Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 2: Pinks Kräfte ----------------------- Green unterdrückte einen Schrei, während sie die Stufen hinunter in den wegen Umbauarbeiten gesperrten U-Bahn Schacht lief; auch wenn von „unterdrücken“ eigentlich nicht die Rede sein konnte, da sie versuchte zu schreien, aber aus ihrem Mund kein Laut hervorkam, obwohl er von Schrecken gezeichnet weit offen stand. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass sie keinen Grund hatte zu schreien, denn was sie vor sich sah, konnte unmöglich wahr sein. Träumte sie abermals einen Traum, der so real war wie der, den sie an dem gestrigen Morgen gehabt hatte? Oder war dieses Wesen, welches sie verfolgte und aus einem Alptraum zu stammen schien, wirklich echt? Was auch immer es war, ob real oder nicht, es hatte einen dünnen, eher mageren schwarzen Körper, der jedoch in die Höhe schoss und nur knapp in den Schacht passte. Die leuchtend grellorangen Augen des Wesens huschten unverwandt zwischen Pink und ihr umher und waren von der Größe und Form eher mit den Scheinwerfern eines Autos zu vergleichen. Im Gegensatz dazu war der Schlund nicht vorhanden, doch die auf dem Rücken sitzenden, tödlich aussehenden Stacheln ließen seine Statur trotzdem sehr bedrohlich wirken. Green wusste nicht, was sie tun sollte. Doch als sie bemerkte, dass die Augen des Monsters nun ausschließlich direkt auf sie gerichtet waren, wusste sie, dass sie nur eines wollte: weg! Egal, ob es Traum oder Realität war, sie wollte weg! Aus reiner Panik drehte Green sich auf der Stelle um, ohne auf Pink zu achten. Zwei Stufen gelangen ihr, ehe ihre Flucht sich bereits als erfolglos erwies: ein bohrender Schmerz entbrannte in ihrem rechten Schulterflügel und breitete sich in ihrem gesamten Körper aus. Sie spürte ihr eigenes warmes Blut auf ihrer Haut und sah wie es an die Wand spritzte, ehe sich bereits dunkle Flecken vor ihrem Blickfeld ausbreiteten und die Dunkelheit sie zu verschlucken drohte. Green verlor die Balance und kippte nach hinten, dem Ende der Treppenstufen entgegen. Doch ehe sie mit dem Kopf aufschlagen konnte, gelang es ihrem Bewusstsein wieder an die Oberfläche zu gelangen und sie bekam Halt am metallenen Treppengeländer. Es blieb ihr jedoch keine Zeit, sich über das Entfliehen eines Wirbelbruchs zu freuen, denn das Monster griff abermals an und diesmal erkannte sein wohl ausgesuchtes Opfer, was für eine Waffe ihre Schulter durchbohrt hatte - es waren die für ihren Geschmack viel zu langen Klauen des Monsters. Ihr Überlebenstrieb und ihre Kenntnisse in Sport und Gymnastik trieben Green dazu an, seinem nächsten Angriff auszuweichen: Sie festigte ihren Halt um das Treppengeländer mit beiden Händen und schwang ihren zierlichen Körper über die Metallstangen, wie sie es auch schon oft im Unterricht gemacht hatte. Allerdings hatte sie solch einen Überschlag noch nie in einem U-Bahn Schacht auf einer Treppe gemacht und da dieser nicht ausreichend Platz bot, knallte Green bei der Landung an die Wand aus Beton. „Green-chan!“, hörte sie Pinks Stimme von fern und wunderte sich darüber, dass ihr von Schmerz gezeichneter Körper überhaupt noch etwas wahrnehmen konnte. „Also dein Ausweichmanöver war ja cool! Aber ich denke, das Landen solltest du noch üben...“ Wie konnte dieses verdammte Mädchen in solch einem Moment so ausgelassen sein!? Sie waren so gut wie tot! Dieses - was auch immer es war - würde sie in der Luft zerreißen. Pink würde die Flucht vielleicht noch gelingen, aber Green konnte sich nicht mehr bewegen...und sowieso hatte sie ein klaffendes Loch im Körper. ...sie würde sterben. So oder so. „Mach die Augen auf! Guck mir zu!“ Sie war doch noch so jung! Sie wollte nicht sterben, nicht hier, nicht wegen so einem Mistviech! „Green-chan! Du und ich, wir sind keine Menschen! Wie sind Wächter! Wir sind dafür geboren worden, Dämonen zu bekämpfen!“ ...bitte? „Du kannst gegen den Dämon kämpfen! Nimm das Glöckchen und kämpfe!“ Das Glöckchen nehmen? Was sollte sie denn damit? „Green-chan! Kämpfe! Denn du bist nicht so schwach wie die Menschen! Du bist nicht schwach!“ Schwach. Bei diesem Wort, diesem für sie mit vielen negativen Assoziationen gefüllten Adjektiv, regte sich etwas in ihr; etwas, das sie dazu brachte, die Augen wieder zu öffnen, welche sie vorher noch fest zusammengekniffen hatte. Wer auch immer Pink eigentlich war: sie hatte recht. Green war nicht schwach, sie war alles andere als das. Sie war das Gegenteil, sie war stark und mit ihrer Stärke würde sie selbstbewusst wieder aufstehen, denn selbst wenn sie hier sterben sollte, dann würde sie ihrem Tod vorher noch kräftig ins Gesicht lachen, anstatt weinend auf dem Boden zu liegen. Aber eine solch große Verletzung erschwerte ihr Unterfangen, machte es unmöglich – und das hatte nichts mit Schwäche zu tun, sondern einfach damit, dass ein Mensch nicht zu solch einem Wunder fähig war. „Green-chan, du musst kämpfen! Als Wächter!“ ...aber Wächter vielleicht. Greens Sinne nahmen ihre Arbeit wieder auf, als sie spürte, wie eine Flüssigkeit in ihr Gesicht spritzte. Langsam öffnete sie die Augen, im gleichen Moment, in dem sie den Geschmack von Blut in ihrem Mund schmeckte. Zuerst war ihr Sichtfeld mit schwarzen Punkten gesprenkelt, klärte sich jedoch langsam auf. Pink stand einen halben Meter vor ihr; zwischen ihr und dem Dämon, der eindeutig zu nah war, hatte sich eine pinke, durchscheinende Mauer gebildet, welche scheinbar ihren Ursprung in Pinks Handflächen hatte, die sie ausgestreckt vor sich hielt. Doch kaum lagen Greens Augen eine Sekunde auf diesem Bild, zerbröckelte die pinke Substanz auch schon wie in kleine Glassplitter. In diesem Moment sah Green erst, dass etwas Pinks Schulter getroffen hatte und sie realisierte, dass es ihr Blut war, welches ihr ins Gesicht gespritzt war. ...Pink hatte ihr das Leben gerettet, obwohl sie sich nicht kannten? „Green-chan...benutz das Glöckchen“, sagte das kleine Mädchen, ehe sie wie ein Stein zu Boden fiel und regungslos liegen blieb. Green biss sich auf die Unterlippe und starrte ihren Körper an, aus dem das Blut floss und sich auf dem grauen Boden verteilte. Erst als sie bemerkte, dass das Monster nun wieder seine riesengroßen Augen auf sie gerichtet hatte, wandte sie ihren Blick von Pink ab. Was sollte sie tun? Das Glöckchen benutzen? Ja, aber wie?! Dem hoffnungslosen Mädchen blieb gar nicht anderes übrig, als Pink zu vertrauen; wenn sie sterben würde, dann konnte sie genauso gut alles ausprobieren, um diesem Schicksal zu entgehen. Aus lauter Panik zerriss Green den Verschluss der billigen, silbernen Halskette, an dem das Glöckchen hing und tat dasselbe, was Pink zuvor gemacht hatte: sie hielt das Glöckchen in der einen Hand vor sich ausgestreckt, dem Dämon entschlossen, aber auch mit einer Spur von Verzweiflung, entgegen. Dieses verfluchte Ding hatte ihr gefälligst zu helfen; Green hatte nicht die geringste Lust, hier zu sterben. Kaum, dass dieser Gedanke ihr durch den Kopf geschossen war, spürte sie, dass sich tatsächlich etwas an dem Glöckchen veränderte. Es besaß nicht länger die Form eines Glöckchens, sondern die eines Stabes: eines verzierten Stabes mit einem Glöckchen, ruhend in einem von weißen Flügeln geschmückten, himmelblauen Kreis, welcher an der Spitze des Stabs befestigt war und nur darauf wartete, von Green benutzt zu werden. Green wusste nicht, woher sie das Wissen hatte, aber plötzlich war ihr bewusst, dass der Stab ihr als Waffe dienlich sein würde. Ihre Panik war auf einmal wie weggeblasen - es war, als würde sie genau wissen, was sie zu tun hatte. Selbst als die Attacke des Dämons auf sie zu schoss, blieb sie ruhig. Sie hielt den Stab der schwarzen Energie entgegen, die der Dämon abgefeuert hatte und war nicht einmal erstaunt, als die schwarze Energie von der Spitze des Stabes absorbiert wurde. Die eine Seite ihrer neugewonnen Waffe färbte sich schwarz und noch während sie sich aufzufüllen schien, erhob Green den Stab, um diesen mit einem Schwung wieder zu senken. Als der Stab genau auf der Höhe des Dämons war, rief Green: „Darklightning!“ Die gleiche Energie, die Green nur kurz zuvor aufgefangen hatte, entlud sich nun aus der Spitze des Stabes, nur mit dem Unterschied, dass dieser ein weiß leuchtendes Zentrum besaß. Die Energie traf das Monster und kaum hatte sie das Ziel getroffen, löste dieses sich schneller in einzelne Partikel auf, als Green gucken konnte. Nichts blieb von diesem Alptraum übrig. Mit der Waffe noch in der Hand starrte Green auf den Punkt, wo eben noch ihr Gegner gestanden hatte. Erst langsam kletterte die Ohnmacht ein weiteres Mal in ihr empor und ehe die Schmerzen sie wieder einholten, fiel sie neben Pink zu Boden... Von weit her ertönten Schritte; sanfte Schritte, als würde derjenige kaum den Boden berühren. Green wollte die Augen öffnen, sie wollte diese Person mit eigenen Augen sehen, doch dieses Unterfangen war ihr unmöglich. Jeder einzelne Punkt in ihrem Körper schmerzte fürchterlich und es wunderte sie, dass sie überhaupt noch bei Bewusstsein war. Warum war sie nicht schon tot? „Mein Mädchen...wie tapfer du dich geschlagen hast.“ Green erkannte die Stimme wieder: es war die gleiche vertrauensvolle und zugleich bekannte Stimme, welche sie auch schon in ihrem Traum gehört hatte und welche sie vor dem Glöckchen gewarnt hatte. Wer war sie? Sie musste jetzt neben ihr sitzen oder knien, denn Green spürte, wie sie ihr ihre Haare aus dem Gesicht strich. Und noch etwas anderes spürte sie: ihre Schmerzen ließen nach, ganz so als würden sie sich in Luft auflösen. Nein, das war so nicht richtig. Denn sie lösten sich nicht in „Luft“ auf, sondern in Wärme... und Geborgenheit. Die warme Hand, die ihr Gesicht berührt hatte, löste sich wieder von ihr und Green verspürte den Drang, ihr nachzuschreien, sie möge noch nicht gehen. Doch sie entfernte sich...die Schritte verklangen im Schacht und als Green die Augen öffnen konnte, gelang es ihr nur, einen kurzen Blick auf den Rücken der Person zu erhaschen. Ihre Erscheinung war von reinem Weiß; ihre langen Haare waren weiß und das weite Kleid, welches sie trug, war von der gleichen Farbe. „Ein...Engel?“ „In Lights Namen! White! Was fällt dir eigentlich ein!?“ Die Aktionen Whites brachten ein erneutes Mal ihren Vater dazu, beinahe überzukochen; Gründe besaß er zur Genüge. White hörte die Worte ihres Vaters nicht, denn sie war nicht anwesend; stattdessen mussten nun andere Wesen unter seinem Temperament leiden, welche ihm vom Aussehen her recht ähnlich sahen: alle drei besaßen ein weißes Erscheinungsbild. „Yogosu hat einen recht interessanten Kampfstil! Very great!“ „Kampfstil nennst du das? Ich nenne das...“, antwortete ein anderer, doch wurde von Whites Vater unterbrochen: „Unbedeutend! Viel bedeutender ist, dass sich in ihrem Angriff nur knapp 10% Magie befindet, die dem Licht zugeordnet werden kann!“ Sofort hatte er die Führung des Gespräches übernommen und wandte sich nun von den Daten ab, um die anderen beiden ernst anzublicken: „Sie sollte eine Vertreterin des Lichtes sein, aber so wie ich das sehe, bestätigen sich unsere Befürchtungen!“ „Ich bringe sie gerne um!“, erwiderte der größte von ihnen mit einem Grinsen und der Hand auf seinem Schwert ruhend. Der Weißhaarige, der neben ihm stand, verdrehte genervt die Augen und der Letzte im Bunde antwortete: „Du hast vor 16 Jahren bereits versagt, Seigi.“ Der Angesprochene kam nicht zum Antworten, denn der andere antwortete im ruhigen Tonfall: „Wir sollten daran denken, dass die Hälfte des Rates auf White-sans Seite steht. Ein solcher Schritt wäre fatal für das Gleichgewicht in unseren Reihen. Wir befinden uns in einer gänzlich anderen Situation als vor 16 Jahren.“ Whites Vater seufzte verärgert. „Hast du mit Adir gesprochen?“ „Er weigert sich nach wie vor, am Rat teilzunehmen.“ Das war zu viel. Mit der zusammen geballten Faust schlug der Angesprochene auf den Tisch, was seinen Gesprächspartner dazu brachte zusammen zu zucken, während der Schwertträger Seigi weiterhin vor sich hin grinste. „Nach diesen Zahlen...“, er zeigte auf die Daten hinter ihm und fuhr wutentbrannt fort: „Weigert er sich nach wie vor?! Yogosu könnte zu einer enormen Gefahr werden. Wenn wir diese Gefahr nicht so schnell wie möglich auslöschen, sehe ich für die Zukunft des Wächtertums schwarz, meine Herren! Es muss etwas unternommen werden. So schnell wie möglich!“ Er sah die beiden Männer unbeirrbar und resolut an. „Ruft die Ratsmitglieder zusammen. Wir werden eine Ratsversammlung abhalten, mit oder ohne Adir!“ Es war ein klarer Morgen; keine Regenwolken waren über Tokio zu sehen und für die, die den Sonnenschein liebten, würde es ein angenehmer Tag werden. Ein Großteil der Menschen war schon im morgendlichen Stress unterwegs auf den Straßen, welche bereits überfüllt waren: nur wenige schliefen noch – eine von ihnen war Green. Die Ruhe des Schlafes wahrte jedoch nicht lange, ehe ein schepperndes Geräusch sie aus ihren Träumen riss und sie mit einem Mal kerzengerade im Bett sitzen ließ. „Was zur Hölle...“ Green schaute sich noch etwas verschlafen um und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Erst als diese wieder gereinigt waren, sah das Mädchen wie spät es war und die Uhrzeit sagte Green, dass sie langsam los musste. Ohne vorhandende Lust öffnete sie ihren Kleiderschrank, zerrte ihre Schuluniform von der Stange und beeilte sich diese anzuziehen. Mit der Bürste in der Hand ging sie aus ihrem Zimmer und kaum, dass sie in der Stube stand, die zur Küche angrenzte, wusste sie auch, was das weckende Geräusch verursacht hatte; denn Pink stand inmitten von Scherben. „Guten Morgen, Green-chan!“, sagte sie putzmunter, als würde sie das Zeugnis ihrer Tat nicht bemerken. „Morgen. Was hast du da gemacht? Weißt du eigentlich, wie teuer so was ist?“, antwortete Green ruppig, woraufhin Pink ihre Unschuldsmiene aufsetzte, die bei ihrer Gesprächspartnerin garantiert keine Wirkung zeigte. „Ich wollte mir nur was zu essen machen…aber irgendwie ist da was schief gelaufen.“ Green seufzte tief und war kurz davor, ihren Taschenrechner zu zücken, um den finanziellen Schaden auszurechnen; doch sie unterdrückte diesen Drang. „Ich werde einen neuen Teller kaufen und du wirst mir das Geld zurückbezahlen! Jeden einzelnen Yen!“ Die großen blauen Kulleraugen Pinks sahen sie verwirrt an, als sie hilflos antwortete, dass sie doch kein Geld besaß. Green schüttelte müde den Kopf und beschloss, dass es erstens zu früh war, und zweitens, dass es so oder so nicht viel brachte, mit Pink zu reden. „Du hast doch noch das Diamantenarmband. Tausch das doch ein gegen Bares.“ „Diamantarmband…? Ach, das! Das habe ich, glaube ich, verloren…“ Green glaubte ihren Ohren nicht zu trauen: verloren?! Ein Diamantarmband verlor man doch nicht?! Green war dermaßen schockiert, dass sie sich einfach nur einen Apfel nahm und die Wohnung verließ – doch kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, brachen plötzlich auch die Gedanken wieder hervor, die ebenfalls mit dem Diamantarmband zusammenhangen: die Bilder des gestrigen Abends. Dieses monströse Wesen, das ganze Blut, Pink am Boden, die Schmerzen, diese Frau...und das, was sie selbst getan hatte. War das nur ein Traum gewesen? Wie anders war es zu erklären, dass sie nach so einem Erlebnis einfach in ihrem Bett aufgewacht war, wie an jedem anderen Morgen auch? Der Tag begann wie immer...und auch ihre Schuluniform, die sie bei diesem Kampf angehabt hatte, hätte beschädigt sein müssen, doch sie war wie neu. Green starrte ihre Hände an, wo kein einziger Kratzer zu sehen war. Dies war einfach unglaublich, aber es gab eine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden: das Glöckchen. Auch dieses hing wieder an einer silbernen Kette, die eigentlich ebenfalls kaputt sein müsste und diese Gewissheit beruhigte Green um einiges. Sie weigerte sich, es zu glauben. Doch schnell wurde ihr bewusst, dass sie sich irrte. Denn das Glöckchen veränderte wieder seine Form und in Greens Händen lag die Waffe, die in der gestrigen Nacht den Dämonen getötet hatte. „...du und ich, wir sind keine Menschen! Wir sind Wächter!“ Green schluckte einen Kloß herunter – doch die Wahrheit konnte sie nicht so einfach herunterschlucken. Im Laufe des Tages vergrub Green sich zunehmend in ihrer Gedankenwelt. Es war für andere beinahe unmöglich sie zu erreichen und erst beim zweiten oder dritten Versuch war es für Sho möglich, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Natürlich fiel ihr der Zustand ihrer Freundin auf, doch Green antwortete nicht auf die Frage, was denn los sei. Wie sollte sie auch? Wie sollte sie jemandem etwas davon erzählen? Niemand würde ihr glauben - sie wollte es ja selbst nicht glauben. Immer wieder spielte das Geschehen sich vor ihrem geistigen Auge ab und die Worte Pinks wiederholten sich, als wären sie auf Endlosschleife gestellt. Um sich abzulenken, trainierte Green freiwillig weiter nach dem „Rhythmische Gymnastik“-Klub in der leeren Turnhalle. Eigentlich sollten sich ihre Gedanken mehr um ihre Bewegungen oder die kommende Mathe Prüfung kreisen, doch das Training regte ihre Gedankenkreise um die merkwürdigen Ereignisse nur noch weiter an. Green fragte sich, ob die neugewonnene Leichtfertigkeit ebenfalls die Schuld des Glöckchens war und ob die Schwingen, die sie sich immer gewünscht hatte, nur daher rührten... Was war das eigentlich für ein Teil? Was war das Licht gewesen, das sich um sie gelegt hatte, als sie das kleine Ding berührt hatte? Das Glöckchen gab keinen Ton von sich, anders als herkömmliche Glöckchen, die man zur Weihnachtszeit überall sah: es war unglaublich leicht…vielleicht sollte sie es mal aufmachen, um zu sehen, was sich darin befand? Zu viele Fragen und niemand, der ihr eine Antwort geben konnte, denn Green zweifelte daran, dass Pink ihr die Erklärung geben konnte, die sie haben wollte...diese engelshafte Frau konnte ihr garantiert die Antworten geben, die sie ersehnte... aber wie sollte man sie finden? Green war so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht bemerkte, dass sie sich mit ihrem Turnband selbst eine Falle stellte und schon fiel sie hart zu Boden, wo sie regungslos liegen blieb; nicht weil der Sturz enorm geschmerzt hatte, sondern weil ihr die Lust fehlte, aufzustehen. Ihr beschleunigter Atem war das einzige, was in der Turnhallte zu hören war, ansonsten war es vollkommen still. Green lag einfach da im Sonnenlicht, welches durch das große offene Fenster unter dem Dach herein strahlte. Irgendwie tat es gut: ihr war nie aufgefallen, dass das Sonnenlicht sich so schön anfühlen konnte. Es war so schön warm - fast wie die Wärme der Frau. Doch nicht nur das; das Licht schien ihre Ressourcen wieder aufzuladen. Erst einen Moment später bewegte sie sich, setzte sich in die Hocke, den Kopf in Richtung der strahlenden Sonne erhoben, wo sie langsam die Augen öffnete und in die Sonne sah. Erst nach verstrichenen Sekunden, in denen sie direkt in die Mitte der Sonne blickte, dämmerte es Green und ihre Augen weiteten sich überrascht. „Sag mir, kannst du in die Sonne sehen?!“ Sie konnte in die Sonne sehen. Aber ein normaler Mensch konnte nicht ohne Sonnenbrille in die Sonne schauen, ohne geblendet zu werden. Woher hatte Gary das gewusst? Warum hatte er sie das gefragt? Oder sollte das ein Zufall sein? Aber niemand stellte so eine Frage - kein Mensch würde auf so eine Idee kommen! Was hatte das zu bedeuten? War er vielleicht doch nicht so unscheinbar, wie sie angenommen hatte? Auf dem Nachhauseweg hatten sich ihre Gedanken nun auf Gary fixiert und die anderen Fragen hatten sich in den Hintergrund geschoben. Sie war sogar so weit gegangen und hatte nach ihm in der Schule gesucht, genauer gesagt in der Bibliothek. Green war fest davon entschlossen, ihn dazu zu bringen, ihr Rede und Antwort zu stehen. Doch ihre Suche verblieb erfolglos; auf der einen Seite natürlich ärgerlich, aber auf der anderen wusste Green auch überhaupt nicht, wie sie das Gespräch anfangen sollte. Sollte sie einfach auf ihn zugehen und fragen, was seine Frage zu bedeuten hatte? Sie kannte ihn nicht gut genug, um zu beurteilen, ob es etwas bringen würde...sie hatte sich nie mit ihm auseinandergesetzt oder sich die Mühe gemacht, ein Gespräch mit ihm zu führen. Green wusste nicht einmal wo er wohnte, ansonsten hätte sie Gary dort aufsuchen können. Wenn er allerdings genau wie sie kein Mensch war...konnte er ihr garantiert mehr Antworten geben als Pink. Green glaubte, dass selbst wenn Pink etwas wüsste, würde es ihr nichts nützen sie auszufragen: Pink erschien ihr nicht besonders hell zu sein, das war ihr ziemlich schnell bewusst geworden. Also war Gary eine gute Anlaufstelle, auch wenn ihr der Gedanke nicht behagte, dass sie ausgerechnet seine Hilfe in Anspruch nehmen musste: immerhin baute deren Beziehung nicht gerade auf Sympathie auf. Schon gar nicht nach der gestrigen Feindlichkeit von seiner Seite aus, die heute komplett verschwunden gewesen war, als wäre nie etwas geschehen. Nein, Green konnte ihn wirklich nicht leiden. Aber um ihren Wissensdurst gestillt zu bekommen, würde sie über ihren Schatten springen müssen. Greens Gedankengänge wurden auf halbem Weg unterbrochen und der Ursprung war alles andere als willkommen, denn es war das Strahlen des Glöckchens. Bedeutete dies etwa das Gleiche wie am gestrigen Tag? War ein Dämon in der Nähe? Schluckend sah Green sich um, mit einem fast schon hilfesuchenden Blick. Die Menschen um sie herum bemerkten das Leuchten nicht und Pink war nirgends zu sehen, genauso wenig wie ein Dämon. Was sollte sie jetzt tun? Zuerst nach Hause gehen und Pink holen oder versuchen, sie zu kontaktieren? Vielleicht war es dann schon zu spät und es gab bereits Tote? Aber ging es sie überhaupt etwas an? Wenn Green ehrlich zu sich selbst sein sollte, musste sie sich eingestehen, dass sie am liebsten das Leuchten des Glöckchens ignorieren würde. Der Dämon konnte ihr doch egal sein, solange er sie nicht angriff und sowieso war Green nie eine hilfsbereite oder soziale Person gewesen, eher das Gegenteil: sie ging als ignoranter Egoist durch die Welt. Warum sollte sie ihr Leben für andere aufs Spiel setzten? Tat jemand es für sie? Nein, niemand interessierte sich für sie. Die Welt war grausam und hart. Das Leuchten wurde jedoch stärker zusammen mit dem Schrei des Glöckchens und im selben Moment mischte sich noch ein anderer Schrei mit hinein. Green wirbelte herum und sah die Ursache für den Schrei; keine fünfzig Meter von ihr entfernt türmte eben diese sich über eine am Boden liegende Frau. Das Ungetüm sah anders aus als der letzte Dämon: es war von der Statur her kräftiger, dafür aber ein wenig kleiner – auch wenn man bei drei Metern nicht gerade von winzig sprechen konnte. Was es ebenfalls von dem letzten Dämon unterschied, war die Tatsache, dass er einen Mund besaß, welchen es scheinbar sogar zum Sprechen gebrauchen konnte, denn als er Green erblickte, zischte es: „Wo ist die kleine Göre?!“ Das war zu viel für die Frau, sie fiel in Ohnmacht und ließ Green zusammen mit dem Dämon alleine auf der engen, ansonsten komplett verlassenen Straße zurück. Kurz fragte sich die übrig Gebliebene, wie groß ihre Chancen waren, einfach abzuhauen. Doch dann würde dieses Viech wahrscheinlich die wehrlose Frau fressen oder was auch immer Dämonen mit Menschen anstellten und Green war sich nicht sicher, ob sie diese Verantwortung auf ihren Schultern tragen konnte. Also blieb ihr nichts anderen übrig als dem Dämon den Kampf anzusagen, auch wenn alles in ihr sich dagegen sträubte. Schnell löste Green das Glöckchen von ihrer Kette und kaum hatte sie das kleine Ding in der Hand, verwandelte es sich in ihre Waffe. Vom gestrigen Kampf ausgehend musste Green auf einen Angriff warten, den sie absorbieren konnte und dies ermöglichte ihr erst eine Chance auf den Sieg. „Wo ist die kleine Göre?!“, kam es wiederholt von dem Dämon und Green fragte sich, ob dieser Satz das einzige war, was er sagen konnte und die Frage, wen es suchte, tauchte unweigerlich in ihr auf. Der Dämon schien nicht im Sinne zu haben, irgendetwas mit Green anfangen zu wollen, denn er verharrte regungslos fünfzig Meter von ihr entfernt und damit ging der Plan Greens nicht auf. Also blieb der frisch gebackenen Wächterin nichts anderes übrig als sich ihm zu nähern, wenn er zu faul war, sich zu bewegen. Innerlich fluchte sie, als sie zum Spurt ansetzte, doch tatsächlich, ihre Taktik zeigte Wirkung. Kaum hatte sie sich bewegt, griff er wie erhofft an. Genau wie beim letzten Kampf hielt Green den Stab vor sich ausgestreckt und dieser nahm die schwarze Energie, Magie oder was auch immer es war, auf und färbte sich zur Hälfte schwarz. Doch gerade als Green angreifen wollte, kam der Dämon ihr zuvor. Mit einer ungeheuren Schnelligkeit schossen dessen Klauen auf das Mädchen zu und sie konnte dem nur entgehen, indem sie sich auf den Boden fallen ließ. Ihr blieb keine Zeit sich auszuruhen, denn er setzte sofort nach und seine Faust sauste auf sie nieder, als würde er eine Ameise zerquetschen wollen. Green gelang es nicht auszuweichen, da sie sich nach wie vor auf dem Boden befand. Sie kniff die Augen zusammen und machte sich auf Schmerzen bereit...was sich als ein unnötiges Unterfangen herausstellte. „Green-chan!“ Green war noch nie so erleichtert gewesen, Pinks quietschende Stimme zu hören und endlich traute sie sich, die Augen zu öffnen. Über ihr sah sie das gleiche Phänomen, welches ihr bereits einmal das Leben gerettet hatte: eine pinkfarbene Glasscheibe. Green nutzte die Zeit, in der der Dämon von der Neudazugekommenen Notiz nahm und floh aus seinem Angriffszirkel hinüber zu Pink. Erst da bemerkte sie, dass der Dämon Pink ungewöhnlich lange anstarrte. „Die kleine Göre!“ Zuerst dachte Green nur, dass es doch ein Wunder war, dass er auch noch etwas anderes sagen konnte, doch dann dämmerte es ihr und sie wirbelte zu Pink herum. Der Blick ihrer kleinen Freundin war auf einmal unheimlich angsterfüllt geworden und wenn Green es richtig sah, zitterte sie. „Pink, was ist los?“ Kaum kamen diese Wörter über Greens Lippen, versteckte Pink sich schon hinter ihrem Rücken. „Sie kommen, um mich zurückzuholen!“ Es war wahrlich nicht zu übersehen, dass der Dämon es auf Pink abgesehen hatte, denn als es plötzlich auf sie zu raste und die beiden Mädchen gezwungenermaßen auseinander springen mussten, richtete er seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf Pink: Green war uninteressant geworden. Er griff nach dem kleinen Mädchen, das jedoch wieder seine Kräfte einsetzte, um eine Barriere zwischen seinen Angreifer und sich selbst zu errichten, womit es einem Treffer entging. Pink war klein und flink und damit im Vorteil gegenüber dem großen Klotz von einem Dämon. Ihre Fähigkeiten schützten sie vor direkten Treffern, doch sie holte nicht zum Gegenangriff aus – warum nicht? „Pink! Greif doch an! Du hast doch genug Chancen!“ Pink wich einer weiteren Attacke ihres Verfolgers aus und hatte damit noch keine Zeit zum Antworten. Erst nach mehreren Manövern antwortete sie: „Kann ich nicht! Ich kann nur Schutzmagie!“ Green schallte sich in Gedanken eine Närrin; das hätte ihr auch schon früher klar werden können, es war immerhin ziemlich offensichtlich. „Hey, du dummes Mistviech! Vergreif dich lieber an jemandem, der fast genauso groß ist wie du!“ Ihr Versuch die Aufmerksamkeit des Dämons zu erlangen war vergebens; er hatte nur Augen für Pink. Aber das konnte man ja auch ausnutzen. Green rannte hinter ihn, die Stufen einer Treppe empor, damit sie in etwa auf gleicher Höhe wie dessen Kopf war. Dort schwang nahm sie Anlauf, sprang von der obersten Stufe und noch während sie in der Luft war, schwang sie den Stab hoch über ihrem Kopf und schrie: „Darklightning!“ Genau in dem Moment, in dem sich die schwarze Energie aus ihrem Stab entlud, schlug Greens Stab nicht auf seinem Kopf ein wie geplant, sondern auf dessen Schulter. Zwar hatte sie ihr eigentliches Ziel nicht getroffen, doch das Ergebnis war das gleiche: der Dämon war eliminiert. Zum Glück für die unüberlegte Green federte ihre Attacke den Sturz ab; dennoch war die Landung unsanft, als sie auf dem gepflasterten Boden fiel. Noch während sie stöhnend feststellte, dass dies nicht gerade die schönste Kür gewesen war, rannte Pink zu ihr und ehe Green sich versah, warf sie sich um ihren Hals und schloss sie in eine liebevolle Umarmung. „Danke, Green-chan! Ich hab dich ja so lieb!“ Die Angesprochene wusste gar nicht, was sie darauf antworten sollte; sie konnte gar nichts mit der Umarmung anfangen. Daher schwieg sie, bis Pink sich von alleine wieder von ihr löste und sich erfreut grinsend vor sie setzte. Green jedoch wurde ernst: „Pink, ich denke, du bist mir eine Erklärung schuldig.“ Und sofort verschwand Pinks Lächeln. Fertiggestellt: 08.08.08 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)