Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 7: Game Over -------------------- Schon seit mehreren Tagen verfluchte Gary sein Immunsystem. Er hasste es, krank zu sein: Wenn er krank war, konnte er nicht zur Schule gehen, und wenn es ihn richtig erwischt hatte, dann konnte er nicht einmal lernen – und Gary hasste es, am Ende eines Tages kein Ergebnis zu sehen. Dieser Drang stellte ein entscheidendes Problem dar, denn obwohl er krank war, zwang sich der Streber dennoch zum Lesen und das war seiner Genesung nicht gerade behilflich. Nicht nur seine menschlichen Eigenschaften waren davon betroffen, sondern auch die, die er seinem Dämonenblut zu verdanken hatte. Würde ein anderer Dämon sich dazu entscheiden ihn jetzt anzugreifen, wäre Gary ihm hoffnungslos unterlegen. Erschöpft ließ der Halbdämon das Buch fallen, zu welchem er seinen schwachen Körper gerade noch gezwungen hatte und es fiel aufgeschlagen auf den Teppich. Gary lag in seinem Bett, die Hand schlaff über der Bettkante hängend, bis er sich entschloss, vielleicht doch ein wenig zu schlafen. Schwach und mit verschwommener Sicht sah er auf die Digitaluhr, welche auf seinem Nachttisch stand und stellte fest, dass dies bereits der vierte Tag seiner Erkrankung war, was ihn gewaltig störte. Er grummelte etwas, beschwerte sich bei seinem Körper. Lange konnte er sich jedoch nicht darüber aufregen, ehe die Schwäche ihn packte und er einschlief … … nur um kaum fünfzehn Minuten später mit einem gewaltigen Schrecken zu erwachen. Das Gesicht eines Mädchens war über seinem aufgetaucht, keine dreißig Zentimeter von seinem eigenen entfernt. Es war Green, die ihn überrascht anlächelte und sich über Garys geschockten Gesichtsausdruck zu freuen schien. „Hey, du bist ja doch wach!“ Damit beugte sie sich wieder hoch, als Gary sich aufrappelte und sich mühselig in seinem Bett aufsetzte. Obwohl er krank war, sah er sie skeptisch an, doch er kam nicht dazu, die Frage zu stellen, die in dieser Situation selbstverständlich wäre, da Green zuerst eine stellte. „Es wundert mich etwas, dass du mich bemerkt hast. Ich hab mich bemüht, leise zu sein, um dich nicht zu wecken.“ „Ich hab dich nicht gehört. Ich hab dich …“ Gary hustete und bekam das letzte Wort nur schwer hervor, so dass Green es wiederholte, um sich sicher zu sein, dass sie es richtig verstanden hatte: „“Gespürt“?“ Gary nickte, zu mehr war er nicht in der Lage und ein weiteres Mal verfluchte er seine Gesundheit, als seine Sicht schon wieder verschwamm. Eigentlich war er nicht in der Verfassung, etwas anderes zu tun als zu schlafen, doch er rappelte sich dennoch auf, um es Green zu erklären: „Ich habe deine Aura gespürt. Jedes nicht-menschliche Wesen, welches auch nur einen Funken Magie in seinem Körper speichert, besitzt so eine.“ Green mochte das Wort „nicht-menschlich“ nicht, auch wenn sie wusste, dass es sehr wohl auf sie beide zutraf. „Aber warum spüre ich sowas nicht?“ „Weil du höchstwahrscheinlich noch selbst zu schwach bist.“ Green war darüber nicht beleidigt, sondern grinste nur und meinte, dass es daher umso wichtiger war, dass er schnell wieder auf den Beinen wäre, denn sie müsse ja beschützt werden. „Wie bist du eigentlich hier rein gekommen?“, fragte Gary, ohne auf ihre Antwort einzugehen. „Durch die Tür, wie denn sonst?“ „Die war doch … abgeschlossen?“ „Kein Hindernis für eine Frau wie mich!“ Wenn möglich wurde Gary noch bleicher bei der Vorstellung, wie Green sich ihren Weg geebnet hatte. „Bist du etwa … eingebrochen?“ Weiterhin grinste Green vielsagend, doch eine konkrete Antwort bekam ihr Gegenüber nicht, was ihm nicht gerade gefiel. Doch noch weniger gefiel ihm der Gedanke, dass so jemand wie Green, deren Gedanken oft finanzieller Natur waren, in der Lage war, in anderer Leute Wohnungen einzubrechen. Besonders nicht in seine. Sollte er sein Bargeld und seine Kreditkarte lieber unter dem Kopfkissen bewahren? Ach, Quatsch, das würde Green doch nicht machen … oder doch? „Wir haben übrigens einen Neuen in der Klasse!“ Dass sie das Thema wechselte, machte sie noch verdächtiger, dachte Gary, doch das Thema interessierte ihn leider, so dass er darauf ansprang. „Ach, wirklich? So mitten im Schuljahr?“ Die Angesprochene beugte sich nun wieder vor und wenn möglich wurde ihr Grinsen noch breiter. „Ja! Und weiß du was?“ Er schüttelte nur den Kopf. „Er ist mein Freund!“ Verwirrt wurde sie angesehen, doch auch überrascht über diese Aussage. „Dein Freund?“ Green richtete sich wieder auf und zwinkerte triumphierend. „Freund-Freund! Du weißt schon; wir sind zusammen. So was hast du doch sicherlich schon mal irgendwo in deinen Büchern gelesen!“, witzelte Green, doch Gary ließ sich davon nicht ärgern. „Nach einem Tag? Na, das kann ja nichts Tiefgründiges sein.“ Das gefiel ihr offenbar nicht als Antwort. „Genauer genommen kannte ich ihn schon vorher. Ach, du kennst ihn übrigens auch. Außerdem gibt es sowas wie Liebe auf den ersten Blick.“ Auf das Letztere sprang Gary nicht an, sondern eher darauf, dass er den unbekannten Neuling kennen sollte. „Tue ich?“ „Ja, es war der …“ In diesem Moment piepte ihr Handy und als Green es aus ihrer Tasche herausholte, breitete sich abermals ein erfreutes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Wenn man vom Teufel spricht!“ Sie hielt ihrem genervten Nachhilfelehrer das Handy vor die Nase, so dass er gerade mal erkennen konnte, dass es sich um eine SMS handelte, ehe sie ihr Handy wieder in ihre Tasche gleiten ließ. „Er holt mich ab. Na, was sagst du nun?“ „Was soll ich schon dazu sagen?“ Sie grinste weiterhin, ein Grinsen, welches er nicht nachvollziehen konnte. Damit verabschiedete sie sich von ihm und tänzelte förmlich aus seiner Wohnung, jedoch nicht ohne ihm ein „Gute Besserung“ zu wünschen und darauf hinzuweisen, dass sie ihm Reste von Pinks und ihrem gestrigen Abendessen in den Kühlschrank gestellt hatte. Eigentlich wusste Green nicht, ob sie mit Siberu zusammen war. Immerhin hatte keiner der beiden darüber gesprochen und es somit „offiziell“ gemacht. Sie waren einfach so zusammen, verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander: egal ob während des Unterrichtes oder in den Pausen. Natürlich verlief das Erstere nicht ohne Folgen und so landeten sie schnell vor der Tür, was sie weniger störte: So konnten sie ungestört miteinander reden und rumalbern. Green mochte Siberus Gesellschaft, es war so ein unbekümmertes und sorgenloses Beisammensein. Sie hatte das Gefühl, jemanden auf ihrer Wellenlänge gefunden zu haben. Als hätten sie sich gesucht und gefunden, wie Sho es ironisch formulierte, als sie die beiden in einer Pause skeptisch beobachtete. Wie sie es am Vortag abgemacht hatten, wollten sie heute zusammen etwas unternehmen, etwas, was absolut nach Greens Geschmack war: Sie wollten durch ein Shoppingzentrum schlendern, da es immer noch regnete und sie somit nichts unternehmen konnten, es sei denn, sie wollten dauerhaft unter einem Regenschirm verweilen. Bei diesem Date bemerkte Green schnell, dass Siberu ganz offensichtlich keine Geldsorgen besaß. Nicht nur, dass er Green in eines der besseren Shoppingzentren Tokios entführte, er meinte auch noch, dass er ihr gerne etwas kaufen würde, wenn sie ihm die Erlaubnis dazugeben würde. Erlaubnis! Welches Mädchen würde es ablehnen, Kleidung geschenkt zu bekommen, welche es sich frei auswählen durfte und dazu auch noch in so einem Laden? Green gewiss nicht. Green hatte so etwas noch nie mit einem Jungen unternommen, hatte jedoch oft von Sho gehört, dass es die reinste Hölle war: Männliche Wesen könnten einfach nicht verstehen, dass man sich vielleicht noch ein, zwei oder mehrere Male im Spiegel angucken müsse, ehe man das ausgesuchte Kleid kaufen könne. Auch Green war bereits oft mit Sho Einkaufen gewesen und sie konnte den Begleitern ihrer Freundin nur recht geben, wenn sie sich über Sho aufregten: Sho brauchte einfach zu lange. Doch Siberu war nicht viel besser. Nicht nur, dass er Green prüfend ansah, wenn sie etwas anprobiert hatte und es ihm zeigte, er war bei sich selbst mindestens genauso kritisch; saß auch nur eine Falte verkehrt, wollte er es nicht kaufen, obwohl es ihn ansonsten perfekt kleidete. So war es auch er der leer ausging, als sie die Boutique verließen. „Danke, Sibi, aber das war echt nicht nötig“, sagte Green und nickte zur Tüte, die ihr neues Kleid beherbergte und welche Sibi trug - er hatte darauf bestanden. „Und wie das nötig war! Du siehst umwerfend darin aus, Green-chan. Hätte ich es nicht gekauft, hätte ich ein Verbrechen begangen.“ Immer noch hatte Green sich nicht daran gewöhnt, dass Siberus Sprachgebrauch größtenteils aus Komplimenten bestand und immer noch hatte sie kein Mittel gegen ihre aufkommende Röte gefunden. Seit wann war es so leicht, sie zum Erröten zu bringen? Auf diese Frage erhielt Green keine Antwort, denn sie wurde von der Ausstellung eines Schmuckgeschäftes in den Bann gezogen. Siberu stellte die Tüte ab und folgte ihrem Blick, doch als er den Preis der Schmuckstücke sah, musste er schlucken; das war jetzt doch etwas zu teuer. „Sind die nicht schön?“, hauchte Green an die Scheibe, ohne dabei die Preise zu beachten oder seine Reaktion und den Umstand, dass sein Konto sich nicht nach jedem Gebrauch wie von magischer Hand wieder aufladen würde. „Ja - und sie würden dir sicherlich auch stehen, aber …“ Er nahm ihre Hand, um ihren Blick von den Ketten abzulenken: Dieses Unterfangen schien erfolgreich, denn sie sah ihn wieder an. Zuerst mit einem Funken von Erwartung, dann veränderten sich jedoch die Gefühle, die er in ihren Augen lesen konnte, als er sie ein wenig näher an sie heranzog, um grinsend ihr Glöckchen in die Hand zu nehmen, welches aus dem Oberteil ihrer weinroten Schuluniform herausgerutscht war. Von einem Moment auf den anderen veränderten sich die Gefühle in ihrem Gesicht und es war deutlich, dass sie diese Situation nicht mochte und Siberu war sehr wohl klar, dass ihre Unzufriedenheit nicht daher rührte, dass er sie zu sich gezogen hatte. Siberu achtete nicht auf ihren widerstrebenden Blick und sagte grinsend: „Du hast doch schon eine Kette, die dir gut steht, also wozu brauchst du eine andere?“ Er ließ das Glöckchen los und sein Grinsen wurde zu einem verführerischen Lächeln, als er sich ihr noch ein wenig mehr näherte. Erst als er Greens Glöckchen losgelassen hatte, wurde sie sich der Situation bewusst – dass sie sich nur wenige Zentimeter von Siberu entfernt befand, was dafür sorgte, dass ihr Herzschlag einen enormen Schub bekam. „Aber …“, hauchte er sanft auf ihre Haut, während er ihre linke Haarsträhne hinter ihr Ohr strich. Green hoffte, er konnte nicht hören, wie schnell ihr Herz in diesem Moment schlug. Was würde er tun? Er würde doch nicht etwa … Nein, würde er nicht, wie sie schnell herausfand und ihre insgeheimen Fantasien somit enttäuscht wurden, denn grinsend sagte Siberu: „Du hast ja gar keine Ohrlöcher!“ Damit ließ er sie los und vor Schreck wäre Green beinahe zusammengesackt, da dies alles andere war als das, worauf sie vorbereitet gewesen war. Empörte Worte der Überraschung brachen sofort aus ihrem Mund hervor, doch Siberu ließ sich davon nicht beeindruckend, als er antwortete: „Ich wollte doch nur schauen, ob du Ohrringe hast, nichts weiter. Was hast du denn gedacht?“ Sein Grinsen wurde überlegener, da er natürlich genau wusste, was sie gedacht hatte. Green grummelte etwas, sagte jedoch nichts, da eine Antwort wohl nicht von Nöten war. „Wieso hast du keine Ohrlöcher? Hast du Angst vor dem Stich?“ Die Röte von vor zwei Sekunden holte die Wächterin wieder ein und wieder war dies Antwort genug. „Warum willst du das wissen?“, fragte Green ihren grinsenden Begleiter. „Wegen der Kette. Ich kann mir diese …“ Er machte eine lässige Bewegung zum Schaufenster und fuhr fort: „… leider nicht leisten und du hast ja sowieso etwas, was deinen schönen Hals ziert. Also hab ich zu Ohrringen tendiert, aber du hast ja keine Löcher.“ Ehe Green zu einer Antwort imstande war, packte Siberu ihre Hände und nun schien sein Gesicht beinahe nur aus einem Grinsen zu bestehen, als er sagte, dass man das ja ändern könne. Green wurde bleich, doch schon zog er sie hinter sich her und seinem Tatendrang konnte sie nicht viel entgegensetzen. Es konnte ja auch nicht so schlimm sein. Immerhin hatte sie schon ein Loch in der Magengegend gehabt, da konnte ein kleines Löchlein in ihrem Ohr doch nicht so weh tun … Woanders in Tokio hatte ein Halbdämon gerade das Gefühl, neugeboren zu sein. Die vielen Stunden Schlaf hatten wahre Wunder bewirkt und endlich musste er nicht mehr im Bett lesen, sondern saß an seinem Schreibtisch, gut bestückt mit den Büchern, welche er noch mal lesen wollte, da er vorher nicht imstande gewesen war, sie vollends in sich aufzunehmen. Dazu noch die wohltuende Suppe Greens und absolute Ruhe. Gary konnte zwar nicht behaupten, dass er wieder putzmunter war, denn er spürte immer noch eine gewisse Schwäche, welche an seiner Konzentration zerrte, doch genauso deutlich spürte er, dass es wieder bergauf ging. Morgen müsste er vielleicht noch der Schule fern bleiben, aber dann würde er endlich wieder am Unterricht teilnehmen können. Er brannte danach, da er unbefriedigten Tatendrang in sich verspürte. Gary seufzte zufrieden, lehnte sich zurück und schlug das erste Buch zu, woraufhin er gleich das nächste nahm. Weit kam er nicht. Doch leider war die schrille Stimme eher zu hören, als die Aura zu spüren war und so riss es den Halbdämonen beinahe vom Stuhl: „GREEN-CHAAAAAAN! ICH …“ Gary blinzelte und sah zum zweiten Male an diesem Tag ein Mädchen in seinem Schlafzimmer. Dieses war jedoch um einiges aufgebrachter und verwirrter als das erste Mädchen des Tages. Obendrein war sie den Tränen nahe, doch man konnte dennoch eine merkwürdige Entschlossenheit in ihren hellen blauen Augen erkennen, die an die verbissene Entschlossenheit eines Kindes erinnerte. Bevor Pink sagen konnte, was sie hierher gebracht hatte, unterbrach sie einen Hustenanfall und Gary erinnerte sich daran, dass Green gesagt hatte, dass ihre Mitbewohnerin ebenfalls krank war. „Vielleicht solltest du lieber wieder ins Bett gehen“, schlug Gary vorsichtig vor, in der Hoffnung, sie würde auf ihn hören. Offensichtlich war dieses Vorhaben ohne Erfolg: „Wo ist Green-chan? Was hast du mit ihr gemacht du … Dämon du!“ Ja, jetzt fühlte er sich natürlich unheimlich beleidigt, dachte Gary ironisch. Doch ehe er antworten konnte, schien Pink etwas aufzufallen. „Und warum bist du hier?“ „… Weil das meine Wohnung ist, falls dir das nicht aufgefallen ist.“ Pink schien ernsthaft darüber nachzudenken, auch wenn Gary nicht verstand, was es da groß zum Nachdenken gab. Leichte Unsicherheit zeichnete sich auf ihrem kindlichen Gesicht ab und sie sah sowieso durcheinander aus mit ihrem viel zu großen Schal und ihrem zotteligen blonden Haar, welches zur Abwechslung mal nicht zusammengebunden war, sondern sich wie ein Gestrüpp um ihren Kopf wandte. Doch dann war die Entschlossenheit plötzlich wieder zurückkehrt. „Du bist also in der Lage, Doppelgänger zu erschaffen! Du bist gefährlicher als ich dachte!“ Eine Weile sah er sie einfach nur schweigend an und fragte sich ernsthaft, was mit diesem Mädchen nicht in Ordnung war. War es ihre Krankheit? Hatte er auch so einen Unsinn gesagt, als er im Bett lag? „Tut mir Leid dich enttäuschen zu müssen, doch Doppelgänger erschaffen liegt nicht im Bereich meiner Fähigkeiten“, antwortete Gary leicht ironisch, doch Pink achtete weder auf seinen Unterton noch auf seine Worte. „Egal was du vorhast, ich werde es nicht zulassen!“ „Das einzige, was ich vorhabe, ist, in Ruhe zu lesen. Ich weiß nicht, was daran verwerflich ist.“ „Aber wer ist denn …“ „Wer ist was? Pink, versuch bitte nachzudenken.“ Die Angesprochene bemerkte nicht, dass sie gerade beleidigt wurde und tat wie geheißen. „Ich spüre eine dämonische Aura bei Green-chan.“ Jetzt wurde Gary hellhörig. Eine dämonische Aura? Wie konnte das sein? Er spürte gar nichts, weil seine Sinne noch beeinträchtigt waren von der Krankheit, die in seinen Gliedern saß. Doch wie konnte Pink etwas spüren? Sie war noch wesentlich weiter von der Genesung entfernt als Gary. War ihr Sinn für Auren etwa ausgeprägter als seiner? Dieser Gedanke gefiel Gary nicht, da er Pink nicht gerade viel zutraute und es beschämend war, wenn gerade sie in etwas besser war als er. Ein anderer Gedanke als Pinks Fähigkeit schlich sich jedoch an die Oberfläche: „Warte mal. Warum dachtest du, ich hätte einen Doppelgänger erschaffen?“ „Weil die Aura deiner ähnelt. Oh! Hast du vielleicht einen Zwilling?“ Gary erhob sich aus seinem Sessel und stand auf. Pink sah ihm dabei zu, wie er seine Jacke nahm und ihre Augen wurden groß. Es war jedoch Gary, der sie zuerst ansprach: „Wo ist Green?“ „Sie wollte etwas mit ihrem Freund machen … shoppen oder so. Was hast du vor?“ Der Halbdämon seufzte tief, trank den Rest seiner Suppe und war zusammen mit Pink schon auf dem Weg raus. Das Lesen musste wohl auf unbestimmte Zeit verschoben werden. „Von wegen nur ein kurzer Stich!“ Green machte den Fehler und berührte ihre Ohrläppchen, welche jetzt von blauen Ohrringen geziert wurden und stellte abermals fest, dass es mit Schmerzen verbunden war. Siberu zu ihrer Rechten sagte nichts und tat nichts anderes, außer neben ihr herzugehen, während Green sich sicherlich alle zwei Sekunden beschwerte. Obendrein war sie sich sicher, dass er sich in Gedanken köstlich über sie amüsierte, was sie nur noch mehr missvergnügt stimmte. „Du hast es gut, du bist nicht gezwungen, diese Tortur durchzustehen!“ Erst jetzt reagierte er, da er nicht drum herum kam, sie auf diese Aussage hin verwundert anzusehen. Dann strich er seine roten Haare beiseite und zum Vorschein kam ein kleiner, runder schwarzer Ohrring, welcher in seinem linken Ohr steckte. „Wie du siehst, habe ich deine sogenannte „Tortur“ auch heil überstanden“, antwortete er und unterstrich seine Worte noch mit einem neckischen Grinsen. „Außerdem muss ich zugeben, dass mir diese „Tortur“ unheimlich gut gefallen hat“, fügte er noch hinzu, woraufhin Green ihn skeptisch ansah, als sie ihn fragte warum. „Erstens stehen dir die Ohrringe und zum anderen ... spüre ich seit fünfzehn Minuten meine Hand nicht mehr.“ Zuerst starrte sie ihn verwirrt an, da sie seine Anspielung erst beim zweiten Nachdenken verstand. Doch dann schaute sie zu ihrer Hand, die immer noch krampfhaft Siberus Hand umklammerte. Sie war so mit den Löchern beschäftigt gewesen, dass sie vergessen hatte, seine Hand loszulassen. Die Röte stieg abermals in ihr hoch und sofort ließ sie seine Hand los. Immer noch grinsend führte er ein paar Handbewegungen durch. Dann sagte er: „Du hast wirklich einen festen Griff für ein Mädchen.“ „Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment auffassen soll“, antwortete Green nicht unbedingt begeistert, doch immer noch mit leichter Röte, die sich sofort steigerte, als er von sich aus ihre Hand nahm. Nicht nur das, er legte seine Finger zwischen die ihren, so dass ihre Hände eine geschlossene Einheit bildeten. Green sah deren Hände an, dann zu ihm, wo ihre Augen von einem sanften Lächeln empfangen wurden. „Lass uns an einen Ort gehen, wo ich dich von deinen Schmerzen ablenken kann.“ Als Siberu und Green das Shoppingcenter verlassen hatten, war bereits die Nacht angebrochen. Es war kühl in den Straßen Tokios, doch es schneite nicht, da die Schneewolken sich verzogen hatten, um den Blick auf die Sterne freizugeben, wenn man nicht gerade zwischen Wolkenkratzern unterwegs war. Doch das waren die beiden nicht mehr. Siberu hatte Green von den belebten Straßen weggeführt und sie gingen, immer noch Hand in Hand, durch den verlassenen Park. Nachdem Siberu und Green eine ganze Weile munter geschwatzt hatten, schwieg er. Green wurde langsam kalt, doch trotzdem dachte sie nicht an den Heimweg. Sie lehnte sich an seine Schulter und lauschte der Stille, die sie umgab. Green schaute Richtung Himmel, froh darüber, die Schneewolken nicht mehr sehen zu müssen, sondern vom Licht der Sterne begrüßt zu werden. Irgendwie romantisch … Green drückte sich fester an ihn. Er seufzte tief, aber sie konnte nicht sagen, ob es ein positives oder negatives Seufzen war. Aber warum sollte es schon ein Negatives sein? Sie sah zu ihm hoch, um die Gefühle in seinen Augen lesen zu können, doch dieses Vorhaben wurde vereitelt. Denn er hatte sich zu ihr herumgedreht und sah direkt in ihre Augen, was sie sofort aus dem Konzept brachte. Er sagte nichts, als er seine Hand von Greens löste, nur um diese an ihrem Hinterkopf zu platzieren, um sie so näher an sich ran zu ziehen. Obwohl die Wächterin ein wenig überrumpelt war von seiner plötzlichen Annäherung, störte es sie nicht im Geringsten. Sie legte sogar ihre Arme um seine Hüfte, in der Hoffnung, das Verlangen danach, noch tiefer in seinen dunklen Augen zu versinken, gestillt zu bekommen. Gerade als Green die Augen schloss und sich deren Lippen beinahe berührten, schrillten sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf. Ihre nächste Handlung geschah instinktiv, als sie sich aus seinem Griff befreite und geschickt zurücksprang. Sie krallte ihr Glöckchen an sich und starrte Siberu auf einmal feindselig an. Nicht ohne Grund: Er hatte nicht nur nach ihrem Glöckchen gegriffen, sondern auch daran gezogen, als wollte er es von ihrem Hals reißen. Siberu war ruhig stehen geblieben, mit den Händen in den Hosentaschen und einem gelassenen Grinsen im Gesicht. „Du scheinst etwas aus deiner Lektion gelernt zu haben, Green-chan.“ „Wovon redest du?“, fragte Green nun etwas unsicherer, aber immer noch mit Widerwillen in den Augen. Doch eine Antwort erhielt sie nicht. Urplötzlich verschwand der Rotschopf aus ihrem Blickfeld und sie taumelte ein paar Zentimeter rückwärts, als sich ihre Nasenspitzen genauso urplötzlich berührten. „Aber um an meine Schnelligkeit heranzukommen, brauchst du noch einige Jahre Training.“ Ohne dass Green diesmal etwas dagegen tun konnte, riss er ihr das Glöckchen aus der Hand und von ihrem Hals. Die Wächterin griff noch danach, doch Siberu war zu schnell aus ihrer Reichweite verschwunden, als dass ihr Vorhaben gelingen konnte. „Armes, kleines Green-chan. Schon wieder hat man dir deine Seele genommen. Vielleicht solltest du besser darauf aufpassen?“ Noch waren die Symptome des Glöckchenverlustes nicht stark genug, um Greens Sein einzunehmen, wahrscheinlich, weil das Glöckchen ihr trotzdem noch zu nah war: nur ein leichtes Zucken ihrer Hände zeigte ihre Nervosität. Da der Entzug noch nicht allzu schlimm war, konnte sich Green noch auf andere Dinge konzentrieren als darauf ihr Schmuckstück zurückzubekommen und deshalb spürte sie etwas anderes zusätzlich in sich aufkommen; ein Gefühl, welches dadurch gestärkt wurde, dass Siberu sie weiterhin angrinste, während er das Glöckchen auf seinem Finger balancierte. Zuerst war es Entsetzen, weil sie sich zusammenreimen konnte, was passiert war, was sie zugelassen hatte … doch schnell spürte sie, wie das Gefühl des Entsetzens der nahenden Traurigkeit und Verzweiflung wich. „Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte Green dennoch, in der Hoffnung, es gäbe eine andere Erklärung als ihre, die sich dann als falsch herausstellen würde. „Verstehst du es denn nicht? Es ist doch eigentlich ganz einfach und simpel …“ Er unterbrach sich selbst und kurz zeigte sich sein Gesicht verwundert, wurde jedoch sofort wieder zu seinem erfreuten Grinsen, als er sagte: „Oh, wir bekommen Besuch, Green-chan!“ Kaum hatte er dies gesagt, tauchte kein geringender als Gary wie aus dem Nichts genau vor Greens Augen auf. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und konnte sich ihr überraschtes Gesicht daher nur vorstellen, als sie fragend seinen Namen über die Lippen brachte. Gary sagte etwas, was eindeutig an Siberu gerichtet war, denn Green verstand kein Wort von dem, was er sagte: Er sprach in einer Sprache, die ihr absolut fremd war. Der Dritte im Bunde schien ihn jedoch verstehen zu können, denn er lachte beinahe schon boshaft. „Warum sprichst du denn in unserer Sprache mit mir, Blue? Hast du etwa etwas zu verbergen?“ „“Blue“? „Unsere Sprache“?“, fragte Green und sah Gary verwirrt an, da sie nun einige Schritte nach vorne gegangen war, um nicht mehr hinter ihm zu stehen. Langsam spürte Green, dass es ihr alles zu viel wurde: die ganzen Fragen in ihrem Kopf, die nach Antworten verlangten, die sie eigentlich nicht haben wollte … und die beiden Jungs, die für mehr und mehr unbeantwortete Fragen sorgten … aber auch für Beweise, die die Theorie untermauerten, die sie nicht untermauert haben wollte. „Das erklär ich dir später …“, antwortete Gary, doch Siberu unterbrach ihn. „Warum nicht jetzt? Wir haben doch alle Zeit der Welt!“ Gereizt wandte Gary sich von Green ab und funkelte den grinsenden Rotschopf wütend an. „Was treibst du schon wieder für Spielchen, Silver?! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du dich aus dieser Angelegenheit raushalten sollst!“ Daraufhin kicherte der Angesprochene und zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch: Ich bin unverbesserlich.“ „Was geht hier eigentlich vor?“, fragte Green, gerade als sie sah, dass Gary die Fäuste geballt hatte. „Ja, wirklich, man sollte dich mal aufklären“, antwortete Siberu, steckte das Glöckchen weg und tauchte wieder mit einer ungeheuren Geschwindigkeit vor ihr auf: scheinbar sogar zu schnell für Gary, denn dieser drehte sich gerade erst zu den beiden herum, als es bereits zu spät war. „Es war ein Spiel. Ein wirklich leichtes und enttäuschendes Spiel.“ Green blinzelte, starrte in seine roten, nun kalten und teilnahmslosen Augen. „Ein … Spiel?“ Ihre Theorie war wahr. Siberu war ein Dämon. Er war es gewesen, der ihr das Glöckchen das erste Mal geklaut hatte. Er wollte sie … umbringen. „Silver!“, rief Gary dazwischen, doch wurde von dem Angesprochenen überhört und langsam breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht des Rotschopfs aus. „Ja, ich hab dich angelogen. Sorry, Green-chan. Das Spiel ist nun vorbei.“ Green starrte ihn entgeistert an, scheinbar verstand sie seine so simplen Worte nicht und konnte nichts anderes tun, als Siberu anzustarren, bis sich langsam die Wahrheit in ihren Augen bemerkbar machte und man deutlich die nahende Verzweiflung sehen konnte, die seine Worte ausgelöst hatten: Ihre blauen Augen weiteten sich langsam, umso mehr sie seine Worte verstand. Es gelang ihr jedoch nicht, etwas zu erwidern, da Siberu wieder aus ihrem Sichtfeld verschwand, da Gary dem nicht länger zusehen wollte und gezielt nach ihm getreten hatte; dem war Siberu mit Leichtigkeit auswichen und er hatte scheinbar gar nicht weiter darauf geachtet. Auch wenn er nun wieder einige Meter von Green entfernt war, sah er sie weiterhin an; sah, wie ihre Augen langsam glasig wurden, wie ihre Schultern zu zittern begonnen und freute sich schon darauf zu sehen, wie die Tränen bald ihren Weg finden würden. „Eigentlich wollte ich nur wissen, was an dir so toll ist, dass man so viel aufs Spiel setzen muss.“ Bei diesen Worten sah er kurz zu Gary und schüttelte dann nur ratlos mit dem Kopf und wandte sich wieder Green zu, die nun den Boden ansah. „Aber ich habe nichts gefunden, was es wert wäre. Das Einzige, was ich gefunden habe, ist ein schwaches Mädchen, das sich nicht wehren kann und obendrein ziemlich leichtgläubig ist. Ein paar süße Worte reichen schon aus! Mit anderen Worten ein typisches Mädchen, was nicht nach meinem Geschmack ist.“ „Schwach?“, war das Einzige, was Green darauf erwiderte, immer noch mit dem Blick Richtung Boden. Siberu ärgerte sich über ihre Reaktion und darüber, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte – wozu war das gesamte Spiel gut gewesen, wenn er nun nicht die Krönung sehen konnte? Doch gerade, als der Rotschopf sie dazu bringen wollte, nach oben zu sehen, traf der Angriff Garys zum ersten Mal ins Ziel: in Siberus Magengegend. Der Angriff war so stark, dass es ihn nach hinten warf und es war seinen athletischen Fertigkeiten zu verdanken, dass er sich keine schwereren Verletzungen zuzog, denn er hielt sich einfach an einem Ast fest, machte einen Überschlag und stand schon elegant, als wäre nichts passiert, auf dem Ast und pfiff anerkennend. Gary ging nicht darauf ein, sondern schrie zu ihm hoch: „Hast du ihr denn nicht wirklich schon genug angetan?!“ Daraufhin schüttelte Siberu den Kopf, als müsste er über die Antwort nachdenken. „Ach, Blue. Du bist so ein elendiger Spießer. Warum lässt du mir nicht einfach meinen Spaß? Warum musst du dich immer einmischen?“ „Das sagt der Richtige.“ „Ich will dir nur helfen.“ „Nein, du willst nur deinen Spaß.“ Dem hatte Siberu augenscheinlich nicht viel entgegenzusetzen. Er grinste daher nur ein wenig entschuldigend und deutete damit wohl an, dass Gary ins Schwarze getroffen hatte. „Du willst das Glöckchen zurück, nicht wahr?“ Garys Blick verdunkelte sich; diesmal hatte der Rotschopf den Treffer versenkt und überlegen und auch mit einer gewissen Vorfreude sagte er: „Diesmal wirst du es dir schon mit Gewalt holen müssen. Dein Rui-Trick wird dir nicht gelingen; da hab ich Vorkehrungen getroffen. Also regeln wir unsere kleine … Meinungsverschiedenheit ganz, wie es sich für Dämonen gehört!“ Gary wusste, dass er recht hatte und dass es diesmal keine Möglichkeit gab, dies ohne Gewalt zu lösen. Dennoch zögerte er und sah noch einmal über seine Schulter zurück, wo Green weiterhin versteinert auf den Boden starrte. Ihre Knie hatten nachgegeben und so hockte sie nun auf dem Boden. Sie bemerkte nicht einmal, dass er sie ansah. Nicht nur, dass Gary kein Freund von Gewalt war und damit auch nicht gerade seiner dämonischen Natur entsprach, er schätzte es auch nicht, dass Green ihn kämpfen sah. Er wusste nicht, warum, aber diese Vorstellung gefiel ihm nicht. Aber es blieb ihm keine andere Wahl, denn so, wie er sein Gegenüber kannte, würde er das Glöckchen nicht herausrücken, weil man ihn lieb fragte. Im Gegensatz zu Gary entsprach er, was das Kämpfen anging, ganz und gar seiner dämonischen Natur. Gary wandte sich wieder von Green ab und sah zu Siberu, der ihn erneut angrinste, wahrscheinlich weil er begriffen hatte, dass sie nun endlich kämpfen würden. Als wäre ein Startsignal ertönt startete Gary den ersten Angriff, indem er auf Siberu zuraste, ihn an den Schultern zu packen bekam und sie damit beide vom Baum herunter warf. Mit aller Kraft drückte er seinen Kontrahenten in den sandigen Steinboden, wobei er die Geschwindigkeit des Sturzes für sich ausnutze. Doch kaum, dass Siberu den Boden berührt hatte, sprang Gary auch schon von ihm weg, da sein Kontrahent bereits dunkle Magie in seinen Handflächen gesammelt hatte und sie gerade Gary entgegenwerfen wollte, als dieser auswich. „Hey, warum hast du mich nicht mit Magie angegriffen, als ich am Boden lag?“ Mit diesen Worten startete Siberu einen weiteren Gegenschlag, wobei er kurz nach Ausführen der Attacke, die Gary blocken konnte, vor ihm auftauchte, seine rechte Hand in dessen Schulter stemmte und sich über ihn hinweg schwang. Kaum war er hinter Gary, holte er mit seinem Bein aus, doch dieser konnte wieder mithilfe seines Arms blocken. „Dein typischer Trick“, sagte Gary, ohne auf Siberus vorige Provokation einzugehen oder die Stärke seines Tritts. Der Rotschopf grinste. „Und du bist in den letzten Jahren ganz schön eingerostet. Oder wäre „verweichlicht“ vielleicht das bessere Wort?“ Scheinbar hatte Gary langsam genug von Siberus Provokationen, denn die Stärke seiner Abwehr bekam auf einmal einen so großen Schub, dass er Siberu scheinbar mit Leichtigkeit zurückdrängen konnte. „Ich habe es dir schon einmal gesagt, Silver. Du verstehst das nicht und glaube mir: Es ist besser für dich!“ Das Grinsen des Angesprochenen wich, wahrscheinlich, weil er deutlich in den Augen seines Gegenübers sah, dass es sein vollster Ernst war. „Warum sagst du es mir denn nicht einfach? Wir haben doch immer zusammengearbeitet … aber nein, stattdessen verschweigst du mir alles und lässt mich allein!“ Einen Augenblick lang konnte man deutlich anhand seiner sich verändernden Gesichtszüge erkennen, dass sein Kampfgeist bröckelte; einen Moment lang wirkte er sogar verletzt und dieser kleine Moment wurde ausgenutzt. Nicht von Gary, sondern von der dritten Person im Bunde. „Wie zur Hölle …“, fluchte Siberu, der plötzlich die Spitze eines Stabes in seinen Nacken spüren konnte. Gary wirkte genauso verwundert wie der Rotschopf, da er ebenso wenig mit Greens Einschreiten gerechnet hatte wie Siberu. Obendrein wirkte Green alles andere als verzweifelt. Entschlossenheit zeigte sich in ihren Augen, ihrem Gesicht und ihrer Haltung. Wie war das möglich? „Du bist nicht der Einzige, der weiß, wie man stiehlt.“ Siberu sah über die Schulter mit düsterem, aber auch erstaunten Blick zu ihr. Nach wie vor hielt er seinen Angriff gegen Gary aufrecht, doch beide waren eher auf Green fokussiert. „Wie kann es sein, dass du nicht heulend am Boden hockst?“ Ein kurzes, beinahe triumphierendes Lächeln huschte über Greens Gesicht. Sie festigte ihren Griff um ihren Stab, als sie antwortete: „Weil ich nicht schwach bin.“ Überraschung über diese Aussage zeigte sich in Siberus Gesicht und Gary sah auch, dass er beeindruckt von Greens Entschlossenheit war und besonders davon, dass sie nicht so gehandelt hatte, wie er es erwartet hatte. Diesen Moment nutzte Gary, um seine Gegenwehr fallen zu lassen und aus der Schusslinie zu verschwinden, da er bereits an Green erkannt hatte, was sie vorhatte. Obwohl er Greens Vorhaben schon vor Siberu verstanden hatte, war er nicht weniger geschockt über ihren Entschluss. Er hatte nicht erwartetet, dass Green einen so unerschütterlichen Willen hatte, dass sie sogar die Waffe gegen jemanden erhob, den sie einige Stunden vorher noch ihren „Freund“ genannt hatte. „Du hast vor, mich anzugreifen, Green-chan? Mich, deinen Sibi?“ Kurz zuckte etwas über Greens Gesicht und sie musste sich auf die Lippen beißen, aber sie ließ ihren Stab dennoch nicht los. Aha, dachte Siberu: Sie war also doch nicht so stark, wie sie tat. Doch da irrte er sich, was er schnell feststellte. „Für mich war es kein Spiel. Ich habe es ernst gemeint …“, sagte Green aufrichtig, während das Licht in der rechten Leiste ihres Stabes zu pulsieren begann. Ihre Augen zeigten sich kurz weich und fast schon liebevoll, ehe sie sich festigten und sie sagte: „Aber wenn es für dich nur ein Spiel war, dann ist hier das Game Over! SPIRIT OF LIGHT!“ Keine halbe Stunde später gingen Gary und Green wieder Richtung Nachhause, als wären sie nur gerade von der Schule heimgekehrt. Sie schwiegen, dennoch war etwas zu hören. Etwas, was normale Menschenohren nicht gehört hätten: deutlich konnte Gary Green weinen hören. Sie ging ein kleines Stück weiter vor ihm, fühlte sich unbeobachtet, da weder ihre Schultern bebten noch ihre Hände zu ihrem Gesicht erhoben waren. Sie dachte, er bemerke es nicht, doch die Ohren eines Halbdämons waren empfindlicher als die eines Menschen. Siberu war nicht ausgeschaltet, dies war beiden bewusst. In der Zeit, wo Green ihre Waffe zum Angriff bereit gemacht hatte, hatte er Unmengen von Möglichkeiten zum Ausweichen gehabt und er hatte sie sicherlich genutzt: in der letzten Sekunde. Was hatte er damit bezweckt? Wollte er nur testen, ob Green wirklich so stark war, dass sie ihn angreifen würde? Beide kramten ihre Schlüssel aus deren Taschen, als sie vor den jeweiligen Haustüren standen. Verstohlen sah Gary zu Green herüber und sah, dass keine Träne zu sehen war auf ihrem Gesicht; nicht einmal Anzeichen dafür. Sie öffnete die Tür mit einem Klacken und hielt sie einen Spaltbreit auf, als sie sich zu Gary herumdrehte und ihn anlächelte. „Danke für deine Hilfe“, sagte Green simpel und verschwand dann schon in ihrer Wohnung, wo sie hörbar von Pink begrüßt wurde. Gary hatte den Schlüssel bereits im Schloss, doch drehte ihn nicht herum, da er immer noch auf den Punkt sah, wo seine Nachbarin eben noch gestanden hatte. 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