei Green ansah, die langsam nickte. „Dann wäre dir ja von Anfang an klar gewesen, dass er nur mit mir gespielt hat, wärst du da gewesen und nicht krank im Bett.“ „Das wage ich nicht zu beurteilen. Im Allgemeinen ist sein Liebesleben sehr … wechselhaft. Silver ist eine Person, die nicht viel ernst nimmt und das gehört jedenfalls nicht zu den wenigen Dingen, die er ernst nimmt. Er ist ein Spielkind, welches nur darauf aus ist, sich selbst zu amüsieren, am liebsten auf Kosten anderer.“ „Du sprichst ja nicht gerade gut von ihm.“ „Alles, was ich sage ist, dass du aufpassen solltest. Sieh es als eine gut gemeinte Warnung, denn ich habe es noch nie erlebt, dass er einem Mädchen hinterher läuft.“ Und mit diesen Worten mitsamt einem „Gute Nacht“ ließ er Green allein im Treppenhaus zurück.     Garys Lieblingszeit des Tages war eindeutig der Morgen. Er mochte diese Zeit des Tages einfach aufgrund von mehreren Faktoren: was ihm besonders gut gefiel war die Tatsache, dass die Gänge der Schule um diese Uhrzeit noch nicht überfüllt waren. Es herrschte eine angenehme Ruhe an diesem Ort, der normalweise von einem regen Treiben dominiert wurde, von widerhallenden Schritten, Reden und Gelächter. Jetzt hörte er nur seine eigenen Schritte und nur von Weitem die der anderen, wenigen Anwesenden; das Kratzen von Bleistiften und das Tippen auf den Computertastaturen; Geräusche, die er hören konnte dank seines dämonischen Gehörs, wenn er an dem Lehrerzimmer vorbeiging. Ehe er an diesem Morgen jedoch in das Klassenzimmer ging, holte er sich noch ein neues Buch aus der bescheidenen Schulbibliothek und schlug dann den Weg zum Klassenzimmer ein, nicht ohne einen vorbeigehenden Lehrer zu grüßen. Während er die Hand an die Schiebetür des Klassenzimmers legte, überflog er bereits die erste Seite des neuen Buches und er fühlte eine gewisse Vorfreude in sich aufsteigen, als er bemerkte, dass er mal wieder ein gutgeschriebenes Buch gefunden hatte. Doch das wohlige Glücksgefühl verflog schnell wieder, als er die Tür geöffnet hatte und sein geliebter Morgen ruiniert wurde. „Wir müssen reden, Aniki.“     Etwa eine halbe Stunde später füllte sich das Klassenzimmer, da die ersten Schüler eintrudelten. Die weiblichen Schüler waren regelrecht entzückt davon, Silver wiederzusehen und hatten sich sofort um ihn geschart und plagten ihn nun mit Fragen, wo er denn so lange gewesen sei und was er getan hätte! Da die gesamte Aufmerksamkeit auf dem Rotschopf lag, bemerkte niemand, dass eine gewisse Feindseligkeit immer mal wieder durch den Klassenraum vibrierte, wenn die Blicke der beiden dämonischen Brüder sich trafen. Erst als Green dazu kam, veränderte sich die Situation. Sie kochte bereits vor Wut, ehe sie Silver überhaupt mit eigenen Augen erblickt hatte, denn Sho war ihr entgegengerannt, um ihr sofort von seiner Anwesenheit zu berichten. Nachdem er vor einer Woche plötzlich verschwunden war, hatte Sho natürlich nach ihm gefragt, obwohl Green ihr wie geplant gesagt hatte, dass sie die Beziehung mit ihm beendet hatte. Die Wächterin war auf die halbherzige Ausrede gekommen mit einem kranken Familienmitglied, welches er besuchen musste - dass diese Ausrede nicht mit Silvers übereinstimmte, interessierte sie dabei herzlich wenig. Sie hatte immerhin nicht damit gerechnet, dass Silver jemals wieder zu seiner Identität als „Siberu Nakayama“ zurückkehren würde. „Oh, hi, Green-chan!“, grüßte der Rotschopf sie erfreut, doch ihre Antwort war alles andere als das. Sie antwortete mit einem mindestens genauso feindlichen Blick wie dem, den die Mädchen ihr zuwarfen, als sie hörten, wie freundlich er sie begrüßt hatte. Als die junge Wächterin sich gerade dazu entschieden hatte, ihn und seine Mädchenschar einfach zu übersehen, erschien er plötzlich vor ihr mit einem breiten Grinsen und schnappte ihre Hand mit den Worten: „Komm, ich zeig dir etwas!“ Und schon zog er sie grinsend aus dem Klassenzimmer mit einem so harten und festen Griff, dass es Green, trotz Protests, nicht möglich war, sich aus diesem zu befreien. „Ey, wo wollt ihr hin? Der Unterricht fängt doch gleich an!“, rief Sho ihnen hinterher, als Silver Green vom Klassenzimmer fortführte, obwohl ihre Proteste recht eindeutig waren. Kaum, dass sie um die Ecke gebogen waren, stand Gary ebenfalls in der Tür und rannte den beiden zielsicher hinterher, während Sho nach wie vor in der Tür stehen blieb und den Dreien nachsah, mit einem verwunderten Blick im Gesicht, welcher ihre verwirrten Gedanken widerspiegelte.     Kaum hatten Siberu und Green die Ecke passiert, waren sie verschwunden – nur um kurz danach in ihren eigenen vier Wänden wieder aufzutauchen: Etwas, was Green absolut nicht nachvollziehen konnte – hatte Silver sie etwa teleportiert? War so etwas für die Dämonen möglich? Doch lange lenkte sie sich nicht mit diesem Gedanken ab, denn sie hatte ein anderes Problem: ein gutaussehendes Problem mit roten Haaren. Dieser hatte Green buchstäblich an die Wand genagelt, indem er seine Arme neben ihren Kopf ausgestreckt hielt, so dass Green zwischen diesen stand: mit den Armen über ihrer Brust verschränkt und einem sehr widerspenstigen Blick, der momentanen Lage nicht besonders angepasst, wie Silver fand - doch es gefiel ihm natürlich. Er sah in ihre dunklen Augen und stellte fest, dass sie keine Anzeichen von Schwäche zeigten; wie schön sie waren, ein wirklich schönes Dunkelblau – so tief, so unerforscht. Warum war ihm das vorher gar nicht aufgefallen? „Was willst du? War der eine Light Spirit etwa nicht deutlich genug für dich?“ Sein durchdringender Blick veränderte sich, wurde schleierhaft, als würde ihn etwas bedrücken. „Hattest du mit der Attacke vor, mich umzubringen?“ Wieder dieselbe Frage, die Green bereits einmal zu hören bekommen hatte und welche sie die ganze Nacht lang, nein, die letzten Tage, gequält hatte, denn sie hatte keine Antwort darauf gefunden. Hatte sie ihn wirklich mit Tötungsabsicht angegriffen? Hatte sie mit Absicht die Energie der Attacke reguliert? „Das fasse ich als ein „Nein“ auf“, sagte Silver plötzlich, ohne dass Green überhaupt etwas dazu gesagt hatte. Überrascht aber auch skeptisch sah sie ihn an, verwundert darüber, dass er so schnell eine Antwort gefunden hatte, obwohl sie so lange dafür gebraucht hatte und bis jetzt immer noch keine gefunden hatte. „Du wolltest mich umbringen – es war reine Notwehr. Du bist ein Dämon wie alle anderen auch, und falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, töte ich solche wie euch. Wie kommst du also darauf, dass ich dich nicht töten wollte?“, fragte sie und versuchte sich nicht von seinem fast schon lieben Grinsen ablenken zu lassen. „Du hast zu lange gezögert, Green-chan.“ Diesmal ging Green nicht auf die Anrede ein, sondern konterte verbissen: „Das ändert nichts daran, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, Silver. Das wirst du ja wohl bereits bemerkt haben. Also, was willst du noch hier?“ „Eine zweite Chance“, kam es wie aus der Pistole geschossen, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. „“Eine zweite Chance“?“, wiederholte Green skeptisch und fügte hinzu: „Wozu?“ Der Rotschopf atmete tief durch, schloss kurz die Augen, ehe er das aussprach, was er auf dem Herzen hatte: „Ich liebe dich.“ Er ließ die Worte kurz im Zimmer hängen, während Greens Gesichtszüge sich langsam veränderten; scheinbar wusste sie nicht, was sie fühlen sollte; jedenfalls nicht, was sie ihm zeigen wollte. Überraschung zeigte sich in ihrem Blick, sie öffnete den Mund erstaunt, um etwas zu sagen, doch schloss ihn wieder; anscheinend sprachlos. „Und ich brauche eine zweite Chance, um dir das zu beweisen.“ Endlich erwachte Green aus ihrer Starre und antwortete: „Für wie dämlich hältst du mich eigentlich? Glaubst du ich, würde zweimal auf den gleichen Trick hereinfallen?“ Überraschenderweise schien ihm diese Antwort zu gefallen, denn er lächelte in sich hinein, ehe er sich scheinbar für eine andere Pose entschied und ehe Green sich versah, hing sie plötzlich in der Luft in einer dem Tango ähnlichen Pose. Silver hatte sich nach vorne über sie gebeugt und den Arm um ihren Rücken gelegt, doch die Überraschung über diese plötzliche Posenänderung hielt nicht lange, aber bevor sie etwas sagen konnte, hatte er bereits angefangen: „Ich kann dir nicht verübeln, dass du mir nicht glaubst, Green-chan. Aber glaub mir, ich meine es ernst und um dir das zu beweisen, brauche ich eine zweite Chance.“ „Ach?“, fing Green an, ohne irgendwie auf diese merkwürdige Stellung einzugehen; diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben. Sie versuchte sich auch nicht zu befreien, wahrscheinlich, weil sie wusste, dass es sowieso nichts brachte, da er zu stark war und daher reagierte sie mit Ignoranz. „Woher kommt diese plötzliche Meinungsänderung? Hast du nicht gemeint, ich wäre kein Mädchen nach deinem Geschmack, da ich schwach bin?“ „Ja, das habe ich gemeint, aber ich muss …“ Silvers Worte wurden jäh unterbrochen von dem Geräusch einer aufgeschlagenen Tür, welches jedoch schnell von einem anderen Geräusch übertönt wurde, denn als Green ihren Kopf nach hinten beugte, sah sie die kranke Pink verkehrt herum vor sich stehen, in der aufgeschlagenen Tür ihres Zimmers: „Green-chan!“, schrie sie und fügte kreischend hinzu: „Ich spüre einen Dämon, der vernichtet werden muss!“ Sowohl Silver als auch Green verstanden Bahnhof und beide konnten sich Pinks plötzliches Dasein und ihre Worte nicht erklären, doch die Wächterin war schneller darin, diese Situation für sich einzusetzen und machte einen dezenten Wink mit dem Zeigefinger auf Silver und fügte mit einer gespielt angstvollen Stimme hinzu: „Pink, du musst mich retten!“ Green kannte Pink, Silver allerdings nicht und so war er recht überrascht darüber, dass Pink Greens Aufforderung ohne zu fragen Folge leistete und mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit, trotz Krankheit, sauste das kleine Mädchen auf Silver zu, der Green losließ und aus ihr unerklärlichen Gründen gelang es Pink, Silver zu Boden zu werfen. Doch damit nicht genug: Sie verhinderte sogar, dass er sich wieder aufrichten konnte, indem sie sich auf ihn setzte, mit den Knien vorwärts. Silver wehrte sich im ersten Moment nicht: Anscheinend war er zu sehr davon geschockt, dass er von so einem kleinen, obendrein kranken, Mädchen regelrecht flachgelegt worden war. Während Green sich aufrichtete und ruhig ihren Rock glatt strich, rief Pink: „Jetzt, Green-chan! Ich halt ihn fest und du besiegst ihn!“ „Was zur Hölle geht denn hier vor?“, ertönte plötzlich die nüchterne Stimme Garys durch das entstandene Chaos, und als Green sich umdrehte, entdeckte sie ihn in der Tür mit einem fragwürdigen Blick, als er seinen Bruder unter Pink bemerkte.  „Sag mal, wo warst du so lange?!“, fragte Green empört, da sie schon lange mit seinem Auftritt gerechnet hatte. Ehe Gary allerdings antworten konnte, unterbrach ihn Silver: „Ach, Aniki, wie schön dich zu sehen!“ Und auf einmal war Pink überhaupt kein Problem mehr für ihn; schnell war sie beiseitegeschoben und schon stand Silver zwischen Gary und Green. „Habe ich mich gerade versehen, oder wurdest du soeben von Pink …“, begann Gary mit einem recht amüsierten Blick an Silver gewandt, doch dieser unterbrach ihn, bevor er seine Worte vollenden konnte und sagte: „Ich finde, du sagst Green-chan, dass sie mir doch eine zweite Chance geben soll.“ „Gib mir einen Grund, warum ich das machen sollte.“ „Und als ob ich auf Gary hören würde!“, fügte Green hinzu, und gerade als Silver einen flehenden Ausdruck aufsetzte, wurde er von Pink unterbrochen, die scheinbar nicht gewillt war, gegen ihren Feind so schnell aufzugeben: Sie startete einen weiteren Frontalangriff, dem er diesmal allerdings elegant auswich, da er nun darauf vorbereitet war. Gerade als sie einen weiteren Versuch wagen wollte, ging Green dazwischen, indem sie ihre übereifrige Mitwächterin an den Schultern packte. „Keine Sorge, Pink. Silver …“ Sie wollte gerade sagen, dass er nicht ihr Feind war, aber entschied sich doch dafür, ihren Satz ein wenig umzuformulieren: „Um ihn kümmern wir uns später.“ „Aber Green-chan!“, protestierte Pink, doch Green achtete nicht auf sie, sondern hielt sie nur fest, während sie ihre Aufmerksamkeit den beiden Brüdern zuwandte. „Gary, dein Bruder hat mir gerade seine Liebe gestanden.“ Mit erhobenen Augenbrauen sah Gary zu seinem Bruder und sagte: „Du hast ihr deine Liebe gestanden?“ „Ja, natürlich habe ich das! So sagt man das in dieser Welt, wenn man mit einem Mädchen zusammen sein will, weißt du?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal von dir hören würde“, antwortete Gary mit Skepsis sowohl in seinen Augen als auch in seiner Stimme. „Dann bestätigst du mir also meinen Verdacht, dass ich das nicht für bare Münze nehmen soll?“, fragte Green an Gary gerichtet, doch ehe dieser antworten konnte, tat Silver es: „Doch natürlich sollst du! Ich lüge nie!“ Ein ironisches Lachen von Gary ließ Green vermuten, dass dies wohl kaum der Wahrheit entsprach und auch Green hob zweifelnd die Augenbraue. Doch Silver überhörte es gekonnt und fuhr fort, als wäre nichts geschehen: „Aber wir müssen ja nichts überstürzen, wir haben ja jetzt Zeit.“ „Wie, wir haben jetzt Zeit?“, wiederholte die Wächterin zögernd und sah dabei eher zu Gary, als wäre das plötzlich alles seine Schuld. Dieser schien sich der Schuld bewusst zu sein, denn er drehte sich weg, scheinbar beschämt über sich selbst. Gerade als Green dies hinterfragen wollte, packte Silver ihre Hände und verkündete: „Ab heute wohne ich nebenan! Ich werde bei Blue einziehen.“ „W-Wie bitte?!“, entfuhr es Green während sie beide zweifelnd an sah; der eine grinste wie ein kleines Kind, der andere schlug sich die Hand an die Stirn, scheinbar weniger darüber erfreut. „Ja! Ist das nicht toll?! Jetzt können wir zusammen zu Abend essen, zur Schule gehen, Nachhause gehen, Hausaufgaben machen … und ich kann dich von der Aufrichtigkeit meiner Gefühle überzeugen!“ Zum Glück wurde sein Wortschwall unterbrochen, denn Greens Glöckchen strahlte in diesem Moment auf und umgehend sprang Silver alarmiert zurück, doch er war nicht der Grund, weshalb das Glöckchen aufstrahlte. „Ein Dämon ist in der Nähe.“ Alle sahen zu Gary, der dies gesagt hatte, Silver scheinbar darüber erleichtert, dass es nicht er war, auf den das Glöckchen reagiert hatte. Trotz seiner ersten nervösen Reaktion war er der Erste, der kampfbereit war, obwohl niemand gefragt hatte, ob er mitkommen wollte: „Oh yeah, time for some action!“, sagte Silver erfreut und war schon drauf und dran loszusprinten, während Green die kurze Ablenkung nutzte, um ihr Wort an Pink zu richten: „Sag, Pink, warum hat das Glöckchen eigentlich weder auf Gary noch auf Silver reagiert?“ Verwundert wurde sie angesehen, scheinbar war Pink das gar nicht aufgefallen und scheinbar wusste sie auch keine Antwort, weshalb Green ihr auf die Sprünge helfen wollte: „Ist es, weil sie Halbdämonen sind?“ Das schien Klick zu machen bei Pink, denn sie antwortete: „Nein, damit kann das nichts zu tun haben.“ „Mit was dann?“ „Vielleicht weil dein Unterbewusstsein merkt, dass … aber das kann doch eigentlich nicht sein?“ „Komm, Green-chan, Dämonen warten nicht!“, unterbrach Silver nicht nur ihr Gespräch, sondern auch ihre Handlung, denn im Nullkommanichts hatte er sie auf seine Arme gehoben und statt mit ihr aus der Tür zu stürmen, rannte er zu ihrem Balkon, öffnete die Glasschiebetür und es gelang Green gerade noch Garys wütende Stimme zu hören und den Mund zu öffnen, ehe Silver vom Balkon heruntersprang und damit aus dem siebten Stockwerk. Die junge Wächterin spürte, wie ihre Haare vom Wind durchgewirbelt wurden und verzweifelt klammerte sich Green an Silver, presste die Augen zusammen und fluchte, als könne sie dies vor dem harten Asphalt bewahren. Es gelang ihr nicht einmal, sich Gedanken um ihren Tod zu machen, als es schon vorbei war: Silver landete elegant auf dem Boden und ließ Green herunter, die ihn mit zitternden Beinen und mit offenem Mund anstarrte, aber keinen Ton herausbrachte, so dass Silver mit einem Zwinkern erläuterte: „Dämonen können fliegen, Green-chan.“ „…Aha.“ „SILVER!“ Gary tauchte neben den beiden auf, scheinbar hatte er die Treppe genommen, denn er schien ziemlich aus der Puste zu sein, als er seinen Bruder anklagend ansah, wie es nur ein großer Bruder tun konnte, während Silver aussah, wie nur ein kleiner Bruder aussehen konnte, der gerade etwas Verbotenes getan hatte. „Wir sind hier nicht in unserer Heimat oder in irgendeiner Provinz! Das hier ist Tokio, eine Metropole mit mehr als 8.400.000 Einwohnern auf einer Fläche von gerade mal 600 km², mit einer Bevölkerungsdichte von um die 13.000 Einwohnern pro Quadratkilometer - da kannst du doch nicht ernsthaft annehmen, dass kein Mensch dich entdecken würde, wenn du am helllichten Tag fliegst!“ Silver sah zu Green, die ihn auch ansah, beide mit einem Grinsen auf dem Gesicht. „Ist er nicht ein verdammter Spießer?“, fragte Silver und Green ergänzte: „Nicht zu vergessen: ein elender Streber!“ Beide kicherten, als sie erkannten, wie gleich gesinnt sie gedacht hatten, bis Green sich plötzlich wieder bewusst wurde, was sie da eigentlich tat und sich von ihm abwandte. „Wie schön, dass ihr euch da einig seid“, bemerkte Gary eher säuerlich, ehe Pinks laute Stimme mühelos vom Balkon zu hören war: „Green-chan! Warte, ich komme mit!“ „Nein, Pink, nein, bleib oben! Wir schaffen das schon alleine! Leg dich lieber ins Bett!“ „Aber, Green-chan! Das sind doch auch Dämonen! Bist du dir sicher, dass …“ „Mach dir keine Sorgen, Pink! Du darfst auch die Schokolade haben, die im ...“ Und schon war Pink nicht mehr zu sehen, da sie wahrscheinlich die Küche unsicher machte.     Der Dämon befand sich in deren unmittelbarer Gegend – etwas, was Gary als beunruhigenden Faktor charakterisierte, doch weder Silver noch Green lauschten seinen warnenden Worten.  Silver war dafür zu aufgeregt, fieberte dem Kämpfen entgegen und meinte schon nach Garys zweitem Satz, dass er solcherlei Warnungen bereits gewohnt sei, da sein Bruder immer Tendenzen dazu hatte, ihm den Spaß zu ruinieren – man solle doch einfach nicht hinhören, wie er Green erzählte, als kenne sie Gary nicht selbst schon lange genug. Es war mehr als offensichtlich, dass Silver sehr darauf erpicht war, irgendwie mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch Green blockte seine Versuche mit einer lässigen Kälte ab, genauso wie seinen Vorschlag, dass er sie doch tragen könne. Was war sie denn – eine Prinzessin, die nicht alleine gehen konnte? Er sollte sich bessere Möglichkeiten zum Schleimen ausdenken, wenn er unbedingt wieder bei ihr punkten wollte. Ihr Ziel hatten sie bereits gesichtet, doch scheinbar war es nicht von der mutigen Art, denn es floh, sobald Green auch nur ihren Stab umgewandelt hatte. Ohne auf die Proteste seiner neuen Mitstreiter zu achten, hatte Silver kurzerhand das Kommando übernommen und zur Verfolgung des Feiglings angesetzt, welche nun plötzlich auf den Dächern Tokios stattfand, denn ihr Feind war eilig in die Lüfte gestiegen – und somit auch Silver, welcher sich die überraschte Green geschnappt hatte und die Verfolgung aufnahm. Gary gefiel diese Verfolgungsjagd natürlich absolut nicht, immerhin hatte er vor wenigen Minuten erst mahnend die Stimme erhoben. Sein Widerspruch verklang jedoch schnell in der kühlen Mittagsluft, denn Silver hatte einen Affenzahn drauf, was es Green nicht einmal ermöglichte, die Tatsache zu genießen, dass es ihr vergönnt war, durch die Lüfte zu sausen. Dieser Schnelligkeit war es zu verdanken, dass sie den Flüchtling schnell eingeholt hatten und Silver hatte nicht im Sinn, auf Garys Rat zu hören, dass sie ihn erst angreifen sollten, wenn er sich außerhalb des Stadtzentrums befand. „Feiglinge sollten bestraft werden!“, sagte der Rotschopf, als Green schon spürte, dass er eine Hand von ihrem Körper löste (was ihr gar nicht gefiel bei einer Höhe von mehr als zweihundert Metern), um abermals die Attacke einzusetzen, mit der er bereits deren letzten Gegner ausgelöscht hatte. Green sah nicht, wie der schwarze Blitz den Dämon vom Himmel herunter holte, sondern hörte nur den Knall des Aufpralls und bemerkte sogleich, wie ihre Füße den festen Boden wieder zurückbekamen. „So, Green-chan“, sagte Silver, während er Greens Rock glatt strich, von deren Feind überhaupt keine Notiz nehmend, der sich unter Schmerzen wieder aufrichtete. „Jetzt siehst du einem Profi bei der Arbeit zu!“ Ehe es Green gelang zu antworten, war Gary bereits hinzugekommen und übernahm für Green das Antworten: „Bist du von allen guten Geistern verlassen?!“ Der große Bruder kam allerdings nicht dazu seine Empörung über den Kampfort, der auf einem der vielen Hochhäuser von Tokio stattfand, preiszugeben, denn der dritte Dämon hatte anscheinend etwas dagegen: Mit seinen Klauen holte er aus, um einen der drei zu erwischen, doch diese sprangen in verschiedene Richtungen und im gleichen Moment, wo Green bewusst wurde, dass deren Gegner es mal wieder nur auf sie abgesehen hatte, bemerkte sie, dass deren Gegner anscheinend nicht nur enorm lange Gliedmaßen besaß, sondern auch in der Lage war, diese aufzulösen. Kaum als seine Faust auf den Beton des Hochhauses aufschlug und den Boden zum Erzittern brachte, löste diese sich in wabbelnden schwarzen Rauch auf, was seine Schnelligkeit erhöhte, denn kaum hatte seine Faust sich aufgelöst, war sie abermals bereit Green anzugreifen, welcher es nur mit Müh und Not gelang, auszuweichen. Doch das war nicht der einzige Vorteil, wie sich schnell herausstellte, als Silver ihn ein weiteres Mal mit seinem Blitzangriff attackierte: Der Dämon löste sich auf, als die Attacke ihn traf, und materialisierte sich geradewegs hinter Green, welche gerade noch seinen Schatten sah, ehe Gary sie gewaltsam aus der Schusslinie stieß. Beide fielen zu Boden, jedoch einige Meter von dem Einschlagsloch des Dämons entfernt. Green lag auf dem Betonboden, während er beinahe auf sie fiel. Doch keiner der beiden nahm von dieser etwas ungünstigen Position Notiz: Gary richtete sich sofort wieder auf, und während Green ihren Stab wieder zu sich holte, da sie ihn kurz aus der Hand verloren hatte, schrie Gary Silver Folgendes zu: „Benutz zur Abwechslung bitte mal dein Gehirn!“ Doch Silver hörte nicht hin, er war zu sehr damit beschäftigt, Spaß zu haben. Das Gute daran war, dass dieser Spaß den Dämon ablenkte, denn er ging auf seine Kosten: Silver war wohl aufgegangen, dass es nichts brachte, den Dämon direkt anzugreifen, also machte er sich einen Spaß daraus, um ihn herum zu springen wie ein zu groß geratener Gummiball. Dabei wich er geschickt den Attacken des Feindes aus, nicht nur, indem er um ihn herum sprang, sondern auch auf den Dämon drauf, was des Öfteren dazu führte, dass dieser sich selbst attackierte, da Silver einfach zu schnell war, um von ihm erwischt zu werden. Einen wirklichen Sinn konnte man dahinter allerdings nicht erkennen, denn obwohl der Dämon sich selbst angriff, fügte er sich keinen sichtbaren Schaden zu, da die gerammten Stellen sich einfach wieder in schwarze Substanz auflösten. Nichtsdestotrotz hatte Silver eindeutig Spaß. „Er ist wirklich sehr athletisch“, konstatierte Green. „Ein verdammtes Spielkind ist er!“, fluchte Gary ärgerlich und wandte sich dann an Green, die ihren Stab mit beiden Händen festhielt und gebannt Silvers Schauspiel beobachtete. Als sie jedoch Garys Blick bemerkte, drehte sie sich zu ihm herum. „Wir müssen die Strategie ändern, beziehungsweise erst einmal eine aufstellen“, fing Gary entschlossen an und fuhr sogleich fort: „Es bringt nichts, wenn wir ihn angreifen; die einzigen Attacken, die effektiv sind, sind deine. Im letzten Kampf hast du keinen „Light Spirit“ eingesetzt, du müsstest also ohne Probleme einen ausführen können. Ich nehme an, dass eine Attacke ausreichen wird, falls du einen Volltreffer landen kannst. Solange Silver ihn ablenkt, wird das kein Problem darstellen.“ Green warf einen kurzen Blick auf die Leiste ihres Stabes, was bestätigte, dass sie wirklich noch genug weiße Magie übrig hatte, um einen „Light Spirit“ einzusetzen. „In Ordnung, das wird zu schaffen sein“, antwortete Green mit einem selbstsicheren Nicken und sah sich schon nach einem geeigneten Ort um, von dem sie Anlauf nehmen konnte, wobei ihr etwas einfiel und sie sich sofort wieder herumdrehte: „Aber ich werde dabei sicherlich auch Silver treffen. Es ist unmöglich ihn nicht zu treffen, wenn er herumspringt wie ein wildgewordener Flummi.“ „Kümmer du dich um einen Platz, von dem du angreifen kannst und ich sorge dafür, dass er nicht in der Schusslinie ist.“ „Aber, Gary, schau dich mal um: wir sind auf einem Hochhaus, die einzige Erhöhung ist das Treppenhaus und ich sehe schon von Weitem, dass ich nicht genug Anlauf nehmen kann und außerdem fliege ich wahrscheinlich herunter vom Druck der Attacke. Ein „Darklightning“ wäre etwas anderes …“ „Gut, Planänderung“, sagte Gary erschöpft, doch konzentrierte sich sofort wieder, während Silver weiterhin Spaß hatte. Der Boden erzitterte des Öfteren und Green fragte sich langsam nervös, wie lange sie hier noch unbehelligt bleiben würden und wie lange das Gebäude noch standhielt: Ein umstürzendes Hochhaus mitten in Tokio war vielleicht nicht gerade wünschenswert ... erst recht nicht, wenn sich darin Leute befanden. „Ich habe eine Idee“, sagte Gary und sah Green an, welche seinen ernsten Blick fragend erwiderte. „Aber sie ist riskant und du musst mir vertrauen.“ „Ich muss dir … vertrauen?“ Green sprach das letzte Wort aus, als wäre es ein Fremdwort für sie. Vielleicht war es das auch; vielleicht war die Gabe des Vertrauens sogar fremd für sie. Sie hatte noch nie jemandem so richtig vertraut … sie hatte immer nur sich selbst und ihren eigenen Fähigkeiten vertraut. Und jetzt verlangte gerade Gary, dass sie ihm vertrauen sollte? Gerade ihm, den sie die längste Zeit deren Beziehung auf dem Tod nicht ausstehen konnte? Gerade ihm sollte sie vertrauen, auch noch in so einer bedrohlichen Situation?  „Green, es eilt.“ Von Garys Stimme aus ihren Gedanken gerissen, sah Green auf und traf seine dunkelgrünen Augen und ohne noch einmal darüber nachzudenken, sagte sie plötzlich: „Okay! Lass es uns angehen!“ Und schon im nächsten Moment bereute Green es und fragte sich, was sie da eigentlich tat. Sie wollte die eben gesagten Worte zurücknehmen, ehe sie ihren Satz abgeschlossen hatte, doch war das bereits zu spät, denn Gary bemerkte ihre eigentlichen Beklemmungen nicht: „Gut“, antwortete Gary, der natürlich nicht ahnte, welche Ehre ihm zuteilwurde. Er konnte nicht wissen, dass er die erste Person war, der Green vertraute und welche Bedeutung dies hatte. „Dann gib mir deine Hand.“ Kaum hatte er dies gesagt, streckte er schon seine Hand aus, welche Green einen Moment schweigend ansah, während es vor ihnen wieder krachte und donnerte. „Kurze Erklärung, da wir nicht mehr viel Zeit haben: Ich werde mit dir hochfliegen und dich in einer Höhe von 35 Metern fallen lassen, woraufhin du deinen „Light Spirit“ einsetzen wirst und ich dafür sorge, dass Silver aus der Schusslinie ist.“ Green nickte zögerlich und kaum, dass sie das getan hatte, hatte er auch schon ihre Hand ergriffen, sie zu sich gezogen und auf die Arme gehoben, als würde sie nichts wiegen. Erst als sie in die kalte Abendluft hinauf stiegen, wurde sie augenblicklich bleich: „… fallen lassen?!“, wiederholte sie fassungslos, denn sie konnte nicht glauben, dass das erste Mal, dass sie jemanden vertraute, zu so etwas missbraucht wurde. „Vertrau mir.“ „Fallen lassen?! Du hast nicht gesagt, dass das Vertrauen tödlich endet!“ „Wenn man die Strategie anzweifelt, ist das kein Vertrauen, Green“, antwortete Gary sachlich auf Greens etwas panischen Tonfall, fügte jedoch noch hinzu, dass sie sich bereit machen sollte, denn sie hatten die geeignete Höhe erreicht. Die junge Wächterin starrte ihn ungläubig an und man konnte ihr anmerken, dass sie mit sich selbst rang, da sie ihm eigentlich widersprechen wollte. Statt es jedoch zu tun, sagte sie schnippisch, aber doch ziemlich nervös: „Ich warne dich, falls ich hier bei sterbe, werde ich dich aus dem Reich der Toten heimsuchen!“ Mit diesen Worten aktivierten sich die Leisten von Greens Stab und im gleichen Moment, in dem dieser zu leuchten begann, ließ Gary Green fallen. Greens erste Intuition war panisch zu schreien, doch sie widerstand dieser Versuchung und entfesselte ihre Attacke: „SPIRIT  OF LIGHT!“ Die weiße Leiste ihres Stabes leerte sich mit einem Zug, bündelte die aufgesogene Energie in dem Glöckchen, welches an der Spitze des Stabes angebracht war, damit eben diese wie ein Torpedo strahlenförmig abgeschossen werden konnte und in sein Ziel traf. Mit voller Wucht hatte der Strahl von Greens Attacke den Dämon getroffen und ausgelöscht, doch ehe dies geschah, hörte Green mit halbem Ohr wie Gary irgendetwas rief und kaum eine halbe Sekunde später kam ihr Fall zu einem Ende. „Gut gemacht, Green-chan!“ Ungläubig öffnete die Angesprochene zögerlich die Augen und fand sich in den Armen von Silver wieder, der sie kurz vor dem drohenden Aufprall aufgefangen hatte und nun erfreut grinste, als er sie absetzte. Doch kaum, dass ihre Füße den Boden berührten, gaben diese erst einmal nach und sie sackte auf den Betonboden, ihre Kraft fand sie jedoch schnell wieder, als Gary sich zu den beiden gesellte. „Du hast also damit gerechnet, dass er mich auffangen würde?! Was ist, wenn er genau in diesem Moment weggeguckt hätte?“ Gary wies diese Anklage sofort zurück: „Egal wie unzuverlässig Silver ist, ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann.“ Der Rotschopf lachte über diese Bemerkung und gab seinem Bruder einen Knuff in die rechte Schulter. „Wir sind eben ein gutes Team, Aniki!“ „Wir sind ein effektives Team, ob wir ein gutes sind, ist eine andere Frage.“ Sofort schwand Silvers Lächeln. „Was soll das denn heißen?“ „Ich erinnere dich nur an die Mission in Ägypten, dann weißt du, was ich meine.“ „Warum musst du immer auf alten Kamellen rumhacken!“ „Du hast um eine Ausführung gebeten.“ „Das war nicht meine Schuld und das weißt du ganz genau! Das Problem war …“         Während die beiden so langsam anfingen sich zu streiten, blieb Green auf dem Boden hocken, sich nicht darum scherend, dass ihre Schuluniform so schmutzig wurde. Dem Streit der beiden Brüder lauschte sie nur mit halbem Ohr: zu erschöpft war sie. Nicht direkt vom Kampf, sondern von ihrem Lebenswandel. Erschöpft, aber gleichzeitig auch mit einem wohligen Gefühl der Freude, nein, es war beinahe schon viel mehr als nur Freude. Diese Freude galt nicht ihrem Überleben sondern kam daher, dass sie stolz auf sich war, dass sie jemandem zum ersten Mal in ihrem Leben vertraut hatte und dass sie diese Tat nicht zu bereuen hatte. Irgendwie war dieser Gedanke läppisch, immerhin vertrauten alle Menschen mehr oder weniger, doch für Green war es ein Grund, um stolz auf sich zu sein – besonders nachdem sie ihre „Menschenkenntnisse“, auch wenn es sich hier um Dämonen handelte, bereits verloren geglaubt hatte, nachdem Silver sie so enttäuscht hatte und sie auch auf sich selbst wütend gewesen war. Gerade als sie aufstehen wollte, sah sie eine Hand vor ihrem Gesicht und bemerkte, dass diese Silver gehörte. „Komm, ich helfe dir“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln, doch Green lehnte ab, nicht ruppig oder ärgerlich, sondern mit einem leichten Grinsen. „Ich kann schon selbst aufstehen.“ Mit diesen Worten tat sie das auch und bemerkte dabei, dass sein Blick auf ihr ruhte; ein Blick, den sie nicht ganz nachvollziehen konnte. Es war ein zufriedener Blick, als hätte er etwas bestätigt bekommen, was ihn erfreute. „Ich habe dir vorhin nicht gesagt, warum ich meine Meinung geändert habe“, sagte er plötzlich hier auf dem Dach eines Hochhauses, welches nun dringend eine Renovierung nötig hatte. „Ich habe mich geirrt. Du bist stark, Green-chan.“ Green errötete ein wenig über dieses Kompliment und war froh, dass sie so schmutzig war, so konnte er die Färbung wenigstens nicht sehen. „Deswegen bin ich in dich verliebt. Du bist die Erste, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und du wirst auch die Erste sein, um die ich kämpfen werde. Und glaub mir, Green-chan, ich bin sehr hartnäckig.“ Sie seufzte, aber nicht unbedingt genervt, sondern eher geschmeichelt. „Es bringt nichts, es dir ausreden zu wollen, oder?“ Er schüttelte den Kopf; auch er war schmutzig, wie Green auffiel. „Ich liebe dich nicht, aber …“, sagte Green und atmete tief durch, sich bewusst, dass sie eigentlich zu voreilig war, aber sie konnte einfach nicht anders: „Ich würde dich dennoch gerne wieder „Sibi“ nennen.“ Überrascht sah er sie an, doch dies hielt nicht lange, ehe sich seine Lippen zuerst zu einem Lächeln formten und dann zu einem erfreuten Grinsen. „Es wäre mir eine Freude!“     Keiner der drei bemerkte es. Sie bemerkten weder die magische, auf dem Boden erschienene Linie, die sie übertraten, noch achteten sie auf ihre Armbanduhren, deren Zeit für die Dauer des Kampfes stehen geblieben war und die nun plötzlich weiter lief, sobald sie die Linie passiert hatten. Zu sehr beeilten sie sich, sich vom Kampfesort zu entfernen, denn Gary ermahnte sie dringend, dass sie verschwinden sollten, ehe jemand kommen würde – als Einziger war er natürlich skeptisch darüber, dass sie so oder so noch nicht bemerkt worden waren, immerhin waren die Attacken seines Bruders nicht sonderlich unauffällig und in dem Hochhaus, dessen Dach sie nun ramponiert hatten, befanden sich Büros. Doch obwohl er sich wunderte, kamen seine skeptischen Gedanken nicht in die Nähe der Wahrheit. Und so kam er auch nicht auf die Idee, dass sie wohlmöglich beobachtet wurden. „Ich kann den Verdacht bestätigen, dass sich eine Wächterin mit dem Feind verbündet hat. Ich wiederhole: Ich bestätige den Verdacht des Kriegsverrates!“                             Fertiggestellt: 08.11.09         Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)