Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 33: Vertrauen ---------------------     Grey hatte gerade seinen wöchentlichen Gesundheitscheck hinter sich gelassen und war just in diesem Moment im Begriff, sich von Tinami genau wie immer anhören zu müssen, dass er besser auf seine Gesundheit achten musste… mehr essen, mehr schlafen… als Ryô in das Sanitätszimmer hereinkam. Er verneigte sich sofort vor den beiden Elementarwächtern und entschuldigte sich für die Störung, obwohl weder Tinami noch Grey sein Eintreten als Störung empfunden hatten – als Ryô Grey allerdings um ein Gespräch unter vier Augen bat, blinzelten die beiden Elementarwächter doch verwundert. Grey allerdings nicht sonderlich lange; er witterte leider schon, um was es sich handelte und obwohl Ryô keine sonderlichen Anzeichen darauf machte, bemerkte der Windwächter sofort, dass es wohl eher schlechte Nachrichten waren, die er ihm unter vier Augen zu berichten hatte – und ganz richtig. Es hing mit Green zusammen, wie Ryô Grey erzählte, sobald sie alleine und in einem anderen Zimmer waren. „Ihr habt mich ja um eine Analyse der Attacke Hikari-samas gebeten…“ Grey nickte und begann, nervös mit seinen Händen zu spielen. Sie schien wirklich kein gutes Resultat erbracht zu haben, wenn Ryô es ihm nicht sofort berichtete – oh, warum zögerte er es denn hinaus!? Grey spürte, wie er sich bereits selbst Panik machte: das war immerhin Greens erste eigene Technik, ihre erste freigesetzte Lichtmagie, die sie zu einer Attacke geformt hatte. Die 46% „nicht-definierbare-Magie“, die Tinami in Greens „Spirit of Light“ festgestellt hatte, waren schon schlimm genug gewesen, aber diese Anteile sollten nun eigentlich getilgt sein… jetzt, wo Green ihr Element direkt genutzt hatte, ohne Magie von irgendwelchen Dämonen aufgenommen und konvertiert zu haben… „Grey-sama…“ Ryô sah seinen Herren so mitleidig an, als überbringe er ihm eine Todesnachricht – und wahrscheinlich war es das auch. „… es sind 47%...“ Ryô schluckte, Greys Augen schienen zu vibrieren. „…nicht-definierbare Magie.“ Grey war absolut erstarrt. „47%... nicht-definierbare Magie? Jeder Zweifel… ausgeschlossen?“ Bedrückt nickte der Tempelwächter. „Bei einer Attacke, für die Green direkt auf das Lichtelement zugegriffen hat?“ Grey ließ sich völlig erschlagen von dieser Nachricht auf den nächstbesten Sessel fallen. „Das bedeutet, dass… Green irgendetwas mit dem… Element selbst macht?!“ Als hätte Grey soeben ein großes Sakrileg ausgesprochen, schlug er sich erschrocken die Hand vor den Mund. Wenn die Hikari das erfuhren… und sie würden es erfahren, Grey konnte sie nicht anlügen und er hatte bereits angekündigt, dass Green eine neue Attacke gelernt hatte – er sollte sie morgen vorstellen, war sogar stolz gewesen, dass Green Fortschritte zeigte… er hatte natürlich ausgelassen, dass sie es irgendwie geschafft hatte, eine Lichttechnik in der Nähe eines Dämons freizusetzen, ohne diesen dabei zu verletzen… Oh, er hätte komplett schweigen müssen!  „Aber, Grey-sama, der Name der Technik… „Glühwürmchen Sturm“ – ist das nicht etwas, mit dieser Verbindung zu Eurem Element, was Euch freut?“ Grey, der sein Gesicht kurz in den Händen vergraben hatte, lächelte schwach, als er wieder aufsah und zu seinem Freund blickte. Es rührte ihn, wie verzweifelt Ryô versuchte, ihn aufzuheitern – obwohl diese Nachricht schwärzer als schwarz war. „Danke, Ryô… aber ich befürchte, das interessiert meine Familie nicht.“ Das wusste Ryô natürlich, aber bevor er antworten konnte, kam Grey ihm mit einer überraschenden Frage zuvor: „Was ist eigentlich… deine Meinung über Green?“ Der Angesprochene blinzelte überrascht: „M-Meine Meinung über Hikari-sama?“ „Ja…“ Grey seufzte, immer noch traurig klingend, die Stirn auf seine gefalteten Hände legend: „Ich frage, weil ich genau weiß, was die Ratsmitglieder sagen werden… sie werden die nicht-definierbare Magie Greens Unreinheit zuordnen – ein sichtbarer, messbarer Beweis ihrer Unreinheit, ihrer Schlechtigkeit… und dass sich diese auch noch auf das Element überträgt – und ich muss zugeben, dass ich es mir auch nicht anders erklären kann… und das würde bedeuten, dass Green das Licht selbst verunreinigt…“ Grey hob den Kopf wieder, sah hinaus in den Himmel und fuhr leise, fast ein wenig vorsichtig fort: „Daher frage ich mich… ob Green wirklich so schlecht ist. Ob sie… wirklich eine Bedrohung für uns… für uns alle ist.“     Ob man wohl selbst verstauben konnte, wenn man zu viele alte Bücher las? Das war die Frage, mit der sich Green gerade plagte. Natürlich, es sollte eine andere Frage in ihrem Kopf geben, die wichtiger war, als sich solch irrsinnigen Hirngespinsten hinzugeben, denn natürlich konnte man nicht verstauben, nur weil man alte Bücher las und von ihnen umringt war… aber so wie diese Wälzer sich ihr aufdrängten und gemessen an der Energie, die Green angesichts dieses Bergs an Büchern in sich aufkommen spürte… glaubte Green es fast. Denn die Energie war kaum nennenswert. Grey fand, dass Green mehr Hintergrundwissen über die Geschichte der Wächter benötigte und dass die Frage, wer Schuld an dem dritten oder vierten… oder gar sechsten Elementarkrieg hatte, eine sehr wichtige Frage war. Fand Green nicht – sie fand jede andere Frage interessanter. Green seufzte in die Hand hinein, die sie an ihre Wange gelegt hatte und die ihren Kopf davor bewahrte, gelangweilt abzurutschen. Sie fand ganz eindeutig nicht, dass das spannende Fragen waren. Sie fand das ganze Thema nicht besonders anregend. Krieg! Was sollte sie mit Krieg! Herrschte nicht Frieden? Sie interessierte sich nicht für irgendwelche Kriege - weder für die Weltkriege noch für die Elementarkriege. Geschichte im Allgemeinen war nicht gerade ihr Thema; nie gewesen, außer es gab vielleicht mal den leisen Anflug einer dramatischen Liebesgeschichte. Ja, dafür war sie eigentlich immer zu haben, aber Grey schien irgendwie nicht zu finden, dass es so wichtig für Greens Ausbildung war, dass Green Tagebücher von längst vergangenen Hikari las! Dabei war er am Anfang so begeistert gewesen, als Green sich über eine Sammlung Tagebücher gestürzt hatte, die für die Öffentlichkeit zugänglich waren, bis er dann bemerkt hatte, dass Green die Tagebücher nach tragischen Liebesgeschichten filterte und dem Politischen absolut keine Beachtung schenkte - ganz zu schweigen von ihrem geschichtlichen Wert. Ja, Green musste zugeben, sie hatte die Tagebücher eher wie Romane gelesen… oder überflogen, aber das musste sie Grey ja nicht beichten, ehem. Daher hatte er sie wahrscheinlich an diese leidige Aufgabe gesetzt, während er im Jenseits war. Sie müsse wissen, was ein Elementarkrieg bedeutete – und nein, es genügte garantiert nicht, nur zu wissen, dass es sieben gab!? Sie musste die Hintergründe kennen, die Bedeutung, die Konsequenzen… versuchen, sich darin hineinzuversetzen, was es bedeutete, nicht nur einen Krieg zu führen, sondern auch während der Kriegszeit leben zu müssen. Grey hatte sehr ernst geklungen; für Green waren die Worte eher theatralisch gewesen – und noch einmal: es gab keinen Krieg, also warum das Ganze…? Aber sie hatte zugestimmt und sich artig in einen Lesesaal begeben; es hatte auch gar keinen Weg daran vorbei gegeben, denn Grey hatte wirklich sehr aufgebracht darauf bestanden, dass sie diese Bücher lesen sollte – und heute Morgen? Beim Frühstück? Da hätte Green schwören können, dass er ihrem Blick ausgewichen war… und als er ins Jenseits aufgebrochen war, wirkte er nervös. Was da nur mal wieder vor sich ging?  Müde blätterte Green durch den Wälzer, nachdem sie zwei Seiten weitergekommen war – aber schon wieder das eben Gelesene vergessen hatte – und trank ihren Tee. Siberu würde sie verstehen. Er würde verstehen, dass es unnütz war, Green dazu zu zwingen, so trockene Lektüre zu lesen! Wozu sollte sie es überhaupt lesen, wenn da die Hikari im Jenseits waren, die sie doch einfach fragen könnte – wäre das nicht eine viel einfachere Lernmethode, oder würden die weißen Herren und Damen sich nicht erbarmen, mit ihr zu sprechen, huh?! Ja, Siberu würde sie verstehen, würde verstehen, wie langweilig das Ganze war – Gary dagegen würde ihr wahrscheinlich das Buch unter die Nase halten mit der Aufforderung, endlich weiterzulesen; es gab immerhin noch 645 Seiten in diesem Buch und dann folgte auch schon das nächste Buch. Green musste umgehend lächeln, als sie an die beiden dachte, obwohl sie auch mit Gary keine Lust auf diese Bücher gehabt hätte. Nein, wirklich nicht. Aber es wäre schon angenehmer, wenn die beiden bei ihr wären oder wenn Green wenigstens mit ihnen würde reden dürfen, aber nein, Grey war ein zu guter Wachhund. Wenigstens war Pink jetzt wieder bei ihr; Green hätte nie gedacht, dass sie das Beisammensein mit ihrer kindlichen Cousine vermissen würde, aber als sie nun auch in den Tempel „eingezogen“ war, hatte Green schnell bemerkt, dass sie die quirlige Art ihrer Cousine wirklich vermisst hatte. Sie brachte Leben in jeden Raum; sogar der stets leere Tempel kam Green dank Pink lebendiger vor. Auch jetzt war Pink bei ihr; sie allerdings tat das, was Green am liebsten auch tun würde, nämlich schlafen. Sie lag neben ihr auf einem blau dekorierten Flügelsofa, ihr Hello!Kitty-Plüschtier fest in die Arme geschlossen. Dabei war es nicht einmal so spät… obwohl… Green warf einen Blick auf eine kleine, goldene Standuhr und runzelte sofort die Stirn. Eigentlich war es schon ziemlich spät. Wo Grey wohl blieb? Er war gleich nach dem Abendessen gegangen – es gab immer um 18 Uhr Abendessen – und war immer noch nicht zurückgekehrt, obwohl es schon fast zehn Uhr abends war. Eigenartig. Die Hikari warf einen verstohlenen Blick auf ihre Bücher, dann zu Pink – und schon war sie aufgestanden und aus dem Zimmer verschwunden, allerdings nicht ohne Pink eine Decke übergelegt zu haben. Sie wollte mit Ryô reden; ihn rein aus Neugierde fragen, ob er wisse, was Grey so lange im Jenseits trieb und ob das normal war? Und – zugegeben – sie wollte sich auch die Beine vertreten, etwas anderes sehen als diese dicken Wälzer und nutzte daher ihre Neugierde als kleine Ausrede, um aufzustehen und das Arbeitszimmer hinter sich zu lassen.   Der Tempel war nicht gerade zu einem von Greens Lieblingsorten geworden. Zu Beginn hatte sie diesen Ort, die gesamte schwebende Inselformation, als etwas Faszinierendes angesehen - aber nun, nachdem sie schon ein wenig mehr als eine Woche hier drinnen eingesperrt war, hatte der Tempel seinen Zauber verloren. Man konnte wohl sagen, dass Green dem Tempel aus Trotz seinen Zauber aberkannt hatte. Er war ihr Gefängnis; die Mauern, die sie davon abhielten, zurück nach Tokio zu kommen. Grey ermüdete nicht daran, ihr die schönen Seiten des Tempels zu zeigen und versuchte stets, ihr das Gefühl zu geben, dass sie sich hier Zuhause fühlen sollte. Aber nein, das konnte sie nicht. Und nebenbei sah sie einige Dinge am Tempel einfach wie Siberu: so schön er auch war, er hatte seine unheimlichen Seiten und genau wie Siberu mochte auch sie einige Steinstatuen nicht. Ganz besonders die nicht, die mit irgendwelchen Gesten drohend auf das Regelbuch zeigten. Es schien auch ziemlich viele davon zu geben – wozu?! Laut Grey hielten sich doch alle Wächter außer Green an die Regeln, also warum musste gefühlt jede zweite Statue einem das Regelbuch unter die Nase halten? Nun ja, vielleicht gerade deshalb, dachte Green mit einem ironischen Lächeln, als sie gerade an einer vorbeigegangen war, die im klaren Mondlicht weiß erleuchtet gewesen war. Hmm, die Kammer der beiden Tempelwächter war leer, fand Green heraus, als sie gut fünf Minuten Gehweg hinter sich gelassen hatte – was machten sie denn um diese Uhrzeit woanders als in ihrem Zimmer? Arbeiteten sie noch? Ryô hatte Grey nicht ins Jenseits begleitet und Green hatte Itzumis Hilfe beim Lesen abgelehnt – wozu brauchte sie da auch ihre Hilfe?! – also mussten sie ja irgendwo im Tempel sein. Aber der Tempel hatte so viele Zimmer, so viele Orte, an denen sie arbeiten könnten… ah, irgendwo musste Green ja anfangen, also schlug sie den Weg zur Küche ein. Um in die Küche zu gelangen, musste Green einige Stockwerke tiefer. Ein riesiges Teil von einer Küche war das! Um sich bei Grey einzuschmeicheln und ihn zu überreden, dass sie wenigstens so viel wie einen Brief an die beiden Dämonenbrüder schreiben durfte, hatte Green die riesige, wahrlich perfekt ausgerüstete Küche des Tempels missbraucht; sie hatte ihm etwas gekocht, aber obwohl Grey ganz aus dem Häuschen gewesen war – er hielt Kochen für eine magische Kunst, da er sich nicht einmal selbst Tee kochen konnte – hatte sie ihn nicht kleingekriegt. Nicht einmal zwei Zeilen hatte sie schreiben dürfen! Er übertrieb es wirklich mit seinem „Konzentrier dich auf dein Training“… „… -Blamage! Es ist schrecklich, zu was wir hier gezwungen sind! Nur weil du mal wieder nicht „nein“ sagen konntest!“ Ah, da war ja schon die liebliche Stimme ihrer Tempelwächterin. Die Zwillinge waren also wirklich in der Küche, stellte Green fest, nachdem sie den niedrigen Säulengang durchquert hatte, der um die große, rechteckige Küche herum gebaut war. Eine der großen Türen stand nur angelehnt und Green blieb natürlich so stehen, dass sie nicht bemerkt wurde – dafür aber hören konnte, was innen gesagt wurde. Mit gespitzten Ohren vernahm sie nun Ryôs Stimme, die irgendwie… gebeutelt klang. „Wie ich bereits gesagt habe… es tut mir Leid, Itzumi.“ „Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten als Kartoffeln zu schälen! Was bin ich!? Eine Küchenmagd?!“ Oh Gott, Green tat Ryô leid – seine Schwester klang wirklich sehr wütend… „Aber Itzumi, wir haben nichts „Besseres zu tun“ und auf Sanctu Ele’Saces haben sie das schon… Es sind nur 300 Kartoffeln.“ 300 Kartoffeln? Wer sollte die denn alle essen? „Ich hasse Kartoffelschälen! Seit meiner Ausbildungszeit musste ich das nicht mehr tun! Es war Fail, nicht wahr, der dich dazu überredet hat?!“ Von Ryô folgte keine Antwort, aber Itzumi benötigte keine Antwort, sie donnerte weiter: „Oh, ich kann es in deinem Gesicht sehen. Ist dieser Idiot sogar zu einfältig für die Küchenarbeit?! Pah, ich habe es immer gemacht, obwohl ich es gehasst habe und gleichzeitig Glanzleistungen in meiner Ausbildung liefern musste – und Fail gelingt es nicht einmal, ein paar dumme Kartoffeln für eine Hochzeit zu schälen. Die Chefin sollte ihn mal durch die Mangel nehmen!“ Hochzeit? Wer heiratete denn? Ah, warte. Etwas klingelte in ihrem Kopf… der Wächter, den sie zusammen mit Siberu in Tokio getroffen hatte… er hatte etwas von einer Hochzeit erzählt? Green hatte das ganz vergessen. Sie hatte Grey fragen wollen, aber es war ihr entfallen in der ganzen Aufregung, die danach gefolgt war. Aber hätte Grey ihr nicht von sich aus etwas darüber erzählen müssen? Hätte sie nicht, als Hikari, eingeladen werden sollen? Warte mal. War sie nicht sogar eingeladen worden? Und „Sanctu Ele’Saces“… der Name sagte ihr etwas; nicht weil Grey ihn erwähnt hatte, sondern weil sie den Namen beim Lesen entdeckt hatte. Wenn sie nicht alles täuschte – was gut sein konnte – dann gehörte dieser Name zu einer Insel; einer anderen Insel, die wie der Tempel im Himmel existierte. Grey hatte ihr davon nichts erzählt und auch in den Büchern, die er ihr zum Lesen gegeben hatte, war dieser Name nicht aufgetaucht – aber in den Tagebüchern, die Green sich selbst geschnappt hatte, schon. Hatte Grey ihr da irgendetwas verheimlicht? Warum hatte er ihr nicht von der Hochzeit erzählt, warum war noch nie der Name einer anderen Insel gefallen – es gab doch sogar noch mehr? Gary hatte wirklich recht gehabt, als er nahegelegt hatte, dass sie Augen und Ohren offen halten sollte. Er war nur einmal im Tempel gewesen und schon hatte er bemerkt, dass irgendetwas faul war – und, ja, das war es auch, dachte Green. Es war das letzte Gespräch gewesen, das Green mit Gary geführt hatte. In diesem Gespräch hatte er ihr gesagt, dass sie skeptisch sein sollte – das letzte Gespräch, das eigentlich genauso verboten gewesen war wie jedes andere Wort, das Green mit Gary oder Siberu wechseln wollte, aber dieses Mal war es Green trotz allem gelungen, ein Gespräch zu führen: ein Gespräch, an das sie nun zurückdachte, während Itzumis laute, sich beschwerende Stimme langsam in den Hintergrund geschoben wurde.        Obwohl es Grey nicht gefallen hatte, war Gary mit ihnen zusammen zum Tempel zurückgekehrt; natürlich nicht, weil er selbst darauf bestanden hatte – er schien jedem Streit mit Grey aus dem Weg gehen zu wollen – sondern weil Green vehement darauf bestanden hatte. Sie hatte es absolut so gewollt und Grey hatte sich den widerspenstigen Augen seiner Schwester dieses eine Mal gebeugt. Danach musste Gary wieder gehen; es durfte nicht zugelassen werden, dass ein Dämon glaubte, er dürfte sich wann auch immer und solange er wollte im Tempel aufhalten – und dieser Dämon war definitiv lange genug im Tempel gewesen, wie deutlich das nicht in dem Blick gelegen hatte, den Grey Gary angewidert zugeworfen hatte. „Grey, es ist nur ein kleines, verdammtes Gespräch – das kann ja wohl nicht so schlimm sein?!“ „Green, du fluchst schon wieder.“ „Ja, das hier ist ja auch zum Fluchen, zum Kotzen um genau zu sein – was soll so schlimm an einem kleinen Gespräch sein?!“ „Wollen wir nicht erst einmal deine neue Attacke genauer untersuchen?“ „Das können wir ja wohl danach machen?! Nur eine halbe Stunde, Grey, bitte.“ Gary kannte den Blick, den Green da gerade anwandte, nur allzu deutlich: es war der Blick, mit dem sie auch immer versuchte, Siberu kleinzukriegen. Meistens gelang es ihr und auch in diesem Fall lockerte Greys Blick widerwillig auf: „… 15 Minuten.“ „Nein, 30. Ich werde Gary ja dank dir jetzt sicherlich länger nicht mehr sprechen, da werden 30 Minuten ja wohl drin sein?! Du kriegst dafür auch was – ich werde beim Training extra aufmerksam und extra fleißig sein, okay?“ „Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du dich um deiner selbst willen dem Training widmest?“ Da dieser Punkt an Grey ging, wich Green dieser Frage aus: „Also – Gary und ich gehen dann mal.“ Schon hatte Green Garys Arm gepackt und zerrte den gänzlich Unparteiischen weg von der kleinen Gruppe Wächter. „Von einem Gespräch unter vier Augen war aber nie die Rede gewesen, Green!“ „Mein Gott, Onii-chan!“, rief Green ihm über die Schulter hinweg zu: „Als ob Gary mich vom Inselrand herunterwerfen würde?!“ Fluchend – sicherlich mit Absicht, nur um Grey weiter zu ärgern – drehte Green sich wieder herum, Garys Arm nun loslassend, aber immer mal wieder einen skeptischen Blick zu Grey werfend, als befürchtete sie, er würde ihnen geheim folgen. Etwas beleidigt stemmte Grey seine Hände in die Hüfte und sah Green und Gary nicht weniger skeptisch hinterher als wie Green ihn musterte – bis sein Blick Ryôs traf, der ihn mit einer leichten Andeutung einer erhobenen Augenbraue ansah und schuldbewusst sah der Windwächter in eine andere Richtung, die Arme über der Brust verschränkend. „Die beiden sehen fast aus wie ein Liebespaar!“ Diese unbedachten Worte Pinks sorgten nicht gerade dafür, dass Greys Haltung auflockerte. Dieses Wort hatte er heute eindeutig zu oft im Bezug auf die beiden gehört!     Green dachte nicht an dieses Wort: sie dachte nur daran, in kürzester Zeit so weit weg wie möglich von den neugierigen und immer misstrauischen Ohren ihres Bruders zu kommen – und zum Glück wusste sie auch, wie sie das am besten bewerkstelligte! „Geheimgänge sind wirklich das beste am ganzen Tempel! Es gibt hier überall welche. Ryô hat mir den hier gezeigt, Grey kennt gar keine, hihihi!“ Erst da verstand Gary, weshalb Green sie beide an den Rand der Insel geführt hatte, denn als er über diesen sah, erblickte er kleine Steinstufen, die herunter führten. Zugegeben: obwohl er fliegen konnte, war ihm ein wenig mulmig zumute, als er herunter sah… und nichts außer einem endlosen Wolkenmeer unter den Stufen entdeckte; Stufen, die zwar sicher aussahen, aber dennoch nicht gerade… einladend. Waghalsig wie Green war nahm sie den ersten Schritt und sprang auf die erste Stufe. Dass diese nur knapp 30 Zentimeter breit war und darunter nichts außer Wolken, schien Green nicht zu interessieren; nur mit einer Hand hielt sie sich an der Steinwand fest, sobald sie ein paar Stufen hinter sich gebracht hatte, während Gary ihr folgte - um einiges weniger sicher, immer wieder nervöse Blicke nach unten sendend, dann wieder zu Green zurück: angespannt und bereit vorzuspringen, um sie zu fangen, falls sie doch wanken und stolpern sollte. Aber zum Glück waren diese Vorsichtsmaßnahmen unnötig; gänzlich unbeschadet und ohne ins Gefahr zu geraten kamen die beiden nach gut hundert Stufen unten in einer kleinen Höhle an, die in die Insel selbst hineingehauen war. Tief genug, damit sich dort mehrere Personen aufhalten konnten, mit einem ebenen Boden und einer Wand, die mit ebenmäßigen, hellgrauen Steinen gepflastert war. Ansonsten war hier nicht sonderlich viel zu sehen. Kaum dass Gary einen Schritt hineingetan hatte, verschwanden die Stufen hinter ihnen wieder. Etwas staunend blickte Gary sich um und seine offensichtlichen Fragen blieben nicht lange unbeantwortet, denn Green schoss nicht alles in den Wind, was sie lernte. Sie war daher imstande, Gary dasselbe zu erklären, was Ryô ihr über diese Höhle erzählt hatte und tat dies auch, sobald sie sich an den Rand gesetzt hatte – so wie Green nun einmal war mit nach unten baumelnden Füßen. Wenn der Tempel angegriffen wurde, war das hier eines der Verstecke, wo die Wehrlosen hingebracht werden konnten, um sie vor dem Kampf zu schützen; eine Schutzkammer sozusagen. Die Stufen konnte man nur erscheinen lassen, wenn man ein Wächter war; von außen war das Versteck nicht zu sehen.    Nach dieser Erklärung blickte Green kurz schweigend über das langsam immer heller werdende Wolkenmeer, das sich unter und überall um sie herum erstreckte und im Begriff war, die Farbe zu ändern: von einem dunklen Blau zu einem hellen Gelb. Dort, wo die Sonnenstrahlen die Wolken berührten, begannen die Wolken golden zu glitzern – ein angenehmer, ruhespendender Anblick, der Green allerdings nicht lange in den Bann zog. Mit einem Ruck drehte sie sich zu Gary herum und blickte mit entschlossenen Augen zu dem immer noch stehenden Halbdämon empor. „Gary, ich will nachhause! Bitte, nimm mich mit!“ Kurz sahen sich die beiden an, bis Gary ihrem entschlossenen Blick nicht mehr standhalten konnte und sich seufzend abwandte: „Du weißt, dass das nicht geht. Es würde so aussehen als hätte ich dich entführt.“ „Na und? Grey hat mich auch entführt!“ Green fand, dass das ein absolut annehmbares Argument war, aber Gary war offensichtlich anderer Meinung: „Und dann? Dann kommt Grey wieder und dieses Mal wahrscheinlich mit mehr als nur zwei Tempelwächtern.“ „Was, es gibt noch andere Wächter?“, antwortete Green ironisch und lachte ein wenig, aber sie wusste schon, dass er recht hatte. Wahrscheinlich würde noch Seigi vor der Tür stehen… und ihn wollte sie nicht gerne vor der Tür haben, wenn Siberu und Gary hinter ihr waren. Nein, das war wahrscheinlich nicht unbedingt die klügste Entscheidung. Dennoch wollte sie fort; überhörte sogar Garys Bedenken, dass er es auch wahrlich eigenartig fand, dass sich im Tempel so wenige Wächter aufhielten… Der Tempel wirkte eigenartig auf ihn… irgendetwas stimmte da doch nicht…   „…Ich will nicht länger hierbleiben… Ich will wieder zu euch!“, unterbrach Green Garys laut ausgesprochene Gedanken.   „Du solltest dich hier wohlfühlen, Green. Immerhin ist das dein richtiges Zuhause.“ Mit einem finsteren Blick hob Green den Kopf und durchbohrte Gary, der sie ernst ansah. „Du müsstest mich doch schon gut genug kennen, um zu wissen, dass ich mich in Tokio am wohlsten fühle! Und nicht in diesem… goldenen Käfig, ganz egal wie schön er ist.“ Gary wusste kurz nicht, was er antworten sollte und Green fuhr fort, nun aber weniger aufgebracht: „Ich fühle mich hier so allein…“ „…Du hast deinen Bruder“, erwiderte Gary im Versuch, aufmunternd zu klingen; es schien allerdings nicht so zu funktionieren, wie er es gehofft hatte, denn ein trauriges Lächeln breitete sich auf Greens Gesicht aus, während sie sich aufrichtete.    „Ich weiß… aber manchmal kommt er mir so fremd vor. Ich verstehe Grey nicht… und ich weiß, ich spüre, dass er mir etwas verheimlicht. Er weicht mir aus… Wenn ich ihn zum Beispiel Dinge über das Jenseits frage… und seit der Sache mit dem Familientreffen…“ Green sah wieder ihre Mutter vor sich, wie sie sich krampfhaft an Green geklammert, verzweifelt geweint hatte… ihr ständiges „Es tut mir Leid“… Green sah wieder zu Gary und in ihrer Stimme wie auch in ihren Augen schwang ein leiser Anflug von Verzweiflung mit: „…seitdem… denke ich, dass sowohl Mutter als auch Grey…. ohne mich besser dran gewesen wären…“ Green hatte die Hände zu Fäusten geballt und konnte Gary nicht länger in die Augen sehen, sah stattdessen auf ihre Füße. Eigentlich hatte sie das nicht sagen wollen; es war ihr einfach so herausgerutscht. Sie hatte diese Gefühle vorher nicht einmal zu Gedanken geformt gehabt – und jetzt purzelten diese zu Form gewordenen Gefühle ungebändigt aus ihr heraus. Und schon wieder – und schon wieder war es Gary, dem sie diese Gefühle anvertraute. „Ich kann mir kein Urteil über deine Mutter erlauben, da ich sie nie getroffen habe…“ Und Gary musste sich selbst eingestehen, dass das auch gerne so bleiben konnte: „Dein Bruder allerdings… In seinem Falle finde ich es ganz deutlich, dass du für ihn sehr wichtig bist und dass er froh ist, dass du in sein Leben gekommen bist.“ Green sah aus dem Augenwinkel zögerlich zu ihm und fragte leise: „Woher willst du das wissen?“ Gary antwortete in einem belustigten Tonfall: „Ich finde es ziemlich offensichtlich. Wärst du ihm nicht so wichtig, dann würde er doch nicht so um dich und dein Wohl besorgt sein – und ich denke, du willst mich jetzt nicht fragen, woher ich weiß, dass er sich um dich Sorgen macht: dafür gibt es eindeutig genug Beweise und das, wo ich ihn nur ein paar Mal gesehen habe. Vorhin hätte er mich wegen dir fast umgebracht. Es wundert mich ehrlich gesagt, dass du überhaupt Zweifel hast, Green.“ Verdutzt über diese ausführliche Antwort blinzelte Green ein paar Mal, Gary verwirrt von der Seite her ansehend – aber schon spürte sie, dass eine kleine Stimme in ihr sagte „Er hat recht!“ und wie diese kleine Stimme Green zu einem erleichterten Lächeln brachte. Gary hatte wirklich recht… dass Green überhaupt – warte, vorhin?  „Wie „vorhin“?“ Ertappt fuhr Gary zusammen: „Ah… Naja, ein gewisser Rotschopf hatte den genialen Plan, wir könnten ja eine Rettungsaktion durchführen… Ich denke, das genügt als Erklärung und ich muss nicht weiter auf eine Reihe … kleinerer Komplikationen eingehen…“ Noch einmal blinzelte Green verwundert, aber dann lachte sie: „Oh mein Gott, ich wäre zu gerne dabei gewesen! Verdammt! Warum musste ich gerade heute wegen dem verdammten Auftrag weg sein!? Du musst mir alles erzählen! Und warte, Grey wollte euch umbringen? Ha, warum wundert mich das irgendwie nicht; das hätte ich vielleicht bedenken sollen, als ich…“ Green geriet plötzlich ins Stocken, sich selbst dabei ertappend, wie sie etwas preisgab, was sie eigentlich gar nicht hatte erzählen wollen. Gary war wahrscheinlich nicht die beste Person, um von einem ihrer vielen Regelverstöße zu erzählen: er war immerhin ein Moralprediger und für ihren Geschmack hatte sie heute schon eindeutig genug Standpauken bekommen - aber natürlich blieb Gary Greens ertappte Röte nicht unbemerkt, die sich auf ihren Wangen ausgebreitet hatte, als die Hikari mit einem verschmitzten, leicht peinlichen Lächeln ihren Fehltritt bemerkt hatte. „Als du was?“ Green hätte am liebsten „nichts“ geantwortet, aber anhand seiner schneidenden Stimme erkannte sie schon, dass Gary ihr das nicht glauben würde. „Du hast nicht zufällig etwas damit zu tun, dass weder der Bannkreis noch das Sicherheitssystem des Tempels auf uns reagiert haben, oder?“ „… vielleicht.“ Oh, wie deutlich nicht die nahende Standpauke in Garys Augen abzulesen war - er und Grey konnten sich wirklich die Hand reichen. Umso komischer war, dass Grey Gary gegenüber so eine deutliche Antisympathie verbreitete: sah er denn nicht, wie ähnlich sie sich waren? Sie könnten sich zusammen der Aufgabe annehmen, Greens Gewissen auf Regeln und Moral zu trimmen - ob Green das mit sich machen lassen würde, war natürlich eine andere Frage. „Green, du kannst doch nicht einfach das Sicherheitssystem des Tempels manipulieren...“ Das Ganze war schon ziemlich abstrus; sprach ein Dämon etwa gerade dafür, das Sicherheitssystem der feindlichen Basis nicht anzurühren, obwohl es ein Vorteil für ihn war? Siberu würde dem wohl mit den gleichen hochgezogenen Augenbrauen gegenüberstehen wie Green. Diese unterbrach Gary nun auch, ehe er wirklich in Fahrt kommen konnte: „Im Ernst, Gary, es ist nicht so, dass ich das gesamte Sicherheitssystem lahmgelegt habe! Ich habe nur dafür gesorgt, dass du und Sibi kleine Ausnahmen seid und dass das System euch damit nicht erfasst.“ „Hast du das alleine geschafft?“ „Nö, ich habe Itzumi nett gefragt.“ „… gefragt.“ „Ja – mehr oder weniger. Ist doch egal! War es nicht gut, dass ich das gemacht habe? Grey verbietet mir jeden Kontakt mit euch! Ich meine, mein eigener Bruder hat mich entführt! Ja, es ist toll, dass ich mal ein wenig trainieren kann...“ Gary zögerte kurz, schien zuerst nicht antworten zu wollen, sich nicht von seiner Standpauke abbringen lassen zu wollen – aber dann antwortete er doch: „Das ist es auch wirklich. Unter Gleichgesinnten kannst du Techniken lernen, die du niemals mit uns lernen könntest. Ich mache mir nur Sorgen um deine schulische Ausbildung.“ „Oh ja, ich auch...“ Ein kleines Lächeln huschte über Garys Gesicht, als er Green ansah: „Ich war ziemlich stolz auf dich, als du das als Grund nanntest - an dem Tag, als Grey dich mitnahm. Ein wenig Verantwortungsbewusstsein scheint ja doch in dir vorhanden zu sein.“ „Ehehe, du scheinst abzufärben!“ Kurz lächelten der Halbdämon und die Hikari sich an; Green immer noch ein wenig kichernd, Gary mit einem Lächeln, bei dem er nicht wusste, ob es ein aufgebendes oder ein zufriedenes Lächeln war. Greens leises Kichern verglomm nach einem kleinen Moment und einige Sekunden schwiegen sie; Green wieder hinausschauend über die Wolken, bis sie die Stille aufhob: „Ich wollte einfach die Möglichkeit offenhalten, falls ihr kommet würdet... damit ich euch sehe. Ich habe ein wenig darauf gehofft, um ehrlich zu sein… Schade, dass ich Sibi nicht sehen konnte... ich vermisse ihn.“ Was war das für ein leichter Stich, den Gary da in sich spürte und von dem er meinte, dass er ihn schon einmal gespürt hatte? „Warum ist er eigentlich nicht mit nach Deutschland gekommen?“ Gary schwieg, überlegte kurz, ob und wie viel er ihr erzählen sollte – tat es dann aber und gab in groben Zügen wieder, was geschehen war. Greens Lächeln verschwand schnell und sobald Gary ihr erzählte, was mit Siberu geschehen und weswegen er nicht mitgekommen war, schlug sich Green die Hand vor den Mund. „Es geht ihm gut“, beeilte Gary sich zu versichern: „Er wird wahrscheinlich Narben davontragen, aber so schnell kriegt man Silver nicht klein. Ein wenig Ruhe… das ist alles, was er jetzt braucht.“ Langsam löste Green die Hand wieder von ihrem Mund: „… Ich war so dumm, das habe ich nicht gewollt. Oh, warum war ich denn nicht da, ich hätte Grey aufhalten können!“  „Ja, vielleicht, aber Silver war selbst Schuld; er hat es provoziert und es eigentlich herausgefordert.“ Gary versuchte, Green aufmunternd anzulächeln: „Er war eben sehr erpicht darauf, dich zu retten. Dich trifft da keine direkte Schuld. Wenn Wächter und Dämonen aufeinandertreffen, gibt es eben meistens Probleme – besonders wenn einer von den Dämonen Silver heißt.“ „Das stimmt doch gar nicht.“ Green fand nun wieder zu ihrem Lächeln zurück: „Wir drei haben doch keine Probleme.“ Plötzlich fiel Gary das Lächeln auch einfacherer, aber es verschwand schnell, als er sich abwandte. Irgendwie konnte er sie nicht lange ansehen…   „Ich merke richtig, dass ich ohne Sibi nicht so eine gute Laune habe wie sonst. Er fehlt mir. Ich hoffe, es geht ihm bald besser!“ „…Ja, kaum verwunderlich. Ihr beide seid ja auch ein perfektes Duo.“ „Hmm?“ Green sah ihn nun wieder an, nachdem sie kurz in den Himmel geblickt hatte, aber Gary wich ihrem Blick aus - jetzt war es er, der irgendwie beschämt wirkte.  „Er liebt dich… und ihr seid ein perfekt zusammenpassendes Gespann, zwei Chaoten.“ Da Gary immer noch wegsah, bemerkte er nicht, wie Green sich aufplusterte und entschlossen die Hände in die Hüfte stemmte - das merkte er erst, als sie sich in sein Sichtfeld schob. „Ist da etwa jemand eifersüchtiiiig?“ Gary spürte, wie sich auf seinen vorher etwas blass wirkenden Wangen die Röte ausbreitete und sofort wollte er verneinen; so etwas Kindisches, warum sollte er - Eifersucht, so etwas kannte er nicht, dafür war sein Bruder zuständig, nicht er - aber Green ließ ihm keine Gelegenheit, dies zu antworten: „Sibi und ich sind uns wirklich sehr ähnlich und ich liebe ihn von ganzem Herzen, aber ich muss hier offensichtlich mal klarstellen, dass ich ihn nicht so liebe!“ Green zwinkerte, ein wenig errötet, aber im Gegensatz zu Gary sehr erfreut wirkend und fügte mit Nachdruck hinzu: „Denk bloß nicht, dass ich einen von euch beiden irgendwie lieber mögen würde als den anderen, nur weil ich mich auf den ersten Blick besser mit Sibi verstehe. Ihr seid mir beide unheimlich wichtig! Sibi ist mein bester Freund und du…“  Plötzlich geriet Green ins Stocken, denn ihr fiel wieder das Gespräch mit Seigi ein:   „Vielleicht hast du ja auch… andere Gefühle für ihn?“ „“Andere Gefühle?“ Was denn für „andere Gefühle?“ Gary ist einfach... Gary.“ „Naja, Gary siehst du vielleicht nicht als Freund, sondern als Bruder oder Lehrer, Vertrauten…. oder…“ Seigi lehnte sich über den Tisch, stützte sein Kinn mit einer Hand ab und sah Green direkt in die Augen, als er fortfuhr: „Oder ist er womöglich dein Geliebter?“   Ja… was war er denn nun? Vor drei Tagen war sie sich ihrer Gefühle so sicher gewesen und jetzt? Jetzt wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Die beiden Dämonenbrüder waren ihr gleich wichtig, jeder auf eine andere Art… aber wenn Siberu „ihr bester Freund“ war, was war Gary dann? Nur der Zweitbeste? Nein. Waren sie beide ihre besten Freunde? So würde sie es auch wiederum nicht nennen... aber da, als sie Seigis Antwortmöglichkeiten noch einmal durch den Kopf gehen ließ und dabei gar nicht bemerkte, wie Gary irgendwie nervös zu werden schien, hatte sie die Antwort plötzlich klar auf der Hand. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Es war doch so offensichtlich! „Gary!“ Er wagte es kaum sie anzuschauen, denn ihre etwas längere Pause hatte in ihm wahrlich kein gutes Gefühl geweckt - aber er wusste nicht warum. Woher stammte diese innere Unruhe? Der Unwille dem Thema gegenüber, der Wunsch, das Thema am liebsten zu wechseln, ganz weit wegzuschieben, obwohl da dennoch der deutliche Drang in ihm war, eine Antwort zu hören? „Du bist immer da, wenn ich dich brauche, egal ob es nun um das Kämpfen geht oder ob es nur der normale Schulalltag ist… Ich kann dir alles erzählen, sogar meine tiefsten Geheimnisse würde ich dir beichten… du hörst mir immer zu und hast für meine Probleme immer ein offenes Ohr, auch wenn sie mit dir direkt gar nichts zu tun haben. Weißt du… dieses Gefühl des Verlasses ist für mich sehr wichtig, da ich früher nie jemanden hatte, mit dem ich so offen reden konnte wie mit dir.“ Green atmete kurz durch und sah ihm dann lächelnd in die perplexen Augen: „Du bist mein Vertrauter - derjenige, dem ich am allermeisten vertraue!“  Gary spürte, wie Röte in ihm aufstieg, förmlich emporschoss; jedes weitere Wort hatte seine Röte weiter angefacht. Sein Kopf musste aussehen wie eine Tomate und es wurde nur noch schlimmer dadurch, dass er keine Antwort kannte. Er wollte etwas sagen, aber--- was!? Wahrscheinlich würde er in diesem Augenblick nur Gestammel zustandebringen. Er war einfach völlig überrumpelt von diesen Worten und dem Strahlen in ihren Augen - sie... meinte es wirklich genau so, wie sie es gesagt hatte. Natürlich, es war ja auch Green... sie meinte immer alles so, wie sie es sagte... Wie war es möglich, dass er für sie in einer so verhältnismäßig kurzen Zeit so wichtig geworden war, wo sie sich doch die längste Zeit gar nicht hatten riechen können? Und jetzt… jetzt das… wie sollte er darauf reagieren? Was sollte er ihr antworten? Sollte er ihr sagen... wie froh er über ihre Worte war…? Doch Green erwartete gar keine Antwort; es reichte, wenn er wusste, wie wichtig er für sie war und dass so etwas wie Eifersucht in ihrem kleinen Team unnötig war. Sie konnte seine Gedanken schon nachvollziehen – sie fand ja selbst, dass sie und Siberu unzertrennlich waren – daher war es für sie umso wichtiger, ihn davon überzeugt zu haben, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte; dass sowohl Siberu als auch Gary ihr wichtig waren.  „Du brauchst nicht antworten - es reicht, wenn du es weißt! Also, du brauchst absolut nicht eifersüchtig sein!“ „Ich war nicht… eifersüchtig.“ „Jaaaa, genau, Gary, versuch‘s ruhig, aber ich sehe es dir an, hehe! Willst du es nicht zugeben, huuuh?“, neckte Green ihn und benutzte dafür sogar grinsend ihren Ellenbogen, um ihn neckend in die Seite zu stubsen, bis ihr einfiel, dass sie womöglich schon dabei waren, den Bogen der Zeit zu überspannen. Sie mussten sich verabschieden, ansonsten würde Grey wahrscheinlich noch bei ihnen aufkreuzen, ganz egal, wie versteckt dieser Ort war – Green war davon überzeugt, dass er sie überall finden würde. „Ihr seid doch da, wenn ich wiederkomme, oder?“ „Natürlich sind wir das.“ „Versprichst du es?“ Gary versprach es sofort, aber obwohl die Antwort so schnell gefolgt war, sah Green ein wenig zweifelnd aus; sie studierte ihn förmlich – und dann flitzte ihre Hand plötzlich auf ihn zu, an seinen Hals und ergriff das Lederband seiner Kette, an dessen Ende sein grün-gelber Anhänger hing. Verunsichert blickte Gary Green an, die seinen Blick mit einem entschlossenen Grinsen erwiderte, das Lederband fest umschließend. „Darf ich die haben? Als Glücksbringer für mein kommendes Training, was garantiert nicht so einfach sein wird? Natürlich nur geliehen, ich kenne doch die Geschichte hinter dem Anhänger… also, leihst du ihn mir?“ Gary konnte gar nicht anders, als ihr zuzustimmen und mit einem triumphierenden Lächeln, als hätte sie soeben einen schwierigen Kampf gewonnen, nahm Green den Anhänger entgegen: „Jetzt habe ich schon zwei Schmuckstücke von dir, hehe!“ Gary würde den Anhänger nicht gerade ein Schmuckstück nennen – er war an sich nichts wert; nur die Erinnerungen, die damit verbunden waren, waren es… und was meinte Green mit zwei---? Ah, da sah Gary es; er hatte zuvor nicht darauf geachtet, aber jetzt, als die Sonne aufging und Greens Gesicht erhellte und ihre Haare sich mit einer leichten Brise erhoben, bemerkte er das sanfte Aufstrahlen der Ohrringe, die Gary ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. „Warum guckst du mich so verwundert an? Dachtest du, ich würde sie nicht tragen? Sie stehen mir doch so gut, es wäre eine Schande, sie nicht zu tragen!“ Gary wollte gerade antworten, als sie beide Greys Stimme über ihnen hörten, der nach Green rief – und eindeutig nicht gerade erheitert klang. Green verdrehte mit einem Seufzen die Augen: „Da ist mein Wachhund. Ich denke, es ist Zeit, sich zu verabschieden.“ „Eine Sache wäre da noch, Green.“ Angesichts von Garys plötzlich ernst gewordenem Tonfall verschwand auch Greens Lächeln – und irrte sie sich, oder hatte er auch leiser gesprochen? „Sei wachsam.“ Eigentlich hatte er etwas anderes sagen wollen, nämlich „sei vorsichtig“. Das waren die Worte gewesen, die sich ihm aufgedrängt hatten, aber er verstand nicht wirklich, warum – warum sagte ihm eine Stimme, dass Green vorsichtig sein sollte? Sie würde zu ihrem Bruder zurückkehren, sie war im Tempel; dem Ort, der für eine Hikari, wie sie es war, der absolut sicherste Ort der Welt war – sie war die Person, deren Leben alle Wächter schützen mussten. Sie war absolut von jeder Gefahr befreit, woher also…? „Versuch, auf Unstimmigkeiten zu achten. Wie ich bereits gesagt habe: irgendetwas kommt mir am Tempel eigenartig vor.“ Green nickte, von der gleichen Ernsthaftigkeit ergriffen wie Gary: „Ich weiß, was du meinst. Ich werde Acht geben.“ Dann schlich sich jedoch noch einmal ein Lächeln zurück auf ihr Gesicht: „Danke nochmal für deine Hilfe vorhin und dass ihr beide versucht habt, mich von hier zu befreien.“ „Das ist doch selbstverständlich…“ Nein, das war es nicht und das wussten beide. Immerhin sollten sie Feinde sein. Sie sollten sich hassen.  Green hob die Hand. „Grüß Sibi… und vergiss nicht, ihm zu sagen, dass ich ihn lieb hab und ihn vermisse, ja?“     Seitdem hatte sie weder Siberu noch Gary wiedergesehen. In der letzten Woche hatte sie viel trainiert und war, genau wie Gary es ihr aufgetragen hatte, achtsam gewesen – und diese Achtsamkeit bewies sie auch jetzt. Obwohl ihr trotziger Dickkopf Grey sofort hatte konfrontieren wollen mit einer Hochzeit, bei der sie nicht eingeladen war, hielt sie sich zurück, schrieb nur alles in ihrem kleinen Notizbuch auf, das sie extra für Gary schrieb und nachts unter ihrem Kissen verbarg. Dort standen schon eine ganze Menge kleiner Dinge, die ihr komisch vorgekommen waren. Auf der ersten Seite, rot eingekreist neben einem Teefleck, standen die zwei obersten Punkte der Skepsis: „Der unbekannte Fremde“ und „Die geheime Hochzeit“. Zu dem „unbekannten Fremden“ hatte sie leider noch nicht viel. Er war ihr letzten Mittwoch aufgefallen. Ein Wächter im mittleren Alter, mit violettem Haar und blauen Augen, so hatte sie ihn in ihren Notizen beschrieben – er hatte sich mit Grey getroffen, geheim. Grund zur Skepsis: weil das Treffen geheim war. Grey hatte behauptet, dass er sich krank im Bett befunden hatte. In Wahrheit aber hatte er sich heimlich mit jenem Wächter getroffen. Green hatte das Treffen zufällig beobachtet; tatsächlich war es nur dank Pink möglich, die sich verlaufen und sie so förmlich zu den beiden Wächtern geführt hatte. Viel hatte Green nur leider nicht vom Gespräch erhaschen können, aber dass Grey ihr das Treffen hatte verheimlichen wollen, war schon genug, um sich einen roten Kreis in ihrem Notizblock verdient zu machen. Und die „geheime Hochzeit“? Der nahm sie sich jetzt an, indem sie abwartete und beobachtete. Heute Morgen, am Tag der geheimen Hochzeit, wirkte Grey etwas ruhiger; er lächelte wieder… und ja, Green musste zugeben, dass sie sich darüber freute… natürlich wollte sie nicht, dass Grey so besorgt aussah… Aber es gefiel ihr dennoch nicht, dass er kein Wort über die Hochzeit fallen ließ! Warum so viele Geheimnisse?! Dann musste Grey angeblich wieder ins Jenseits. Pah! Sie wusste genau, dass er nicht ins Jenseits reiste! Zwar war er so voraussehend, dass er sich nicht einer Hochzeit angemessen gekleidet hatte, damit Green keinen Verdacht schöpfte, aber da Green das Gespräch der beiden Zwillinge in der Küche gehört hatte, wusste sie ganz genau, dass er sich nicht ins Jenseits aufmachte – dass er ihr mitteilte, dass er sicherlich länger weg sein würde, untermauerte ihren Verdacht nur. Aber obwohl es ihr absolut nicht passte, ihn nicht sofort damit zu konfrontieren und eigentlich direkt ins Gesicht belogen zu werden – von jemandem, der dauernd die Regeln hochhielt! – tat sie gut gelaunt, als sie Grey verabschiedete. Sie tat auch überrascht, als sie bemerkte, dass Ryô nicht anwesend war; angeblich Besorgungen in der Menschenwelt. Pah, als ob! Aber wie klug von ihnen, dass Grey und Ryô zeitversetzt den Tempel verlassen hatten – nur zu dumm, dass Green sie dennoch durchschaute, huh? Was war an einer Hochzeit so schlimm, dass Green nicht daran teilnehmen durfte und man so einen Aufstand machen musste, um sie vor Green zu verheimlichen?! Gary hatte sowas von recht! Etwas war ganz eindeutig faul im Staate Dänemark – nein, im Tempel! Und sie würde Grey überführen; auf frischer Tat ertappen würde sie ihn! So etwas ließ Green nicht mit sich machen!     Völlig ahnungslos kehrten Grey und Ryô gegen null Uhr zurück in den Tempel. Beide mit einer offensichtlich guten Laune, die sie vom Fest mitgebracht hatten und die Grey immer noch zum Lächeln brachte, auch wenn er Anzeichen der Erschöpfung zeigte. „Ah, was für eine schöne Feier! Mary-san hat sich wahrlich mal wieder selbst übertroffen. Der Kirschblütenregen war eine wunderschöne Idee und so passend zu dem Element der Braut!“ Ryô stimmte dem zu; wie könnte er auch nicht, denn es war wahrlich ein wunderschöner Anblick gewesen, als die Kirschblüten plötzlich mit der Hilfe einiger Naturwächter vom Himmel regneten, nachdem das Brautpaar sich das Ja-Wort gegeben hatte. Ryô hatte zwar noch Stunden später Kirschblüten aus Greys Haaren zupfen müssen, aber das war wohl das kleinste Übel… „Aber ich muss eingestehen, dass ich am Ende bin. Danke, dass du dafür gesorgt hast, dass wir früher gehen konnten. Hätte ich noch einmal mit Tinami-san tanzen müssen, ich glaube, ich wäre tot umgefallen…“ „Nichts zu danken, Grey-sama. Aber ja, Ihr habt Recht, Tinami-sama war wahrlich ein wenig wild - im Gegensatz zu Ilang-sama.“ „Ja, mit ihr hätte ich lieber ein zweites Mal getanzt“, stöhnte Grey, während die beiden Wächter nun die Treppen hinaufstiegen, um die Eingangshalle zu verlassen. „Aber es war wirklich unterhaltsam! Und täusche ich mich, Ryô, oder hat eine Dame auch dich um einen Tanz gebeten?“ Sofort blieb Ryô stehen, errötet bis unter die goldenen Haarspitzen, aber sofort weitergehend, noch röter werdend, als Grey verhalten lachte. „Also hatte ich recht! Warum hast du denn nicht angenommen? Du kannst doch tanzen!“ „…Ich kann doch nicht von Eurer Seite weichen: ich bin Euer Tempelwächter, kein regulärer Gast.“ „Du lässt es immer so klingen, als stünde dir kein Spaß zu, Ryô! Wer war die Dame? Von den Haaren her zu urteilen würde ich ebenfalls eine Tempelwächterin schätzen… kennst du sie?“ „… eh ja, ich kenne sie… sie ist…“ Ryôs leichtes Stammeln verleitete Grey zu einem leichten Grinsen – ein Grinsen, das sehr schnell dahinschmolz, als sie beide Green am Ende des Ganges entdeckten, den sie gerade betreten hatten. „Ich dachte, wir Wächter dürften nicht lügen, Onii-chan?“  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)